Kitabı oku: «Jesus findet Muslime»
CHRISTIANE RATZ
J E S U S
F I N D E T
MUSLIME
21 schicksalhafte
L e b e n s w e n d e n
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-96140-010-2
© 2017 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: fotolia t0 m15
Satz: Brendow Web & Print, Moers
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
Für Amos und Priscilla
„Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens.“
Paulus
Der Traum des agè Tuareg
Ich lag und schlief,
dort unter meinem weißen Zelt.
Ich lag auf der rechten Seite,
wo mein Herz schlägt.
Ich sah,
aus dem Süden kam ein Mann zu mir.
Ich wusste es sofort:
Es ist ER,
ganz sicher.
Er trägt ein Schwert,
lang und scharf.
Ich bin des Todes,
ganz sicher.
Ich habe Angst
und springe auf.
Werfe das Leintuch weg,
mein Herz schlägt bis zum Hals.
Hab’ keine Angst!
Ich werde dich nicht töten.
Fürchte dich nicht!
Seine Augen versprechen mir das, ganz sicher.
Ruhig schlägt mein Herz,
er ist mir gut.
So viel ist sicher.
Jesus – ER war hier, bei mir.
Komm wieder!
Du Guter,
Freundlicher!
Besuche mich und sag’ es meinem Herzen:
Fürchte dich nicht,
ganz sicher.
Nach dem Bericht der Jesus-Vision eines alten Tuareg
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Der Traum des agè Tuareg
Einleitung
1 Unerwartet
2 Im falschen Film
3 Auf dem Wasser gehen
4 Pink
5 Wilde Rose – Nesrine
6 Der Ruf
7 Schwarzwaldluft
8 Glücksspiel
9 Schmetterlinge
10 Die bunte Herde
11 Brüllender Löwe
12 Die Begegnung am Schwarzen Fluss
13 The Power of Love
14 Malika – eine Frau in der Wüste
15 Lutte traditionelle – Der Kampf
16 Atem holen
17 Die Perle
18 Der Pilot
19 Überrascht von Freude
20 Tageisha und der Bibelübersetzer
21 Willkommen im Club
Fragen, die bleiben
Danksagungen
Verwendete Bibelübersetzungen
Einleitung
Es ist einige Jahre her, dass ich davon hörte, Jesus erscheine Menschen in der muslimischen Welt in Träumen oder Visionen. Es rührte etwas an in mir, dass sich Jesus offenbar selbst aufmacht, es war eine Mischung aus Staunen, Neugierde und Ungläubigkeit. Sicher, Jesus konnte so etwas tun, aber in meiner Welt kam so etwas nicht vor, warum sollte er es dann in einer anderen tun? Biblische Geschichten gehörten schon immer zu meinem Leben, und ich zweifelte im Grunde nie an der Wahrheit der Bibel, aber vieles von dem passiert heute so auf jeden Fall nicht mehr – dachte ich. Wem in meiner Kirche war schon ein Engel erschienen und hatte laut hörbar mit ihm gesprochen? Welcher Blinde war schon sehend geworden oder welcher Querschnittsgelähmte schon vor meinen Augen aus seinem Rollstuhl aufgestanden? In aufregenden Geschichten oder Berichten hörte ich zwar davon, aber ich war nie hautnah dabei gewesen.
Vor über zwölf Jahren hat Gott begonnen, in meinem Leben eine Geschichte zu schreiben, die mich dazu gebracht hat, den Geschichten anderer Menschen genauer zuzuhören. Ich durfte viele Menschen besuchen und sprechen und sie für Film und Fernsehen begleiten und interviewen.
Heute sehe ich: Jesus geht Tag für Tag über diese Erde, der Heilige Geist ruft Menschen, und Gott schreibt ganz genau dieselben Geschichten, wie sie vor 2000 Jahren für uns in den Schriften der Bibel erhalten wurden.
Muslime galten, soweit es mir bekannt war, als schwer vom Evangelium erreichbar. Ich dachte außerdem, dass Menschen in erster Linie durch Boten von der Guten Nachricht hören. Die Geschichten in diesem Buch zeigen tatsächlich, wie wichtig Botschafter der Guten Nachricht sind. Aber sie zeigen auch, dass Gott sich nicht zu schade ist, direkt Kontakt mit uns aufzunehmen. Gleich welcher Religion jemand bisher angehörte, egal wovon er bislang dachte, dass es „der Weg“ sei.
Beim Bearbeiten der vielen Gespräche sind mir Spuren seines Charakters und seines Handelns aufgefallen. Es stellte sich natürlich immer wieder die Frage: Ist es wirklich Jesus, den die Menschen gesehen haben? Ich habe meinen Interviewpartnern geglaubt, wenn die folgenden vier Punkte in ihren Berichten gegeben waren, so verschieden die Erlebnisse ansonsten auch gewesen sein mögen:
1 Jesus sagte ihnen Worte (oder die Menschen sahen ein Bild), die sich genauso auch in der Bibel finden und die die Menschen zum Zeitpunkt der Traumvision unmöglich kennen konnten. Um dies herauszustellen, habe ich einige Bibeltexte in die Erzählungen eingefügt, auf die ich während meiner Arbeit an diesem Buch stieß. Von manchen Bibelworten sprachen auch meine Interviewpartner, als sie mir von ihrem Erleben berichteten.
2 In Jesu Nähe fühlen sich die Menschen lebendig, gesund, geliebt und in Frieden eingehüllt. Das machte schon beim Zuhören Sehnsucht nach „mehr“.
3 Obwohl der Traum bei manchen Personen schon lange her war, konnten sie sich an jedes Detail darin erinnern. Einige träumen auch sonst oft, gaben aber freimütig zu, die Details normalerweise schnell wieder zu vergessen.
4 Nach dem Traumerlebnis waren diese Personen nicht mehr dieselben wie zuvor. Sie hatten einen Ruf gehört, dem sie folgen mussten, und sie waren bereit, jeden Preis zu zahlen, den ihre Entscheidung für Jesus sie kosten würde. Denn jedem hat der Entschluss, Jesus nachzufolgen, vordergründig nur Schwierigkeiten eingebracht. Aber, sie waren der Liebe begegnet, und wenn sie sich entschieden hatten, sie anzunehmen, spürte ich ihnen eine tiefe Zuneigung zu Jesus ab. Ich sah sie in ihren Augen und in ihrem Handeln.
Die in diesem Buch vorliegenden Geschichten haben mir die betreffenden Personen selbst erzählt. Einige habe ich in ihrer Heimat besucht, andere sind nach Europa geflohen, weil sie verfolgt werden. Ich habe keine genauen Ortsangaben verwendet und den Menschen Decknamen gegeben, um sie nicht unnötig einer Gefahr auszusetzen. Manche von ihnen sind gebildet, haben studiert, aber nicht wenige sind Analphabeten. Ihr Zeugnis habe ich in eine Kulisse gesetzt, die ihrem Lebensumfeld, in dem ich sie besucht und erlebt habe, entspricht. Sie soll die Wahrheit zum Leuchten bringen, das ist mein Bestreben und meine Verantwortung als Erzählerin gegenüber meinen Interviewpartnern, die mir ein unwahrscheinlich großes Vertrauen entgegengebracht haben. Ich danke ihnen, denn nur so ist es uns möglich zu erfahren, was Jesus Christus in dieser Welt tut.
Alle diese Personen stammen nicht aus dem europäischen Kulturkreis. Ich empfinde, dass ihre Kultur, ihre Art zu denken und mit Gott zu leben, der biblischen Zeit und Kultur sehr nahesteht.
Wie ich anfangs gesagt habe, dachte ich bis vor Kurzem: Was ich nicht kenne und erlebe, das gibt es nicht. Ha, das war einer der größten Irrtümer überhaupt.
Jedes Land (genau wie jede Person) neigt dazu, ihre Kultur als die absolute anzusehen. Ich denke, wir sollten grundsätzlich demütig und lernbereit anderen Menschen, ihrer Geschichte und ihrer Kultur gegenübertreten. Es gibt darin so vieles zu entdecken, für uns selbst und für unseren Weg durch das Leben.
„Viele Menschen suchen ein Ohr, das ihnen zuhört, und sie finden es unter den Christen nicht, weil diese auch dort reden, wo sie hören sollten. Wer aber seinem Bruder nicht mehr zuhören kann, der wird bald Gott nicht mehr zuhören, sondern er wird auch vor Gott immer reden … Wer nicht lange und geduldig zuhören kann, der wird am anderen immer vorbeireden und es selbst schließlich gar nicht mehr merken. Wer meint, seine Zeit sei zu kostbar, als dass er sie mit zuhören verbringen dürfte, der wird nie wirklich Zeit haben für Gott und den Bruder, sondern immer nur für sich selbst, für seine eigenen Worte und Pläne.“
Dietrich Bonhoeffer
Ich lade Sie ein, zuzuhören.
1 Unerwartet
Im Zwielicht beugt sich Rücken an Rücken auf staubigen Teppichen. Jeden Morgen, solange er zurückdenken kann, weckt ihn der Ruf vom Minarett an der Ecke. Hundertfach ertönen die Gebetsrufe der Muezzine von allen Himmelsrichtungen über der Stadt und mischen sich mit den Geräuschen des neu erwachenden Tages, Hähne, bellende Hunde, ein vorbeiknatterndes Motorrad.
Enat verbeugt sich, im Rhythmus mit seinen Söhnen und den Nachbarn. Er nimmt die Hände an die Ohren und verneigt sich gen Osten. Anschließend knien sie vornübergebeugt, drücken die Stirn auf den Boden und setzen sich wieder auf. Unablässig murmeln alle die vorgeschriebenen Gebete. Eine Wolke der Klage ist es: Allmächtiger! Wo bist du? Hörst du?
Den Allmächtigen in der Gemeinschaft der Gläubigen anzubeten ist ihm zur zweiten Natur geworden. Er ist überzeugt: So gefällt es Gott.
Für Enat ist Gott ein Mysterium, allgegenwärtig und doch weit weg. Äußerlich pflegt er pflichtschuldig die vorgeschriebenen Rituale, während seine Gedanken um das Frühstück kreisen.
Eine halbe Stunde dauert das Zeremoniell, dann klopft er sich den Staub von seinem Boubou und begrüßt Raoul, seinen Freund, während sie unter dem einfachen Grasüberdach hervortreten. Die beiden Tuareg drängen sich durch zwei Dutzend Männer hindurch der Stadt zu. Der Morgen dämmert bereits. Sie sind zufrieden, das Gebet war gut besucht. Immer mehr Männer nehmen diese Pflicht heutzutage wieder ernst.
Die Sonne schiebt sich milchig über die noch schwarze Silhouette der Stadt. Enat und Raoul treiben ihre Esel zum Markt. Raoul hat viel zu erzählen. Von Überfällen Radikaler an der Grenze, dem Dahinschlachten ganzer Dörfer, den Flüchtlingen, die sich in kleinen Booten übers Mittelmeer wagen und dass manche dabei ertrinken. Sein Freund kann etwas lesen und ergattert ab und zu eine Zeitung. Er versorgt Enat jeden Morgen mit Neuigkeiten aus aller Welt. Gestern war er allerdings beim Air Tel Shop, der Besitzer dort hat neuerdings ein Fernsehgerät vor seinem Laden aufgebaut. Schreckliche Bilder hätten sie gezeigt. Enat glaubt das nicht. Gläubige bringen doch keine Gläubigen um!?
Freunde seiner Söhne sind auf dem Weg nach Norden. Tagelang saßen sie beieinander, redeten von nichts anderem als von Europa. Dort soll es Arbeit und eine Zukunft geben. Hier gibt es für die meisten nichts davon. Seine Söhne wären auch gerne dabei. Doch Träume sind teuer. Irgendwie ist Enat auch ein bisschen froh, dass sie ihr Fernweh mit dem Verkaufen von Wasserkanistern an Reisende stillen müssen. Oben in Agadez, am „Tor zur Welt“, wie sie oft mit einem Unterton von Sehnsucht berichten. Sie haben ihr Business und verdienen ihr eigenes Geld, gerade so viel, dass sie ihm nicht auf der Tasche liegen.
Als Enat seinen Esel hoch mit Wüstengras beladen nach Hause führt, sieht er schon von Weitem seine Frau. Ihre gemeinsame Hütte steht in einem schattigen Hof hinter einer hohen Ziegelmauer. Davor arbeitet Aima, von Kunden umringt. Sie hat eine kleine Frühstücksbäckerei: Zwischen drei Steinen rauchen krumme Holzstangen, über dem Feuer brodelt ein Topf mit heißem Fett. Breitbeinig sitzt Aima auf einer umgedrehten Kallebasse und schöpft eben fertig gewordene Hirsebällchen ab. Seine Frau ist fleißig, doch das hätte er nie zugegeben. Das Bargeld verdient sie, aber er ist der Herr im Haus. Stets treibt er sie an, lässt ihr keine Ruhe und passt auf, dass er alles fest im Griff behält. Sie könnte sonst überheblich werden.
Er sieht die Angst in ihren Augenwinkeln, als er mit dem Esel auf sie zukommt. Schnell reicht sie ihm sein Frühstück: ein Baguette, gefüllt mit fetttriefenden Bällchen. Ihm läuft das Wasser im Mund zusammen. Als er danach greift, fallen einige davon in den roten Sand. Aima lacht hart auf und zieht ihr Kopftuch zurecht. „Kannst du nicht besser aufpassen, alter Trottel?“ Er verpasst ihr eine schallende Ohrfeige und wendet sich mürrisch ab. So ist das eben zwischen ihnen.
Enat leckt sich die Finger ab und lässt sich mit überkreuzten Beinen auf einer Matte im Schatten nieder. Daneben stellt er den kleinen Feuerkorb auf und legt ein paar glühende Kohlestückchen hinein. Er fischt nach dem abgestoßenen Teekännchen, das halb vergraben im Sand liegt, und schüttet die alten Teeblätter aus, reibt es ein wenig ab und füllt ein frisches Päckchen Tee in die Kanne. Das Cellophan und die kleine Teeschachtel lässt er einfach fallen, während er das emaillierte Kännchen auf den Kohlen zurechtrückt und ein wenig Wasser zu den Blättern gibt. Während Enat wartet, dass das Wasser zum Sieden kommt, döst er auf seiner Matte. Es ist vergleichsweise still im Hof. Zwei Ziegen rascheln im Müll, sein Esel wiehert und stupst ihn an, er will, dass Enat ihm das Futter ablädt. Doch das hat Zeit. Die Beine langmachen, einen Tee trinken und mit Raoul plaudern, wenn er später vorbeikommt, das geht vor.
Unerwartet schreckt Enat auf, er muss tatsächlich eingenickt sein. Er fühlt ganz deutlich: Er ist nicht allein. Die Hoftür geht auf – ist es Raoul? Nein, es sind viele Männer. Er kann sie zuerst nicht richtig erkennen. Helles, gleißendes Licht bringen sie mit herein, bis in die letzten Winkel seines Hofes und seiner Seele. Der Targi rappelt sich auf. Reibt sich die Augen. Dicht gedrängt stehen groß gewachsene, weiß gekleidete Männer in seinem Hof. Mindestens dreißig oder vierzig an der Zahl, um die Hüfte breite, golden glänzende Gürtel geschlungen. Sie sehen ihn an, als würden sie ihn schon lange kennen, freundlich, und doch setzt Enats Herz einen Augenblick aus. Was wollen diese Krieger von ihm? Er ist nur ein einfacher Mann, vom Krieg und vom Kämpfen weiß er nichts. Außer dass er ständig Händel mit Aima hat. Wo steckt sie bloß, sie müsste die Männer doch auch gesehen haben, als sie an ihr vorbei den Hof betreten haben?! Er muss den Männern Tee anbieten, doch wo ist bloß der Zucker? Als Enat den Mund öffnen will, entsteht zwischen den beeindruckenden Männern eine Gasse.
Und dort steht er. Nie wieder wird er diesen Anblick vergessen. Sein Strahlen übertrifft das seiner Begleiter bei Weitem. Hell, überirdisch weiß, wunderschön. Er strahlt Frieden und Liebe aus – so was … Enat schlägt die Augen nieder. Er schämt sich plötzlich, dass er Aima geärgert hat. Andere hässliche Szenen wollen sich vordrängen.
„Enat, hier iss und trink!“ Er streckt ihm ein Stück Brot hin und einen Becher kühles Wasser.
„Woher kennst du meinen Namen?“ Enat weiß später nicht mehr, ob er es laut gefragt hat. Aber die Antwort hallt noch heute in seinem Herzen: „Ich kenne dich. Du bist mein.“
Er nimmt den Becher und trinkt, als wäre er am Verdursten.
So erklärt er es Raoul, der kurz darauf in den Hof kommt und ihn mit Fragen löchert: „Wer waren all die vielen Männer in deinem Hof? Ich habe sie schon von Weitem gesehen, ihre Köpfe haben ein ganzes Stück über deine Hofmauer geragt.“
Er schildert Raoul jedes Detail. Den Ärger, den er schon wieder mit seiner Frau hatte. Wie ausgelaugt er sich auf einmal fühlte und dass er dachte, der Hass würde ihn noch auffressen. „Raoul, zum ersten Mal fühle ich Frieden in mir. Ich glaube, ich muss Aima sagen, dass ich sie liebe.“ Enat schüttelt den Kopf und kann einfach nicht mehr aufhören zu lächeln.
Raoul reist die Augen auf und zieht den Turban vor sein Gesicht. Er erzählt ihm von einem christlichen Pastor, der jeden Sonntag laute Musik in seinem Hof macht und von Gott spricht. „Besuch ihn, vielleicht kann er dir weiterhelfen.“
So schnell Enat kann, lädt er seinen Esel ab und reitet in die Stadt. Der Esel weiß anscheinend genau, wo der Pastor wohnt. Als er ihn gefunden hat, erklärt Enat ihm aufgeregt, was an diesem Morgen passiert ist: „Jesus hat mich besucht.“
Der Pastor nickt: „Ich war wie du, Enat. Jeden Tag habe ich meine Gebete verrichtet. Ich habe hart gearbeitet und viel Geld verdient, als er mich besucht hat.“ Der Pastor setzt sich mit ihm hin und holt eine Bibel. Und einen Koran. Er bestätigt ihm: Der heilige Mann, der ihn besucht hat, ist Jesus. Und dass Jesus der Immanuel ist. „Gott ist mit uns. Wir sind nicht alleine.“
Sie sprechen über die Suren, die von Jesus reden, und die Bibelstellen, die das bestätigen und Enat noch mehr die Augen öffnen. Er saugt regelrecht in sich auf, was er da hört. Hat er sich jemals schon so lebendig gefühlt, je solch einen Frieden erlebt?
Am Sonntag treibt es ihn in den Gottesdienst. Dort tanzt und singt er mit den Christen. Allen erzählt er von dem außergewöhnlichen Besuch.
Zu Hause kann er nicht mehr aufhören, davon zu sprechen. „Der Allmächtige hat mich besucht! Jesus ist kein toter Prophet, wie sie immer sagen. Er lebt!“ Aima kreischt, als wäre sie verrückt geworden. Zerrt ihn vor den Imam. Sie berufen das Gericht ein. Ihre Fragen prasseln auf ihn nieder. Was faselst du von Jesus? Niemand kann ihn sehen!
„Ich weiß nichts über Jesus, außer, dass ich blind war und nun sehen kann. Mehr weiß ich nicht. Ich war ein Sünder, und er hat mich von meiner Sünde errettet und mich frei gemacht. Er hat mich angesehen und meiner Seele Frieden gegeben.“
Voller Wut gehen sie auf ihn los. Raoul spuckt ihm ins Gesicht: „Du hältst dich wohl für etwas Besseres?“ Aima ruft: „Entweder dieser Jesus oder ich.“
Enat strahlt und grüßt winkend. Unverwandt muss ich ihn ansehen. Ein bisschen, weil er Schuhe trägt, die nicht zueinanderpassen, einen wunderschönen kobaltblauen Turban um den Kopf gewickelt hat und eine Pseudo-Gucci-Sonnenbrille zu einem staubigen Boubou trägt, während er sich mit den anderen Christen im Kreis zur Musik bewegt. Aber es ist sein strahlendes, freundliches Lächeln, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Obwohl ihn seine Frau und seine Freunde verlassen haben und er bitterarm ist.
Aber: Jesus hat ihn besucht – es scheint, er hat ihn seither nicht mehr verlassen.
So sagt es Enat wenigstens, wenn er sonntags im Gottesdienst ist und die restliche Woche vor dem Haus des Pastors aufpasst, dass keine Diebe einsteigen: Jesus ist der Immanuel.
* nach einer wahren Begebenheit – die Namen wurden zu Enats Sicherheit geändert. Die Himmelskrieger wurden von mehreren Nachbarn gesehen.
2 Im falschen Film
Maraya und ihr Mann Naid haben an renommierten Hochschulen im Nahen Osten studiert und sind Künstler und Filmemacher wie ich. Vielleicht fühle ich mich deshalb besonders mit ihnen verbunden. Aber ganz bestimmt verbindet uns die Liebe zu Jesus. Ich danke ihnen, dass sie mich und meine Familien besucht haben und uns aus ihrem Leben erzählten.
Kurz bevor sie bei uns eintrafen, sah ich mein Haus mit ganz anderen Augen. Das Paar hatte alles verloren, und ich hoffte, dass Hab und Gut, Status und Kultur an diesem Abend keine Mauern bauen würden. Ich wünschte mir mehr als alles, dass unser gemeinsamer Glaube uns allen Heimat genug bieten würde, um Liebe und Verstehen Raum in und zwischen uns zu geben.
Wie jedes Mal, wenn mir jemand sein Herz öffnet, um mir seine Geschichte anzuvertrauen, hoffte ich, dass verletzte und empfindlich gewordene Herzen heil würden.
Und noch mehr wünschte ich mir, dass ich beim Zuhören – und das erhoffe ich mir auch für Sie beim Lesen – Jesus sehen würde, wie er lebt, liebt und um uns leidet.
Wir baten Maraya und Naid uns mitzunehmen in ihr altes Leben, das sie zurücklassen mussten, weil sie sich entschieden hatten, Jesus zu folgen.
Als Kinder wurde ihnen gesagt, Allah sei der einzige Gott und Mohammed sein letzter und damit maßgeblicher Prophet.
Maraya hielt von Kind an alle Regeln, die sie gelernt hatte, fest überzeugt, dass sie Gott so finden könnte. Doch je mehr sie suchte, desto mehr zweifelte sie. Und das am meisten an Gott, weil er nicht so antwortete, dass sie seine Antworten hörte und verstand. Sie warf innerlich alles über Bord, was mit Gott zu tun hatte. Naid tat das ebenso, doch viel leichter und rigoroser. Bitter enttäuscht von Religion und von dem, was passiert, wenn sie als Knute angewendet wird, um ein Land zu regieren, erklärten sie Gott für nicht existent. Bis zu dem Tag, als er ihnen persönlich begegnete.
Wie es dazu kam, davon berichteten sie uns an einem warmen Sommerabend auf unserer Terrasse.
Und Jesus sprach:
Was willst du, dass ich dir tun soll?
Der Blinde aber sprach zu ihm:
Rabbuni, dass ich sehend werde.
Und Jesus sprach zu ihm:
Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen.
Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege.
Markus 10,51-52
Im Vorbeigehen hörte Naid, wie Reza sich mit einem Kunden in seinem Büro über Gott unterhielt. Sie redeten genauso wie seine Mutter und seine Schwester. Naid spürte Wut in sich aufsteigen, nur mit Mühe konnte er an sich halten. Forsch betrat er den Raum und blickte seinen Cousin durchdringend an.
„Seid ihr etwa Christen?“
Reza versuchte erst gar nicht, seinen neuen Glauben zu verbergen: „Durch deine Mutter habe ich Jesus gefunden. Er ist der Sohn Gottes, und durch ihn können wir direkt zu Gott kommen. Er spricht zu mir …“
„Gott spricht zu dir? Soll das ein Witz sein?“
Naids Augen waren schmal geworden. Er ließ Reza gar nicht erst ausreden, sondern bugsierte die Männer aus dem Büro. Er hasste die Christen. Gott …! So ein Quatsch! Es gab ihn nicht, und folglich sprach er auch nicht.
Naid setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, sein Blick fiel auf den Kalender. Es war Dienstag – nie würde er diesen Tag vergessen. Auch wenn er das damals natürlich noch nicht wusste.
Es klopfte, und wieder wurde er bei seiner Arbeit unterbrochen. Der Kunde von eben steckte den Kopf zur Tür herein. Naid mochte es gar nicht, gestört zu werden. Er sprang auf und schob den Mann zurück zum Ausgang. War er nicht Pastor? Er glaubte, sich vage an so etwas erinnern zu können.
„Ihr Besuch ist hier nicht erwünscht.“
Musste er noch unhöflicher werden, um diesem Kerl klar zu machen, was er von ihm hielt?
„Ich habe eine Botschaft von Gott für dich.“
Eine Botschaft von Gott? Das konnte unmöglich sein! Naid packte den Mann an den Schultern und drückte ihn mit Gewalt auf den Flur zurück. „Willst du mich für dumm verkaufen? Gott spricht nicht mit den Menschen! Erzähl’ deine Märchen einem anderen!“
Er sah nur noch rot, doch der Mann ließ sich nicht beirren. Mit einem Fuß im Büro und dem anderen im Flur, richtete er Naid die angeblich göttliche Botschaft aus: „Gott lässt dir sagen: ‚Ich möchte, dass du dich entscheidest. Deinen gesamten Besitz, deinen Erfolg, dein Büro – all das habe ich dir gegeben. Bis heute habe ich meine Hand über dich gehalten und dich beschützt. Du hast drei Tage Zeit, um dich zu entscheiden. Möchtest du meine Hilfe oder nicht?‘“
„Raus! Raus! Sofort!“
Naids Schreie hallten durch das Treppenhaus und wurden unterstrichen vom lauten Knall seiner Bürotür, die er dem Mann buchstäblich ins Gesicht warf. Warum konnten ihn diese Christen nicht in Ruhe lassen? Zuerst hatte seine Schwester begonnen, ihn mit diesem Jesus zu nerven. Dann hatte auch noch seine Mutter angefangen, in dasselbe Horn zu blasen. Er solle Jesus für seinen Erfolg danken. Immer wieder fingen sie damit an. Und nun auch noch Reza und der Pastor mit seiner angeblich göttlichen Nachricht! Diese Christen waren allesamt verrückt.
Naid schloss die Tür hinter sich, es hatte etwas Endgültiges. Der 19-Jährige stürmte die Treppe hinunter und sprang in seinen Mercedes. Doch die Worte seiner Schwester verfolgten ihn. „Hast du dich eigentlich schon einmal bei Gott dafür bedankt, dass dein Geschäft so gut läuft?“
Er war aufgebracht. Gott gedankt? Wieso sollte er? Pausenlos hatte er für die Schule gebüffelt und in einem Jahr den Stoff von Zweien gemeistert. Anschließend hatte er seine ganze Zeit und Energie in sein Studium investiert und nebenher sogar noch Webseiten für Firmen entworfen. Er hatte einfach ein Händchen für Computer, und dadurch waren jede Menge lukrativer Kontakte zustande gekommen. Den Erfolg verdankte er seinem eigenen Fleiß und Grips – und ganz bestimmt nicht Gott! Davon war Naid ganz fest überzeugt.
Es gab Leute, die brauchten Gott für alles. Und die Allerschlimmsten waren diejenigen, die mit der Religion anderen auf die Nerven gingen oder sie unter Druck setzten. Er hatte genug von dieser Sorte kennengelernt.
Seiner Familie hatte Religion bislang eigentlich nie sonderlich viel bedeutet. Klar, sie hatten die üblichen Traditionen praktiziert. Das tat doch schließlich jeder. Aber darüber hinaus machte Religion alles nur kompliziert und verursachte Ärger.
Er beschleunigte seinen Wagen und setzte zum Überholen an.
Seit einigen Monaten war der Streit um den rechten Glauben bei ihnen zu Hause zum Dauerthema geworden. Ständig redeten die anderen von Jesus. Seine Schwester bekam gar nicht genug davon. Sie und Mutter behaupteten, Jesus würde leben und hätte ihnen ihre Schuld vergeben. Und jetzt wollten sie auch Naid davon überzeugen.
Das war doch alles Irrsinn. Er wollte nichts mehr davon hören.
„Es tut uns leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber wir können nur diese vier Gemälde von Ihnen ausstellen.“ Maraya verstand die Welt nicht mehr. Wie bitte, ihre Bilder würden die Menschen auf unsittliche Gedanken bringen?! Dabei war ihr Lehrer so begeistert von ihren Arbeiten gewesen! Ja, Maraya malte auch Frauen, die nicht vollständig verschleiert waren. Aber das offene Haar war doch nur Zeichen ihrer Schönheit und Würde. Neuerdings waren die religiösen Gesetze wirklich schlimm geworden. Maraya fand das inakzeptabel.
Die junge Frau war traurig und verletzt. Dass das ausgerechnet ihr passierte … Ihr Glaube war ihr lange Zeit wichtig gewesen. Während ihre Mitstudentinnen regelmäßig feiern gegangen waren und das Leben genossen hatten, war sie brav in die Moschee gelaufen. Seit sie Kind war, hatte sie sich bemüht, Gott gefällig zu leben. Hatte regelmäßig gebetet, viele Texte des Korans auswendig gelernt. Auch wenn sie die Sprache gar nicht verstanden hatte, in der er geschrieben war.
Doch inzwischen hielt auch sie nicht mehr viel von der Sache. Vor Kurzem hatte sie den Koran in ihrer Muttersprache gelesen. Was sie dabei entdeckt hatte, hatte sie zutiefst schockiert. Sie empfand ihn an vielen Stellen als unglaublich frauenfeindlich. Er sprach über Frauen, als wären sie reine Objekte zur Lustbefriedigung. Und müssten als solche kontrolliert werden. Der Himmel schien einem Bordell nicht unähnlich. Für sie hatte nach dieser Lektüre festgestanden: „Dieser Gott ist krank, und damit möchte ich auf keinen Fall mehr etwas zu tun haben.“
Maraya versuchte sich mühsam loszureißen von ihren trüben Gedanken. Sie war auf dem Weg zur Musikschule. Seit vier Jahren schon wollte sie hier Unterricht nehmen, doch nie hatte sie die ausgemachten Termine wahrgenommen. Heute, nach diesem Desaster an der Kunsthochschule, war es endlich an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Schon immer hatte sie Sängerin werden wollen, und der armenische Musiklehrer war ihr wärmstens empfohlen worden. Dass er sich bereit erklärt hatte, sie zu unterrichten, obwohl sie ihn vier Jahre lang ständig versetzt hatte, wunderte sie insgeheim. Endlich würde sie den ersten Schritt in ein neues emanzipiertes Leben gehen. Ohne Gott.
Naid war in Feierlaune. Für ihn stimmte an diesem Abend einfach alles: die Frau in seinem Arm, die Aussicht über das Lichtermeer der Stadt, seine Freunde und die Drinks. Er ließ eine vergoldete Kirsche in den perlenden Champagner fallen und warf grinsend in die Runde: „Wer hätte gedacht, dass 5000 Euro so lecker schmecken?“
Alle lachten und schlugen Naid auf die Schulter! Während die Kirsche in seinem Glas kreiste, sah er zu, wie goldene Flocken sich um sie drehten. Er prostete seinen Freunden zu, keiner hatte sich diese Party entgehen lassen wollen: Sie rauchten und tranken – von allem nur das Feinste –, und Naid unterhielt sie mit seinen Geschichten. Jeder hing an seinen Lippen.
Erst vor wenigen Wochen hatte er sein Studium abgeschlossen, und schon war er so erfolgreich. Er entwickelte Webseiten für Kunden mit hohen Ansprüchen und einem dicken Geldbeutel. Er war quasi über Nacht reich geworden. Das Geld floss durch Naids Hände, genauso wie der Champagner an diesem Abend, mit dem sie seinen Erfolg begossen. Seiner jungen Frau Niki imponierte das. Sie liebte das Leben an Naids Seite.
Am Horizont dämmerte es bereits, während sie von der Lounge hinabfuhren und in das funkelnde Häusermeer eintauchten. Sie genossen den Blick auf einen der höchsten Fernsehtürme der Erde, von ihrem gläsernen Fahrstuhl aus bot sich ihnen ein fantastischer Blick über die 18-Millionen-Stadt. Ihr Taxi wartete bereits; kurz darauf tauchten sie in den nie zur Ruhe kommenden Verkehr ein und fuhren nach Hause.
Trotz der durchfeierten Nacht stand Naid früh auf und fuhr ins Büro. Während der Fahrt dachte er über ein Projekt nach, an dem er gerade arbeitete. Internet und Computer boomten, und jeder wollte eine Homepage oder einen Imagefilm, um sich im Netz zu präsentieren. Seine Dienste waren gefragt. Inzwischen hatte er sogar fast dreißig Angestellte. Manchmal konnte er es selbst kaum glauben, wie schnell es ihm gelungen war, in der Branche zu landen und so viel Geld zu verdienen. Er musste lächeln, als er an den Drink gestern Abend dachte. Wer Geld hatte, machte sich eben keine Gedanken mehr darüber, ob ein Champagner 50 oder 5000 Euro kostete.