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Christiane Zwengel

Polnisch mit Sahne

Roman nach einer wahren Begebenheit


Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Impressum:

© 2010 Verlag Kern

© Inhaltliche Rechte bei der Autorin

Verlag u. Herstellung: www.Verlag-Kern.de Lektorat: Sabine Greiner www.texte-und-co.de ISBN 9783944224268 1. Digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2012

Handlung und Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit wirklichen Begebenheiten und lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind daher rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Widmung

Wer ist eigentlich „ich“?

1. Aufbruch

2. Der Sprung ins Ungewisse – Beginn des zweiten Lebens

3. Michelle ist da!

4. Und dann kam Joanna

5. Fischkopf

6. Ganz oben!

7. Rückkehr

8. Vorbei

9. Schlimmer geht immer

10. Die Hölle lässt grüßen!

11. Kein Ende in Sicht

12. Heimweh

13. Ich bin wieder da – Geburt meines dritten Lebens

14. Das Glas bleibt immer halbvoll

Was ich noch sagen wollte

WAHRE GESCHICHTEN – aus Leidenschaft geschrieben.

Der Himmel hat den Menschen als Gegengewicht gegen die Mühseligkeiten des Lebens drei Dinge gegeben:

Die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen.

(Immanuel Kant)

Für Jürgen, Michelle und Joanna

Wer ist eigentlich „ich“?

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Koslowski, Christiane Koslowski, geb. Zwengel.

Vor circa 53 Jahren wurde ich in einer der schönsten Städte Deutschlands geboren, nämlich in Mainz am Rhein. Dort wuchs ich auf und verbrachte die ersten 23 Jahre meines Lebens.

Nur bin ich die Einzige in meiner Familie, die dort geboren wurde. Mein Vater stammte aus Schlesien, genauer gesagt aus Breslau, und meine Mutter kam aus Tilsit in Ostpreußen.

Nach dem Krieg verschlug es die beiden zuerst nach Bayern, wo auch mein Bruder Paul geboren wurde. Eineinhalb Jahre zuvor erblickte meine Schwester Erika das Licht der Welt auf der Flucht von Tilsit nach Scheyern in Krappenroth bei Lichtenfels.

Irgendwann Anfang der 50er Jahre bekam mein Vater durch die Vermittlung seiner Schwester ein Stellenangebot in Mainz. Dieses nahm er an und so zog die ganze Familie mit Sack und Pack ins schöne Mainz.

Nachdem meine beiden Geschwister aus „dem Gröbsten raus waren“, geschah es: Ich meldete mich an. Zehn Jahre nach meinem Bruder wurde ich „Nachzügler“ geboren.

Als „Nesthäkchen“ hatte ich es im Gegensatz zu meinen großen Geschwistern natürlich immer etwas leichter und konnte meinen Dickkopf meist durchsetzen. Was ich haben wollte, bekam ich auch.

Zum Leidwesen meiner Eltern entwickelte ich mich zu einem chaotischen Teenager, der die ganze Palette der 70er voll auslebte. Von A bis Z machte ich alles mit. Und bis heute bereue ich nichts. Es war eine superschöne Zeit; wir alle waren Revoluzzer, praktizierten die freie Liebe und rauchten Joints zur Musik von Deep Purple oder Pink Floyd.

Mitte der 70er starb meine Mutter überraschend im Alter von 53 Jahren. Es war das erste Mal, dass ich mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert wurde. Ich war ein typisches „Mamakind“ und hatte schwer mit dem Verlust zu kämpfen. Aber irgendwie schaffte ich es doch, damit umzugehen. Das Leben ging trotzdem weiter.

Meine Schwester war damals schon verheiratet und hatte drei Kinder, auch mein Bruder war verheiratet, allerdings noch ohne Nachwuchs. So musste ich als Jüngste allein mit meinem Vater leben. Anfangs ein sehr schweres Unterfangen, denn er versuchte, seinen Schmerz im Alkohol zu ertränken. Doch bereits nach zwei Jahren entschloss er sich, sein Witwerleben aufzugeben und erneut zu heiraten. Er hatte in Hera eine ideale Partnerin gefunden, gab seinen Wohnsitz in Mainz auf und zog zu seiner neuen Frau in die Eifel.

Also war ich von nun ab auf mich allein gestellt. Ich konnte mich nach Herzenslust austoben, schlafen, wo und mit wem ich wollte. Und das alles ohne Vorwürfe und Kontrollen seitens meines Vaters. Also der Himmel auf Erden.

Ich machte eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und irgendwann lernte ich Wolfgang kennen. Tja, und bei ihm konnte ich meinen Kopf nicht so durchsetzen, wie ich wollte und so kam diese ganze Geschichte ins Rollen.

„Aus Ihnen wird nie was!“ Dieser Satz ist mir sehr oft durch den Kopf gegangen. Hat er in meinem Leben irgendwann eine Bedeutung gehabt? Hat er irgendetwas mit meinem Schicksal zu tun gehabt? Hat dieser Satz mein Leben beeinflusst? Nein, ich glaube nicht. Solche Sätze dürfen keine Bedeutung haben, am besten beachtet man sie nicht. Jeder ist doch für sein Leben selbst verantwortlich, jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Jeder kann einfach nur das Beste daraus machen, das Glas ist immer halbvoll, nie halbleer. Aber ich glaube, das muss man erst lernen.

Heute, mit meinen 53 Jahren, im Frühling des Alters, sehe ich vieles anders, ich habe viel gelernt, viele Erfahrungen gesammelt. Fehler hab‘ ich keine gemacht; nur gute und schlechte Erfahrungen. Und trotz allem, das Leben ist schön; O. k., die eine oder andere Erfahrung hätte nicht unbedingt sein müssen; aber das ist nun mal so, man kann sich nicht immer alles aussuchen, nur immer das Beste draus machen, aus jeder Lebenssituation das Beste und Positive herausholen. Zugegeben, das ist häufig leichter gesagt als getan, aber man wächst ja mit seinen Aufgaben, heißt es. Und was wäre das Leben ohne Probleme? Richtig! Es wäre furchtbar langweilig.

Hört nicht darauf, was andere Leute sagen. „Aus Ihnen wird nie was!“ hatte für mein Leben keine Bedeutung.

Im ersten Kapitel wird der Leser erfahren, wer diesen Satz gesagt hat. Die Person konnte mich nicht leiden; ich sie allerdings auch nicht. Aber, was noch viel wichtiger ist; aus mir ist doch was geworden! Ich hatte bis jetzt ein schönes Leben, mit allen Höhen und Tiefen; die ganze Palette. Ich habe viel gelacht, geweint, gehadert mit dem Leben; bin hingefallen und wieder aufgestanden, hatte Spaß und Ärger, habe geliebt und gehasst, wurde geliebt und gehasst. Habe gelernt zu kämpfen, nie aufzugeben. Und ich bin glücklich.

Das Leben ist schön.

Blut ist dicker als Wasser? Nein, das stimmt nicht! Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht. So einfach ist das.

„Aus Ihnen wird nie was!“ So, so.

Nach der Ausbildung wurde ich nicht übernommen und das war wahrscheinlich auch gut so, denn sonst hätte ich all das nicht erlebt.

Und Wolfgang? Welche Rolle spielte Wolfgang? Der konnte sich zwischen Mimi und mir nicht entscheiden. Aber ... Es gibt immer einen Ausweg und meiner? Der hieß: Koffer packen, Auto starten und weg. Anfangen, ein neues Leben beginnen. Mit 22 Jahren steht einem doch die Welt offen! Sonst hätte ich ja nichts, worüber ich heute hätte schreiben können.

„Das gibt’s doch gar nicht!“

Diese Aussage ist genauso unsinnig wie die Behauptung, Mainz 05 könnte Bayern München nicht schlagen. Also, es gibt nichts, was es nicht gibt!

Lasst euch überraschen und glaubt mir, hinterher ist man immer viel schlauer. Ich hoffe, es gelingt mir, euch zu unterhalten und zu zeigen, dass Probleme da sind, um gelöst zu werden. Es gibt immer eine Lösung und einen Weg. Verliert nie den Glauben an Euch selbst!

1. Aufbruch

„Aus Ihnen wird nie was“, sagte Frau Deubel zu mir. Es war während meiner Examenswache und Frau Deubel war meine Schulschwester. Die Examenswache war ein Teil der Prüfung, die zum Examen einer Kinderkrankenschwester gehörte. Sie bestand aus der Pflege eines einzelnen Kindes und war in drei Schichten gegliedert. Sie begann in der Regel mit dem sechsstündigen Frühdienst, danach waren acht Stunden frei. Um 19 Uhr begann die 6-stündige Nachtwache, dann wieder acht Stunden frei und nochmals sechs Stunden Dienst.

 

Warum dieser Satz während der Nachtwache fiel, war mir nicht klar. Warum sagte sie so etwas? Dass sie mich nicht besonders gut leiden konnte, war nicht zu übersehen. Während der bisher zweieinhalb-jährigen Ausbildung hatte ich ja auch einiges an Blödsinn verzapft. Naja, vielleicht hatte ich ja auch nicht alles immer so ernst genommen und den ganzen Kurs öfter etwas aufgemischt. Aber eine gute Portion Spaß gehörte auch in der Ausbildung irgendwie mit dazu, fand ich. Man kann doch nicht alles immer so furchtbar ernst nehmen! O. k., mitten in den Examensvorbereitungen „Heute Nachmittag fällt der Unterricht aus“ an die Tafel zu schreiben, war vielleicht keine so gute Idee, aber es hatte Spaß gemacht und alle hatten sich über einen freien Nachmittag gefreut. Trotz allem hielt ich mich für eine halbwegs gute Schwesternschülerin. Versuchte immer, meine kleinen Patienten aufzumuntern und zum Lachen zu bringen, was ja mit Ausnahme der Frühchen und Säuglingen ganz gut klappte.

Mag sein, dass ich bei Hygiene und Putzen nicht die Beste war und immer noch nicht bin, doch im Großen und Ganzen ... egal, Frau Deubel mochte mich eben nicht. Aber „Aus Ihnen wird nie was“, so etwas sagt man in der Zeit vor dem Staatsexamen einfach nicht! Was, wenn ich ein Sensibelchen gewesen wäre? Ich hätte mir den Satz ja zu Herzen nehmen und eine Neurose entwickeln können! Ja – schlimmsten Falls hätte ich die Prüfung vermasseln können oder, was noch schlimmer wäre, mein Selbstbewusstsein hätte Schaden nehmen können!

Aber Gott sei Dank war ich weder sensibel noch hatte ich ein zerstörtes Selbstwertgefühl, ich war hart im Nehmen, besaß eine ordentliche Portion Humor und nahm das ganze Leben eh nicht so bitter ernst. Also ignorierte ich den blöden Satz, beendete meine Examenswache, schrieb meinen Bericht darüber und bestand auch, zwar mittelmäßig, aber bestanden ist bestanden.

Was machte man wohl, wenn man gerade einen Teil des Examens hinter sich gebracht hatte? Richtig, man ging feiern, Party machen, bis der Arzt kommt. So jedenfalls habe ich es gehandhabt. Die weiteren Examensvorbereitungen wurden bis auf Weiteres auf Eis gelegt; „Mut zur Lücke“ war immer meine Devise. Egal, nur bestehen war wichtig; später würde sowieso keiner mehr nach meinen Noten fragen. Und um zu bestehen, war noch Zeit genug zum Lernen.

Also zog ich erst mal mit meiner Freundin Cora los. Sie hatte schon seit drei Jahren ihr Examen und ermutigte mich immer dazu, auch mal eine Lernpause einzulegen.

Die nächste Nacht gehörte uns und Wiesbaden und unsere Stammdisco wurden unsicher gemacht. Die Cocktails flossen in Strömen und ich war mal wieder froh, dass „Jonas von Hubbel der 1.“, mein heißgeliebter Käfer, den Weg nach Mainz fast allein fand.

Bitte nicht nachmachen, das mit dem Alkohol und Auto fahren ... ich glaube, damals gab es noch nicht so viele Autos und die Polizei war auch irgendwie noch toleranter, oder irre ich mich da?

Und Zeit bis zum schriftlichen Examen hatte ich ja auch noch genug, mindestens vier Wochen.

Freundschaften müssen schließlich gepflegt werden und außerdem durfte ich meine beiden besten Freunde Wolfgang und Erich auch nicht vernachlässigen. Zum Thema Wolfgang ... Kennt ihr das Lied von Klaus Lage: „1000 mal berührt, 1000 mal ist nichts passiert, 1000 und eine Nacht, und es hat ZOOM gemacht“? So ähnlich könnte man die Freundschaft zwischen Wolfgang und mir beschreiben. Wann und wo wir uns kennen lernten, weiß ich nicht mehr. Und wann Erich, Wolfgangs Freund, auf der Matte erschien, ist mir auch entfallen. Auf jeden Fall waren wir drei unzertrennlich. War ich nicht mit Cora unterwegs, dann mit den beiden. Jedes Weinfest, jedes Konzert, egal wo was los war, wir waren dabei. Skatabende mit einem Kasten Bier, auch in der Zeit, in der Erich seine Bundeswehrzeit hier in Mainz absolvierte, wir waren ein tolles Team und hatten Spaß ohne Ende.

Ja und irgendwann hatte Wolfgang eine Freundin. Also nicht so eine wie mich, mit der man Bier trinkt und feiert, sondern so eine, mit der man auch Sex hat!

Ich war entsetzt! He, die Tussi war fünf Jahre jünger als er! Wolfgang, kurz vor seinem Jura-Staatsexamen, kam mit so einer daher, die noch zur Schule ging, gerade mal 18 Jahre alt und somit ganze vier Jahre jünger als ich. Damals hatte man ja als Frau das Gefühl, dass man mit 22 Jahren schon stark auf die 30 zugeht. Sie war Papas Tochter und hörte auf den albernen Namen Mimi. Irgendeine Abkürzung für irgendeinen Namen. Ich war einfach nur fassungslos! Ein absolut „No go“!

„He Nane, du bist ja eifersüchtig!” Cora kriegte sich vor Lachen kaum ein. Ich und eifersüchtig? Im Leben nicht! Oder doch? Meine Güte, wir kannten uns schon ewig und jetzt sollte Amor seine Pfeile auf mich abgeschossen haben? Was mach ich denn jetzt nur?

Also Wolfgang war tatsächlich fest mit Mimi zusammen. Da werden Weiber zu Hyänen und es half nur eines: Ich musste ihn verführen!

Selbstverständlich gelang mir das auch problemlos. Und so hatten wir Sex! Wir hatten guten Sex! Wir hatten auf einmal ein Dreiecksverhältnis. Das war nicht ganz das, was mir vorgeschwebt hatte, aber besser als gar nichts. Und was noch besser war, ich wusste von Mimi, aber Mimi wusste nicht, dass ich ebenfalls mit Wolfgang schlief. Eine Erkenntnis, die für mich außerordentlich befriedigend war. Vielleicht nicht ganz fair, aber das Leben ist oft ungerecht, und im Krieg und in der Liebe ist schließlich alles erlaubt. Oder etwa nicht?

Eineinhalb Jahre hielt diese Dreiecksgeschichte und schlussendlich war das auch der Hauptgrund, warum ich später meine Heimatstadt verlassen sollte. Doch dazu kommen wir noch.

Neben all der Lernerei und Feierei musste ich mir auch noch Gedanken darüber machen, was nach dem Examen werden sollte. Erst einmal bewarb ich mich natürlich um Übernahme an der Uni-Kinderklinik in Mainz. Große Hoffnungen konnte ich mir allerdings nicht machen, ihr wisst schon, meine Lieblingsschulschwester würde mit Sicherheit ihren Einfluss geltend machen. Wo könnte ich noch hin? Ja, eine Bewerbung ans Vincenzkrankenhaus könnte ich auch noch schreiben.

Wollte ich überhaupt hier in Mainz bleiben? Familie hatte ich schließlich keine hier. Meine Schwester Erika wohnte zwar mit ihrem Mann und den drei Kindern in einem kleinen Ort zwischen Bad Kreuznach und Bingen, also nicht sehr weit weg, aber da sie viel älter war als ich – immerhin knapp zwölf Jahre – und mit ihrer eigenen Familie hoffnungslos überlastet schien – beschränkte sich der Kontakt nur aufs Nötigste.

Nicht, dass wir uns nicht verstanden hätten, es war nur so, dass der Altersunterschied und die Interessen zu verschieden waren. Sie lebte ein anderes Leben als ich, hatte jung geheiratet und drei Kinder bekommen. Und ich, ein Kind der 70er, hatte eine ganz andere Lebenseinstellung und ein anderes Leben, andere Prioritäten als sie.

Dann waren da noch mein Bruder Paul und seine Frau Dorothea. Wir hatten zwar ein sehr gutes Verhältnis und Dorothea war für mich schon so etwas wie Freundin und große Schwester zugleich, aber auch da gab es einen Altersunterschied von zehn Jahren, berücksichtigte man mein jugendliches Alter von 22, wog dieser doch noch enorm. Außerdem war Paul, bedingt durch seinen Beruf – er begann zu dieser Zeit als Betriebswirt bei einem großen Pharmakonzern Karriere zu machen – auch nicht in der Nähe von Mainz, sondern in der Nähe von Lörrach.

Blieb nur noch mein Vater, aber dieser hatte nach dem Tod meiner Mutter drei Jahre zuvor wieder geheiratet und war zu einer neuen Frau in einen Ort in der Eifel gezogen, wo diese eine kleine Fremdenpension hatte.

Somit hielt mich außer meiner Liebe zu Wolfgang nichts in Mainz. Meine Familie lebte nicht hier, verwurzelt war ich auch nicht, obwohl ich meine Heimatstadt wirklich mochte. Und ich war jung, neugierig und hatte eine ordentliche Portion Mut und Fernweh. So begann ich, ins Blaue hinaus Bewerbungen zu schreiben. Nach Köln, Bonn, Berlin, Wien, einige Städte in der Schweiz und was weiß ich wohin noch. Egal, einfach nur weit genug weg. Natürlich hatten meine Freunde und die Familie meine Bemühungen, nach dem Examen in die große, weite Welt zu ziehen, nicht ernst genommen, doch ich brauchte einen Job, und es wurde recht schnell zur Gewissheit, dass ich nach der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester an der Uniklinik nicht würde übernommen werden. Also blieb mir nichts anderes übrig, als weiterhin Bewerbungen auch ins nahe Ausland zu schreiben. Wenigstens erst mal für ein Jahr und dann würde man weitersehen.

So zog sich also die Zeit bis zum Examen dahin. Ab und an lernen, Party feiern, das Leben genießen.

Die schriftliche Prüfung bestand ich auch halbwegs gut, befriedigend ist doch o. k., oder? Später fragt doch keiner mehr nach irgendwelchen Noten.

Tja, und dann passierte es; nach einer waren Flut von Absagen kam eines Tages tatsächlich die Einladung zum Vorstellungsgespräch von einem großen Spital in der Nähe von Basel.

Also damit hatte schon gar nicht mehr gerechnet. Mein absoluter Favorit! Ich hatte die Schweiz, dieses wunderschöne Land, vom ersten Tag an, als ich in Basel Schweizer Boden betreten hatte, geliebt. Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick. Und daran waren Paul und Dorothea nicht ganz unschuldig. Sie hatten viele Jahre in Basel gelebt und mich sehr häufig in den Schulferien eingeladen. So bekam ich durch sie die Möglichkeit, dieses kleine Land sehr gut kennenzulernen. Als „Flachländer“ war ich von der Landschaft, den Bergen, von der Mentalität und der witzigen Sprache absolut begeistert und jetzt sollte ich wirklich und wahrhaftig dort zum Vorstellungsgespräch erscheinen! Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Also stieg ich irgendwann vor der mündlichen Prüfung in meinen kleinen Käfer und machte mich auf in ferne Lande. Unterwegs ein Zwischenstopp in Lörrach, um meine schwangere Schwägerin einzuladen, und dann ab in die Schweiz Richtung Basel.

Ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwarten würde. Man hatte mir weder den genauen Standort des Spitals noch irgendwelche Informationen bezüglich der Station, auf der ich eventuell arbeiten sollte, mitgeteilt, sodass wir erst einmal ziemlich orientierungslos in der Gegend herumfuhren. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt hatten wir dann doch unser Ziel erreicht und ich war beim Anblick dieses Krankenhauses schlichtweg überwältigt.

So etwas hatte ich in Deutschland noch nicht gesehen. Es glich eher einem exklusiven Hotel denn einem Krankenhaus. Und hier sollte ich, durfte ich, vielleicht arbeiten? Ich war sprachlos und Dorothea fehlten zuerst auch die Worte.

Wir hatten bis zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs noch etwas Zeit und beschlossen daher, uns ein bisschen umzusehen und noch einen Kaffee zu trinken.

Alles hier schien so klar, so sauber, beim Beobachten des Pflegepersonals fielen uns die Ruhe und Gelassenheit auf. Auf der Kinder- und Wochenbettstation, die wir uns anschauten, herrschte im Gegensatz zu deutschen Krankenhäusern keine Hektik, es schien, als hätte das Personal noch nie etwas von Pflegenotstand oder Überarbeitung gehört.

Kein Gerenne, keine Hektik, kein Stress. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich kannte nur keine Zeit, Überstunden und zu wenig Personal.

Würde ich es auch so empfinden, wenn ich hier arbeiten sollte? Wenn ich diesen Job hier bekäme? Mein Gott, ich konnte mir in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen, als hier zu arbeiten.

Ich wurde nervös, die Zeit für das Vorstellungsgespräch rückte näher; noch schnell einen Kaffee, eine Zigarette, ein bisschen Mundspray für den Atem und dann ließ ich eine mich beruhigende Dorothea in der Cafeteria zurück und machte mich auf in die Höhle der Oberschwester.

Auf einmal ging alles ganz schnell, das Gespräch verlief super, ich hatte keine feuchten Hände und stottern musste ich auch nicht.

Mein Bauch sagte mir, dass ich alles richtig gemacht hatte, und ich war optimistisch und voller Hoffnung auf eine Zusage.

Wir verblieben, dass ich nach bestandener Prüfung mein Diplom einschicken sollte und danach würde man sich wieder in Verbindung mit mir setzen.

Das war eigentlich schon mehr, als ich erwartet hatte, und glücklich und zufrieden machten Dorothea und ich uns auf den Heimweg nach Lörrach.

 

Ich wollte noch eine Nacht bei Paul und Dorothea bleiben und so feierten wir schon mal am Abend mit einer – oder auch zwei – Flaschen Sekt mein erstes Vorstellungsgespräch. Ab jetzt hieß es Daumen drücken.

Am nächsten Morgen machte ich mich wieder auf Richtung Heimat. Es gab noch viel zu tun, die mündliche Prüfung rückte näher.

Ich lernte weiterhin nach meinem bewährten Motto „Mut zur Lücke“, wobei die Lücke immer größere Dimensionen annahm. Egal, schriftlich war durch, Examenswache vorbei, durchfallen ging eigentlich nur noch, wenn ich mich besonders dämlich anstellen sollte. Na, und für dämlich hielt ich mich eigentlich nicht.

So weit, so gut.

Am Abend vor dem großen Tag erschien dann auch Cora, um mich mal wieder ins Wiesbadener Nachtleben zu entführen. „Lernen am letzten Abend bringt nix mehr, du musst mal wieder raus“ war ihr Kommentar auf meine Ausflüchte wie „Ich muss noch was für Augenheilkunde lernen, da sind noch ein paar Punkte, die ich noch wiederholen muss“. Ich hatte keine Chance gegen sie und so erlebte ich mal wieder einen sinnlosen Absturz in unserer Stammdisco.

Dass ich am kommenden Morgen nicht wirklich fit war, versteht sich von selbst, aber ich erschien mit Hilfe von literweise Kaffee und einer eiskalten Dusche kurz vor knapp mit Kopfschmerzen und Restalkohol, mit dem ich noch eine Party hätte feiern können, zur mündlichen Prüfung.

Alle waren furchtbar aufgeregt, einige Mädels hatten doch tatsächlich noch ihr Anatomiebuch aufgeschlagen auf ihrem Schoß liegen. Gott, wie dämlich! Ich war ruhig und gelassen und konzentrierte mich mehr auf das Hammermännchen in meinem Kopf als auf die Reihenfolge, in der wir zur Prüfung aufgerufen wurden.

Aber auch das überlebte ich, ich konnte alle Fragen richtig beantworten und die Prüfungskommission schien zufrieden mit mir.

Jetzt war ich erst einmal entlassen, bis dann am Spätnachmittag die Ergebnisse vorliegen und wir über den Ausgang der gesamten Prüfung informiert werden würden.

Somit harrte ich denn auch aus, mir blieb ja auch nichts anderes übrig, mein Alkoholpegel sank und nach einem üppigen Spätmittagessen war ich auch wieder Herr/Frau meiner selbst.

Auch die schlimmste Wartezeit geht irgendwann einmal vorbei und endlich, so gegen 17.30 Uhr, war es so weit.

Alle Schwesternschülerinnen wurden einzeln in unseren ehemaligen Unterrichtsraum gerufen. Eine nach der anderen kam mit stolzgeschwelter Brust wieder heraus, das Diplom, das Zeugnis und die Schwesternbrosche in der Hand. Als die Reihe dann an mir war, zitterten meine Knie doch bedenklich. Ob es wirklich gelangt hatte? Doch all meine Gebete waren erhört worden, mit sofortiger Wirkung durfte ich mich jetzt offiziell Schwester Christiane nennen; ich war keine Schwesternschülerin mehr.

Das war bis dahin der schönste Moment in meinem Leben. Ab jetzt würde alles anders werden, ich war endlich richtig erwachsen!

Wie sich jeder vorstellen kann, gab es für unsere Gruppe nun kein Halten mehr. Die Noten interessierten niemanden, bestanden war bestanden. Es war zu der Zeit tatsächlich so, dass bei Bewerbungen kein Mensch das Zeugnis sehen wollte, das Diplom, aus welchem hervorgeht, dass man staatlich anerkannte Kinderkrankenschwester war, war ausschlaggebend.

Und wieder war Party angesagt. Wir feierten die ganze Nacht bis in den frühen Morgen hinein. Keine Kneipe in der Mainzer Altstadt wurde ausgelassen.

Aber das hieß auch, die schöne Schulzeit war nun endgültig und unwiderruflich vorbei. Nun gab es keinen mehr, der bei etwaigen Fehlern den Kopf für uns hinhalten würde. Selbst für den kleinsten Fehler beim Arbeiten lag die volle Verantwortung ab jetzt bei jedem einzelnen selbst.

Auch für unsere Gruppe, wir waren etwa 21 Mädels, kam dann nun bald die Zeit des Abschiednehmens. Einige blieben in Mainz, andere gingen in ihre Heimatstädte zurück und wieder andere heirateten schnell nach dem Examen.

Und ich? Theoretisch war auch meine Ausbildung am

1. April vorbei, da ich aber im ersten Ausbildungsjahr schwer erkrankt war – ich hatte mich während eines Südfrankreichurlaubs mit einem hartnäckigen Salmonellenstamm angefreundet – und für fast zwei Monate nicht hatte arbeiten dürfen, musste ich nachsitzen. Das hieß im Klartext, ich musste bis zum 6. Mai nacharbeiten.

Für mich war das allerdings auch ein Vorteil, musste ich doch noch mein Diplom zum Spital in die Schweiz schicken und auf eine Zusage hoffen. Somit konnte ich mich also beim Arbeiten mehr oder weniger lässig zurücklehnen und in Ruhe meinen Zukunftsträumen nachhängen.

Dann kam der Tag, an dem tatsächlich ein Brief von dem Schweizer Spital in meinem Briefkasten lag. Ich hielt das große Kuvert in den Händen, meine Beine fühlten sich auf einmal an wie Pudding und ich hatte Angst, den Umschlag zu öffnen. Sicher hatte man mir meine Bewerbungsunterlagen zurückgeschickt, dieser Gedanke schoss mir beim Öffnen durch den Kopf. Oh mein Gott! Es war ein Arbeitsvertrag! Es war mein Arbeitsvertrag! Befristet auf ein Jahr, das war damals in der Schweiz so üblich; es gab für Ausländer zunächst eine Aufenthaltsbewilligung für nur ein Jahr. Das alles spielte keine Rolle, ich hielt meinen ersten Arbeitsvertrag in den Händen! Kein Traum, nein, Realität!

Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass mein großer Traum in Erfüllung gehen sollte. Schon zum 1. Juni konnte ich als Gruppenleiterin auf der Wöchnerinnenstation mit meiner Arbeit beginnen.

Mein nächster Blick galt meinem Kalender – Panik! Wir hatten bereits den 20. April, das bedeutete, mir blieben nur noch sechs Wochen Zeit, um für meinen Umzug alles vorzubereiten. Wohnung kündigen, packen, Abschied nehmen, und so weiter.

Wolfgang! Abschied von Wolfgang? Auf einmal wurde mir bewusst, was er mir bedeutete. Wollte ich wirklich weg? Wollte ich mich wirklich von ihm trennen? Andererseits, so ein Dreiecksverhältnis war nicht wirklich das, was ich wollte. Ich musste mit ihm reden, wenn er mich liebte und mich bitten würde zu bleiben, wenn er sich von Mimi trennen und sich eine Zukunft mit mir vorstellen könnte, vielleicht sogar eine Heirat nicht ausschließen würde, ja, dann würde ich hier bei ihm bleiben.

Also setzte ich mich hin, um ihm einen Brief zu schreiben. Ich hatte nicht den Mut und auch Angst, ihm persönlich gegenüberzutreten, um ihn vor die Entscheidung zu stellen: Mimi oder ich.

Ich schrieb mir alles von der Seele, wie sehr ich ihn liebte und wie sehr ich unter unserem seltsamen Verhältnis litt. Den noch nicht unterschriebenen Arbeitsvertrag vor Augen stellte ich ihn vor die Wahl: sie oder ich. Drei Tage wollte ich ihm für die Entscheidung Zeit geben, das müsste genügen, danach den Vertrag unterschreiben und zurück in die Schweiz schicken.

Unter Tränen schrieb ich diesen Brief, fuhr zu Wolfgang und warf den Brief eigenhändig in seinen Briefkasten.

Jetzt hieß es abwarten. Ich wollte nichts in Bezug auf meinen Weggang unternehmen, bevor die Frist für Wolfgang abgelaufen war. Ich wollte seine Entscheidung abwarten.

Also wartete ich. Wie lange sind eigentlich drei Tage? Zu lange. Die Stunden vergingen im Zeitlupentempo, ich traute mich aus Angst, er käme genau dann, wenn ich nicht da wäre, kaum noch aus meiner Wohnung. Telefon hatte ich keines und Handys gab es damals natürlich noch nicht.

Drei Tage. Kein Wolfgang. Ich beschloss, noch einen Tag dranzuhängen, dann noch einen und noch einen Tag.

Sechs Tage, kein Lebenszeichen von Wolfgang. Ich war enttäuscht, traurig und auch wütend. Zu ihm zu fahren traute ich mich nach diesem Liebesbrief natürlich nicht.

Nun konnte ich den Arbeitsvertrag auch nicht länger zurückhalten. Das Kantonsspital wollte meine Antwort. Schweren Herzens unterschrieb ich und brachte noch am gleichen Tag den Brief zur Post. Die Entscheidung war also gefallen. Mein Leben würde sich ändern. Wie sehr, sollte ich erst viel später erfahren.

Die nächsten Tage wurden zum wahren Fiasko. Es gab so viel zu erledigen, Papierkram, nebenbei noch arbeiten, meine Familie und Freunde von meinem Umzug informieren. Dazu noch der Schmerz und die Gewissheit, Wolfgang endgültig verloren zu haben.

Jetzt erst recht, irgendwann schaltete mein Gehirn um und ich begann mich auf das Neue, auf das Unbekannte zu freuen. Ich würde ins Ausland gehen, damals schien selbst unser Nachbarland Schweiz für viele auf einem anderen Planeten zu liegen; auch für meinen Vater ein schier unmögliches Unterfangen. Seine kleine Tochter, fern der Heimat, ganz allein. Ich glaube, insgeheim trug er sich mit der Hoffnung, ich würde in seiner Nähe irgendwo einen Arbeitsplatz finden. Aber für mich war klar, das war das Letzte, was ich wollte.

Endlich frei und unabhängig sein, neue Leute kennen lernen. Dass der Vertrag nur für ein Jahr befristet war, störte mich nicht. Man würde weitersehen, wenn es denn so weit war. Ich malte mir aus, vielleicht nach dieser Zeit nach England zu gehen und das internationale Examen zu machen. Oder auf einem Schiff als Krankenschwester anzuheuern. Irgendetwas würde sich schon finden. So auf ein Jahr im Voraus wollte ich nicht denken. Nur das Heute zählte und die Zeit bis zur Abreise wurde immer kürzer.

Recht schnell erhielt ich aus der Schweiz die Einreisebewilligung mit sämtlichen Informationen, die ich als Ausländer benötigte. Wie und wo die grenzsanitäre Untersuchung stattzufinden hatte, wann und wo ich mich anmelden müsste, der Mietvertrag für meine Personalwohnung und vieles mehr.