Kitabı oku: «Das Blut des Sichellands», sayfa 14

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22. Tag des Assmon im 24. Jahr Satons

Saton genoss die Ruhe. Der Wald, die Jagd, die Einsamkeit. In Momenten wie diesen spürte er, dass er lebte. In den vergangenen Monaten, wenn nicht sogar Jahren, waren derlei Augenblicke recht kurz gekommen. Zu kurz. Die gewaltige Aufgabe, das Silber gen Süden zu verschiffen, hatte ihm alles abverlangt und der Umbruch im Kreis der Cas hatte sein Übriges dazu getan, dass der Shaj ganz vergaß, dass auch er nur ein Mensch war.

Akosh und Iandal versahen ihren neuen Dienst vorbildlich. Besonders der junge Schmied glänzte durch ein ungewöhnlich beruhigendes und erwachsenes Auftreten, obgleich er nur zwanzig Sommer zählte. Iandal, sogar noch ein Jahr jünger, bestach vor allem durch Ehrgeiz, Verbissenheit und einen Hauch Hochmut. Die beiden Männer konnten kaum unterschiedlicher sein und gerade das schätzte Saton an ihnen. Er wollte keine langweiligen Kämpfer um sich haben, die ihm nur nach dem Mund redeten. Es mussten gute Krieger sein - nein, mehr noch, es mussten die besten Krieger sein. Keine Frage. Aber das allein reichte nicht. Charakterstärke, Mut, Entschlossenheit, Treue. Darauf legte er Wert.

Zusammen mit Wandan, Cala, Beleb, Ruis, Haz-Gor und Faragyl bildeten sie einen Ring, der so stark war wie nie zuvor. Nur eine Position darin war ein klein wenig brüchig.

Noch.

Shinea, die einzige Frau in den Cas-Reihen, hatte ihn schon mehrfach darum gebeten, ihr den Rang der Erwählten zu entziehen. Sie war nicht mehr die Jüngste und hatte zudem innerhalb eines einzigen Jahres ihre Mutter, ihren Bruder und eine Jugendfreundin sterben sehen. So lange war sie zäh und unbeugsam gewesen, doch jetzt war das Licht der Kampfbereitschaft erloschen. Sie konnte und wollte nicht mehr und sie sehnte sich danach, noch einige ruhige Jahre im fernen Yto TeVel zu verbringen, weit entfernt von Schlachtfeldern und hektischer Betriebsamkeit.

Und Saton wollte ihr diesen Wunsch gewähren. Sie hatte es verdient und selbst wenn sie bei ihrem Leben geschworen hatte, das seine zu schützen, so war niemandem - weder dem Shaj noch seinen Erwählten - damit geholfen, wenn man Shinea noch einmal auf eine derart weite Reise befahl, wie sie nun bald anstehen würde. Andere mochten vielleicht unverständlich den Kopf schütteln, denn schließlich sollten die Cas dem Shaj bis zu ihrem eigenen Tod dienen. Aber Saton sah das anders. Wenn ihr selbst der Überlebenswille fehlte - welchen Schutz konnte sie dann überhaupt noch bieten? Nur allzu selten durften Cas ein hohes Alter genießen und sich in die Stille des Sichellands zurückziehen. Er hätte gern all seinen engsten Vertrauten ein solches Geschenk gemacht. Shinea jedenfalls würde er diesen Wunsch nicht abschlagen. Nicht jetzt, da er die Möglichkeit hatte, ihn zu gewähren.

"Ich bleibe bei dir." hatte sie gesagt und ihn mit ihren müden, traurigen Augen angesehen. "Bis du jemanden gefunden hast, der mir nachkommt und der dieser Aufgabe gewachsen ist. Wähle weise, mein Herrscher."

Vor über einem Jahr war das gewesen.

Dann kam Zawas Krankheit. Er litt schon so lange, doch niemand hatte es je bemerkt. Bis er dann in der Ratsversammlung zusammengebrochen war.

Und Erqis. Der gute, alte, ewig treue Erqis. Es hatte keinen Sinn mehr, ihn in einen Krieg zu zerren. Sein Augenlicht trübte sich zusehends und er war längst nicht mehr das, was einen Cas eigentlich ausmachen sollte.

Nur eine Woche, nachdem Iandal seinen Platz eingenommen hatte, war er gestorben. Friedlich, still. Ohne Schmerzen. Und Zawa bejubelte Akosh, seinen Nachfolger.

Shinea. Sie war die nächste. Sie hatte Zawa und Erquis gehen sehen. Und sich dabei gefragt, wie lange sie noch warten musste. Nicht ihm oder jemand anderem, nur sich selbst hatte sie diese Frage gestellt.

Das Warten hatte ein Ende. Bald.

Nur ein wenig noch.

Der Wald lichtete sich ein wenig. So tief in seine Gedanken versunken, hatte Saton kaum bemerkt, dass er zu weit nach Osten abgekommen war. Aber Cala und Haz-Gor waren immer noch in Rufweite. Er konnte sogar den Hufschlag ihrer Pferde hören. Und ihre Stimmen.

Wie herrlich war es doch, nur umgeben von seinem engsten Kreis, einfach wieder auf die Jagd zu gehen. Er hatte es so lange nicht getan. So lange.

Der Hufschlag wurde lauter. Gleich darauf brach ein kleiner, gescheckter Hengst durch die Baumreihen und der Junge, der darauf saß, war vor Aufregung und Anstrengung rot angelaufen.

"Hoher Shaj... hoher Shaj..."

Saton lächelte. Er kannte den Burschen, der gelegentlich Botenritte für höhere Krieger der Burg übernahm, doch der Name wollte ihm nicht einfallen.

"Suchst du mich?"

"Ja, Hoher Shaj! Ich bringe euch wichtige Nachrichten!"

"So, wichtige Nachrichten also? Und wer schickt dich?"

"Wandan, Herr! Der hohe Cas Wandan schickt mich!"

"Dann lass sehen, was er mir zu melden hat..!"

Stirnrunzelnd überflog Saton das Schreiben und konnte nur mit Mühe eine ärgerliche Bemerkung unterdrücken.

So viele Tage war er oben im Norden gewesen, meist unerreichbar für einfache Boten wie diesen. Diese Jagd sollte den Abschluss der kleinen Reise bilden. Er konnte sie trotzig abhalten, aber von Genuss konnte jetzt keine Rede mehr sein. Vielleicht war es einfach das Beste, noch heute nach Semon-Sey zurückzukehren.

Die Sonne blendete, als Lennys in den Hof hinaus trat. Es war hell, viel zu hell. Aber der kühle Herbstwind war angenehm auf ihrer schweißbenetzten Haut. Sie hatte die Tür hinter sich nicht geschlossen und es dauerte nicht lange bis sie Schritte hörte.

"Willst du nicht noch einmal hereinkommen?" ertönte jetzt die Stimme eines jungen Mädchens. Sie klang ausgesprochen vergnügt.

"Nein."

"Es ist doch noch so früh. Wir könnten noch ein wenig..."

"Ich sagte 'Nein'." Ihre Worte waren ein wenig härter als sie es beabsichtigt hatte, aber es tat ihr nicht leid.

Hinter ihr trat eine zierliche Gestalt ins Freie, die sich nur einen recht durchsichtigen Überwurf umgeschlungen hatte. Ihr langes rotes Haar war ein wenig zerzaust, aber ihre grünen Augen leuchteten glücklich. Dann stockte sie.

"Du hast dich schon angezogen?"

"Wie du siehst."

"Hat... hat es dir denn nicht....?"

"Ich wäre jetzt lieber allein." In ihren Worten lag eine schon fast unbarmherzige Endgültigkeit.

Das fröhliche Licht in den grünen Augen erlosch. Die Lippen der Rothaarigen bebten.

"Du schickst mich fort?" fragte sie mit zitternder Stimme.

Noch immer sah sie das Mädchen nicht an.

"So könnte man es nennen."

Die Abgewiesene schluchzte auf, stürzte dann wieder durch die Tür nach innen und kam kurz darauf wieder hinausgestolpert. Mehr schlecht als recht hatte sie sich ihr Kleid übergezogen, die samtüberzogenen Schuhe trug sie aber noch in der Hand. Ohne ein weiteres Wort, aber dafür tränenüberströmt, hastete das Mädchen davon.

Noch immer spürte sie kein Bedauern.

Es war eine angenehme Nacht gewesen, das war nicht zu bestreiten. Und selbst jetzt, da die Wirkung von Rum und Sijak deutlich nachgelassen hatten, konnte sie nicht behaupten, dass die Kleine nicht nach ihrem Geschmack gewesen wäre. Warum nur musste sie sich so lächerlich benehmen? Warum hatte dieses hübsche Ding nicht erkannt, dass es besser gewesen wäre, stillschweigend zu verschwinden, solange sie noch geschlafen hatte? Stattdessen hatte sie selbst so getan als würde sie noch vor sich hin träumen, wohl in der Hoffnung, von ihr auf eine ganz besondere Art geweckt zu werden. Wie albern.

Sie reckte die Glieder und sog noch einmal die Morgenluft ein. Nicht weit entfernt ertönte das Klirren von Säbelklingen. Ja, ein Kampftraining war jetzt ganz nach ihrem Geschmack. Inzwischen war es jedoch gar nicht mehr so einfach, einen passenden Gegner zu finden. Seit ihrem Sieg über Bohain, schien es nur noch Wenige zu geben, die eine wirkliche Herausforderung für sie darstellten. Zugegeben, dieser Triumph hatte ihr einen gewaltigen Respekt eingebracht, nicht zuletzt vor den besten Kriegern des Landes, den Cas.

Die Cas. Ihr nächstes Ziel.

"Hohe Herrin?"

Ein Diener riss sie aus ihren Gedanken. Er eilte über den Hof und macht ein sichtlich erleichtertes Gesicht. Scheinbar hatte er sie schon gesucht.

"Was ist?"

"Seine Erhabenheit, der hohe Shaj Saton, wünscht euch zu sprechen." Der Mann keuchte. "Er ist heute nacht aus dem Norden zurückgekehrt und... wartet im Kaminzimmer."

"Im Kaminzimmer?" Sie zog die Brauen hoch. Das Kaminzimmer war sehr wohl ein Ort, zu dem der Shaj gewöhnliche Untergebene zitierte und in dem er sich auch recht gern aufhielt. Aber es kam ausgesprochen selten vor, dass er seine eigene Tochter dorthin bestellte. Und Lennys konnte sich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem auf eine solche Anordnung eine besonders vergnügliche Unterhaltung gefolgt wäre. Zumindest wusste sie jetzt aber, warum der Diener so außer Atem war. Er hatte halb Vas-Zarac durchqueren müssen.

"Ja, hohe Herrin... im Kaminzimmer. Er... meinte... er wolle nicht unnötig warten."

Sie verdrehte die Augen, wie sie es häufig tat, wenn ihr etwas zuwider war. "Ist ja gut."

Dann schlenderte sie ohne große Hast über den Hof und auf das Hauptgebäude zu.

"Du nimmst es nicht sonderlich ernst, wenn ich sage, dass ich nicht warten möchte."

Saton klang nicht gerade verärgert, aber auch nicht so freundlich wie sonst. Er saß hinter einem großzügigen Schreibtisch, auf dem mehrere Briefbögen lagen.

Ohne zu antworten setzte sie sich auf einen Lehnstuhl ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und wartete ab.

Für gewöhnlich hatte sie ein recht gutes Verhältnis zu ihrem Vater, doch irgendetwas sagte ihr, dass der heutige Tag zu den seltenen gehörte, an denen Saton einen strengeren Ton anschlagen würde als sonst.

"Du hattest eine entspannende Nacht, habe ich recht?"

Der ironische Unterton in seiner Stimme entging ihr nicht. Und er gefiel ihr nicht besonders.

"Es geht."

"Findet dieses rothaarige Mädchen das auch?"

Verblüfft starrte sie ihn an. Woher wusste er davon?

"...Möglich." sagte sie dann. Und fügte leicht verärgert hinzu: "Das ist meine Sache."

"Das sehe ich etwas anders."

Saton lehnte sich nun zurück und musterte sie nachdenklich. "Sie ist die Tochter unserer Küchenvorsteherin. Und letzte Woche... da war es die Nichte meines Hauptschneiders. Und in der Woche davor.....nun, lassen wir das. Was ich damit sagen möchte, ist, dass es für die Stimmung meiner Hausbediensteten nicht unbedingt zuträglich ist, wenn die Burg voll ist von jungen Mädchen, die sich die Augen aus dem Kopf weinen. Ganz zu schweigen von Racyl Req-Nuur. Ich hoffe sie erfährt nicht so bald von deinen Ausschweifungen, während sie weiter brav in der Kaserne darauf wartet, dich bald wieder besuchen zu können."

Er sagte es ganz ruhig und ohne Vorwurf. Ebensogut hätte er feststellen können, dass in diesem Jahr zu wenig Sakkala-Beeren geerntet worden waren.

"Willst du, dass ich mir jemanden aus der Stadt kommen lasse?" fragte sie bissig, doch Saton lächelte nicht. Sein Tonfall war kühl wie selten.

"Nein. Ich will, dass du anfängst, dich zu benehmen."

Er stand auf und ging hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Offenbar erwartete er keine Antwort, sondern suchte selbst nach den passenden Worten. Schließlich blieb er stehen. Seine schwarzen Augen fixierten sie.

"Lenyca Ac-Sarr. Du bist sechzehn Jahre alt. Du bist die Tochter des Shajs der Nacht. Du bist - auch wenn du es nicht gern hörst - womöglich die Zukunft unseres Landes. Das ganze Volk verehrt dich. Und unsere Feinde werden dich fürchten. Vor langer Zeit habe ich dir ein Geheimnis offenbart, dass dich und mich umgibt. Eines, das dir klarmachen sollte, wer du bist. Was du bist. Und wer oder was du sein wirst. Ich habe allmählich den Eindruck, dass diese Offenbarung dir nicht besonders gut getan hat."

"Was...?"

"Nein, jetzt rede ich. Ich rede. Und du hörst zu. Ganz einfach. Und wenigstens dieses eine Mal erwarte ich, dass du nicht nur hörst, was ich sage, sondern es auch begreifst."

Er setzte sich wieder und nahm einen der Pergamentbögen vom Tisch.

"Dies ist ein Bericht von Wandan. Ich erhielt ihn bereits gestern von einem Boten. Ich gebe zu, dass ich recht erstaunt war als ich das hier las. Erstaunt darüber, wie wenig du mich respektierst. Und darüber, dass du offensichtlich nicht so intelligent bist, wie ich bislang glaubte."

Lennys sprang auf. "Was fällt ihm... ?"

Saton schnitt ihr ungewöhnlich laut das Wort ab.

"Du wirst zuhören! Und dich setzen!" Dann fuhr er etwas ruhiger fort. "Ich gehe davon aus, dass du dich noch, wenn auch nur schwach, daran erinnerst, dass ich dich vor kurzem in einer wenig angesehenen Taverne in der Stadt angetroffen habe. Und zwar zu einer Zeit, zu der du eigentlich in der Kaserne hättest sein sollen. Und ich gehe auch davon aus, dass du dich daran erinnerst, dass ich dir - scheinbar nicht eindringlich genug - klar gemacht habe, dass ich solche Auftritte von dir in der Öffentlichkeit nicht besonders gutheiße."

Sie presste die Lippen zusammen, sagte aber nichts.

"Für dich ist es nun vermutlich wenig erfreulich zu hören, dass Wandan diese Taverne an den vergangenen Abenden regelmäßig besucht hat, wobei er es im Gegensatz zu dir sehr wohl versteht, sich zu verbergen. Seine Erinnerungen an diese Begebenheiten sind vermutlich um einiges ungetrübter als deine, weshalb ich dich jetzt daran teilhaben lasse."

Er hob das Pergament ein wenig an, überflog es, bis er die richtige Stelle gefunden hatte und begann laut vorzulesen.

"Zu meinem Bedauern, hoher Shaj, muss ich mitteilen, dass zu den Gästen jener Geburtstagsfeier eben nicht nur all die Bauern, Wachsoldaten und Bergleute gehörten, die man gewöhnlich in diesem wenig vertrauenerweckenden Hause antrifft, sondern auch Deine wohl geschätzte Tochter Lenyca. Sie verbrachte den gesamten Abend und die halbe Nacht gemeinsam mit den Feiernden und nur, um sie nicht vor dem Volke in Verlegenheit zu bringen, sah ich mich gezwungen, die Ereignisse als stummer Beobachter zu verfolgen. Nichtsdestotrotz sehe ich es als meine Pflicht, Dich, hoher Shaj, davon zu unterrichten, dass sie sich denselben Vergnügungen hingab wie die gemeinen Menschen, mit denen sie den Tisch teilte. Während das Kartenspiel und das Singen von teils recht derben Liedern von mir noch als weniger erwähnenswert empfunden werden, so gilt dies doch nicht für ihren übermäßigen Genuss von semonischem Sijak. Ich bedaure zutiefst, euch mitteilen zu müssen, dass deine hohe Tochter Lenyca..."

Hier hielt er kurz inne, warf Lennys einen ausgesprochen verärgerten Blick zu und beugte sich dann wieder über das Papier. "

... im Ganzen beinahe zwei Flaschen des Brandes leerte und beim Verlassen der Taverne ebenso betrunken war wie mein Freund Ruis bei der Feier zur Geburt seines Sohnes."

Es sah für einen Moment so aus, als wollte sie etwas sagen, doch Saton winkte ab. "Ich bin noch nicht fertig. Hier steht weiter:

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie dennoch wohlbehalten in die Kaserne zurückkehrte, hielt ich es zunächst für Zeitverschwendung, am Abend darauf dem Wirtshaus noch einen weiteren Besuch abzustatten. Allein um mich davon zu überzeugen, dass es sich um eine Ausnahme aufgrund des Geburtstages des Wirtes gehandelt habe, die deine hohe Tochter an diesen Ort gezogen hatte, begab ich mich dennoch noch einmal dorthin. Ich kann die Überraschung kaum beschreiben, die ich empfand, als Lenyca kurz nach mir ebenfalls noch einmal den Schankraum betrat. Noch mehr traf es mich, als ich erkannte, dass sie zu diesem Zeitpunkt, also am frühen Abend, erneut nach Sijak verlangte und es zudem zuließ, dass ein alter Hufschmied, dessen Name ich nicht kenne, ihr einen ganzen Krug askaryschen Rums auf seine Kosten bestellte. Sicherlich wäre ich an diesem Abend eingeschritten, hätte ich eine Möglichkeit gesehen, Lenyca unter vier Augen zu sprechen. Sie befand sich allerdings die ganze Zeit über in Begleitung eines jungen Mädchens, das mir gänzlich unbekannt ist. Mit selbigen verließ sie etwa um Mitternacht die Taverne und ich konnte nur noch beobachten wie sie die junge Dame auch mit in den Kasernenflügel nahm, in dem sich das Zimmer befindet, das sie noch zeitweilig bewohnt."

Er hob die Hand zum Zeichen, dass er nach wie vor keine Antwort hören wollte. Dann räusperte er sich und las weiter.

"Wohl wissend, dass Du, hoher Shaj, erst zur Vollmondnacht von deiner Jagd im Norden zurückkehrst und ich Dich somit nicht früher erreichen könne, verbrachte ich vier weitere Abende in dem Gasthaus, davon zweimal als Beobachter deiner hochverehrten Tochter Lenyca. Ich wagte es, den Wirt danach zu fragen, ob dies eine außergewöhnliche Häufung sei, woraufhin er mir stolz erklärte, Lenyca käme 'immer mal wieder' vorbei, sei aber in Zeiten der Abwesenheit des hohen Shaj Saton ein eher regelmäßiger Gast. Zudem gab er zu, dass sie dann und wann die Gesellschaft junger Damen annähme, wovon er wenigstens eine als wohl begehrte Hetaire kannte."

Beherrscht, aber mit eisiger Miene ließ Saton das Pergament sinken. Wieder öffnete Lennys den Mund, doch ihr Vater fuhr dazwischen.

"Schweig!"

Er stand erneut auf und ging zum Fenster. Hinter einer Mauer blitzten silberne Klingen, die kunstvoll von Männern geschwungen wurden, deren Gesichter er aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte.

"Die neun Erwählten sind mehr als nur meine Garden. Mehr als nur gute Kämpfer. Sie sind mein engster Kreis. Vielleicht sogar Freunde. Und ebenso wie sie mir dienen, so dienen sie auch dir. Sie wissen, besser als du, scheint mir, dass du einmal alle Armeen dieses Landes befehligen wirst. So wie du auch die Cas befehligen wirst. Und sie verehren dich. Sie vergöttern dich gerade zu. Das bringt sie in einen gewissen Konflikt. Wandan hatte von mir einen Auftrag und ich weiß, dass es ihm sehr schwer gefallen ist, diesen Bericht zu verfassen. Er war sehr aufrichtig. Ebenso aufrichtig wie Cala, der mir, wenn auch widerwillig, bestätigte, dass du seit dem letzten Vollmond nicht weniger als acht Mal die Stadt verlassen hast, um nachts heimlich Hirsche zu jagen. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass du in den letzten Wochen kaum eine Nacht dort verbracht hast, wo du hättest sein sollen, nämlich in den semonischen Kasernen oder - an den anderen Tagen - hier in Vas-Zarac!“

„Was spielt das für eine Rolle?“ schleuderte sie ihrem Vater jetzt endlich entgegen. „Ich brauche das alles nicht! Ich bin die Beste in meinem Jahrgang, die Beste unter den Säbelschülern und inzwischen auch die Beste in der ganzen Kaserne! Ich habe Bohain besiegt, ich habe...“

„Du hast einen gewaltigen Höhenflug! Das hast du! Und wage es nicht noch einmal mir ins Wort zu fallen!“

Nie zuvor hatte Lennys Saton so wütend erlebt, noch nicht einmal damals, als er den Cas Faragyl dabei ertappt hatte, wie er einer Kammerdienerin nachgestellt hatte. Der Shaj wurde selten laut, für gewöhnlich reichte sein Blick, der so eisig wie ein Berggipfel im Winter sein konnte, um seinen Gegenübern seinen Zorn zu zeigen. Aber nicht heute. Lennys war mehr erstaunt denn verletzt und tatsächlich verstummte sie und sank wieder auf den Stuhl zurück, von dem sie gerade noch aufgesprungen war.

„Glaubst du wirklich, ein gewisses Talent an der Waffe ist genug? Und denkst du, es reicht, meine Tochter zu sein? Bist du wirklich der Meinung, du kannst dir alles herausnehmen? Du bist eine Ac-Sarr! Du solltest die Thronerbin sein! Du lebst im Machtzentrum dieses Landes! Draußen auf der Straße fallen die Menschen auf die Knie, wenn sie dich sehen! Und was tust du? Du verweigerst deine Pflichten, hältst dich an keinerlei Regeln! Du nimmst dir Mädchen von der Straße, nur weil sie dir gefallen, bezahlst die eine oder andere sogar dafür! Und wirfst sie wieder weg, wie ein ungeliebtes Spielzeug. Du betrinkst dich in aller Öffentlichkeit. Du missachtest deinen Säbelmeister und alle Gesetze der Kaserne. Und du belügst mich! Du betrügst mich! Versuch nicht, mir das Wort im Mund herumzudrehen. Dir war vollkommen klar, dass du in dieser Taverne nichts mehr verloren hattest, aber du bist trotzdem dorthin gegangen. Immer wieder. Gegen mein ausdrückliches Verbot! Und es schert dich einen Dreck, dass die Säbelschüler nach Sonnenuntergang die Kasernen nicht verlassen dürfen. Du tust einfach was du willst! Und je mehr Leute auf der Straße das mitbekommen, desto besser! Soll das meine Tochter sein? Die zukünftige Shaj, die eine Streitmacht befehligt, wie sie in ganz Sacua sonst nicht zu finden ist? Eine Herrscherin, die verantwortungsvoll, klug und umsichtig regiert? Nein, Lenyca, das bist du nicht! Du bist verwöhnt, eingebildet und uneinsichtig! Und viel zu sehr von dir überzeugt! Oh ja, du hast Bohain in einem Schaukampf geschlagen. Und jetzt hältst du dich deshalb für die Größte? Wann hast du jemals gegen einen echten Krieger einen wahren Kampf bestritten? Nicht die plumpen Hantua im Grenzland, die du so gern abschlachtest. Sondern echte Krieger! In einem Kampf auf Leben und Tod? Wann hast du das? Du kannst vielleicht halb Semon-Sey unter den Tisch trinken und hast vermutlich bald mehr Mädchen in dein Schlafgemach geholt als Faragyl, aber denkst du ernsthaft, dass ich auf diese Erfolge meiner Tochter stolz bin? Wann warst du zuletzt im Landeskunde-Unterricht? Wann hast du zuletzt die alten Schriften studiert? Wann gedenkst du endlich, dich von den Dunen in die Landesverwaltung einweisen zu lassen, wie ich es dir schon vor Monaten aufgetragen habe? Wann tust du all das? Der einzige Unterricht, zu dem du gelegentlich erscheinst, ist das Kampftraining! Aber nicht, um zu lernen, sondern um Beifall zu erhalten! Ich weiß, kein Säbelmeister wird sich bei mir beklagen, auch kein Schriftlehrer oder sonst irgendwer, der dich ausbilden soll. Sie unterliegen alle dem Irrglauben, dass man die Thronerbin nicht kritisieren darf. Und du, du denkst, du hast das alles nicht nötig. Du hältst dich für unbesiegbar! Selbst ein fremdländisches Kind könnte dich töten, es müsste nur warten, bis du wieder so betrunken aus der Taverne kommst, dass du nicht einmal mehr einen Shajkan halten kannst! Und du denkst wirklich, dass ich stolz auf so eine Tochter bin?“

Lennys wusste, was Saton erwartete. Dass sie Besserung gelobte. Dass sie sich entschuldigte. Dass sie vielleicht sogar den einen oder anderen Vorwurf zurückwies. Nie zuvor hatte er so hart zu ihr gesprochen und es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich, wenn auch widerwillig seinen Vorstellungen fügte.

Doch sie konnte es nicht. Irgendetwas in ihr hatte sich geregt und sie fühlte, dass dieses Etwas jetzt mit aller Macht die Kontrolle übernahm. Es war der Teil in ihr, der ganz und gar nicht mit Saton übereinstimmte. Der Teil, der ihre Hand lenkte, wenn sie sich im Säbelkampf bewies.

Sie stand erneut auf und sah ihrem Vater gerade in die Augen. Sie waren ebenso schwarz wie die ihren und zum ersten Mal konnte sie darin kein freundliches Schimmern entdecken.

„Ich habe nicht darum gebeten.“ sagte sie und verwendete den kärglichen Rest an Selbstbeherrschung, der ihr geblieben war, darauf, ruhig zu sprechen.

„Ich wollte nicht die Tochter des Shajs sein. Ich will keine Thronerbin sein. Ich wurde nie gefragt.“

„Es ist dein Schicksal. Ebenso wie es meines war.“ antwortete Saton und hielt ihrem Blick mühelos stand.

„Ich werde es nicht so leicht akzeptieren wie du. Und solange ich es kann, werde ich tun, was ich will. So wie die Cas. Sie feiern und trinken, holen sich Geliebte und sie kämpfen. Ich bin keine Säbelschülerin mehr. Ich kann mein Leben selbst bestimmen.“

„Das kannst du nicht! Das sind Männer! Männer, die ihr Leben lang bewiesen haben, dass sie ihren Rang verdienen! Sie waren vorbildlich in ihrer Ausbildung und sie wissen, wo ihre Grenzen liegen! Du nicht! Du bist eine Frau. Nein, ein Mädchen! Du bist sechzehn! Hör auf, dich zu verhalten wie ein alter Krieger, der dreimal so viele Sommer gesehen hat wie du! Du willst dein Leben selbst bestimmen? Aber nur, wenn es dir gelegen kommt! Du nimmst deine Herkunft, ein reiches Elternhaus, einen hohen Rang, der irgendwann der höchste des Landes sein wird! Und was gibst du? Du hältst dich an keine Regeln, keine Gesetze, erfüllst keine einzige deiner Pflichten! Glaubst du ernsthaft, dass ich dich so jemals zur Cas ernenne?“

Lennys wurde blass. Für sie war es vollkommen selbstverständlich gewesen, dass sie unmittelbar nach der Ausbildung in die höchsten Ränge aufsteigen würde. Innerhalb des nächsten Jahres, da war sie sich bis eben noch sicher gewesen, würde sie zu den Erwählten gehören, als jüngste Cas aller Zeiten und einer der alten Erwählten würde sich dann endlich zur Ruhe setzen können. Sogar der nur wenige Jahre ältere Akosh war bereits geweiht. Undenkbar, dass ihr diese Ehre verwehrt blieb.

Undenkbar bis zu diesem Moment.

„Ja, du hast richtig gehört.“ Saton nickte ernst. „Du dachtest, ich nehme dich bei nächster Gelegenheit mit in den Süden, lasse dich ein paar Kämpfe bestreiten und bei deiner Rückkehr wirst du eine Cas. Das dachtest du. Nein, Lenyca. Du magst eine gute Kämpferin sein, wenn du willst. Aber das Leben spielt sich nicht nur auf dem Schlachtfeld ab. Es liegt einzig und allein an dir. Beweise mir, dass du diese Ehre verdienst. Dass du den Thron verdienst. Doch im Augenblick beweist du mir nur, dass du zu schwach bist, diesen Anforderungen gerecht zu werden.“

„Nenn mich nicht schwach!“

„Ich nenne dich nur deinem Benehmen entsprechend.“ Nun war es Saton, der wieder leise sprach und seine Tochter war diejenige, die zunehmend lauter wurde.

„Dann wirf mich hinaus! Wirf mich aus der Burg, aus der Kaserne! Ich werde mich niemandem beugen! Auch dir nicht!“

„Bis jetzt habe ich als dein Vater gesprochen. Dein Vater, dem du wertvoller bist als alles andere auf dieser Welt. Sogar wertvoller als sein eigenes Land. Lenyca Ac-Sarr, zwing mich nicht, zu dir als dein Herrscher zu sprechen. Deine letzten Worte würden für jeden anderen in diesem Land den Tod bedeuten. Du hast sie zu deinem Vater gesagt und – wie ich jetzt annehmen muss – nicht zu deinem Shaj.“

„Ich sage sie, egal was du gerade bist! Ich bin alt genug, um selbst zu wissen, was ich tue!“

„Ach, bist du das?“ Saton klang nun amüsiert. „Mit sechzehn? Du könntest die jüngste Cas aller Zeiten werden. Bis vor kurzem war ich diesem Gedanken nicht gerade abgeneigt. Du stehst kurz vor deiner Sichelprüfung und wenn du dich da genauso schlägst wie mit dem Shajkan... nun, kämpferisch gesehen kann man eine solche Ernennung nur befürworten. Leider ist das aber zur Zeit das einzige Argument, das für dich spricht. Du weißt, was die Hauptaufgabe der Cas ist? Wenn du mir gegenüber so wenig Respekt bezeugst, wüsste ich nicht, warum ich dich zu diesem auserwählten Kreis zählen sollte. Werde endlich erwachsen, Lenyca. Du willst keine Shaj werden, weil dir die Pflichten nicht in den Kram passen. Aber du willst eine Cas sein, weil du dein Ansehen behalten willst. Nennst du das 'erwachsen'?“

„Ich muss keine Cas werden, um mein Ansehen zu behalten, wie du es nennst. Im Tempel von Yto Te Vel ist die Sichel längst nicht so viel wert wie hier!“

„Im Tempel?“ Saton runzelte die Stirn. „Ich habe dir zwar nahegelegt, über diese weitere Ausbildung nachzudenken, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass dir der Gedanke gefällt. Willst du nun nicht nur die Säbelmeister durch deine Lernverweigerung beleidigen, sondern auch noch die Priester?“

„Ich muss mich nicht an diese Unterrichte halten! Du unterschätzt mich. Es gibt nichts, was ich noch lernen müsste, um die Ausbildung zu bestehen.“

„Ach nein? Dann sage mir, Lenyca, wie heißt der dritte Säbelwächter von Zarcas? Wie viel Silbergehalt hat die Klinge einer Cas-Sichel? Wie heißt der Vertreter des Oberhauptes von Shanguin? Wie viele Priester werden für ein Daq-Ritual benötigt? Wie viele Säbelmeister dienen der obersten Grenzwache von Askaryan?“

Lennys funkelte ihn an. „Was soll das?“

„Dies sind alles Dinge, du längst wissen solltest, da sie gelehrt wurden in den Zeiten, in denen du dich anderen Vergnügungen hingabst. Siehst du jetzt ein, dass ich dich nicht in den Tempel schicken kann? Glaubst du, ich würde öffentlich eingestehen, dass meine Tochter noch nicht einmal das Wissen der untersten Kriegsklasse beherrscht?“

Nun spielte ein merkwürdiges Lächeln um Lennys' Mundwinkel. Es verlieh ihr einen überaus gefährlichen Ausdruck. Sie senkte ihre Stimme und flüsterte nun schon beinahe:

„Der dritte Säbelwächter von Zarcas heißt Rab-Nui Entyr. Er wurde unter Celdros Req-Nuur ausgebildet. Rab-Nui Entyr wird in wenigen Wochen den Rang des zweiten Säbelwächters von Zarcas einnehmen, wenn Carwen aus Altersgründen von seinem Amt zurücktritt. Sein Nachfolger auf das Amt des dritten Wächters wird Aenya werden, die Tochter des Cas Ruis. Eine Cas-Sichel enthält mindestens siebenundachtzig von hundert Teilen reinstes Silber in der Klinge und mindestens zweiundsechzig von hundert Teilen Silber im Griff. Keine Klinge, nicht einmal die des Shajs, enthält mehr als sechsundneunzig von hundert Teilen Silber. Neben dem Silber besteht die Cas- und auch die Shaj-Sichel aus cycalanischem Eisen und einem kaum messbaren Anteil von Saphirstaub aus den Minen von Bara-Im. Der Vertreter des Oberhauptes von Shanguin heißt Lo-Mor-To und es handelt sich dabei um die Ehefrau des eigentlichen Ersten, Kun-Pe-Ru. Hierüber lässt sich aber streiten, da unsere Späher immer wieder berichten, dass im Grunde alle Gesetze durch Lo-Mor-To erlassen werden, während ihr Gemahl eher repräsentative Aufgaben übernimmt. So gesehen könnte man auch Kun-Pe-Ru als den Vertreter seiner Frau bezeichnen. Für ein Daq-Ritual benötigt man einen Priester des elften Grades, zwei Priester des mindestens achten Grades und drei Priester des mindestens vierten Grades sowie einen Rechtsprecher der dritten oder höheren Riege und die Anwesenheit von mindestens zwei Sichelträgern. Und kein einziger Säbelmeister dient der obersten Grenzwache von Askaryan, denn es sind die Grenzwachen, die dem Säbelmeister dienen. Dabei handelt es sich nur um eine einzige Person, zur Zeit ist dies Narhan Or-Tin, unter seinem Befehl stehen derzeit einhunderteinundsiebzig Grenzwachen, darunter zehn Säbelwächter. Möchtest du auch deren Namen?“

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