Kitabı oku: «Menschen, die Geschichte schrieben», sayfa 3

Yazı tipi:

REFORMATOREN UND TEUFEL

Insbesondere die Tischgespräche Luthers und die Sonntagspredigten Melanchthons sind es, denen das Beispiel Faustus oftmals zur Veranschaulichung dient, um allen wahren Christenmenschen warnend aufzuzeigen, wohin die Einlassung mit schwarzen Mächten führt. Im März 1539 beispielsweise hat Luther seinen Tischgenossen ausführlich erzählt, wie ein gewisser Zauberer dem Kaiser Maximilian die Geister allerhand verstorbener Monarchen seit Alexander dem Großen vorgeführt habe.10 Maximilian I. war der Großvater Karls V.; offensichtlich handelt es sich hier um eine frühere Version der Episode, die dann in der Historia, wie dargelegt, eine so wichtige Rolle spielt. Schon an diesem Detail zeigt sich beispielhaft, dass Luthers Erzählungen und Aufzeichnungen der wichtigste Quellenbestand für die spätere Historia bilden, die sich im Grunde durchweg als ein lutheranisches Propaganda-Buch verstehen lässt. Auch früher schon ist im Hause Luther nämlich von Faustus viel die Rede, wie folgender Ausschnitt aus den Tischgesprächen zeigt:

Da uber Tisch zu Abends eines Schwarzkünstlers, Faustus genannt, gedacht ward, saget Doctor Martinus ernstlich: der Teufel gebraucht der Zäuberer Dienst wider mich nicht; hätte er mir gekonnt und vermocht Schaden zu thun, er hätte es lange gethan. Er hat mich wol oftmals schon bei dem Kopf gehabt, aber er hat mich dennoch mussen gehen lassen. Ich hab ihn wol versucht, was er fur ein Gesell ist. Er hat mir oft so hart zugesetzet, dass ich nicht gewußt hab, ob ich todt oder lebendig sei. […] Aber mit Gottes Wort hab ich mich seiner erwehret.11

Das ist eine interessante Passage. Beiläufig fällt bei Tisch der Name Faustus, was offenbar den Reformator motiviert, sogleich von seinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Leibhaftigen zu erzählen. Magister Faustus bietet Doktor Luther anscheinend willkommenen Anlass, seinen Tischgenossen zu erklären, wie er selbst mit dem Teufel fertig geworden ist: Gerungen und gekämpft habe er mit ihm, auf Leben und Tod, „[a]ber mit Gottes Wort“ sich letztlich seiner erwehret – gerade anders als Faustus, der sich von Gottes Wort abgewandt und dem Teufel ganz verschrieben habe. Luther siegt, wo Faustus versagt: So wird mit der Erzählung eine klare Grenze gezogen. Gleichzeitig allerdings wird durch derartige Geschichten die Faustus-Figur in den frühen, umkämpften Jahrzehnten der Reformation zunehmend enger mit dem Wirken der Reformatoren assoziiert, als Gegenfigur und erklärtes Gegenbeispiel zwar, aber dadurch zugleich als Referenzfigur, deren heilloses Leben eine dunkle und dämonische Parallele zum heilsgewissen Leben eines Doktor Luther darstellt.

Diese Assoziierung geht so weit, dass im weiteren Verlauf der Überlieferung, wie die Historia dann deutlich zeigt, sogar der Studien- und Wirkungsort von Faustus selbst in Wittenberg gesehen wird und nicht mehr, wie zuvor meist, in Württemberg. Die geographische Verschiebung aus dem süddeutschen in den mitteldeutschen Raum und damit in das Kernland des deutschen Protestantismus ist hoch bedeutsam, weil sie die kulturelle Verbindung zwischen dem Reformator und Faustus enger zieht. Auf ganz eigentümliche und signifikante Weise werden der Teufelsbekämpfer und der Teufelsbündler damit aneinander, wenn nicht gar ineinander gerückt. Das ist nicht nur deshalb eine folgenreiche Entwicklung, weil sie bis zur wichtigsten Faustus-Version des 20. Jahrhunderts reicht, dem großen Roman Thomas Manns, in dem die titelgebende Faust-Figur in Sprache, Habitus und Herkunft als eine Lutherfigur gezeichnet wird.

Grundsätzlich macht eine solche Assoziierung evident, worin die mythenbildende Funktion von Faustus liegt: in seiner Rolle als kultureller Wiedergänger. Mir scheint, dass die Figur deshalb zu einem Mythos der Renaissance geworden ist, weil in ihr, wie in einem Sammelbecken, die dunklen und dämonisierten Aspekte der Renaissance-Kultur zusammenfließen. Faustus ist ein „magus secundus“, wie wir gesehen haben, d. h. ein Nachkömmling, ein Abkömmling. Meine Vermutung wäre, dass diese Figur in der kulturellen Gestalt, in der wir sie durch die diversen Texte kennenlernen, von genau den Autoritäten herkommt oder sogar abstammt, die sich von ihr abzugrenzen suchen: von Luther, von Melanchthon, von Trithemius und den vielen anderen Geistesgrößen dieser großen Aufbruchszeit.

Doktor Martinus erklärt, er habe lange und erbittert mit dem Teufel gekämpft und allein durch Gottesglauben seinen Sieg davongetragen. Johannes Trithemius erklärt, die mantischen Künste seien zutiefst verdammungswürdig, und doch muss er sich seinerseits mit Vorwürfen auseinandersetzen, er selbst, der Abt von Sponheim, habe sich diesen Künsten hingegeben und damit versündigt. Deshalb nämlich zitiert er die Visitenkarte Faustens, um daran aufzuzeigen, was man tunlichst lassen soll und was er selbst nie unternehmen würde. Die Grenzen zwischen Weißer und Schwarzer Magie, zwischen religiös fundierter und dämonisch instrumentalisierter Beschwörungskunst sind prinzipiell sehr schwer, wenn überhaupt, zu ziehen – genauso schwer, wie man vielleicht den dauernden Kampf mit dem Leibhaftigen von einem Pakt mit dem Leibhaftigen unterscheiden kann. In beiden Fällen liegt offenbar eine sehr intensive wechselseitige Beziehung vor, und wie sie jeweils endet, bleibt wohl länger ungewiss. Um solche Grenzziehungen aber immer wieder neu zu unternehmen, um Kampf von Pakt und Weiße von Schwarzer Magie zu unterscheiden, dazu wird, so meine ich, der Faustus-Mythos aufgeboten.

Von jenem Wanderwahrsager selbst ist uns kein einziges Wort überliefert. Er ist ein Mythos in genau dem Sinn meiner eingangs skizzierten Definition: Er dient stets anderen zur Selbstbestätigung und Selbstbeschreibung, und zwar dadurch, dass sie sich kategorisch von seinem Tun und Treiben abgrenzen. Gerade aber weil von Faustus selbst kein Wort überliefert ist, sehen wir ihn gewissermaßen nur als Hohlform, im Zeugnis oder Urteil anderer und zwar zumeist solcher, die ihn kritisieren, verurteilen, verfemen und vertreiben wollen. Faustus ist eine Projektionsfigur, die uns gewiss größeren Aufschluss über die jeweiligen Erzählautoritäten, die von ihm berichten, gibt als über das, was sie von ihm erzählen. Wenn nämlich viele frühe Quellen, wie erwähnt, von der Ausweisung Faustens aus der Stadt berichten, d. h. von dem Versuch, seine Wirkungsmacht aus der christlichen Gemeinschaft auszuschließen, erzählen sie uns doch in erster Linie davon, was diese Gemeinschaft kulturell beunruhigt und umtreibt und was daher unterbunden werden soll. Somit aber erscheint Faustus meist als ein dämonisierter Wiedergänger, ja als Doppelgänger genau jener weltlichen wie religiösen Autoritäten, die gegen ihn zu Felde ziehen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Figur zunehmend mit Wittenberg assoziiert wird und damit in die Nähe dessen rückt, der sich von ihr unterscheiden will. Das zeigt sich vielleicht auch an den eigentümlichen Namenswechseln, die bei der Überlieferung ins Auge fallen. Auf der Visitenkarte, die Johannes Trithemius zitiert, nennt er sich „Georgius“, in der Historia heißt er „Johannes“ und trägt mithin denselben Vornamen wie Trithemius selbst; bei Goethe später heißt er „Heinrich“, was sicher als Anspielung auf Heinrich Cornelius Agrippa zu verstehen ist, den großen Okkultisten, der ebenfalls als Gegen- wie Modellfigur zu Faustus gelten kann. Auf diese Weise mag der Namenswechsel ein weiteres Indiz für die Funktion des Faustus-Mythos sein, als Feind-wie zugleich Abbild strittiger Denker zu fungieren und daher denen, die sich von ihm abgrenzen, namentlich verbunden zu bleiben. Eins jedenfalls ist unbestreitbar: Dass Faustus über so lange Zeit so viele große Geister der Renaissance umtreibt und so regelmäßig als Negativexempel dienen muss, ist nur verständlich, weil in der Figur fundamentale Unsicherheiten dingfest gemacht werden sollen. Sie dient zur Feststellung, wenn nicht zur Austreibung, kultureller Ungewissheiten ihrer Epoche.

GRÖSSE UND GRENZEN

Der Mythos von Doktor Faustus ist, so lässt sich der Befund zusammenfassen, also ein frühneuzeitliches Krisenbewältigungsprogramm, d. h. der Versuch, durch volkstümliche Überlieferung für Orientierung und Absicherung zu sorgen. Deshalb liest seine Geschichte sich wie eine umgekehrte Heiligenlegende, und deshalb sollten wir bei der Lektüre, um das zugrundeliegende Krisenbewusstsein festzustellen, die Deutungsmuster des Erzählens umkehren. Beispielsweise heißt es bei Trithemius, dass Faustus sich gerühmt habe, über ein so umfangreiches Wissen und Gedächtnis zu verfügen, dass er das Gesamtwerk der Philosophie seit Platon und Aristoteles im Kopf trage und dass er, falls dieses Werk einmal verloren gehen sollte, es auswendig wiederherstellen könne.12 Zur Deutung dieser Anekdote müssen wir bloß die Wertungszeichen umkehren. Trithemius erzählt sie als Ausdruck von Faustus Vermessenheit und Prahlerei – aber was drückt sich darin anderes aus als eine große kulturelle Hoffnung der Renaissance, vielleicht die zentrale Hoffnung der gesamten Epoche, der großen antiken Überlieferung erneut habhaft zu werden, d. h. sich deren Wissen anzueignen und dadurch über die antiken Größen noch hinauszugelangen? Diese Leistung der Memoria, die an der Faustus-Figur negativ markiert wird, stellt also im Grunde eine positive, vielleicht unerreichte oder unerreichbare, jedenfalls aber programmatische Kulturleistung dar, der sich jene Zeit ganz ausdrücklich verschrieben hatte. Ähnlich ließe sich die oft kolportierte Geschichte von Faustens Flugübungen deuten. Was wird darin anderes erzählt, als der Versuch, die bis dahin geltenden Grenzen und Beschränkungen des Menschendaseins hinter sich zu lassen und sich aus eigener Kraft in einen höheren Stand zu erheben? Genau dies war Antrieb wie Ambition so großer Renaissance-Geister wie Leonardo, wenn sie Flugmaschinen und dergleichen konstruierten. Wieder also soll wohl in der Faustus-Figur etwas dämonisiert und ausgegrenzt werden, was, in anderer Sicht betrachtet, die Renaissance recht eigentlich charakterisiert.

In dieser umgekehrten Sicht lässt sich im Übrigen der Titel der Historia, der oben zitiert wurde, ebenfalls anders lesen: „allen hochtragenden, fürwitzigen und gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel und abscheulichen Exempel“ kann die Geschichte von D. Johann Fausten zweifellos nur deshalb dienen, weil es von solchen Menschen offenbar etliche gibt. Als Exempel ist Faustus gerade nicht ein Ausnahme-, sondern ein Modellfall. Seine Lebensbeschreibung, kompiliert aus vorliegenden Schriften, zeigt damit etwas, das in hohem Maße typisch, weitverbreitet und charakteristisch ist für jene Zeit, so dass sich viele Leser darin wiederfinden mögen. Bei dem „Fürwitz“ nämlich, der auf dem Titelblatt genannt wird, handelt es sich um jene Curiositas, die bald zur Leitidee der neuzeitlichen Forschung aufsteigt und signalisiert, dass hier fortwährend Grenzen des Bekannten und Erlaubten überschritten werden. Die Grenzüberschreitung manifestiert sich mit den Entdeckungs- und Eroberungsfahrten, beispielsweise in die Neue Welt, zudem im konkreten geographischen Sinn: Sie erweitert physisch den Horizont, führt über die Säulen des Herkules, die für die Antike das Ende der bekannten Welt darstellten, hinaus und begründet dadurch die neue Wissenschaft.

Von ihrem schauerlichen Ende her gelesen ist die Historia, wie wir gesehen haben, ein streng didaktischer und streng lutherischer Traktat, der uns die Schrecknisse des gotteslästerlichen Lebens vor Augen führen will. Von seinem Titel und Anfang her gelesen allerdings wird diese didaktische Absicht immer wieder unterlaufen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Erzählung ihren Lesern erstaunlich detaillierte Einsichten in all das vermittelt, was man mit solcher Curiositas erfährt. Das ist zugleich der Grund dafür, warum einige, insbesondere protestantische Städte das Buch so dezidiert zu unterdrücken suchten. Es bietet schlicht so viele Schilderungen magischer Kunst, dass fürwitzige Leser es glatt als Lehrbuch nutzen können, um sich selbst in dieser Kunst zu üben.13 Denn um zu zeigen, wovon ein frommer Protestant sich fernzuhalten habe, muss all dies ja erst einmal veranschaulicht werden. Daher ist das ganze Teufels- und Beschwörungswerk, vor dem im Buch gewarnt wird, zunächst einmal darin enthalten. Statt also Zeitgenossen von der Magie abzubringen, wird sie ihnen darin praktisch gleich vermittelt. Solche fragwürdigen Vermittlerleistungen sind es schließlich auch, mit denen Faustus sich den Mächtigen der Welt andient. Das sollte unser Eingangsbeispiel aus der Historia illustrieren: Wenn Faustus, wie berichtet, vor den Augen des erstaunten Kaisers die Größen der Vergangenheit beschwört, unternimmt er genau jene Vermittler- oder Übersetzerdienste, die sich die Renaissance zu ihrem Programm gemacht hat und die doch immer prekär, umstritten und umkämpft bleiben. Die kulturellen Kampflinien der Zeit durchkreuzen sich auf diese Weise in der Faustus-Figur wie im Mythos, der sie prägt.

Damit sollte die eingangs aufgestellte These ausgeführt und in ihrem Kern begründet sein. In Doktor Faustus, so hat sich gezeigt, sieht die Gelehrtenwelt der Renaissance einen Zwischengänger, der die Ungewissheit ihrer eigenen Zwischenstellung figuriert – sei es die zwischen Gott und Teufel oder zwischen der Autorität des Alten und des Neuen oder auch zwischen Selbsterhöhung und christlicher Demut. In jedem dieser Fälle wird der Zwischengänger Faustus dämonisiert, ausgegrenzt, ausgewiesen, um so die eigene Position von neuem abzusichern.

Was bislang noch nicht diskutiert wurde, betrifft den zweiten Aspekt dieser These: dass es sich bei solcher Zwischengängerei ausdrücklich um einen Akt der Performanz und des Theaters handelt, dass Faustus also seine wirkungsvollste Rolle als Spielfigur auf dem Theater findet. Die Kultur- und Religionskonflikte, die in dem Faustus-Mythos ausgetragen werden, lassen sich erst dann wirklich verstehen, wenn wir den Blick auf die Bühne richten, d. h. auf Christopher Marlowe und seine englische Bühnenversion der Historia, die schon bald nach 1600 über Wanderschauspielgruppen den Weg zurück nach Deutschland findet.

BÜHNE UND BLICKE

Zu Marlowes Tragical History of Doctor Faustus ist gewiss sehr viel mehr zu sagen, als im Rahmen und zum Ende dieses Beitrags möglich ist. Deshalb soll an dieser Stelle nur eine einzige Szene exemplarisch betrachtet werden, weil sie das bisher Ausgeführte mit den Mitteln des Theaters wiedergibt und zugleich auf interessante Weise steigert. Es handelt sich um den bereits bekannten Auftritt Faustens vor dem Kaiser und seine Beschwörung Alexanders. In Marlowes Bühnentext wird diese Begegnung wie folgt formuliert:

EMPEROR:

Wonder of men, renowned magician,

Thrice-learned Faustus, welcome to our court. […]

FAUSTUS:

The Doctor stands prepared, by power of art,

To cast his magic charms […]

To compass whatsoe’er your Grace commands.

BENVOLIO (aside):

Blood, he speaks terribly! But for all that, I do not greatly

believe him. He looks as like a conjuror as the Pope to a

coster-monger.

EMPEROR:

Then, Faustus, as thou late didst promise us,

We would behold that famous conqueror,

Great Alexander, and his paramour,

In their true shapes and state majestical,

That we may wonder at their excellence.

FAUSTUS:

Your Majesty shall see them presently. […]

BENVOLIO:

Well, Master Doctor, an your devils come not away quickly,

you shall have me asleep presently. Zounds, I could eat myself

for anger, to think I have been such an ass all this while, to

stand gaping after the devil’s governor, and can see nothing.

FAUSTUS:

I’ll make you feel something anon, if my art fail me not. […]

And I’ll play Diana, and send you the horns presently.

Sennet. Enter at one the EMPEROR ALEXANDER, at the other DARIUS. They meet. DARIUS is thrown down; ALEXANDER kills him, takes off his crown, and, offering to go out, his PARAMOUR meets him. He embraceth her and sets DARIUS’ crown upon her head, and coming back, both salute the EMPEROR, who, leaving his state, offers to embrace them, which FAUSTUS seeing, suddenly stays him. Then trumpets cease and music sounds.

My gracious lord, you do forget yourself.

These are but shadows, not substantial.

EMPEROR:

Oh pardon me, my thoughts are so ravished

With sight of this renowned Emperor,

That in mine arms I would have compassed him. […]

FAUSTUS:

Away, be gone.

Exit SHOW:

See, see, my gracious lord, what strange beast is yon, that

thrusts his head out at window?

EMPEROR:

Oh, wondrous sight! See, Duke of Saxony,

Two spreading horns most strangely fastened

Upon the head of young Benvolio! […]

BENVOLIO:

Zounds, Doctor, is this your villainy?

FAUSTUS:

Oh, say not so, sir. The Doctor has no skill,

No art, no cunning, to present these lords

Or bring before his royal Emperor

The mighty monarch, warlike Alexander.

If Faustus do it, you are straight resolved

In bold Acteon’s shape to turn a stag.

And therefore, my lord, so please your majesty,

I’ll raise a kennel of hounds shall hunt him so

As all his footmanship shall scarce prevail

To keep his carcass from their bloody fangs.14

Auch ohne den Bühnendialog in allen Einzelheiten nachzuzeichnen, lässt sich sagen, dass die Handlung dieser Szene recht genau der schon bekannten Version der Historia folgt, die dem Dramenautor offensichtlich in englischer Übersetzung vorgelegen hat. Daher soll hier nur auf zwei entscheidende Punkte hingewiesen werden, die von der Vorlage signifikant abweichen (und in der zitierten Passage fett markiert sind). Das betrifft zunächst die Reaktion des Kaisers. Ganz wie in der Historia will er die Erscheinung umarmen und wird von Faustus zurückgewiesen, gibt dann jedoch eine interessante Begründung seines Verhaltens: „my thoughts are so ravished / With sight“. Der Anblick habe ihn überwältigt, ja vergewaltigt. Was damit angesprochen wird, ist die Macht des Blicks und die Verführbarkeit durchs Zuschauen. Diese Macht aber wird nicht nur angesprochen, sondern vollzieht sich auch zugleich, und zwar vor und mit unseren eigenen Augen. Anders als bei der Historia nämlich handelt es sich hier ja um ein Bühnendrama. Die Erscheinung Alexanders wird nicht erzählt, sondern vollzogen oder vorgeführt, jedenfalls ereignet sie sich hier und jetzt auf dem Theater. Wir können unsererseits dem Kaiser zusehen, wie er Alexander ansieht, so dass die Äußerung des Kaisers über die Verführungskraft des wunderbaren Anblicks gleichermaßen auf uns selbst zutrifft. Das Theater verdoppelt sich gewissermaßen, denn Faustens magischer Vermittlungsakt erscheint hier als ein Spiel im Spiel und führt uns körperlich vor Augen, wie eine Theatervorstellung vor sich geht.

Die lange Regieanweisung in der Mitte (im Zitat kursiv gesetzt) gibt das Bühnengeschehen genau wieder. Es beginnt mit einem Trompetensignal, bevor die Figuren auftreten, kulminiert in der Verbeugung der Darsteller vor dem Monarchen und zeigt die Beschwörungsszene damit auf genau dieselbe Art wie eine zeitgenössische elisabethanische Dumb SHOW vor sich geht (am Schluss heißt es ja auch wörtlich „Exit SHOW“). Das Rollenspiel des Theaters wird damit zum Rollenspiel auf dem Theater und zieht auf diese Weise das gesamte Publikum in den Bannkreis einer theatralen Selbsterkundung und kulturellen Reflexion.

Aus diesem Grund, so meine ich, lässt sich der Faustus-Mythos zutreffend als ein Theater-Mythos auffassen, denn solche Selbstreflexion – was ja nichts anderes als Selbstbeobachtung eines Beobachters bedeutet – ist es eben, was das frühneuzeitliche Theater beabsichtigt und für die Kultur der Renaissance leistet. Was der Faustus-Figur an magischer Macht und Praxis zugeschrieben wird, entspricht exakt der Macht und Praxis des Theaters: Verstorbene zu neuem Leben zu erwecken. Im Rahmen der mantischen Künste nennt man diese Kunst „Nekromantie“, was ja, wie wir an der Visitenkarte sehen konnten, zu Faustens Berufsbezeichnungen gehört. Im Rahmen des Theaters aber nennt man diese Kunst schlicht „Schauspielkunst“, denn das genau unternimmt ja jeder Schauspieler, wenn er vor unseren Augen einer historischen Figur, die längst verstorben ist, für die Dauer einer Aufführung neues Leben gibt. Heutzutage scheint uns dieser magische Theater-Akt vielleicht nicht mehr bemerkenswert, für die Renaissance jedoch lag darin etwas ebenso Faszinierendes wie Beunruhigendes – wie ist es möglich, dass wir als Zuschauer mit einem Mal die alten Helden leibhaftig vor Augen haben? –, weshalb die Schauspielkunst in England in der Tat lange heftig umkämpft war und gerade von den glaubensfesten Protestanten kategorisch abgelehnt wurde.

Die besondere Pointe der Kaiser-Szene in Marlowes Stück ist allerdings, dass ihr diese ablehnende, theaterfeindliche Position bereits eingeschrieben ist. Das ist der zweite Punkt, der daran kurz betrachtet werden soll. Der Kaiser ist keineswegs der einzige Zuschauer der Alexander-Erscheinung auf der Bühne. In seinem Gefolge gibt es eine weitere Figur, einen Höfling namens Benvolio, der ebenfalls dem Spiel im Spiel zusieht, sich allerdings ganz unbeeindruckt davon gibt. Für ihn ist Faustus schlicht ein Schwindler oder Aufschneider, dessen Kunststücken man besser keinen Glauben schenken sollte. Damit entspricht die Position dieses Höflings recht genau jenen gelehrten Autoritäten des 16. Jahrhunderts, die, wie wir gesehen haben, Doktor Faustus grundsätzlich als Negativbeispiel darstellen, ihn als Scharlatan verurteilen, ausweisen und sich mit seiner Magie nicht weiter einlassen wollen. Interessant ist allerdings, was bei Marlowe mit dieser Figur passiert. Faustus reagiert auf die Kritik und kündigt an, er werde sich an Benvolio rächen, indem er ihm ein Geweih aufsetzt. Und eben dies geschieht: „In bold Acteon’s shape to turn a stag“, wie es gegen Ende der Passage im Text heißt. Diese Formulierung gibt einen präzisen Hinweis auf einen weiteren Mythos, den die Renaissance aus der Antike übernommen hatte, den Aktaion-Mythos. Dieser erzählt von einem Jäger, der einst Diana heimlich beim Baden zusah, zur Strafe von ihr in einen Hirsch verwandelt und anschließend von seinen eigenen Jagdhunden in Stücke gerissen wurde.

Für Marlowes Publikum war dies zweifellos eine bekannte Geschichte. Mit der Figur des lüsternen und gestraften Jägers erzählt sie von der Lust am Schauen und von der machtvollen Gefahr, in die man sich durchs Zuschauen begibt. Damit aber erzählt sie wiederum von der Macht und Gefahr des Theaters, wo wir ja gleichfalls zuschauen und alle Lust daraus gewinnen. Wieder also geht es um die Verführbarkeit durchs Auge – und darum ist es, wie erwähnt, so vielsagend wie stimmig, dass bei Faustens schauerlichem Ende ausgerechnet die Augen übrigbleiben und auf dem Boden herumkullern. Ganz offensichtlich bilden sie das entscheidende Organ, um das es geht. Auf diese Weise dienen in Marlowes Bühnenversion der Geschichte der gebannte Kaiser wie sein gestrafter Höfling zur Reflexion auf das performative Medium des Theaters, das hier zum Einsatz wie auch zur Betrachtung kommt. Solche Reflexion und Selbstreflexion aber, in der sich das Bewusstsein für die eigene Kontingenz ausdrückt, lässt sich im Übrigen als Kennzeichen eines spezifisch modernen Bewusstseins sehen. Mit der Arbeit am Mythos der europäischen Theaterfigur Doktor Faustus arbeiten wir also an einer Geschichte der europäischen Modernisierung.