Kitabı oku: «Joe Cocker - Die Biografie», sayfa 2

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Cocker, der Stimmkünstler, der Magier der Töne, wurde mit seinem Gesang nun zu einem Maler und Regisseur zugleich. Er projizierte Bilder auf eine Leinwand und lieferte gleichzeitig den Soundtrack dazu. Was bleibt, ist die Macht der Klänge. Klänge, die die Kraft haben, Erinnerungen zu wecken, Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Erinnerungen an Bilder, die man gerne wiedersieht, Erinnerungen, die man gerne auffrischt. Erinnerungen an die erste Liebe, an das erste Konzert, an erste Reisen in große Städte, in ferne Länder. Assoziationen von Freiheit, von gelebtem Leben und Gefühlen. Erinnerungen an Ereignisse wie Woodstock, den Mauerfall oder Liebesfilme wie „Ein Offizier und Gentleman“, oder eben „9 ½ Wochen“. Und wenn ein Künstler mit seiner Kunst Dekade für Dekade immer wieder neue Bilder zu schaffen weiß, wird er zum Ausnahmekünstler.

Joe Cocker hat gleich ein ganzes Bilderbuch gemalt: „With A Little Help From My Friends“ steht für die 60er-Jahre, „Mad Dogs & Englishmen“ und „Wasted Years“ stehen für die 70er-Jahre, „Up Where We Belong“, „You Can Leave Your Hat On“ und „Unchain My Heart“ für die 80er sowie „Night Calls“, „Sail Away“, „First We Take Manhattan“ und „She Believes in Me“ für die 90er, „Respect Yourself“, „Hard Knocks“ und „Fire It Up“ schließlich stellvertretend für den 30 Jahre anhaltenden kommerziellen Erfolg Joe Cockers auch im neuen Jahrtausend.

Und erfragt und erkundet man immer und immer wieder das Besondere an Cocker, dessen Leben, dessen Kunst und dessen Stimme, scheint es, als hätte Peter Maffay bei seinem Sinnieren über den „9. Ton“ einer Tonleiter recht, wenn er schreibt: „Der neunte Ton ist der gute Ton. Ohne ihn wären die Musiker eines Orchesters nicht in der Lage, harmonisch miteinander zu musizieren. Dieser 9. Ton steht für respektvolles Zusammenspiel … Er steht dafür, Dialoge zu entfachen, andere glücklich zu machen, sich zu öffnen, um andere zu berühren …“ Und: „Der neunte Ton ist eine nie endende Herausforderung.“ Vielleicht ist es das, was Cocker über die Jahre so erfolgreich machte, obwohl er nach steilem Bergaufstieg tief fiel, lange liegen blieb, oft dabei noch getreten wurde, und irgendwann doch wieder zu sich kam und bedacht die Dinge anging, sich schonte und ohne Groll und Hass jenen gegenüber, die ihn traten, wie ein Phönix aus der Asche in die Lüfte stieg und von da an nie wieder zurückschaute.

„Musik gehört zu den merkwürdigsten Phänomenen, die die Menschen jemals hervorgebracht haben“, sinnierte Cocker schon in den 70ern bei Gesprächen während der „Mad Dogs & Englishmen“-Tournee. „Essen, Trinken und Schlafen erfüllt einen evolutionären Nutzen, niemand aber braucht Musik und deren Klänge, Töne und Melodien. Und dennoch haben wir Hunger nach ihnen, bewegen wir uns nach ihnen, machen unsere Stimmungen davon abhängig und können uns kein Leben ohne sie vorstellen.“

Wenn man von der sogenannten zeitgenössischen Musik ausgeht, deren Vertreter Joe Cocker war, ging es bei seinen präferierten Musikstilen um die des Rock & Pop, genauer, vor allem um die des Blues und Souls. Viele Rockbands der 60er-Jahre, besonders in Großbritannien, nahmen den amerikanischen Blues als Basis für ihre Musik und reimportierten ihn während der sogenannten „British Invasion“ zurück in die USA. Auch dort wurde er wieder von zumeist weißen Rockmusikern aufgegriffen. Populäre Musiker und Bands wie The Doors, Led Zeppelin, Jimi Hendrix, Eric Clapton, Alvin Lee, Peter Green, The Rolling Stones und Rory Gallagher waren sowohl vom akustischen als auch vom elektrischen Blues beeinflusst und leiteten davon ihren eigenen Stil ab, den Bluesrock. Joe Cocker bedauerte immer, kein Instrument zu spielen, nicht gerne Songs zu schreiben, die Tonleiter nicht zu beherrschen … „Ich brauche eine Komposition eigentlich nur einmal zu singen, und schon fühle ich, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Aber in welcher Tonart sie liegt, weiß ich nicht. Für mich ist ein Song ein Medium, beim Singen vollziehe ich eine mentale Transformation. Aber eigentlich kann man das einem Außenstehenden gar nicht erklären.“ Und: „Viele halten mich bloß für einen Bluessänger. Ich bin ein sehr natürlicher Sänger, alles, was aus mir herauskommt, passiert spontan. Ich kann keine Noten lesen, und auch mit der Tonleiter habe ich mich eigentlich nie beschäftigt. Anfangs sang ich meine Songs ein oder zwei Tonlagen tiefer, ich wusste ja gar nicht, dass ich auch höher kommen konnte. Ich bin mein Leben lang ohne Lehrer ausgekommen. Manchmal stößt man aber auch an seine Grenzen. Als ich vor ein paar Jahren in London mit Eric Clapton auf der Bühne stand, fragte der Meister mich, in welcher Tonart der Song sei, den wir als Nächstes spielen wollten. Da musste ich leider passen.“

Diese Art von Antwort passte zu Joe Cocker. Ob in den 80ern, in den 90ern oder in den 2000ern, Cocker war in seinen Gesprächen stets offen und ehrlich gewesen. Meist sogar zu ehrlich und offen, und noch häufiger auch geradezu ungeschickt. Besonders in den 70ern und 80ern wurde er in Interviews gerne über Alkoholexzesse und Drogeneskapaden ausgefragt, die ihn wie einen naiven Menschen erscheinen ließen. Naiv war er aber nicht, eher gutmütig und gutgläubig. Letzteres wohl gerade zu Beginn seiner Karriere viel zu sehr. Mit zunehmender Erfahrung veränderte sich dann aber auch sein Gesprächsverhalten, manchmal sogar bis hin zur „Gesprächsunwilligkeit“. Cocker hatte gelernt, mit den Medien professionell umzugehen, ließ sich nicht mehr aushorchen und verwehrte auch schon mal Interview-Anfragen wie etwa beim St. Wendeler Open Air 1989. War es in den 90er-Jahren noch häufig möglich gewesen, kurzfristig und spontan Interviews oder Kurzgespräche während Konzertreisen oder bei Verleihungen von Awards zu erhalten, war es ab den 2000ern zunehmend schwieriger geworden. Die Auflagenhöhe entschied über die Gesprächsvermittlung. Massenmedien und Medienmultiplikatoren hatten Vorrang gegenüber Einzelinterviews unbedeutenderer Gesprächspartner. Roundtables wie etwa am 18. Oktober 1991 im Kölner Hyatt, bei dem Joe Cocker mehreren Journalisten, darunter auch Eric Rauch von „promoteam.de“, gleichzeitig im Rahmen kleiner Tischgespräche Rede und Antwort stand, waren gern geführte Interview-Arten. Pressekonferenzen wie etwa im Frühjahr 1996 in Berlin für die „Beck’s – Sail Away-Tournee“ oder 2004 wegen seiner Teilnahme an der „Nokia Nights of the Proms“-Tour ergänzten die Skala der Möglichkeiten für den Erhalt von O-Tönen Cockers.

Doch egal, unter welchen Umständen ich mit Joe Cocker sprechen konnte, zumindest ab den 90ern ergab sich für mich das Bild eines – endlich – bei sich angekommenen Mannes, der mit sich und seinem Leben im Reinen war. Manchmal wirkte er noch immer gehetzt, manchmal wortkarg, manchmal redselig, aber stets höflich. Sätze wie: „Den Blues nenne ich einen Schrei nach Identität. Es ist meine einzige Gnade, meine Rettung, dass ich ihn singen kann. Den wahren Blues werden die Menschen nie satt haben. Vielleicht liegt aber auch die ganz große Zeit für den Blues erst noch vor uns“, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Sätze wie diese, selbst wenn sie sich über die Jahre wiederholen und sich auch in Interviews mit Kollegen wiederfinden, machen diese Gespräche wertvoll. „Was mich stets faszinierte, war die Kraft seiner Klänge“, sagte Joe Cocker über den Blues, und mich wiederum faszinierte der Klang seiner Stimme, als er dergestalt über den Blues philosophierte.

Sein gesprochenes Wort war der Spiegel seines gesungenen Wortes. Was immer bleibt und was seine Wirkung ausmacht, ist Joe Cockers Stimme. Immer wieder drehte sich alles nicht um seine Performance, nicht um seine Songwriter-Qualitäten, sondern immer nur um seine Stimme, die es über ein halbes Jahrhundert geschafft hat, Menschen in ihren Bann zu ziehen, ihnen den Atem zu rauben und sie emotional abzuholen.

Cocker wirkte. Cockers Bestreben nach Vielfalt und nach Entwicklung erklärte seine fortwährende Relevanz für jede nachwachsende Generation von Musikliebhabern. Joe Cocker war eben einer der ganz großen Sänger unserer Zeit. Seine Stimme war pure Naturgewalt, kraftvoll, expressiv und mit Sicherheit die eigenwilligste im weiten Rund der populären Musik. Ob Balladen, Soul-Stomper, Blues-Urgesteine oder geradlinig strukturierte Popsongs, seine Gabe, Lieder anderer Interpreten in neue Dimensionen zu bringen, machte ihn zur dauerhaft strahlenden Lichtgestalt im niemals endenden Rockzirkus.

Aber Cockers Musik lässt sich nicht wirklich definieren oder etikettieren. Cockers Musik ist eher ein Konglomerat von Klängen, die sich mit nichts, was andere Künstler in diesen Genres tun, vergleichen lässt. „Es gibt einen Grund dafür, dass die Leute die Songs hören wollen, für die man bekannt ist. Sobald die ersten Akkorde von einem Song wie ‚You Can Leave Your Hat On‘ erklingen, wird den Leuten irgendwie anders. Es fasziniert mich, auf der Bühne zu stehen und das zu beobachten. Frieden und Liebe gehen dabei Hand in Hand mit Musik, das war immer meine Philosophie. Musik hat eine heilende Kraft. Die Leute kommen zu mir und bedanken sich für Lieder, die ihnen durch schwere Zeiten geholfen haben. Als ich die Songs aufnahm, hatte ich das nicht im Sinn. Von Musik und ihrer Wirkung geht immer etwas Geheimnisvolles aus. Vielleicht verstehen wir sie erst, wenn wir in sie eintauchen und begreifen, wie sie entsteht, und lernen, wozu sie im Stande ist.“

Nichts ist wirkmächtiger als Musik, das spürte man nicht nur ab der ersten Minute eines Joe-Cocker-Konzerts. Es dauerte keinen Song, ohne dass Cocker nicht bereits wie ein Schwerstarbeiter schwitzte. Zu Beginn der 80er, als sein Körper begann, ein wenig fülliger zu werden, waren spätestens nach drei Songs sein T-Shirt und Haar schweißdurchtränkt. Und sein Publikum? Es wartete geradezu sehnsüchtig darauf, dabei zuzusehen, wie sich Cocker durch diese Klangwelten schuftete, um seinen Fans einen Weg durch seine musikalische Welt zu ebnen. So war es früher, und so war es später. Nach dem ersten Song zog Cocker, mittlerweile altersbedingt noch etwas fülliger geworden, sein Sakko aus, als würde er sich langsam so richtig an die Arbeit machen. Ab dem ersten Ton begann er das Publikum in den Bann zu ziehen. „Er verzerrt und verzieht sein Gesicht in wilden Grimassen vor Anstrengung über dem Hin und Her seiner spastischen Bewegungen und amotorischen Schritte. Er rudert mit den Armen, steht wie im Sturz, reißt winzige Fingerbewegungen und Gesten an wie Streichhölzer, reißt sich an den Haaren, reißt die Augen weit auf, als würde er gerade aus einem fürchterlichen Schlaf in fremder Landschaft aufwachen: ein Diktator der Gefühle in einem Irrgarten unerlöster Leidenschaften“, schrieb darüber der KÖLNER STADTANZEIGER und beschrieb seinen Eindruck weiter mit den Worten: „… Ein Gequälter, wie ihn Hieronymus Bosch gemalt haben könnte: mit herausgestülpter Zunge zwischen den unregelmäßigen Zähnen und einer Stimme, die ihm auch aus den Augen herauszutreten scheint. Er sieht nicht gut aus, und keine seiner Bewegungen ist elegant. Alles an ihm dient nur der spannungsvollen Verletzlichkeit der Schönheit seiner Lieder. Er singt nicht mehr, er lässt sich singen, wird gesungen von einem Gesang aus der Vorzeit der Sprache, bevor sie in ihrer jetzigen Form erkaltete. Nach dem Auftritt sackt er ausgepumpt in sich zusammen, wie zurückgelassen von einem fürchterlichen Dämon. Er wankt zur Seite, in den Schatten der Bühne. Im Dunkel der Ecke umarmen ihn die Musiker seiner Band. ‚Verdammt, ich wusste gar nicht, dass die Halle so groß ist‘, keucht er, ‚ich hatte nur ein paar hundert Leute erwartet‘, bevor ihn das Gellen der Menge zur Zugabe schon wieder hinausruft, damit er ihnen auch seinen letzten Rest noch gibt. Seine gekräuselten grauen Haare kleben ihm längst als nasse glatte Strähnen an den Schläfen, im Nacken und auf der Stirn. Und nun reißt er sich noch einmal hoch da vorne, steht noch einmal wie ein Denkmal, steht dann wieder schräg wie im Fall da, zieht den Kopf ins Hemd und kneift sein linkes Auge zu, weil er sonst den letzten hohen Ton nicht mehr erreicht: ‚You Are So Beautiful To Me.‘ Er quetscht und kaut und beißt die Töne, schindet sie so, wie sie ihn schinden, und heult in einem Lied mehr Schmerz und Zärtlichkeit aus sich heraus, als manch anderer sein Lebtag nicht aus dem Leib herauskriegt …“

Die Beschreibung einer Momentaufnahme, die Cocker mit den Worten zusammenfasste: „Es ist das, was das Publikum von mir erwartet. Würde ich es nicht so machen, wäre es nicht das, weswegen mein Publikum immer wieder kommt. Es möchte mich sterben und auferstehen sehen.“ Vielleicht ist es das, was man als „Magie“ in Cockers Stimme und Musik bezeichnen kann. „Erst wer so in die Musik eintaucht, versteht Musik“, sagte Cocker. „Erst dann begreift man, wie sie entsteht und woher sie kommt, aus den Tiefen des Inneren, und erst dann ist man in der Lage zu lernen, was sie bewirken kann.“

Eine Stimme wie die von Joe Cocker bringt auf eine spezielle Art die Luft zum Schwingen, und unser Gehirn bewertet diese zu Klängen werdenden Vibrationen als unverkennbare Musik.

Cocker aber präsentierte sie auf einzigartige Weise, die einprägsamen Strukturen und Melodien, und das nur mit seiner Stimme. Er zerlegte die Tonfolgen nicht in undurchdringbare Fragmente, er kombinierte sie nicht immer wieder neu, er schichtete nicht Instrumente übereinander. Er ebnete dem Zuhörer den Weg der Töne vom Gehör ins Gehirn, anstatt ihn in ein Labyrinth zu locken. Cocker verwendete die Struktur eines einfachen Popsongs, bei dem die typische Melodieabfolge selten länger als 30 Sekunden dauert und der mit keinen komplexen Texten aufwartet. Cocker schwieg aber auch, legte Pausen ein und offenbarte dem Zuhörer eines Liedes die Tatsache, dass ein Klang in die Tiefen der Bedeutungslosigkeiten stürzen würde, wenn es nicht sein Gegenteil gäbe: die Stille. Der imaginäre Raum ohne Vibrationen, Wellen und Schwankungen, ohne Bewertung und Orientierung. Plötzlich wird Stille zum lautesten Element, weil unser Gehirn sich danach sehnt, etwas bewerten zu können, sich orientieren zu können. Stille wird plötzlich zum mächtigsten Element der Wirkung von Musik. Es ist die Stille kurz vor dem Schrei. Die Stille kurz vor dem Falsett, also der um eine Oktave hochgestellten männlichen Sprech- oder Gesangsstimme, bei der die Stimmbänder nicht vollständig, sondern nur an ihren Rändern schwingen, wodurch ein weicher und grundtöniger Klang zustande kommt.

Joe Cockers berühmtestes Falsett ist sein Schrei in „With A Little Help From My Friends“, kurz davor wird eine Pause zur Steigerung der Stille „intoniert“. Die meisten hören den Schrei schon, bevor ihn Cocker aus sich herausholt. Die meisten kennen ihn, erwarten ihn, bewerten ihn, wie sie ihn schon immer gekannt, erwartet und bewertet haben. Sie kennen seine und ihre Geschichte, und das macht ihn vertraut. Sie kennen seinen Gesang und seine Stimme.

Der ROLLING STONE wählte 2008 Joe Cocker immerhin auf Platz 97 der weltweit besten Sänger aller Zeiten. „Es gilt, dem Song eine eigene kleine Geschmacksnote und Geschichte zu verpassen“, erläuterte Cocker sein Credo. Nicht mehr und nicht weniger. Und mit seiner ganz und gar unverwechselbaren Stimme glückte ihm das immer wieder neu …


Sheffield 1944 / A Singer is born: 20. Mai 1944 / Marjorie und Harold Cocker ziehen zwei Söhne groß / Kindheit im Umfeld der Tasker Road 38

Er war der lebende Beweis dafür, dass „man aus Sheffield kommen und wie ein Schwarzer aus Mississippi singen kann“, schrieb einmal der ROLLING STONE. John Robert „Joe“ Cocker kam aus Sheffield. Er wurde am 20. Mai 1944 geboren, sein Bruder Victor kam im Oktober 1940 zur Welt. Ihre Eltern waren Marjorie, „Madge“ genannt, und Harold Cocker, die 1937 geheiratet hatten. Madge zog zu Harold in dessen Elternhaus, eine Doppelhaushälfte in dem Vorort Crookes.

Damals war Sheffield die viertgrößte Stadt Englands und für die Produktion von „British Steel“ bekannt. Deshalb war der Ort, seit Beginn der Industrialisierung eine typische „Working Class“-Stadt, auch Ziel deutscher Bomber im Zweiten Weltkrieg. John Roberts Vater diente in der britischen Air Force und sah seinen Sohn erst, als der schon drei Monate auf der Welt war.

Heute hat die britische Stadt in South Yorkshire etwa 557.000 Einwohnern und ist Verwaltungssitz der Region Yorkshire and the Humber. Über das Stadtgebiet erstreckt sich hügeliges Bergland. Auf einem dieser Hügel befindet sich Joe Cockers Elternhaus in Crookes, Tasker Road 38, wo der kleine John Robert seine Kindheit und Jugend verbrachte und heranwuchs.

Bis Ende der 50er-Jahre jedoch wurde Sheffield „als ein Ort angesehen, an dem das Leben aus Arbeit und Schlafen bestand; das Nachtleben endete stets abrupt um zehn Uhr abends – und wenn man jemanden noch später auf der Straße sah, dann nahm man an, dass er entweder auf dem Weg zur Arbeit war oder von dort käme!“, erzählt Terry Thornton, ein wohlhabender Geschäftsmann sowie Eigentümer des Club 60 und später des Esquire, in dem Joe Cocker seine musikalische Karriere begann. Thornton sollte später auch Joe Cockers erster Manager werden. Anekdoten und Erinnerungen dieser Art fasste er in einem kleinen Büchlein zusammen. Thornton bot damals aufstrebenden einheimischen Musikern eine Plattform für erste Live-Auftritte. Zu dieser Zeit gab es wenig oder gar keine Abwechslung, besonders im Hinblick auf Attraktionen, die miteinander hätten konkurrieren können. Es gab weder Cafés noch andere Lokale, die nach zehn Uhr abends geöffnet hatten. Folglich existierte auch kein Ort, an den man nach einer Show oder Tanzveranstaltung hätte gehen können, und so fuhr man eben mit der letzten Straßenbahn, die pünktlich um 22:30 Uhr am Rathaus abfuhr, nach Hause.

In unseren Tagen könnte man Sheffield nach London, Liverpool und Manchester indes durchaus als kleines bedeutendes Zentrum der Pop- und Rockmusik nennen. Zu den bekanntesten Vertretern der Stadt neben Joe Cocker zählen The Human League, Def Leppard, die Arctic Monkeys oder auch Jarvis Cocker von der Gruppe Pulp, der jedoch nicht mit Joe verwandt ist, auch wenn er das augenzwinkernd manchmal behauptete, um Aufmerksamkeit zu erregen.

So viel zum privaten Umfeld eines der berühmtesten Söhne der Stadt, der auch noch nach dem Tod seines Vaters immer wieder gerne nach Sheffield zurückkehrte, teils um mit alten Freunden in Pubs zu gehen, um sich mit seinem Bruder zu treffen oder einfach nur, um ein Konzert während einer Englandtournee zu geben. Was sein muss, muss sein.


Sheffield in den 50ern / Aus John Robert wird Joe (1951) / Skiffeln auf dem Waschbrett (1955) / Joe gründet mit elf die erste Skiffle-Band namens „The Headlanders“ (1956) / Die Schule verliert an Reiz (1957) / Bilder von Ray Charles in Joes Schulheften und was daraus wurde (1959)

Sheffield in den 50ern befand sich im Aufbau. Nach dem Krieg war die gesamte Innenstadt stark zerstört. Die Kinder der Stadt spielten entweder in der Schule oder danach auf der Straße bzw. in Hinterhöfen und Gärten. John Robert war eines dieser Kinder, das auf der Straße aufwuchs.

Oft wurde John Robert alias „Joe“ gefragt, woher der „Nickname“ komme. „Das ergab sich so, einfach so beim Spielen als Kind, bei Cowboy- und Indianerspielen. Jeder gab sich einen Namen. Ich war ‚Cowboy Joe‘, und das blieb ich auch, einfach ‚Joe‘. Wir riefen uns irgendwann nur noch bei unserem ‚Spielnamen‘.“ Aber es gibt noch eine andere Version, die auf einen alten Fensterputzer namens „Joe“ verweist, über den sich die Kinder lustig machten. Sie nannten dann alle Spielkameraden „Joe“ Miller, „Joe“ Smith und eben auch „Joe“ Cocker. Doch egal, welche Version die richtige ist, bei kaum einem anderen blieb der Name „Joe“ so haften wie bei John Robert, der sogar recht schnell auch von seiner Mutter nur noch „Joe“ gerufen wurde. Joe gefiel das. Und seine Mutter freute es, wenn sie ihrem Sohn eine Freude machen konnte. Sein Bruder brauchte ein wenig, bis er die Verwandlung akzeptierten konnte, nur sein Vater machte das Spiel nicht mit und rief ihn bis zuletzt bei seinem Geburtsnamen.

Joe wuchs an einem Ort auf, den man ein „wohlbehütetes“ Elternhaus nennen könnte. Sein Vater bekam nach dem Krieg eine Anstellung beim National Assistance Board, was einem Job beim Arbeitsamt in Deutschland gleichkommt: öffentlicher Dienst, Festanstellung, geregelte Arbeitszeiten und sozusagen unkündbar. Nach der Arbeit verbrachte er viel Zeit im kleinen Garten der Doppelhaushälfte. Musikalisch war er von Oper und Klassik fasziniert, liebte Caruso und andere berühmte Tenöre. Von der aufkommenden Popmusik, vom Rock’n’Roll, Blues und Jazz wollte er nichts wissen. Dafür nahm er den jungen John Robert mit ins Kino, wo Vater und Sohn den Film „Der große Caruso“ sahen, ein Erlebnis, an das sich Joe bis zuletzt erinnerte, ohne dass er genau wusste, wie alt er damals gewesen war.

Joes Vater war eher ruhig und introvertiert, seine Mutter dagegen eher etwas extrovertiert. Sie war diejenige im Haus, die bei den Späßen des kleinen Joe mit herumalberte, sang und pfiff. Vic, Joes älterer Bruder, erzählte im englischen Fernsehen, dass „alle, die sie kannten, von ihr mit großer Zuneigung sprachen. Egal, wer bei ihr in ihrem Haus in der Tasker Road 38 vorbeikam, Freunde, Musiker und sogar Joes Fans aus aller Welt, die einfach nur mal schauen wollten, wo und wie Joe aufgewachsen ist, bekamen Tee und Kuchen angeboten. Meine Mutter hat sowohl Joe als auch mich stets dazu ermutigt, die Dinge im Leben zu tun, die wir tun wollten. Es gab nie Beeinflussung, immer nur Unterstützung.“

Musikalisch gab es zu Beginn der 50er-Jahre viele Veränderungen. Den Rock’n’Roll, wie man ihn aus den USA kannte, gab es im vom Weltkrieg geplagten Europa zunächst noch nicht. Das europäische Pendant zum Rock’n’Roll entstand in England mit dem Skiffle. Alexis Korner war einer der ersten britischen Vertreter dieser Aufbruchszeit. Die simpelste Form des Skiffles war eine Mischung aller bisher bekannten Musikformen der letzten Jahre, auf selbstgemachten Instrumenten wie etwa Waschbrettern, Kämmen mit Seidenpapier und Wäschekübeln dargeboten. Jene, die das Banjo-Spiel nicht beherrschten, obwohl aufgrund von nur vier anstatt den sechs Saiten einer Gitarre leichter zu erlernen, simulierten das Gitarrenspiel auf einem Tennisschläger.

Joe war begeistert vom Skiffle. Die Zeit des Zuhörens war bald vorbei, die Zeit des Selbermachens begann. Lonnie Donnegan und seine Skiffle-Band waren Joes erste Helden. Er gab sein ganzes Taschengeld für dessen Platten aus und besuchte ihn sogar einmal backstage, als der in Sheffield gastierte. Joe hatte übrigens immer Geld. Mal mähte er den Rasen für Nachbarn, mal trug er Zeitungen aus. Joe war immer bei Kasse.

Mit elf verließ er die Lydgate Lane Schule und wechselte zur Western Road Secondary Modern, aufs Gymnasium. Im Juli 1955, dem letzten Tag auf seiner alten Schule, demonstrierte er erstmals schauspielerisches Talent und mimte den Prinzen in einer Operette.

Joe galt überall als warmherzig und freundlich, manchmal als zu sorglos, aber immer schien er fröhlich und überschwänglich zu sein, und manchmal auch besitzergreifend, auf jeden Fall aber galt er als Persönlichkeit. In der Schule war er immer der, der am lautesten schrie oder vorneweg rannte.

„Er schien bei allen Kindern sehr beliebt zu sein, sowohl in der Schule als auch daheim“, erinnerte sich sein Vater bei einem Interview mit dem englischen Fernsehen.

Zwei Jahre besuchte er das Western-Road-Gymnasium, wechselte dann mit 13 an die Central Technical School und entdeckte zunehmend seine Leidenschaft für Rhythmus und Harmonien. 1956, als knapp Zwölfjähriger, gründete er schließlich seine erste Skiffle-Band namens „The Headlanders“. Sein Bruder Vic am Waschbrett, zwei Gitarristen und Banjo-Spieler sowie Joe. Seitdem war er wie besessen davon, Musiker zu werden. Zu Hause spielten er und seine Freunde im Wohnzimmer, da sie keinen Proberaum hatten und in dem kleinen Haus auch sonst kein Platz war, wo sie unbehelligt üben konnten. Seine Mutter erfreute sich an der Musik. Sein Vater ging derweil in den Garten.

Dem deutschen SPIEGEL antwortete Joe 1997 auf die Frage: „Wann haben Sie eigentlich zum ersten Mal bemerkt, dass Sie eine ganz besondere Stimme haben?“ mit der Bemerkung: „Daran erinnere ich mich noch genau. Ich war zwölf Jahre alt, saß in der Küche, und im Radio lief ein Lied von Lonnie Donnegan, dem König des Skiffles. Pure Energie. Ich war so außer mir, dass ich mich auf den Boden warf und laut mitgrölte. Junge, Junge, Adrenalin pur, das erste Mal in meinem Leben. Danach fing ich an, Platten zu kaufen, und ich konnte jede davon mitsingen. Eines Tages fragte mich dann mein großer Bruder, der eine Skiffle-Band hatte, mit Waschbrett und so, ob ich Lust hätte zu singen.“

Joes Vater war weniger begeistert: „Er mochte meinen Gesang nicht, obwohl, der war harmlos gegen mein Schlagzeug-Getrommel. Ich hatte eins, das nicht besonders gut war, aber sehr, sehr laut. Wenn ich übte, lief mein Vater Amok. Er sagte: ‚Rock’n’Roll, was soll das? Lern was Anständiges, mein Junge.‘ Tagsüber, wenn mein Vater nicht zu Hause war, konnte ich treiben, was ich wollte, meine Mutter war nämlich begeistert.“

Ganz so unwillig war Joes Vater dann aber doch nicht. Er schenkte seinem Sohn ein kleines Aufnahmegerät, mit dem er seine Skiffle-Songs aufzeichnen konnte. Denn Joe versuchte damals alles, was mit der da aufkommenden „neuen“ Musik zu tun hatte, zu sammeln und zu archivieren. Und er war stolz darauf, Künstler wie Buddy Holly und Jerry Lee Lewis live gesehen zu haben: „Buddy hat mich wirklich umgehauen!“

Doch irgendwann hörte er nur noch die Musik eines schwarzen Pianisten namens Ray Charles. Joe war völlig hin und weg von ihm und seiner Art zu singen. „Ich habe halt immer Ray Charles geliebt. Und Stevie Wonder. Und die haben sich auch immer so abgefahren bewegt. Natürlich lag das wohl auch an ihrem Blindsein. Zum Teil liegt es an meiner Frustration, selbst nicht Gitarre oder Klavier spielen zu können, dass mich diese Bewegungen durchlaufen konnten. Daher nutzte ich diese Bewegung, um meine Band anzufeuern, dass die Leute die Energie mitbekommen. Ich benutzte meinen Körper, um mich auszudrücken. Doch später ließ ich das, denn die Presse wurde darauf aufmerksam und fragte, ob ich vielleicht ‚spastisch‘ wäre. Was ich nicht als besonders freundliche Bemerkung empfunden habe“, kommentierte Joe seine Liebe zu Ray Charles und den Umgang mit seiner zeitweise als befremdlich empfundenen Bühnenperformance.

Niemand beeinflusste Joe mehr als dieser „eine Mischung aus Sex und Erlösung, aus Heiligem und Weltlichem, dem Jubel der Gospelsongs und der Bodenständigkeit des Blues“ fabrizierende Ray Charles, wie Arnold Shaw Rays Verbindung von Soul mit Blues und Big-Band-Begleitung oder dessen Performance alleine am Klavier einmal beschrieb. Er war so von Ray begeistert, dass er sogar seine Schulhefte mit Bildern von ihm vollmalte. Joe Cocker malte viele Bilder von Rockstars, aber von Ray malte er am meisten. „Er malte ein Ölporträt von Ray Charles“, erinnert sich Harold Cocker. „Er malte es auf eine Faserplatte, Kopf und Schultern … ich weiß nicht, wo es geblieben ist.“ Die Leidenschaft Joes für das Malen, die er in seiner Jugend entdeckt hatte, lag lange brach, aber im Alter habe er sie wiederaufleben lassen, erzählte er kurz vor seinem 70. Geburtstag: „Privat habe ich gerade das Malen für mich entdeckt. Es macht mir unheimlichen Spaß, mit Farben zu arbeiten, seit ich nach einer Augenoperation wieder richtig sehen kann.“

1959 eroberte Ray Charles mit seiner Eigenkomposition „What’d I Say“ die Hitparaden der Welt. „Ich stand eigentlich mehr so auf Rock’n’Roll-Platten, aber dann war da auf einmal diese magische Stimme, die aus meinem Transistorradio kam. Seine Stimme hatte es mir angetan. Ich raste los und kaufte mir die Scheibe, und auch Songs wie ‚I’m Moving On‘ und auch ‚I Believe To My Soul‘ machten mir klar, dass Ray Charles ‚es‘ hatte, und dass das, was er machte, nicht nur ‚smash‘ und ‚bang‘ war, sondern dass zum Rock’n’Roll ein wenig mehr gehörte.“ Der LOS ANGELES TIMES versuchte er seine Faszination einmal so zu erklären: „Wenn man das lange genug tut, dann erreichst du einen Punkt, wo du es plötzlich im Hinterkopf hast, wo der Einfluss ein Teil von dir selber wird und du anfängst, in einer ganz bestimmten Art zu singen, ohne besonders darüber nachzudenken. Wenn ich heute singe, dann kommt es so raus, wie es kommt, ohne dabei bewusst wie Ray Charles klingen zu wollen.“

1959 könnte man dementsprechend als Geburtsjahr desjenigen Künstlers bezeichnen, der später als Joe Cocker eine Weltkarriere machen sollte …

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