Kitabı oku: «Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen», sayfa 6

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2. Teil: Fälle mit Lösungen
I. Schwerpunkt: Polizeirecht
Fall 1: Brand im Altenheim

Schwerpunkte: Aufgabenzuweisung, sachliche (subsidiäre) Zuständigkeit, Generalklausel, Adressatenregelungen, Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen

Sachverhalt:1

Während einer Streifenfahrt bemerkt die Streifenwagenbesatzung (POK A und PK B) nachts gegen 02.30 Uhr einen Feuerschein in einem Zimmertrakt eines Alten- und Pflegeheimes. Das Feuer war in der dunklen Nacht von der Straße aus gut zu sehen und offenbar bisher von den Bewohnern oder von Außenstehenden noch nicht bemerkt worden. Die Beamten verständigen die Leitstelle. Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge werden angefordert. Sofort nach Eintreffen verpflichten sie den Pförtner, das Pflegepersonal und die Heimleitung zu verständigen und erste Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten. Ein Pfleger wird „beauftragt“, eine „Eimerkette“ zu organisieren und auf diesem Wege Löschwasser herbeizuschaffen. Danach versuchen die Beamten, zum Brandherd vorzudringen und nach möglichen Heimbewohnern in den Nebenzimmern Ausschau zu halten bzw. diese aus den Zimmern zu befreien. Durch die große Hitzeentwicklung jedoch kann dieses Vorhaben nicht verwirklicht werden. Der Flurbereich ist wegen des sich ausbreitenden Feuers nicht zugänglich. Um die Zimmer von außen erreichen zu können, wird ein Grundstücksnachbar verpflichtet, eine Leiter zur Verfügung zu stellen. Insgesamt können so 30 Heimbewohner aus dem Hause in Sicherheit verbracht werden. Die Feuerwehr kann den Brand letztlich unter Kontrolle bringen.

Aufgabe:

Beurteilen Sie rechtsgutachtlich die Verpflichtung an den Nachbarn, die Leiter zur Verfügung zu stellen.

Lösung:
I. Ermächtigungsrundlage

Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. Mit der Forderung nach der Herausgabe der Leiter greift die Polizei in das Recht des Nachbarn ein, zumindest zeitweise auf die Verfügung über sein Eigentum zu verzichten bzw. den Umgang mit seinem Eigentum durch andere zumindest zeitweise zu billigen (Grundrechtseingriff, Art. 14 GG: Recht auf freie Entscheidung der Nutzung des Eigentums). Eingriffsobjekt ist Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, da dieses Grundrecht nicht nur vor Eigentumsbeeinträchtigungen im engeren Sinnen, sondern auch vor Besitzentziehungen schützt. Ein Eingriff in die Eigentumsgarantie liegt dann vor, wenn eine schutzfähige Position entzogen oder ihre Nutzung, Verfügung oder Verwertung beschränkt wird. Ein Eingriff kann auch dann vorliegen, wenn faktisch oder mittelbar auf das Eigentum eingewirkt wird.2 Dieser Eingriff darf nur vorgenommen werden, wenn ein Gesetz der Polizei dieses erlaubt. Die von den Beamten getroffene Maßnahme ist dem Gefahrenabwehrrecht zuzurechnen, da die Maßnahmen nicht darauf abzielen, eine Straftat zu erforschen bzw. zu verfolgen. Hier geht es einzig und allein um die Abwehr von drohenden Lebens- und Gesundheitsgefahren. Insofern sind Ermächtigungsgrundlagen aus dem Polizeigesetz zu entnehmen. Die nach dem Vorbehalt des Gesetzes erforderliche Ermächtigungsgrundlage könnte sich aus § 8 Abs. 1 PolG NRW ergeben. Maßnahmen der Polizei, die von dem Pflichtigen ein bestimmtes Handeln, Dulden oder Unterlassen verlangen, sind Verwaltungsakte i. S. des § 35 Satz 1 VwVfG NRW.3

II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
a) Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit könnte sich aus § 7 Abs. 1 POG NRW ergeben. Hiernach sind örtlich zuständig die Polizeibehörden, in deren Polizeibezirk die polizeilich zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Hier bestehen Lebens- bzw. Gesundheitsgefahren für die Heimbewohner. Es sind polizeilich zu schützende Interessen gefährdet. Die örtliche Zuständigkeit regelt als Territorialzuständigkeit den räumlichen Bereich („Wirkungskreis“), innerhalb dessen eine sachlich und instanziell zuständige Behörde zu handeln befugt ist.4 Festgelegt wird der räumliche Tätigkeitsbereich der behördlichen Aufgabenwahrnehmung. Dabei handelt es sich bei den §§ 7 ff. POG NRW um verwaltungsorganisationsrechtliche Regeln, die den staatsrechtlichen Begriff der Gebietshoheit konkretisieren. Die örtliche Zuständigkeit setzt somit immer eine sachliche Zuständigkeit voraus. Dadurch wird verhindert, dass sich Behörden mit gleicher sachlicher Zuständigkeit ins Gehege kommen und sich dadurch unter Umständen gegenseitig behindern.5 Die örtliche Zuständigkeit folgte hier aus der Regelzuständigkeit § 7 Abs. 1 POG NRW; denn die Beamten haben ihre Aufgabe im eigenen Polizeibezirk wahrgenommen.

b) Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit könnte sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW ergeben. § 1 PolG NRW ist die Generalklausel des Polizeiaufgabenrechts. Sie statuiert den allgemeinen Grundsatz der polizeilichen Aufgabenzuweisung, gilt als solche jedoch nicht abschließend.6

Die aufgabenrechtliche Generalklausel ist in mehrfacher Hinsicht eine subsidiäre Regelung:

– Sie ist subsidiär gegenüber einem Anwendungsvorrang beanspruchenden höherrangigen Recht von Bund (Art. 31 GG) und EU

– Sie ist subsidiär gegenüber gesetzlichen Spezialregelungen des Landesrechts7

– Sie ist subsidiär gegenüber aufgabenbezogenen Spezialregelungen im PolG NRW selbst.8

§ 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW weist die Aufgabe der Gefahrenabwehr den Kreispolizeibehörden zu.9 Die eingreifenden Polizeibeamten mussten demnach Beamte einer Kreispolizeibehörde (§ 2 POG NRW) sein. Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt ist hiervon auszugehen. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW lagen demnach vor. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).

BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 – I C 31/72, NJW 1974, 807

Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehen mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.

Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Gefahr ist eine Sachlage, die einen Schaden für die öffentliche Sicherheit erwarten lässt. Das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger, die Unverletzlichkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Die öffentliche Ordnung wird als Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln angesehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens innerhalb eines Gebiets angesehen wird.10

Klausurhinweis: Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob das Vorliegen einer Gefahr schon bei der Feststellung der Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW zu prüfen ist. Ohne eine Gefahr handelt die Polizei nicht zur Gefahrenabwehr, auf der anderen Seite würde eine Erörterung der vielschichtigen Anforderungen einer Gefahrenlage unter dem Prüfungspunkt „Zuständigkeit“ Aspekte, die erst in der materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung unter dem Punkt „tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage“ zu behandeln sind, vorziehen. Überdies gibt es Ermächtigungen, die keine Gefahrenlage voraussetzen, gleichwohl aber zu Maßnahmen ermächtigen (z. B. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG NRW). Entgegen der hier favorisierten Lösung ist es somit vertretbar, bei der sachlichen Zuständigkeit lediglich auf den präventiven Charakter des Handlungswillens der Polizeibeamten abzustellen.11 Verfehlt wäre es indes, innerhalb der – zumeist unproblematischen – Zuständigkeitsprüfung – eingehend darzulegen, dass eine konkrete oder gar qualifizierte (z. B. gegenwärtige) Gefahr vorliegt. Eine solche Erörterung wirkt besonders befremdlich, wenn die spätere Eingriffsnorm überhaupt keine konkrete Gefahr voraussetzt (z. B. § 12 Abs.1 Nr. 2a PolG NRW).12

Im vorliegenden Sachverhalt stand schon ein Zimmer des Altenheimes in Flammen. Die Gefahr für zumindest die Einrichtung, also die Sachwerte, war schon realisiert. Im Heim befand sich eine unbekannte Zahl von Bewohnern, denen der Fluchtweg durch den Mittelgang versperrt war. Die Gefahr, dass die eingeschlossenen Heimbewohner körperlichen Schaden erleiden könnten, war gerade angesichts des körperlichen Zustandes der meist älteren Leute unmittelbar bevorstehend. Somit lag eine Gefahr sowohl für das Eigentum als auch für die körperliche Unversehrtheit der Heimbewohner vor.

Klausurhinweis: In der eingriffsrechtlichen Fallbearbeitung sind alle in Betracht kommenden Aspekte zu erörtern. Häufig verstößt ein Verhalten gegen (mehrere, vollständig zu nennende) Normen der objektiven Rechtsordnung und beeinträchtigt zugleich Individualrechtsgüter. Zwar würde ein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohender Schaden (bzw. eine bestehende Störung) für ein geschütztes Gut ausreichen, eine Gefahr zu begründen. Es kann jedoch für die Verhältnismäßigkeitserwägungen relevant sein, ob etwa neben eine Normverletzung zusätzlich die Gefährdung eines hochrangigen Rechtsgutes tritt (zum Verhältnis der öffentlichen Sicherheit zur öffentlichen Ordnung). Vorrangig sollten allerdings Verstöße gegen die objektive Rechtsordnung untersucht werden, zumal dies aus prüfungstaktischen Gründen eine Subsumtion unter die Voraussetzungen der möglicherweise verletzten Rechtsnorm ermöglicht.13

Unstreitig ist bei einer hinzutretenden Fremdgefährdung das Interesse des Staates an gefahrenabwehrendem Handeln gegeben. Die Ursache für die Fremdgefährdung ist dann zweitrangig (durch andere Personen oder durch sonstige Gefahrenquellen, z. B. Brandgefahr). Es besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Öffentliches Interesse ist vorliegend gegeben. Die Beamten wurden zur Abwehr dieser Gefahren tätig. Sie waren somit nach § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 PolG NRW sachlich subsidiär zuständig. Der in § 1 Abs. 1 Satz 4 PolG NRW auferlegten Pflicht zur Benachrichtigung der originär zuständigen Behörden kamen die Beamten durch den Anruf bei der Feuerwehr nach.

Das PolG NRW folgt dem Grundsatz, dass Gefahrenabwehr primär den dafür zuständigen Behörden der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsverwaltung obliegt. Das Gefahrenabwehrrecht von Nordrhein-Westfalen zeichnet sich durch eine formelle und materielle Trennung von Polizei und Ordnungsbehörden aus.14 Die Regelungen der jeweiligen Aufgaben und Befugnisse finden sich in unterschiedlichen Gesetzen: einerseits im Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) sowie andererseits im Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG NRW). Dabei ist von einem grundsätzlichen Vorrang des ordnungsbehördlichen Handelns auszugehen. Die Polizei wird in der Regel erst dann tätig, wenn ein Handeln der anderen Gefahrenabwehrbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (§ 1 Abs. 1 Satz 3 PolG NRW: Grundsatz der Subsidiarität). Dieses Prinzip der Eilzuständigkeit wird auch als „Recht zum ersten Zugriff“ bezeichnet, obwohl sich hieraus keine formelle Berechtigung gegenüber der an sich zuständigen Behörde ergibt.15 Allerdings wird der häufig zu lesende Hinweis, die Polizei sei hier nur in „Eil- und Notfällen“ zum Handeln berufen, der Realität polizeilicher Einsätze nicht gerecht: Meist ergibt sich die Zuständigkeit schon allein daraus, dass die Polizei als erste Gefahrenabwehrbehörde vor Ort ist. Nur wenn das Eintreffen der Ordnungsbehörden abgewartet werden kann, hat die Polizei in diesem „subsidiären“ Handlungsfeld die Ordnungsbehörden gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 PolG NRW unverzüglich von allen Vorgängen zu unterrichten, die deren Eingreifen erfordern.16 Diese Unterrichtungspflicht ergänzt die Regeln über das Verhältnis der Polizei zu den anderen Behörden der Gefahrenabwehr, um einen möglichst lückenlosen Schutz der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten, der unter Zuständigkeitsabgrenzungen mehrerer Behörden nicht leiden soll. Die Unterrichtungspflicht besteht nur bei solchen Vorgängen, die ein weiteres Tätigwerden der in erster Linie zuständigen Behörde erfordern.

Auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Satz 4 PolG NRW ist die Unterrichtung aber nur insoweit zulässig, als sachbezogene Daten mitgeteilt werden. Zur Übermittlung personenbezogener Daten bedarf es einer speziellen Ermächtigungsnorm (§ 27 PolG NRW).17

2. Verfahren

Polizeiliche Verfügungen als Eingriffsverwaltungsakte lösen grundsätzlich eine Pflicht zur Anhörung aus (§ 28 Abs. 1 VwVfG NRW). Von der Anhörung kann gem. § 28 Abs. 2 VwVfG NRW unter den dort genannten Voraussetzungen abgesehen werden.18 Der Verwaltungsakt ist entsprechend § 41 Abs. 1 VwVfG NRW bekannt zu geben.

3. Form

Gem. § 37 Abs. 2 VwVfG NRW kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden.19 Bei den mündlich erlassenen Verwaltungsakten nach § 37 Abs. 2 VwVfG NRW handelt es sich typischerweise um Verwaltungsakte der (Vollzugs-)Polizei nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

Fraglich könnte sein, ob dieses Herausgabeverlangen durch die Polizei eine Sicherstellung gem. § 43 PolG NRW sein könnte. Aus dem Sinn der Norm, insbesondere aus der gesetzlichen Vorgabe, wie mit der sichergestellten Sache umzugehen ist („sichergestellte Sachen sind in Verwahrung zu nehmen“ – § 44 Abs. 1 PolG NRW), ist zu entnehmen, dass die Sicherstellung der Abwehr der Gefahr dienen soll, die von der Sache selbst ausgeht oder zumindest durch sie verursacht wird. Hier aber geht von der Leiter keinerlei Gefahr aus, vielmehr wird sie selbst zur Gefahrenabwehr benötigt. Es liegt mithin kein Anwendungsfall des § 43 PolG NRW vor. Soll eine Sache, der weder eine Gefahr droht noch von der eine Gefahr an sich ausgeht, vorübergehend zur Gefahrenabwehr genutzt werden, so ist das aufgrund der Generalklausel möglich.20 Die Generalklausel des PolG NRW ist jedoch nur dann anzuwenden, wenn eine Spezialnorm diesen Bereich nicht erfasst. Auf § 8 Abs. 1 PolG NRW können nur sog. atypische Maßnahmen gestützt werden, d. h. solche, die nicht in den §§ 9 ff. PolG NRW oder in anderen Rechtsvorschriften i. S. des § 8 Abs. 2 speziell geregelt sind. Eine solche Spezialnorm könnte § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung) sein. Zwar dient diese Vorschrift der Abwendung von Gefahren für Individualrechtsgüter in Not geratener Personen. Hier ist aber Ziel der Norm, ein bestimmtes, nicht hinzunehmendes Verhalten unter Strafe zu stellen, nicht jedoch eine Basis zu schaffen für Verfügungen öffentlich-rechtlicher Art. Insofern scheidet § 323c StGB hier aus. Da eine andere Norm diesen Sachverhalt nicht speziell regelt, bleibt nur der Rückgriff auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW.21

Generalklauseln sind gesetzliche Ermächtigungen, mit denen die Gesetzgeber durch allgemein gehaltene Voraussetzungen (Prämissen) den Gefahrenabwehr- oder Strafverfolgungsbehörden die notwendige Befugnis einräumen, besondere Anordnungen und geeignete Rechtsfolgen zu treffen (§ 8 PolG NRW; § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO).22 Im Verhältnis zur Generalklausel besteht zugunsten der Standardermächtigungen ein Anwendungsvorrang (Sperrwirkung der Standardmaßnahmen). Ein Rückgriff auf die Generalklausel ist im Regelungsbereich der Standardmaßnahmen ausgeschlossen. Die Standardmaßnahmen (§§ 9–46 PolG NRW) gehen der Generalklausel nach dem Grundsatz leges speciales derogant legibus generalibus vor. Der den Rückgriff ausschließende Regelungsbereich bestimmt sich dabei nicht nach einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Standardbefugnisnorm, sondern nach der in der Rechtsfolge normierten behördlichen Maßnahme.23 Der Anwendungsbereich der Generalklausel ist in mehrfacher Hinsicht subsidiär:24

– Die Generalklausel des § 8 PolG NRW gilt nur im Anwendungsbereich des Polizeirechts

– Die Generalklausel des § 8 PolG NRW ist subsidiär anzuwenden, soweit das PolG NRW nur subsidiär Anwendung findet (§ 8 Abs. 2 PolG NRW)

– Die Generalklausel des § 8 PolG NRW gilt nicht im Anwendungsbereich der polizeilichen Standardmaßnahmen.

Auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 darf nicht zurückgegriffen werden, wenn es sich um Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nach den §§ 9 bis 46 handelt. Die Voraussetzungen für diese Maßnahmen sowie deren Art und Umfang sind in den genannten Vorschriften abschließend geregelt (VV 8.0 zu § 8 PolG NRW).

Beispiel:25 Der Polizeibeamte P möchte die Wohnung des X durchsuchen, um dort die Zündschlüssel des falsch geparkten Pkw des X zu finden. Die Voraussetzungen des § 41 PolG NRW liegen aber offensichtlich nicht vor. Die Maßnahme kann dann nicht („ersatzweise“) auf die Generalklausel gestützt werden, um die durch den Verkehrsverstoß entstandene konkrete Gefahr abzuwehren.

Die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW ist eine vollständige Rechtsnorm mit Tatbestand und Rechtsfolge.26 Sie besitzt auf Tatbestandsseite neben der konkreten Gefahr mit den Merkmalen öffentliche Sicherheit und Ordnung unbestimmte Rechtsbegriffe (ohne Beurteilungsspielraum) und auf Rechtsfolgenseite Ermessen, was durch den Begriff „kann“ ausgedrückt wird.27 Mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen ist die polizeirechtliche Generalklausel zwar in besonderem Maße der Auslegung und Konkretisierung bedürftig. Aber sie ist in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung28 und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt.29 Typische Maßnahmen auf der Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel sind z. B. die Gefährderansprache30, Meldeauflagen31 Blutprobenentnahmen aus präventiv-polizeilichen Gründen32 sowie insbesondere Nichtstörungsgebote („Unterlassen Sie nächtliche Telefonanrufe, Ruhestörungen“, Verbot, vor Geschwindigkeitsmessungen zu warnen usw.33).

Gem. § 8 Abs. 1 PolG NRW kann die Polizei notwendige Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende (mindestens konkrete) Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren34. Gefahr ist die objektive Möglichkeit eines Schadeneintritts durch regelwidrige äußere Einflüsse. Schaden ist jede Minderung des Bestandes an Lebensgütern, also nicht nur ein Vermögensschaden. Ziel der Verfügung ist es, die Leiter zum Zweck der Befreiung und Evakuierung der Heimbewohner aus ihren Zimmern verwenden zu können. Es sollen also Gefahren für Leben und Gesundheit der Zimmerbewohner abgewendet werden. § 8 Abs. 1 PolG NRW erlaubt, die Verfügung an den Nachbarn zu richten. Insbesondere war diese polizeiliche Verfügung auch notwendig. Andere, mildere Maßnahmen standen nicht zur Verfügung.

2. Besondere Verfahrensvorschriften

Über die (allgemeinen) Form- bzw. Verfahrensvorschriften aus dem VwVfG NRW hinaus sind keine besonderen Formvorschriften zu beachten. Für notwendige Maßnahmen nach § 8 Abs. 1 PolG NRW hat das Gesetz keine speziellen Form- und/oder Verfahrensvorschriften vorgesehen.

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