Kitabı oku: «Impfpflicht», sayfa 2

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Die neue Normalität als Paradigmenwechsel

„In diesem unsichtbaren Würgegriff möchten wir zur Normalität zurückkehren, fühlen wir, dass wir das Recht dazu haben. Auf einmal scheint die Normalität unser höchstes Gut zu sein, nie hatten wir ihr diese Bedeutung beigemessen, und wenn wir es genau bedenken, wissen wir nicht einmal genau, was sie ist: Sie ist das, was wir wiederhaben wollen.“19 Jetzt ist die Zeit der Anomalität, wir müssen lernen damit zu leben.“20 Giorgio Agamben befürchtet, es werde nach der Krise nicht mehr möglich sein, „zum normalen Leben zurückzukehren“.21 Sebastian Kurz sprach von einer neuen Normalität. Die Frage ist, welche Normalität Kurz meinte, die Normalität der Kritiklosigkeit, die Normalität des Endes der Meinungsvielfalt, der Infragestellung demokratischer Entscheidungsfindung, des Bröckelns des Rechtsstaates, der Aushöhlung von Grundrechten? Die Frage ist, ob das Volk diese „neue Normalität“ mitträgt. Wenn das Volk den Glauben an diese neue Normalität verliert, wird sich diese auch verändern, denn Normalität lässt sich nicht auf Dauer diktieren. Werte, die über Jahrhunderte erkämpft wurden, die sich als notwendige Entwicklung unserer Gesellschaft erwiesen haben und uns auf eine neue Stufe der Entwicklung der Menschheit geführt haben, können nicht von einem Moment auf den anderen wegen einer vermeintlichen Gefahr für die Bevölkerung, die bei genauem Hinsehen noch nicht einmal diesen Anspruch einzulösen vermag, beseitigt werden. Wenn wir zulassen, dass eine Gesellschaftsordnung ins Wanken gerät, ihre eigenen Fundamente aufzugeben bereit ist, sollten wir jedenfalls hellhörig werden, wenn man uns sogar den Weg des Diskurses verweigert, müssen wir ihn einfordern. Im Juni 2021 will Sebastian Kurz der Bevölkerung erklären, wir befänden uns wieder in der Normalität. Zu dieser gehört seiner Ansicht nach die Maskenpflicht in Öffis und beim Einkaufen. Unabhängig von Temperaturen um die 30 Grad, die den Bürgern den Schweiß unter der Maske hervortreiben. Zu dieser Normalität gehören jetzt auch die 3Gs. Ohne geimpft oder getestet zu sein darf man nicht mehr ins Gasthaus, ins Café oder gar ins Schwimmbad. Das ist aber nicht die Normalität, die zur Verfassung einer rechtsstaatlichen Demokratie passen will. Gefahr ist im Verzug, wenn die Medien diese „neue Normalität“ mittragen, kommunizieren, ohne aufzudecken, dass es nicht die „alte Normalität“ ist. Ohne aufzuklären, dass wir uns in einer Überwachungsgesellschaft wiederfinden. Unwidersprochen, unaufgeklärt, unkritisch. Dies darf nicht hingenommen werden Es ist bereits alarmierend, dass man dies überhaupt fordern muss. Die Begründungspflicht hat sich ins Gegenteil verkehrt. Nicht der muss etwas nachweisen, der etwas ändert, sondern der muss den Beweis antreten, der sich auf Bewährtes, unstrittig Zustehendes beruft. Die Sprache des Bundeskanzlers, wenn er von „neuer Normalität“ spricht, in die wir vielleicht zurückkehren dürfen. Oder wie man lesen konnte, er „gewährt“ uns künftig die Reisefreiheit wieder? Wie kann sich der Bundeskanzler anmaßen, uns etwas zu gewähren, was uns kraft der Verfassung zusteht? Es ist unser Recht, das uns fragwürdigst genommen wurde. Wieso beruft er sich bei seinen Maßnahmen auf Vorbilder wie Südkorea? Das sind Aussagen, die mit einer rechtsstaatlichen Demokratie nicht vereinbar sind. Zellmann vermutet bereits am 24.3.2020, Massenmanipulation kenne keine Bildungsgrenzen.22 Es ist diese neue Normalität, die uns den „Grünen Pass“ beschert hat, und die uns nunmehr die Impfpflicht beschert, vor dem Weihnachtsfest 2021 feierlich verkündet.

These der Erschaffung eines neuen Menschenbildes - Paradigmenwechsel im Mai 2021

Man kann wohl von einem Paradigmenwechsel sprechen, wenn der Mensch nicht mehr als Mensch wahrgenommen wird oder als Bürger, sondern lediglich noch als Kunde und Besucher und als Virenträger. Der Einzelne wird im Covid-19-Maßnahmengesetz als „potentielle Gefahr“ erkannt. Nicht mehr das Virus ist die Gefahrenquelle, sondern der Mensch, da sich das Virus ja im Menschen aufhält, zuweilen. Und von Rachen zu Rachen hüpft und so von Mensch zu Mensch wandert. Und obgleich davon lediglich ein geringer Bevölkerungsteil betroffen ist, im Mai 2020 österreichweit in jedem Bundesland unter 50 Menschen von 100.000. Obgleich also „im Tatsächlichen“ nur 0,005 Prozent als potentielle Virenträger in Betracht kommen, wird die gesamte „Kunden- und Besucherschaft“ der öffentlichen Räume – früher Mensch genannt – mit Virenträgern gleichgesetzt, der den Nachweis erbringen muss, frei von Viren zu sein, wenn er Kunde und Besucher sein will.. Man darf in Erinnerung rufen, dass die 3G-Pflicht just zu einem Zeitpunkt gesetzlich eingeführt wurde – Mai 2021 –, als die Saisonalität des Virus dieses Vorgehen ohnehin nicht gefordert hätte. Hier stellt sich die Frage, ob diese Regelung dem „allgemeinen Sachlichkeitsgebot“ des Gleichheitsgrundsatzes entspricht, den der Gesetzgeber zu beachten hat. Man stelle sich vor, weil es ein paar Schlafwandler in der österreichischen Bevölkerung gibt, müsse der Einzelne nachweisen, bevor er ein Hotel bucht, dass er kein Schlafwandler ist. Oder jeder Mensch müsste nachweisen, dass er keine Vorstrafe hat, vor Betreten eines Schwimmbades. Seit der kognitiven Revolution sind die Menschen in der Lage (im Gegensatz zu Tieren, die dazu eine Genmutation benötigen), ihr Verhalten schnell zu ändern.23 Die kognitive Revolution ist der Zeitpunkt, zu dem die Geschichte ihre Unabhängigkeit von der Biologie erklärt.24 Dank der fiktiven Sprache konnten genetisch weitgehend identische Menschen, die unter ähnlichen Umweltbedingungen lebten, unterschiedliche Wirklichkeiten schaffen.25 Kommt man irgendwann auf die Idee, gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten zu züchten wie in Huxleys „Schöne neue Welt“? Genmanipulation könnte so weit gehen, dass wir den Homo sapiens nicht mehr wiedererkennen.26 Brauchen wir dazu Genmanipulationen oder genügt die Einführung der 3Gs auf alle Lebensbereiche mit einer darauf folgenden allgemeinen Impfpflicht?

These Paradigmenwechsel durch Impfpflicht

Der Virologe Kekule spricht am 7. 1. 2022 im Podcast von MDR im Zusammenhang mit der Impfpflicht von einem Paradigmenwechsel. Wir verpflichten Menschen zum ersten Mal sich selbst zu schützen. Mit der Begründung, dass wenn sie krank sind, das Gesundheitssystem überlastet sei. Dieses Argument würde für jeden Fettleibigen auch gelten. Menschen, die stark übergewichtig sind, verursachen natürlich Kosten, Menschen mit hohem Blutdruck, Alkoholiker, Risikosportler, Drogenabhängige. Menschen können durch ihr Verhalten beeinflussen, ob sie im Krankenhaus enden, aber wir nehmen das als gesellschaftliches Gesamtrisiko hin. Es gibt auch keine knallharten Zahlen, und solange es Unklarheiten gibt, ist eine Impfpflicht nicht zu rechtfertigen, laut Kekule. Im Moment keine harten Argumente. Das ewige Boostern wird auch keine Lösung sein. Ist in dieser Corona-Pandemie das Thema Impfung nicht an die Grenze gekommen? Die Frage müsse man sich laut Kekule stellen. In der Tat ist die Gesundheit zur Pflicht geworden. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Paradigmenwechsel von den Verfassungsgerichtshöfen als solcher erkannt und auch bewertet wird.

Mensch oder Nachweis einer lediglich geringen epidemiologischen Gefahr?

Der Einzelne, nämlich der Mensch hat laut Covid-19-Maßnahmengesetz nachzuweisen, dass er lediglich eine „geringe epidemiologische Gefahr“ darstellt. Der Mensch wird hier quasi vom Virus nicht mehr getrennt gesehen, sondern als Träger von Viren erkannt. Im Gesetz wird der Mensch nicht als solcher angesprochen oder als Bürger, sondern als „Kunde oder Besucher“. Wir bewegen uns also im öffentlichen Raum nur als Kunden oder als Besucher. Als Mensch wird man offenbar nicht wahrgenommen, sondern nur noch in seiner Funktionalität als Kunde und Besucher und als Virenträger. Kunde darf man nämlich nur sein, wenn man frei von Viren ist. In § 1 Abs. 5 Covid-19-Maßnahmengesetz wird auch weiter entpersonalisiert. Nicht der Einzelne hat einen Nachweis zu erbringen, dass er keine „epidemiologische Gefahr“ darstellt, sondern es heißt „Nachweis über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr“ sei zu erbringen. Von wem? Von der entpersonalisierten Virenträgerschaft.

Wann liegt nun eine geringe epidemiologische Gefahr vor?

„Ein Nachweis ist bei einem negativen Testergebnis auf SARS-CoV-2, bei einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion oder bei einem positiven Antikörpertest auszustellen. Wem der Nachweis auszustellen ist, wird nicht gesagt, vielleicht schämt man sich schon den Begriff Mensch zu verwenden oder Bürger oder Virenträger? Dieser Passus ist offenbar die Grundlage für die Einführung eines Impfpasses! Der Absatz 5 bezieht sich allerdings nur auf „bestimmte Orte“ und Betriebsstätten, daher nicht auf öffentliche Orte. Daher kann man Gerichte oder Behörden weiterhin ohne den Impfpass betreten.

Die Gleichheit als Grundlage der Verfassung

Das Wesen der demokratischen Verfassungen erfüllt sich laut Aristoteles in Bürgern, die gleichgestellt und trefflich sind.27 Rousseau erklärt im Hinblick auf den Gesellschaftsvertrag, an Stelle natürlicher und körperlicher Ungleichheit trete vertragliche und rechtliche Gleichheit. Das Recht nach Rousseau gleicht die faktische Ungleichheit der Menschen aus.28 Wo bleibt die rechtliche Gleichheit bei Einführung eines „Grünen Passes“? Wo bleibt die Gleichheit, wenn man zwischen geimpften und ungeimpften Menschen in der Weise differenziert, dass man die Gleichheit faktisch überall im Alltag ausschließt? Voltaire spricht von der republikanischen Staatsform als der natürlichsten, die die Rechte des Menschen am besten gewährleiste, von der Gleichheit der Rechte aller Menschen, von der Freiheit des Denkens und Schreibens. Diese Freiheit des Denkens ist nicht spürbar. In einer Kultur, die vordem von Wissenschafts- und Kunstfreiheit geprägt war, rückt mit einem Mal Zensur in den Vordergrund. Abweichende Meinungen werden entwertet. Auch in der Meinungsäußerungsfreiheit wird differenziert zwischen offenkundig richtigen Meinungen, die zu Fakten aufgewertet werden, und unrichtigen Meinungen, die mit allen möglichen Begriffen tituliert werden. So wird die Nummer eins in der Tenniswelt, Novak Djokovic, in der renommierten Zeitschrift FAZ als „störrisch“ bezeichnet, weil er offenbar nicht gewillt ist, sich impfen zu lassen, weiters sei dies eine „schwache Einstellung“.29 Während die Wissenschaft bis vor kurzem die Relativität des Wissens betonte, macht sich jetzt eine „Absolutheit des Wissens“ breit, dass man erschrecken möchte. Man fragt sich, wie weit muss man in der Geschichte zurückblicken, die Epoche zu finden, in der man glaubte, alles zu wissen und sich anderen überlegen fühlte. Impfgegner kämpfen, so scheint es, weniger gegen die Impfung als vielmehr für die demokratischen Werte. Voltaire rückte zum ersten Mal den Begriff der Menschenwürde in den Vordergrund.30 Wenn die Gleichheit unter den Bürgern nach und nach abgebaut wird, können wir dann noch von Demokratie sprechen, wo die Gleichheit an der Demokratie wesensmäßigen Anteil hat? Es ist wahrlich bezeichnend, dass durch die geringste Norm im Stufenbau der Rechtsordnung – Verordnungen – die höchste Norm, nämlich das Grundrecht auf Gleichheit, abgewandelt wird. Ich bezeichne das als schleichenden Verfassungswandel, eingeleitet von Politikern, die die Verfassung nicht mehr ernst nehmen. Wie viel an Maßnahmen mit toxischer Wirkung auf die Demokratie kann diese noch verkraften? Die Legislative unterliegt dem ganzen Volk und vertritt den Gemeinwillen. „In einem freien Staat soll jeder Mensch, dem man eine freie Seele zugesteht, durch sich selbst regiert werden: daher müsste das Volk als Gesamtkörperschaft die legislative Befugnis innehaben. Da dies in den großen Staaten unmöglich ist und in den kleinen Staaten vielen Nachteilen unterliegt, ist das Volk genötigt, all das, was es nicht selbst macht, durch seine Repräsentanten machen zu lassen.“31 Die Gesetzgebung soll aber ein gerechtes Maß anstreben. Die Gerechtigkeit im engeren Sinn laut Radbruch setzt die Gleichheit voraus.32 Die Gleichheit der Menschen wird aktuell seitens der Politik negiert. Die Gesetzgebung orientiert sich am „Bild eines kranken Menschen“. Dass circa 99 Prozent der Menschen davon nicht betroffen sind, hindert den Gesetzgeber in Österreich nicht daran, an diesem Modell festzuhalten. Dies selbst in einer Zeit, wo die Saisonalität das Virus ohnehin wieder ungefährlich werden lässt (Mai 2021). Wir verfügen diesbezüglich über die Erfahrung des Vorjahrs. Die Gleichheit der Menschen wurde durch die 3Gs, angegriffen, durch die 2Gs vollkommen beseitigt. Denn wer nicht mindestens getestet war, durfte nirgends am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Jetzt schließt man sogar die getesteten Menschen aus, als jene, die den Beweis erbringen mussten, nicht infektiös zu sein. Dieser Beweis reicht aktuell im Jänner 2022 nicht mehr. Dies ist im Übrigen eine absolut dumme Regel. Denn wie man weiß sind geimpfte Personen bezüglich der vorherrschenden Omikron-Variante im Jahr 2022 gleich infektiös wie nicht geimpfte. Wenn also Geimpfte das Virus genauso weitergeben können wie nicht Geimpfte ist die Bevorzugung von Geimpften nicht erklärbar, wie jüngst in der Oxford Studie publiziert, wo drei Millionen Nasen- und Rachenabstriche gemacht wurden.33 Schwer verständliche Normen oder gänzlich unverständliche Gesetze sind laut Magdalena Pöschl nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar und verfassungswidrig.34 Die Corona-VO weisen eine Haltbarkeit von ein bis zwei Wochen auf. Es ist vermutlich auch für Juristen unmöglich, immer auf dem aktuellen Stand zu sein, außer man hätte nichts anderes mehr zu tun im Leben.

Die Einführung der Impfpflicht ist der letzte Schritt zur Etablierung eines neuen Menschenbildes, das den vermeintlichen „Gesundheitsstatus“ zur höchsten Norm erhebt, bei der auch Zwang anzuwenden ist. Selbst wenn betont wird, es komme eine Impfpflicht und kein Impfzwang, so entbehrt dies der Glaubwürdigkeit, weil der Zwang durch flankierende Maßnahmen begleitet wird, wie Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben.

Wie ist das Verhältnis zwischen Gemeinschaft, Solidarität und Freiheit?

John Locke verband mit Freiheit die Nichteinmischung des Staates in die persönliche Sphäre, bürgerliche Abwehrrechte gegenüber dem Staat zum Schutz des Eigentums, des Lebens. Der Staat hat sie als Naturrechte zu schützen und nicht zu gewähren. Die Grenze der eigenen Freiheit ist die Unverletzlichkeit der Freiheit des anderen, die Grenze ist dabei nicht abstrakt zu bestimmen, sondern stets neu auszuhandeln.35 Zu den größten Tragödien des 20. Jahrhunderts zählt für Merkel, dass der Realsozialismus im Namen der humanen Freiheitsidee den größten Freiheitsentzug vollzogen hat.36 Einen gelungenen Gedanken zum Freiheitsbegriff steuert Merkel bei: „Freiheit muss größtmögliche Lebenschancen und Wahlmöglichkeiten für jedes Individuum stärken, ein gutes Leben nach eigenen Vorstellungen und Entscheidungen zu führen, ohne dabei den sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft zu gefährden.“ Freiheit muss mit den Grundwerten Gerechtigkeit und Solidarität vereinbar sein.37 Freiheit soll die kreativen Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen stärken.38 Der Zivilrechtsexperte Heinz Barta stellt klar: „In freien Gesellschaften gibt es keine Alternative zur Akzeptanz und Achtung des Individuums. Nur Gesellschaften, die das Individuum ernst nehmen, bieten Schutz vor autoritären und menschenverachtenden Tendenzen. Und in der Bedeutung des Individuellen darf es keine Unterschiede oder Ausnahmen geben.(…) Rechtliche Über- oder Unterordnungen im Bereich des Individuellen darf es auch künftig nicht geben.“39 Das nationalsozialistische Gedankengut, „für das der Einzelne nichts, das Volk aber alles bedeutete“, hat die Anwendung des § 16 ABGB unmöglich gemacht.40

Oftmals hochgehalten wird von den Impfbefürwortern der Solidaritätsgedanke. Wenn man sich schon nicht für sich selbst impfen ließe, dann wenigstens für die anderen.41 Dieser Anspruch scheitert einerseits an der Verfassung, andererseits an dem medizinischen Wissen über die Weitergabe des Virus auch durch geimpfte Menschen. Solidarität ist ein genuin moderner Begriff, der sich auf soziale Beziehungen zwischen prinzipiell „gleichen“ Individuen bezieht. Er kann somit als Teil der historischen Verdrängung egalitärer, vertikaler Gesellschaftsformen in egalitäre oder horizontale Gesellschaftsformen verstanden werden.42 Boshammer plädiert angesichts der großteils unterschiedlichen Vorstellungen zu Solidarität im Sinne einer einzigen Solidarpflicht aufzugeben und in eine pluralistische überzuführen.43 Das scheint ein vernünftiger Vorschlag, der mit einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft in Einklang zu bringen ist. Daher, die Impfpflicht aus Solidarität einzufordern im Sinne einer einzigen Solidarpflicht, widerspricht diesem Zugang und deutet mehr auf eine totalitäre Staatform hin. Zudem kann sich die Solidarität nur zwischen gleichen Individuen verwirklichen und nicht in der politisch eingeforderten Privilegienkultur einer Zweiklassengesellschaft. Für Merkel verliert die Solidarität an Notwendigkeit, je mehr Freiheit und Gerechtigkeit verwirklicht sind. „Solidarität die über die soziale Gerechtigkeit hinausgeht, schulden wir nicht einander, sie entspringt altruistischen ethischen Erwägungen oder rationalen Eigeninteressen. Freiheit und Gerechtigkeit dagegen schulden wir einander.“44

Merkel versteht unter Solidarität Kooperation und Vertrauen der Zivilgesellschaft.45 Dass beides verlustig geht, dafür hat die Politik in Corona-Zeiten gesorgt, mahnt aber Solidarität ein. Das Team Austria hat in die Spaltung geführt. Hans Jürgen Papier, ehemaliger Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts, drückt den Stellenwert der Freiheit in unserer Verfassung folgendermaßen aus:

„Die Freiheit der Menschen zu befördern und die Würde des Einzelnen auch dann zu achten, wenn im Interesse anderer Menschen oder der Gemeinschaft gehandelt wird – das ist das Ziel des Rechtsstaats und seiner Gesetzgebung.“46 „Selbstbestimmung ist eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens.“47 Wenn die Impfpflicht in Österreich Einzug hält, dann sind die Menschen, was ihre Gesundheit anbelangt, nicht mehr selbst- sondern fremdbestimmt, die Politik achtet nicht mehr die Individualität des Menschen und damit nicht mehr die freiheitliche Grundordnung. Die oftmals eingeforderte Solidarität findet also ihre Grenze in der Würde des Einzelnen und in der Freiheit des Einzelnen. „Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was keinem anderen schadet. Sie darf nur soweit beschränkt werden, als es die Rechte anderer und das allgemeine Wohl verlangen. Im Zweifel spricht die Vermutung für die Freiheit.“48 In der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten 1797 äußert Immanuel Kant: „Handle äußerlich so, dass der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könnte.“ Achtet eine Impfpflicht für jedermann diesen Grundsatz?

„Unsere Verfassung trifft über ihre Normen und Werte, die sich vor allem an den Grundrechten artikulieren, Grundsatzentscheidungen, die man bei der Interpretation des geschriebenen Rechts nicht außen vor lassen kann. Sonst kommt es zu Missverständnissen wie etwa bei der Behauptung, dass Gemeinnutz vor Eigennutz zu gehen habe. Wenige wissen im Übrigen noch, dass es sich dabei um eine Parole des NSDAP-Programms handelte, welche die Zentralgewalt des Deutschen Reichs verherrlichen sollte. (…) Aus dieser Fehlentwicklung entwickelte sich die Forderung: „Nur derjenige Gemeinnutz geht vor Eigennutz, der sich auf eine Gemeinschaft bezieht, die ihrerseits den Wert und die Würde des Individuums anerkennt und ihre kollektive Gestaltungsmacht an diesen quasi zurückgibt.“49 Der schlichte Verweis der Corona-Gesetzgebung, die Gesundheit stehe dermaßen über allen anderen Werten, insbesondere den Grundrechten, überzeugt aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht. Der Verweis auf die Solidarität geht ins Leere, wenn die Würde des Einzelnen nicht mehr anerkannt wird, wenn die Gleichheit der Menschen verachtet wird. Die Impfung kann keine Herdenimmunität erzeugen, insofern ist sie für den Gemeinnutz nicht erforderlich. Die ungeimpften Menschen, die es noch gibt, nunmehr dafür verantwortlich zu machen, dass sie das Gesundheitssystem überlasten, ist nicht seriös. Erstens wird statistisch nach wie vor nicht offiziell erhoben bzw. nachgewiesen, dass Ungeimpfte mehr als Geimpfte das Gesundheitssystem belasten, und zweitens wird jeder andere Risikofaktor wie „Rauchen“ auch nicht in die Solidaritätsdebatte einbezogen und bei der Belegung der Intensivbetten in die Waagschale geworfen. Wenn man am Tatsächlichen für eine unterschiedliche Behandlung festhält, dann müsste konsequenterweise ein Gesundheitspass mit allgemeinen Risikofaktoren eingeführt werden, um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu erzielen, und um der Willkür Grenzen zu setzen. So müssten dann verschiedene Kriterien eingeführt werden, wie Adipositas, Raucherstatus, Alkoholiker, Zuckervertilgerstatus etc…Aber nur den Impfstatus herauszugreifen, und damit die Belastung des Gesundheitssystems zu geißeln, ist einseitig und gerade unsolidarisch und wissenschaftlich nicht fundiert. Die Solidarität in einer Gesundheitspolitik könnte sich nur darin erweisen, alle Gesundheitsfaktoren, die sich auf ein Gesundheitssystem potentiell auswirken, gleich zu behandeln. Im Sinne eines Bonus-Malus-Systems, wenn man schon die gesündeste aller denkbaren Gesellschaften anstrebt? Aber auch dieses wäre nur mit einer Verfassungsänderung zu bewerkstelligen.

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