Kitabı oku: «Dunkler Paladin», sayfa 5

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»Wir arbeiten uns unter dem Segel durch, das schützt uns vor neugierigen Blicken«, sagte Finn.

»Ist gut … « Der Wind stahl ihr die restlichen Worte, trug sie fort und heulte über den Schiffsfriedhof in der Trümmerküste.

Der Bug neigte sich erneut. Khalea sprang über die Splitterkante und kroch in den Kistenwald.

Finn sprang ihr nach.

»He, stehen bleiben!«, schrie ein Mann durch den Regen, der sich zu einem Sturm entwickelte.

Finn schlitzte das Segeltuch über ihm auf und kletterte auf eine Kiste. Beim Aufwärtsschwung des Bugs sprang er weiter auf das nächste Schiffsdeck, wirbelte mit der Lahras, drehte sich und entdeckte den Mann. Sein schwarzer Zopf peitschte zusammen mit dem kupferfarbenen Umhang im Wind. Er hob seine Axt und presste einen Rundschild dicht an sich. Seine Rüstungsteile passten weder in Farbe noch in Form zueinander: Wranischer Krummdolch am Gürtel, Rundschild der Nordländer, Brigadenreiterhelm mit Feldbusch aus Nauwold.

Ein Kopfgeldjäger vermutlich. Waffenmeister Senash hatte sich in einer Lehrstunde über sie beschwert, da sie sich weder an Duellregeln noch an ihr Wort hielten. Gegen Menschen mochte das Feuer des Heiligen nicht wie gegen Dämonen wirken, aber es konnte Fleisch versengen, Furcht säen und Rüstungen spalten.

»Dunkelheit naht, o Herr, verleihe mir das Feuer, um gegen sie zu bestehen«, betete Finn und spürte sogleich die Macht in seinen Händen, die Energie, die auch seine Waffe erfasste, und sie mit indigoblauen Flammen überzog.

Finn ging in den Angriff über.

Der Kopfgeldjäger parierte die Lahras mit seinem Schild und büßte das obere Drittel ein, als Finn ihn zerschnitt. Mit einem Satz nach hinten rettete sich der Unbekannte.

Finn wirbelte mit der Lahras herum, dabei sah er aus dem Augenwinkel, wie ihn ein weiterer Kopfgeldjäger aus der Flanke in die Zange nahm. Auch er trug einen Zopf, wenn auch blond, und besaß ähnliche Gesichtszüge. Vermutlich handelte es sich um Brüder, die ihre Erfolge zur Schau stellten, indem sie die Sachen ihrer Opfer am Leib trugen. Das taten alle Kopfgeldjäger, es fehlten nicht einmal die Ohren ihrer Opfer, die sie an einem Lederriemen als grausame Halskette trugen.

Die beiden warteten einen Moment und musterten Finns Haltung. Der seinerseits packte die Lahras am hinteren Ende, zwang seine Kontrahenten mit einem kreisenden Hieb auf eine größere Distanz und rannte los. Der Blonde warf sein Schild und sprang in Deckung. Die Lahras spaltete das Holz und grub sich in die Deckplanken. Finn ließ seine Waffe zum Kurzschwert einschnappen, um den Gegenangriff des Schwarzhaarigen abzuwehren. Funken sprühten beim Aufeinandertreffen der Klingen. Regen prasselte auf das Blatt der Axt. Beide hielten dagegen. Das Indigo der Flammen spiegelte sich in den Augen des Angreifers, an dessen Hals dicke Adern hervortraten.

Nach zwei Herzschlägen trat der Kopfgeldjäger zu. Und obwohl Finns Plattenharnisch den Tritt dämpfte, wurde er nach hinten gestoßen. Er machte einen Ausfallschritt und sah die nächste Gefahr auf sich zukommen. In letzter Sekunde lehnte er seinen Oberkörper nach hinten und entging einer geworfenen Axt, die ihm den Schädel gespalten hätte.

Donner zerriss den Himmel und ließ die Angreifer im Elmslicht des Blitzes aufleuchten, der in einem benachbarten Dreimaster einschlug und den Hauptmast in eine brennende Fackel verwandelte. Die Angriffe sind abgestimmt, dachte Finn gerade, als er einen Ruck unter seinen Füßen spürte. Mit langgezogenem Knirschen brach der Bug vom Rumpf ab, auf dem Finn seinen Stand behauptete.

Der Schwarzhaarige verlor kurz den Halt, fing sich wieder und sprang zum benachbarten Schiff. Er landete ungeschickt auf dem Deck, rollte über die rechte Schulter ab und richtete sich auf. Sein Bruder schwang sich an einem Tau zu einer Sklavengaleere mit aufgerissenen Ruderbänken rüber. Der Bug, auf dem er vorher gestanden hatte, sackte ab und wurde zwischen den Schiffen zermalmt.

Der Schwarzhaarige funkelte Finn mordlüstern an, bevor er von einem gebrochenen Seitenarm des Masts an der Schulter getroffen wurde und zu Boden ging.

Sein Bruder eilte ihm zur Hilfe. Wieder goss ein Blitz Elms­licht über die Szene, dann barst der Himmel in einem Lärm, als würde er zerrissen.

Da die Kopfgeldjäger mit sich selbst beschäftigt waren, wandte Finn sich nach hinten um und suchte nach Khalea. Zu seinem Schrecken erblickte er lange Tentakel, die nach dem Mastkorb griffen, auf den sie sich gerettet hatte. Khalea stach wild in die Luft, unfähig die Gliedmaßen des Meeresungeheuers zu treffen. Auch Finn hatte Mühe, seine Furcht zu unterdrücken, die an seinem Verstand nagte.

Es war ein Höllenschwamm, das wusste er, obwohl er den Kopf noch nicht sehen konnte. Es sah aus wie eine Zeichnung in Bruder Malesens Buch. Nur hätte Finn nicht für möglich gehalten, dass so ein Wesen wirklich existierte. Panik begann seine Glieder zu lähmen. »O Herr«, begann er sein Mutgebet, »lass uns im Angesicht des Todes nicht mutlos werden.« Sein Herz tat einen Schlag. Dann explodierte ein Feuer in seinem Herzen und verbannte die Schatten der Furcht, die an seinem Willen fraß. Stärke und Mut pumpten durch seine Adern und klärten seine Gedanken.

»Nicht bewegen!«, brüllte Finn. »Das Ding reagiert auf Bewegung!« Es war zwecklos. Er konnte sich selbst kaum hören. Durch den Regenschleier war Khalea kaum auszumachen.

Obwohl Finn die drei Grundgebete des Kampfes beherrschte, konnte nur eins von ihnen aktiv sein. Die Flamme seiner Lahras war erloschen, dafür brannte das Indigo in seinem Herzen. Finn rannte über die Deckplanken. Jeder Schritt war eine Gratwanderung zwischen Halt und Gleiten.

Höllenschwämme waren so intelligent, ihren Kopf unter Wasser zu halten, während ihre hochsensiblen Tentakel nach allem schnappten, was sich bewegte. Es gab Tiere. Es gab Menschen. Und es gab die Unsterblichen. Neben ihrer physischen Stärke bargen sie die Erfahrung der Jahrtausende in sich. Geisterspuk und Sirenen wären Finn lieber gewesen.

In perfekter Synchronizität zuckten Tentakel zu Finn rüber. Er glaubte zu spüren, wie sich ihm die Aufmerksamkeit eines Unsterblichen zuwandte. Trotz des Unwetters trug der Wind Fetzen hellen Geschnatters an seine Ohren, das nach hunderten von irren Seemöwen klang.

Noch bevor der erste violette Fangarm Finn erreichte, schlug er das Glied ab. Der Stumpf schnellte wie eine Bogensehne zurück. Finn stellte sich breitbeinig auf und schützte seinen Körper mit einem Wirbel der Lahras. Nachdem zwei weitere Tentakel der Klinge zum Opfer gefallen waren, hielten die anderen Arme kurz inne, brachen dann Latten, Balken sowie Masten aus den Verankerungen und warfen damit nach ihm.

»Bei den Verfluchten Sieben«, presste Finn zwischen den Zähnen hervor und warf sich auf den Bauch. Hinter ihm krachte ein Balken gegen das Führerhaus und ebnete es ein. Jetzt wurde ihm klar, weshalb Bruder Malesen ein Boot mit Ballisten und Harpunenwerfern neben den Höllenschwamm gezeichnet hatte. Sobald man sich in Reichweite der Fangarme begab, war man ihnen ausgeliefert.

Wieder ertönte das infernalische Schnattern, diesmal lauter. Es kam näher und war rauer, als würde es ein Schmählied singen.

Finn wälzte sich auf den Rücken und verharrte. Die Tentakel bogen und wanden sich durch die Luft. Jeder in eine andere Richtung. Finn wartete, bis sie weg waren und richtete sich wieder auf. Doch da drehten die Fangarme auch schon um und schossen auf ihn zu. Plötzlich schlang sich ein schleimiges Etwas von hinten um ihn. Ein Tentakel riss ihn von den Beinen, als würde er eine Distel an der Wurzel packen. Schiffe, Wasser und grauschwarzer Himmel verschwammen für einen Augenblick in einem Wirbel aus Bildern. Finns Finger krallten über das Deck, während sein Verstand versuchte, zu begreifen, was passiert war. Das Vieh hatte ihm eine Falle gestellt und nun bugsierte ihn der Fangarm am Fußgelenk über eine mit Wrackteilen übersäte Lücke zwischen zwei Handelsbarken. Ein schwammiger Kopf mit violetter Haut hob sich aus den Trümmern. Intelligenz leuchtete in den vielen obsidianschwarzen Augen, die sich auf Finn richteten.

»Eine interessante Eintagsfliege seid Ihr«, flüsterte der Höllenschwamm in Finns Gedanken. »Habt Ihr je über Eure Sterblichkeit nachgedacht?«

Finn schüttelte den Kopf, weil die Gedanken des Schwamms wie Maden durch seinen Schädel krochen. Noch ehe er sich davon erholen konnte, tat sich ein Riss auf dem Schwammkopf auf, Zähne richteten sich nach oben aus und bewegten sich wellenförmig.

Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und gewährte Finn einen Einblick in die Dämonenhölle. Überall im Wasser, an Decks, in Nischen und Ritzen lugten Tentakel hervor, als sei das Untier das Nervenzentrum des lebendig gewordenen Schiffsfriedhofs. Das Wesen musste eine ungeheure Größe haben.

Hitze schlug Finn von einem der Handelsschiffe entgegen. Der Blitz hatte Mast und Segel in Brand gesetzt.

Der Tentakel wirbelte Finn durch den Laderaum eines aufgeschlitzten Schiffsrumpfs. Kisten, Fässer und Flaschenzüge schlugen ihm entgegen. Finn schlug mit der Lahras wild um sich und versuchte, etwas Fleischiges zu erwischen. Durch einen Glückstreffer ließ der Zug schlagartig nach und er kam auf Bodendielen zum Liegen.

Er blickte an sich herunter und sah vor seinen Füßen ein zuckendes Tentakelstück liegen. Er rappelte sich hoch, aber nicht schnell genug, weitere Glieder krallten sich in den Laderaum und kippten das Schiff zum Maul hin. Das Wrack ächzte unter der Belastung, Nieten sprangen heraus und Bretter schnappten aus ihren Positionen.

Finn steckte die Lahras in die Scheide und warf mit allem, was er zu fassen bekam. Bretter, kleine Kisten, Flaschen, Vorratskrüge. Die Behältnisse zerbarsten am Ungeheuer, übergossen es mit Flüssigkeiten, Mehl und Rollen voller Tunepseide. Bevor es sich die Tücher von den Augen ziehen konnte, hechtete Finn über die Laderaumtreppe aufs Deck hinauf. Oben blendeten ihn die Flammen, die Mast, Reling und Takelage verzehrten. Finn kam zum Stehen und bedeckte seine Augen. Der kurze unachtsame Moment reichte dem Wesen, um ihn wieder an den Füßen zu packen und hart auf den Boden zu schleudern. Finn griff um sich, schnappte nach einer brennenden Latte und schlug damit nach dem Tentakel, den die Schläge nicht beeindruckten. Der Fangarm hob ihn vom Deck und ließ ihn erneut über dem Maul des Schwamms baumeln.

Die kleinen Obsidianaugen fixierten Finn, während auf der porigen Haut Mehl und Getreide in einer irisierenden Flüssigkeit herunterflossen, die Schlieren auf dem Wasser hinterließ. »Hast du dir je Gedanken um deine eigene Sterblichkeit gemacht?«, kreischte Finn durch den Wind und ließ die brennende Latte nach unten fallen. Als sie das Petroleum berührte, schwappte eine Feuerwelle über den empfindlichen Kopf des Höllenschwamms. Die Luft stank nach Fischinnereien und gebratenen Krebsen. Über allem lag das Geschnatter, das einer Wehklage gleich durch den Schiffsfriedhof dröhnte.

Finn meinte Augen platzen zu sehen, aus denen milchige Flüssigkeit spritzte.

In blinder Wut schlug das Monster um sich, wand sich und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Finn war der Willkür der Tentakel ausgeliefert, die ihn durch die Luft peitschten. Etwas drang mit einem Knirschen in seine Seite. Der Regen schlug wie Kiesel auf sein Gesicht, dann tauchte sein Bewusstsein ins Schwarze.


»Wird ein Höllenschwamm geboren, ist er so klein wie eine Menschenhand. Wenn es ihm gelingt, sich vor Fressräubern zu flüchten und sich in Höhlen und Nischen am Meeresgrund zu verbergen, dann frisst er, wächst er, nährt er sich am Busen des Meeres. Spinnt seine Pläne, wartet, lauert, bis er die Welt verschlingen kann.«

– Aus dem Tagebuch von Kapitän Rotbart, kurz vor seinem Verschwinden

Kapitel Vier
Lebe deine Wut

Die wranische Taverne gähnte vor Leere, bis auf eine Handvoll Dauersäufer, die über den Tresen gebeugt ihren Rausch ausschliefen. Talisas Bier hatte keinen Schaum mehr. Ohne Schaum wollte Talisa aber nicht trinken und schob es über den Tresen von sich weg.

»Verdammt noch mal, hier stimmt etwas nicht!«, grunzte sie und spuckte auf die Bodendielen. Es war nicht mehr so rot wie am Anfang, auch die Schmerzen in ihrer Seite ebbten ab, dennoch hatte sie keine Lust, die Stelle zu berühren. Am Tag ihres Ausbruchs hatte sie Blut im Urin gehabt. Dieser Hundesohn würde büßen und seine gesamte Bande gleich mit. Für die Gefangenschaft, für die Folter und für die Überfahrt auf einer Himmelsbarke, versteckt im Laderaum zwischen stinkenden Fellen und Ratten. Zumindest hatte die Besatzung nicht gemerkt, dass die blinden Passagiere dafür verantwortlich waren, dass ein kleines Fass mit Stockfisch gefehlt hatte.

»Vater Klein sagt, du hättest die Diebin lieber töten sollen«, bemerkte Schmutzbart, der neben ihr saß.

»Ich will, dass er und sein gesamtes Gefolge sich auf meine Ankunft freuen, dass sie Wachen aufstellen, Gelder ausgeben, nach mir suchen lassen. Ich will, dass er mich fürchtet. Geht das in dein winziges Walnusshirn?«

Schmutzbart blickte sie eine Weile mit tiefliegenden Augen an. Sie lagen im Schatten, daher konnte sie nicht erkennen, welche Farbe sie hatten und ob ein Hauch Verstand darin glomm. Allerdings machte das keinen Unterschied, wahrscheinlich hatte der Wahnsinn seinen Geist bereits zerfressen, seinen Waldschratschädel ausgehöhlt und eine leere Nussschale übriggelassen. Doch eines hatte Talisa über Schmutzbart gelernt, sie würde ihn nie mehr unterschätzen.

»Todfeinde sind gut, uns gefällt das. Aber ich glaube nicht, dass deine Männer noch kommen.«

Talisa mahlte mit dem Kiefer. Ihre Bezwinger hatten sich noch nie verspätet. Sie waren eine loyale Einheit, zusammengeschmiedet in der Enge der Schlacht von Larden. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie vor vier Jahren ein Kavallerieregiment von achthundert Mann unter dem Kommando von Hauptmann Kasturon dem Schlitzer ganz allein den Belagerungsring um den Lardischen Hafen durchbrochen hatte. Was keinem anderen gelungen war, vollbrachte Kasturon an einem Tag. Das Massaker mit über zweitausend Toten überlebten allein Talisa und zwanzig Männer. Der Schlitzer wurde getötet.

Als sie blutüberströmt und mit blutunterlaufenen Augen vor den Schiffen gestanden hatten, warfen sich einige Besatzungsmitglieder in die Fluten, weil sie dachten, dass Dämonen vor ihnen stünden. Es war der Tag, an dem sie ihre Taufe erhielt: Hauptmann, Bezwingerin der Enge von Larden.

Talisa ballte die Fäuste, dabei stieß sie versehentlich gegen ihr Bierglas, das vom Tresen fiel und vor den Füßen des Wirts zerschellte.

Der Mann plusterte sich auf, vor Zorn zitterten seine Hängebacken. »Was soll das?«, fragte er mit dem melodischen Akzent der Wranier.

»Gib mir einen Grund.« Talisas Miene war verzerrt, ihre Worte eiskalt. Sie wusste, dass Selbstsicherheit schmolz, wenn man sie auf die Probe stellte.

Der Wirt blinzelte, schaute Talisa und Schmutzbart an, zapfte ihr ein neues Bier und stellte den Krug vor sie. Da seine Hände zitterten, schwappte etwas Schaum über den Rand. Danach drehte er ihr den Griff zu und polierte die bereits sauberen Krüge in seinem Regal.

Sie kippte den Humpen mit einem Zug hinunter und wischte sich die Lippen mit dem Ärmel der Robe ab. Als ihre Unterwäsche im Schritt juckte, verfluchte Talisa die Diebin, da das Miststück allem Anschein nach ein reges Sexualleben mit den Kötern auf der Straße geführt hat.

Den Bezwingern war etwas zugestoßen, so viel war klar, doch darum würde sie sich später kümmern. »Dann legen wir allein los«, raunte sie finster und erhob sich.

Schmutzbart nahm die Keule, die auf dem Tresen ruhte, und schlug sich in die leere Hand. »Wir drei gegen alle. Vater Klein findet das gut.« Sein Grinsen zeugte nicht von Geistesgesundheit.

»Du kannst doch nicht Vater Klein dazu zählen«, begann sie, gab es dann aber auf. Was war so schlimm daran, mit einem Irren und einem Nager in den Krieg zu ziehen, solange es Tote gab?

Sogar Dreck ist besser als nichts.

Talisa blickte auf den Grund ihres Krugs und dachte an den Racheplan, den sie schon während des Flugs nach Wranis immer wieder in ihrem Kopf durchgegangen war.


»Ein Dieb! Haltet ihn!«, schrie Schmutzbart über die Menge auf dem Basar hinweg.

Die Menschen drehten sich um, prüften an Gesäß, Gürtel und Westentasche den Sitz ihrer Wertsachen und blickten sich dann nach allen Seiten um.

»Da vorn! Fasst ihn! Er hat mich beklaut«, rief Schmutzbart. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen und sich klein gemacht.

Talisa stand auf dem Dach des Gewürzhändlers, der mit zwei Stockwerken eines der besseren Häuser in dem Viertel besaß, und lehnte sich über die gemauerte Brüstung, um das Meer aus Marktbuden und Menschen im Blick zu behalten. Gerüche nach Unrat und frisch gebackenem Fladenbrot zogen an ihr vorbei. Unter der Hitze der Sonne rann ihr Schweiß hinunter, brannte in jeder Wunde und jedem Kratzer.

Die Sonne stand im Zenit. Die Einheimischen würden erst abends wieder auf die Straßen gehen. Anders verhielten sich Neulinge, Besucher und Händler, die mit ihren Gewohnheiten auch in der Hitze von Wranis nicht brachen und mit dicken Börsen und Schmuck unterwegs waren, ohne an die Existenz von Dieben zu denken.

Talisa schüttelte die schwarze Mähne und fuhr sich mit der Hand hindurch. Der Sand klebte auf ihrer Kopfhaut. Sie fasste die Haare zum Zopf zusammen und fixierte sie mit einer Buchenholzfibel, die sie in den Taschen ihrer gestohlenen Bekleidung gefunden hatte. Nachdem sie den Sitz geprüft hatte, kratzte sie sich noch im Schritt und verfluchte wieder die Dirne, die ihr die Filzläuse geschenkt hatte.

Vielleicht hatte Schmutzbart recht und es wäre doch klüger gewesen, die Kleine gleich zu töten.

Am Rande der Menge bog eine geduckte Gestalt von der Hauptstraße ab, spähte kurz nach hinten und setzte dann ihren Weg fort.

»Wie eine Ratte, die flüchtet, wenn man auf den Busch klopft. Das ist also einer der hiesigen Diebe«, murmelte sie und stieg auf die Kante des Dachs. Sie maß die Distanz ab und sprang aufs nächste Dach. Wäscheleinen mit Pluderhosen versperrten ihr die Sicht. Sie arbeitete sich durch und blickte in die schmalen Gassen hinab.

Der Mann bog in die nächste Straße ab.

Talisa riss einen Salwar herunter, rollte ihn zusammen und warf ihn in hohem Bogen Richtung Basar. Der Stoff entrollte sich und segelte nach unten. Nachdem sie ihr Signal für Schmutzbart hinterlassen hatte, folgte sie dem Dieb über die Welt der Dächer.

Nach einer ganzen Serie von Sprüngen blieb sie für einen Augenblick stehen. Ihre harten Sandalen eigneten sich nicht für die Jagd und zu allem Überfluss meldete sich nun auch ihre schmerzende Seite. Talisa biss die Zähne zusammen. Firuwahr würde so einen Tritt in den Wanst bekommen, dass sein Hintern nur noch Köttel von sich geben würde.

Sie blickte sich um. Wäscheleinen oder Wäsche hatte sie länger nicht mehr gesehen. Wieder juckte es im Schritt. Sie zog die Unterhose aus, rollte sie zusammen und warf sie in die Luft. Hoffentlich konnte der Irre sie sehen, denn das bisschen Stoff segelte ohne die Eleganz einer Pluderhose durch die Luft. Sollten doch die Filzläuse zu Tode stürzen.

Sie stellte sich erneut an die Dachkante und blickte hinab. Zu ihrem Erstaunen näherte sie sich dem Händlerviertel.

Eine alte Dame, die auf dem nächsten Flachdach stand, machte einen verwirrten Gesichtsausdruck, als Talisa wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte und ihr eine Wasserkaraffe aus Ton entriss. Sie trank die Hälfte, den Rest schüttete sie sich über den Kopf und gab das Behältnis zurück. Dann sprang sie mit Anlauf aufs nächste Dach.

Blutrote Beeren lagen zum Trocknen auf einem Bettlaken in der Sonne. Talisa stibitzte eine Handvoll und spuckte sie wieder aus. Das Zeug schmeckte bitter.

Sie nahm das Laken, schüttelte die Beeren ab und rollte wieder eine Kugel. Die kurze Pause tat ihr gut, denn die Hetzjagd war anstrengender, als gedacht. Dabei bemerkte sie, dass eine ihrer Sandalen fehlte. Es musste ja so kommen. Sie holte kurz aus und beförderte den Stoff mit einem Ächzen in die Luft.

Auf dem nächsten Haus sah sie einen Mann, der seine Traubenauslage auf dem Flachdach begutachtete. Sie nahm Anlauf, sprang rüber, prallte gegen die Kante und rutschte ab. Ihre Hände schossen automatisch nach vorn und krallten sich in letzter Sekunde an der weiß gekalkten Fassade fest.

»Wartet«, rief der bärtige Mann. Er bückte sich zu ihr hinunter und half ihr, sich hochzuziehen.

»Danke«, presste Talisa zwischen zwei Atemzügen hervor und legte sich zum Luftschnappen auf den Rücken.

»Was macht Ihr hier oben?« Der Mann rückte sich den Schal um den Kopf zurecht.

Talisa stand auf, begutachtete ihre Schürfwunden an den Unterarmen und schnickte mit einem Fußtritt die letzte Sandale übers Dach. Wieder juckte es im Schritt. »Ausziehen, alles«, befahl sie dem Mann und zog sich selbst aus.

Er starrte auf ihre Brüste, ihre Scham und auf den blauen Fleck an ihrer Seite. Lust und Angst rangen in seinem sonnengegerbten Gesicht um die Vorherrschaft.

»Wirds bald?!« Sie hatte ein Messer in der Hand, das sie den Dieben abgenommen hatte, und funkelte ihn blutrünstig an.

Seine Miene rutschte zu einem Ausdruck der Angst ab. Dann gehorchte er aber, zog sich aus und schob die Sachen mit dem Fuß zu ihr rüber. Die Hände hielt er über seinem Gemächt. Seine Männerbrüste zitterten.

»Geh jetzt, sonst schlitz ich dich auf«, drohte Talisa.

Der Nackte rannte zur Dachluke und kletterte diese nach unten. Sein Hängehintern wippte dabei auf und ab.

Sie zog sich erst den weißen Kaftan an, dann die dicke braune Nomadenrobe und den Schal. Einen Teil davon zog sie sich über den Kopf und hoffte, dass sie so einen Sonnenbrand vermeiden konnte. Die Diebesrobe, auf der ganze Kolonien von Filzläusen siedelten, warf sie in den Himmel. Die neuen Schuhe fühlten sich hervorragend an, obwohl sie eine Nummer zu groß waren. Festes schwarzes Leder, dicke Sohle – ideal zum Kämpfen. Ohne richtigen Stand kann auch der beste Krieger zu Fall gebracht werden.

Sie machte ein paar Schritte zur nächsten Kante und blickte nach unten. Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Leithund wiederentdeckte. Mittlerweile hatte er die Kapuze zurückgeschoben und rote Haare entblößt.

Ein großer Schatten schwebte von hinten über Talisa hinweg.

»Bereitet die Brücke vor!«, brüllte eine Stimme von oben. Es war eine Himmelsbarke, die in Richtung eines Landeturms schwebte und dabei die Geschwindigkeit drosselte. Anlegehelfer auf dem Flachdach fischten mit Langhaken nach den Ösen an den Seilenden und vertäuten sie seitlich am Turm.

Der Dieb sah sich links und rechts um, bevor er in denselben Turm hineinging.

Vermutlich war hier der Sitz der Diebesgilde und wenn sie Glück hatte, würde sie Firuwahr hier finden. Sie erwog, sich auf einem der Karren zu verstecken, die über das Kopfsteinpflaster durch das Tor im Erdgeschoss des Turms fuhren, aber sie entschied sich anders.

Mit Anlauf sprang sie auf das nächste Dach, lief ein paar Schritte und sprang wieder. Nach vier Sprüngen stand sie auf dem Dach vor dem Gebäude der Diebesgilde. Die Himmelsbarke schwebte über der Straße zwischen ihr und dem Landeturm.

Talisa blickte durch die Seile, die vom Rumpf der Barke herunterbaumelten, und entdeckte einen Balkon am Turm. Zum Springen war die Entfernung zu groß, doch wenn sie eines der Seile benutzte, könnte sie sich rüber schwingen.

Sie machte ein paar Schritte nach hinten und suchte sich ein Seil aus, das von ihr weg pendelte, das Ende seines Schwungs erreichte und wieder zurückkam.

Talisa sprintete übers Dach und registrierte schon einen Bruchteil vor ihrem Sprung, dass sie die Bewegung des Seils falsch eingeschätzt hatte, da es viel zu früh wieder von ihr wegschwang. Doch stehen bleiben konnte sie jetzt auch nicht mehr.

Sie griff ins Leere, unterdrückte einen Schrei und bekam dann doch die Eisenöse am Ende des Seils zu fassen. Mit einem Ruck wurde sie von der Pendelbewegung nach vorn gerissen, rutschte mit ihren schweißnassen Fingern am Metall ab und schwang unkontrolliert geradeaus. Der Aufprall mit der Balkonbrüstung presste ihr die Luft aus der Lunge, doch sie hatte es geschafft, nicht abzustürzen.

Sie hing mindestens drei Meter über dem Boden, wenn sie jetzt fiel, würde sie sich einige Knochen brechen. Sie wuchtete sich keuchend auf den Balkon. Vor ihren Augen flimmerte es.

»Verdammt, das war knapp«, zischte Talisa und taumelte in den Stand. Sie zog ihr Messer und blickte durch eine Glastür in einen kleinen Raum, in dem ein Schreibtisch stand, der überquoll von Papierstapeln.

Ein bärtiger Mann betrat den Raum, setzte sich an den Tisch und tunkte eine Gänsefeder in ein Tintenfässchen, bevor er zu schreiben begann.

Talisas Finger schlossen sich enger um den Messergriff, dann zählte sie innerlich bis drei und riss die Tür auf.

Der Mann erschrak. Die Tinte stieß er dabei um, sodass sich diese auf all seinen Blättern verteilte.

Talisa sprang zum Tisch, zerrte ihn am Kragen über den Tisch und hielt ihm die Klinge an den Hals. »Firuwahr«, flüsterte sie und stieß mit dem Ellbogen einen Papierturm um. Lose Blätter verteilten sich auf dem Fliesenboden.

»Wachen, hil… « Sein Ruf ging in einem erstickten Gurgeln unter, als Talisa ihm den Hals aufschlitzte. Blut besudelte sauber geführte Warenlisten.

Talisa warf den Toten vom Tisch.

Die Tür krachte auf und ein Wachmann betrat den Raum. »Was bei den Verfluchten Sieben … ? Ergib Dich!«, rief er und richtete einen Speer auf sie.

Talisa packte ein Buch vom Tisch und warf es ihm an den Kopf. Den Sekundenbruchteil, den er abgelenkt war, nutzte Talisa aus und rammte ihm die Schulter gegen den Leib, hielt den Speerschaft fest und schubste die Wache von sich. Er taumelte aus der offenen Tür und prallte gegen das Treppengeländer, das brach unter der Belastung weg, und die Wache fiel herunter.

Talisa eilte ihm nach und blickte nach unten. Der Wachmann war auf einen Pferdekarren mit Stroh gefallen und hielt nun seinen verdrehten Arm. Mehrere seiner Kollegen kamen angerannt und schauten zu ihr hoch.

Für einen Moment passierte nichts, dann brach die Hölle los.

»Alarm! Tötet sie!« Auf den Holztreppen unter und über ihr polterten Schritte.

Talisa verschaffte sich schnell einen Überblick. Der Ladeschacht verlief von hier unten bis aufs Dach, in dem ein Durchlass den Blick auf die dunkelblaue Haut des Rochenleviathans erlaubte. Über dem Durchlass pendelten Hanfseile aus einer Flaschenzugkonstruktion.

Auf der gegenüberliegenden Seite eilte ein Wachmann, mit einem Kurzschwert bewaffnet, zu ihr. Talisa hob den erbeuteten Speer, zielte und traf den Mann in den Oberschenkel, was ihn zu Boden warf.

Sie hechtete ein halbes Stockwerk zu ihm hinauf, entriss ihm das Kurzschwert und sprang zurück, als er mit einem Dolch nach ihr stach. Sie stieß ihm das Schwert in die Brust, zog es wieder heraus und nahm auch den Dolch an sich.

Wachleute reihten sich bereits unten und oben auf den Stufen und bahnten sich einen Weg zu ihr. Das Treppenhaus wirkte wie ein Taubenschlag, der urplötzlich zum Leben erwacht war. Talisa bezweifelte, dass sie sich gegen so viele Leute zur Wehr setzen konnte.

Talisa nahm eine Fackel von der Wand und warf sie auf den mit Stroh beladenen Karren im Erdgeschoss. Sie wartete einen Moment, bis das Feuer sein Festmahl begann und die Männer sie fast erreicht hatten, dann sprang sie über das Geländer und griff nach dem Hanfseil. Ein Speer zischte an ihren Füßen vorbei, streifte eine hängende Kiste und fiel nach unten, wo sich Pferde panisch aufbäumten.

Talisa hackte auf das Seil neben ihr ein und die daran hängende Kiste raste in die Tiefe, während Talisa am anderen Seil nach oben katapultiert wurde. Ihr Flug trug sie an mehreren irritierten Wachmännern vorbei, bis sie an der höchsten Stelle der Treppe absprang. Talisa rollte sich ab und eilte die restlichen Stufen nach oben.

»Feuer!«, schrie jemand von unten, doch das interessierte sie nicht mehr.

Grausamkeit ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Auf der Landeplattform angelangt, traten zwei Wachleute mit brünierten Brustpanzern und Helmen auf sie zu, richteten ihre Speere auf sie und verschanzten sich hinter ihren Schilden. Hinter ihnen stand Firuwahr und grinste sie an.

Talisa erlebte ein Hochgefühl, da sie ihrer Rache so nahe war. Nur zwei Männer trennten sie von Firuwahr, zwei Männer, die allem Anschein nach echte Krieger und keine Wachleute waren.

»Verdammter Feigling, stell dich!«, schrie Talisa.

Firuwahr richtete sich den Kragen und ließ seinen Pferdeschwanz und den dunkelroten Umhang im Wind wirbeln. Dann legte er eine Hand auf die Brust, streckte die andere vor und verbeugte sich, mit dem Gewicht auf dem Vorderfuß. »Ist gut«, sagte er zu seinen Männern, und sie traten beiseite. Er stellte sich an die Kante der Landebrücke und sah Talisa von oben bis unten an. Links trug er ein Florett am Gürtel, rechts baumelte das Bastardschwert.

»Es freut mich zu sehen, dass Ihr wohlauf seid. Ihr seid nicht etwa gekommen, um meiner Abreise Blumengirlanden nachzuwerfen? Vielleicht beliebt Ihr, auf der Morgensonne mitzufliegen. Auf meiner Barke ist immer genug Platz für Gäste.«

Talisa maß die Distanz ab. Auch mit einem Sprint konnte sie die beiden Wachen nicht umgehen. »Ich bin hier, um Euch zu erledigen!«, schrie sie.

Die Wachen hoben wieder die Speere, doch Firuwahr gebot ihnen wieder Einhalt. »Wehrt Euch nicht, Talisa. Lasst es geschehen. So wie Eure Männer in königlicher Gefangenschaft in Tilayndor sterben werden, werdet auch Ihr hier auf diesem Turm Euer Leben ausbluten.«

»Ihr lügt, der König würde niemals meine Männer gefangen nehmen!«

Firuwahr lachte auf. »Einem Mann das Lügen vorzuwerfen, ist sehr unhöflich. Und mir scheint, dass Ihr nicht versteht, dass sich die Zeiten seit dem Tod von General Kasturon geändert haben. Ihr seid eine Antiquität, wenn auch eine sehr interessante. Und nun ist es an der Zeit, dass sich unsere Wege trennen.« Er griff in die Öffnung seines Reitergewands und holte eine Maske heraus, die von allein hielt, als er sie an sein Gesicht presste. Rotgoldener Schimmer floss wie Wasser durch die Ornamente, die sich von den Wangen bis hinauf zur Stirn zogen, um dort zu einer Glyphe zusammenzufließen. Sie stellte einen Raben dar, vor dem ein Flimmer der Unschärfe flackerte. Eine seltsame Energie durchzog die Luft.

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