Kitabı oku: «Mia und die Schattenwölfe», sayfa 5

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Die Nacht der Schattenwölfe

Tante Anna begrüßte die Mädchen sichtlich erleichtert. Zugleich zeigte ihr Gesicht aber auch deutliche Spuren der Anspannung.

„Gut, dass ihr so zeitig zu Hause seid! Jetzt können wir alles in Ruhe vorbereiten! Packt erst einmal aus und dann werden wir gemeinsam den Rest erledigen.“

Mia und Sophie hängten ihre nassen Schwimmsachen und Handtücher auf die Wäscheleine, spülten das benutzte Geschirr ab und räumten alles ordentlich an seinen Platz zurück.

Anschließend trugen sie gemeinsam mit Tante Anna ihre Matratzen, das Bettzeug und ihre Nachthemden ins Wohnzimmer hinunter. Zusätzlich sollte jede von ihnen noch die Sachen holen, die sie darüber hinaus für den kommenden Abend und die Nacht brauchen würde.

Zuletzt verschwand Tante Anna im Keller und kam kurze Zeit später mit einem uralt aussehenden Nachttopf in der Hand zurück. Diesen stellte sie in dem entlegensten Winkel des Wohnzimmers auf.

„Wir können später nicht mehr hoch auf die Toilette gehen“, erklärte sie auf die verblüfften Blicke der Mädchen hin. „Der Schutzzauber wird sich auf das Wohnzimmer beschränken. Daher werden wir uns ausschließlich hier aufhalten.“

Dann schaute sie prüfend aus dem Fenster und sagte: „Ein bisschen Zeit bleibt uns noch. Sophie, mein Schatz, möchtest du vielleicht noch die Brettspiele vom Dachboden holen? Heute wäre doch eine gute Gelegenheit, sich mit ihnen die Zeit zu vertreiben.“

Sophie gefiel die Idee und so stieg sie bereitwillig auf den Dachboden. Kurz darauf kam sie mit einem ganzen Stapel Spiele zurück.

„Von mir aus können wir direkt loslegen“, sagte sie und begann, den Stapel nach ihrem Lieblingsspiel zu durchsuchen.

Tante Anna antwortete: „Ich werde zuerst noch das Wohnzimmer sichern. Dann bin ich bereit.“

Mit diesen Worten schritt sie zur ersten Wand, stellte sich tief durchatmend davor auf, hob die Hände so, dass die Handflächen in Richtung Fenster zeigten, und begann, seltsame Worte zu murmeln. Mia lauschte angestrengt und verstand so etwas wie Ventura protectis nocto!

Kaum hatte die Hexe den Satz zu Ende gesprochen, begann die Luft im Bereich des Fensters bläulich zu flimmern. Dieses Flimmern blieb auch dann noch bestehen, als Tante Anna die Hände langsam wieder sinken ließ.

Die gleiche Prozedur wiederholte die Hexe nun bei dem zweiten Fenster, bei der Terrassen- und schließlich auch bei der Wohnzimmertür.

Erst als das seltsame blaue Flimmern vor jeder einzelnen Öffnung zu sehen war, nickte sie beruhigt.

„Nun kann uns nichts passieren. Die Schattenwölfe können diesen Schutzwall keinesfalls durchbrechen“, stellte sie zufrieden fest.

Mia fühlte sich in der Tat sehr geborgen, und als sie sich mit ihrer Cousine und Tante Anna zum Spielen an den Esstisch setzte, kam es ihr fast so vor, als wäre heute ein ganz normaler Abend.

Eine ganze Zeit lang waren alle drei komplett ins Spiel vertieft und es herrschte eine beinahe ausgelassene Stimmung.

Erst nach einer geraumen Weile fielen den Mädchen und Tante Anna auf, dass der Wind sich mittlerweile verstärkt hatte. Er heulte laut ums Haus, und es war inzwischen auch im Wohnzimmer so kalt geworden, dass alle drei fröstelten.

„Ich mache uns ein Feuer“, verkündete Tante Anna und stand auf. „Außerdem habe ich uns Zooteig vorbereitet. Was sagt ihr dazu?“

Sophie rief erfreut: „Zooteig? Den hatten wir ja schon ewig nicht mehr!“

An Mia gewandt, erklärte sie: „Meine Mutter macht ihn nur selten, weil es eine Heidenarbeit ist, ihn herzustellen.“

„Und was ist daran so besonders?“, wollte Mia wissen.

Ihre Cousine antwortete: „Du nimmst ein Stück davon, spießt es auf einen Stock und hältst ihn übers Feuer. Wenn er gar ist, verformt er sich zu irgendeinem Tier. Wenn du dieses dann in den Mund steckst – na ja, du wirst schon sehen! Auf jeden Fall wirst du begeistert sein!“

Mia wartete gespannt, bis Tante Anna das Feuer im Kamin entfacht und eine Schüssel mit einem eigentlich ganz normal aussehenden Teig herbeigeholt hatte.

Zu dritt setzten sie sich nun vor das Feuer. Jede bekam einen langen Stock in die Hand. Dann fragte Tante Anna ihre Nichte: „Möchtest du beginnen?“

Doch Mia war es lieber, erst einmal zuzuschauen. Also machte stattdessen Sophie den Anfang. Sie nahm sich einen Klumpen des Teiges aus der Schüssel und spießte ihn auf das Ende ihres Stocks. Dann hielt sie ihn über das Feuer.

Nach kurzer Zeit gab der Teig ein leises Plopp von sich und puffte auf. Er nahm unverkennbar die Form eines Schafes an und sah nun lecker und knusprig aus.

Sophie schwenkte das Stockende herum, pustete zunächst ein bisschen und nahm dann das Teigschaf herunter. Sie steckte es in den Mund, kaute kurz und schluckte anschließend. Kaum war der Happen in ihrem Magen gelandet, begann sich Sophies Aussehen zu verändern. Dichtes, weißes Ringelfell bedeckte im Handumdrehen ihr Gesicht und die Ohren wurden groß und schlapp. Zu guter Letzt schob sich Sophies Mundpartie auf kecke Weise nach vorne und wurde zu einer langen Schafsschnauze.

Da saß nun ein zum Schreien komisch aussehendes Sophie-Schaf und blickte frech in die Runde.

Gerade als Mia sich fragte, wie lange ihre Cousine den Schafskopf behalten würde, begann sich Sophie auch schon wieder zurück zu verwandeln. Wenige Augenblicke später hatte sie ihr übliches Gesicht wieder und kringelte sich vor Lachen. Mia fiel sofort in das Gelächter ein und auch Tante Anna musste breit schmunzeln.

„Jetzt du!“, sagte Sophie zu Mia und reichte ihr die Schüssel.

Mia machte nun das nach, was sie bei ihrer Cousine beobachtet hatte.

Puff – verformte sich ihr Teigstück zu einem Elefanten. Fast hätte sie sich die Finger verbrannt, als sie ihn vom Stock nehmen wollte.

Das Gebäcktier schmeckte in der Tat lecker. Ein bisschen so wie Pizzabrötchen. Doch Mia war viel zu gespannt, wie es sein würde, sich in einen Elefanten zu verwandelt. Daher kostete sie den Geschmack nicht lange aus, sondern schluckte den Bissen rasch hinunter.

Unmittelbar darauf machte sich ein seltsames Gefühl in ihr breit. Sie spürte, wie ihre Ohren immer größer und größer wurden, bis sie sich schließlich selbst damit Luft zufächeln konnte. Gleichzeitig begann ihre Nase gigantische Ausmaße anzunehmen und sich in Form und Farbe so zu verändern, dass schließlich ein gewaltiger Rüssel mitten in ihrem Gesicht prangte. Neugierig versuchte Mia, den ungewohnten Körperteil zu bewegen, und tastete sich vorsichtig damit in Sophies Richtung.

„Komm, du kleiner Elefant, ich habe hier eine leckere Erdnuss für dich!“, kicherte ihre Cousine.

Doch noch während Mia sich bemühte, mit dem Rüsselende Sophies Handfläche zu berühren – was ein überaus schwieriges Unterfangen war – schrumpfte er schon wieder und Mia hatte ihre kleine Stupsnase und ihre zierlichen Ohren zurück.

Mia konnte nicht sagen, was sie lustiger fand: Sich selbst in ein Tier zu verwandeln oder den zwei anderen dabei zuzusehen, wie sie es taten.

Sie gab die Schüssel an Tante Anna weiter, ohne sich sicher zu sein, ob diese überhaupt mitmachen würde. Vielleicht fand sie als Erwachsene es ja auch zu albern?

Aber das war keineswegs der Fall! Ihre Tante nahm die Schüssel entgegen und spießte sich ein Teigstück auf, ohne mit der Wimper zu zucken.

Mit einem Plopp formte sich auf dem Stockende der Hexe ein Löwe. Als sie ihn gegessen hatte, wurden ihre ordentlich frisierten Haare zu einer gigantischen, wilden Mähne. Die Schnurrhaare wirkten recht harmlos. Die gewaltigen Zähne dagegen, die Tante Anna beim Öffnen ihres Mauls preisgab, waren extrem furchteinflößend.

Nach dem ersten Schreck konnten die Kinder sich vor Lachen kaum mehr halten. Tante Anna sah einfach zu komisch aus, wie sie das Maul weit aufriss und dabei laut brüllte!

Die Schüssel ging immer wieder reihum. Nacheinander wurde der Teig zu einer Ziege, einem Esel, einer Katze, einem Krokodil, einem Affen und sogar zu einem Nilpferd.

Die drei hatten auf diese Weise jede Menge Spaß.

Doch als Sophies Teigstück sich plötzlich zu einem Wolf verformte, kippte die Stimmung schlagartig. Plötzlich hatte keine von ihnen mehr Lust auf das Zooteigspiel und so legten alle ihre Stöcke beiseite. Die gute Stimmung war von einem auf den anderen Moment hinüber.

Tante Anna zog das Tuch von der Musikwichtelbox, weil sie hoffte, die Musik würde sie ablenken. Aber keine der drei konnte sich unter den gegebenen Umständen daran erfreuen. Daher deckte die Hexe das Häuschen nach einer Weile wieder zu und brachte die Wichtel somit zum Verstummen.

Schließlich begann Sophie, von dem Thema zu reden, über das sowieso alle nachgrübelten. „Sag mal, Mama, warum unternimmt der Magische Rat eigentlich nichts gegen dieses Loch im Tor zwischen den Ebenen und gegen die Schattenwölfe?“

Die Hexe seufzte und erwiderte: „Wir haben schon alles versucht! Doch nichts hat geholfen! Aber lass mich Mia kurz beschreiben, was der Magische Rat überhaupt ist, damit sie unser Gespräch auch versteht. Danach erzähle ich dir alles Weitere, ja?“

Sie wandte sich ihrer Nichte zu und erklärte: „Der Magische Rat, den Sophie eben erwähnt hat, setzt sich aus den zwölf mächtigsten Zauberern und Hexen des Magischen Waldes zusammen. Auch ich bin Mitglied des Rates. Wir halten regelmäßig einmal pro Woche eine Versammlung ab und besprechen wichtige Angelegenheiten des Waldes. Wenn Probleme auftreten, versuchen wir, Lösungen zu finden, die für die Gemeinschaft am besten sind. Wir schlichten Streitigkeiten unter den Waldbewohnern, treffen anliegende Entscheidungen und so weiter. Insgesamt sind wir also, so gesehen, für die Einigkeit und Sicherheit im Magischen Wald zuständig. Daher wäre es auch unsere Angelegenheit, das Loch im Tor zwischen den Ebenen wieder zu verschließen.

In der Vergangenheit mussten die Schutzzauber in diesem Tor schon ungewöhnlich häufig erneuert werden und jedes Mal hat uns der Weise Fels Ratschläge gegeben, wie das zu bewerkstelligen war.

Der Weise Fels ist uralt. Niemand weiß, wie lange er schon existiert. Er ist seit Menschengedenken hier in diesem Wald und steht dessen Bewohnern beratend zur Seite. Er scheint fast alles zu wissen und hat uns bisher immer unterstützt.“

Nun richtete Tante Anna ihre Worte wieder an beide Mädchen: „Dieses Mal ist es anders. Wir sind bereits unzählige Male zum Weisen Fels gegangen und haben ihn befragt. Aber er schweigt einfach. Kein einziges Wort konnten wir ihm entlocken. Wir wissen nicht, ob eventuell kein Leben mehr in ihm ist oder ob wir ihn vielleicht auf irgendeine Weise verärgert haben. Jedenfalls zeigt er keinerlei Regung, wenn wir ihn anrufen. Es ist zum Verzweifeln!

Wir haben auch sonst alles Mögliche ausprobiert: Alle erdenklichen Zauberbücher gewälzt, jeden Zauberspruch angewandt, der infrage käme, und diverse Tränke gebraut. Aber nichts hat geholfen. Wir wissen bald nicht mehr weiter.“

Tante Anna hielt erschrocken in ihrer Rede inne. „Oh nein! So viel wollte ich eigentlich gar nicht sagen! Schließlich wollte ich euch nicht beunruhigen, indem ich euch erzähle, dass wir momentan ratlos sind. Es tut mir leid!“

Mia und Sophie waren tatsächlich beunruhigt. Gleichzeitig machte es sie aber auch stolz, dass die ältere Hexe ihnen all das anvertraute.

„Ich kann euch trotz allem versichern, dass wir heute Nacht hier sicher sind. Euch wird nichts zustoßen! Ihr könnt wirklich ganz beruhigt sein. Das Loch im Tor zwischen den Ebenen konnten wir zwar nicht vollständig verschließen, aber meine Schutzzauber sind mächtig genug, um die Schattenwölfe aus unserem Wohnzimmer fernzuhalten“, fügte Tante Anna hinzu.

Dann schaute sie auf die Uhr und meinte: „Es ist nun auch schon sehr spät. Ihr beiden legt euch jetzt am besten hin und schlaft.“

Mia und Sophie waren in der Tat ziemlich müde und so protestierten sie nicht. Sie zogen ihre Nachthemden an, benutzten den Nachttopf, den Tante Anna bereitgestellt hatte, und legten sich in ihre Betten. Ausnahmsweise hexte Sophies Mutter den Mädchen die Zähne mit einem kurzen Zauberspruch sauber.

Das Feuer knisterte gemütlich und Tante Anna summte ein beruhigendes Liedchen vor sich hin, während sie am Tisch saß und strickte. So fühlten die beiden Cousinen sich geborgen und schliefen trotz des Gedankens an die umherschleichenden Schattenwölfe rasch ein.

Mia wusste nicht, wie lange sie schon geschlafen hatte, als sie plötzlich aufschreckte. Ein unheimliches Heulen hatte sie aus ihrem Traum gerissen. Noch während sie überlegte, ob sie sich alles nur eingebildet haben könnte, ertönte der Laut erneut. Dieses Mal klang er sogar noch näher als zuvor. Ein eiskalter Schauer lief Mia den Rücken herunter.

Auch Sophie, die neben ihr auf der Matratze lag, fuhr hoch. Die Mädchen schauten sich erschrocken an und keine von beiden brachte einen Ton heraus.

Dann erklang das gruselige Heulen ein drittes Mal. Mia zuckte zusammen. Der Laut ging ihr durch Mark und Bein. Er hatte so nah geklungen!


Mia konnte sich vor Schreck nicht rühren. Regungslos starrte sie zum Fenster.

Plötzlich tauchte ein unheimlicher Schatten davor auf. Er hatte die Form eines riesigen Wolfes mit einem gigantischen Maul und einem langen buschigen Schwanz. Doch ging er wie ein Mensch auf zwei Beinen.

Der Schatten vor dem Fenster wurde immer kleiner und schärfer, woraus Mia schloss, dass das Wesen sich stetig näherte.

Mias Kehle wurde schlagartig trocken und sie war starr vor Schreck.

Als die unheimliche Kreatur scheinbar direkt vor dem Fenster stand, tauchte Tante Anna plötzlich ebenfalls in Mias Sichtfeld auf. Sie trat entschlossen einen Schritt auf die Scheibe zu, hob konzentriert die Hände und murmelte mit geschlossenen Augen eindringlich Wörter vor sich hin. Dabei traten ihr Schweißperlen auf die Stirn und ihre Hände begannen leicht zu zittern. Anscheinend kostete sie das, was sie tat, eine enorme Kraft.

Mia schaute angstvoll zu und hörte auch Sophie neben sich schnell und flach atmen.

Die Worte der Hexe wurden immer beschwörender und schließlich sah man deutlich, wie das blaue Flimmern vor dem Fenster dichter wurde und heller zu leuchten begann. Daraufhin drehte der Schattenwolf offensichtlich widerwillig ab und bewegte sich in eine andere Richtung davon.

Erleichtert atmeten Mia und Sophie auf.

Tante Anna ließ erschöpft ihre Hände sinken und hörte mit dem Gemurmel auf. „So schwer war es noch nie, die Schattenwölfe fern zu halten. Sie scheinen an Macht zu gewinnen“, stellte sie stirnrunzelnd fest. Im nächsten Moment lächelte sie die Mädchen entschlossen und beruhigend an und fügte hinzu: „Aber an mir kommen sie nicht vorbei! Dazu bedarf es einiges mehr! Kommt, schlaft weiter, ihr Süßen. Ihr seid hier in Sicherheit!“

Sie selbst trug nach wie vor ihre normale Kleidung, schien also bisher noch nicht ins Bett gegangen zu sein. So wie es aussah, hatte sie stattdessen die ganze Zeit lang über die beiden Mädchen gewacht.

Mia und Sophie legten sich wieder hin. Doch Mias Herz schlug noch immer heftig und sie fühlte sich furchtbar zittrig. Vorsichtig tastete sie nach der Hand ihrer Cousine und hielt sie anschließend fest umschlossen. Sophie erwiderte ihren Druck. Und obwohl ihre Hand dabei ebenfalls deutlich zitterte, beruhigte die Berührung Mia, und so fiel sie nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf.

Sie träumte zwar schlecht, wachte aber erst wieder auf, als es im Zimmer hell wurde.

Ihre Tante saß immer noch vollständig angekleidet neben dem inzwischen erloschenen Kamin und sah recht müde, aber auch unverkennbar erleichtert aus.

„Die Nacht ist vorüber“, begrüßte sie ihre Nichte lächelnd.

Auch Mia war sehr erleichtert. Was sie in der Nacht erlebt hatte, war überaus unheimlich gewesen. Sie war heilfroh darüber, dass der nächste Vollmond noch eine ganze Weile auf sich warten lassen würde.

Sophie war scheinbar bereits vor Mia aufgewacht und schon im Badezimmer gewesen. Sie war fix und fertig angezogen und gerade dabei, den Frühstückstisch zu decken.

Nachdem sich auch Mia fertig gemacht hatte, aßen die drei gemeinsam ihre Morgenmahlzeit. Sie ließen die Wichtel musizieren und dieses Mal konnten sich wieder alle an der Musik erfreuen.

Als sie fast mit dem Essen fertig waren, kam Kosko, der Botenvogel, durch das offene Fenster hereingeflogen. Er setzte sich mitten auf den Tisch und machte sich über einige umherliegende Krümel her.

„Nun rede schon!“, forderte Tante Anna ihn ungeduldig auf.

Kosko betrachtete eingehend seine Krallen und sagte: „Diese Roggenbrötchen scheinen wirklich köstlich zu sein. Ich könnte es allerdings wesentlich besser beurteilen, wenn ich mehr als nur so ein paar armselige Krümelchen davon abbekäme!“

Tante Anna schlug aufgebracht mit der Faust auf den Tisch und fuhr den Vogel an: „Wenn du nicht sofort berichtest, was mit Oma Käthe ist, bekommst du nie mehr auch nur die kleinsten Krümel von mir!“

Mia blickte ihre Tante erstaunt an. So aufbrausend kannte sie sie gar nicht! Aber die Übermüdung und die offensichtliche Sorge um die Frau, die sie Oma Käthe nannte, machten sie anscheinend sehr reizbar.

Auch Kosko merkte wohl, dass Tante Anna heute in der Lage wäre, ihre Drohung wahr zu machen, und antwortete rasch: „Es geht ihr gut. Sie hat die Nacht unbeschadet überstanden und lässt grüßen. Sie sagte, sie freue sich schon auf den nächsten Besuch und lädt Sie, Ihre Tochter und Ihre Nichte für den kommenden Samstag zu sich nach Hause ein.“

„Gut“, erwiderte Tante Anna und entließ den Botenvogel mit einem knappen Nicken. Dieses Mal traute er sich nicht, mehr von dem Brötchen zu fordern, und flog mit pikierter Miene davon.

„Schön, dass es Oma Käthe gut geht“, atmete die Hexe auf. Dann gähnte sie herzhaft und sagte zu den beiden Mädchen: „Ich werde mich ein wenig schlafen legen. Die Nacht war sehr anstrengend für mich. Was möchtet ihr zwei denn unternehmen?“

Mia und Sophie schauten sich an und hatten sofort den gleichen Gedanken. „Wir werden zu Lindara gehen.“

Tante Anna nickte. „Tut das. Ich wünsche euch viel Spaß! Würdet ihr vorher bitte noch den Tisch abräumen?“

Mit diesen Worten stand sie auf, gähnte erneut und wankte schlaftrunken aus dem Zimmer.

Die Cousinen taten, um was sie gebeten worden waren, und machten sich anschließend unverzüglich auf den Weg zu der Elfe.

Eine geheimnisvolle Stimme

Mia und Sophie nahmen den üblichen Weg zum Haus ihrer Freundin. Alles um sie herum schien wieder ganz normal zu sein – die Vögel sangen, ab und zu grüßte ein Baum am Wegesrand, und im Unterholz hörte man so manches Tier rascheln. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel herab und verbreitete eine angenehme Wärme. Absolut nichts deutete auf die Schrecken der vergangenen Nacht hin.

Doch als die Mädchen an Lindaras Baumhaus geklingelt hatten und die Elfe ihnen öffnete, bemerkten sie, dass ihre Freundin nicht so fröhlich wie sonst wirkte. Ihr normalerweise so heiteres Gesicht hatte heute einen unübersehbar sorgenvollen Ausdruck. Als Lindara die beiden Kinder hereinbat, wirkte sie ungewohnt ernst und in sich gekehrt.

Mia und Sophie ließen sich von ihrer Freundin in die Laube führen und nahmen am Holztischchen Platz. Die Elfe holte drei Gläser und eine Karaffe, in der sich Quellwasser befand.

„Ich bin heute nicht in der Stimmung, mich an Köstlichkeiten zu laben“, erklärte sie den Kindern das schlichte Getränk.

Mia und Sophie warfen sich gegenseitig verwunderte Blicke zu. Die schreckliche Nacht war doch endlich vorüber! War das nicht eigentlich Anlass zur Freude?

Lindara, die den fragenden Ausdruck in den Gesichtern der Kinder bemerkte, vergrub ihr Gesicht in den zarten Händen und stöhnte: „Die Nacht war grauenvoll! Zwar haben die meisten von uns sie unbeschadet überstanden, aber leider nicht alle. Die Schattenwölfe waren machtvoller als in den vergangenen Nächten und nicht jeder Waldbewohner konnte seinen Schutzzauber aufrechterhalten. Ich weiß von einer Gruppe Zwerge und einer kompletten Feenfamilie, die von den schrecklichen Kreaturen verschleppt wurden. Und das sind bestimmt noch nicht alle.“

Bei den letzten Sätzen traten der Elfe Tränen in die Augen. „Feen sind doch so hilflose, liebreizende Geschöpfe, die niemandem jemals etwas zuleide tun würden! Und nun sind sie Sklaven im Reich der Unterirdischen! Mir krampft sich das Herz zusammen, wenn ich nur daran denke!“

Mia und Sophie schauten Lindara bestürzt an. Das hatten sie nicht gewusst! Auch sie fühlten sich augenblicklich, als hätte ihnen jemand die Kehle zugeschnürt. Der Gedanke daran, dass die Schattenwölfe Zwerge, Feen und wer weiß wen sonst noch verschleppt hatten, war einfach zu furchtbar.

Schweigend saßen die drei Freundinnen am Tisch. Keine von ihnen hatte Lust zum Reden, da jede ihren eigenen trüben Gedanken nachhing.

Nach einer ganzen Weile, als die Traurigkeit fast nicht mehr auszuhalten war, klingelten plötzlich die Glöckchen an Lindaras Haustür. Das fröhliche Geräusch riss die drei aus ihrem Trübsinn.

„Wer könnte das wohl sein?“, fragte die Elfe stirnrunzelnd und trat an das Geländer der Laube. Sie spähte hinunter und rief: „Wer ist da?“

Auch Mia und Sophie waren aufgestanden und hatten neben Lindara Stellung bezogen.

Ein brauner Haarschopf wurde sichtbar und ein Jungengesicht guckte nach oben. Es war Tristan, wie Mia erfreut erkannte. Er rief zu ihnen hoch: „Guten Morgen! Dachte ich’s mir doch, dass ihr alle hier seid! Habt ihr Lust, mit mir zu kommen? Ihr seht aus, als könntet ihr ein wenig Ablenkung vertragen!“

Die Elfe rief zurück: „Wir fühlen uns nicht danach, durch den Wald zu streifen. Die Nacht war einfach zu schrecklich! Und wohin willst du überhaupt gehen?“

Tristan antwortete: „Die Nacht war wirklich schlimm. Aber es ist doch niemandem geholfen, wenn ihr hier herumsitzt und gemeinsam Trübsal blast, oder? In der Nähe des Sukalberges wurde ein Einhorn gesehen. Ich werde auf jeden Fall hinlaufen und schauen, ob ich es finden kann. Kommt doch mit, damit ihr endlich auf andere Gedanken kommt!“

Die Freundinnen guckten sich gegenseitig an. Eigentlich hatte Tristan recht: Mit Trübsalblaserei konnten sie die Nacht auch nicht ungeschehen machen. Es würde ihnen guttun, ein wenig abgelenkt zu werden. Außerdem waren Einhörner sehr seltene Geschöpfe, die man nur mit äußerst viel Glück zu Gesicht bekam, wie Sophie Mia rasch erklärte. Daher entschieden die Mädchen und die Elfe, sich dem Jungen tatsächlich anzuschließen.

Hurtig liefen sie die schmale Wendeltreppe nach unten und öffneten die Tür.

„Na also!“, sagte Tristan lächelnd. „Kommt, wir müssen uns beeilen, sonst ist das Einhorn längst über alle Berge, bis wir angekommen sind!“

Er drehte sich um und ging schnellen Schrittes einen der schmalen Pfade entlang, die von Lindaras Haus abgingen. Die drei Freundinnen folgten ihm aufgeregt.

In Windeseile legten die vier eine weite Strecke zurück. Es ging mal über breitere, mal über sehr schmale Waldwege. Manche von ihnen wurden sehr selten benutzt und waren daher extrem verwildert. Die kleine Gruppe musste nicht selten über umgestürzte Bäume steigen und durch dichte Hecken kriechen.

Während des beschwerlichen Weges dachte Mia darüber nach, dass also auch Einhörner wirklich existierten. Woher die Autoren von den Geschichten, in denen Zwerge, Feen, Einhörner und dergleichen vorkamen, wohl gewusst hatten, wie diese Wesen aussahen? Ob sie den Magischen Wald auch einmal besucht hatten?

Jäh wurde Mia aus ihren Gedanken gerissen, als Tristan plötzlich seine Schritte verlangsamte. Sie waren an einer großen Lichtung angekommen, in deren Hintergrund ein felsiger Berg in die Luft ragte.

„Der Sukalberg!“, sagte Tristan. „Hier irgendwo in der Nähe ist das Einhorn gesichtet worden! Lasst uns über die Lichtung gehen und am Berg danach Ausschau halten!“

Gesagt, getan. Während ihres Marsches über die Wiese stöberte die Gruppe allerlei Tiere wie Rehe, Füchse, Hasen und sogar Wildschweine auf. Ein Einhorn war aber nicht darunter.

Allerdings hatten die Kinder und die Elfe sich auch wenig Hoffnung gemacht, das seltene Wesen mitten auf einer Lichtung zu sehen. Sie vermuteten es eher im Schutz der Bäume oder Büsche am Fuß des Berges.

Hinter der großen Wiese gelangte die kleine Gruppe in eine schmale Schlucht. Rechts und links ragten hohe Felsen empor. Diese waren von unzähligen Kletterpflanzen überwuchert. Vielleicht würden sie das Einhorn hier entdecken?

So lautlos wie möglich schlichen sie die Schlucht entlang. Bevor sie abbogen, spähten sie zuvor jedes Mal vorsichtig um die Ecken. Außerdem unterhielten sie sich höchstens leise flüsternd.

Doch es verstrich eine längere Zeit, ohne dass auch nur die geringste Spur eines Einhorns zu sehen war.

„Sollen wir weitersuchen oder aufgeben?“, fragte Sophie schließlich, nachdem sie erfolglos fast den ganzen Berg umrundet hatten.

„Psst!“, machte Mia. Gerade hatte sie eine fremde Stimme vernommen. Sie war tief und klang gutmütig, aber auch wie aus weiter Ferne. Mia meinte die Worte „Kommt! Kommt her zu mir!“, verstanden zu haben.

Sie fragte die anderen: „Wer war das?“

Sophie, Lindara und Tristan schauten sie verständnislos an.

„Was meinst du?“, fragte die Elfe.

Verwirrt antwortete Mia: „Na, die Stimme, die nach uns ruft! Sie war recht leise, vielleicht konntet ihr sie deshalb nicht hören!“

Kaum hatte sie den Satz beendet, vernahm sie den Ruf erneut. „Kommt! Kommt her zu mir!“

Sie schaute ihre Freunde an, sah aber an deren Gesichtern, dass sie immer noch nichts bemerkt hatten.

Mia war zwar verwundert darüber, die Einzige zu sein, die die Stimme hörte, konnte aber nicht anders, als ihr zu gehorchen. Ihre Füße liefen fast ohne ihr Zutun in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.

Tristan versuchte, sie am Arm festzuhalten. „Bleib besser hier!“, sagte er. „Wer weiß, wen oder was du da gehört hast!“

Auch Sophie und Lindara schauten beunruhigt drein.

Aber Mia war sich in ihrem Inneren sicher, dass von dem Besitzer dieser Stimme keine Gefahr ausging. Und genau das teilte sie auch ihren Freunden mit.

Diese waren zwar nicht wirklich überzeugt, aber weil Mia sich nicht davon abbringen ließ, dem Ruf zu folgen, sahen sie sich trotzdem gezwungen mitzukommen. Schließlich konnten sie Mia nicht alleine gehen lassen!

Mia lief am Fuß des Sukalberges entlang, bis ein kleiner, unscheinbarer Pfad nach links abzweigte. Die Stimme, die immer eindringlicher und lauter wurde, schien vom Ende dieses kleinen Weges zu kommen.

Die Kinder und die Elfe folgten dem Pfad, bis sie auf eine hohe Felswand stießen. Hier ging es nicht mehr weiter.

Mia dachte schon, sie sei an der falschen Stelle abgebogen, und wollte bereits umkehren, als sie plötzlich sah, wie sich aus der Felswand auf wundersame Weise ein riesiges Gesicht zu formen begann. In diesem Moment war sie sich sicher, den Besitzer der geheimnisvollen Stimme gefunden zu haben.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.