Kitabı oku: «Sexuelle Gewalt gegen Frauen», sayfa 2

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2.2Rechtliche Definitionen und Straftatbestände
2.2.1Rechtshistorie

Der dreizehnte Abschnitt des Strafgesetzbuches des Deutschen Reiches vom 15. Mai 1871 regelte unter der Überschrift „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ u.a. strafbare Handlungen wie Doppelehe, Ehebruch und Blutschande. Im Mittelpunkt des Sexualstrafrechts standen zur damaligen Zeit die Begriffe Unzucht und unzüchtige Handlung. Als Unzucht galt jedes gegen Zucht und Sitte verstoßende Handeln im Bereich des geschlechtlichen Umgangs zwischen mindestens zwei Personen. Unzüchtige Handlungen waren solche, die objektiv das allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzten und subjektiv von sexueller Begierde getragen wurden. Fand die Handlung innerhalb einer Ehe und nicht öffentlich statt, war die Sittlichkeit nicht berührt und es lag entsprechend keine Unzucht vor.28 Ebenfalls als Voraussetzung einer Strafbarkeit galt lange Zeit der moralisch einwandfreie Ruf der betroffenen Frauen sowie das „Brechen eines ernsthaften Widerstands“29.

Nach allgemeiner Auffassung bedurfte es für die Strafbarkeit von Sittlichkeitsdelikten zur damaligen Zeit nicht der Verletzung eines Rechtsguts. Entscheidend war vielmehr die gesellschaftliche Einordnung dessen, was als unzüchtige Handlung anzusehen ist. Erst mit Ende des neunzehnten und dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts setzte sich die Rechtsgutslehre in der Strafrechtswissenschaft durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere ab Ende der fünfziger Jahre bis in die siebziger Jahre hinein, kam es zu tiefgehenden Diskussionen über das Strafrecht, an deren Ende die noch heute herrschende Auffassung stand, dass das Strafrecht durch den Schutz von Rechtsgütern der Verwirklichung des Gemeinwohls und des Rechtsfriedens dient. Dementsprechend darf der Staat seine Strafgewalt nur zum Schutze von Freiheiten und Rechten ausüben. Dieser Auffassung folgend darf unsittliches Verhalten nicht um seiner selbst willen mit Strafe bedroht werden, vielmehr ist die Verletzung eines Rechtsguts erforderlich. Ein solches ist die Sittlichkeit nach heutigem Verständnis nicht.30

Mit dem 4. Strafrechtsreformgesetz (StrRG) vom 23. November 1973 wurde der Übergang des Strafrechts vom so genannten Sittenstrafrecht hin zu einem am Freiheitsschutz orientierten Sexualstrafrecht geebnet. Nachdem die Vorschriften zum Sexualstrafrecht rund einhundert Jahre nahezu unverändert Bestand hatten, wurde das System der Vorschriften gegen unfreiwillige Sexualkontakte neu geordnet.31

Die Abkehr von den Begriffen der Unzucht und Sittlichkeit sowie die erneuerte Überschrift des dreizehnten Abschnitts „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ verdeutlichen die Hinwendung zum echten Rechtsgüterschutz. Im Zentrum stand nun der Schutz des bzw. der Einzelnen vor Beeinträchtigung seiner oder ihrer sexuellen Selbstbestimmung.32 Als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurde die sexuelle Selbstbestimmung von nun an aus der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde und dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit abgeleitet.33 Gleichzeitig bewirkte die Reform eine Humanisierung, Liberalisierung und Entkriminalisierung im Bereich der gewaltlosen Sexualdelikte.34

Bereits in den frühen achtziger Jahren geriet die Rechtsprechung des BGH zu Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen in die Kritik von Frauenrechtlerinnen und Teilen der strafrechtlichen Wissenschaft.35 Insbesondere wurde der Begriff der Vergewaltigung im StGB in dieser Zeit als zu eng gefasst beanstandet. Ausschließlich sexuelle Handlungen, die durch körperliche Gewalt oder Drohungen mit erheblicher Gefahr für Leib oder Leben erzwungen wurden, waren strafbar. Damit blieben zum Beispiel Handlungen straflos, die die Betroffenen aus massiver Angst vor dem Täter wehrlos über sich ergehen ließen.36 Schwere Sexualstraftaten dieser Zeit, begangen durch rückfällige Sexualstraftäter37, führten zu einer weitergehenden Sensibilisierung der Bevölkerung und Emotionalisierung der Diskussion (siehe hierzu Abschnitt 2.1). Auch blieb das zu erwartende Absinken der registrierten Sexualdelinquenz aufgrund der beschriebenen Entkriminalisierung in der Polizeilichen Kriminalstatistik aus. Zunehmend wurde über eine grundlegende Gesetzesreform diskutiert, da die vorherrschende Rechtslage dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht ausreichend gerecht wurde.38

Das 33. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄndG) vom 01. Juli 1997 sowie das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 trugen dieser Kritik Rechnung und gestalteten die §§ 177 bis 179 StGB neu. Im Zuge der Reformierung wurde die Vergewaltigung mit der sexuellen Nötigung in einem Paragraphen zusammengefasst (§ 177 StGB). Der Vergewaltigungsbegriff wurde dabei erweitert und die Vergewaltigung als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung normiert. Neben Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben wurde außerdem das Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, als zusätzlicher Tatbestand eingeführt. Die sexuelle Nötigung (von 1973 bis 1997 geregelt in § 178 StGB) wurde um zusätzliche Qualifikationstatbestände ergänzt.39 Unter der Perspektive einer Opferorientierung wurden Straftatbestände erweitert, Strafrahmen erhöht und neue Straftatbestände eingeführt, „um den Schutz der Allgemeinheit insbesondere vor gefährlichen Sexualstraftätern zu gewährleisten“40.

Erstmals in der Geschichte war von nun an eine Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Der BGH entschied, dass der Strafrahmen eines besonders schweren Falls der sexuellen Nötigung generell auf eine Vergewaltigung in der Ehe anwendbar ist.41 In der Praxis hingegen wurde allerdings der Umstand vorausgegangener Intimbeziehungen, wie in Ehen üblich, häufig als wesentlicher strafmildernder Gesichtspunkt42 aufgefasst und eine Verurteilung nicht als schwerer Fall gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F., sondern nach § 177 Abs. 1 StGB a.F. oder als minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 5 StGB a.F. vorgenommen.43

Da 1997 keine grundlegende Änderung des relevanten § 177 vorgenommen wurde, blieb die vorangegangene Kritik bestehen: Sexuelle Handlungen waren nur dann strafbar, wenn der Täter eines von drei so genannten Nötigungsmitteln angewandt hatte. So gab es weiterhin eine Reihe von Fallkonstellationen, in denen Täter sexuelle Handlungen gegen den Willen der Betroffenen vornehmen konnten und dabei straffrei blieben.44

Im Jahr 2000 stellte die Bundesregierung, begleitet von öffentlichen Diskussionen und Kritik um das Reformwerk, erste Überlegungen an, das gesamte Sexualstrafrecht dahingehend erneut zu überprüfen, ob strafwürdige Sachverhalte lückenlos erfasst werden.45 Das ab 01. Januar 2002 gültige „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ (Gewaltschutzgesetz) war dabei ein Schritt, die rechtliche Stellung von Opfern häuslicher Gewalt zu stärken. Auch nachfolgende Anpassungen, wie beispielsweise das „Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften“ vom 27. Dezember 2003 trugen der Kritik teilweise Rechnung. Tatbestände wurden ausgeweitet, neue Tatbestände eingefügt und Strafdrohungen nochmals verschärft.46 Gleichzeitig wurden kritische Stimmen lauter, die in den Anpassungen lediglich gesetzgeberischen Aktionismus und einen Kurswechsel der Kriminalpolitik von einer liberalen zu einer repressiven Tendenz sahen.47 Im Gegensatz zu früheren Reformen, denen langjährige Auseinandersetzungen vorausgingen, nahmen nun tagespolitische Themen zunehmend Einfluss auf die Reformdiskussion, was sich mit einer bis dato unbekannten Schnelligkeit in Änderungen des Sexualstrafrechts niederschlug.48

Am 11. Mai 2011 wurde in Istanbul das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention) beschlossen.49 Zweck des Übereinkommens ist gemäß Artikel 1 Abs. 1a unter anderem, „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen“. Die Istanbul-Konvention verpflichtet die beteiligten Staaten, Maßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt zu ergreifen. Dazu zählen Prävention, Schutz, Strafverfolgung, organisatorische Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Stellen sowie das Monitoring der Umsetzung. Zudem werden die Staaten verpflichtet, Gesetze zu verabschieden, nach denen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt bestraft wird, entsprechende gesetzliche Vorgaben einzuführen und dafür zu sorgen, dass Strafverfolgung auch tatsächlich stattfindet.

Deutschland unterzeichnete die Konvention als einer der ersten Mitgliedsstaaten im Mai 2011. Eine Ratifizierung fand allerdings zunächst nicht statt. Kritiker bemängelten, dass § 177 StGB in der damaligen Fassung dem Artikel 36 der Konvention nicht genügen könnte; letzterer sieht vor, dass jeglicher nicht einvernehmlicher Sexualverkehr unter Strafe zu stellen ist.

Bedingt durch die mediale und politische Diskussion um den Fall eines aus den Medien bekannten Modells, das nach der widerrechtlichen Veröffentlichung eines Sexvideos mit zwei Männern Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet hat, aber wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde sowie die Übergriffe auf Frauen durch Gruppen junger Männer in der Silvesternacht 2015/2016 zum Beispiel in Köln50, wurde die Kritik am geltenden Strafrecht erneut laut. Mit dem 50. StrÄndG vom 04. November 2016 wurde die neueste Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Umgestaltet wurde insbesondere der § 177 StGB dahingehend, dass sich nicht mehr nur derjenige strafbar macht, der sexuelle Handlungen durch Gewalt, Gewaltandrohung oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage des Opfers erzwingt, sondern auch derjenige, der sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt.

„Durch die Neuregelung wird die Missachtung der Entscheidung gegen einen Sozialkontakt – und nicht erst die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung durch Nötigung – zum Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs und die populäre Forderung ‚Nein heißt Nein‘ zum Leitprinzip des Sexualstrafrechts.“51

Ergänzt wurde das StGB im Zuge des 50. StrÄndG außerdem durch den Straftatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) und die Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) (siehe genauer Abschnitt 2.2.2).

Bundesrat und Bundestag stimmten der Instanbul-Konvention am 17. Juli 2017, somit nach Einführung des neuen Sexualstrafrechts, zu.52 Nach dieser Ratifizierung trat die Instanbul-Konvention am 01. Februar 2018 für Deutschland in Kraft.

2.2.2Aktuelle Straftatbestände

Mit dem 50. StrÄndG wurde das Sexualstrafrecht 2016 grundlegend verändert. In dem folgenden Abschnitt werden die relevanten rechtlichen Bestimmungen zu Sexualdelikten in der aktuellen Fassung ausführlich dargestellt.

Der neue § 177 StGB „Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ ist im Vergleich zum vorhergehenden Straftatbestand deutlich reformiert worden.53 Hierbei hatte die Implementierung der so genannten Nichteinverständnislösung („Neinheißt-Nein“-Lösung) höchste Priorität. Entscheidend für die Strafbarkeit der Handlung ist nun der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers.

Nach § 177 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft,

„wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt“.

Sexuelle Handlungen sind gem. § 184h StGB nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.

Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle auf den Begriff der Nötigung verzichtet. Dieser setzte die Überwindung des entgegenstehenden Willens des Opfers mit Zwangsmitteln voraus. Folglich wird nun kein Finalzusammenhang mehr zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und der sexuellen Handlung verlangt. Ob der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Dafür wird entweder eine ausdrücklich, das heißt verbale Erklärung oder ein konkludentes Verhalten, wie z.B. Weinen, vorausgesetzt.54

Ist der entgegenstehende Wille des Opfers nicht erkennbar, wird der Täter ebenso bestraft, wenn die in § 177 Abs. 2 StGB genannten Umstände vorliegen. Dies trifft zu, wenn

„1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,

2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,

3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,

4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder

5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.“

Wurden dem Opfer beispielsweise sog. K.O.-Tropfen beigebracht, sind in der Regel die Voraussetzungen gem. § 177 Abs. 2 StGB erfüllt.55

Waren in der alten Fassung des § 177 StGB sämtliche Tatbestände, mit Ausnahme der minder schweren Fälle gem. Abs. 6 (a.F.), als Verbrechen (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) klassifiziert, so verwirklichen die rechtswidrige Taten nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB in der neuen Fassung Vergehenstatbestände (Freiheitsstrafen von 5 Monaten bis zu fünf Jahren). Der Gesetzgeber trug mit dieser Veränderung des Strafrahmens der Vielzahl an möglichen und erwartbaren Fallkonstellationen Rechnung, denen eben keine Nötigung des Opfers mehr voraus gegangen sein muss.56

Die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 sind nach Abs. 3 StGB im Versuch strafbar. Der Versuch beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Vornahme der sexuellen Handlung bzw. mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Einwirkung auf das Opfer.57

Ist die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf eine Krankheit oder Behinderung des Opfers zurückzuführen, so ist die Freiheitsstrafe gem. der Qualifikation nach § 177 Abs. 4 StGB nicht unter einem Jahr zu erkennen.

Gemäß § 177 Abs. 5 StGB ist ebenfalls auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen, wenn der Täter bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB

„1. gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,

2.dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder

3.eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.“ 58

Regelbeispiele des § 177 Abs. 6 StGB benennen zwei besonders schwere Fälle bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2. Vollzieht der Täter mit dem Opfer den Beischlaf, lässt er diesen vollziehen oder nimmt er ähnlich sexuelle Handlungen an dem Opfer vor, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung) oder lässt er diese vornehmen, ist ein Strafrahmen nicht unter zwei Jahren vorgesehen. Während der Gesetzestext des § 177 Abs. 6 StGB zwar nahezu wortgleich mit § 177 Abs. 2 StGB a.F. gestaltet wurde59, begeht der Täter allerdings „nunmehr auch dann eine Vergewaltigung, wenn er ohne eine Nötigung die Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 erfüllt, sodass es zu einer Loslösung von Ausübung von ‚Gewalt‘ im strafrechtlichen Sinne kommt“60. Gleicher Strafrahmen ergibt sich, wird die Tat von mehreren Personen gemeinschaftlich begangen.

Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist gem. § 177 Abs. 7 StGB zu erkennen, wenn der Täter

„1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,

2.sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder

3.das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.“

Verwendet der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug, misshandelt er das Opfer bei der Tat körperlich schwer oder bringt er das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes, sieht der Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vor. Nach Reformierung des Sexualstrafrechts mit Hilfe des 50. StrÄndG unterscheidet sich die textliche und damit inhaltliche Ausgestaltung des § 177 Abs.7 und 8 StGB nur unwesentlich von § 177 Abs. 3 und 4 StGB a.F.

§ 177 Abs. 9 StGB regelt die minder schweren Fälle für die Grunddelikte aus Abs. 1 und 2 sowie die Qualifikationen des Abs. 4 bis 8. Insbesondere kommt dessen Anwendung in Betracht, wenn eine sexuelle Handlung nur geringfügig über der Erheblichkeitsgrenze des § 184h StGB liegt.61 Wurde in der alten Fassung des § 177 StGB bei minder schweren Fällen (des Absatzes 1) auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erkannt, so liegt der Strafrahmen in der neuen Fassung betreffend minder schwerer Fälle im Sinne der Absätze 1 und 2 bei drei Monaten bis zu drei Jahren und betreffend minder schwerer Fälle im Sinne der Absätze 4 und 5 bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Der Strafrahmen bezüglich minder schwerer Fälle der Absätze 7 und 8 liegt bei einem Jahr bis zu zehn Jahren und hat sich im Vergleich zur alten Fassung (§ 177 Abs. 3 und 4 StGB a.F.) nicht verändert.

Verursacht der Täter durch eine in § 177 StGB unter Strafe gestellte Handlung wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so liegt der Strafrahmen gemäß § 178 StGB bei nicht unter zehn Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe. Im Zuge der Reformierung dieser Vorschrift wurde lediglich der Tatbestand des sexuellen Übergriffs hinzugefügt. Leichtfertigkeit bezeichnet in dem Zusammenhang einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit, die nahezu an den Vorsatz grenzt.62 Tötet der Täter das Opfer bei der Begehung eines Sexualdeliktes unter gleichzeitiger Verwirklichung von Mordmerkmalen, wie z.B. aus Mordlust oder zur Befriedung des Geschlechtstriebes, greift an dieser Stelle nicht § 178 StGB, sondern § 211 StGB (Mord), welcher die Tathandlung unter lebenslange Freiheitsstrafe stellt. Diese Strafrechtspraxis blieb durch die Veränderungen im Sexualstrafrecht unberührt.

Zur Ausweitung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung dient außerdem der 2016 neu eingeführte § 184i StGB „Sexuelle Belästigung“. Damit werden insbesondere Fälle in Form eines Antragsdelikts registriert, die im Vorfeld der Reform des Sexualstrafrechts im Einzelfall allenfalls als Beleidung (auf sexueller Grundlage) nach § 185 StGB erfasst wurden. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise, also sexuell motiviert, körperlich berührt und dadurch belästigt. Das verbale Einwirken auf das Opfer reicht für eine Strafbarkeit nicht aus, vielmehr ist der Tatbestand erfüllt, wenn der Täter das Opfer an den Geschlechtsorganen berührt oder Handlungen vornimmt, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetzen, wie beispielsweise das Küssen des Mundes.63

Schließlich werden gem. § 184j StGB Personen bestraft, die in einer Gruppe64 gemeinsam eine andere Person bedrängen, um an ihr die Begehung einer Straftat nach § 177 oder 184i StGB zu ermöglichen.

2.3Grenzen strafrechtlicher Einordnung und wissenschaftliche Definitionen

In Bezug auf die strafrechtliche Begriffseingrenzung muss einschränkend angemerkt werden, dass die „Realität“ im Bereich der Sexualdelikte sich manchmal einer eindeutigen rechtlichen Einordnung entzieht: Die Beschreibung von Michaelis-Arntzen65 aus dem Blickwinkel der Aussagepsychologie und Glaubwürdigkeitsbegutachtung macht deutlich, dass es sich bei Vergewaltigungsdelikten nicht immer um so eindeutige Handlungen handelt, wie die oben genannten Definitionen und Gesetzestexte nahe legen. Regelmäßig bewegen sich Sexualdelikte in einem rechtlichen Graubereich, der beispielsweise durch „Teileinwilligung“66 des Opfers in niedrigschwelligere sexuelle Handlungen, nachträgliche Rücknahme der Einwilligung zum Geschlechtsverkehr, Ablehnung des Geschlechtsverkehrs erst zum Zeitpunkt der Durchführung67 oder „[s]prachliche Missverständnisse“68 bedingt wird. Taten, die sich in solchen Graubereichen bewegen, sind jedoch nicht direkt als Vortäuschungen zu bewerten. Begrifflichkeiten wie die einer „provozierte[n] Vergewaltigung“69, auch wenn die Provokation dabei nicht bewusst erfolgt sein muss70, sollten bei aller notwendigen Differenziertheit der Betrachtung hingegen vermieden werden, um nicht eine Mitschuld des Opfers an der Tat zu implizieren (siehe auch Abschnitte 6.1.2.1 und 7.3).

Trotz der Schwierigkeiten, die rechtliche Definitionen mit sich bringen, stützen sich auch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu Sexualdelikten aus verschiedenen Disziplinen bei der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes in erster Linie auf strafrechtliche Deliktseinordnungen. Insbesondere Arbeiten, die auf Hellfelddaten – beispielsweise in Form von Aktenanalysen – basieren, sind schon aus Gründen der Fallauswahl stark an die rechtliche Einordnung der untersuchten Delikte gebunden. Daher nutzen zahlreiche Untersuchungen Definitionen von sexueller Gewalt, die mehr oder weniger stark an das jeweils gültige Sexualstrafrecht und/oder die Erfassung des konkreten Untersuchungsgegenstandes (z.B. Vergewaltigung durch fremde Täter) in der Polizeilichen Kriminalstatistik angelehnt sind und ggf. durch weitere Festlegungen konkretisiert werden.71

Niemeczek weist jedoch darauf hin, dass sexuelle Deviation beispielsweise auch auf Basis klinischer und zivilrechtlicher (beispielsweise § 825 BGB, Gewaltschutzgesetz) Kriterien definiert werden kann. Den Unterschied zwischen klinischen und strafrechtlichen Definitionen macht sie klar, indem sie betont, dass beispielsweise nicht jede klinisch diagnostizierte Paraphilie strafrechtlich relevant ist.72

Als einer der wenigen Autoren polizeinaher Hellfeldstudien schlägt beispielsweise Dern eine vom Strafrecht unabhängige Definition von sexueller Gewalt im Allgemeinen vor: „Grundsätzlich ist kriminelle Sexualität dadurch gekennzeichnet, dass sexuell assoziierte Grenzen ohne Zustimmung einer beteiligten Person überschritten werden“.73

Insbesondere in Studien, die sexuelle Gewalt (auch) im Dunkelfeld untersuchen, sind weiter gefasste Definitionen zu finden. Oftmals ist es genau das Ziel dieser Studien, Dimensionen von sexuellen Übergriffen zu untersuchen, die das Strafrecht (zum Untersuchungszeitpunkt) nicht abdeckt, die aber für die Betroffenen dennoch sehr belastend sein können. Beispielsweise in einer Studie von Müller und Schröttle finden sich deshalb, neben der stark am (damals gültigen) Strafrecht orientierten Festlegung „erzwungene sexuelle Handlungen, zu denen die Befragte gegen ihren Willen durch körperlichen Zwang oder Drohungen gezwungen wurde“, auch weiter gefasste Definitionen sexueller Gewalt. Diese beinhalten sexuelle Übergriffe, bei denen die Frauen „gedrängt oder psychischmoralisch unter Druck gesetzt“ werden und verschiedene Spielarten sexueller Belästigung, um die „fließenden Übergänge“74 und Grauzonen zwischen nicht strafbaren, sexuell konnotierten Handlungen und Straftatbeständen detailliert zu erfassen.75

Anzumerken bleibt letztlich, dass die Vorgehensweise, sexuelle Gewalt zu Beginn der Durchführung einer Studie bereits zu definieren, von einigen Autorinnen und Autoren generell kritisch bewertet wird. Die schwierige Definierbarkeit des Begriffes führe zwangsläufig zu vielen unterschiedlichen Festlegungen und damit automatisch zu unterschiedlichen Forschungsergebnissen. Vielmehr müssten die (gesellschaftliche) Definition von sexueller Gewalt selbst und deren zugrunde liegende gesellschaftliche Normen erst einer Analyse unterzogen werden.76

7Hoven, 2017.

8Sanyal, 2017, S. 54.

9Sanyal, 2017, S. 54–55.

10Sanyal, 2017, S. 58, 138.

11Reiter, 2003, S. 22-24; Sanyal, 2017, S. 69–70.

12Sanyal, 2017, S. 76.

13Krahé, 1989, S. 102; siehe auch Brownmiller, 1978, S. 226–227; Sanyal, 2017, S. 40–41; Süßenbach, 2017; Krahé, 2018, S. 46.

14Scully/Marolla, 1985, S. 305.

15Deming/Eppy, 1981, S. 358-359; 363; Scully/Marolla, 1985, S. 295; Krahé, 1989, S. 103; Sanyal, 2017, S. 39–40.

16Schneider, 1999, S. 234, siehe auch Krahé, 1989, S. 103.

17Rauch et al., 2002, S. 96.

18Krahé, 2018, S. 46–47.

19Beide Sanyal, 2017, S. 148.

20Beispielsweise Rogers/Ferguson, 2011, S. 397–399, 406–409.

21Sanyal, 2017, S. 150.

22Sanyal, 2017, S. 150 (Hervorhebung im Original).

23Beide Klimke/Lautmann, 2018, S. 26; siehe auch Dern, 2011, S. 23–24, 27; Sanyal, 2017, S. 12.

24Bei der „#MeToo-Debatte“ handelt es sich um eine öffentliche Diskussion, die ihre Verbreitung in den sozialen Netzwerken fand. Betroffene Frauen wurden auf diesem Wege ermutigt, auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe zu ihrem Nachteil aufmerksam zu machen.

25Sanyal, 2017, S. 153–154.

26Klimke/Lautmann, 2018, S. 28–29; siehe auch Sack/Schlepper, 2011, S. 249–250.

27Sigusch, 2010, S. 5.

28Brüggemann, 2013, S. 30–31.

29Reiter, 2003, S. 23.

30Brüggemann, 2013, S. 31–33.

31Brüggemann, 2013, S. 247.

32Sack/Schlepper, 2011, S. 248.

33BT-Drs., 18/8210, S. 7.

34Kieler, 2003, S. 1.

35Brüggemann, 2013, S. 254.

36Rabe, 2017, S. 28.

37Beispielhaft ist hier der Sexualmord an der 7-jährigen Natalie Astner (1996) und der 10-jährigen Kim Kerkow (1997) zu nennen (siehe hierzu Elsner/Steffen, 2005, S. 11).

38Brüggemann, 2013, S. 97.

39Kieler, 2003, S. 2.

40BT-Drs., 13/8586, S. 1.

41BGH, 4 StR 319/00, Urteil v. 26.10.2000.

42BGH, 4 StR 146/00, Urteil v. 23.05.2000.

43Brüggemann, 2013, S. 283.

44Rabe, 2017, S. 28 f.

45BT-Drs., 14/2812, S. 7.

46Brüggemann, 2013, S. 119.

47Sack/Schlepper, 2011, S. 257.

48Brüggemann, 2013, S. 111.

49Europarat, 2011.

50Siehe hierzu: Sanyal, 2017, S. 108–110, 161–165.

51Hoven, 2017, S. 161.

52BGBl. 2017, Teil II, Nr. 19, S. 1026.

53Rabe, 2017, S. 31.

54BT-Drs., 18/9097, S. 22–23; siehe auch Nolden, 2017.

55BT-Drs., 18/9097, S. 24.

56Die Strafrahmen der im Folgenden aufgeführten Qualifikationen gem. Abs. 4 bis 8 wurden durch den Gesetzgeber in der neuen Fassung nicht verändert. Lediglich die Strafrahmen der in Abs. 9 (n.F.) aufgeführten minder schweren Fälle wurden entsprechend angepasst. Auf eine explizite Beschreibung dieser Änderungen wird an dieser Stelle verzichtet.

57Papathanasiou, 2016, S. 136.

58BT-Drs., 18/9097, S. 27–28.

59Beispielhaft hierzu Freudenberg, 2017, S. 48–49.

60Papathanasiou, 2016, S. 136.

61BT-Drs., 18/9097, S. 26.

62BGH, Urt. v. 25.09.1959 – 4 StR 332/59.

63BT-Drs., 18/9097, S. 31.

64Bei einer Personengruppe im Sinne des § 184j StGB handelt es sich um eine Mehrheit von mindestens drei Personen, die eine andere Person bedrängt. Vgl. BT-Drs., 18/9097, S. 32.

65Michaelis-Arntzen, 1994, S. 5–19.

66Michaelis-Arntzen, 1994, S. 7, 12–13.

67Michaelis-Arntzen, 1994, S. 8–10.

68Michaelis-Arntzen 1994, S. 17; siehe hierzu auch Schorsch, 1971, S. 214; Bock, 2013, S. 371.

69Michaelis-Arntzen, 1994, S. 5.

70Michaelis-Arntzen, 1994, S. 5–7.

71Elsner/Steffen, 2005, S. 15–16, 19; Mokros, 2007, S. 1; Goedelt, 2010, S. 3–10; Elz, 2011, S. 85–88; Niemeczek, 2015, S. 17, 20–22; Uhlig, 2015, S. 32–33.

72Niemeczek, 2015, 17–19.

73Dern, 2011, S. 39; ähnlich auch Litzcke/Horn/Schinke, 2015, S. 12–14; 123–124; Elsner/Steffen, 2005, 59.

74Alle Müller/Schröttle, 2004, S. 64.

75Müller/Schröttle, 2004, S. 64, 67–71.

76Menzel/Peters, 2003, S. 15–17.

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