Kitabı oku: «Tödliche Offenbarung», sayfa 3
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Borgfeld atmet erleichtert auf, als Doktor Schmidt im Golfclub eintrifft. Der Rechtsmediziner trägt einen dezenten grauen Anzug, darunter ein altrosa Polohemd, das seinen sommerlich braunen Teint unterstreicht.
»Müsst ihr mich immer samstags rufen«, schnarrt er und verzieht das Gesicht. Gute Laune hört sich anders an. Schmidt wirft einen Blick auf seine goldene Armbanduhr. 9 Uhr 22. Um elf Uhr ist er mit Ina von Lauenstein verabredet. Ihr Name hört sich viel versprechend an, ihre Stimme am Telefon ebenfalls. Sie ist Eventmanagerin. Auch das klingt interessant. Vielleicht ist die Partnersuche mit einem Institut im Internet doch effektiver als seine eigenen Versuche mit Kontaktanzeigen in der Zeitung.
»Packen wir es an.« Während Schmidt sich seine Plastikhandschuhe überstreift, mustert er den Toten. Die Augen stehen hervor. Sieht aus, als wenn er stranguliert worden wäre. Das verfärbte, aufgedunsene Gesicht würde dazu passen, genau wie die blauroten Druckstellen am Hals. Klare Sache. Tod durch Erwürgen. Das sollte schnell gehen. Wenn er sich beeilt, schafft er es bis elf pünktlich zum Kröpcke.
»Wann ist der Tote gefunden worden?«
|38|»Um kurz vor halb neun. Eine Golfschülerin hat ihn mehr oder weniger zufällig entdeckt.«
Schmidt beugt sich über den Leichnam und öffnet den Reißverschluss der Lederjacke. In der Innentasche steckt eine Brieftasche. Vorsichtig holt er sie heraus und reicht sie Borgfeld.
»Hier, ziehen Sie sich aber vorher Handschuhe an. Sie haben doch welche mit?«
Borgfeld hebt seine rechte Augenbraue. Mehr nicht. Schmidt ist Schmidt. Wenn er seinen guten Tag hat, ist er die reinste Quasselbude, wenn nicht, geht man besser in Deckung.
Während Schmidt den Toten untersucht, studiert Borgfeld den Ausweis.
»Henry Broderich, 42 Jahre, wohnhaft in Burgwedel.« Er sieht Streuwald an. »Kennst du den?«
Sein Kollege zuckt mit den Schultern.
»Vom Fußball jedenfalls nicht, obwohl der früher bestimmt die richtige Figur dafür gehabt hätte.«
Borgfeld fischt den Führerschein aus einem der Seitenfächer der Brieftasche. Fahrerlaubnis für Klasse eins und drei. Passt zur Motorradjacke und den Stiefeln. Im nächsten Fach findet er den Zulassungsschein für ein Motorrad.
»BMW K 1200 S Baujahr 2006«, liest Borgfeld laut vor.
»Das muss eins der ersten Modelle mit dem neuen wassergekühlten Vierzylinder-Reihenmotor sein«, meldet sich Harms von der Kriminaltechnik zu Wort, der gerade die Spheronkamera abbaut. »Der Motor wurde in dieser Reihe mit querliegender Kurbelwelle eingebaut und die Zylinderbank ist extrem weit nach vorne geneigt. Das Triebwerk mit |39|zwei obenliegenden Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder, elektronischer Einspritzung und geregeltem Drei-Wege-Katalysator …«
»Ist gut«, unterbricht Borgfeld ihn.
»Das Besondere an diesem Modell ist, dass das Hinterrad von einer Aluminiumguss-Einarmschwinge mit Paralever geführt wird, das Vorderrad …«
»Kollege Harms, wenn wir in technischen Angelegenheiten noch Fragen haben, werden wir uns sofort an dich wenden.«
»Könnt ihr wirklich gerne machen. Mit den Tatortaufnahmen bin ich fertig.«
Harms ist schon um die Ecke verschwunden, als Borgfeld eine Bewirtungsrechnung vom Tag zuvor aus der Brieftasche zieht. Grillteller und Bier, 44 Euro für zwei Personen. Er packt die Rechnung in eine Plastikhülle.
»Mit wem er wohl im Dorfkrug essen war?«
Bevor Streuwald etwas erwidern kann, winkt Schmidt die beiden zu sich.
»Hier, meine Herren, das ist ja mal was Interessantes. Schauen Sie.« Er zeigt auf den Toten und deutet auf dessen Mund. Dort, wo sonst eigentlich das Zäpfchen zu sehen ist, sitzt etwas Weißes. Etwas Weißes mit gleichmäßigen Dellen.
»Was ist das?« Borgfeld dreht sich angeekelt um.
»Ist doch eindeutig – ein Golfball.« Streuwald beugt sich noch weiter vor. »In der Mitte ist was aufgedruckt. Rot, gelb, grün, darüber gekreuzte Golfschläger.«
»Sehr gut gesehen«, lobt Schmidt und greift mit den Fingern in den Rachen. Der erste Versuch, den Ball herauszuziehen, scheitert. Der zweite und dritte auch.
»Das Ding steckt fest. Den hat jemand mit verdammt viel |40|Kraft da reingedrückt.« Schmidt dreht sich zu den beiden Polizisten um. »Sie können ihn jetzt zu mir ins Institut bringen lassen. Dort kümmere ich mich um die Details – und um den Golfball.«
»Eine Sache noch.« Borgfeld runzelt nachdenklich die Stirn. »Die Kriminaltechniker haben mich vorhin gerufen. Sie haben vor der Bank Schleifspuren entdeckt. Ist der Mann nun hier getötet worden oder hat man ihn erst später hergeschleppt?«
Statt zu antworten, zieht Schmidt sich die weißen Plastikhandschuhe aus und reicht sie dem verdatterten Borgfeld.
»Exakte Aussagen sind zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Das wissen Sie doch. Der Mann hat Dreck an den Hosenbeinen. Den muss man untersuchen. Ich lasse die Kleidung ins Labor schicken. Er könnte hier getötet worden sein oder auch nicht. Fifty, fifty.« Ein bellendes Lachen folgt. »Fest steht zumindest, dass er ermordet wurde. Die Druckstellen am Hals sind eindeutig und der Golfball im Rachen spricht Bände.«
Schmidt wirft einen Blick auf seine Uhr. Er sollte sich sputen, sonst schafft er es nicht mehr pünktlich bis in die Innenstadt.
»Der Todeszeitpunkt …«, Schmidt zögert kurz, »damit will und kann ich mich nicht festlegen.«
Während er redet, fingert er einen schwarzen Kamm aus der Innentasche seiner Anzugjacke und zieht seinen Seitenscheitel nach.
»Gehen Sie davon aus, dass der Mann seit mindestens acht Stunden tot ist, eher mehr.« Er steckt den Kamm wieder ein.
»Genaueres später.«
|41|»Wann?« Borgfeld packt die benutzten Handschuhe von der linken in die rechte Hand und sucht mit den Augen nach einem Mülleimer.
»Schau’n wir mal. Ich habe jetzt einen wirklich dringenden Termin, danach mache ich mich sofort an die Untersuchung. Versprochen.«
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Georg Goldmann ist neben den akkurat geschnittenen Buchsbaumkugeln vor dem Clubhaus stehen geblieben. Mit ernstem Gesicht verfolgt er das Geschehen jenseits der rotweißen Flatterbänder. Polizisten in Uniformen machen Notizen und fotografieren, Männer in weißen Overalls kriechen um das Gebüsch herum und untersuchen jeden Grashalm.
»Hallo, Sie da.« Borgfeld winkt Goldmann zu sich heran. »Sie können jetzt einen Blick auf den Toten werfen, bevor er weggebracht wird.«
Goldmann duckt sich mit steifem Rücken unter dem Absperrband durch und folgt Borgfeld zu der Leiche, die versteckt hinter den Leuten von der Spurensicherung liegt. Als die Kollegen in den hellen Schutzanzügen zur Seite treten, geben sie den Blick auf die Bank frei. Sie ist leer. Goldmanns Blick wandert tiefer. Auf dem Boden liegt eine dunkle Plastikfolie, darauf der Leichnam, bedeckt mit einem weißen Tuch. Nur der Kopf und die nackten Füße schauen an den Stoffenden hervor.
Goldmann tritt näher heran. Er mustert das aufgedunsene |42|Gesicht des Toten und wird eine Spur blasser. Diese Reaktion entgeht Borgfeld nicht.
»Kennen Sie ihn?«
Goldmann starrt den Toten an, ohne ein Wort zu sagen.
»Ist er Mitglied in Ihrem Verein?«
»Gott bewahre«, entfährt es Goldmann.
»Aber Sie kennen ihn?«
»Flüchtig.«
»Wer ist es?«
»… Henry Broderich.« Goldmanns Stimme klingt verhalten.
»Was wissen Sie über ihn?« Borgfeld lässt Goldmann nicht aus den Augen. Weder das Händezittern entgeht ihm, noch die plötzlichen roten Flecken, die auf Goldmanns Wangen blühen wie Mittagsblumen in der Sonne.
»Broderich ist Journalist. Er …« Neuerliches Zögern auf Goldmanns Seite, noch mehr Flecken auf der Wange. Dann folgt minutenlanges Schweigen.
»Woher kannten Sie ihn?«
Goldmann starrt auf den Boden und rührt sich nicht.
»Herr Goldmann, bitte, ich habe Sie was gefragt.«
Borgfelds Worte scheinen nicht zu Goldmann durchzudringen. Kein Muskel bewegt sich in seinem Gesicht, nicht einmal die fleischigen Hängebacken verziehen sich.
»Noch einmal: Woher kannten Sie Henry Broderich?«
Borgfelds Stimme wechselt von freundlich zu bestimmt. Er würde diesen Mann am liebsten schütteln, um eine Antwort zu bekommen. Der weiß mehr, als er zugibt, so viel steht für ihn fest.
Als wenn Goldmann Borgfelds Gedanken gehört hätte, |43|hebt er endlich den Kopf und murmelt: »Er hat mich interviewt.«
»Das ist doch ein Anfang.« Borgfelds Körper spannt sich. Ein Interview kann eine sehr persönliche Angelegenheit sein. Zwei Menschen sitzen zusammen und reden. Einer stellt Fragen, der andere antwortet. Dabei bekommt man nicht nur einen Eindruck von dem anderen, man erfährt auch etwas über ihn. Aber deshalb bringt man den anderen nicht gleich um.
Als wenn dieser Gedanke eine Tür in seinem Kopf aufstoßen würde, erinnert Borgfeld sich plötzlich an etwas. Im letzten Monat hat sein Vetter Gerrit auf der Geburtstagsfeier seiner Mutter etwas vom Golfclub erzählt. Was ist das bloß gewesen?
Es hatte etwas mit Grundstücken zu tun. Das weiß er genau – und mit der Erweiterung des Golfplatzes um irgendwelche Löcher.
»Die wollen mehr Löcher … was auch immer das heißt«, hatte Gerrit gesagt. Dann hatte er noch davon geredet, dass es deshalb Stunk im Gemeinderat gibt. Großen Stunk. Weiter war Gerrit jedoch nicht gekommen, dann hatte seine Mutter alle zur Kaffeetafel gerufen.
Stunk im Gemeinderat. Was Gerrit wohl damit gemeint hat? Borgfeld weiß, dass es bei der Genehmigung des Golfclubs vor etlichen Jahren Ärger gegeben hat. Vielleicht hing das Interview damit zusammen. Er sollte Gerrit anrufen, der würde ihm alles haarklein erzählen, schließlich sitzt er als Hausmeister im Rathaus direkt an der Quelle.
Genauso plötzlich wie sich Borgfeld an das Gespräch mit Gerrit erinnert hat, ist er sich plötzlich sicher, dass Goldmann |44|mehr über Broderich weiß, als er zugibt. Borgfeld kann nicht sagen warum, er hat nur so ein Gefühl – aber für jemanden, dessen Leidenschaft das Führen von Listen und Tabellen ist, sind solche Gefühlsanwandlungen selten. Gerade deshalb nimmt er sie ernst. Besser, er führt dieses Gespräch nicht allein. Borgfeld macht Streuwald mit den Augen Zeichen, dass er kommen soll. Sein Kollege erwidert das Augenzwinkern, mehr nicht. Möglichst unauffällig bewegt Borgfeld daraufhin seinen rechten Zeigefinger und winkt Streuwald zu sich heran. Der nimmt zwar die Handbewegung seines Kollegen wahr, rührt sich aber trotzdem keinen Zentimeter von der Stelle.
»Er hat Sie also interviewt«, brummt Borgfeld und flucht innerlich: Herr Gott, wann begreift Streuwald endlich, dass er seinen Arsch in Bewegung setzen soll?
»Sagte ich doch schon.« Goldmann wirft Borgfeld einen genervten Blick zu.
»Und worum ging es in diesem Interview?« Borgfeld winkt noch heftiger nach Streuwald. Der versteht endlich und kommt zu ihnen herüber. Schleicht herüber. Mein Gott, flucht Borgfeld. Beim Gehen könnte man dem glatt die Schuhe besohlen.
»Das ist übrigens mein Kollege, Kommissar Streuwald«, stellt Borgfeld ihn vor, als er endlich neben ihnen steht. »Und das ist Herr Goldmann, der Präsident dieses Vereins. Herr Goldmann, können Sie noch einmal wiederholen, was Sie mir gerade erzählt haben?«
Goldmann kneift die Augen zusammen, sagt aber keinen Ton.
»Herr Goldmann, Sie sagten, dass Sie den Toten kennen |45|und von ihm interviewt wurden. Was sagten Sie, war das Thema des Interviews?«
»Ich habe gar nichts gesagt.«
»Und was war dann das Thema?«, hakt Borgfeld ungeduldig nach.
»Es gab viele Fragen, über die wir gesprochen haben.«
»Können Sie uns das ein bisschen genauer sagen?«
»Wir sprachen über Neuwarmbüchen, über Isernhagen, über den Gemeinderat, den Golfplatz, Golf überhaupt.« Goldmann wirkt angespannt, die Mittagsblumen auf seinem Gesicht sind wieder zur Stelle.
»Gemeinderat, Golf überhaupt.« Borgfeld zieht zweifelnd die Augenbrauen hoch. »Sind Sie sicher, dass Sie nur so ganz allgemein mit Herrn Broderich gesprochen haben?«
»Ja, ganz allgemein.«
»Nichts Spezielles?«
»Nein, nichts Spezielles.«
»Sicher?«
»Ja, sicher.« Goldmann überlegt, dann setzt er hinzu: »Eins der Themen war die Golfplatzerweiterung. Aber das ist ja nun wirklich nichts Spezielles.«
Das ist das Stichwort, auf das Borgfeld gewartet hat, wie der Skatspieler auf das Re zum Contra.
»Gab es wegen dieser Erweiterung nicht …«, seine Augen blinzeln ungewohnt kämpferisch, »… Ärger?«
»Ärger – wie sich das anhört«, empört sich Goldmann.
»Sagen wir, die Erweiterung des Golfplatzes ist umstritten.« Stunk im Gemeinderat. Gerrit weiß bei solchen Sachen mehr, als in der Zeitung steht, da ist sich Borgfeld sicher.
Goldmanns Augen verengen sich. »Umstritten stimmt |46|nicht.« Er blinzelt Borgfeld böse an und setzt vehement hinzu: »Überhaupt nicht.«
»Aber nicht alle sind von der geplanten Erweiterung des Golfplatzes begeistert.« Borgfeld zwinkert Streuwald zu. Ein Ausdruck des Triumphes liegt jetzt auf seinem Gesicht. »Stimmt’s?«
»Irgendwelche Querulanten gibt es immer.«
»Wie meinen Sie das?«, schaltet sich Streuwald ein.
Überrascht dreht sich Goldmann zu ihm um, wie zu der Stimme aus dem Off.
»Wenn man etwas tut, gibt es immer jemanden, dem das nicht passt. Ein Landwirt hier, ein Anwohner da. Der eine gönnt dem anderen den Verkauf des Ackers nicht und der Nächste wiederum hat Angst, dass mehr Autos als vorher an seinem Haus vorbeifahren könnten.« Goldmann knetet nervös seine Finger. »Heute gibt es immer irgendeinen, der gegen etwas ist. Gucken Sie in die Zeitung, die ist jeden Tag voll davon. Ob beim Stuttgarter Bahnhof, dem Tierversuchslabor in Kirchrode oder unserem Golfplatz. Manche Leute sind gegen alles, was sich vor der eigenen Haustür abspielt.«
»Für welche Zeitung hat Broderich eigentlich das Interview gemacht? Für den Hannoverschen Anzeiger oder für den Marktspiegel?«, übergeht Streuwald Goldmanns Allgemeinplätze.
»Das Interview war für ein Onlineforum. Broderich betreibt einige solcher Foren. Burgdorf-online, Isernhagen-online. Für jeden Ort ein eigenes. Er gestaltet die Seiten, stellt Themen vor, sammelt Beiträge, moderiert und kommentiert.«
»Wann war das mit dem Interview genau?«, nimmt Borgfeld den Ball wieder auf.
|47|Goldmann dreht den Kopf wieder zu Borgfeld.
»Das erste vor einem halben Jahr, das zweite vor einem Monat«, er zögert kurz, »und das dritte letzte Woche.«
11
Beckmann fährt seinen Laptop hoch, lädt die Daten vom Stick herunter und ruft sie auf. Auf dem Bildschirm flattert die Liste der Webadressen auf, die er sich ansehen will. Seit er beim Polizeilichen Staatsschutz arbeitet, verbringt er viel Zeit damit, Internetseiten zu durchforsten, die im Zusammenhang mit der rechten Szene in Niedersachsen stehen. Sein besonderes Augenmerk gilt Freiherrn zu Wörstein, der vor einigen Jahren die Gruppe »Aufrechte Deutsche« gegründet hat. Für das Internet hat er eine besondere Vorliebe. Ob facebook, SchülerVZ oder youtube: Wörstein nutzt die neuen Medien.
Bevor die von der Polizeigewerkschaft geforderten Cyber-Cops tatsächlich zum Einsatz kommen und es einen Internetminister gibt, hat das Innenministerium in Hannover vor zwei Monaten eine Arbeitsgruppe gebildet, bestehend aus Frank Rischmüller und Max Beckmann.
»Das Internet ist der größte Tatort der Welt – also gucken Sie mal, was da so los ist, die Presse stichelt schon, dass wir die Zeit verschlafen«, hatte der Staatssekretär ihm mit auf den Weg gegeben.
Beckmann tippt Wir für Niedersachsen in die Suchmaschine. 18426 Einträge liegen vor.
Eine Stunde später ist er schlauer. Der Internetauftritt der Gruppe Wir für Niedersachsen hat auf den ersten Blick nichts |48|mit den ihm bekannten Seiten aus der rechten Szene zu tun. Alles wirkt sehr korrekt, fast bieder, wie auf einer Plattform für Heimatverbundene. Beckmann scrollt weiter auf der Suche nach dem Impressum. Endlich findet er es: FzW. Freiherr zu Wörstein. Also doch. Wo dieser Name auftaucht, ist man mitten in der rechten Szene. Erst letzte Woche hat Beckmann ihn im Regionalfernsehen gesehen. Wörstein stellte in dem Interview klar, dass er nicht im Geringsten daran denke, den Kaufvertrag für den alten Gebäudekomplex rückgängig zu machen, den er für einen Mandanten mit der Region Hannover abgeschlossen hat.
»Wir haben einen rechtsgültigen Vertrag und es besteht von uns aus kein Handlungsbedarf, geschweige denn ein Grund, vom Vertrag zurückzutreten.«
Wörstein, wie immer im grauen Zweireiher, groß, schlank, blond, hatte bei diesen Worten arrogant in die Kamera gegrinst. Seine spitze Nase wurde dabei noch spitzer, sein Mund öffnete sich leicht und gab ein kräftiges Gebiss frei. Beckmann juckte es beim Anblick dieser selbstherrlichen Visage in den Fingern. Als Anwalt hat Wörstein sich mit seinen knapp 45 Jahren den Ruf als »bester Prozessverschlepper Niedersachsens« erworben. Jeder Richter bekommt Magendrücken, wenn er es mit dem Freiherrn zu tun hat. Geschickt vermeidet Wörstein fremdenfeindliche Ausdrücke. Das überlässt er anderen, vornehmlich Jüngeren, um deren Rekrutierung er sich intensiv bemüht. Deshalb lässt er vor den Schulen CDs verteilen, kann man auf den Seiten seiner Partei kostenlos Musik herunterladen – und genau deshalb braucht er ein Schulungs- und Veranstaltungszentrum.
Beckmann liest noch einmal die Einträge, die ein Loblied |49|auf die Kameradschaft singen. Gewalttaten aus der linken autonomen Szene werden angeprangert, fehlende Chancen für junge Deutsche beklagt. Kein Hinweis auf die »Aufrechten Deutschen«. Geschickt gemacht.
Im Impressum entdeckt Beckmann eine Abkürzung. HB. Er gibt die Buchstaben als Suchbegriff ein und landet bei Autokennzeichen, dem HB-Männchen und dem Hofbräuhaus in München. Er erweitert die Suche mit dem Begriff Werbung. Die genannten Agenturen sagen ihm nichts. Er ergänzt das Wort Internet. Zahlreiche Internetforen von kleinen Städten und Gemeinden werden angezeigt. HB. Henry Broderich. Darauf muss er am Montag Rischmüller ansetzen. Vielleicht findet der etwas heraus.
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Der Golfclub Isernhagen liegt eingebettet in die weitläufigen Ländereien des ehemaligen Ritterguts Lohne. Von der Rückseite betrachtet, wirkt das Clubhaus wie ein einladender Landsitz. Im Winter geben große Panoramafenster den Blick auf die 18. Bahn frei, im Sommer laden bequeme Korbmöbel zum Verweilen auf der Terrasse ein.
Martha, Trixi und Roswitha haben nach dem ersten Schrecken dort Platz genommen. Schweigend warten sie im Schatten der Markise darauf, ihre Aussagen machen zu können. Eine Kellnerin mit knöchellanger schwarzer Schürze verteilt Speisekarten auf den Tischen.
»Guten Morgen, die Damen. Haben Sie den Schreck verdaut?«
|50|Ein träger Wimpernschlag ist Marthas Antwort. Trixi versucht sich in einem müden Lächeln.
»Wie man’s nimmt«, ächzt Roswitha.
Martha reicht der Kellnerin einen Zettel, auf dem sie die Bestellung – drei Cappuccino – und den Namen Landeck mit Bleistift notiert hat.
»Kommt gleich.« Die junge Frau steckt die Bestellung in die Schürzentasche und geht weiter zu dem einzigen Tisch, der außerdem noch belegt ist, und verteilt auch dort die Speisekarten.
»Darf es noch etwas sein?«
Professor Dreyer schüttelt den Kopf und nippt wortlos an seinem Mineralwasser. Er hebt den Kopf und blickt in Marthas Richtung. Dann quält er sich ein Lächeln ab »Tut mir leid, dass ich vorhin etwas barsch war«, bemüht er sich um einen versöhnlichen Ton. »Sie hätten aber auch etwas eher sagen können, dass dort ein Toter liegt. Wer soll denn so etwas wissen?«
»Ist schon gut«, erwidert Martha. Sie fühlt sich leer und ausgepumpt. Das Bild des Toten hat sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt und immer wieder kreisen Fragen in ihrem Kopf herum. Warum sitzt ein Toter auf der Bank hinter dem Caddyhaus? Ein tiefer Seufzer entweicht ihr. Das geht sie nichts an.
Die Polizei ist da und wird sich darum kümmern. Es ist die Sache von Streuwald, Borgfeld und Kollegen, Antworten auf diese Frage zu finden. Nein, verspricht sie sich, sie wird sich nicht wieder in Mordermittlungen der Polizei einmischen. Nie wieder. Das ist deren Job. Sie berichtet nur in der Zeitung darüber und ansonsten versucht sie, Ruhe in ihr |51|Leben zu bekommen, das seit Jahren aus den Fugen geraten zu sein scheint.
Martha lässt ihren Blick schweifen. Nicht nur auf der Terrasse, auch auf dem Golfplatz ist im Gegensatz zu sonst alles ruhig. Kein Mensch ist auf den Bahnen zu sehen. Die Fahne von Loch achtzehn hängt schlaff herunter. Der gepflegte Rasen des Grüns strahlt im Licht der Sonne; rechts, am Rand des Fairways gibt es bereits die ersten trockenen Stellen. Die gelassene Ruhe des Golfplatzes ist genau das, was sie braucht, um wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.
Roswitha folgt Marthas Kopfbewegung.
»Totentanz auf dem Platz«, wispert sie ihr über den Tisch hinweg zu.
Entsetzt sehen sich Trixi und Martha an. Keine kann über Roswithas Kommentar lachen. Im Gegenteil, der Satz schwebt wie eine Drohung über ihren Köpfen und lähmt jede Bewegung. Martha hat nicht einmal die Kraft, ihren Cappuccino zu trinken. Gedankenverloren fixiert sie den zusammensinkenden Milchschaum, als Trixi endlich das Schweigen bricht.
»Diese Augen … so … weit aufgerissen und …« Trixis Oberkörper bebt und sie fängt hemmungslos an zu weinen. »Wenn mein Bag nicht umgefallen wäre …«
Sie schluchzt erneut. »Die Bälle rollten überall hin. Bis vor seine Füße.«
»Ob du die je wiederbekommst?«
Schlagartig gewinnt Trixi ihre Fassung zurück und sieht Roswitha entgeistert an.
»Wie bist du denn drauf?«
»Wieso?« Roswitha schiebt sich die Haarsträhne hinters |52|Ohr. »Man kann doch mal fragen. Schließlich waren die nagelneu – und alles Titlists.«
In diesem Moment kommt Streuwald auf die drei zu.
»Meine Damen, können Sie bitte zu uns kommen. Wir sitzen im Raum neben dem Sekretariat und brauchen noch genauere Angaben von Ihnen.«