Kitabı oku: «Kieler Bagaluten», sayfa 2

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So ist das ja öfter im Leben: Kaum ist man ein Problem los, hat man ein anderes an den Hacken. Sie ist aber auch wirklich zu blöd. Statt die Katze neben dem kleinen Metallkästchen zu beerdigen, das Erdreich wieder sauber über beidem zu verteilen und die Stelle mit einem schlichten Kreuz aus zwei übereinandergelegten Zweigen der Vergessenheit anheimzugeben, hat sie ein Ärgernis gegen das andere getauscht: die Katze begraben und das Kästchen mit ins Auto genommen. Hat sogar noch – ganz Hausfrau – die Erde abgewischt, bevor sie es im Kofferraum versenkte.

Das kommt daher, dass der Mensch als solcher neugierig ist. Du natürlich nicht, du hättest dir gesagt, was geht mich der vergammelte Kasten an, den irgendwer im weichen Erdreich neben dem Kanal verbuddelt hat. Da ist sicher was total Ekliges drin. Was, will ich gar nicht wissen. Aber unsere Frau Heerten wird in ihrer Jugend wohl zu viele Märchen und Sagen gelesen haben. In denen wimmelt es ja bekanntlich nur so von vergrabenen Schätzen. Anders kann ich mir wirklich nicht erklären, warum sie das rotte Teil mitgenommen hat.

Jetzt sitzt sie in der Küche, starrt den kleinen Kasten an und kaut auf der Unterlippe. Das kann daran liegen, dass sie dieses leichte Kribbeln verspürt, das man immer bekommt, wenn die Vorahnung am Werk ist. Wurde ja auch langsam Zeit: Nix gespürt, als der Tag so grauenvoll begann, da kann das Kribbeln jetzt eigentlich nur was Gutes bedeuten.

Sie überlegt, was ist, wenn sie die Kiste öffnet und ihr die erwarteten Silbermünzen, Goldketten und Brillantringe entgegenpurzeln. Darf man so was eigentlich behalten? Paragraf 984 BGB könnte ihr weiterhelfen. Der besagt, dass sie mit dem Eigentümer des Uferstreifens, also dem Land Schleswig-Holstein, halbe-halbe machen muss. Es sei denn, es ist zum Beispiel ein Zettel dabei: »Gehört alles mir. Gezeichnet Ritter Hadubrand«. Dann muss sie sich auf die Suche nach dessen Nachfahren machen und kann nur auf Finderlohn hoffen.

»Lass gut sein«, möchte man Frau Heerten zurufen. Aber da kann man rufen und rufen. Sie nimmt ein Küchenmesser und prokelt am Schloss rum, nimmt zur Stärkung noch ein Schlückchen Eierlikör, und endlich geht das Kästchen auf.

Was hab ich dir gesagt: eine einzige Enttäuschung! Nicht der kleinste Brillantring, nur ein paar Silbermünzen. Und genau genommen nicht mal das. Selbst bei der guten alten Deutschen Mark bestand nur das Fünf-Mark-Stück aus einer Silberlegierung. Immerhin bis 1974, dann drohte der Materialpreis den Wert der Münze zu übersteigen. Die paar Euromünzen, die sie jetzt in dem alten, speckigen Portemonnaie findet, sind nicht mal mehr an einem Stück Silber vorbeigetragen worden. Da sind nur noch Nickel und Messing verbaut worden.

Einerseits natürlich schön, dass sie den Haufen Geschmeide nun nicht mit dem Land Schleswig-Holstein teilen muss. Auf der anderen Seite: Für das bisschen Geld kann sich Frau Heerten allenfalls drei, vier Plastikringe aus einem Kaugummiautomaten ziehen. Wenn es die Dinger überhaupt noch gibt. Sie hat schon lange keinen mehr gesehen. Schade, es war immer so spannend, ob nur zwei große bunte, eklig schmeckende Kaugummikugeln kamen oder ob der Automat einen wunderschön glitzernden Ring ausspuckte.

Mit spitzen Fingern dreht sie die stinkige Geldbörse auf links und findet einen Personalausweis, einen Pass, Führerschein, Einkaufsquittungen und eine Kinokarte fürs Metro.

Ja, ich weiß, du würdest jetzt natürlich als Erstes die amtlichen Dokumente einer näheren Prüfung unterziehen, aber Frau Heerten dreht die Kinokarte in den Fingern. Was für ein langweiliger einfarbiger Zettel. Wenn sie da noch an früher denkt, dieses dunkle Weinrot und die Mausezähnchen am Rand. Wunderbar. Es gab Parkett und Sperrsitz. Sperrsitz, was war das noch? Absperrbare Sitze sagten früher: »Ich gehöre dir, dafür hast du bezahlt, hier setzt sich kein anderer hin.« So was gibt’s heute gar nicht mehr. Zumindest nicht im Kino. Nur noch am Strand. Wir Ostseeanrainer schützen so unsere Strandkörbe vor unbefugtem beziehungsweise unbezahltem Drinsitzen.

Jetzt greift Frau Heerten nach dem Ausweis. Wie heißt der junge Mann, dessen Passbild sie anstarrt? Martin Szupri cy ki … Sie steht auf und sucht im Sekretär nach ihrer Lupe. Martin Szupryczynski, geboren am 17. Februar 1981. Und auf der Rückseite des Personalausweises ist ein Adressaufkleber: Kiel, Amrumring ui. Ui? Ausgerechnet da ist ein Teil des Aufklebers abgekratzt. Die Hausnummer lässt sich nicht entziffern.

Siehst du, da hat sie den Salat. Jetzt kann sie den ganzen Amrumring ablaufen, auf den Klingelschildern nach einem Martin Szupridingsda suchen und ihm das dreckige Portemonnaie in den Briefkasten werfen. Und der muss losziehen und es woanders wieder einbuddeln.

Warum hat er das Zeug überhaupt vergraben? Tut man doch nicht. So was braucht man doch. Oder nicht? Sie überlegt, wann sie zum letzten Mal ihren Pass, Personalausweis oder Führerschein gebraucht hat. Den Führerschein braucht man eigentlich nie, außer, wenn er einem abgenommen werden soll.

Den Pass brauchte sie für ihre Kreuzfahrt vorletzten Herbst. Aber vielleicht macht Martin Tschitschikowski oder wie er heißt keine Kreuzfahrten. Wahrscheinlich machen die wenigsten Leute, die im Amrumring wohnen, viele Kreuzfahrten. Dann schon eher mal mit dem Perso nach Dänemark. Aber auch das kann sich dieser Martin jetzt abschminken. Der Perso steckt ja auch in dem abgegriffenen Portemonnaie.

Als sie das denkt, wird sie in ihrem Lieblingsstuhl am Fenster in der Küche auf einmal ganz steif.

Vielleicht kann sich Martin ja überhaupt alles abschminken, weil er nämlich gar nicht mehr lebt, der gute Martin, und sein Mörder hat den Kram vergraben, um irgendwann später, wenn genügend Gras über ihn gewachsen ist, als leicht veränderter Martin mit dessen Pass, Perso und Führerschein aus der Versenkung aufzutauchen.

Ja, schau, schau, die gute Frau Heerten! Nicht nur Märchen und Sagen, ein gerüttelt Maß an Krimis muss sie über die Jahre auch verschlungen haben.

Sie nimmt noch mal die Lupe zur Hand: Szupryczynski. Polnisch. Also spricht man es Schupritschinski aus. Jahrgang 1981, fast so alt wie Karin. Ob sich die beiden gekannt haben? »Der Schuppi«, hört sie Karins süße Jungmädchenstimme auf einmal in Gedanken sagen – ach Karin –, »der Schuppi hat wieder …« Ja, was hatte der Schuppi eigentlich damals wieder?

Frauen – und Männer Gott sei Dank auch – werden ab einem bestimmten Alter schon mal etwas vergesslich. Selbst mit ihren jugendlichen achtundfünfzig würde es mich nicht wundern, wenn Frau Heerten übermorgen vergessen hätte, dass sie vorgestern Nachbars Katze totgefahren hat. Aber was letzten Dienstag vor dreißig Jahren los war, daran können sich die Alten prima erinnern. Und deshalb weiß Frau Heerten auch noch ganz genau, dass dieser Schuppi damals ein ziemlicher Taugenichts gewesen ist.

Na bravo, sie hat die vergammelten Sachen von einem Taugenichts ausgebuddelt – sofern dieser Tschitschinski oder wie er heißt und Schuppi ein und derselbe sind.

Tja, ist er es, oder ist er es nicht? Mit dieser Frage und dem Rest Eierlikör verzieht sich Frau Heerten für heute ins Bett.

5

Nach einem höchst erquicklichen Schlaf – sie sollte immer eine Flasche Eierlikör mit ins Bett nehmen – wacht Frau Heerten in großartiger Stimmung auf. Das Leben ist herrlich. Da ist wirklich nichts dran auszusetzen. Sie richtet sich auf. Die gute Stimmung bleibt sogar noch da, als sie dieses Ziehen im Nacken spürt, das ihr in letzter Zeit so zu schaffen macht. Sie kann manchmal nicht mal mehr den Kopf richtig drehen. Radfahrer haben schlechte Karten, wenn sie mit dem Auto rechts abbiegt.

Da kommt die Erinnerung wieder und haut ihr in die Magengrube. Sie hat Nachbars Katze ermordet, das Wohnzimmer sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, und auf dem Küchentisch an ihrem Lieblingsplatz liegt die vergammelte Identität eines Taugenichts.

Schlimmer geht’s nimmer.

Da hilft nur Klosterfrau Melissengeist oder alternativ ein Gläschen Eierlikör. Sie entscheidet sich für die Alternative, zieht sich an, umschifft Wohnzimmer und Küche, verzichtet auf ihren morgendlichen Tablettencocktail und lässt sogar das geliebte Staubwischen sausen. Sie verlässt das Haus und macht sich auf zu Edeka, um für likörlichen Nachschub zu sorgen. Ohne einen gewissen Alkoholpegel wird sie dem Gang in ihr verwüstetes Wohnzimmer nicht gewachsen sein.

Wie leicht ihr Edeka von den Lippen oder besser gesagt von den Gehirnlappen geht. Dabei war es doch so lange Eno und ist jetzt eigentlich Fiedler. Sie hätte sich natürlich auch zu Sky auf den Weg machen können. Sky war früher coop, für uns Schleswig-Holsteiner der Garant für Eierlikör und alles, was man im Leben so braucht. Aber Edeka ist fünf Schritte näher dran als Sky, der sich jetzt Rewe nennt – was allerdings nicht wirklich der Grund sein kann, denn sie fährt mit dem Auto.

Ja, solche Menschen gibt es. Denen sind Ozonloch und Umweltkatastrophe schnurz, die verpesten selbst für kürzeste Strecken mit ihrem Galoppi die Luft. Von daher wäre es also egal, ob sie zu Edeka, Verzeihung, Fiedler fährt oder zu Sky, Verzeihung, Rewe. Im Auto machen die paar Meter mehr den Kohl nicht fett. Aber der Parkplatz von Edeka ist ein Rechteck, und Sky hat sich für eine L-Form entschieden, mit dem Ergebnis, dass auf diesem Parkplatz Autos aus allen erdenklichen Richtungen hervorpreschen und Fahrer verunsichern, die beim Drehen des Kopfes ein Ziehen im Nacken haben und den Rückwärtsgang nur im äußersten Notfall benutzen. Außerdem sind die Parkplätze nicht gegenüberliegend, sondern versetzt angeordnet. Wenn das Gegenüber seine Parkstelle geräumt hat, kann man also nicht vorwärts wegfahren, sondern muss rückwärts ausparken. Wer will es Frau Heerten da verdenken, dass sie Edeka, äh, Fiedler, vorzieht?

Gerade will sie in eine freie Parkbucht fahren, da stößt von der Gegenseite ein Riesengeschoss in die Lücke. Solche sich gegenüberliegenden Parkplätze haben also nicht nur Vorteile. Frau Heerten wedelt ungeduldig mit der Hand und bedeutet dem Schatten auf dem Fahrersitz des SUV, er möge bitte schleunigst den Rückwärtsgang einlegen, weil sie hier zu parken gedenkt.

Der Klassiker, sagst du jetzt sicher, zwei Autofahrer streiten sich um einen Parkplatz. Vielleicht, wenn dies der letzte freie Platz wäre und der nächste ungefähr hundert Kilometer entfernt. Ist hier aber nicht der Fall. Edeka verfügt über reichlich Parkraum.

Trotzdem: Frau Heerten und der SUV, beide schon halb auf dem Platz ihrer Begierde, bleiben stehen und wedeln sich gegenseitig zu, der andere solle verschwinden – und zwar ein bisschen plötzlich. Nachdem sich ein, zwei Minuten nichts gerührt hat, öffnet der SUV seine Fahrertür, und ihm entsteigt ein hochhackiges Bein, gefolgt von einer eleganten Dame mit Daunenweste und Pelzkrägelchen.

»Nun sehen Sie mal zu«, sagt das Pelzkrägelchen zu Frau Heerten, nachdem diese die Scheibe runtergelassen hat, »dass Sie Ihre Blechschleuder zurücksetzen, damit ich parken kann.«

»Ich war aber zuerst hier«, sagt Frau Heerten.

»Passen Sie mal auf, Schätzchen.« Das Pelzkrägelchen wippt leicht auf seinen hohen Hacken auf und nieder. »Ich werde jetzt einsteigen und langsam vorfahren. Was meinen Sie? Welches Auto wird platt sein, sobald ich Gas gebe?«

Hatte ich schon gesagt, dass reichlich freie Parkplätze vorhanden sind? Es muss also um was anderes gehen als um diesen Parkplatz. Richtig, es geht um Macht und Stärke, und im Augenblick scheint beides klar aufseiten des SUV mit Pelzkragen zu sein.

Frau Heerten treten Tränen in die Augen, während sie den Rückwärtsgang einlegt. Was für eine Scheiße. Sie hat ihren Mann verloren, die Tochter verweigert ihr die Enkelkinder, in ihrem Wohnzimmer herrscht totales Chaos, sie hat Nachbars Katze totgefahren, und auf ihrem Küchentisch liegt die verkorkste Identität von Karins Mitschüler. Sie hat auf ganzer Linie die Arschkarte gezogen und muss nun auch noch vor dieser blöden Schnepfe klein beigeben, weil die schöner, stärker und reicher ist.

Der werd ich es zeigen, denkt sie und haut aufs Lenkrad, während sie mit rotem Kopf den nächsten Parkplatz ansteuert. »Mord aufgeklärt« wird das Pelzkrägelchen in den »Kieler Nachrichten« lesen und mit peinlichem Entsetzen feststellen, dass sie diese zweite Miss Marple mal mit ihrem Riesenschlitten vom Parkplatz gefegt hat.

Ja, am Ende wird sie siegen. Die werden sich noch alle umgucken!

6

Ganz lässig ist Frau Heerten. Sie würdigt das Pelzkrägelchen, das in der Schlange an der Wursttheke steht, keines Blickes, schnappt sich eine Flasche Ei, ei, ei Verpoorten und stellt sich an die Kasse.

»Nein. Die Frau Heerten«, sagt eine Stimme hinter ihr. Mit ganz langem Ei: Neieiein. So ein Nein mit drei Eis ist ganz klar ein Ja. »Ja, die Frau Heerten«, sagt so ein Nein. Und schon wird Frau Heerten aus der Schlange gezogen, und die Neieiein-Frau drängt ihr ein Gespräch auf. Wie es ihr denn ginge und wie lange das denn nun schon wieder her sei, dass man sich gesehen habe, und nein, wie nett, dass man sich jetzt bei Fiedler … »Und wie geht es denn der kleinen Karin?«

»Die kleine Karin hat zwei Kinder und wohnt in Hamburg«, sagt Frau Heerten und überlegt fieberhaft, woher sie diese Vielschwätzerin eigentlich kennt. »Erinnern Sie sich noch an den Schuppi?«, fragt sie schließlich auf gut Glück.

»Klar«, sagt Frau Vielschwätzer, »das war doch der, der die Lehrer immer zur Weißglut gebracht hat. Hat sich im Klassenschrank versteckt und Faxen gemacht. Als er dann größer war, hat er es manchen Lehrern richtig schwergemacht, wenn sie sich auf Diskussionen mit ihm einließen. Nee, blöd war der nicht, aber schwierig. Immer die Unterschrift der Eltern gefälscht. Einmal hat er mit vier Kreuzen unterschrieben. ›Wieso vier?‹, hat der Lehrer gefragt. Das erste stehe für ›Doktor‹, hat er gesagt. Nein, was war der ulkig. Hat ja gleich bei uns nebenan gewohnt.«

»Wissen Sie noch, wie der in Wirklichkeit hieß?«, fragt Frau Heerten.

Oha, gefährlich, einen Vielschwätzer etwas zu fragen. Sollte man nie tun. Das tritt eine Lawine los, du glaubst es nicht. Aber wenn man die vergammelte Identität eines Rabauken bei sich zu Hause auf dem Küchentisch liegen hat, ist das irgendwie verständlich.

Als Frau Vielschwätzer endlich leer geschwätzt ist, weiß Frau Heerten, dass Schuppi in echt Schupritschinski heißt, mal ganz groß als Fußballer rauskommen wollte, aber natürlich alles verkackt hat und dann als Arbeitsloser die schöne Wohnung am Amrumring hat aufgeben müssen, wo die Eltern doch alles für ihn getan hätten und ihm sogar die schöne Wohnung überlassen haben, als sie nach Düsseldorf gezogen sind. »War ja damals ganz narrisch nach der Karin, der Junge. Aber die wollte ihn natürlich nicht. Und dann wieder doch. Ein ewiges Hin und Her. Ist ja klar, ein Mädel wie Ihre Karin, die konnte was Besseres kriegen. Wie geht es denn der kleinen Karin?«

»Die kleine Karin hat zwei Kinder und wohnt in Hamburg«, sagt Frau Heerten und fügt hinzu: »Leider! Ich muss auch mal wieder …« Doch dann fällt ihr noch was ein. »Wo hat er denn damals Fußball gespielt, der Schuppi?«, fragt sie und tritt die nächste Lawine los.

Nach einer weiteren Viertelstunde weiß sie zum zweiten Mal, dass Schuppi als Arbeitsloser seine schöne Wohnung am Amrumring hat aufgeben müssen, wo doch seine Eltern nur das Beste für ihn gewollt hatten, aber sie erfährt immerhin auch, dass er meist am Nordmarksportfeld gebolzt hat, um ihre Karin zu vergessen. »Wie geht es ihr eigentlich, der kleinen Karin?«

»Die kleine Karin lebt mit Schuppi in Hamburg«, sagt Frau Heerten und geht.

7

Am Donnerstag, da hat er immer gebolzt, der Schuppi, hat Frau Vielschwätzer gesagt. Nach dem Dienst, hat sie gesagt. Auf dem Norder, hat sie gesagt. Und da ist Frau Heerten einfach mal hingefahren, so von hintenrum, über die Olshausenstraße, das ist nicht so weit weg von Suchsdorf, Parkplätze sind auch kein Problem und dazu ein wunderbarer Blick über die ganze riesige Rasenfläche.

Sollten die Bolzer allerdings am anderen Ende vom Platz bolzen, wären sie nur zwei Zentimeter groß, weil sie über dreihundert Meter entfernt sind. Da hat Frau Heerten aber ausnahmsweise mal Glück. Weil sie eine ganz normale Größe haben, sind sie quasi direkt vor Frau Heertens Nase, als sie hinter der Hundeschule durchs Unterholz bricht.

Sie geht bis zu der hölzernen Barriere, die den gesamten Norder umrundet, und stützt sich mit den Unterarmen darauf. Vierzehn verschwitzte Männer hetzen hinter dem Ball her und versuchen, ihn zwischen die Sporttaschen zu kicken, die die Tore markieren.

Frau Heerten liebt Fußball. Nicht als Spielerin natürlich, aber als Zuschauerin. Seit das Fernsehen an jedem, aber auch wirklich jedem Abend mehrere Kommissare ins Rennen schickt, die einen Mörder fangen müssen, braucht sie nur auf die Uhr zu sehen, um zu wissen: Noch eine Viertelstunde, bis die neunzig Minuten voll sind, das kann nicht der Mörder sein. Und bei den Dreiviertelstunden-Krimis ist bis fünf Minuten vor Schluss jeder Verdächtige total unschuldig.

Das ist bei großen Sportwettkämpfen und Fußballevents anders. Da ist von der ersten bis zur letzten Minute alles drin. Deshalb sieht sie lieber die.

Nun muss ich gestehen, was sie hier auf dem Norder sieht, ist mit einem Spiel – sagen wir mal Bayern gegen Dortmund – nicht zu vergleichen. Latte und Pfosten, die im Fernsehen immer so eine wichtige Rolle spielen, sind hier bautechnisch abwesend, Einwürfe werden mehr so hingefummelt, und von Videobeweisen will ich gar nicht reden.

Aber ein Schiri ist dabei. Zumindest nimmt sie an, dass der mit der Pfeife diesen Part übernommen hat. Dem Sohn das Trillerpfeifchen geklaut und schon hatte er den Posten. Manchmal kickt er sogar mit, weswegen der Name »Unparteiischer« hier nicht ganz passend ist. Aber das soll bei großen Spielen ja auch hin und wieder nicht stimmen.

Frau Heerten braucht nicht lange, um herauszuklabüstern, wer eigentlich gegen wen spielt. Die eine Mannschaft hat den Fanshop im CITTI-PARK geplündert und trägt das Emblem von Holstein Kiel auf der Brust. Die anderen haben wohl nur kurz in den Kleiderschrank gegriffen, wie Frau Heerten aus den bunt zusammengewürfelten T-Shirts schließt.

Eine ältere Frau, die am Rand eines Fußballfelds steht – obendrein als einziger Zuschauer –, fällt den Spielern natürlich auf. Da gibt ein Fußballer schon mal alles und mehr. Könnte schließlich die Mutter eines Gegenspielers sein. Der will man gern zeigen, was für eine sportliche Pfeife sie da in die Welt gesetzt hat. Schade nur, dass der großartig angedachte Fallrückzieher die Grenzen der eigenen Sportlichkeit übersteigt und den Spieler humpelnd auf die Bank zwingt.

Ich weiß natürlich nicht, wie oft du schon auf dem Norder warst. Aber wenn du auch nur ein einziges Mal da warst, dann weißt du, dort gibt es gar keine Bänke. Deshalb setzt sich der Fußballer nach seinem denkwürdigen Schuss, der beinah das entscheidende Tor gebracht hätte, nicht auf eine Bank, sondern lehnt sich mit dem Rücken neben Frau Heerten an die Barriere.

»Schade«, sagt Frau Heerten.

»Hä?«, sagt der Fußballer und wedelt sich mit seinem Hemd Luft zu.

»Wenn der gesessen hätte …«, sagt Frau Heerten.

»Hmm«, macht der Hemd-Wedler.

»Schuppi hätte ihn sicher reingemacht«, sagt Frau Heerten.

»Glaubichnich«, sagt der Wedler.

»Wo ist der eigentlich?«, fragt Frau Heerten.

»Wer?«, fragt er.

»Schuppi.«

Also ich finde es ganz toll, wie Frau Heerten das macht. Musst du dir mal merken: Ältere Frauen wirken oft ein bisschen harmlos, manchmal sogar etwas zickig, im Grunde schlicht … alt. Aber man soll sich nicht täuschen, besonders bei Frauen wie Frau Heerten, die so trutschig daherkommen und es doch faustdick hinter den Ohren haben. Da kommt mancher Fußballer nicht mit. Sie hat das Thema jedenfalls gleich da, wo sie es haben will.

»Schuppi? Ach der. Lange nicht mehr dabei«, sagt der Wedler.

»Wieso nicht?«

»Keine Ahnung«, sagt er und humpelt wieder zu den anderen aufs Spielfeld.

Da wird sie sich wohl noch eine Weile gedulden müssen, bis das Spiel zu Ende ist und sie die anderen fragen kann, ob sie was über Schuppi wissen. Und das, wo Geduld nicht gerade zu Frau Heertens Stärken zählt.

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