Kitabı oku: «Goldgier», sayfa 3

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Was ist nur mit mir passiert , fragte sein vernebeltes Gehirn, das sich kaum noch an die Zeit des schwerelosen Schwebens erinnern mochte. Oder fragte das etwa diese Person, die während seines Fliegens nach ihm gerufen hatte?

War er vielleicht schon im Himmel gewesen? Nein, im Himmel wäre doch nicht alles voller Nebel gewesen, dachte er, im Himmel musste doch die Sonne scheinen, oder?

Arnie hatte keine Ahnung. Wo war er gewesen und warum hatte man ihn wieder zurückgeschickt, zurück in diesen schmerzenden Körper, der zu nichts zu gebrauchen war?

Es konnte nur mit dem Gold zu tun haben, mit dem vielen, schweren Gold, das bestimmt nicht ihm gehörte und das er sich trotzdem hatte nehmen wollen. Nur woher wussten all diese Leute von seinem Fund, er war doch ganz allein gewesen? Und warum hatten sie ihm so wehgetan?

„Können Sie mir ein paar Fragen beantworten?“, fragte eine der Stimmen erneut, und Arnie dachte, es müsste eine Frau sein. Er deutete ein Kopfschütteln an, weil sein Kopf so leer war und er gar nichts mehr wusste; aber um den Kopf richtig schütteln zu können, tat ihm alles viel zu sehr weh. Um ihr zu zeigen, dass er sie dennoch hörte, und damit sie ihr Rufen einstellte, das so stark in seinem Kopf dröhnte, öffnete er einen Spaltbreit die Augen und erkannte, es war wirklich eine Frau.

Sie trug, genau wie der Mann neben ihr, einen dicken Anorak. Unter ihrer Strickmütze schauten die langen dunkelblonden Haare heraus. Sie sah sehr freundlich aus. Er hätte sie gerne noch ein wenig betrachtet, weil er so vielleicht herausfinden konnte, ob er sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Doch dann beugte sich die Frau ganz nah zu ihm herunter, woraufhin Arnie angstvoll das Gesicht verzog, weil er fürchtete, sie könne ihm erneut wehtun, sollte sie ihn berühren.

„Mein Name ist Franziska Steinbacher. Ich bin von der Passauer Mordkommission. Meine Kollegen haben Sie aus diesem Grab gezogen. Sie sind verletzt, aber machen Sie sich bitte keine Gedanken: Wir helfen Ihnen.“ So dicht an seinem Ohr tönte ihre Stimme viel zu laut, weshalb Arnie dann doch den Kopf schüttelte, was wiederum den Vulkan in seinem Kopf zum Kochen brachte.

„Wo bin ich?“, fragte Arnie, und diesmal gelang es ihm, so klar zu sprechen, dass die Frau ihn verstehen konnte und mit ruhiger Stimme ihre Fragen wiederholte: „Sie sind auf dem Innstadtfriedhof, wir haben Sie aus einem Grab gezogen. Sie waren ohnmächtig. Wissen Sie noch, wie Sie da hineingekommen sind? Können Sie sich an etwas erinnern?“

Arnie wusste es nicht und fragte stattdessen: „Wo ist mein Gold?“

„Ihr Gold?“, die Frau schien in seinem Gesicht zu forschen. „Von welchem Gold sprechen Sie?“

„Vielleicht von diesem hier!“ Ein großer dicker Mann kam in sein Blickfeld und streckte ihr triumphierend zwei Bierflaschen entgegen.

„Was ist passiert?“, fragte Arnie, ohne die Bierflaschen zu beachten. Bier interessierte ihn nicht, er hatte schon länger keines mehr getrunken.

„Sie sind in ein Grab gefallen“, erklärte sie ihm erneut. „Haben Sie das gegraben? War jemand bei Ihnen? Hat Sie vielleicht jemand gestoßen?“

„Ich. Ja, hab ich.“ Müde schloss Arnie die Augen.

„Wie heißen Sie denn?“, fragte die Frau in seine Gedanken hinein, und ihre Stimme klang sehr freundlich. „Ich bin Kriminaloberkommissarin und möchte Ihnen helfen“, ließ sie nicht locker. „Und das hier ist Doktor Buchner, er ist Notarzt.“

„Arnie“, erklärte Arnie knapp, weil ihm das Reden schwerfiel.

„Ich habe seinen Ausweis gefunden, der steckte in der Jacke. Arnold Schwarzenflecker heißt er“, erklärte der Dicke mit heiterer Stimme, und dann hörte Arnie, wie er laut loslachte. „Wahnsinn, das klingt ja fast wie bei dem Actionhelden meiner Kindheit.“

Verärgert wandte die Frau ihren Kopf dem Dicken zu. „Obermüller, jetzt reiß dich aber mal zusammen und erzähl hier nichts von Kinohelden. Der Mann wurde niedergeschlagen, er kann nichts dafür.“

„Ist ja schon gut, Franzilein“, maulte der Dicke gutmütig. „Trotzdem klingt Arnold Schwarzenflecker fast wie Arnold Schwarzenegger, oder?“

Arnie gab einen verärgerten Ton von sich, denn das Letzte, was er in dieser Situation brauchte, war ein Geplänkel über seinen Namen.

„So, ich glaube, das reicht“, mischte sich der Mann ein, der die ganze Zeit schon neben ‚Franzilein‘ gestanden hatte. „Ich gebe Ihnen jetzt etwas gegen die Schmerzen, dann wird es leichter für Sie.“

Gleich darauf schob er ihm den Ärmel seines Hemdes nach oben, legte einen Stauschlauch an, und im nächsten Moment ließen die Schmerzen tatsächlich nach. Arnie merkte, wie er sich entspannte – wie alles wieder wurscht wurde. „Alles wird gut“, versicherte der gutmütige Bass des Arztes. „Sie haben großes Glück gehabt.“ Arnie lächelte. Warum wusste er nicht, vielleicht lag das an dem Schmerzmittel, überlegte er noch, bevor es passierte. Denn genau in dem Moment, in dem die Schmerzen sich bereits zurückgezogen hatten, sein Bewusstsein vom Morphin aber noch nicht gänzlich getrübt war, erinnerte sich Arnie erneut an den herrlichen Glanz des Goldes im Schein seiner Lampe und an die Erkenntnis, dass mit ihm all seine Sorgen hinfällig würden. Der Fund des Goldes war wie ein Wunder gewesen, weshalb Arnie beschloss, allen Anwesenden mit fester Stimme zu erklären: „Ich will mein Gold zurück! Ich habe es gefunden, und darum gehört es mir.“

Als niemand darauf reagierte, versuchte er sich aufzurichten, was ebenso wenig funktionierte wie die Richtigstellung.

„Wir bringen Sie jetzt erst einmal ins Klinikum“, erklärte der Notarzt, und bevor Arnie in jener Dunkelheit versank, in der die ihm schon bekannten Geister auf ihn warteten, registrierte er, dass er jetzt doch wieder schweben konnte, wenn auch nur knapp über dem Boden.

Jetzt legst du dich schon zu den Toten, Toten, Toten, höhnte die erste Stimme und fügte ein schepperndes Lachen an. Ha ha ha ha haaa, im Todesmatsch versunken, versunken, versunken. Ach, Arnie, was ist nur aus dir geworden? Arnie, warum bist du denn zurückgekehrt, zurückgekehrt, zurückgekehrt?

Arnie schluckte heftig, eine jähe Übelkeit ließ ihn würgen.

Mit dir ist es doch längst vorbei, vorbei, vorbei. Erde zu Erde, Staub zu Staub und Matsch zu Matsch zu Matsch zu Matsch zu Matsch.

Und während er sich mehr und mehr im Niemandsland zwischen hier und der Unendlichkeit verlor, registrierte er als Letztes, dass sich die Stimmen ebenfalls zur Ruhe begeben hatten. Auch wurscht.

Kanopka saß in seinem Ford Mustang Coupé und schlug fluchend mit der Faust aufs Lenkrad ein. Was hatte er nur angerichtet? Verdammt! Während er auch weiterhin sein Tun mit allen möglichen Schimpfwörtern kommentierte, fuhr er die Straße Lindental hinauf. Weiter oben, am Rand des Stadtgebiets, lag der Bauernhof, neben dem er zurzeit in einem Wohnmobil hauste, das er bereits von München aus bei einem ortsansässigen Händler geordert hatte. Den Hof hatte er ausgewählt, weil er nur wenige Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt lag. Nachdem er seinen Wagen im Schutz der Brombeerhecken geparkt hatte, öffnete er die Tür zu seiner Behausung, griff eine Flasche Helles aus dem Kühlschrank und ließ sich auf die kleine Bank fallen. Die Flasche war in wenigen Minuten geleert. Kanopka warf sie auf den Boden, stützte den Kopf in die Hände und starrte auf die Tischplatte aus Eichenholzimitat. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Tränen glitzerten in seinen Augen. Sein Selbstmitleid war grenzenlos.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Der Zufall hatte Kanopka vor Wochen an diesen himmlischen Platz geführt, denn auch wenn Pflanzen sonst nicht sein Ding waren, hatte er die auf der anderen Seite der Brombeeren wachsenden Pflanzen sofort identifiziert: Hanf! Nach einem ersten Besuch beim Besitzer der Anpflanzung kam Kanopka sehr entspannt und mit einem Verlängerungskabel für die Stromversorgung sowie einem kleinen Vorrat an Gras zurück.

Doch von diesem entspannenden Trip war er im Moment weit entfernt, und Schuld daran war einzig Daniela. Natürlich war er wütend gewesen und natürlich hatte die Schlampe ihn gereizt, aber doch nicht so. Was er getan hatte, tat ihm leid, unendlich leid. Aber egal, jetzt war es passiert und jetzt brauchte er Geduld und einen neuen Plan. Vor allem Geduld konnte er sich nicht leisten, denn letztlich lag es ja nicht an ihm zu entscheiden, wie viel Zeit er sich lassen konnte.

In den letzten Tagen hatte er immer wieder im Wohnmobil Quartier bezogen, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen, und er hatte nicht wirklich gewusst, worum es diesmal gehen würde. Bis er eines Tages seinen Auftrag erhalten hatte. Dabei war ihm eines sofort klar gewesen. Diesen Auftrag konnte er unmöglich allein übernehmen. Nicht weil er es nicht konnte, sondern weil es viel zu riskant für ihn war.

Kanopka griff erneut zum Bier. Aber das Gesöff beruhigte ihn keineswegs. Es machte ihn eher noch wehleidiger, wenn das überhaupt möglich war. Warum hatte sie auch nicht einfach zugestimmt, in Zukunft wieder für ihn zu arbeiten, war das etwa zu viel verlangt? Hätte sie doch machen können. Warum hatte sie nicht wie sonst einfach eingesehen, dass es das Beste für sie war? Er wollte ihr doch gar nicht wehtun. Und den blöden Kerl hätte er ihr auch schnell ausgetrieben, er hatte es ihr doch auch sonst immer gut besorgt! Aber nein, das Fräulein musste ja Zicken machen, musste ja so tun, als würde sie jetzt den Ton angeben! Da konnte er doch gar nichts anderes machen, als ihr die Fresse zu polieren und ihr damit die Richtung zu zeigen, oder etwa nicht?

Als er auch eine dritte Flasche ausgetrunken und noch eine vierte leer zum übrigen Müll auf den Boden geworfen hatte, erhob er sich, öffnete seine Hose und die Tür und pisste in hohem Bogen nach draußen. Während er seinen Reißverschluss wieder zuzog, überlegte er, ob er nicht lieber auf Schnaps umsteigen sollte. Er öffnete den Kühlschrank, entdeckte die Wodkaflasche und setzte sie schon im Stehen an.

Während er trank, hatte er das Gefühl, die vergammelten Kartoffeln noch zu schmecken. Die Wirkung des Alkohols besänftigte ihn, und er dachte genussvoll daran, wie Daniela am Boden gelegen hatte – fast wie früher – und wie er zutrat und sie aufstöhnte. Nur gefickt hatte er sie nicht. Noch nicht. Und zu seiner Befriedigung hatte noch etwas gefehlt.

Er ließ die Flasche sinken. Das Miststück. Warum hatte sie nicht geheult, nicht um Gnade gewinselt? Vielleicht hätte er dann früher aufgehört. Er überlegte. Nein, sie wollte es so. Allerdings hätte es ihm viel mehr Spaß gemacht, wenn sie sich nicht so sehr beherrscht hätte. Er liebte es, wenn sie winselte und bettelte und er trotzdem weitermachte. Einfach so, weil er es konnte und weil sie ihm ja sowieso alles verzieh. Die kleine Schlampe hatte ihn wirklich geliebt. Ach Gott, war sie jung gewesen und so süß, eigentlich viel zu schade; aber das war jetzt schon so lange her, und letztlich war ja auch nicht viel von ihrer Schönheit übriggeblieben. Kanopka nahm einen weiteren Schluck und erinnerte sich plötzlich, warum er so schlecht drauf war.

Er, Kanopka, war das Opfer dieses Miststücks. Sie allein hatte in der Hand gehabt, was mit ihr passierte. Nicht er war schuld, nein, sie hatte ihn dazu getrieben. Ganz genau. Wie um zu beweisen, dass er noch immer unter seinem Tun litt, schüttelte er sein Handgelenk: Es tat ihm richtig weh. Und das Schlimmste an der ganzen Geschichte war, dass er noch einmal zu ihr gehen musste, dass er sie so lange bearbeiten musste, bis sie endlich machte, was er von ihr wollte. Sein Problem war nämlich, dass er sie wirklich brauchte und ihr genau das nicht sagen konnte. Er setzte die Flasche an und trank. Daniela war eben genau die Richtige für den Job, den er übernehmen musste. Verdammt noch Mal, er hatte doch keine Lust, sich selbst zu opfern.

Was mit Daniela passieren würde, war ihm relativ egal, schließlich saß er ja auch nur ihretwegen noch in diesem trostlosen Wohnmobil herum. Runtergekommen, stickig und zugemüllt. Immerhin gab es Wasser und eine Dusche. An das Klo wollte er besser nicht denken, das gehörte dringend geleert, aber wer sollte das machen? Vielleicht könnte er Daniela dazu bringen, überlegte er noch, und die Vorstellung, wie sie in der engen Kabine herumschrubbte, gefiel ihm. Wenn sie fertig geputzt hatte, würde er sie genau in dieser Position nehmen und schon beim Gedanken daran begannen seine Eier heftig zu jucken, was ihm gefiel, denn Daniela hatte es einfach noch immer drauf, ihn in Fahrt zu bringen. Doch bevor er sich ganz in der Vorstellung von der vor ihm knienden Daniela verlor, erinnerte er sich an ihr verschwollenes Gesicht und daran, dass das erst abheilen musste. Das bedeutete: abwarten und sich die Vorhaltungen des Grafen anhören.

Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Und wem hatte er das zu verdanken? Natürlich nur Daniela, der alten Fotze. Dafür würde er sie so richtig rannehmen. Er wollte schon seine Hose öffnen, um sich ein wenig Erleichterung zu verschaffen, aber so einfach sollte sie ihm nicht davonkommen.

Letztlich konnte er nicht einmal begreifen, warum sie ihn überhaupt verlassen hatte. Und dann auch noch mit seinem Geld! Sie musste doch am besten wissen, dass er sie finden und es sich zurückholen würde. Das Geld oder eben das, was sie dafür tun musste, um ihre Schulden bei ihm zu bezahlen.

Der Graf rief jetzt fast täglich an und fragte, ob er endlich liefern konnte. Kanopka log ihm dann immer etwas vor. Lügen mochte der Boss gar nicht gerne aufgetischt bekommen. Aber nachweisen hatte er ihm noch keine können, und er würde den Teufel tun, sich selbst zu entlarven. Bisher hatte er den Boss beschwichtigen und hinhalten können; aber viel Spielraum würde er ihm nicht mehr zugestehen. Und der Graf war nicht zimperlich.

Kanopka seufzte. Ach, wenn er ihm doch einfach sagen könnte, er solle seinen Scheiß alleine machen. Aber das ging natürlich nicht. Der Graf hatte ihn damals bei sich aufgenommen und seinen ersten Job gegeben, und seither stand er bei ihm in der Kreide, und das würde auch immer so bleiben. Denn der Graf gab, und der Graf nahm – und immer so, wie es ihm gefiel, und Kanopka tat gut daran, ihn nicht unnötig zu reizen. Denn wenn der Boss herausbekam, wie er Daniela zugerichtet hatte, dann gnade ihm Gott.

Nach einem kurzen Abstecher ins Kommissariat machte sich Franziska auf den Heimweg. Noch immer war sie sich nicht sicher, ob Arnold Schwarzenflecker in die Grube gestoßen worden war oder lediglich einen Unfall gehabt hatte. Obermüller hatte in der Nähe der Grabungsstätte leere Bierflaschen gefunden, und mit zu viel Alkohol im Blut konnte so etwas schnell passieren. Das war ja durchaus möglich bei diesem Knochenjob. Vielleicht auch zu wenig Schlaf und dann völlig übermüdet in der Dunkelheit ein Grab ausheben, da konnte man sich schon mal überschätzen und in die Grube fallen.

Der Notarzt Dr. Buchner wollte sich wie immer nicht festlegen, ob der Totengräber die Folgen des Sturzes überlebt hätte, wenn die Bestatter aus Berlin nicht rechtzeitig aufgetaucht wären und die Polizei alarmiert hätten. „Die Nächte sind schon ziemlich kalt“, hatte der Doktor lediglich zu bedenken gegeben.

Von den beiden Berliner Bestattern, die die Überreste von Theo Koller mitnehmen sollten, wusste Franziska, dass solche Umbettungen in der Regel nachts ausgeführt wurden, weil sich dann keine Besucher auf dem Friedhof aufhielten und sich somit niemand von dem vielleicht nicht so schönen Anblick belästigt fühlen musste.

Nachdem Arnold Schwarzenflecker ins Klinikum gebracht worden war, waren die beiden Berliner selbst hinuntergestiegen, hatten die sterblichen Überreste von Theo Koller aus dem Grab geborgen und in einer Kiste verstaut. Sie mussten zurück und hatten es daher eilig. Obermüller hatte ihre Personalien aufgenommen und ein kurzes Protokoll darüber angefertigt, dass die beiden eigentlich viel früher hätten ankommen sollen, sie aber durch einen schweren Unfall auf der A3 aufgehalten worden waren und sich deshalb verspätet hatten. Ein möglicher Täter hätte so etwas allerdings nicht vorhersehen können.

Nachdem es am Tatort nichts mehr für sie zu tun gab, hatte die Kriminaloberkommissarin die Streife, die sie bereits bei ihrer Ankunft am Friedhof erwartet und ihr den Weg zum Grab gewiesen hatte, beauftragt, die Sicherung der Grabstelle vorzunehmen und am nächsten Tag die Friedhofsverwaltung zu verständigen.

Franziska stellte ihr Auto auf dem Parkplatz ab und spurtete durch die kalte, feuchte Herbstnacht bis zur Haustür. Sie war völlig durchgefroren und wollte nur eins, hinauf ins warme Bett, vorher noch heiß duschen und dann ...

Als sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, war sie froh darüber, dass Walter nicht zurück in ihre Wohnung gekommen war. Allein der Gedanke daran, dass er überhaupt in Erwägung gezogen hatte, ihr, ohne es mit ihr abzusprechen, ein Kind zu machen, brachte sie auf Hundertachtzig. Und dann hatte er sie mit diesem Thema auch noch verarscht und sich damit lustig über sie und ihre Karriere gemacht. Franziska steigerte sich immer mehr in Rage. Was erlaubte der sich überhaupt! Und wer gab ihm ein Recht dazu, so über sie zu bestimmen? Natürlich würde sie sich mit dem Thema Baby irgendwann auseinandersetzen müssen, aber doch nicht jetzt! Dazu liebte sie ihren Beruf viel zu sehr, und beides konnte man nur unter einen Hut bringen, wenn man Mann war und die Frau sich um das Austragen und Versorgen kümmerte. Oder etwa nicht? Franziska überlegte, ob sie sich einen Schnaps gönnen oder einen Tee kochen sollte, entschied sich in Anbetracht ihres geschwächten Magens aber für den Tee und versuchte, sich von dem Babythema abzulenken, indem sie an den Totengräber und sein Missgeschick dachte.

Vielleicht arbeitete der Friedhofsangestellte genauso ungern in der Kälte wie sie. Was, wenn er, um seinen Job machen zu können, nicht nur Tee, sondern hin und wieder ein Bier oder einen Schnaps oder beides und vielleicht in größerer Zahl brauchte? Das Teewasser kochte endlich und Franziska wählte einen Kamillentee.

Natürlich musste er eine mögliche Trunkenheit während der Arbeit vehement abstreiten, denn bei einem Arbeitsunfall sollte verständlicherweise kein Alkohol im Spiel gewesen sein. Vorsichtig schlürfte Franziska an ihrer Tasse und ließ dann noch etwas kaltes Wasser zulaufen. Während sie trank, musste sie sich eingestehen, dass sie sich noch nie mit den Arbeitsbedingungen eines Totengräbers beschäftigt hatte. Selbstredend musste es auch Menschen geben, die die Toten beerdigten. Aber warum machte Arnold Schwarzenflecker diesen Job? Gab es dafür einen Grund, den sie wissen sollte, weil dieser Grund auch das Motiv für seinen mysteriösen Unfall war?

Während sie den letzten Rest Tee austrank, beschloss sie, sich gleich am nächsten Morgen um den Background des Totengräbers zu kümmern. Auf dem Weg ins Bad stolperte sie fast über den Kochlöffel und die achtlos hingeworfene Schürze, die Walter an diesem Abend bei der Zubereitung der Ravioli getragen hatte. Sie hob beides auf und schnupperte an der Schürze. Sie roch nach Essen und nach Walter. Als sie den Kochlöffel in die Küche brachte, fiel ihr Blick erneut auf den kleinen Tisch und die Flasche Rotwein. Aus ihrem Glas hatte sie bisher nicht getrunken. Sie goss Wein dazu, hob das Glas an die Nase und schwenkte es nachdenklich. Mit dem Kamillentee hatte sie ihrem Magen geschmeichelt. Der Rotwein würde ihre Nerven beruhigen, wäre aber sicher nicht gut für ihren Magen. „Verdammter Virus“, fluchte sie auf einmal ungehalten. Im Beipackzettel hatte sie gelesen, dass eine Magen-Darm-Infektion die Aufnahme der Pille samt ihrer empfängnisverhütenden Hormone erschweren könnte. Wenn das nicht gewesen wäre, dann müsste sie sich keine Sorgen machen, dass die Pille vielleicht nicht wirken könnte. Dann hätte Walter sie nie so bluffen können, und sie hätten sich nicht gestritten, und Walter wäre nicht davongelaufen …

Der Wein roch verlockend. Franziska hätte ihn gern getrunken, aber eine leise Stimme in ihrem Kopf riet ihr: Geh auf Nummer sicher!

Franziska war zum Heulen, bis zwei Aspekte ihre Stimmung kippen ließen. Walter hätte sich nie so schnell aus dem Staub gemacht, wenn er sie wirklich geschwängert hätte. Da war es viel wahrscheinlicher, dass er ihre Reaktion vorhergesehen und ausgenutzt hatte und schon längst mit einer anderen Frau im Bett lag. Mit einer, die alles mit sich machen ließ. Walter bekam immer, was er wollte, einfach weil er Walter war und diesen ganz besonderen Schlag bei Frauen hatte.

Franziska streifte ihre Kleidung ab und ging nackt, mit der Schürze und dem Rotweinglas in der Hand, ins Bad. Sie drehte das Wasser auf und vergrub ihre Nase in der Schürze, während sie darauf wartete, dass es warm wurde.

Sie dachte wieder an den Friedhof. Es gab keine Leiche und somit keinen Fall. Alles, was es gab, war ein schwerverletzter Totengräber, der, einsam wie sie selbst in diesem Moment, sich dem Alkohol oder was auch immer hingegeben hatte. Franziska hob das Glas und musste lachen. So einfach war es, mit ein paar Schluck alle Probleme zu verdrängen. Franziska stellte den Wein aufs Waschbecken und ging unter die Dusche. Das Wasser lief warm über ihren Rücken, die Schultern und in kleinen Bächen über ihre Brüste. Sie drehte den Wasserhahn so weit zu, dass nur noch ein kleines Rinnsal über ihren Rücken lief, wählte ein Duschgel und verteilte es mit sanften Bewegungen über ihren Brüsten, dem Bauch, den Armen. Sie liebte diesen Duft von Rosen und Jasmin. Walter hatte es ihr geschenkt und schäumte sie, wenn sie gemeinsam duschten, immer sehr liebevoll damit ein. Er wusste ganz genau, wie er sie verführen konnte. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, er würde hinter ihr stehen und … Verdammt, natürlich wusste Walter, wie er sie sich gefügig machen konnte! Und genau dieses Wissen hatte er am frühen Abend ausgenutzt, um sie zu überrumpeln. Franziska schrubbte sich jetzt mehr, als dass sie sich verwöhnte. „Mistkerl“, schimpfte sie, drehte das Wasser wieder voll auf, erst warm und dann so kalt, dass sie auch das letzte bisschen Gefühl für Walter vergaß.

Fröstelnd schlüpfte Franziska unter die Decke, die noch immer so wunderbar nach Walter und ihrer gemeinsamen Liebe roch. Warum hatte er nicht einfach alles so lassen können, wie es war? In Gedanken ließ sie seine Hände nun doch ein wenig über ihren erneut hungrigen Körper streicheln und fiel schließlich erschöpft in einen tiefen Schlummer. Im Schlaf hatte sie gehofft, Walter zu begegnen und mit ihm gemeinsam ihre Lust noch einmal zu befriedigen; doch kaum hatte sie in ihrem nächtlichen Kinosaal Platz genommen und den ersten Blick auf die Leinwand geworfen, da sah sie sich auch schon auf dem Friedhof stehen, eine Schaufel in der einen Hand, ein Glas Rotwein in der anderen. In der Realität wäre es völlig unmöglich, mit einem Weinglas in der Hand ein Grab auszuschaufeln. Aber was war auf einem nächtlichen Friedhof schon normal? Ohne zu murren, begann Franziska mit der Arbeit, sie schaufelte und schwitzte und schaufelte, und doch fiel jede Schaufel voll Erde, egal wie kraftvoll sie sie auch hinaufwarf, sofort wieder herunter zu ihr und bildete einen immer größer werdenden Berg, auf dem sie schließlich stand und sich selbst mit dem Rotwein zuprostete.

Kurz vor neun riss ein Klingeln sie aus dem Schlaf. Sie war schweißgebadet und fühlte sich wie gerädert. Alle Überlegungen, was der Traum bedeuten könnte, liefen ins Leere, und letztlich war sie einfach nur froh darüber, dass das ganze Martyrium von ihrem Wecker beendet worden war, bis ihr einfiel, dass sie diesen nach ihrer gestrigen Spätschicht ja gar nicht gestellt hatte. Mit einem wohligen Seufzen wollte sie sich gerade wieder umdrehen, als es erneut klingelte. Es war ihr Handy.

Schon als kleines Mädchen hatte Frederike Semmelweis gewusst, dass sie Ärztin werden wollte. Als eine Nachfahrin des berühmten Gynäkologen Ignaz Semmelweis war dieser Berufswunsch für sie praktisch Programm. Sie las alles über die große Leistung des aus Ungarn stammenden Arztes. Er hatte erkannt, dass Wöchnerinnen viel öfter eine tödliche Infektion erlitten, wenn Medizinstudenten zwischen ihren Stationen und dem Sektionssaal hin und her wechselten, wo Leichen obduziert wurden. Gegen den Widerstand vieler Kollegen führte er die erste Hygienevorschrift ein, die Ärzte und Schwestern zu ausgiebigem Händewaschen aufforderte. So wurde er der Retter der Mütter und Frederikes großes Idol. Das Ziel, Ärztin zu werden und Gutes zu tun, hatte sie durch ihre Schulzeit getragen und auch nicht straucheln lassen, wenn es mit den Noten mal nicht so lief. Nach dem Abitur war sie zum Studium nach München gegangen und vor ein paar Jahren als Frau Doktor nach Passau zurückgekehrt. Inzwischen hatte sie das Klinikum am Inn und seine Patienten kennen und lieben gelernt. Man musste in keiner Unfallchirurgie in München arbeiten, um zu wissen, dass es nichts gab, was es nicht gab. Wie zum Beispiel die multiplen Verletzungen des Totengräbers, der in der Nacht auf ihrem Tisch gelandet war.

Auf Grund einer angeordneten Umbettung habe er im Dunklen auf dem Friedhof ein Grab ausgehoben und sei dabei, vermutlich unter Alkoholeinfluss, in die Grube gestürzt, hatte ihr Kollege Dr. Buchner, der als Notarzt die Erstversorgung übernommen hatte, bei der Übergabe erklärt. Der Mann sei schon bald ansprechbar gewesen, habe die Augen geöffnet und einige unzusammenhängende Worte von sich gegeben. Er habe ihn mit einem Morphinpräparat sediert, um ihn transportieren zu können. Nachdem Frederike ihrem Patienten Blut für einen Alkoholtest abgenommen, sich die Wunden angesehen, sie dokumentiert und versorgt hatte, war ihr aufgefallen, dass an der Geschichte, die ihr Dr. Buchner erzählt hatte, etwas nicht stimmen konnte.

Arnold Schwarzenflecker konnte sich all seine Verletzungen nicht lediglich beim Sturz in eine Grube zugezogen haben, selbst wenn diese 2,20 Meter tief war. Um seine Verletzungen zu erklären, musste ihm mehr passiert sein, wie Frederike auch durch das Ergebnis des Bluttests sehr schnell erkannte. Der Verunglückte hatte nämlich keinerlei Alkohol im Blut. Im Laufe ihres Nachtdienstes schaute sie mehrmals bei ihm vorbei und bemerkte erfreut, dass sich sein Zustand langsam besserte. Als ihre Schicht am frühen Morgen endete, ließ ihr die Neugierde keine Ruhe, und sie machte sich auf den Weg zum Innstadtfriedhof, um mit Hilfe ihrer Dokumentation zu rekonstruieren, was dem Mann in der vergangenen Nacht passiert sein konnte.

Im Laufe der Nacht war Arnie immer wieder kurz erwacht, um gleich darauf in einen tiefen Schlummer zu fallen, der ihn von allen Fragen erlöste. Er müsse jetzt schlafen und sich ausruhen, hatte eine Schwester ihm eindringlich geraten. Kurz darauf hatte er sich schon nicht mehr an ihr Gesicht und die Tatsache, dass sie gerade bei ihm war, erinnern können.

Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte er sich taub und nutzlos, weshalb er einfach liegen blieb und abwartete, ob jemand kommen und ihm erklären würde, was mit ihm passiert war. In seinem Kopf war nicht viel, an das er sich erinnern konnte, und noch weniger, woran er sich erinnern wollte.

Also schloss er wieder die Augen, dachte an möglichst nichts und schon gar nicht an die Stimmen und Bilder, die ihn in der Nacht auf dem Friedhof bedrängt hatten und von denen er inzwischen glaubte, dass er sie nur geträumt hatte.

Erst als er versuchte, sich vorsichtig zu bewegen, war ihm aufgefallen, dass sein linker Arm auf einer weichgepolsterten Schiene fixiert und der rechte eingegipst und noch weniger zu bewegen war.

Auf seinem Handrücken klebte ein Schlauch, und als er ihm mit den Augen folgte, erkannte er über sich eine Infusionsflasche. Tropfen auf Tropfen rieselte langsam, beinahe im Sekundentakt, in das trichterförmige Sammelbecken unterhalb der Flasche und nahm von da aus den Weg durch den Schlauch zum Handrücken in die Braunüle und in seine Venen. Tropfen für Tropfen – Sekunde auf Sekunde – Schäfchen auf Schäfchen. Arnie zählte sie, kam mit Mühe auf vier und schlief ermattet ein.

„Wir kennen uns bereits!“, versicherte Frederike, streckte Franziska die Hand entgegen und schenkte ihr ein herzliches Lachen. Nach einem Telefonat voller Andeutungen hatten sie sich in der Cafeteria des Klinikums zum gemeinsamen Frühstück verabredet.

Nachdem die junge Ärztin Franziska am Handy erklärt hatte, dass sie unbedingt und am besten sofort mit ihr über Arnold Schwarzenflecker sprechen müsse, weil sie in der Nacht Erkenntnisse gewonnen hätte, die sie unbedingt mitteilen müsse, hatte sich Franziska nach einem knappen Aufenthalt im Bad sofort auf den Weg gemacht.

Franziska ließ sich gegenüber der Ärztin auf einem der beiden freien Stühle nieder und legte ihre Jacke über den anderen. Sie trug, genau wie Frederike, Jeans, Pulli und Sneakers, und nach einer kurzen Musterung stellte sie fest, dass sie gleich alt sein mochten. Woher sie sich aber kannten, wollte ihr einfach nicht einfallen.

Frederike lächelte und lüftete schließlich das Geheimnis. „Aus der Rechtsmedizin. Ich war bei Professor Wassly, in München, in der Nußbaumstraße“, half die Ärztin Franziska auf die Sprünge. „Du, also, wollen wir nicht du sagen? Meine Freunde nennen mich Freddy und manche auch Frettchen, obwohl ich das nicht so gerne mag, weil ich dann immer denke, ich hätte ein Figurproblem.“

Franziska lauschte dieser Spitznamenerklärung nur mit einem Ohr, weil sie jetzt zwar wusste, woher sie sich kannten, ihr aber nicht einfallen wollte, bei welcher Gelegenheit oder welchem Fall sie miteinander zu tun gehabt hatten.

„Du erinnerst dich wirklich nicht? Du warst bei uns wegen einer Frau, die aus dem Fenster gesprungen ist. Ihr habt versucht, ihre Identität zu ermitteln, und wir haben ihr dafür ihr Gesicht zurückgegeben.“

„Stimmt!“, fiel es Franziska endlich ein.

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