Kitabı oku: «Alte Anker rosten nicht», sayfa 3

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Maike legte ordentlich Make-up auf, schlang sich das graue Tuch um den Kopf und hielt sich für ausgehfertig. Als wir um kurz vor 17.30 Uhr auf den Gang traten, öffnete sich die Tür einer Nachbarkabine.

»Mama, jetzt komm, ich hab Hunger«, hörte ich eine tiefe Männerstimme. Es trat ein stämmiger Herr Anfang 40 auf den Gang mit einer älteren Dame, die nicht mehr gut zu Fuß war. Ungeduldig trottete er hinter ihr her. Freundlicherweise ließen sie uns an sich vorbei, während ich mich fragte, wie es sich wohl für einen Mann anfühlte, in diesem Alter noch das Bett mit der Mutter zu teilen. Vermutlich besser, als es für den Rest seines Lebens mit niemandem mehr zu teilen. Dagegen war Maike als Bettgenossin ein richtiges Schnäppchen.

Kurz vor der Rezeption kam uns eine ernst dreinschauende Dame in dunkelblauer Uniform entgegen. In ihrem kastanienbraunen Pagenkopf steckte eine Lesebrille. Sie ergriff meine Hand, schaute mir tief in die Augen und stellte sich als die Hoteldirektorin dieses Schiffes, Heike Hurter, vor. Für eine Sekunde hellte sich ihr Blick auf, und sie schenkte mir ein freundliches Lächeln, dann senkten sich ihre Gesichtszüge wieder herab. Wenn es mir an etwas fehlen würde, solle ich sie ansprechen, sie sei für das Wohlergehen der Passagiere an Bord zuständig und immer für mich da. Was für ein schönes Versprechen, dachte ich. Hier wollte man bleiben. Jetzt ergriff sie Maikes Hand, und alles wiederholte sich. Sie bat uns zu warten, damit sich die Crew den Gästen vorstellen konnte. Deshalb blieben wir im Gang vor dem bereits gut gefüllten Restaurantbereich stehen, der jetzt mit einer Kette abgesperrt war. Durch den Raumteiler aus Holzstreben sahen wir, wie man sich an den Tischen angeregt unterhielt. Vor uns sammelten sich Mannschaftsmitglieder in Uniform. Manche sprachen russisch, ein untersetzter Herr mit Ziegenbart plapperte ein paar Brocken nach und brachte damit den Rest der Truppe zum Lachen. Bei ihm klemmte etwas im Bart, was ich nicht einordnen konnte. Als er bemerkte, wo ich hinsah, kam er auf mich zu und zeigte es mir aus der Nähe.

Ein lachender Totenkopf aus Silber klemmte seinen bereits ergrauenden Bart in der Mitte zusammen. »Das ist eine Bartperle«, erklärte er. »Fassen Sie sie ruhig an.«

Das ging mir dann doch zu weit. Tatsächlich hatte ich so etwas noch nie gesehen. Er reichte mir seine Hand und stellte sich vor. »Ladislaus Stapetke, Erster Technischer Offizier an Bord.«

Sein kugelrunder Bauch war das Einzige, was zwischen uns stand, und der zog ihn leicht vornüber, sodass mir sein Gesicht recht nahe kam. Ich beugte mich zurück und stellte mich als einfache Passagierin vor.

»Für uns sind Sie alle etwas Besonderes«, war seine Reaktion, bevor er in die Reihe seiner Kollegen zurücktrat. Bei jedem neuen Gast unterbrachen sie ihre persönliche Unterhaltung für ein »Guten Abend« mit kurzem Lächeln. Alle trugen Uniformen mit und ohne Streifen. Auf ein Zeichen stellten sie sich hintereinander auf wie bei einer Polonaise. In dieser Stellung verharrten sie noch kurz, bis Krappmann, jetzt in blauer Kapitänsuniform, angerannt kam und sich an die Spitze dieses Zuges stellte. »Los, du Sonnensittich«, drängte ihn der Bartperlenträger. Es erklang festliche Musik, und alle marschierten in Reih und Glied ins Restaurant, wo die Gäste bereits Platz genommen hatten und schlagartig still wurden. Krappmann sprach einige Sätze der Begrüßung, gab dann das Mikro weiter an die Hoteldirektorin und verschwand wieder.

Wir Zuspätkommer standen noch immer im Gang und sahen alles durch die Holzstreben von hinten. Es duftete nach Fleisch und leckerem Gemüse. Enni kam in Stöckelschuhen, auf denen sie so unsicher lief, dass man ihr Krücken reichen wollte. Dazu trug sie ein knielanges hochzeitskleidweißes Glitzershirt und sah aus wie eine Braut, die man aus dem Wasser gefischt hatte. Ihre Haare standen hochtoupiert vom Kopf ab. Ein Anblick zum Davonlaufen.

Endlich durften wir zu unserem vereinbarten Tisch hinter den Desserts. In blütenweißem Hemd und lila Samtjackett saß dort bereits Herr Behorn. Er lächelte, deutete an, sich zu erheben, als wir uns an den Tisch setzten, und sagte ansonsten nichts. Er wirkte in allem, was er tat, jungenhaft und auf eigentümliche Weise unbeschwert. Auch hier am Tisch vermochte er es, die Laune seiner Umgebung positiv zu beeinflussen. Selbst einer durchhängenden Trauermaus wie mir tat er irgendwie gut.

Noch bevor einer von uns zum Buffet aufbrach, kam eine Kellnerin mit einem Gruß aus der Küche für jeden von uns. »Lorena« stand auf ihrem Namensschild. Ich schätzte sie kaum älter als 18. Im Haar trug sie lauter bunte Plastikspängchen, mit denen sie auch die letzte Strähne am Kopf fixierte. Jedem von uns servierte sie eine kleine Pastete. Während ich sie etwas fade fand, verzog Herr Behorn sein Gesicht, lief rot an und produzierte Schweißperlen auf seiner Stirn. Hektisch griff er nach seinem Wasserglas, trank es aus, dann Wein, Sekt, was immer er in die Finger bekam. Ich machte mir Sorgen um ihn, denn er bekam kaum Luft und lief rot an. Hustend stand er auf und kam erst nach einer ganzen Weile, immer noch mit rotem Gesicht, wieder zurück. Enni hörte nicht auf, mit Anzüglichkeiten um sich zu werfen. Ich war knapp davor, mich vor Scham aus dem Fenster zu stürzen. Dieses hier ließ sich allerdings nicht öffnen. Kurz schloss ich die Augen. Als ich am Morgen dieses Tages unser Haus verließ, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich nicht zurückkehren konnte. Jetzt war ich hier gefangen. Zumindest bis zum nächsten Hafen.

Ich öffnete die Augen wieder und schaute auf die kleinen, rundlichen Wellen des Wassers. Allmählich stellte sich eine Art Grundmüdigkeit ein. Vieles wurde einem einfach egal. Dieser dösige Zustand war nicht gut und auch nicht schlecht. Ich fühlte mich merkwürdig getrennt vom Rest der Welt, der da an Land geschäftig seinen Angelegenheiten nachging. So wie ich. Sonst.

Es wurde immer dunkler draußen, hier und da waren noch Lichter an Land zu sehen, aber es wurde immer anstrengender, etwas erkennen zu wollen, bis meine Augen schließlich müde aufgaben und alles zur grau-schwarzen Einheitsbrühe erklärten.

Der Club anonymer Steuerberaterinnen, wie ich das Vierertrüppchen Frauen im Twinset getauft hatte, ließ sich an einem der Nachbartische nieder. An ihnen sah man edle Perlen, teure Uhren und perfekte Frisuren. Ich seufzte. Meine Haare machten gerne, was sie wollten. Meine Naturkrause stand bei Regen in alle Richtungen ab, man bekam sie kaum gebändigt. Struwwelpeter war mein zweiter Vorname. Vielleicht sollte ich auch auf Maikes Turbankonzept zurückgreifen. So musste man sich nicht mehr um eine Frisur kümmern.

Ein Paar besetzte den Tisch gegenüber. Er sehr akkurat im Strickpullunder und grauer Stoffhose mit Bügelfalte. Die junge Frau mit wallender Mähne und blutrotem Lippenstift, ein südländischer Typ mit dunkler, makelloser Haut, um einiges jünger als er. Als sie ihr kleines Jäckchen auszog, entblößte sie zarte Schultern und ein Dekolleté so tief wie der Vesuv. Sie griff mit der Hand eine Haarsträhne und strich mit einer langsamen, lasziven Bewegung an dieser herunter bis auf die Spitze ihres Busens. Dann ließ sie die Hand wie in Zeitlupe weiter an sich hinuntergleiten in den Schoß. Eine der aufreizendsten Gesten, die ich bis dahin je in der Öffentlichkeit gesehen hatte. Seitlich vom Tisch schlug sie nackte Endlosbeine übereinander. Die war niemals seine Ehefrau. Ich dachte an Adi, und mir explodierte fast das Herz.

In diesem Moment wandte sich Herr Behorn an mich. »Endlich allein mit Ihnen.«

Enni und Maike liefen zum Buffet. Gunnar Behorn legte seine Hand auf meinen Oberschenkel.

»Ich bin ganz verrückt nach Ihnen«, flüsterte er.

Für einen Moment war ich geneigt, mich umzudrehen, um zu schauen, ob noch jemand hinter mir saß, der gemeint sein könnte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte, starrte ihn nur an. Hektische Flecken breiteten sich in Windeseile über meinen Körper aus. Auch an Stellen, an denen ich sie sonst nicht kannte.

»Sie müssen nichts sagen, ich spüre Ihr Herz«, meinte er.

Ich spürte es auch. Es schlug Alarm. Schon schlenderte Enni unserem Tisch mit einem Haufen Pommes auf dem Teller entgegen. Behorn zog seine Hand zurück und schob mir einen Zettel zu: »Treffen Sie mich um sieben Uhr, dann zeige ich Ihnen, was ich fühle. Hier steht, wo und wann. Ich ersehne Sie.«

So schnell und eindeutig hatte mich in meinem ganzen Leben noch niemand angebaggert.

Er stand auf und verschwand. Seinen Zettel steckte ich schnell in meine Hosentasche, auf keinen Fall durfte Enni ihn sehen. Ich wollte ihr nicht den Traummann ausspannen. Das hätte ich ihm gleich sagen sollen. Hastig trank ich meinen Wein. Dolores’ gelber Mantel poppte wie ein Tennisball gegen meinen Kopf. Als Enni mir eins ihrer Plätzchen zum Nachtisch anbot, griff ich zu und orderte bei Spangen-Lorena einen Sex on the Beach für uns alle drei. Mit den Cocktails in der Hand zogen wir zum Musikbingo in den Salon der tausend Sessel. Ein junger Mann in Borduniform und weißem Hütchen tippte mit dem Finger ans Mikro, der Auftakt für einen wilden Unterhaltungsabend, wie er versprach. »Sie haben nur eine Pflicht: Lassen Sie die Bude brennen.« Schon dröhnte laut Oktoberfestmusik. Mitten im April. Irgendwie war alles aus dem Takt.

Der erste Gast klatschte, zog aber sein Engagement sofort zurück, als er merkte, dass er damit alleine blieb. Ein älteres Paar in Pantoffeln nahm sich an den Händen und floh. Unser Vergnügungsoffizier tanzte wie ein Derwisch und winkte den Gästen zu, die ungerührt in ihren Sesseln saßen. Dann legte er eine Pause ein, wollte gleich mit einer Überraschung wiederkommen. Ich nahm noch ein Plätzchen. Nach einigen Minuten der Ruhe kehrte unser Sänger im engen Paillettenoverall zurück, rief einen Elvis-Abend aus und schwang seine schmalen Hüften. Tatsächlich sprangen jetzt einige Gäste auf und tanzten. Es dauerte nicht lange, und die Hälfte des Saales rockte zwischen den Sesseln. Enni und Maike suchten Gunnar Behorn. Bald sah ich sie in dem Gewirr der Leute nicht mehr. Kurz vor 19 Uhr zog ich Behorns Zettel aus der Tasche. Darauf stand, welchen Weg ich nehmen sollte, um an einen besonderen Ort des Schiffes zu gelangen, wo wir allein sein konnten. Dort wollte er auf mich warten.

Kurz erwog ich, vom Schiff zu flüchten, aber wie? Mit rundherum nur kaltem Wasser. Draußen sah man plötzlich 1000 Lichter, die Erdölraffinerie und Chemiewerke von Wesseling erstrahlten in der Nacht. Schaute man nur aufs Wasser, wirkten die Lichter romantisch. Hob man den Blick, erlosch dieser Eindruck, und man erkannte schemenhaft Rohre, Tanks, Arbeitsflächen und Kräne. Ja, so war das mit der Romantik. Sah man genauer hin, änderte sich das Bild schon mal. Das würde leider auch Herr Behorn einsehen müssen. Es half nichts, ich musste diesen mysteriösen Ort suchen und ihm reinen Wein einschenken. Also schlängelte ich mich zwischen Sesseln, Tischen und Tänzern hindurch bis zur Rezeption. Dort arbeitete Frau Hurter. Sie unterbrach ihre ernste Miene, um mir ein kurzes Lächeln zu schenken, und ich überlegte, ob abends ihre Wangen krampften von diesen vielen Lächelblitzen.

Laut meinen Anweisungen sollte ich die große Treppe, die sich in der Mitte des Schiffes gegenüber der Rezeption befand, zwei Stockwerke tief hinuntergehen. An ihr war ich schon einige Male vorbeigegangen. Es handelte sich um eine pompöse Wendeltreppe mit breiten blauen Stufen. Sie führte in ein rundes Loch, das mit einem weißen Geländer umgeben war, damit kein Passagier hineinfallen konnte. Aus der Entfernung wirkte es wie das Geländer eines Swimmingpools. Auf der Treppe kamen mir gut gelaunte Herrschaften entgegen, einige im Bademantel. In der zweiten Etage unterhalb der Lobby wirkte alles ein wenig enger und dunkler, es gab nur noch Bullaugen und keine großen Fenster mehr wie in den oberen Stockwerken. Auf Hinweisschildern stand »Fitnessraum« und »Saunabereich«. Hier war es wohlig warm, das Licht gedimmt, es roch nach Minze und Honig. Ich sollte den Gang links entlanglaufen bis an sein Ende, dort würde eine Tür einen Spaltbreit für mich offen stehen. So ging ich an Sauna und Fitness vorbei auf eine Tür zu. Kurz bevor ich sie erreichte, kam Behorn mir aus ihr entgegen.

»Linda, da sind Sie ja. Kleine Planänderung. Ich schulde Ihnen noch Champagner. Der steht oben schon für uns bereit.«

Sanft berührte er mich am Rücken und führte mich zurück in Richtung Treppe. Bevor ich etwas sagen konnte, legte er seinen Arm um meine Hüfte. »Habe ich Ihnen schon gesagt, wie feurig Ihre Augen im Dunkeln funkeln?«

Es war ein Jammer, dieser Galanterie eine Absage erteilen zu müssen. Er küsste mich aufs Ohr. »Sie duften wunderbar. Chanel?«, fragte er im Flüsterton.

»Das Bordduschgel.«

»An Ihnen vollbringt es Wunder.«

Mir fiel nicht mehr ein, wie das mit den Komplimenten ging. Ob sie dazu da waren, ernst genommen zu werden, so rein inhaltlich. Bei Licht betrachtet, und von dem gab es auf dieser Treppe nicht sehr viel, also auch bei wenig Licht betrachtet, war meine Ehe mit Adi zu einer komplimentfreien Zone geraten. Das letzte dieser Art musste kurz nach der Bronzezeit gefallen sein. Außer einem »Lecker« beim Essen erinnerte ich mich an nichts und fühlte mich dementsprechend aus der Übung. Wie reagierte man jetzt? Gab ich eins zurück? Herrje, war ich verkorkst. Während dieser stillen Grundsatzdiskussion mit mir selbst führte mich Herr Behorn zielstrebig die zwei Etagen wieder hoch in den Eingangsbereich. Frau Hurter war an der Rezeption im Gespräch mit einem Gast. Herr Behorn nahm seinen Arm von meiner Hüfte, lief schweigend neben mir zurück in meinen Kabinengang und hielt gleich vor der ersten Tür. Er residierte demnach zwei Kabinen von mir weg, nur Enni wohnte noch dazwischen, und ich war froh, dass die mich hier nicht mit ihm sah. Er steckte seine Karte in den Schlitz und öffnete die Tür. »Treten Sie ein in mein bescheidenes Reich.«

»Unsere Reiche sind hier doch alle gleich bescheiden.«

Seine Kabine glich haargenau der meinen. Derselbe kleine Vorraum, durch den man eintrat, rechts die Badezimmertür, links der Kleiderschrank aus Zedernholz, dahinter öffnete sich die Kabine mit dem großen Bett. Auf einem kleinen Tisch standen zwei gefüllte Champagnerschalen. Er reichte mir eine. Wir tranken und schauten einander an. Ich genoss das erfrischende Prickeln auf meiner Zunge. Aber es war ihm gegenüber nicht fair, die Wahrheit noch länger hinauszuzögern. Er machte es mir nicht leicht, ihn abzuweisen.

»Lieber Herr Behorn.«

»Gunnar.«

»Lieber Gunnar.«

Er legte einen Finger auf meine Lippen, fuhr ganz sachte mit seiner Nasenspitze über meine Ohrmuschel, folgte dann mit seiner Zunge. In mir setzte sich etwas in Bewegung, das sich anfühlte wie ein Rinnsal im Wüstensand. Dann fuhr er mit seiner Zunge über meine Augenbrauen und in meinen Mund. Das Rinnsal wurde Sturzbach. Mein Denken setzte aus. Ich erwiderte seinen Kuss. Mein Pulsschlag tanzte Tango, und es gab keinen Ort an meinem Körper, an dem ich diese Zunge nicht spüren wollte.

4. Böses Erwachen

Draußen hörte ich Stimmen, die alle durcheinanderredeten, so als wäre etwas Schlimmes geschehen. Es schien sich vor meinem Fenster abzuspielen. Was ja gar nicht möglich war, denn wir befanden uns auf dem Wasser. Oder doch schon im ersten Hafen? Mein Kopf fühlte sich an, als wäre ein Specht in ihm eingezogen. Dieses Saufen musste enden. Inzwischen hatte ich gefühlt für fünf Jahre im Voraus Alkohol getrunken. Jemand rannte durch den Gang. Im Dunkeln versuchte ich, auf meiner Armbanduhr zu erkennen, wie spät es war. 5.30 Uhr. So früh zerrte man keinen Hund vor die Tür. Meine rechte Betthälfte war leer, und ich fragte mich, wo Maike war. Beim Joggen konnte sie nicht sein, hier ging nur Wasserski. Bestimmt hing sie noch an der Bar. Mit Enni, dieser Wilden. Vielleicht gab es schon Frühstück. Mir war nur nach Kaffee. Schwerfällig stand ich auf und trat als Erstes auf meine Hose von gestern, die auf dem Boden lag, neben meiner Bluse und den Schuhen. Benommen ging ich ans Fenster und schob den Vorhang einen Spalt zur Seite. Das Schiff stand still, ich blickte auf rostigen Stahl, der etwa einen halben Meter Blick nach oben freigab, darüber ein hellgraues Geländer. Die Häfen dieser Welt schienen alle gleich auszusehen. Vorsichtig öffnete ich das Fenster, die Gardine schützend vor mich drapiert. In diesem Moment flog aus dem Nachbarfenster eine Plastikdose in den schmalen Schacht zwischen Schiff und Land. Einen Moment lang überlegte ich, ob wir wieder im Köln-Deutzer Hafen lagen. Maschinenschaden? Vergessen, Brötchen fürs Frühstück zu kaufen? Das machte keinen Sinn. Hinter dem Geländer sah man ein paar männliche Hosenbeine im Dunkeln. Ich zog mich lieber wieder zurück und schloss das Fenster, als sich die Tür öffnete. Maike fand also doch noch heim.

»Das ist die Kabine«, hörte ich jemanden sagen, und das Licht ging an.

Die Hotelchefin Heike Hurter trat ein mit einem dunkelblonden Mann in grauem Rollkragenpullover und olivgrünem Leinenjackett, einen guten Kopf größer als sie. Ich sprang ins Bett und zog das Plumeau hoch bis zum Hals. Auf mir breiteten sich hektische Flecken wie ein Gewitter aus. Dieses Eindringen in mein kleines Reich der nackten Privatheit fand ich frech. »Ich muss doch sehr bitten. Verlassen Sie sofort meine Kabine.«

Der Mann lief um mein Bett herum und betrachtete mich ausführlich. Er roch nach Zigaretten, war schlecht rasiert, mit rötlichblonden Bartstoppeln und dunklen Ringen unter den Augen. »Und Sie sind …?«, fragte er.

»Linda Weißenberg, rechtmäßige Bewohnerin dieser Kabine.«

»Mein Name ist Golt. Raimund Golt.« Er hielt mir einen bläulichen Ausweis vor die Augen. »KRIMINALPOLIZEI Nordrhein-Westfalen, Polizeidienstausweis«, sein Foto mit Namen und das NRW-Wappen.

»Wie standen Sie zu Herrn Behorn?«, wollte er wissen.

»Wie Sie sehen, stehe ich gar nicht. Ich liege. Und jetzt raus aus meiner Kabine.«

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

»Gestern Abend, wir haben zusammen …«, ich zog das Bettzeug hoch bis zu meiner Nasenspitze. »Das geht Sie gar nichts an.« Meine ungeliebten roten Flecken verteilten sich wie ein Lauffeuer auf meinem ganzen Körper.

Der Mann zog ein kleines Aufnahmegerät aus seiner Jackentasche und legte es aufs Laken. Ich sollte deutlich Namen, Adresse sowie Telefon- und Kabinennummer nennen, es würde bereits aufgenommen, darauf wies er hin. Bevor ich etwas sagte, wollte ich mich eigentlich anziehen, aber Herr Golt wiegelte ab, das könne warten. Wo ich in der letzten Nacht zwischen 20 und 22 Uhr gewesen sei, wollte er wissen.

»Wird das jetzt ein Krimidinner, nachdem wir gestern einen Elvis-Abend hatten?«, fragte ich. Ich konnte die Situation nicht einordnen, wusste nicht, ob sie ernst zu nehmen war oder ein Spiel. Vielleicht schlief ich noch und träumte nur.

»Herr Gunnar Behorn ist tot.«

»Das kann nicht sein, ich habe ihn gerade noch … ich meine, er hat mich … das muss ein Irrtum sein.«

»Wann genau haben Sie ihn gestern Abend das letzte Mal gesehen?«

»Um 19 Uhr. Haben Sie denn schon in seiner Kabine nachgesehen? Vielleicht ist er an seinem Geheimplatz eingeschlafen, auf diesem kleinen Hinterdeck, ganz unten im Schiff. Dort hält er sich gerne auf, wie er mir sagte. Haben Sie dort nach ihm gesucht?«

Der Kommissar atmete tief durch. »Frau Hurter, in welcher Kabine befinden wir uns denn nun?«

Sie zeigte ihm einen Computerausdruck, und er las vor: »Kabine 301, Gunnar Behorn. Nummer 303, Eleonore Flichs, Nummer 305, Herr und Frau Weißenberg durchgestrichen, jetzt Linda Weißenberg und Maike Freisin. Dies ist Kabine 301.« Golt sah zu mir.

Jetzt fiel es mir ein. Ich war gestern Abend zu Gunnar auf die Kabine gegangen. Wir tranken Schampus, er küsste mich auf eine Art und Weise, die alle Uhren dieser Welt innehalten ließ. Danach Filmriss. Ich lag jetzt also nicht in meinem, sondern in seinem Bett. Und er war tot! Mir wurde schlecht. Tränen liefen über mein Gesicht, ich begann zu zittern. Der Kommissar bat Frau Hurter, den Raum zu verlassen, und wollte von mir wissen, was nach dem Champagner geschehen war.

Mir wurde heiß und kalt, denn ich wusste es nicht mehr.

»Denken Sie genau nach. Sie stehen jetzt ein wenig unter Schock, das legt sich gleich. Wie ging es weiter gestern Abend?«

Das hätte ich auch gerne gewusst. Aber meine Erinnerung endete an diesem Punkt.

»Frau Weißenberg, warum ist Herr Adrian Weißenberg nicht wie geplant an Bord?«

»Wegen seiner Kassenanlage, die ist abgestürzt. Er wollte seine Apotheken nicht alleine lassen. Dolores auch nicht. Die ist seit Samstag Floris Schwiegermutter.« Es brachen alle Dämme in mir, ich schluchzte laut. Golt zog die Augenbrauen hoch.

»Bevor Sie mir das alles der Reihe nach erklären, besorge ich uns einen Kaffee, und Sie beruhigen sich derweil.«

Er öffnete die Kabinentür und gab bei einem dort wartenden Beamten zwei Kaffee in Auftrag. Zurück kam er mit einem Herrn Köttenthal in weißem Ganzkörperoverall von der Kripo Köln, der mir Blut und Fingerabdrücke abnehmen sollte. Ich ließ ihn gewähren, biss die Zähne zusammen, als er mit seiner Nadel in meine Armbeuge stach, und drückte meine Finger auf ein kleines elektronisches Gerät.

»So, Frau Weißenberg, der Kaffee ist da, der Kollege ist fertig, jetzt erzählen Sie mir, wie Sie in dieses Bett hier kamen.«

Ich setzte noch einmal ganz von vorne an. Wie ich Gunnar kennenlernte, er sich mit mir verabredete, ich mit in seine Kabine ging bis zu diesem sagenhaften Kuss, und dann war Schluss. Ich musste eingeschlafen sein. Unvorstellbar, wenn man bedachte, wie Herr Behorn seine Zunge führte.

»Was ist ihm denn passiert? Ist er vom Schiff gefallen?«, fragte ich.

»Wie kommen Sie darauf?«

Meine Brust zog sich zusammen. »Gestern wirkte er noch so lebendig, ich meine, so gesund.« Ich redete mich um Kopf und Kragen. Außerdem lag noch immer dieses Aufnahmegerät neben mir auf dem Bett. Ich wartete dringend darauf, dass der Wecker klingelte und es wieder vorige Woche Freitag war. Von mir aus auch gestern Abend vor 19 Uhr. Herr Golt verschränkte die Arme.

»Irgendetwas muss Sie auf diese Idee gebracht haben.«

»Nein, nichts. Ich meine nur, wie sollte man hier sonst so plötzlich sterben, wenn man nicht gerade ins kalte Wasser fällt. Der Rhein ist gefährlich, das weiß man ja.«

»Tödlich bisweilen«, fügte er in einem Ton hinzu, der nicht frei von Spott schien. Sein Blick fiel auf den Boden, wo meine Hose lag. Daneben ein Zettel, den ich sofort wiedererkannte. Es war Behorns Wegbeschreibung zum kleinen Hinterdeck.

»Der ist von mir, beziehungsweise von Herrn Behorn, den hatte ich ganz vergessen.«

»Sie vergessen eine ganze Menge, dafür sind Sie eigentlich zu jung.«

»Jung ist relativ.«

Er las, was auf dem kleinen Stück Papier stand. »Waren Sie unten an dem beschriebenen Treffpunkt?«

»Nein, er kam mir auf dem Weg dorthin entgegen.«

Golt stand auf und holte einen Bademantel, der noch zusammengefaltet in einem der Regalfächer lag.

»Wie wäre es, wenn Sie den anziehen und wir gemeinsam in Ihre Kabine gehen, also die mit der Nummer 305?«

Ich nickte stumm. Er wollte vor der Tür auf mich warten. Meine Hände zitterten, als ich den Bademantel anzog und den Frotteegürtel zuknotete. Mein Körper mochte jetzt bedeckt sein, aber meine Seele blieb auf eine eigentümliche Weise nackt.

Ich folgte ihm auf den Gang.

»War es denn kein Unfall?«, fragte ich leise.

»Das müssen wir noch herausfinden«, antwortete er ebenso leise.

Barfuß lief ich über den Teppich mit den blauen Fischen bis zu meiner Tür, meine Anziehsachen hatte ich in der Aufregung liegen lassen. Mir liefen noch immer die Tränen über die Wangen. Wie sollte ich Maike die schlimme Nachricht beibringen, an Enni wagte ich gar nicht zu denken. Ihr Traummann war tot. Ich öffnete die Tür, aber die Kabine war leer. Vielleicht hing Maike noch an der Bar. Und mit einem Mal hoffte ich, dass sie dort war oder irgendwo auf diesem Schiff und nicht auf dem Grund des Rheins. Ich drehte um, lief den Gang zurück in Richtung Bar, mein Herz raste, als Golt mich einholte und festhielt. »Wo wollen Sie hin?«

»Maike, ich muss wissen, ob sie lebt.«

Er sah mich an, nickte kurz und lief mit mir zusammen an die Bar. Dort saugte nur jemand die Sitzpolster der Sessel ab. Von Maike keine Spur. War sie etwa dort unten mit Behorn gewesen? Ihr hatte er auch so gut gefallen. Nicht auszudenken, wenn ihr etwas zugestoßen war, wo sie nur für Adi einspringen wollte. Das würde ich mir mein Leben lang nicht verzeihen. Krappmann kam mit zerzausten Haaren und übernächtigtem Gesicht. Er verstand sofort, ließ Maike über den Bordlautsprecher ausrufen. Wir eilten zur Rezeption, dort sollte sie hinkommen, wenn sie dies hörte. Es dauerte keine zwei Minuten, und Maike erschien. Müde rieb sie sich die Augen. Ich rannte ihr entgegen, umarmte sie stürmisch, rief erleichtert: »Du lebst!«, und küsste sie mehrmals quer über das Gesicht.

»Warum denn nicht?«

»Behorn ist tot. Er starb letzte Nacht«, erklärte ich ihr.

»Was?« Sie reagierte verstört. »Das kann nicht sein. Er war doch gerade noch pupsgesund. Der schläft vielleicht nur woanders hier an Bord.«

»Habe ich auch erst gedacht, aber der Kommissar«, ich zeigte auf Herrn Golt, »ist hier, um den Fall zu untersuchen.«

Ich wischte mir die Tränen von den Wangen, während Maike nach meinem Arm griff und sich an mir festhielt.

Golt sah auf seine ausgedruckte Passagierliste. »Frau Maike Freisin, wo verbrachten Sie die letzte Nacht?«

»Erst an der Bar, dann bei Enni, also Frau Flichs, auf ihrer Kabine, dort bin ich eingedöst und irgendwie hängengeblieben. Durch die Borddurchsage bin ich aufgewacht.«

»Wollen Sie mich mal zu Frau Flichs führen?« Maike nickte, und wir bewegten uns alle wieder zurück in Richtung Kabinen.

»Frau Freisin alleine genügt mir«, fand Golt. Wir blieben zurück. Krappmann nahm mich in den Arm. »Schreckliche Geschichte«, meinte er, »so was ist mir während meiner ganzen Dienstzeit noch nicht passiert.«

Es tat gut, von ihm gehalten zu werden, und ich hoffte, dass er nicht erfuhr, in wessen Bett man mich gefunden hatte. Wir setzten uns auf ein kleines Sofa mit Blick auf Hafenmauer und graue Brücke, die sich jetzt, nur spärlich angeleuchtet, in ihrer Silhouette zeigte. Es war noch immer dunkel. Wir befanden uns tatsächlich wieder dort, wo wir gestern aufgebrochen waren. Ich im Bademantel, er zwar bekleidet, aber zerzaust. Noch zeigte sich kein Gast in der Lounge. Krappmann war über die Vorgänge bereits informiert. Offenbar hatte der Matrose eines passierenden Frachtschiffes zufällig gesehen, wie jemand auf der »River Diamond« über Bord ging, und sofort ein Rettungsmanöver eingeleitet. Man fischte Behorn aus dem Wasser, was nachts auf dem Rhein schon eine Meisterleistung war und nur mit viel Erfahrung gelang. Etwa eine Viertelstunde später verstarb er jedoch an Bord des Frachters. Sofort funkte man die Wasserschutzpolizei und den wachhabenden Offizier der »River Diamond« an, der wiederum riss Kapitän Krappmann aus dem Schlaf. Man nahm den Leichnam an Bord und kehrte auf Anweisung der Wasserschutzpolizei zurück in den Köln-Deutzer Hafen, wo die Kriminalpolizei in Person von Raimund Golt bereits wartete. Denn der rettende Matrose hatte den Verdacht geäußert, dass Behorn unter Umständen nicht allein gewesen, vielleicht sogar ins Wasser gestoßen worden war.

Der Rückweg nach Köln verlief mit der Strömung, also war das Schiff sehr viel schneller als auf der Hinfahrt, wo man »zu Berg fuhr«, wie er es nannte. Man wollte den Passagieren die Möglichkeit geben, im Ausgangshafen von Bord zu gehen. Aber es war in jedem Fall die Kölner Polizei zuständig, weil die Reederei dort ihren Hauptsitz hatte.

»Ich komme eigentlich aus der Hochseeschifffahrt und dachte, so ein Vergnügungsdampfer auf dem Rhein, mit dem Ufer immer in Sichtweite, das wäre eine ruhige Angelegenheit.«

»Warum ermittelt die Polizei?«, wollte ich wissen.

»Die müssen herausfinden, ob es sich um Fremdeinwirkung, Unfall oder Freitod handelt.«

Mir sank das Blut in die Zehen. Sollte sich Gunnar Behorn das Leben genommen haben, nachdem er mich geküsst hatte?

Krappmann sah mich seufzend an. »Was geht Ihnen durch den Kopf?«

»Wie ich wohl küsse.«

Er sah mich an, als hätte ich etwas Kesses gesagt.

»Das ist jetzt schwer zu verstehen«, versuchte ich zu erklären, als er mir ganz langsam die Kaffeetasse abnahm, sie abstellte und näher rückte. Eine kitzelnde Gänsehaut breitete sich an verschiedenen Stellen ober- und unterhalb der Gürtellinie aus, als jemand rief: »Guten Morgen, du zickiger Zackenbarsch.«

Es war der Herr mit der Bartperle, der in einem ölverschmierten Overall quer durch die Lounge auf uns zulief. Krappmann rückte von mir ab, und ich spürte die plötzliche Rückkehr der Erdanziehung.

»Es ist gleich 6 Uhr. Ich kann sowieso nicht mehr schlafen und will in den Maschinenraum. Es sei denn, ich würde hier oben noch gebraucht. Außerdem wollte ich mit dir noch besprechen, wie ich mit der Maschine jetzt verfahren soll.«

Ich stand auf, um mich zu sammeln, denn meine Hirnzellen und einiges andere mehr in mir taumelten. Tief durchatmend verabschiedete ich mich von den beiden und lief in Gunnars weißem Bordbademantel, noch immer barfuß, über die blauen Fische des Teppichbodens, die mich gestern noch angesprungen hatten, zurück zu meiner Kabine. Vor der Tür stand ein Mann in Uniform. Er könne mich nicht hereinlassen, hätte Kommissar Golt so angeordnet. Der kam kurz darauf aus Ennis Kabine und bat mich um ein wenig Geduld, er müsse Maike erst vernehmen, dann dürfe ich herein.

Diesen polizeilichen Aufwand veranstaltete man sicher nicht, wenn man von einem Unfall ausging. Aber ein Freitod? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Schon gar nicht meinetwegen. Niemand brachte sich meinetwegen um.

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
274 s. 7 illüstrasyon
ISBN:
9783839267929
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Telif hakkı:
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Metin
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