Kitabı oku: «Stille Nacht», sayfa 5

Yazı tipi:

Ich scheiße auf Corona und nehme ihn in den Arm. »Er hat gesehen, dass diese Schweine seinen Freund Tim haben. Deshalb ist er hinterher. Ihr Sohn würde einen Freund niemals im Stich lassen«, flüstere ich ihm zu.

»Wir wissen nicht genau, was dort im Tunnel passiert ist. Die Kollegen sind dabei, die Bilder der Überwachungskameras auszuwerten. Lassen Sie uns reingehen, dann bekommen wir das auf den großen Bildschirm«, unterbricht Homburg und deutet auf die Glastür.

Severins Vater zuckt mit den Schultern. Sein Körper bewegt sich aus der Hüfte leicht nach vorne. Seine Beine bleiben stehen. Der Kopf schnellt dann abrupt zurück. Homburg und ich schauen uns an. Es braucht keine weitere Verständigung zwischen uns. Er schlüpft eilig durch die Tür und lässt uns einen Moment.

Ich löse meine Umarmung und schüttle Severins Vater an beiden Schultern. »Wir müssen in Erfahrung bringen, was passiert ist. Nur so können wir Severin helfen. Sie müssen diese Schweine kriegen, Herr Oberstaatsanwalt!«

Er schaut mich mit großen, angstvoll aufgerissenen Augen an. Severin müsste ihn so sehen. Dann würde er vielleicht das harte Urteil über seinen Alten überdenken. Er hat immer nur den kantigen, rechthaberischen Juristen und das überlebensgroße Familienoberhaupt gesehen. Ich sehe einen Menschen, der in diesem Moment einfach nur unsagbare Angst verspürt. Aber ich bin gleichzeitig sicher, er wird sich, wie sein Sohn, berappeln und schließlich in den Angriffsmodus wechseln. So sind die Klemms einfach. Wie der Sohn, so der Vater.

Und tatsächlich: Es dauert ein paar tiefe Atemzüge, dann gewinnt der Oberstaatsanwalt die Oberhand.

»Danke. Lydia. Du hast recht: Wir müssen die Schweine kriegen.« Mit diesen Worten bahnt er sich den Weg an mir vorbei zur Tür und kehrt zurück in seine andere Welt.

Ich folge ihm in das Büro von Max, das jetzt eher aussieht wie bei einer PC-Schulung, und bin dankbar, dass mir Kriminalhauptkommissar Homburg mit einer Handbewegung einen Stuhl anbietet. Die Bilder, die wir gleich zu sehen bekommen, sind im Sitzen wahrscheinlich besser zu ertragen.

Drei Beamte sind noch damit beschäftigt, die Technik aufzubauen und alles zu verkabeln. Homburg nutzt die Zeit. Sicher auch, weil er weiß, dass keiner hier Lust darauf hat, auf einen schwarzen Bildschirm zu starren und sich im Kopf seine eigenen Bilder zu machen.

Wieder wird die Tür einen Spalt weit aufgerissen und ein Kopf erscheint. Es ist dieser Merbolt. Er strahlt dienstbeflissen. »Herr Homburg. Hier ist eine Frau Lacker. Kommissarin Lacker vom K14. Sie sagt, Herr Klemm habe sie hergebeten. Weil sie die Eintracht-Verantwortlichen von einem anderen Fall her gut kennt.«

Severins Vater sieht auf. Er wirkt immer noch etwas aus der Spur gebracht. Winkt dem Beamten zu. »Ja, ja, Frau Lacker. Soll reinkommen. Jetzt erst recht.«

Dabei bemerkt er sehr wohl den fragenden Blick von Homburg als auch meine veränderte Körperhaltung.

»Ich habe sie im Polizeipräsidium getroffen, als der Anruf kam, und ihr gesagt, es ginge um die Eintracht. Da hat sie gefragt, ob sie die langweilige Nacht vor Heiligabend nicht mit ein bisschen Action aufpeppen könnte. Ich wusste nicht, dass Severin damit etwas zu tun hat«, versucht er ihren Auftritt zu erklären. Es sieht fast so aus, als täte ihm seine Entscheidung leid.

Währenddessen rattert es in meinem Kopf: Das Verhältnis von Severin zu Jules war im Hause Klemm offenbar bestens bekannt und … ich will gar nicht weiterdenken. Dass zwischen ihr und Severin mehr war als das übliche Techtelmechtel eines spätpubertierenden Ex-Hooligans mit seinem ärgsten Feind, wusste ich. Da konnte Severin erzählen, was er wollte. Und diese Sprachnachricht, nachdem er die Beziehung angeblich beendet hatte, hat ja Bände gesprochen. Auch wenn das bei Sprachnachrichten durchaus Sinn der Sache ist, hätte ich vielleicht ein bisschen länger darüber nachdenken sollen. Statt mich bedröppelt in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Es ist Sev nicht leichtgefallen, die Beziehung zu beenden. Weil sie ihn wirklich liebt und er viel zu spät bemerkt hat, dass seine Gefühle nicht reichen. Aber er hat es getan. Für mich?

Jetzt steht Jules in der Tür und ich muss mich wirklich bemühen, ihr die Tiefschläge, die sie in den nächsten 30 Sekunden wird einstecken müssen, nicht zu gönnen.

Lydia Heller. Sei keine eifersüchtige Hexe, schreit mein Kopf. Mein Bauch schweigt.

»Okay«, sagt Kriminalkommissar Homburg: »Zur Sache. Gegen 19 Uhr hat Lydia Heller«, dabei deutet er auf mich, und Jules hebt kurz ihren linken Arm, weil sie jetzt erst wahrgenommen hat, dass ich auch im Raum bin, »einen Anruf von Severin Klemm erhalten, in dem er mitgeteilt hat, dass es hier in der Geschäftsstelle von Eintracht Frankfurt einen Überfall gegeben hat.«

Homburg zögert. »Und weiter«, fordert ihn Severins Vater zum Weitersprechen auf. Ich schaue zu Jules, die an ihrer Maske herumnestelt. Ihr Gesicht ist aschfahl.

»Frau Heller hat uns dankenswerterweise sofort angerufen. Aber leider wurde ihr Anruf erst mit Verzögerung an mich durchgestellt. Ich habe, da ich Frau Hellers Aussage als sehr glaubhaft eingeordnet habe, die Bilder der Überwachungskameras angesehen, und tatsächlich ein paar Merkwürdigkeiten registriert.«

»Merkwürdigkeiten?« Jules Stimme klingt anders, als ich sie in Erinnerung habe. Unsicher. Zittrig. So ganz und gar nicht nach einer taffen Polizistin.

»Ja. Vor der Einfahrt von der Seite Hauptbahnhof aus war eine Baustellensperrung aufgestellt. Also Barken und Warnsignale. Aber es gibt natürlich einen Tag vor Weihnachten keine Baustelle im Tunnel. Und im Inneren konnte ich einen offenbar beschädigten roten Wagen und einen brennenden Van erkennen. Wir haben daraufhin sofort ein paar Streifen dort hingeschickt.«

»Mit welchem Ergebnis?« Dem Tonfall zu urteilen, hat sich Klemm offenkundig wieder im Griff.

»Der Van ist scheinbar durch eine Autobombe in die Luft gejagt worden. Aber: Alle Insassen müssen vorher rausgelassen worden sein. Jedenfalls haben wir nichts gefunden. Keine Leichenteile und auch keine Verletzten. Niemanden.«

»Und was ist mit Severin?« Warum ich das Selbstbewusstsein habe, hier als Gast diese Frage zu stellen, weiß ich nicht. Jules nickt leicht. Severins Vater hustet, bringt dann ein ruppiges »Ja. Weiter. Los! Homburg. Spannen Sie uns nicht auf die Folter!« heraus.

»So wie es aussieht, gab es ein Handgemenge. Wir haben Blut gefunden. Aber die Menge spricht nicht für eine gefährliche Verletzung. Eher wie das Ergebnis einer typischen Schlägerei. Sagt die Spusi. Unter Vorbehalt natürlich. Genaueres frühestens morgen Vormittag, wenn die Spurenlage eindeutig ist.«

»Aber da unten gibt es doch Kameras?«, Severins Vater ist offenkundig mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Ich bin fast sicher: Da fehlt nicht viel und er würde Homburg ans Schlawittchen gehen.

Doch der behält die Contenance: »Die gibt es, Herr Oberstaatsanwalt. Natürlich. Aber die wurden manipuliert. Wir haben keine Bilder von den Vorgängen im Tunnel zwischen 19.20 und 19.40 Uhr. Warum die Täter die Störung dann wieder rausgenommen haben … keine Ahnung. Aber das war kein Zufall. Sie wussten, was sie tun. Nur so viel scheint klar: Mit zwei der drei Vans, mit denen sie im Stadion waren, sind sie offenbar weitergefahren. Die versuchen uns an der Nase herumzuführen.«

Es klopft. Kommissar-Anwärter Hans Merbolt steckt den Kopf herein. »Sorry, wenn ich störe, aber wir haben sie!«

Homburg schnellt herum. »Wen haben wir?«

»Die Kollegen haben die Kameras in der Umgebung des Tunnels kontrolliert und die Täter erwischt. Sie haben wohl gedacht, sie können uns veräppeln. Aber nicht mit uns, aber sowas von nicht mit uns!«

»Merbolt«, raunzt Homburg seinen jungen Kollegen an.

»Ja, sorry. Wir haben sie natürlich irgendwo im Osten der Stadt vermutet. In der Hanauer oder sogar Richtung Fechenheim. Aber nein. Sie sind einfach dreimal um die Ecke gefahren und stehen jetzt vor dem Commerzbank Tower am Kaiserplatz. Schau’n Sie selbst. Wir spielen Ihnen die Live-Bilder auf den Monitor.«

»Super. Merbolt. Danke. Gute Arbeit. Sagen Sie das bitte auch den Kollegen.« Merbolts Schulterbereich wird ein paar Zentimeter breiter und der ganze Kerl ein Stück größer. Jedenfalls kommt es mir so vor.

Der Bildschirm flackert kurz auf. Dann sehen wir zwei Vans vor dem Bankenturm, der gut 200 Meter in den Nachthimmel ragt. Immerhin das viertgrößte Hochhaus Deutschlands, wie ich von Severin weiß, der im vergangenen Jahr mächtig von der Pressekonferenz des FFC dort geschwärmt hat. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, da oben aufs Klo zu gehen. Als Kerl. Nicht in einer Kabine, sondern mit freiem Blick von oben hinunter auf die City. Du hast das Gefühl, du strullerst auf den Hauptbahnhof«, hat er gefeixt. »Was passiert da?«, frage ich vorsichtig.

»Die Kollegen sind seit genau 4 ⁄₂ Minuten vor Ort und beobachten den Platz. Es tut sich nichts.« Homburg räuspert sich kurz und fragt dann nach der aktuellen Lage. Das Krächzen des Funkgeräts macht die Szene gespenstig. »Keine Aktion an den Fahrzeugen. Over«, hören wir eine unbekannte Stimme. »Sollen wir vorrücken?«

Vorrücken? Nachdem die Schweine bereits ein Auto in die Luft gesprengt haben? Ich weigere mich, mir auszumalen, dass Severin, Tim und die anderen Geiseln in den Fahrzeugen sitzen und beim Vorrücken der Polizei eine Sprengladung gezündet wird. »Bitte nicht«, flüstere ich flehend und schaue dabei Severins Vater an. Er wird das nicht zulassen, oder?

»Können wir denn nicht erst mal definitiv feststellen, ob in den Fahrzeugen Menschen sind? Zum Beispiel mit einer Wärmebildkamera?« Er will offenbar ebenfalls kein Risiko eingehen. Ich blicke zu Homburg. Versuche, aus den Augen des Einsatzleiters zu lesen, auf welcher Seite er steht. Da mischt sich Jules ein. »Das würde viel zu lange dauern, bis die Kollegen das Gerät vor Ort hätten«, sagt sie mit erstaunlich fester Stimme. War klar. Polizistin durch und durch. Selbst die Tatsache, dass ihr Exfreund vielleicht unter den Geiseln ist, kann sie nicht schocken.

Ich flehe den Himmel an, dass wenigstens Hauptkommissar Homburg ein Einsehen hat, und vergesse fast, dass meine Stimme hier überhaupt nicht zählt und selbst Jules Meinung kaum Gewicht haben dürfte. Aber: Homburg weiß genau, dass seine Entscheidung mit ziemlicher Sicherheit das Leben des Sohnes des Oberstaatsanwalts gefährden könnte. Auf seiner Stirn haben sich Schweißtropfen gebildet. Er schluckt und wischt sie mit dem Ärmel weg. Dann richtet er sich auf. »Versetzen wir uns doch mal in die Täter. Wenn sie ihre Opfer umbringen wollten, hätten sie das im Theatertunnel getan. Ohne, dass wir hätten zuschauen können. In dem explodierten Wagen war auch niemand, das war nur Show. Nein, nein, nein. Da sitzt niemand drin. Das sind keine Terroristen. Das sind Entführer. Die gewinnen mit dem ganzen Zauber hier nur Zeit, um an einen für sie sicheren Ort zu gelangen. Die wollen uns ablenken. Und genau das müssen wir verhindern.«

Das nachfolgende Schweigen liegt bleischwer auf uns allen. Jules nickt stumm. Severins Vater schüttelt fast unmerklich den Kopf. Nur ich bin noch nicht überzeugt. »Und wenn sie doch in den Fahrzeugen sitzen und die Täter nur darauf warten, dass Ihre Männer sich nähern?«

»Ja. Was dann, Lydia? Dann können die Kollegen natürlich abwarten und wir hocken am Zweiten Weihnachtsfeiertag noch hier.« Jules Stimme klingt plötzlich aggressiv. Will sie mir und der ganzen Welt beweisen, dass sie sich nicht durch persönliche Gefühle in ihren Entscheidungen beeinflussen lässt. Ausgerechnet jetzt?

Ich blicke wieder zu Homburg. Sehe, in welch furchtbarem Dilemma er steckt. Sehe auch, wie sich die Ader an seiner rechten Schläfe immer weiter herauspresst. Und wie er zum Funkgerät greift. »Vorrücken!«, lautet sein knapper Befehl. Dann schaut er mich fast entschuldigend an und hebt die Hand in Richtung des großen Bildschirms. Als wolle er sagen: ›Seht, was ich getan habe.‹

»Vorrücken. Verstanden!«, antwortet die Stimme und im gleichen Moment zerschneidet gleißendes Licht die Szene. Für einen Moment ist auf dem Bildschirm gar nichts zu sehen. Dann zucken einzelne Blitze und lassen den Karlsplatz taghell erscheinen. Durch das Funkgerät hören wir drei, vier gewaltige Explosionen. »Mein Gott. Sie haben alles in die Luft gesprengt, KHK Homburg. Noch bevor wir vorgerückt sind, haben sie gesprengt«, schreit die Stimme. Laufgeräusche, ohrenbetäubendes Knallen, Schreie. Dann ein gurgelnder Laut und die verzweifelte Frage: »Sehen Sie das?« Dann schwenkt die Kamera von den brennenden Fahrzeugen und einigen Polizisten, die sich von Trümmerteilen getroffen schreiend am Boden wälzen, weg nach oben. Zur Spitze des Bankenturms. Mein Atem stockt. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Halte mir den Mund zu, um nicht loszuschreien. Die Spitze des Towers brennt lichterloh. Immer wieder erhellen kleinere Explosionen den Abendhimmel. Eine mächtige Glasscheibe schliddert die Fassade entlang nach unten wie ein Steinchen, das man übers Wasser springen lässt. Brennende Metallteile knallen krachend auf die Erde.

Kapitel 8

23. Dezember 2020, 20.31 Uhr

Severin

Ich blinzle, während ich erkenne, wo wir uns befinden. Im Fernmeldeturm. Meine Knie geben nach, aber ich kämpfe dagegen an, die Schwäche zuzulassen.

»Ich will, dass du zusiehst, wie ich beginne«, sagt Assad und scheucht seinen vermummten Gehilfen weg, während er mich weiter nach vorne an das Glas drängt. Meine Kehle verkrampft sich. Ein lautes Knacken lässt mich zucken. Ein Lautsprecher. Dann ertönt die Stimme eines Kindes.

»Stille Nacht, heilige Nacht …«, singt es. Und auf einmal sehe ich vor mir eine Explosion und Feuer. Ich reiße die Augen auf. Gehe näher an die Scheibe, als könne ich es so verhindern, aber ich sehe machtlos dabei zu, wie die Spitze des Commerzbank Towers brennt. Ich sinke auf die Knie. Durch die Lautsprecher hallt immer noch diese unendlich zarte Kinderstimme.

»Stille Nacht, heilige Nacht!

Alles schläft, einsam wacht

nur das traute, hochheilige Paar.

Holder Knabe im lockigen Haar,

schlaf in himmlischer Ruh,

schlaf in himmlischer Ruh.«

»Bring ihn weg!«, sagt Assad und ein weiterer Vermummter tritt hervor und packt mich grob am Arm.

»Waren da Menschen drin?«, schreie ich ihn an und versuche, gegen seinen Griff anzukommen.

Assad sieht mich nachdenklich an. »Es stört dich also, wenn hier in deiner Heimat Bomben hochgehen«, stellt er eher fest, als dass es eine Frage ist.

»Natürlich!«, knurre ich und balle meine Hände zu Fäusten.

»Es interessiert aber keinen von euch, dass so etwas in meinem Land tagtäglich passiert. Dass Schulen und Kindergärten hochgejagt werden. Kinder brennen.« Nun ist seine Stimme nicht mehr gleichgültig. Zorn flackert in seinen Augen auf.

»Bring ihn jetzt weg. Ich brauche ihn gleich wieder.«

Der Vermummte zerrt mich durch den runden, gläsernen Raum, bis er eine Tür öffnet. Im Raum erkenne ich die anderen Geiseln. Unter ihnen auch Gustav und Hel. Gott sei Dank. Sie leben. Ganz im Gegenteil zu … Tim. Doch dann sehe ich auch ihn. Ich öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, aber meine Beine geben nach und ich sinke in mich zusammen. Der Griff des Mannes wird stärker und hält mich aufrecht. Und dann sieht auch Tim mich an.

»Was machst du hier?«, fragt er entgeistert und steht auf.

»Ey! Du bleibst sitzen!«, brüllt meine Begleitung ihn an. Er hat keinen Akzent.

»Und du!«, spricht er dann mich an und schubst mich in den Raum. »Bleib sitzen, bis ich dich hole.« Mit diesen Worten schließt er die Tür.

Ich stürme auf Tim zu und umarme ihn. Drücke ihn so fest, dass er quietscht. Aber mir ist es egal. Ich dachte, ich hätte ihn verloren. Ich dachte, er wäre tot. Jetzt ist kein Platz für den unterkühlten Severin, der ihm einen Spruch drückt.

»Du bist mein bester Freund«, sage ich, was ich mir so sehr gewünscht habe, noch sagen zu können.

»Okay, aber deshalb musst du mich nicht zerquetschen«, lacht Tim. »Ich liebe dich auch.«

»Du musst es nicht übertreiben, Mobby Dick«, sage ich mit einem Zwinkern und wende mich dann Gustav und Hel zu. Auch sie hätten tot sein können. Erleichterung durchströmt mich. »Geht es euch gut?«

Hel nickt nur geistesabwesend und Gustav verzieht den blutenden Mund.

Ich sehe zu den anderen Geiseln. Neben dem Präsi erkenne ich nur den Mannschaftsarzt. Die zwei Frauen und drei Männer, die noch dabei sind, kenne ich nicht.

»Schläft der etwa?«, frage ich mit erhobenen Brauen, als ich Eric beobachte.

»Die haben ihm was gespritzt, weil er nicht aufhören wollte, sie in irgendwelche Gespräche zu verwickeln«, erklärt Tim. »Was ist hier los, Severin?«

Ich erzähle ihm, was passiert ist. Zumindest das, was ich mitbekommen habe, lasse aber meinen Schmerz über seinen vermeintlichen Tod weg.

»Wir sind im Fernmeldeturm?«, hakt er viel zu laut nach.

»Psst«, mache ich, um die anderen hier nicht zu verunsichern.

»Die haben die Spitze des Commerzbank Towers abgefackelt. Ich glaube, die meinen es echt ernst.«

»Wirklich, Sev?« Tim schaut mich ungläubig an. »Dafür brauchst du ein brennendes Hochhaus? Wir sind ihre Geiseln.«

»Ja ja«, murmele ich genervt und sehe mich um. Aber wonach eigentlich? Soll ich etwa durch einen Lüftungsschacht abhauen und Hilfe holen? In 200 Metern Höhe? Ganz bestimmt.

Ich verziehe den Mund und lasse meinen Blick weiter kreisen. Wieder entdecke ich diese Metallkisten. Was haben die hier hochgeschafft? Oder sind das Überbleibsel von früher? Und was wollen die mit diesen Drogen hier oben?

»Was passiert da draußen?«, fragt die Frau, die ich nicht kenne, und setzt sich zu uns.

»Lisa«, stellt sie sich vor.

»Ich bin Severin«, entgegne ich und mustere ihre blutgetränkte blonde Strähne.

»Was wollen die von uns?« Ihre Stimme bebt.

»Das werden wir noch früh genug erfahren«, mischt sich der Mann ein, der neben Lisa gesessen hat.

»Aber wir kommen doch hier raus, oder?«, fragt Lisa, als könnte ich das wissen. Aber welcher Entführer verschanzt sich in einem 200 Meter hohen Turm, wenn er Lösegeld erpressen will und dann alle freilässt? Er würde in der Falle sitzen. Doch diese Vermutung behalte ich für mich. Denn es bedeutet, dass der Entführer entweder nur für sich oder für uns alle kein schönes Ende geplant hat. Mir wird eiskalt.

»Du bist der Kerl aus der Presse, der ständig irgendwelche Fälle für die Polizei löst, oder?«, fragt der Mann und verengt seinen Blick.

»Ja, ist er«, übernimmt Tim für mich. »Hat der Entführer irgendetwas gesagt?«, wendet er sich dann flüsternd an mich.

»Er hat nur darüber geredet, dass sich niemand für sein Schicksal interessiert hat, und offensichtlich kommt er aus einem Land, in dem Krieg herrscht.«

»Syrien?«

Ich zucke mit den Schultern. Es gibt sicher noch eine Menge andere Länder auf der Welt, in denen gerade Krieg herrscht. Viel zu viele. Mein Kopf brummt.

»Was ist in der Geschäftsstelle passiert?«, richte ich mich an Tim.

»Ich wollte mir gerade etwas zu essen holen, als ich ein paar Gestalten gesehen habe, die auf uns zukamen. Dann ist auch schon eine Rauchbombe oder sowas explodiert, und ich konnte kaum noch was sehen. Nur hören.« Sein Blick wandert zu Eric, und obwohl der schläft, senkt er seine Stimme. »Und die haben seinen Hund getötet. Einfach so.« Er schluckt und verzieht das Gesicht. »Dann haben sie uns gepackt, uns Säcke über den Kopf gestülpt und uns in die Vans gesteckt.«

»Und dann?«, hake ich nach. »Was ist im Tunnel passiert?«

»Sie haben uns rausgeholt und durch irgendeine Tür da herausgeführt.«

Ich verziehe den Mund. Und bevor ich noch etwas sagen kann, geht die Tür wieder auf.

»Es ist so weit!«, sagt Assad und deutet auf mich. »Komm!«

Ich atme tief durch und stelle mich seinem siegessicheren Blick, als er mich vor dieser Kiste stehen sieht. Hat er mitbekommen, dass ich in einem dieser Blechdinger seine Drogen gefunden habe? Weiß er etwa von meiner Sucht? Will er, dass ich die Kontrolle verliere? Nein, das ist unmöglich. Ich bin zufällig hier.

»Du, du und du, ihr kommt auch mit!«, befiehlt er Lisa, dem Mannschaftsarzt und Tim. Meine Lider zucken. Was will er von ihnen?

Wir folgen ihm hinaus, zusammen mit vier bewaffneten Typen, fahren eine Etage nach oben und kommen in einem leeren Raum ohne Fenster an, in dem eine Kamera und einige Laptops aufgebaut sind. Ansonsten gibt es hier nichts. Keine Transportkisten. Nur nackte Betonwände.

»Was wird das, Assad?«, spreche ich ihn direkt an. Seine Miene bleibt starr.

»Das ist mein Spiel. Und meine Regeln, Severin Klemm.«

Ich schlucke die heiße Spucke, die sich in meinem Mund sammelt, und straffe meine Haltung. Wenn er spielen will, spiele ich. Nur, dass er definitiv in der besseren Position ist. Und warum zum Teufel sagt er ständig meinen Namen? Ich erinnere mich, dass ich mich ihm damals mit meinem vollen Namen vorgestellt habe. Aber was hat er davon?

»Als ich dich vorhin in dem Tunnel gesehen habe. Gesehen habe, wie du um dein Leben kämpfst, habe ich entschieden: Du wirst mein Sprachrohr und meine Marionette sein, Severin Klemm. Und du hättest es verhindern können. Wenn du dich an mich erinnert hättest. Dann hätte ich dir die Freiheit geschenkt.«

»Auf die scheiße ich, wenn du gleichzeitig meine Freunde in deiner Gewalt hast.«

Assad nickt bedächtig. »Tapferer Severin. Aber jetzt genug. Stell dich da hin!« Er deutet auf einen Punkt vor der Kamera, der mit einem weißen Kreuz markiert ist.

Ich will mich weigern, einen Aufstand machen, aber das hat keinen Sinn. Die Waffen sind auf mich gerichtet und noch schlimmer ist, dass Tim und diese Lisa bei mir sind.

»Ihr beiden stellt euch hinter ihn!«, weist er die beiden an und schiebt dann den Mannschaftsarzt in die Mitte hinter mich. Er nimmt einen Zettel aus seiner Tasche und gibt ihn mir. Zögernd entfalte ich diesen und lese die Worte darauf. Mein Herzschlag beschleunigt sich. »Das lese ich nicht vor.«

»Doch, das wirst du.«

Assad winkt und seine Männer richten ihre Waffen wieder direkt auf mich.

»Nein!«, sage ich mit fester Stimme.

»Nein?«, fragt er und grinst bitter. Dann winkt er in Tims Richtung und die Gewehrläufe ändern ihr Ziel. Meine Kehle schnürt sich zu.

»Es war schön zu sehen, wie sehr du dich über das Überleben deines besten Freunds gefreut hast«, sagt Assad und ich begreife, dass dieser Bastard eine Kamera in dem Raum hat. Gut gespielt, Severin. Du hast ihnen Tim auf einem scheiß Tablett serviert.

»In Ordnung«, brumme ich dann resigniert. Meine Augen suchen auch diesen Raum ab. Aber hier gibt es nur die Tür hinter Assad. Und ich habe keine Ahnung, wie wir hier runterkommen würden, selbst wenn wir fliehen könnten.

»Warum machst du das?«, frage ich direkt heraus, weil mir nichts Besseres einfällt.

Assad schnauft. »Weil ich es kann.«

»Und deshalb bringst du Menschen in Gefahr? Feuer mit Feuer bekämpfen? Ist es das, was du willst? Ein Freier für einen Freien, ein Sklave für einen Sklaven? Eine Frau für eine Frau?«

Assads Blick verengt sich, als ich den Koran zitiere.

»Ich mache das hier nicht für einen Gott. Ob meiner oder deiner.«

»Für wen dann?«

»Das wirst du noch erfahren, Severin Klemm.« Er benutzt meinen Namen wie eine Waffe. Nur, um mir zu verdeutlichen, dass er mich besser kennt als ich ihn. Dass er mehr weiß. Aber vor allem, dass er sich an mich erinnert und ich mich nicht an ihn.

»Und jetzt: lies!« Er geht einen Schritt auf die Kamera zu. »Und wenn du auch nur eine einzige Silbe sagst, die nicht dort niedergeschrieben steht, stirbt dein Freund.«

Ich schlucke bittere Galle, dann drückt er den Knopf und die Kamera leuchtet rot. Ich starre in das Objektiv. Hinter Assad hebt ein vermummter Mann, der am Laptop sitzt, den Daumen. »Wir sind live.«

Live. Mein Herz rast. Ich kann kaum geradeaus denken. Angst ummantelt mich und drückt zu. Erdrückt meine Brust und lässt mich ersticken. Doch dann hole ich Luft und lese, was auf dem Zettel steht.

»Menschen sind keine Ware. Schicksale sind nicht egal. Oder?« Ich presse die Lippen aufeinander. »Ihr, die ihr euch doch so fromm an eure Gesetze haltet, brecht sie. Denn in eurer schönen Fußballwelt sind Menschen genau das. Eine Ware, die verkauft wird. Ein Mensch, der geschätzt und an den Meistbietenden verkauft wird. Wie das Vieh auf dem Markt. Wer gibt euch das Recht, aus einem Menschen einen Spieler zu machen. Nicht nur einen Fußballspieler, sondern eine Spielfigur auf eurem geldgeilen, perfiden Spielfeld.«

Ich hole zitternd Luft.

»Aber gut. Hier sind wir. In einer Welt, in der ihr die teuren Spieler hochleben lasst und die wertlosen auf den Müll werft. In der ihr sie so lange zu Objekten macht, bis sie selbst vergessen, wer sie eigentlich sind. In der sie sich umbringen, weil sie sich nicht mehr verstecken können.

Ihr habt diese Welt erschaffen. Ihr alle. Aber wollen wir doch mal sehen, liebe Eintracht, was ihr zahlen werdet, wenn es um das Leben eurer Leute geht.

Also … hiermit ist der Transfermarkt eröffnet. Ihr kennt euer Spiel nur zu gut: Eine Geisel für eine Transfersumme. Und die erste Summe, die bezahlt werden muss, um eure Geisel zu bekommen, ist die von Mark-Oliver Kempf, der gerade für Stuttgart im Pokal spielt. Sein höchster Marktwert lag bisher bei acht Millionen Euro und genau diese Summe verlange ich. Ihr werdet das Geld auf ein Offshore-Konto überweisen. Die Daten werden euch in dieser Sekunde eingeblendet. Zeit habt ihr, bis in Stuttgart zur Halbzeit gepfiffen wird. Keine Sekunde länger. Ansonsten erhöht sich der Preis. Und damit nicht nur die Summe.«

Ich starre weiter auf das Blatt Papier in meiner Hand. Auch wenn dort kein weiteres Wort mehr steht. Ich kann nicht aufsehen. Diese Summe wird niemand bezahlen. Kalter Schweiß rinnt meinen Nacken hinunter.

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