Kitabı oku: «Eine Geschichte des Krieges», sayfa 19

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Ungezügelter Rückgriff auf den Inlandskredit

In der Zwischenkriegszeit begrub der riesige Schuldenberg die Weltwirtschaft und das internationale Währungssystem unter sich und half ein Klima schaffen, in dem die Weltwirtschaftskrise zum Ausbruch kam. Die Diskussion um den multilateralen Schuldenerlass dominierte die internationalen Beziehungen über einen guten Teil der 1920er Jahre. Kaum zwanzig Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges brach unter den Spannungen, die nicht zuletzt infolge der Kosten und Finanzierungsmethoden dieses Konflikts entstanden waren, der Zweite Weltkrieg aus. Alle hatten noch die Lehren aus den finanziellen Herausforderungen des Ersten Weltkrieges in wacher Erinnerung, da diejenigen, die die Mittel zur Finanzierung dieses neuen Krieges finden sollten, oft genug dieselben waren wie 1914–1918. Das war der Fall bei John Maynard Keynes, der im Ersten Weltkrieg mit dem britischen Schatzamt zusammengearbeitet hatte. Nach der beträchtlichen Verschuldung in diesem Krieg waren fast alle Experten zu der Einschätzung gelangt, den neuen Krieg müsse man im Wesentlichen ohne Anhebung der Staatsschulden finanzieren (pay as you go), indem man vor allem auf Steuererhöhungen zurückgriff, wenngleich man damit rechnete, auch Anleihen zu verwenden und neues Geld zu drucken. Letzten Endes stellte sich heraus, dass diese Art von Finanzierung mehr einer Wunschvorstellung als der Realität entsprang, und so waren es die keynesianischen Theorien, die sich zugunsten der Neuverschuldung und auf Kosten eines ausgeglichenen Haushalts durchsetzten. Die Hauptkriegsteilnehmer bedienten sich völlig ungezügelt des Inlandskredits. Umgekehrt nahm man dieses Mal davon Abstand, Auslandskredite hinzuzuziehen, die unter den Alliierten zu einem hohen Verschuldungsniveau geführt und ihren Schatten über die gesamte Zwischenkriegszeit gelegt hatten. So entschieden die Vereinigten Staaten, statt den Alliierten direkt Geld zu leihen, ein Leih- und Pachtprogramm einzurichten, über das sie den gegen Deutschland, Italien und Japan im Krieg befindlichen Nationen im Austausch für vereinbarte Zahlungen ohne Einschränkung alle Güter und Ausrüstungsgegenstände lieferten, denen der US-Präsident Franklin D. Roosevelt bestätigte, unter das »Interesse der nationalen Verteidigung« zu fallen. Am Ende des Krieges hatten die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten für 50,1 Milliarden Dollar Munition, Rohstoffe, Treibstoff, Industriemaschinen, Nahrungsmittel und Transportschiffe geliefert. Zu einem großen Teil ersetzten die von den Schuldnerstaaten erbrachten Opfer im Krieg die Rückzahlung; der Hauptteil dessen, was die Verbündeten schuldeten, wurde von den Vereinigten Staaten erlassen, wodurch jene Schuldenberge vermieden wurden, die das internationale System der Zwischenkriegszeit vergiftet hatten. Angeregt von der Erfahrung des Ersten Weltkrieges, entschieden sich die Regierungen für eine Geldpolitik, mit der sie die Verschuldung und die Inflation im Griff behalten konnten und die vor allem für jede Nation sicherstellte, dass ihre Produktionskapazität für Kriegsgerät sich lange vor dem zu seiner Finanzierung notwendigen Geld erschöpfte.

Im expansionistisch ausgerichteten nationalsozialistischen Deutschland nahm diese Politik die Form einer strikten Preis- und Lohnkontrolle an. Der napoleonischen Methode folgend, die Besiegten für ihre eigene Besetzung zahlen zu lassen, wurden bei den Zentralbanken der eroberten Länder »Besatzungssteuern« erhoben. Da sie in die Wirtschaft Großdeutschlands eingebunden waren, unterlagen sie gleichermaßen der Preis- und Lohnkontrolle. In gleicher Weise finanzierte Japan seine Kriegsunternehmung in Asien und im Pazifik sowie seine Besetzung Südostasiens in erster Linie durch Ausgabe neuen Geldes, außerdem indem es sich ein striktes Geldmonopol vorbehielt und indem es die besetzten Gebiete im Namen der »Großostasiatischen Wohlstandssphäre« ausbeutete.

In Großbritannien wurden eine Preis- und Lohnkontrolle, Zugriff auf den Diskontsatz und eine Kontrolle der Kapitalflüsse eingerichtet, um kurz- und langfristig die Inflation und die Schulden zu begrenzen. In der Sowjetunion mit ihrer Planwirtschaft funktionierte die Preis- und Lohnkontrolle bereits als Mittel der direkten Besteuerung der Bevölkerung, die zusammen mit den 1942 ausgegebenen Kriegsanleihen dem Land erlaubte, mehr als alle anderen europäischen Kriegsteilnehmer dem Ziel einer Finanzierung des Krieges ohne Erhöhung der Staatsschulden nahezukommen. Dennoch lastete der Krieg so schwer auf der Bevölkerung und den produktiven Ressourcen, dass die Belastung auch nach dem Krieg beträchtlich blieb. Den Vereinigten Staaten, die wie schon im Ersten Weltkrieg über eine solidere finanzielle Basis verfügten als die anderen Kriegsteilnehmer, gelang es am besten, die finanziellen Kosten des Zweiten Weltkrieges – ungefähr 413,7 Milliarden Dollar – mittels Rückgriff auf Steuern zu stemmen. So stieg die Einkommenssteuer von 1,6 Milliarden Dollar 1941 auf 18,7 Milliarden Dollar 1945. Dennoch reichte das nur für 46 Prozent der Kriegsausgaben, für den Rest kamen Geldschöpfung und Verschuldung auf. Die Federal Reserve ging, um den Anleihenmarkt zu stützen, beim direkten Aufkauf von Schuldtiteln der Regierung viel weiter als im Ersten Weltkrieg. Wie schon beim vorangegangenen Konflikt löste die Notwendigkeit einer vollen Schuldentilgung nach dem Krieg endlose Debatten aus. Doch wie zuvor gab man der Verschuldung aufgrund ihrer ökonomischen Vorteile als Triebmittel des Wirtschaftswachstums den Vorzug gegenüber Maßnahmen, die zur Rückzahlung der Schulden notwendig gewesen wären.

Die UdSSR kann nicht mehr mithalten und zerbricht

Im Kalten Krieg wurde aus der Großmachtkonkurrenz der vorangegangenen Jahrhunderte eine Auseinandersetzung zwischen Supermächten. In gleicher Weise trat an die Stelle der multilateralen Konflikte, die die vorherige Epoche gekennzeichnet hatten, eine Reihe von Stellvertreterkriegen, in denen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ihre Satellitenstaaten und nichtstaatliche Akteure dazu benutzten, sich an ihrer Statt zu bekriegen, wobei sie gelegentlich auch selbst in diese Regionalkriege eingriffen. Das war beispielsweise bei den verlustreichen Kriegen in Vietnam für die Vereinigten Staaten und in Afghanistan für die Sowjetunion der Fall. Als Konflikt war der Kalte Krieg zwar atypisch, aber nicht einzigartig. In der Vergangenheit hatte es bereits andere Konfrontationen zwischen Großmächten gegeben, bei denen es zu keiner direkten Auseinandersetzung gekommen war – wie das »Große Spiel« um Zentralasien zwischen Großbritannien und Russland –, sondern lediglich zu zahlreichen Scharmützeln unter lokalen Akteuren, woran sich nur gelegentlich auch eine europäische Kolonialmacht beteiligte. Nichtsdestotrotz war der Kalte Krieg ein Konflikt unerhörten Ausmaßes, und die eingesetzten Methoden waren außerordentlich. Die von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zur Auslandshilfe und in internationalen Angelegenheiten zur Eindämmung oder Ausweitung des Kommunismus eingesetzten Ressourcen erwiesen sich als ebenso gewichtig wie die Milliarden – an Kosten für Material und Militärpersonal – an Ausgaben für die traditionelle Verteidigung. Das bedeutet keineswegs, dass die traditionellen Militärausgaben während des Kalten Krieges nicht explodiert wären: Der nukleare und konventionelle Rüstungswettlauf ab 1948 führte zu einem beispiellosen Ausgabenniveau. Tatsächlich zogen die von beiden Seiten produzierten Atomarsenale gleichermaßen eine Ausgabenerhöhung für die konventionellen Streitkräfte nach sich. Das National Security Memorandum Nr. 68 vom April 1950 unterstreicht die Notwendigkeit, »so schnell wie möglich die Luft-, Boden- und Seestreitkräfte [der Vereinigten Staaten] und die [ihrer] Verbündeten zu vergrößern, damit sie militärisch nicht derart von den Atomwaffen abhängig sind«.9 Die Vereinigten Staaten konnten die außerordentlichen Kosten des Kalten Krieges dank der Belastbarkeit ihrer Wirtschaft, des Haushaltsdefizits, der inflationistischen Geldschöpfung und Steuererhöhungen finanzieren. Der Druck auf die Sowjetunion, mit den Ausgaben des amerikanischen Militär-Industrie-Komplexes gleichzuziehen, trug zweifellos zu ihrem Zusammenbruch 1991 bei.

In der Moderne ist die Finanzierung des Krieges ständiger Streitgegenstand zwischen Vertretern der Eigenmittelfinanzierung und Vertretern der Schuldenfinanzierung gewesen. Letztlich ist es der Kredit, der zusammen mit der monetären Manipulation ermöglicht, den Krieg im Maßstab moderner Konflikte zu führen. Auch die Fähigkeit, seine Verbündeten mit der notwendigen Finanzkraft auszustatten, hat sich für die Aufrechterhaltung großer Koalitionen als entscheidend erwiesen. In dieser Hinsicht markierte der Erste Weltkrieg eine bedeutende Verschiebung aufgrund der Anforderungen, die er an das Finanzsystem und den Umfang aufgenommener Kredite auf nationaler und vor allem internationaler Ebene stellte. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Methode der Kriegsfinanzierung durch Schulden zwar in Misskredit geraten, wurde aber trotzdem nicht aufgegeben. Der Zusammenbruch der Sowjetunion am Ende des Kalten Krieges zeigte deutlich, in welche Gefahren sich die Nationen begeben, wenn die Militärausgaben ihre finanziellen Möglichkeiten überschreiten. Kreditaufnahme ist der Schlüssel für Kriegführung. Wollte man den Gedanken Ciceros aktualisieren, müsste man sagen, dass unbegrenzter Kredit der Lebensnerv des Krieges ist – nervos belli, creditum infinitum.

Jennifer Siegel ist Professorin an der Ohio State University. Sie ist Expertin für Diplomatie und Ökonomie im Krieg und Autorin insbesondere von For Peace and Money. French and British Finance in the Service of Tsars and Commissars (Oxford 2014).

Literaturhinweise

Die Literatur über Kriegsfinanzierung ist relativ überschaubar. In Financing the First World War (Oxford 2004) beklagt Hew Strachan, dass die finanziellen Herausforderungen des Ersten Weltkrieges und die Lösungen, die dafür gefunden wurden, von der Geschichtsforschung weitgehend ignoriert wurden, weil aus ihrer Sicht »die Maximierung der Ressourcen viel wichtiger war als die Handhabung des Geldes« (S. 1). Die Vorstellung, dass die Herausforderung der Produktion und des Nachschubs im Krieg ein dringlicheres Problem darstellt als das Finanzwesen, hat zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Kriegsfinanzierung geführt, wenn man von den Nation für Nation durchgeführten Fallstudien zu den verwendeten Finanzierungsmethoden absieht. Außerdem ist der Erste Weltkrieg nicht der einzige Krieg, in dem die Frage der Finanzierung so vernachlässigt wurde, und die Gründe sind ähnlich.

Nichtsdestotrotz gibt es eine Anzahl von Arbeiten, die auf diese Frage eingehen. Das von Larry Neal herausgegebene dreibändige War Finance (Aldershot 1994) liefert die umfänglichste Einführung. Darin findet sich eine Liste der gesamten historischen und gegenwärtigen Debatten zu dem Thema von der Antike bis zum Golfkrieg 1991. Die allgemeine Einführung von Larry Neal bietet insbesondere eine ausgezeichnete Zusammenfassung der Kontinuitäten und Veränderungen in der Geschichte der Kriegsfinanzierung. James Lacey liefert in Gold, Blood and Power. Finance and War Through the Ages (Carlisle 2015) ebenfalls einen Gesamtblick auf die Frage, allerdings in stärker narrativer Form. Zahlreiche Bücher gehen auf die Themen Kriegswirtschaft und Kriegsfinanzen zusammen ein. Unter den bekannteren verweise ich auf Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte (Frankfurt am Main 1989), und Niall Ferguson, Politik ohne Macht (München 2003). Und auch wenn das Buch von Kwasi Kwarteng, War and Gold. A Five-Hundred-Year History of Empires, Adventures and Debt (London 2014) dem Krieg weniger Platz einräumt, als der Titel vermuten lässt, untersucht es ebenfalls die Beziehungen zwischen Macht und Finanzwesen. Hugh Rockoff verfolgt in America’s Economic Way of War and the US Economy from the Spanish-American War to the Persian Gulf War (Cambridge 2012) einen analogen Ansatz anhand der Vereinigten Staaten. Rosella Zielinski hat in How States Pay for Wars (Ithaca 2016) eine Theorie zur Erklärung des Balanceakts zwischen den Erfordernissen der Kriegsfinanzierung und denen der nationalen Politik entwickelt.

Querverweise

Technologie ist nichts ohne Strategie132

Der Aufstieg des Kriegsstaates150

1Cicero, Staatsreden, Dritter Teil, Die Philippischen Reden, Berlin 1988, S. 129.

2Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt am Main 1991, S. 134 f.

3Basil Henry Liddell Hart, The British Way in Warfare, London 1932.

4Zit. in Martin Daunton, Trusting Leviathan. The Politics of Taxation in Britian, 1799–1914, New York 2001, S. 117.

5Zit. in ebd., S. 118.

6Mechanics and Metals National Bank 1916, War Loans and War Finance, S. 8.

7Thomas Farrow / W. Walter Crotch, How to Win the War. The Financial Solution, London 1916, S. 8.

8Karl Helfferich, Reden und Aufsätze aus dem Kriege, Berlin 1917, S. 110.

9VII., B., 1., https://www.mtholyoke.edu/acad/intrel/nsc-68/nsc68-3.htm [13. 8. 2019].

Karen Hagemann
Die Heimatfront

Der Begriff »Heimatfront« entstand während des Ersten Weltkrieges als Propagandabegriff. An dieser »patriotischen Front« wirkten vor allem die Frauen, während die Männer an der Kriegsfront kämpften. Diese Unterscheidung nach Geschlechtern hat mit der Realität wenig zu tun.

Der Begriff der Heimatfront (homefront oder le home front) ist eine Neuschöpfung der Propaganda des Ersten Weltkrieges und wurde in Abgrenzung zur Kriegsfront benutzt. Nur durch deren Zusammenwirken, so die zeitgenössische Rhetorik, könne der Sieg im »Großen Krieg« errungen werden. Parallel zur Mobilisierung der wehrfähigen Männer für die Kriegsfront musste die Zivilbevölkerung an der Heimatfront für die breite Unterstützung des industrialisierten Massenkrieges mobilisiert werden, die vielfältige Formen annehmen sollte. Vorranging ging es um den Ersatz der eingezogenen Männer in den kriegswichtigen Industrien, dem Transportwesen, der Landwirtschaft und der Kriegsadministration. Doch auch der sorgfältige Umgang mit rationierten Konsumgütern und Brennmaterial in den Privathaushalten war ebenso wichtig wie die Kriegsfürsorge für Soldatenfrauen, Kriegerwitwen, Waisen und Invaliden sowie die Kriegskrankenpflege für kranke und verwundete Soldaten. Zudem wurde von der Heimatfront erwartet, dass sie opferbereit und patriotisch die Kriegsmoral der an der Kriegsfront kämpfenden Männer stützte.

Damit wurde die »Heimat« in der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges nicht nur zu einer zentralen Kriegsressource, sie wurde zugleich zu einem wichtigen Zielobjekt der Kriegführung. Das bedeutet in der Folge nichts anderes, als dass sie nun systematischer in diese einbezogen wurde. Dies zeigte sich nicht primär in dem Einsatz einer Politik der wechselseitigen Wirtschaftsblockaden, der eine längere Tradition hatte, sondern vor allem in der Bereitschaft zur Tötung von Zivilist*innen, sei es durch die Bombardierungen von Dörfern und Städten, sei es durch Massenvertreibungen, Todesmärsche sowie systematische Erschießungen oder Genozide.

Die Kriegspropaganda imaginierte die Heimatfront überwiegend als weiblich. Sie setzte die Zivilbevölkerung mit Frauen, Kindern und Alten gleich, womit sie ignorierte, dass nur ein Teil der Männer an der Kriegsfront kämpfte. Je nach Mobilisierungsgrad blieb überall ein bedeutender Prozentsatz von Männern aus den verschiedensten Gründen zurück. Sie waren zu jung, zu alt oder aus gesundheitlichen Gründen nicht kriegstauglich. Sie galten als unersetzlich in der Kriegswirtschaft und Kriegsadministration oder leisteten andere kriegswichtige Dienste. In dem Bild von Heimatfront und Kriegsfront, das auf einer imaginierten Geschlechterordnung mit klaren Grenzen zwischen den Zuständigkeitsbereichen von Männern und Frauen beruhte, hatten diese vielen Männer keinen Platz. Sie stellten vielmehr diese imaginierte Geschlechterordnung des Krieges infrage, in der die kämpfenden Männer an der Kriegsfront Familie, »Heimat« und Nation schützten.

Übersehen wurde schon in der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges zudem, dass zwar das quantitative Ausmaß dieses Konflikts und sein Industrialisierungsgrad alle vorherigen Kriege in den Schatten stellten und in der Folge zum einen die Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft für den Krieg bis dahin unbekannte Ausmaße erreichte und zum anderen die Zahl der zivilen Opfer erheblich war. Doch dies bedeutete nicht, dass nicht schon in vorherigen Kriegen Gesellschaft und Wirtschaft durch den Staat und das Militär mobilisiert worden wären und die Zivilbevölkerung Opfer von Kriegshandlungen geworden wäre.

Die historische Forschung zur Geschichte von Militär und Krieg, vor allem die Frauen- und Geschlechtergeschichte, hat in den letzten beiden Jahrzehnten in einer wachsenden Zahl von Studien gezeigt, in welchem Ausmaß und welchen Formen die Zivilbevölkerung seit der Frühen Neuzeit von Kriegen betroffen und in Kriege einbezogen war. Der britische Historiker Peter Wilson hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) die Zahl der Kriegsopfer in Relation zur Bevölkerung die des Ersten Weltkrieges übertraf und es zudem bereits so etwas wie eine Heimatfront gab. Die Bevölkerung musste die Kriegsfinanzierung mit Steuern und Abgaben unterstützen, die durchziehenden Heere ausrüsten und ernähren und zudem für deren Sieg beten. Dies traf auch auf die meisten folgenden Kriege der Frühen Neuzeit zu. Was änderte sich also im 19. und 20. Jahrhundert?

Dieser Frage soll im Folgenden mit einer Geschlechterperspektive nachgegangen werden. Dabei wird »Geschlecht« als Forschungsgegenstand und -methode verstanden und als historisch spezifische und relationale Analysekategorie benutzt. Im Zentrum stehen die Revolutions- und Napoleonischen Kriege, die Nationalkriege des 19. Jahrhunderts und der Erste und Zweite Weltkrieg in Europa. Die Geschlechterperspektive bietet sich bei einer zeitlich und regional vergleichenden Analyse der Geschichte der Heimatfront dieser Konflikte an, da sich die diskursiv konstruierten Grenzen von »Heimat« und »Front« und die gelebten Geschlechterverhältnisse in Kriegszeiten bei genauer Analyse als ein wichtiges Kennzeichen nicht nur für den Wandel der Kriegführung allgemein erweisen, sondern insbesondere auch für den Grad der Mobilisierung der zivilen Gesellschaft für und ihre Betroffenheit durch den Krieg. Zwischen Diskursen und Praktiken bestand dabei häufig ein ambivalentes Spannungsverhältnis. Aufgrund der Forschungslage stehen Frauen allerdings im Zentrum der Analyse. Obwohl Männer einen erheblichen Teil der Zivilbevölkerung in Kriegsgesellschaften ausmachten und ihnen zum Beispiel in der Kriegswirtschaft eine zentrale Funktion zukam, ist ihre Situation erst sehr wenig erforscht.

Das »Vaterland« als erweiterte Familie

Wenn wir die Bedeutung der Revolutions- und Napoleonischen Kriege (1792–1815) für den Zusammenhang von Krieg, Militär und Gesellschaft verstehen wollen, müssen wir sie ungeachtet aller regionalen Differenzen als mit patriotisch-nationaler Rhetorik legitimierte »Volkskriege« von globalem Ausmaß konzeptionalisieren, die mit Massenheeren auf der Basis von Freiwilligeneinheiten, Milizen oder Konskribierten geführt wurden, weshalb der amerikanische Historiker David Bell die Napoleonischen Kriege als die ersten »totalen Kriege« bezeichnet hat, die sich durch eine »Fusion von Politik und Krieg« auszeichneten, welche zu einer »verhängnisvollen Intensivierung der Kampfstärke« führte. Primär vier Gründe rechtfertigen für ihn die Charakterisierung als »totale Kriege«: der erheblich größere Umfang der Armeen, die bis dahin völlig unbekannte Dimensionen erreichten; die dramatische Zunahme der Schlachtenhäufigkeit und -intensität während der Kriegszüge; die veränderten Beziehungen zwischen Militär und Zivilgesellschaft; und eine neue Kultur des Krieges, die sich einer emotional aufgeladenen, patriotisch-nationalen Rhetorik bediente und die Vernichtung des Feindes zum Kampfziel erklärte. Diese veränderten Bedingungen und diese neue Kultur der Kriegführung trieben eine »unaufhaltsame Spirale der Eskalation« voran, die mit dem »Kollaps der einen oder anderen Seite aufgrund schierer Erschöpfung und Ausbluten endete.«1

Auch wenn die Übertragung des Begriffs »totaler Krieg«, der in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aufkam und in der Geschichtswissenschaft bis heute umstritten ist, auf die damalige Zeit problematisch ist, so kann Bells Ansatz nicht nur helfen, die Dynamik der Periode und ihre Spannungen und Widersprüche, sondern auch die Entwicklung des Phänomens der Heimatfront besser zu verstehen. Zentral dafür sind die Auswirkungen der neuen Massenkriegführung in diesen frühen Nationalkriegen auf das hier besonders interessierende Verhältnis von Militär und Gesellschaft. Die Zahl der in den Revolutions-, vor allem aber in den Napoleonischen Kriegen eingesetzten Soldaten übertraf alle vorherigen Konflikte in Europa. Frankreich hatte die Levée en masse bereits im August 1793 eingeführt und im September 1798 die allgemeine Wehrpflicht mit Exemtion und Stellvertretung. In der Folge dienten mehr als 2 Millionen Franzosen oder 7 Prozent der männlichen Bevölkerung zwischen 1792 und 1813 in der französischen Armee. Hinzu kamen ca. 1 Million Wehrpflichtige aus den annektierten Regionen und den Staaten, die mit Napoleon eine Militärallianz hatten eingehen müssen, wie dem im Juli 1806 von Napoleon geschaffenen deutschen Rheinbund. Die Grande Armée erreichte damit unbekannte Ausmaße. So konnte Napoleon 1812 mit ca. 650 000 Mann in Russland einmarschieren, davon stammte die Hälfte aus den Staaten seiner Alliierten. Um den massiven Truppen der Grande Armée gewachsen zu sein, mussten die gegnerischen Staaten ebenfalls Massenarmeen mobilisieren. Deshalb führte zum Beispiel Österreich 1809 eine Landwehr und Preußen 1813 die allgemeine Wehrpflicht ohne Exemtion und Stellvertretung ein. Die preußische Armee erreichte in der Folge 1813 eine Größe von 250 000 Mann, von denen 46 Prozent Landwehrmänner und 8 Prozent Freiwillige waren. Mehr als 10 Prozent der männlichen Bevölkerung waren 1813 eingezogen; im Vergleich zu nur 2 Prozent im Jahr 1806. Nach dem Waffenstillstand im August 1813 war die Grande Armée trotz der massiven Verluste im Russlandfeldzug wieder ca. 440 000 Mann stark, und die Koalitionsarmee zählte ca. 510 000 Mann. Allein in der Schlacht bei Leipzig standen sich im Oktober 1813 mindestens 470 000 Soldaten aus zwölf Ländern Europas gegenüber.

Diese neue, durch Massenheere geprägte Kriegführung hatte weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung. Eine ganz erhebliche Zahl von Familien verlor zumindest für die Zeit der Kriege den Haupternährer; vor allem Frauen aus den Unterschichten mussten nun allein für den Unterhalt der Familie sorgen. Veteranen kamen als Invaliden heim und mussten von Angehörigen gepflegt werden, da die staatliche Fürsorge überall völlig unzureichend war. Hunderttausende von Witwen und Waisen blieben nach den Kriegen zurück. Die Zahl der Kriegsopfer erreichte aufgrund des Einsatzes von Massenheeren ein bis dahin unbekanntes Ausmaß. Die von dem britischen Historiker David Gates geschätzte Gesamtzahl von 5 Millionen Kriegstoten zwischen 1792 und 18152 entsprach, gemessen an der Einwohnerzahl, den Dimensionen des Ersten Weltkrieges. Eindringliche Beispiele für die Auswirkungen sind der Russlandfeldzug Napoleons 1812 und die Kämpfe in Mitteleuropa 1813. Von dem Riesenheer der Grande Armée, das im Juni 1812 in Russland einmarschierte, kehrten im Winter 1812 / 13 bestenfalls 25 000 Mann zurück. Die meisten Soldaten starben nicht in den Schlachten, sondern an Hunger und Kälte sowie Krankheiten und Seuchen, vor allem Fleckfieber und Ruhr. Diese tödlichen Seuchen infizierten auch die Zivilbevölkerung der Regionen, durch die die Armeen zogen. Im Frühjahr und Herbst 1813 war Sachsen ein Hauptkampfgebiet der Kriege. Hier fielen mindestens 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung dem Fleckfieber zum Opfer, das zunächst die Russland-Heimkehrer mitbrachten und später die verwundeten und kranken Soldaten der Schlachten in der Region verbreiteten. Allein in den wenigen Wochen zwischen Ende August und Anfang Oktober 1813 zogen 90 000 verwundete und kranke Soldaten durch Leipzig, das ca. 40 000 Einwohner hatte. Nach der Völkerschlacht wurden erneut mindestens 38 000 Kranke und Verwundete in der Stadt untergebracht. Auf so große Zahlen war die medizinische Versorgung der Militärverwaltungen aller kriegsbeteiligten Staaten völlig unzureichend vorbereitet, weshalb die lokalen Administrationen die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten zur Mithilfe beim Aufräumen der Schlachtfelder, dem Bergen der Verwundeten und Toten, der Kriegskrankenpflege und der Kriegsfürsorge heranzogen.

Europa erlebte zwischen 1792 und 1815 mehr Truppenbewegungen, Gefechte und Okkupationen als im gesamten 18. Jahrhundert zusammen, das wahrlich reich an Kriegen gewesen war. Die Zivilbevölkerung hatte neben den bereits genannten Aufgaben zudem die Kriegsopfer zu beklagen und die Kriegshinterbliebenen zu versorgen. Auch musste sie die Kosten der anhaltenden Kriege mit erhöhten Steuern, Abgaben, Kontributionen und Tributzahlungen tragen, den durchziehenden Truppen und Besatzungsarmeen Quartier geben und sie versorgen und die Kriegsfolgen in den zerstörten Dörfern, Städten und verwüsteten Landschaften beseitigen. Hinsichtlich der anhaltenden Requisitionen von Nahrungsmitteln, Vieh und Fuhrwerken machte es dabei wenig Unterschied, ob feindliche oder verbündete Truppen unterhalten werden mussten: Je länger die Kriege anhielten, desto mehr basierte die Versorgung aller Armeen auf dem Kontinent auf Requisitionen. Verstärkt wurden die wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten durch die im November 1806 von Napoleon nach dem Sieg über Preußen und Sachsen erklärte Kontinentalsperre, die die landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie den Handel behinderte, vor allem in den Regionen, die nicht zum Machtbereich Napoleons gehörten, wie Österreich, Preußen und Russland. Hunderttausende litten in erheblicher Weise unter den Napoleonischen Kriegen, je länger diese anhielten.

Kriegführung in diesen Dimensionen konnte, wenn sie erfolgreich sein sollte, nicht allein auf Gewalt und Zwang basieren. Sie war nur möglich, wenn sie zumindest von Teilen der Bevölkerung aktiv unterstützt wurde, weshalb nicht nur das Napoleonische Empire, sondern auch dessen Gegner mit einer intensiven Propaganda – Reden und Predigten, Liedern und Gedichten, Feiern, Ritualen und Symbolen sowie Bildmaterial aller Art – an die patriotisch-nationalen Gefühle appellierten. Sie versuchten, zum Kampf und zur Kriegsunterstützung zu mobilisieren sowie zu milden Gaben für die Kriegsopfer aufzufordern. Vor allem die Regierungen der wechselnden antinapoleonischen Koalitionen benötigten, je länger die Kriege anhielten, immer mehr die Unterstützung der Zivilbevölkerung, einschließlich der Frauen, für die Sammlung von Geld- und Sachspenden, die Ausrüstung und Einkleidung der Soldaten, die medizinische Versorgung der Kranken und Verwundeten sowie die Fürsorge für Invalide, Witwen und Waisen. Der Befreiungskampf gegen Napoleon wurde in der politischen Rhetorik der Zeit vor allem in Preußen, Spanien und Russland zu einer nationalen »Notstandssituation«, einem »heiligen Krieg« erklärt, der es erforderte, dass alle – Frauen wie Männer, Jung und Alt – in der einen oder anderen Weise »Opfer« brachten. Das zu befreiende »Vaterland« wurde in der Kriegspropaganda dafür als »wehrhafte Volksfamilie« imaginiert, in der alle gemäß ihren Möglichkeiten den »Befreiungskampf« gegen Napoleon zu unterstützen hatten.

Vorbild für dieses neue Ideal einer Geschlechterordnung der Nationalkriege war das gegnerische Frankreich mit seiner levée en masse, die gefordert hatte, dass junge militärfähige Männer Soldaten werden und die älteren Männer den Krieg vor allem materiell unterstützen sollten. Frauen hatten hingegen als Verlobte, Mütter und Ehefrauen die Kampfbereitschaft der jungen Männer zu stärken, für die Ausstattung und Einkleidung der Soldaten zu sorgen und die Kranken und Verwundeten zu pflegen. Dieses revolutionäre Ideal »republikanischer Mütterlichkeit« wurde in den gegnerischen Staaten zur »patriotischen Mütterlichkeit« umgedeutet, mit der die öffentliche weibliche Kriegsunterstützung legitimiert wurde.

Diese Rhetorik machten sich auch die 600 patriotischen Frauenvereine zunutze, die von Frauen aus der Mittel- und Oberschicht während der Antinapoleonischen Kriege von 1813–1815 im deutschsprachigen Raum gegründet wurden und zwischen 10 und 300 Mitgliedern hatten, je nach Größe der Stadt. Sie begründeten ihre Tätigkeit damit, dass Frauen in der Ausnahmesituation eines nationalen Befreiungskrieges den Männern helfend zur Seite stehen müssten. Die Frauenvereine sammelten zunächst Spenden für die Einkleidung und Ausrüstung der Freiwilligen und Landwehrmänner und wurden bald auch in der Kriegskrankenpflege und Kriegsopferfürsorge tätig. Die Leistungen der Frauen zur Kriegsunterstützung wurden nach dem Krieg in der öffentlichen Erinnerung allerdings schnell verdrängt, in der die militärischen Helden im Zentrum standen. Von den Frauen wurde vielmehr erwartet, dass sie in die ihnen zugewiesene »Privatsphäre« von Heim und Familie zurückkehrten, um dort die Wunden des Krieges zu heilen. Dementsprechend führten nur 10 Prozent der Vereine ihre Arbeit als Wohltätigkeitsvereine nach dem Krieg fort.

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