Kitabı oku: «Eine Geschichte des Krieges», sayfa 8

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Präzedenzfall Amerika

Wenngleich Frankreich die erste europäische Nation war, die Militärdienst und Zugehörigkeit zur Bürgerschaft miteinander verknüpfte, so gab es bereits Vorgänger dieser Praxis in anderen Weltregionen. In Amerika war seit dem 17. Jahrhundert zu beobachten, wie Grenzsiedlungen zum Selbstschutz ein Bürgermilizsystem etablierten, das die Kontrolle der Siedlungsversammlung über die Militäroperationen betonte; zum Teil stammt von daher die amerikanische Tradition des »Bürgersoldaten«, also des gemeinhin als Farmer oder Bewohner der Grenzregionen beschriebenen minuteman, der in Kriegszeiten, um für die Nation zu kämpfen, seine Farm verließ, um dann, sobald der Sieg errungen war, ins zivile Leben zurückzukehren. Doch was zur Verteidigung gegen Indianerstämme gut funktioniert hatte, erwies sich in äußeren Kriegen als deutlich weniger effektiv. Zunehmend zogen die Amerikaner eine Berufsarmee hinzu, um sich zu schützen, da sie sich bewusst wurden, dass ein wenig mehr als eine hastig versammelte und trainierte Halbtagsmiliz nötig war, um überleben zu können. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution war eine Spannung zwischen republikanischer Ideologie und militärischen Effizienzerwägungen greifbar. Über die Rolle der Bürgermilizen im Unabhängigkeitskrieg kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. George Washington sah die amerikanische Republik als eine moderne Marktgesellschaft, in der es nicht mehr im Interesse der Gemeinschaft war, dass alle ihre Söhne einen Militärdienst ableisteten. Daher trat er für das Prinzip ein, die Prämien zu erhöhen, um mehr Männer für die Armee zu gewinnen.

General Charles Lee hingegen verteidigte die Milizen: In seinen Augen war die Tyrannei »das Schicksal derjenigen Völker, die nicht die Weisheit und Tugend besitzen, sich Gesetze zu geben und zu eigen zu machen, die jeden Bürger zur Erfüllung seines Militärdienstes verpflichten«.3 Washington und Lee waren zweifellos beide überzeugte Republikaner, und der Republikanismus war ein entscheidendes Element der amerikanischen Identität des 18. Jahrhunderts. In den Friedensjahren nach 1783 klammerten sich die Antiföderalisten an das Ideal des Bürgersoldaten, der als Alternative zur regulären Armee betrachtet wurde. »Eine freie Republik«, erklärten sie, »wird niemals ein stehendes Heer unterhalten, um ihre Gesetze zu vollstrecken. Sie muss sich auf die Unterstützung ihrer Bürger verlassen.«4 Diese Haltung fand Eingang in zwei der Gründungsdokumente der amerikanischen Republik: den zweiten Verfassungszusatz und den Militia Act von 1792. Die Bürger erhielten – durch die Verfassung garantiert – das Recht, sich in zivilen und bewaffneten Praktiken zu betätigen, die für die republikanische Staatsbürgerschaft konstitutiv sind. Laut Lawrence Cress haben seit der Kolonialzeit zwei britische Denktraditionen eine große Rolle in den amerikanischen Debatten über die Verfasstheit der Streitkräfte gespielt. Beide basierten auf der alten Sorge, dass eine Berufsarmee eine Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten darstellen könne (das ist übrigens auch ein gemeinsames Thema des amerikanischen und britischen Republikanismus). Die »radikalen whigs« waren gegen eine Berufsarmee, weil sie sie als »unweigerliche Gefahr für die bürgerlichen Freiheiten und Tugenden«5 ansahen; sie unterstützten ein Milizensystem, das die nationale Verteidigung in die Hände von Männern legte, die keine Karrieresoldaten waren, sondern zur Verteidigung ihrer Familie und ihres Besitzes kämpften. Eine solche Streitkraft würde nie das Risiko eines Umsturzes der politischen Ordnung oder eines Staatsstreichs mit sich bringen: Die Armee würde nie zu einer autonomen Streitmacht werden, die von »aristokratischen« Offizieren aus den Militärakademien von West Point oder Annapolis gegen das Volk eingesetzt werden könnte. Die »moderaten whigs« wiederum kamen zu der Einschätzung, dass die republikanischen Werte ordnungsgemäß geschützt werden konnten, indem man genügende Sicherheitsmaßnahmen installierte: In einer komplexen modernen Gesellschaft wie der ihren gab es aus ihrer Sicht keinen Zweifel, dass der Krieg wie alles andere auch in professioneller Hand sein und der Arbeitsteilung unterliegen müsse.

Zum Ende des Unabhängigkeitskrieges übernahm George Washington, wie wir gesehen haben, schließlich diese zweite Position, die binnen Kurzem das strategische Denken in den Vereinigten Staaten dominierte. Dennoch war sie bei Weitem nicht die einzige Stimme, wie das Fortleben der Milizen und der Dienst in der Nationalgarde beweisen. Das Festhalten der Vereinigten Staaten an den Milizen ist mehr durch politische als durch militärische Gründe motiviert, wenngleich dadurch in Kriegszeiten auch eine breitere Mobilisierung möglich wird. Man kann sagen, dass die Vereinigten Staaten durch Vorbereitung ihrer Bürgersoldat*innen auf den Kampf das notwendige Gleichgewicht finden, um ihre Position in der Welt aufrechtzuerhalten: zwischen einer ausreichend großen Berufsarmee zur Verteidigung der Nation gegen jeden Angriff von außen und der Gefahr, dass ein unkontrollierter Militarismus die Nation ergreift.

Demokratisierung des Einverständnisses

Noch war es notwendig, dass Milizionär und eingezogener Soldat, sobald sie in die nationale Armee eingegliedert waren, weiterhin die Interessen und Motivationen derer teilten, die sie zurückließen. Wie bestimmte Autoren der Aufklärung wie der Comte de Guibert in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärten, mussten die Soldaten tugendhafte Bürger sein, die sich bereithielten, zur Verteidigung ihrer Gemeinschaft zu den Waffen zu greifen. Das Opfer für das Gemeinwohl liegt dem Begriff der Bürgertugend zugrunde. Mit Auftauchen demokratischerer politischer Systeme und stärker inkludierender repräsentativer Institutionen im 19. Jahrhundert sah man zunehmend alle Bürger als in Kriegszeiten dem Staat verpflichtet an. Diese Idee, die kraft einer Art von »Demokratisierung des Einverständnisses« von den Einberufenen selbst unterstützt wurde, hatte weitreichende soziale Konsequenzen: Indem die Wehrpflicht den Militärdienst eng an die Zugehörigkeit zur nationalen Bürgerschaft knüpfte, erlaubte sie in Zivilgesellschaft wie Militär die Einebnung sozialer Unterschiede, denn sie zwang die politische Bürgergemeinschaft dazu, sich als eine Nation zu definieren, wodurch sie auch zum Prozess der Staatsbildung beitrug.

Doch dachte der Soldat überhaupt weiterhin als Zivilist, sobald er einmal in ein Regiment eingegliedert war? Denn die Pflicht, seinem Land zu dienen, und die Realität der Wehrpflicht sind zweierlei. Wenn Erstere als Ausübung einer der Grundpflichten des Bürgerseins angesehen werden konnte, bedeutete die Zweite unweigerlich die Aufgabe bestimmter Bürgerrechte. Während seines Militärdienstes konnte sich der Soldat nicht frei äußern, geschweige denn die Befehle seiner Vorgesetzten infrage stellen; es war ihm untersagt, sich in politische Debatten einzumischen, und auferlegt, sich einer institutionalisierten Disziplin zu unterwerfen. Seine Schriften wurden zensiert, sein Zugang zu Informationen streng kontrolliert. Ohne Zweifel mochten die Jahre im Militärdienst tiefgreifende Auswirkungen auf seine Loyalität, seine Werte und seine Identität haben. Die französische Revolutionsarmee der 1790er Jahre unterschied sich ideologisch sehr bald nicht mehr von den anderen Armeen dieser Epoche: Ihre Soldaten durchliefen dasselbe Training, das denselben militärischen Ausbildungsbüchern entstammte, und standen im Allgemeinen unter dem Befehl von Offizieren, die bereits unter Ludwig XVI. gedient hatten. Ihre Ideale wurden in den Notwendigkeiten des Alltags ertränkt: Nahrung für sich und Futter für die Pferde finden, sich vor der Kälte schützen, überleben. Oder auch kameradschaftliche Beziehungen zu ihren Waffenbrüdern bei sich entdecken. Mit den Monaten wurden diese Wehrpflichtigen immer professioneller. Sie eigneten sich Kompetenzen an, vollbrachten mitunter wahrhafte militärische Heldentaten, die dann gefeiert wurden; sie fingen an, von Ehre und Beförderung zu träumen, lebten in Furcht vor Verstümmelung und Kampfunfähigkeit durch Verwundung, beweinten ihre toten Freunde; schließlich fühlten sie sich immer mehr vom Rest der Gesellschaft isoliert, da sie eine Kameradschaft teilten, die die Zivilist*innen nicht kannten, eine aus gegenseitiger Abhängigkeit geborene Empathie, eine festere und unumwundenere Art von Freundschaft, als sie in der Zivilgesellschaft existieren kann. Viele begannen, eine militärische Karriere ins Auge zu fassen. Kurz gesagt, inmitten eines endlosen Krieges hatten sie aufgehört, einfache Bürger zu sein, und waren Soldaten geworden.

Selbst Großbritannien, das so gar keinen Gefallen an der Wehrpflicht hatte und sie als eine ausländische – schlimmer noch: »kontinentale« – Praxis ansah, die seinen parlamentarischen Traditionen völlig fremd war, sah sich gezwungen, den Umfang seiner Streitkräfte deutlich anzuheben, um der französischen Bedrohung die Stirn bieten zu können. 1813 waren seine Truppen auf der Iberischen Halbinsel und in den Vereinigten Staaten aktiv, und seine Flotte erhob den Anspruch, auf allen Weltmeeren für Ordnung zu sorgen, sodass der Bedarf der britischen Armee an Arbeitskräften ungekannte Ausmaße annahm. Doch Großbritannien widerstand der Versuchung, die Wehrpflicht einzuführen – bis 1916, als seine Armee nach zwei Jahren Krieg einen solchen Aderlass erlitten hatte, dass keine andere Wahl blieb, als doch darauf zurückzugreifen –, und machte stattdessen einen beispiellosen Gebrauch an Hilfstruppen, das heißt an »Bürgersoldaten«, die in den Milizen und Kavallerieregimentern eingesetzt wurden, um seine Küsten gegen eine mögliche französische Invasion zu verteidigen. Dem ist hinzuzufügen, dass Männer, die in den Milizen aktiv waren, weil sie dies als ruhige Pöstchen ansahen, sofern sie nie in Kämpfe nach Übersee entsandt wurden, sich zunehmend – meist vom Grundeigentümer, der sie beschäftigte – dazu bewegt, bezahlt oder in der einen oder anderen Form gedrängt fanden, ihr von einigen Paraden und zeitweisem Training durchbrochenes Zivilleben für das Leben eines Soldaten einzutauschen. Der Ruf des Patriotismus, die Rede vom nationalen Notfall, die Suche nach Abenteuer, die Appelle an ihre Männlichkeit und ihr Pflichtbewusstsein brachten immer mehr Männer dazu, alles hinter sich zu lassen und der Armee beizutreten. Es fehlte einzig ein Wehrpflichtgesetz, das sie dazu gezwungen hätte, sich die Uniform überzustreifen.

Hat seine Einführung also wirklich einen Unterschied gemacht? Für die Franzosen, ja: Die Wehrpflicht schuf einen anderen Typus von Soldat, der andere Motivationen hatte und sich mehr der Sache, für die er kämpfte, verpflichtet fühlte. Andere hingegen hatten so ihre Zweifel an dieser Sache. Die Briten, die auf der Iberischen Halbinsel oder bei Waterloo kämpften, waren keine »Bürgersoldaten«: Viele von ihnen trugen die Uniform, weil sie zwangsrekrutiert waren oder durch das Versprechen auf eine Prämie dazu verlockt worden waren, sich zu verpflichten. Sie genossen nicht dieselben Bürgerrechte wie die französischen Soldaten. Dennoch kämpften sie mit demselben Eifer und ebenso viel Patriotismus im Dienste ihres Königs und ihrer Nation. Nach Ende des Krieges wurden sie ebenso wie die Franzosen demobilisiert und kehrten auf ihr Gehöft oder in ihre Werkstatt zurück.

Wenngleich Großbritannien seine Bürger vor dem 20. Jahrhundert nicht in die reguläre Armee einzog, so blieb es doch immer der Idee einer militärischen Reserve verbunden und bediente sich dabei der vertrauten Rhetorik von Pflicht und Schuldigkeit. Im Krieg wie im Frieden hatte diese Reserve – ob es sich um Bürgermilizen, Kavallerieregimenter oder in jüngerer Zeit um die Freiwilligen-Landwehr handelte – wirkliches Gewicht in der militärischen Planung Großbritanniens. Die Frage der wirtschaftlichen Kosten spielte selbstverständlich auch eine Rolle für die Bedeutung, die der Reserve zugeschrieben wurde, doch wie in Frankreich auch lag der Akzent in der politischen Debatte immer auf der Wichtigkeit der staatsbürgerlichen Erziehung und dem Interesse der Gesellschaft daran, die Verantwortung für ihre Verteidigung wenigstens einem Teil ihrer Bürger zu überantworten. Diese Art von Reservearmee beschränkte sich nicht auf Großbritannien; sie hat eine lange Tradition in den angelsächsischen Ländern und fand im 19. Jahrhundert in allen Siedlerkolonien des britischen Weltreichs Anklang. Laut Ian Beckett beruhigte in viktorianischer Zeit der Anblick von Bürger-Regimentern die durch das Empire Reisenden und brachte ihnen eine vertraute Institution in Erinnerung. Die Namen dieser Regimenter mochten exotischer klingen als die in London oder Manchester, doch ihre Bedeutung ließ keine Zweifel aufkommen. Neben den anglikanischen Kirchen und den städtischen Parks gehörte die starke Präsenz dieser Truppen von Bürgersoldaten, ob es sich um die Pinjarrah Mounted Volunteers in Australien, die Mitglieder der Coromandel Rifle Brigade in Neuseeland oder die Lang Kloof Cavalry in Südafrika handelte, zum Alltag aller Untertanen des Reiches. Diese Freiwilligen-Regimenter waren auch den anderen Europäern nicht fremd, denn das Prinzip, nach dem ein freier Mann die Pflicht hatte, seinem Monarchen zu Hilfe zu kommen, reichte weit in die Vergangenheit zurück; und tatsächlich existierten bestimmte Formen von Bürgermilizen in den meisten europäischen Staaten schon lange vor 1789. Sie standen selten in vorderster Front, und die verschiedenen Freiwilligen-Regimenter und anderen Bürgermilizen, die heute noch übrig gebliebenen sind, beteiligen sich an der Landesverteidigung vor allem in Form einer operativen Reserve für eine Berufsarmee.

In China eine Tradition

Um das Ideal des Bürgersoldaten verfolgen und so entwickeln zu können, dass daraus eine Rekrutierungspraxis in den modernen Armeen wird, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: zum einen das Vorhandensein eines gewissen nationalen Staatsbürgersinns und zum anderen die Erfahrung des Massenkrieges. Kurz nach den Napoleonischen Kriegen war keine dieser beiden Bedingungen wirklich gegeben. In den Jahren nach 1815 gab es weniger große Kriege, die das nationale Territorium bedrohten; und die mit den subversiven Idealen der Revolution assoziierte Idee der Staatsbürgerschaft war noch nicht zur vollen Reife gelangt. Selbst Frankreich, das sich der stärksten Bürgersoldaten-Tradition rühmen konnte, tat sich schwer damit, in Friedenszeiten diese Rekrutierungstechnik anzupassen. Während der Restauration fürchtete die Obrigkeit die großen Bürgerarmeen, und so wurde die Wehrpflicht ab 1818 auf eine kleine Minderheit jeder Altersklasse beschränkt. Unter den Großmächten forderte nur Preußen den Jungen weiterhin die Absolvierung eines Militärdienstes ab. Es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis andere westliche Staaten aus der Notwendigkeit zu einer umfangreichen Mobilmachung heraus wieder auf die Massenwehrpflicht zurückgriffen: während des Sezessionskrieges in den Vereinigten Staaten, als erst die Konföderierten und dann auch die Nordstaaten die Wehrpflicht einführten, und im Deutsch-Französischen Krieg 1870 beim Einmarsch in Frankreich. Preußen ging als Sieger aus dem Konflikt hervor, und in der Folge wurde es von Frankreich und den anderen Ländern imitiert; allgemeiner tendierten die besiegten Staaten dazu, aus den Siegen ihrer Gegner ihre Lehren zu ziehen. Auch außereuropäische Staaten nahmen sich an Preußen ein Beispiel und gaben dafür alte, in ihrer Geschichte verwurzelte Traditionen auf. In Japan beispielsweise führte die Regierung 1873 eine nationale Wehrpflicht ein, die alle Männer zwischen siebzehn und vierzig Jahren dazu verpflichtete, drei Jahre aktiven Wehrdienst und danach zwei Jahre Dienst in der aktiven Reserve zu leisten, gefolgt von weiteren zwei Jahren in der nicht operativen Reserve. Diese Wehrpflicht beendete das Privileg der Samurai, Waffen zu tragen, was im größeren Kontext der Meiji-Revolution zu sehen ist, in deren Verlauf die aristokratische Elite, die Japan regierte, ihren Erbstatus weitgehend einbüßte. Japan zog sogar deutsche Militärberater hinzu, um bei der Umstellung zu helfen. Doch die Kriege machten keine Massenarmeen nötig. Die zahlreichen Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts in Indien und in Afrika wurden auf eine sehr andere Weise geführt, wobei die kolonialistischen Staaten sich vor allem auf die in den Kolonien selbst aufgestellten Truppen stützten, die von Offizieren aus dem Mutterland befehligt wurden. Britisch-Indien zum Beispiel wurde von einer mächtigen, durch die East India Company rekrutierten regulären Armee verteidigt, die zur Blütezeit des britischen Raj mehr als 150 000 Mann zählte. Nur eine Minderheit von ihnen stammte aus England.

Bestimmte asiatische Gesellschaften hatten seit Jahrhunderten auf Bürgersoldaten zurückgegriffen, bevor die imperialen Armeen an ihren Küsten auftauchten. Der Fall des chinesischen Kaiserreichs hilft, daran zu erinnern, dass die Wehrpflicht in Kriegszeiten in Wahrheit wenig mit Moderne oder Demokratie zu tun hat. Praktisch zwei Jahrtausende zuvor hatten die Han- und die Tang-Dynastie umfangreich davon Gebrauch gemacht, natürlich ohne dass diese Entscheidung irgendetwas mit einer staatsbürgerlichen Vorstellung zu tun gehabt hätte. Die Bürgersoldaten wurden Söldnern vorgezogen, weil sie die innere Ordnung weniger bedrohten. Im militärischen System der Han-Dynastie wurden alle zwanzigjährigen Männer für den Militärdienst verzeichnet und konnten in einem Alter zwischen 23 und 56 Jahren für den aktiven Waffendienst einberufen werden. Theoretisch musste jeder Mann jährlich einen Monat Training nach der Ernte absolvieren; darüber hinaus musste er einmal in seinem Leben ein Jahr lang in der Hauptstadt und drei Tage in einem Grenzposten dienen. Mit der Zeit wurde das System brüchig: Immer öfter kam es vor, dass sich die Einberufenen mit klingender Münze freikauften. Dieses außer Gebrauch gekommene System wurde dann im 20. Jahrhundert wiederbelebt: Als China 1937 von Japan besetzt wurde, war eine der ersten Reaktionen der nationalistischen Partei, eine neue Bürgerarmee aufzustellen. Alle Männer von sechzehn Jahren an erhielten die Aufforderung, bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen Einheit von Bürgersoldaten vorstellig zu werden, um dort ein militärisches Training zu absolvieren, das in kurzen Trainingseinheiten zwischen der Ernte stattfand. Ziel des Programms war den Behörden zufolge, das Nationalbewusstsein zu wecken, kriegerische Einstellungen zu fördern und die Männer auf die Einberufung vorzubereiten. Nach 1949 stützte sich das kommunistische China ebenfalls auf eine Wehrpflichtigenarmee. Seiner Ideologie entsprechend griff das Land selbstverständlich auf das eigene Volk, auf Bürgersoldaten zurück, um die Nation gegen imperialistische Angriffe zu verteidigen.

Die Weltkriege, ein Goldenes Zeitalter

Im Verlauf der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts wurden Millionen von Menschen mobilisiert, manchmal binnen kürzester Zeit, was komplizierte Fragen hinsichtlich Gerechtigkeit und Gleichheit aufwarf. Es war das Goldene Zeitalter der Massenbürgerarmeen. 1914 blieben die Nationen noch ihren Traditionen und etablierten Praktiken treu, obwohl sie sich mit einem beispiellosen Rekrutierungsbedarf konfrontiert sahen. In Frankreich wie in Deutschland ließ sich das Modell einer aus Wehrpflichtigen zusammengesetzten Armee durchführen, da die Ideale der Staatsbürgerlichkeit und der Gleichheit hinsichtlich des erbrachten Opfers tief im Nationalbewusstsein verankert waren. Großbritannien hingegen hielt an der Auffassung fest, dass die Wehrpflicht im Wesentlichen eine »kontinentale«, der britischen Militärtradition fremde Praxis sei, die ohne Frage die Kampffähigkeit seiner Armee schwächen werde. Außerdem schien der reine Appell an den Patriotismus zum Erfolg zu führen. Zwischen dem 4. August und dem 12. September 1914, also innerhalb von fünf Monaten, meldeten sich 480 000 Männer, davon allein 33 204 am 3. September, was mehr als dem jährlichen Mittel vor dem Krieg entsprach. Für viele Briten lag der Unterschied zwischen einer Freiwilligenarmee und einer Wehrpflichtigenarmee in der überlegenen Moral der Ersteren. Die zwei großen politischen Parteien des Landes waren sich darüber einig, dass der Freiwilligendienst ein symbolischer staatsbürgerlicher Akt war, den es zu bewahren galt, während der Trades Union Congress, die Dachorganisation der britischen Gewerkschaften, sich gegen jeden Zwang aussprach. Eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten warnte die Regierung, dass Unruhen in Irland ausbrechen würden, wenn London die Wehrpflicht durchsetzte. Zwei Jahre später hatte sich die politische Landschaft radikal verändert: Die ungeheuren Verluste vom Beginn des Konflikts, der Abnutzungskrieg an der Westfront und die monatlich abnehmenden Freiwilligenmeldungen schwächten die Position der Verfechter des freien Willens. 1916 glaubte niemand mehr an den Erfolg dieses Konzepts; die britischen Behörden gaben widerstrebend zu, dass man in einem Krieg solchen Ausmaßes auf eine notgedrungen zwangsweise ausgehobene Massenarmee nicht verzichten und den Militärdienst nicht allein vom guten Willen des individuellen Gewissens abhängig machen konnte. Das sollte übrigens dann für den größten Teil des 20. Jahrhunderts auch nicht der Fall sein.

Die Verpflichtung, seinen Militärdienst zu leisten, ist fast immer auf männliche Bürger beschränkt gewesen, vor allem in den Gesellschaften, in denen die hergebrachten Geschlechterrollen die Aufgabe der Landesverteidigung allein den Männern zuschreiben. In Frankreich beispielsweise versuchten die Jakobiner ausdrücklich, die Frauen von jeder Rolle als Kombattantinnen auszuschließen. Dieser Ausschluss wurde durch die republikanische Tradition in Frankreich fortgeschrieben und wird erst heute mit der zunehmend bedeutenden Präsenz von Frauen in der Armee infrage gestellt (eine durchschnittliche Rate von 10 Prozent im Jahr 2016). In den Revolutionen des 20. Jahrhunderts erwies sich die Zuweisung der Geschlechterrollen allerdings mitunter als flexibel. In Russland schuf Kriegsminister Alexander Kerenski im März 1917 die erste rein weibliche Kampfeinheit, die er dem Befehl Maria Botschkarewas unterstellte und die an ihrem Höhepunkt 2000 Kombattantinnen zählte. Andere ausschließlich aus Frauen bestehende Gruppierungen wurden nach dem Sieg der Bolschewiken im Oktober 1917 geschaffen, und Frauen kämpften auch an vorderster Front im Zweiten Weltkrieg. Zu dieser Zeit war die Rote Armee eine gigantische Wehrpflichtigenarmee mit zwei Millionen Mitgliedern in Friedenszeiten und sechs Millionen zu Kriegszeiten. Doch nach den Säuberungen, die Stalin unter den Offizieren vornehmen ließ, fehlte ihr die Effizienz, und 1940 waren viele ihrer Einheiten nach der Erniedrigung, die sie im Winterkrieg gegen Finnland erfahren hatten, demoralisiert.

Daher wurde eine riesige Rekrutierungskampagne gestartet, bei der sich eine große Zahl an Frauen freiwillig meldete. Im Unterschied zu den Männern wurden sie nie zwangsweise eingegliedert; im Gegenteil stießen viele der Frauen, die kämpfen wollten, zu Hause auf Missbilligung und bei den Offizieren in der Armee und den Repräsentanten des Komsomol auf Zurückhaltung, als es darum ging, ihnen zu erlauben, ihr Leben aufs Spiel zu setzen oder Versehrungen im Kampf zu riskieren. Manchen gelang es dennoch, in die Armee einzutreten, und einige wurden für ihre Leistungen als Pilotinnen, Fallschirmspringerinnen oder auch Scharfschützinnen gefeiert. Doch viele wurden als dienstuntauglich angesehen oder gezwungen, Kompromisse einzugehen und als Krankenschwestern oder Sanitäterinnen zu dienen. Dies entsprach mehr den Absichten des Staates, zumal das allgemeine Wehrpflichtgesetz von 1939 den Wehrpflichtigen als einen »jungen Mann« statt mit einem mehrdeutigeren Wort als »Bürger« definierte. Die angeworbenen Frauen wurden weitgehend auf eine Funktion als Nichtkombattantinnen beschränkt: in der medizinischen Betreuung, als Veterinärinnen oder Technikerinnen. Wie zuvor Frankreich während der Revolution versuchte die Sowjetunion, eine Geschlechtertrennung auf dem Schlachtfeld aufrechtzuerhalten. Aus ihrer Sicht hing die Disziplin davon ab.

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