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Viel Work, wenig Travel – Willkommen in der Villa Kunterbunt (Desirée)

Unser neues Büro
Viel Work, wenig Travel – Willkommen in der Villa Kunterbunt
Dieses dämliche Navi! Wir hätten es wohl doch mal aktualisieren sollen. Jetzt stehen wir mitten in der Pampa und wissen nicht mehr, wo es lang geht. Als wir in Montréal losgefahren sind, war noch alles in Ordnung und der Weg nach Winchester, ein Vorort von Ottawa, ist für kanadische Verhältnisse auch lächerlich kurz. Nur knapp zwei Stunden, in denen man sich allerdings auch kräftig verfahren kann, wie wir soeben feststellen müssen. Auf einmal erkennt unser Navi nicht mehr, wo wir sind und wir selbst wissen es längst nicht mehr. Natürlich versuchen wir erst ruhig zu bleiben, aber es dauert nicht lang und schon entfacht eine hitzige Diskussion. Wie immer bei uns. Aber hilft ja alles nichts. Wir wenden und versuchen unser Hirn ein bisschen anzustrengen. Allerdings tragen auch die französischen Straßenschilder insbesondere zu meiner Verwirrung bei. Westen heißt Ouest und ich verwechsle dies ungünstigerweise immer mit Osten. Nach vierzig Minuten Umherirrens weiß unser sonst immer so treuer Reisebegleiter wieder, wo wir sind und führt uns letztendlich doch verlässlich an unser heutiges Ziel: ein kleines, familiengeführtes Cateringunternehmen auf einer alten Farm in Winchester. Dort werden wir unseren ersten Arbeitseinsatz haben. Wir arbeiten fünf Stunden am Tag, fünf Tage die Woche und werden dafür mit Kost und Logis entlohnt. Gefunden haben wir diese Arbeitsstelle über die Internetplattform „Workaway“. Dies ist ein weltweit agierendes Netzwerk, welches den „Host“ (also Familien oder Unternehmen, die Hilfe benötigen) mit dem „Workawayer“ (Menschen wie wir, die mit begrenztem Budget reisen und Land und Leute kennenlernen möchten) verknüpft. Unser Navi, oder GPS, wie man es hier nennt, zeigt uns an, dass wir in zwei Minuten da sind und auf einmal habe ich Schmetterlinge im Bauch. Was wird uns erwarten? Wie wird unser Zimmer aussehen? Was müssen wir arbeiten? Sind die Leute nett? Sind noch andere Workawayer da? Ich merke, dass auch Daniel leicht angespannt ist, und spontan ergreift mich ein Fluchtreflex. Einfach umdrehen und woanders hinfahren. Aber das geht natürlich nicht, jetzt stellen wir uns der Situation und außerdem sind wir zu zweit und haben uns, egal was uns erwartet.

Die Villa Kunterbunt
Wir sehen bereits von Weitem ein großes Wohnhaus auf einem noch viel größeren Grundstück und daneben eine rote Scheune samt Getreidesilo. Das muss es sein. Wir fahren von der Straße ab auf das Grundstück und parken vor der Scheune. Daniel erblickt schon einen Frauenkopf hinterm Fenster, aber wir orientieren uns erst einmal in Richtung Wohnhaus und klingeln an der Tür. Kurz darauf erhält jedoch das Gesicht, das uns schon aus der Scheune heraus erspäht hat, auch einen Körper und eine kräftige Frau mit braunen Haaren und einem Lächeln im Gesicht kommt über den Hof zu uns herübergeeilt. Wie sich schnell herausstellt, ist sie nicht unsere Gastgeberin Laura, sondern deren Angestellte Dawn. Unsere Gastgeber sind gerade nicht zuhause, aber irgendein anderer Workawayer müsste da sein. Sie führt uns ins Haus und ruft nach Anwesenden. Kurz darauf erscheint eine kleine Frau, in etwa unserem Alter und gemütlicher Kluft, die sich uns als Sabine – ebenfalls Workawayer und ebenfalls aus Deutschland – vorstellt. Dawn verabschiedet sich wieder und Sabine, die nur zwei Tage vor uns angekommen ist, führt uns herum und erklärt uns, wie hier alles läuft. Wir sind etwas geschockt, dass alles so unordentlich und nicht gerade besenrein ist. Hier leben die Eltern, drei Kinder, der Koch aus Mexiko, Hund Charly und jeweils bis zu fünf Workawayer (momentan nur wir drei) unter einem Dach. Kein Wunder, dass es hier etwas drunter und drüber geht. Normalerweise teilen sich die Workawayer gemeinsam mit dem Koch Jhonatan ein großes Loftzimmer, da wir aber ein Paar sind, haben wir das Privileg, ein kleines Privatzimmer bestehend aus Bett, Nachttisch, Kommode und Stuhl zu bekommen. Ähnlich wie in Küche, Wohnzimmer und Flur ist hier alles voller Hundehaare. Unter der Woche versucht die Haushälterin Valerie täglich, dem Chaos halbwegs Herrin zu werden, da heute Sonntag ist, haben Freitagnachmittag und Samstag aber ihre Spuren im ganzen Haus hinterlassen. Wir schließen die Tür hinter uns und ich schaue Daniel ganz unglücklich an. „Hier kann ich nicht bleiben, das ist alles so dreckig.“ Er wirkt auch etwas irritiert, versucht aber mich zu beruhigen und das Problem lieber am Schopfe zu packen. Wir besorgen uns neue Bettwäsche, saugen einmal durch und wischen alle Oberflächen. Schon fühlen wir uns ein klein wenig besser, und kurz darauf kommt auch unsere Gastgeberin Laura nach Hause, gleichzeitig die Chefin des Cateringunternehmens. Mit ihr treten die drei Kinder Ashley, Bennett und Cole in Erscheinung. Ihr Mann Tim ist übers Wochenende mit der freiwilligen Feuerwehr verreist, ihn werden wir also erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Gesicht bekommen. Laura erklärt uns, dass unser Bett keine richtige Matratze hat, sondern eine Luftmatratze, der regelmäßig die Puste ausgeht und wir sie erst einmal aufpumpen müssen. Auch das noch. Den Rest des Tages versuchen wir, so gut es geht, uns einzurichten und haben abends gleich zusammen mit Sabine die Aufgabe, ein bisschen nach den Kindern zu schauen, da Laura ausgeht. Sehr schnell merken wir, dass dies kein leichtes Unterfangen ist. Der Kleinste, Cole, kann mit seinen zwei Jahren natürlich noch nicht richtig sprechen und für uns ist es sehr schwer, das englische Kauderwelsch zu verstehen. Er ist eher jammeriger Natur, weint ständig und trinkt tagaus, tagein nur Milch, bestimmt zwölf Flaschen am Tag. Sein älterer Bruder Bennett, sieben, hat Hummeln im Hintern und muss ständig beschäftigt werden, er ist ein guter Junge, leider aber etwas sehr „aktiv“. Ashley, die älteste unter den Geschwistern, hat es faustdick hinter den Ohren. Sie lässt sich, ganz Mädchen, mit ihren neun Jahren nichts mehr sagen, schon gar nicht von diesen ständig wechselnden Workawayern, und dementsprechend harmonisch verläuft der Abend. Daniel und ich halten uns eher im Hintergrund, denn ursprünglich wurde nur Sabine die Aufgabe zu babysitten übertragen, wir haben noch Welpenschutz. Schnell stellen wir fest, dass auch mit Sabine nicht immer gut Kirschen essen ist. In Feldwebelmanier herrscht sie die Kinder an und lässt sich dann uns gegenüber auf Deutsch lautstark darüber aus, dass das unmögliche Bälger seien. Sie würde diese natürlich ganz anders erziehen. Sabine hat zu fast allen Themen eine sehr starke Meinung, die sie gerne preisgibt und gegen jegliche Argumente verteidigt. Das ist mir alles zu anstrengend, schon früh erkenne ich, dass ich auch hier, ähnlich wie beim Couchsurfen, keine neue beste Freundin gewinnen werde. Als die Kinder vermeintlich und endlich im Bett liegen und schlafen, kümmern wir uns um unser Abendessen. Die Familie lebt, nahrungstechnisch gesehen, von den Resten des Cateringunternehmens. Frisch gekocht wird deswegen nicht, sondern der Kühlschrank ist bepackt mit Aluschalen voller Leftovers, die dann nach Belieben aufgewärmt werden können. Für uns ist es heute am ersten Tag noch etwas knifflig abzuwägen, wie lange was schon im Kühlschrank liegt und so halten wir uns an die Gerichte, von denen Sabine berichtet, sie seien am Vortag bei einem Event gereicht worden. Ich bin ja eine sehr empfindliche Esserin, insbesondere, wenn die hygienischen Zustände nicht meinem gewünschten Standard entsprechen, aber die Speisen sind glücklicherweise genießbar. So geht der erste Tag in Winchester zu Ende, wir verbringen eine sehr ungemütliche Nacht, da wir die Matratze noch nicht aufgepumpt haben, und erscheinen am nächsten Morgen pünktlich um halb neun in der Küche, um zu frühstücken. Jeden Arbeitstag um neun Uhr morgens setzt sich Laura mit uns zusammen, um den Tagesplan zu besprechen, da wollen wir uns vorher noch ein wenig stärken. Als wir die Küche betreten, erwartet uns ein Bild des Grauens: Cornflakes liegen auf dem Boden verteilt, überall steht benutztes Geschirr, Milch tropft vom Esstisch über den Stuhl auf den Boden, eine leere Bananenschale wurde neben dem Herd abgelegt, auf diesem blubbern gerade Käsemakkaroni (was Gesundes für die Schulpause), alles klebt. Wir krempeln also erst einmal unsere Ärmel hoch und beseitigen das Chaos. Wie sich in den nächsten Tagen zeigt, wird das unser morgendliches Ritual werden, denn die Kinder sind es scheinbar gewohnt, dass man ihnen alles hinterher trägt bzw. hinter ihnen her wischt. Als wir mitten im Räumen sind, kommt Gastvater Tim nach Hause. Ein großer und kräftiger Mann mit Glatze. Er begrüßt uns freundlich und hält kurzen Smalltalk. Wir haben etwas Probleme, ihn zu verstehen, aber das ist nicht weiter schlimm, denn die nächsten drei Wochen werden wir kaum noch einen Satz mit ihm wechseln, es scheint, als möchte er mit dem ganzen Workawayerding eher wenig zu tun haben. Er ist auch nur nebenbei im Familienunternehmen zugange, hauptberuflich ist er Koch der kanadischen Regierung, was für uns in starkem Kontrast zu den hygienischen Verhältnissen daheim steht, und somit unter der Woche ganztägig in Ottawa. Aber sei es drum. Wir bedienen uns aus Kühl- und Küchenschrank mit allem, was wir gerne zum Frühstücken hätten und kurz darauf stößt auch Sabine zu uns. Laura hat an der Wand einen Wochenplan hängen, worauf anstehende Events, zu erledigende Aufgaben sowie unsere freien Tage vermerkt sind. Heute steht eine ganz besondere Aufgabe an: Laura hat einen großen Container bestellt und dieser soll mit allem möglichen Gerümpel aus der Garage gefüllt werden. Die Garage ist, wie sich schnell herausstellt, eine Lagerhalle mit Ausmaßen eines halben Fußballfeldes und es scheint, als seien hier in den letzten Jahren (oder Jahrzehnten) munter und planlos immer wieder irgendwelche Dinge abgestellt worden, deren Existenz man dann vergessen hat. Denn es gibt alles doppelt und dreifach, von kaputt bis funktional. Angefangen von der Ausstattung des Cateringunternehmens (Tische, Stühle, Geschirr, Tischdecken) bis hin zu Kinderspielzeug, Fahrrädern, Werkzeug, Gartenutensilien, usw. Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Nun denn, wir krempeln die Ärmel hoch und packen zu viert (Laura, Sabine, Daniel und ich) beherzt an. Dem armen Daniel rutscht gleich in den ersten Minuten ein Tisch auf den Fuß und kurzzeitig sieht es so aus, als sei unser Arbeitseinsatz schon wieder vorbei und der erste Krankenhausbesuch angesagt, aber glücklicherweise ist es dann doch nur halb so wild, wie es aussieht. Ein Indianer (bzw. Native, wie es politisch korrekt heißt) kennt ja auch keinen Schmerz. Der Arbeitsplan für uns Workawayer sieht einen Arbeitsbeginn von 9 Uhr vor. Mittags haben wir eine Stunde Pause und um 15 Uhr ist dann Schicht im Schacht, sofern nicht noch ein Event ansteht.

Glückliche Feierabendgesichter
Ruckizucki ist der erste Arbeitstag auch schon vorbei und wir spüren bereits jetzt den ja ursprünglich so sehr ersehnten Unterschied zwischen Büro- und körperlicher Arbeit. Den Nachmittag, wie auch die meisten folgenden, verbringen wir mit süßem Nichtstun und der Kommunikation mit den lieben Daheimgebliebenen. In der Garage haben wir unter anderem drei Luftpumpen gefunden und so versuchen wir unser Bett flott zu bekommen, was, wie wir nachts feststellen müssen, kläglich scheitert, denn wir fühlen uns wie in einem kaputten Wasserbett. Ab dem nächsten Tag wird die Luftmatratze entfernt und wir bauen uns aus diversen Decken einen Ersatz. Unnötig zu sagen, dass wir während unseres gesamten dreiwöchigen Aufenthalts nicht gerade wie auf Wolken gebettet schlafen.
Die erste Arbeitswoche hält für uns ein Potpourri an Aufgaben bereit. Eine wöchentlich wiederkehrende, und definitiv nicht zu unseren Lieblingen zählende, Tätigkeit ist der Mülldienst. Dienstags wird der Müll abgeholt, allerdings muss er dafür an den Straßenrand transportiert und schlicht hingekippt werden. Klingt einfach, ist es aber nicht. Der im Gastrobereich entstehende Müll sowie der Hausmüll werden in einer kleinen Garage auf einer Art Riesenschubkarre gesammelt. Im optimalen Fall ist das gut ausbalanciert, im Normalfall ist die Karre jedoch viel zu voll, lässt sich kaum noch bewegen, geschweige denn in der Waagerechten halten und so passiert es immer wieder, dass sie kippt und sich die Säcke samt ihrem teils flüssigen Inhalt auf dem Boden verteilen. Dazu riecht die ganze Sache noch sehr unangenehm, so dass sich zwangsläufig ein spontaner Würgereiz einstellt. Hier ist Körperbeherrschung gefragt. Den größten Teil der Woche verschreiben wir uns aber der Gartenarbeit. Für eine bevorstehende Hochzeit müssen Unkraut gejätet, Hecken zurückgeschnitten, Beete neu angelegt, der Teich gesäubert und generell überall aufgeräumt werden. Nach einem Arbeitstag merken wir, dass dies ein größeres Unterfangen ist, da wir uns hier auf einem für Nordamerika typischen Riesengrundstück (es gibt ja so viel Platz) befinden. Also halten wir uns ran, damit zur Hochzeit, und gleichzeitig unserem freien Tag, alles fertig wird. So grooven wir uns in der ersten Woche recht schnell ein und auch für das Essen bekommen wir hinsichtlich seiner Frische ein immer besser werdendes Gespür, stellen jedoch auch nach wenigen Tagen fest, dass in der Cateringküche nicht sehr abwechslungsreich gekocht wird und so ernähren wir uns in dieser Woche überwiegend von BBQ-Hähnchen und Thainudelsalat. Könnte aber auch schlimmer sein.

Thousand Islands
Den ersten freien Tag verbringen wir dann in Kingston, ca. 160 Kilometer von Winchester entfernt. Kingston war einst die Hauptstadt Kanadas, heute ist sie eine charmante Studentenstadt, durch deren zwei Hauptstraßen (Princess Street und Brock Street) man schnell durch gebummelt ist. Wir decken uns bei einer Bäckerei mit Chicken Salad Sandwiches und Zimtschnecke ein und schlendern zum Hafen, wo wir zu einer dreistündigen Kreuzfahrt in Richtung Thousand Islands aufbrechen. Die 1000 Inseln liegen im St.-Lorenz-Strom und sind teilweise schnuckelig klein. So klein, dass meist nur ein Haus oder sogar nur ein Baum darauf steht. Das reicht aber schon, denn um zu den Thousand Islands gezählt zu werden, muss die Insel mindestens einen Baum haben und das ganze Jahr über von Wasser umgeben sein.
Das Wetter ist leider an diesem Tag nicht bilderbuchreif, aber wir genießen die Bootsfahrt und unseren Snack und beobachten unsere Mitreisenden. Es dauert nicht lange, da hören wir unsere Muttersprache hinter uns, angewandt von drei deutschen Mädels, etwa Mitte 20. Wie es dem optimistischen und stets zufriedenen deutschen Naturell entspricht, beschweren sie sich, dass man so wenige kleine Inseln sieht, dass sie ohnehin dachten, die Inseln seien viel kleiner und dass das Wetter ja wohl auch besser sein könnte. Wir geben uns nicht als Landsleute zu erkennen, kuscheln uns aneinander, um nicht zu frieren und hören kurz darauf: „Manno, ich will auch so einen Typ, an den ich mich ankuscheln kann!“ Nach etwa eineinhalb Stunden tauchen dann auch die kleinen Inselchen auf und die deutschen Damen (ich natürlich eingeschlossen) fangen eifrig an zu knipsen und sind zufrieden gestellt. Teilweise stehen hier sehr pompöse Wohnhäuser, aber ehrlich gesagt, wäre es mir zu anstrengend, erst einmal zum Festland zu rudern, um mir abends schnell ein Eis zu holen.
Zurück in Kingston suchen wir einen Pub auf – schließlich ist ja gerade Fußballweltmeisterschaft! Das wahre Schauspiel spielt sich jedoch im Gastraum ab. Ein paar Tische weiter haben sich zwei reifere Damen fest gesessen (oder sollte ich besser sagen fest getrunken?). Die Damen sehen, mit Verlaub, nicht sehr gepflegt aus. Eine hat eine Schiene am Bein und scheut sich nicht, diese(s) offen zur Schau zu stellen und einen weiteren Stuhl damit zu belegen. Die Damen zittern bei jedem Griff zum Glas, sie sind nicht mehr ganz Herr (oder Frau) ihrer motorischen Fähigkeiten. Sie bestellen im Akkord immer wieder dasselbe Getränk: Rum-Cola. Bezahlt wird sofort nach jeder Runde. Das geht so lange weiter, bis der Barkeeper einschreitet und erklärt, dass er ihnen an diesem Tag keine weitere alkoholischen Getränke ausschenken wird. Es geht noch ein bisschen verbal hin und her, da sich die Jüngere der beiden Gedanken macht, sie dürfe nun nie wieder dieses Etablissement aufsuchen. Doch der Barkeeper beschwichtigt sie, ruft ein Taxi und ehe wir uns versehen, verfolgen wir wieder das Fußballspiel und unser freier Tag neigt sich dem Ende zu.
Wo wir gerade beim Thema sind – die Fußball-Weltmeisterschaft. Schon komisch, dass wir dieses Spektakel nicht mit unseren Freunden und Familien in Deutschland gemeinsam verfolgen können. Aufgrund der längengradigen Nähe zu Brasilien erleben wir die Spiele zwar zu gesünderen Zeiten als unsere Leute in Deutschland, aber dennoch, ein bisschen Wehmut spielt mit, insbesondere beim männlichen Part der Reisegesellschaft. Bereits im Vorfeld wurde er etwas pedantisch: Wie ist der genaue Spielplan, wann, wer, wo, gegen wen, wie viel Uhr, welcher Tag und vor allem: Wo wirds übertragen, wird es doch, oder!? Hektisches Googlen, TV-Sender Kanada, da blickt kein Mensch durch … Ah, auf CBC (das ARD/ZDF Kanadas). Jedes Spiel?! Genial! Die absolute Ur-Angst wird ihm also schon mal genommen. Zusätzlich das Wissen im Hinterkopf, dass ARD und ZDF alles live streamen. Stark, mögen die Spiele also beginnen! Dann, wie immer im Sport, kommen jedoch die Nackenschläge. Der Livestream funktioniert nicht im Ausland und der SAT-Receiver in unserem Workawayer-Aufenthaltsraum ebenso wenig. Kalter Angstschweiß steht Daniel auf der Stirn. Okay, Ruhe bewahren, runteratmen. Jetzt heißt es erst mal, dem Arbeitgeber klar zu machen, was so ein World Cup für einen Deutschen überhaupt bedeutet. Verständnisvolle Blicke der Chefin „Oh, the one in Brazil?“. Richtig! Ab jetzt wird es also ernst. Erstens, die Arbeitszeiten an den Spielplan anpassen, was glücklicherweise hervorragend passt (Lunchbreak 12.00 Uhr Spiel 1 – Feierabend 15.00 Uhr Spiel 2 – Richtung Abendessen 18.00 Uhr Spiel 3) und zweitens, die schwierigere Übung, passend dazu jeweils den Familienfernseher zu okkupieren. Mittags kein Problem, wird es dann im Tagesverlauf jedoch schwieriger, wenn die Kids von Daycare und Schule nach Hause kommen und so gerne „Dora, the Explorer“ oder „Modern Family“ schauen möchten. Aber wir arrangieren uns ganz gut und wirklich jedes Spiel muss ja auch nicht geguckt werden, Daniel wird halt im Alter einfach auch lockerer. An unseren freien Tagen finden einige Knaller statt, so schauen wir das Eröffnungsspiel in einer Sportsbar im von Brasilianern schier überschwemmten Ottawa, Italien vs. England in Kingston sowie Deutschland vs. Ghana wieder in unserer Stammbar in Ottawa. Der Worldcup ist hier also wider Erwarten echt präsent. Im Verlauf der Vorrunde bestellt dann unsere Chefin sogar einen neuen SAT-Receiver für unseren Aufenthaltsraum (nachdem Sabine ihr charmant klar gemacht hat, wie wichtig die Fußball-WM für uns Deutsche ist, gleichzeitig aber für Spanien hält, weil das Land es „im Moment ja echt schwer hat“) und ich telefoniere dann sogar mit Peter von Bell in Indien, um die Box freischalten zu lassen. Die ganze Welt zieht also mal wieder an einem Strang und wir (sowie die deutsche Mannschaft) überstehen die Vorrunde unbeschadet.

Daniel vor der Eventscheune
In unserer zweiten Arbeitswoche stehen für uns gleich mehrere Highlights an. Das Cateringunternehmen veranstaltet ein Vatertagsdinner und wir dürfen fleißig in der Küche (in der benachbarten umgebauten Scheune gelegen) helfen beim Zubereiten, Anrichten und Spülen. Es macht Spaß, Teil eines so netten Teams zu sein und im Anschluss sitzen wir alle noch bei einem sehr leckeren Resteessen zusammen. Ich glaube, das ist der Tag, an dem wir das Gefühl haben, bei unserer ersten Workawaystelle so richtig angekommen zu sein. Wir werden sogar am Trinkgeld beteiligt, was nicht die Welt ist, aber dennoch sind wir wahnsinnig stolz. Vom Tellerwäscher zum Millionär – das geht also auch in Kanada ganz einfach, wobei die weitere Entwicklung ja noch abzuwarten ist.
Den absoluten Höhepunkt der Woche stellt jedoch unser Außeneinsatz dar: Für ein Firmen-Lunchevent in Ottawa wurde bei Laura ein Catering bestellt und wir dürfen helfen und sind auf einmal mittendrin im ganz normalen kanadischen Job- und vor allem Gastroalltag. Das Cateringunternehmen verfügt über einen riesigen Grill, den man als Anhänger ans Auto ankuppeln kann und mit dem sollen wir zum französischen School Board in Ottawa. Dort findet in der Mittagspause ein Sommerfest statt. Als wir uns zusammen mit unserer Chefin Laura, der Kellnerin Rebecca und dem Koch Jhonatan auf den Weg machen, sind beide eingesetzten Autos jeweils bis unters Dach beladen mit Coleslaw, Potato Salad, den Zutaten für Caesar Salad, Brötchen, Tischen, Warmhalteplatten und vielem mehr. Kurz nach Abfahrt müssen wir mit einem Auto bereits umkehren, um ein vergessenes Verlängerungskabel einzuladen. Zurück on the road schlägt Laura dann einen falschen Weg ein und wir müssen erneut wenden, um auf die richtige Straße zu kommen. Nur wenige Minuten später fährt das Auto, an dem der Grill hängt, durch ein Schlagloch und die Achse des Grillanhängers bricht. Lauras Mann Tim, der selbst gerade auf dem Weg zur Arbeit in Ottawa ist, wird zur Hilfe gerufen und gemeinsam mit dem mexikanischen Koch versucht er, den Reifen zu wechseln (zu diesem Zeitpunkt geht man noch von einem lediglich kaputten Reifen aus). Vergeblich! Der Grill bewegt sich nicht mehr vom Fleck. Was tun? Irgendjemand kommt auf die glorreiche (und gleichermaßen wahnwitzige) Idee, das Hähnchen am Straßenrand, mitten in der Pampa, zu grillen. Sensationell! Der Koch bleibt also beim Grill und brutzelt das Hähnchen, der Mann von Laura treibt einen Ersatzgrill auf (nachdem Daniel während der gesamten Fahrt nach Ottawa schon per Handy spontan Firmen kontaktieren musste, die eventuell Grille verleihen), der showmäßig beim Event aufgestellt werden kann und auf dem das Fleisch noch einmal aufgewärmt wird und alle anderen (wir plus Laura und die Angestellte Rebecca) fahren nach Ottawa und bauen schon mal das Buffet auf. Der Koch hat aber ja nur noch den Grill und kein Auto mehr, also muss die Küchenhilfe, die in der Eventscheune verblieben ist, ihre Arbeit unterbrechen und ihn dort abholen und nach Ottawa fahren. Irgendwie schafft sie es jedoch, ihre Autoschlüssel im Auto einzuschließen, was die ganze Aktion noch einmal alles andere als beschleunigt. Um 11.30 Uhr sollte der Lunch losgehen. Um kurz vor zwölf Uhr ist der Koch samt Hähnchen da sowie Tim mit dem Ersatzgrill. Glücklicherweise hat die hungrige Meute von all dem Hin und Her nichts mitbekommen und der Kanadier an sich ist ja ohnehin, wie wir immer wieder aufs Neue feststellen, tierisch entspannt. Am Ende des Tages sind wir alle stolz wie Oskar, dass dieser vermeintliche GAU so prima abgewendet werden konnte und selbst Tim findet dankende Worte für uns fleißige Workawayer.
Am nächsten Tag erhalten wir die einmalige Gelegenheit, gleich mehreren Kükengeburten beizuwohnen. Ashley hat in ihrem Zimmer seit mehreren Wochen einen Eierbrutkasten und heute ist es soweit. Nach und nach erschlüpfen sich die kleinen fluffigen Wesen ihren Weg ins Leben. Zumindest ich bekomme echt Gänsehaut beim Beobachten der Eier, die langsam einen kleinen Riss bekommen und dann immer mehr auseinander brechen, bis ein zunächst nackiges, später immer flauschiger werdendes Etwas hinaus hüpft. Man merkt den Küken förmlich an, wie anstrengend dieser Weg für sie ist, denn unmittelbar nach dem Schlüpfen bewegen sie sich erst einmal stundenlang nicht. Insgesamt 15 Küken erblicken an diesem Tag das Licht der Welt und verbringen ihre ersten Tage unter einer Rotlichtlampe.
Da sich die kleinen Piepmätze erst einmal ausruhen müssen, kommen wir in den Genuss, die ältere Generation Hühner, die im Garten gehalten wird, abends in ihr Hüttchen einzusperren und am folgenden Morgen wieder rauszulassen, da unsere Gastfamilie für eine Nacht campen geht. Das ist natürlich auch ein Abenteuer. Man stelle sich zwei Städter vor, die versuchen, möglichst ohne Berührung neun Hühner und einen Hahn zum Einzug in ein kleines Holzhäuschen zu bewegen. Ein Bild für die Götter! Daniel traut sich sogar ein Huhn zu fangen und wirft es, eher halbsanft, in die Hütte. Das kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir kommen dann glücklicherweise auf die geniale Idee, das Essen und das Wasser einfach auch in die Hütte zu stellen et voilà – nach und nach wandern die „dummen Hühner“ ganz von selbst hinein. Klappe zu, Huhn hoffentlich am nächsten Morgen nicht tot. Ganz schön schweißtreibend. Wie wir am nächsten Tag erfahren, hätten wir das aber auch einfacher haben können. Denn wenn man bis zur Dämmerung wartet, wandern die Zweibeiner von selbst in ihr Hüttchen und man muss lediglich die Tür hinter ihnen schließen. Aber diese Erfahrung kann uns nun keiner mehr nehmen.

Der Hühnerdieb
Während unseres Arbeitseinsatzes in Winchester fahren wir, wie bereits erwähnt, auch ein paar Mal nach Ottawa. Dort schauen wir jedoch nicht nur Fußball, sondern erleben wilde Abenteuer, denn gleich der erste Trip führt uns eines Feierabends zum Bayshore Shopping Centre im Vorort Nepean. Eigentlich ein ganz normales Einkaufszentrum, wenn da nicht das Parkhaus wäre, denn dieses bringt uns ganz schön ins Schwitzen. Unser in Nova Scotia erstandenes Auto verfügt über eine (fest verschraubte) Dachbox, dadurch ist der Wagen etwas höher als normale Autos und passt somit auch nicht in jedes Parkhaus, dies bedenken wir bis dahin aber nicht. Das Navi leitet uns zuverlässig zur Mall und bei der Einfahrt in den Parkbereich sehen wir ein Schild, das darauf hinweist, dass nur Autos bis zu einer Höhe von 2,05 Meter hineinpassen. Wie hoch ist unser Auto nochmal? Es will uns nicht einfallen und außerdem haben wir auch keine Möglichkeit mehr zu wenden. Wir fahren also langsam und vorsichtig die Rampe aufs Parkhausdach hoch und streifen „leicht“ das Höhenbegrenzungsschild. Okay, parken, wir haben es geschafft. Doch wie kommen wir hier wieder weg? Die Ausfahrt führt mitten durch das Parkhaus mit abgehängten Decken. Und was dann nach dem Shopping folgt, fällt mal wieder unter die Kategorie „Ehepaar Tischner in seinem Element – ein Bild für die Götter“. Daniel steuert die Karre, ich laufe neben dem Auto her und warne einfühlsam und völlig rational vor jeder niedrigen Decke. Ungefähr so: „Uhhh, ahhh, voooooorsichtig! Langsam, langsam, okay, kannst, kannst, kannst, STOOOOOOPP!“ Wir schaffen es tatsächlich einigermaßen unbeschadet aus dem Parkhaus raus, Dachbox und Parkhausdecke müssen aber etwas leiden. Die genaue Höhe unseres Autos kennen wir immer noch nicht, aber höher als 2,05 Meter muss es sein, so viel steht nun fest. Dieses Problem wird im weiteren Reisejahr noch zu einer Art Running Gag. Es zeigt sich nämlich, dass auf die Höhenangaben bei Parkhauseinfahrten überhaupt kein einheitlicher Verlass ist, wobei die wechselnden Angaben in Fuß und/oder Meter die Verwirrung und Unklarheit noch auf die Spitze treiben. Für die Dachbox muss einfach gelten: Narben machen interessant.

Freier Tag in Ottawa

Parlamentsbibliothek
Nun aber zur Stadt Ottawa: Ottawa ist bekanntlich die Hauptstadt Kanadas und das Parlament bildet das Herzstück der Stadt, thront es doch auf dem sogenannten Parliament Hill und ist somit schon von Weitem zu erkennen. Im Regierungsviertel erinnert Ottawa tatsächlich ein bisschen an Berlin und multikulti ist es, wie alle kanadischen Großstädte, die wir bisher auf unserer Reise besucht haben, auch. Aber es ist im Gegensatz zu unserer Hauptstadt gemütlich, klein und übersichtlich. Alles Sehenswerte ist innerhalb weniger Minuten zu Fuß zu erreichen. Im Parlament werden kostenlose Führungen angeboten und diese Gelegenheit lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Unser Guide heißt Julie. Sie führt uns extrem kurzweilig und humorvoll durch die heiligen Hallen, zumindest durch die Bereiche, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Besonders eindrucksvoll ist die Bibliothek, die die Parlamentarier nutzen können, um sich auf ihre Sitzungen vorzubereiten. Bei einem Brand im Jahr 1916 ist das Parlament zerstört worden, mit Ausnahme der Bibliothek, die erhalten geblieben und wirklich wunderschön ist. Nach der Führung haben wir die Möglichkeit, in den Peace Tower hinaufzufahren, wo wir eine beeindruckende Sicht über Ottawa, seine Umgebung und sogar bis Québec (die Provinz beginnt direkt am anderen Ufer des Ottawa River) erhalten.

Schleuse zum Rideau Canal
Anschließend laufen wir über den Rideau Canal zur Cathédrale Notre-Dame d‘Ottawa, in der es herrlich ruhig ist und die über mehrere Ebenen verfügt. Es gibt prachtvolle Marmorsäulen, eine blau-goldene Sternendecke und viele weitere liebenswerte Details zu bewundern. Nachdem wir auch diesen Programmpunkt abgehakt haben, versorgen wir uns im nahe gelegenen Byward Market mit monströs anmutenden Mohn- und Schokoschnecken und folgen einer Empfehlung meiner Mutter, indem wir eine geführte Rundfahrt auf dem Rideau Canal unternehmen. Der Rideau Canal ist eine künstlich angelegte Wasserstraße zwischen Ottawa River und Lake Ontario, die zu Zeiten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges zum geheimen und somit geschützten Transport aller möglichen Güter genutzt wurde. Wir gleiten auf dem idyllischen Kanal entlang, lauschen den bemüht lustigen Kommentaren der Maus am Mikrofon und genießen den Müßiggang.

National Gallery of Canada
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