Kitabı oku: «Im wilden Balkan», sayfa 6
FÜNFTES KAPITEL
AUSFLUG VON SALONIKA ZUR VERFOLGUNG VON RÄUBERN
Da ich voraussetze, dass der Leser genug von Klephten und Armatolis gesehen habe1, so will ich ihn nicht durch die piërischen Gebirge2 führen, sondern ihn bitten, nach dem Schluss des vorigen Kapitels über sechs Wochen hinwegzuspringen und sich zu vorzustellen, dass er an einem hellen sonnigen Septembernachmittag, der schon etwas von der Hitze, aber nichts von dem Glanz der Sonnenstrahlen im Hochsommer verloren hatte, im Schatten einer Platanengruppe sitzt, die die Gräber vor dem östlichen Tor von Salonika überdeckt. Während der Leser dort unter dem schönen Laubdach die Erquickung einer Pfeife oder einen Nargileh3 und die Kühlung des sich eben aus den Fluten erhebenden Seewindes genießt, wird er aus den Toren der alten Mauern einen bunten und fröhlichen Haufen von Reisenden kommen sehen, die längs der Bucht fortreiten, um ihre Schritte in die kaum besuchten Gegenden von Südmakedonien zu lenken.
Der Vorderste in dieser Gruppe ist ein Surridschi oder Fährtensucher, dessen Anzug aus einem ganzen Haufen schmutziger Lumpen zusammengesetzt scheint, die aber nicht ohne ein Ansehen von Lebhaftigkeit und Anmut seiner Person angepasst sind, als ob ein Künstler hätte zeigen wollen, wie viel Malerisches sich aus Flicken machen lasse. Ein schmutzig aussehendes Handtuch ist rund um eine Kappe gewunden, die einmal rot gewesen ist, und die ehemalige Stickerei der Fransen baumelt um seinen Nacken und hebt die Hindu-Züge, die sie beschattet, denn der Surridschi ist ein Zigeuner. Eine enge, ärmellose, dem Körper angepasste Jacke und eine Oberjacke, deren Ärmel von den Schultern herabfallen, geben den genauen Umriss seiner Brust; die weiten Ärmel seines Hemdes, aufgeschürzt über den Schultern, lassen seine derben, bronzefarbigen Arme und Nacken entblößt; ein anderes Handtuch ist eng um seine Hüften gegürtet, darunter bauscht ein Paar weiter Beinkleider, die durch kurze Steigbügel an dem hohen Sattel zusammengehalten werden und in den Zierklappen enden, die über seine Reisestiefel herabhängen. Doch während die Zierde geblieben, ist das Nützliche verschwunden, und die nackten Zehen drängen sich unten durch die Stiefel und die Schaufel-Steigbügel. Der Surridschi führt immer die Vorhut, indem er den Halfter des Pack- oder Leitpferdes oder mehrerer Pferde hält. Unmittelbar nach ihm kommt der Tatar oder Führer, wer es auch sein mag, immer dazu bereit, dem zaudernden Pferd oder dem widerspenstigen Surridschi einen Peitschenhieb zu verabreichen. Dann folgen die Herren von Rang.
Diesmal war es kein Tatar, der den Packpferden folgte, sondern zwei höher stehende Personen, wie man an den silbernen Knöpfen ihrer Kavasch-Stäbe1 sehen konnte, die mehr oder weniger auf den Hälsen ihrer Pferde lagen. Dabei hatten sie die Stäbe durch die Sattelgabel gesteckt, also in den freien Raum zwischen Sattel und Pferd.
Thessaloniki (um 1830)
Mit Ausnahme des durch die einfache rote Mütze ersetzten Turbans trugen sie das alte türkische Kostüm: gestickte Westen und Jacken mit offenen oder hängenden Ärmeln und den prunkenden, nicht unzierlichen Schalvar2; Pistolen und Yatagan3 im Gürtel, den Säbel an einer rotseidenen Schnur über die Schulter geschlungen; abermals Pistolen aus den Halftern hervorragend; vom Sattelknopf eine Muskete an der einen Seite herabhängend und ein langes Tuchfutteral für die Pfeife an der andern. Aber das Verzeichnis ihrer Ausrüstung ist noch nicht vollständig. Zwei silberne Patronentaschen waren hinten festgeschnürt, durch einen Gürtel um den Leib, und von diesem hing ein kleiner Kasten herab mit Fett für ihre Waffen, Feuersteinen und Werg; wohlgefüllte Tabakbeutel aus gesticktem Tuch oder Samt baumelten an ihren Schenkeln, und ein eng gerollter Mantel war hinter den Sattel geschnallt. Hinter ihnen kam etwas dem Osmanen Ähnliches, das auf einem grauen Maultier ritt, und daneben ritt ein Franke, mit knapper Jacke und Mütze aus blauem Tuch und engen Duckhosen1, die in Ermangelung der Strippen sich rund um das Knie hinaufgerollt hatten. Die Prozession wurde durch zwei Griechen und zwei türkische Diener vollzählig gemacht. Das graue Maultier war Aristoteles, aber ich war nicht der Franke.
Es war meine Absicht gewesen, von Salonika nach Monastir2 zu reisen. Der Weg war offen, und da von der Reise weder Schwierigkeiten noch Gefahren irgendeiner Art zu erwarten waren, so verringerte sich meine Sehnsucht, Monastir zu sehen. Der Blick, den ich vom Olymp auf den Athos geworfen hatte, hatte meine Gedanken auf den „Heiligen Berg“ gerichtet. Die Berichte, die ich in Salonika von dem zerrütteten Zustand dieses Bezirks vernommen hatte, und die allgemeine Meinung der Vizekonsuln in Salonika, es sei nicht geboten, ihn aufzusuchen, führten mich allmählich gerade zu dem Entschluss, den Athos zu besuchen, und es bedurfte nur des folgenden Vorfalles, um mich zu bestimmen, meine Pilgerfahrt auf den Hagion Oros, den Heiligen Berg, anzutreten.
Mit einem griechischen Boot erreichte den englischen Konsul ein Brief von einem Schiffskapitän in der Nähe mit dem Hinweis, es heiße, dass ein von Mitylene nach Salonika bestimmtes griechisches Boot mit zwei Engländern an Bord im Golf von Salonika von einem griechischen Seeräuberboot genommen worden sei; dass einer der Engländer ermordet sei und der andere wegen des Lösegeldes gefangen gehalten werde und gegenwärtig auf einer kleinen Insel im Golf des Berges Athos sei, die die Griechen Amiliari, die Türken Eski Adasi nennen. Hierauf ersuchte der Konsul den Pascha, Schritte einzuleiten, um der Sache auf den Grund zu gehen und den Engländer zu befreien. Der Pascha erklärte grob, er wüsste nichts damit anzufangen, und kaum hatte ich die Geschichte erfahren, da vermutete ich, die unglücklichen Reisenden könnten Freunde von mir sein, und ich entschloss mich dazu, ohne Verzug aufzubrechen, zumal ich dachte, dass ich durch mein Çatir, also meine Einflussmöglichkeiten1 bei den Klephten, die Befreiung des Überlebenden leicht erwirken könnte. Da dies einmal so festgesetzt war, erklärte der Pascha, er würde mich nicht unbegleitet reisen lassen, sondern ein Paar Kavasche sollten mich nach Kassandra2 bringen, wo ein griechischer Kapitano von Einfluss wohne, der nebst dem türkischen Statthalter angewiesen werden solle, die Schritte zu tun, die ich für zweckgemäß halten würde; auch sollten Boote und Leute zu meiner Verfügung gestellt werden. Nur wenige Stunden, nachdem die Nachricht eingetroffen war, ritt die oben beschriebene Prozession aus dem Tor von Salonika. Der mich begleitende Franke war ein Kaufmann, der Geschäfte in Kassandra hatte und die Gelegenheit wahrnahm, dorthin zu gelangen.
Bitola
Der Distrikt, den ich jetzt zu besuchen mich aufmachte, stand an Interesse kaum hinter Thessalien oder dem Olymp selbst, weil er seit vielen Jahren nicht weniger unbesucht war von Reisenden und dennoch interessante und anziehende Gegenstände der Forschung darbot in seiner natürlichen Schönheit, in seiner sonderbaren geographischen Bildung und in der Geschichte und dem Verhältnis zweier der außerordentlichsten Gemeinden im ganzen Orient. Sowohl Athen als auch Sparta hatten diese Gegend zur Gründung wichtiger Kolonien gewählt, und hier wurde bei mehr als nur einer Gelegenheit das Schicksal des Peloponnes entschieden. Von hier holte man das Metall für die schönen makedonischen Münzen, die des Liebhabers Kabinett schmücken und ohne die die Schlachten am Granicus1 und bei Arbela2 nie gewonnen wären, ohne die eine griechische Flotte nicht den Indus befahren, noch ein Aristoteles die Naturgeschichte Mittelasiens in ein System gebracht hätte. Hier musste man die Schlacken der seit langer Zeit kalten Hochöfen des Panagaios3 suchen, hier die seit langer Zeit stummen Haine von Stageira4; hier musste man nach dreißig Jahrhunderten den noch immer bezweifelten Zug der Flotten des Xerxes suchen oder sehen. Doch auch an Gegenständen von mehr unmittelbarem Interesse fehlte es nicht. Die Mönchsregel des Athos erregt die Aufmerksamkeit eines jeden, der an all den mit dem griechischen Glauben und Namen verknüpften ausgedehnten Verbindungen Anteil nimmt, und die politischen Einrichtungen der blühenden Gemeinden, die man die Mademo Chória5 nennt, sind ganz dazu geeignet, das Interesse eines jeden in Anspruch zu nehmen, der nach dem Zustand und den Aussichten des Osmanischen Reiches forscht oder der sich überhaupt um Regierungskunst bekümmert.
Hier kann man überdies die Wirkung sehen, die der griechische Aufstand auf jene Provinzen ausübte, die seinem ursprünglichen Entstehungsort so fern waren. Der Berg Athos, durch seine mächtige geistliche Organisation in unmittelbarer Berührung mit Griechenland einerseits und mit Russland andererseits, jagte die umliegenden Gegenden in einen plötzlichen und verzweifelten Aufstand, während kein unmittelbarer Druck die Tat rechtfertigen, keine Aussicht auf Erfolg die Täter entschuldigen konnte. Die blühenden Gemeinden der Mademo-Chória sahen ihre übertriebenen Erwartungen zugleich mit ihrer wirtschaftlichen Blüte vernichtet; ihre bis dahin friedlichen Flecken wurden Aschenhaufen. Zehn Jahre lang ist die Chalkidike mit seinen drei Vorgebirgen den Klephten und den Piraten eine Beute zu Lande und zu Wasser geworden, und noch im gegenwärtigen Augenblick ereignen sich dort dieselben Auftritte der Anarchie und Unordnung, denen in den westlichen Provinzen erst so spät ein Ende gemacht wurde.
Wir sollten die erste Nacht in Battis schlafen, einem Dorf zehn Meilen von Salonika. Die Gegend rund umher, von der Küste bis zu den Hügeln im Norden, schien abscheulich und unfruchtbar; Gras und Gesträuche waren zu sandgelber Farbe versengt, und der Boden selbst war heller, sandiger Ton. Etwa zwei Meilen von Salonika lag ein Hügel von glänzendem Grün, mit Weingärten bedeckt. Jenseits davon, längs der abfallenden Hügel, die sich nördlich vom Golf ausdehnten oder sich vor und in das Vorgebirge von Karaburnu1 erstreckten und einen weiten durchbrochenen Halbkreis bildeten, konnte man nur drei Tschiftliks oder Pachthöfe, ein einziges gut aussehendes Haus und ein Dorf links vom Weg unterscheiden, das durch einen Anflug von Zypressen und ein verfallenes Minarett die Augen auf sich zog.
Sieben Meilen von Salonika kamen wir in eine schmale Ebene, deren Küste den inneren Winkel oder die Biegung des Golfes von Salonika bildet, und durch diese Eben kriecht der Schabreas1 dahin. Sie ist drei Meilen breit und berührt etwa fünfzehn Meilen nach Nordosten durch die Gebirge schon Chalkidike, in ihrer ganzen Ausdehnung nur eine ununterbrochene Steppe verwelkten Grases darbietend. Die einzigen Beweise dafür, dass sie für Menschen bewohnbar sei, waren zwei Scheunen, ein Bauernhaus neben dem Weg und in weiter Ferne auf den Seiten der Hügel ein Dorf und ein Weiler. Und dennoch ist es erst neun Jahre her, dass diese Aussicht, auf die ich nun blickte, mit dem Namen der „Dörfer“, also der Mademo-Chória, bezeichnet wurde.
Als wir unseren Weg längs der Küste der kleinen Ebene hinwanderten, amüsierte ich mich über ungeheuer große Büffel, die wiederkäuend im Meer lagen, so dass nur ihre ungelenken Köpfe aus dem Wasser hervorragten. Ihre Schnauzen waren dem Seewind zugewendet, und die spielenden Wellen brachen sich daran. Als wir den langen niedrigen Hügel hinaufritten, der die östliche Seite der Ebene des Schabreas bildet, blickten wir hinab auf die weißen Mauern und Minaretts von Salonika mit den ankernden Schiffen. Es lag nichts Malerisches in den hingestreckten Linien der nackten Dünen und Hügel, und dennoch, mochte es nun von der Fremdartigkeit der Aussicht oder der frühlingsgleichen Wirkung der Abendluft herrühren, es lag etwas sehr Angenehmes, etwas Szenisches und Traumartiges darin. Kaum aber hatten wir den hügeligen Grund erstiegen, als wir, wie gewöhnlich, den aus den Ebenen verschwundenen Anbau wieder fanden. Wir waren hier geschützt von dem so schädlichen Anblick der Landstraße – und Weingärten und Felder mit Baumwolle, Mais und Sesam lachten nun um uns her.
In dem einst beträchtlichen Dorf Battis befanden sich zwanzig Häuser mit Dächern; sie waren indes emsig beim Bauen und bedienten sich alter hellenischer Felsblöcke als Steinbruch; zu meinem Entsetzen sah ich die Bruchstücke einer Bildsäule von griechischen Händen in einem Kalkofen zerstampft werden.1
Das Landvolk hierselbst bietet einen auffallenden Kontrast mit dem in Thessalien. Die Leute haben ein gesundes Aussehen und freundliche Gesichter und sind zierlich gekleidet in weiße Jacken und Schürzen, ganz wie bei den Albanern, aber ohne ihre übermäßige Weite; ihre Turbane, Gürtel und andere Teile ihres ganz weißen Anzuges sind kunstvoll in viereckige Flächen bestickt, ganz wie die Schals. Dies Dorf ist ganz griechisch. Diese Beschreibung würde auf die türkischen Bauern nicht passen, die ich in fast allen Teilen Makedoniens entschieden den Griechen nachstehend getroffen habe. Ganz allgemein gesagt, der griechische Bauer verkommt in Asien, der türkische in Europa, d.h., wo sie in Berührung kommen, verlieren beide ihren Wert: So ergeht es den Türken in Berührung mit den Europäern und den Europäer unter den Türken. Beide Systeme, wenn nebeneinander gestellt und nicht unter der Aufsicht eines Geistes, der beide begreift, richten sich gegenseitig zu Grunde. Der moralische Charakter beider geht verloren, meiner Meinung nach infolge der Verwirrung äußerer Zeichen oder überkommener Laute, durch welche sich die Menschen ihre Gefühle mitteilen. Verschiedenheit der Sprache macht wenig aus, wenn Sitten und Ideen dieselben sind. Bei verschiedenen Sitten, Ideen und Sprachen aber kann es Menschen nicht gelingen, zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen; böser Wille und Hass sind das Ergebnis eines Verkehrs ohne gegenseitige Übereinstimmung und Achtung.
Als die Sonne unterging, wurde mir mein Abendessen in einen jener einfachen, aber köstlichen Kiosks gebracht, die nur aus einem Dielenboden mit einem Geländer rund umher bestehen, auf einer Anhöhe, sechs bis fünfzehn Fuß hoch auf Pfählen ruhend, mit strohbedecktem Dach, zu denen man auf einer Leiter hinaufsteigt.
Dort saß ich und sah die Sonne untergehen hinter dem Olymp, der seine breiten Schatten auf die thermaïsche Flut warf, und als die Strahlen nicht mehr auf die weißen Mauern von Salonika fielen, stiegen sie von Gipfel zu Gipfel auf den Bergen von Mygdonia1, deren höchster Kamm noch in den Abendstrahlen glänzte, die schon vor zwanzig Minuten für Salonika verschwunden waren. Als die Sonne weg war, wurde der Seewind frischer, und es wurde kühler als eben angenehm war. Ich hatte den ganzen Morgen unter der Sonne geglüht, indem ich meine eiligen Reiseanstalten traf. Die plötzliche Veränderung und das Frösteln der Atmosphäre brachte mich ebenso plötzlich auf den Gedanken, mit der Zeit Rechnung zu halten und, wie mit etwas Vergangenem, mit dem Jahr abzurechnen, dessen Flucht unbeachtet entschlüpft war. Meine Tage, Stunden und selbst Minuten waren so vollständig in Anspruch genommen, seit zum letzten Mal der Saft in die Bäume getreten war, dass ich niemals Zeit dazu gehabt hatte, an die Zeit zu denken. Der Lauf der Zeit schien verlängert durch die Ausdehnung des Raumes, den ich überschritten hatte, durch das Interesse und die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, welche meine Aufmerksamkeit beschäftigten. Betrachtete ich aber die Zeit eben als Zeit, so schien sie so kurz geworden zu sein, als überschritte sie kaum das Maß eines Monats oder von vierzehn Tagen. Nun aber erinnerte mich das plötzliche Frösteln, das mich bewog, den Mantel fester umzuziehen, dass fast ein ganzer Umlauf der Jahreszeiten vollendet war, dass wir bald einer neuen Ziffer bedürften, um das Weltalter zu bezeichnen. Es liegt etwas das Dasein so Umfassendes in der Verbindung der Gedanken mit den Sachen, des inneren Gemüts mit der äußeren Natur, dass man mit Dankbarkeit und Vergnügen auf den Plätzen verweilt, die solche Verbindungen hervorriefen. Mit solch einem Gefühl erinnere ich mich an die Plattform im Dorf Battis, wo, auf die Weinberge umherblickend, die ihrer errötenden Last beraubt waren, auf das mit herbstlichen Farben zart gefärbte Laub ich mich zur Untersuchung und Musterung meines eigenen inneren Wesens wandte. Während ich von draußen den Schauer des herannahenden Winters fühlte, lauschte ich drinnen dem Bedauern gleich unwiederbringlicher Gelegenheiten und Stunden und fasste für die Zukunft vielleicht nicht weniger vergebliche Entschlüsse.
Dieses Dorf hatte früher Yussuf Pascha1 gehört und war durch die Einziehung seines Vermögens in die Hände der Regierung gekommen, welche ein Zehntel vom Bruttoertrag bekommt. Jeder männliche Erwachsene hat dreißig Piaster, oder etwa zehn englische Schilling, Karaç2 zu bezahlen und jede Familie fünfzig Piaster Agalik für die Kosten der Lokalverwaltung. Außerdem aber sind in Folge der Not oder der Unordnung der Zeiten willkürliche Kontributionen erhoben worden, die sich für jedes Vierteljahr auf dreißig Piaster für jede Feuerstelle beliefen, was im Jahr fast ein Pfund Sterling für jede Familie ausmacht, wobei die Ärmeren weniger, die Reicheren mehr bezahlen. Die Leute sagten, sie hätten sich über ihre Steuern und Abgaben nicht zu beschweren, aber sie würden heftig bedrückt durch die griechischen Klephten, durch die Passagen der Agas aus Albanien – und ferner durch eine von der Gemeinde früher eingegangene Schuld, um eine Wasserleitung zur Bewässerung ihrer Felder zu erbauen. Diese Schuld betrug 2000 Pfund mit einem Zinsfuß von zwanzig Prozent. Das Dorf hatte die Schuld gerade vor dem Ausbruch der griechischen Revolution aufgenommen, als es 280 Häuser zählte. Damals rechneten sie darauf, in anderthalb Jahren alles bezahlt zu haben, aber in der Zwischenzeit ereignete sich der Aufstand des Berges Athos, und dies Dorf fiel als erstes Opfer. Es war mehrere Jahre ganz verlassen geblieben, jetzt sind sechzig Familien zurückgekehrt; andere wären schon längst wiedergekommen und manche würden noch jetzt kommen, gäbe es nicht jene Schuld, die natürlich noch auf der Gemeinde lastet, obgleich die Zinsen für die letzten zehn Jahre vom Gerichtshof zu Salonika gestrichen sind und die Münzverschlechterung die ursprüngliche Schuld bedeutend verringert hat. In der Tat würde ohne diese Münzverschlechterung der größte Teil des infolge der griechischen Revolution verheerten Landes jetzt eine Einöde sein.
Von Battis nach Kardiá sind es zehn Meilen. Der Weg führt über eine wellenförmige Gegend1, niedrige Bergspitzen dicht neben uns bildeten in der Regel den Horizont links, rechts darüber hinaus und zwischendurch bot sich uns immer der Anblick des Golfes und des Olymps, der sich am gegenüberliegenden Ufer anscheinend in zwei majestätischen Massen erhob. Weiter hinab konnten wir durch die Ausdünstungen des schwülen Tages noch Ossa und Pelion unterscheiden. Die Gegend wurde nun unfruchtbar und abschreckend; früherer Anbau hatte die Wälder vernichtet, spätere Brände der Schäfer hatten das Unterholz zerstört und die Jahreszeit hatte das Grün des niederen Grases verwischt. Zur Linken ließen wir Adalu liegen, ein türkisches Yürük-Dorf1 von dreißig Familien. Auch diese Leute waren dem gemeinsamen Geschick des Bezirkes erlegen, zu dem sie gehörten. Nach dem griechischen Aufstand war das Dorf mit den anderen den Flammen übergeben worden. Die Bewohner kehrten aber bald zurück und befanden sich jetzt wieder in derselben Lage wie vor dem Aufstand.
Kardiá ist ein Tschiftlik oder Pachthof des Achmet Bey von Salonika. Es ist ein eingefriedeter Raum von 120 Quadratschritten, umgeben mit Bauernhäusern, Scheunen, Ställen und so fort, obgleich jetzt fast alles in Trümmern liegt. Vor dem Aufstand arbeiteten die Bewohner mit zehn Joch von vier Ochsen, jetzt haben sie nur vier Joch von zwei Ochsen. Das Pachtsystem ist weder das des französischen Maiers (métayer) noch das der englischen Pacht (rent), insofern diese Ausdrücke überhaupt auf griechische Worte und Gebräuche passen, wonach der Gewinn zwischen Pächter und Verpächter geteilt wird. Zuweilen liefert der Pächter Arbeit, Vieh, Gerät und Saat; zuweilen liefert der Verpächter das eine oder das andere; wer aber auch die verschiedenen Anteile an Vieh oder Arbeit trägt, der erhält in dem ihm zustehenden Verhältnis Anteil am reinen Ertrag, der jedem Zweig der Ausgabe zugedacht ist. So liefert hier zum Beispiel Achmet Bey alles, man könnte also glauben, dass die Bauern gedungene Leute und der Pächter ein Aufseher gewesen. Aber dem war nicht so; der Pächter und die Bauern hatten zweiundzwanzig Prozent vom reinen Ertrag, die sie so unter sich teilten, dass der Pächter sieben Prozent bekam, da ihm die Bewirtung der Gäste zur Last fiel; die übrigen fünfzehn wurden nach Verhältnis der Arbeit, die jede Familie leisten konnte, unter die Bauern verteilt. Die Art der Verteilung ist folgende: Der Ertrag wird in Einheiten von 110 Maß geteilt, wovon die überzähligen zehn Maß als Saatkorn für das nächste Jahr abgesondert werden; zehn werden abgesondert zum sogenannten Spahilik, dem Zehnten für den Kriegsdienst, im vorliegenden Falle war Achmet Bey selbst der Spahi; zehn für Zabitlik oder Agalik, also die Ausgaben der lokalen Verwaltung; zweiundzwanzig für die Arbeit, so bleiben 58 Teile von 110 als Gewinn übrig. Hätte das Kapital den Pächtern gehört, so wären noch 35 mehr für sie abgegangen, was 23 Prozent vom Ertrag als Pachtzins übrig gelassen hätte. Der Aufseher erzählte mir, dass nach Abzug aller Unkosten der Eigentümer bis zum Betrag von zehn Pfund für jedes Paar Ochsen gewinne.
Überall, wo man im Morgenland einen Blick auf die Fundamente wirft, wird man auf die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Materials gestoßen, aus dem sie verfertigt sind. Wie groß auch die vorherrschende Unwissenheit sein mag, wie sehr zurück auch die so wichtige Wissenschaft und Praxis des Landbaues, wie sehr die Rohheit des Ackergerätes zu beklagen ist und der Mangel an verbesserten Transportmitteln, wie viel besitzen diese Menschen nicht doch an der beständigen Verbindung des gegenseitigen Interesses; nirgends ist Arbeit vom Tagelohn abhängig und nirgends ist das Wohlbefinden der Gemeinde von dem der einzelnen Mitglieder unabhängig. Glücklicherweise gibt es hier keine Gesetze, die sich in menschliche Interessen und das Gewerbe mischen, und deshalb haben die Orientalen keine Philosophen, die über die moralischen, gesellschaftlichen und politischen Übel schwatzen, die aus solchen Gesetzen entstanden sind.
Der Kiaja1 des Pachthofes erkundigte sich sehr gründlich nach unserer Art und Weise, Butter und Käse zu bereiten, und ich gab mir beträchtliche Mühe, ihm dieselben begreiflich zu machen. Er drang in mich, nächstes Jahr wieder zu kommen, um zu sehen, welche Fortschritte er gemacht haben würde.
Butter und Käse sind fast im ganzen Orient in Folge des Gebrauchs von Schafs- und Ziegenmilch schlecht, die man erwärmen oder kochen muss, um den Rahm zum Steigen zu bringen. Zuweilen machen sie sogar die Milch sauer, um Butter zu gewinnen, und in der Regel wird von der so behandelten Milch Käse gemacht. Unsere Art, Butter aus Rahm von kalter Milch zu machen, kommt von der frühen Verwendung der Kuhmilch, die die Orientalen nicht hatten – meiner Meinung nach wegen eines den orientalischen Rindern eigentümlichen Grundes, den Leute verstehen werden, die sich in Indien aufhielten. Diesem Gebrauch der Kuhmilch muss man jedoch die Vortrefflichkeit unserer Butter zuschreiben – und letzterer womöglich die besondere Betonung des Frühstücks und Abendbrotes in England, die sich mit dem Gebrauch der Butter auch auf andere Länder erstreckte.
Es war ein Festtag – das Fest der Hagia Lechousa2, und obwohl nicht genügend Leute vorhanden waren, um lustig und lärmend zu sein, so waren sie doch alle dazu angekleidet und bedauerten sehr, dass sie nicht in Salonika wären, wo sich an diesem Tag alle Bauern aus der Umgegend versammeln, in ihren bunten und lebhaften Trachten umherziehen und tanzen und singen – wie ihre Genossen in England am Maitag. Aber keine ländliche Luft oder einfache Freude kann die allmähliche Verwischung der Nationaltracht eines Bauernvolkes überleben, und wenn jemals die Bauern in Kardiá Tuchhosen und Gingham-Unterröcke1 anziehen, so werden sie das Tanzen und die Lechousa-Tage den Schornsteinfegern überlassen (jetzt in England die einzigen Leute mit originellem Kostüm), oder denjenigen, die Schornsteinfeger wären, gäbe es Kohleflöze in Rumili.
Die weibliche Tracht ist überall verschieden. Hier trugen sie kleine Zylinder auf den Köpfen, eine Form aus Pappe, deren oberer Teil mit Teig und der untere mit Baumwolle gefüllt war; darüber ist ein weißes Tuch gebunden, das über die Schultern fällt, für ein hübsches Gesicht ein keineswegs unpassender Putz.
Den größten Teil des Tages brachten wir in Kardiá zu, so dass es Abend war, bevor wir nach Sufular, einem nur drei Meilen entfernten Dorf aufbrachen. Die Aussicht war nunmehr offen, fiel zur See hin ab und dehnte sich nordwärts zu den einst wegen ihrer reichen Metallvorkommen berühmten Hügeln, zwischen denen die 360 Dörfer liegen, die unter dem Namen der Mademo-Choria und Sidero Karpos bekannt sind. Noch aber traf das Auge nichts als gelbe Unfruchtbarkeit, und keine Spur, kein Baum, kein Felsstück unterbrach die sanft wogende Oberfläche, bis wir das Dorf Sufular zu Gesicht bekamen. Dort sahen wir drei große viereckige Türme, einen zertrümmerten; es waren Metochien, das heißt den Klöstern gehörige Pachthöfe, die in kleiner Entfernung voneinander auf der nackten Ebene zwischen uns und der See standen. Kein Gesträuch oder Mauer schien in der Nähe, sie standen einsam, Überresten aus einem früheren Zeitalter gleich. Die Landschaft war eine seltsame Zusammenstellung großer, ungemischter Farbflächen: der gelbe Boden, der sich unter und um uns erstreckte – jenseits lag die tiefblaue See – hinten erhoben sich braune Hügel und in der Nebelferne jenseits des Golfs graue Hügel. Keine Gegenstände füllten den Grund oder brachen die Umrisse, keine Tinten mischten oder verschönten die Farben; die Landschaft sah aus wie eine Tafel aus eingelegtem Marmor.
Bald nachdem wir Kardiá verlassen hatten und wir auf den Kamm eines Hügels kamen, stießen wir plötzlich auf eine Gruppe von neun Bauern, die sich im Kreis Arm in Arm gefasst hatten und zusammen tanzten oder vielmehr sprangen zu dem Klang eines Dudelsacks, den der mitten im Kreise stehende Musikant spielte. In dieser Landschaft, die einer Studie der alten Florentiner Schule so ähnlich sah, schienen diese bunt angekleideten, am Hügelabhang tanzenden Bauern eine Gruppe von Peruginos Muse, die eben aus dem Rahmen gesprungen war. In Sufular hielten wir an, um unser Abendessen einzunehmen, was wir unter einem Maulbeerbaum taten, im Licht von Spänen harziger Pinien, die auf einem eisernen Dreifuß brannten, und während meine Gefährten sich niederlegten, um eine Stunde zu rasten bis der Mond aufginge, hatte ich ein Plauderstündchen mit meinem Tagebuch. Aber ich werde mich niemals wieder unter einem Maulbeerbaum in der Nähe eines Bauernhofs setzen. Es gibt ein kleines Insekt, das eine gleiche Vorliebe für zweifüßige Tiere hat, mögen sie befiedert sein oder ungefiedert, und das die Stelle, wo das Federvieh nistet, zu einer gefährlichen Nachbarschaft macht. Vier Stunden nach Sonnenuntergang waren wir wieder auf dem Marsch, bei hellem Vollmond, und in zwei Stunden befanden wir uns auf der Stelle von Potídaia1, das jetzt Porta heißt, dem Eingang auf einer schmalen Erdenge zur Halbinsel, die früher Pallenai hieß und jetzt Kassandra genannt wird.2 Ein Wall mit Türmen erstreckt sich von einer Küste zur anderen, und beim Mondlicht konnten wir die rechtwinkligen Meißelarbeiten der hellenischen Blöcke erkennen, die einstmals diese blühende und kriegerische Stadt verteidigten. Der Aga verließ sein Bett, um uns zu empfangen. Es wurde Kaffee bestellt und zuerst meinen Kavaschen angeboten, die ich mit meiner zunehmenden Kenntnis der Etikette bis dahin in ihrer gebührenden Stellung hatte halten können. Ich stand auf, verließ den Kiosk, und es wurde mir Kaffee im offenen Hof bereitet und dargeboten. Der Aga kam bald und setzte sich unter mich und wurde dort von meinem Diener bedient. Als nachher die Kavaschen ihr Bakschisch holen wollten, gab ich ihnen nichts.
Nachdem wir die Halbinsel betreten hatten und drei Stunden lang durch Gebüsch und ein weitläufiges Holz junger Pinien gezogen waren, erreichten wir eine Anhöhe, wo bebautes Land und Felder sich vor uns ausdehnten und uns der toronaïsche Golf1 zu Gesicht kam. Der Morgenstern glänzte über dem hohen Land des Vorgebirges von Sithonía; der Kegel des Berges Athos konnte im Nebel unmittelbar unter dem Stern erkannt werden – zwischen dem dunklen Umriss von Sithonía und dem roten Streifen des östlichen Horizontes, dessen warme Tinten sich auf der glatten Oberfläche des dazwischen liegenden Meerbusens wiederholten. Der Vordergrund und die Wälder von Pallenai zur Rechten waren mit Silberglanz gefärbt von dem kalt strahlenden Mond hinter uns, der vor dem anbrechenden Tag erbleichte, aber noch mit seinen Purpurstrahlen kämpfte.
1 Hier als Sammelbegriff für schwadronierende Gruppen verwendet, die unter Waffen stehen und die während des griechischen Unabhängigkeitskampfes auch als reguläre Truppen dienten [Red.].
2 Gebirgsmassiv im Nordwesten des Olymp [Red.].
3 Wasserpfeife [Red.].
1 Ein Kavasch ist hier der Anführer einer militärischen Wacheinheit [Red.].
2 Pluderhose [Red.].
3 Türkisches Krummschwert [Red.].
1 Eine wattierte Männerhose [Red.].
2 Heute Bitola in der Republik Makedonien [Red.].
1 Das Wort ist eigentlich unübersetzbar. Seine Bedeutung wird sich später ergeben, wenigstens soweit sie einem Europäer verständlich ist, das heißt bei Leuten, die konsequenterweise den Handlungsspielraum in einer bestimmten Situation eingebüßt haben.
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