Kitabı oku: «Seewölfe Paket 13», sayfa 27
5.
Mehr als drei Stunden lang knüppelte Kruger die Galeone durch die See und den dichten Nebel, ohne Rücksicht darauf, daß sich in diesem zähen Brei auch ein anderes Schiff befinden konnte.
Das Feuer war verstummt, der Wind hatte ein wenig nachgelassen, und Kruger wechselte erneut den Kurs.
„Was glaubst du“, fragte er van Hall, „werden die Türken wohl annehmen, welchen Kurs wir laufen?“
Van Hall befühlte die Blutkruste in seinem Gesicht, die ihm eine zersplitterte Planke gerissen hatte. Die Stelle war heiß und brannte, und bevor er antwortete, fluchte er unterdrückt.
„Die nehmen an, wir laufen nach Osten und drehen dann auf Südost oder Süd. Daher werden sie uns den Weg nach Süd verlegen, um unseren Kurs zu schneiden.“
„Genau das befürchte ich auch. Da jagen fast ein Dutzend Schiffe hinter uns her. Ich glaube, wir gehen direkt auf Westkurs und lassen sie an uns vorbeilaufen.“
„Das kann nicht dein Ernst sein, Henk! Wir laufen doch genau in die Schiffe hinein.“
„Unser Risiko ist, daß wir mit einem der Türken kollidieren können, aber das ist kaum wahrscheinlich. Die haben sich zum größten Teil schon selbst aus den Augen verloren. Wenn wir in nur einer Schiffsbreite an ihnen vorbeigehen, sehen sie uns nicht. Aber damit werden sie nicht rechnen.“
„Vielleicht hast du recht, vielleicht ist das wirklich unsere letzte Rettung.“
„Klar, wir halten auf die Ostküste von Zypern zu und gehen dicht unter Land. Die Türken vermuten uns auf der syrischen Seite und segeln gestaffelt weiter, wenn wir aus dem Nebel raus sind. Wenn wir jetzt aber kreuzen und auf West gehen, tun wir das Beste. Später, wenn es aufklart, können wir uns immer noch an die syrische Küste schleichen und dort verstecken. Laß anbrassen, jetzt sofort!“
Van Hall wandte sich ab, als er noch einmal Krugers Stimme hörte.
„Da ist noch was“, sagte er. „Wenn wir auf Gegenkurs liegen, dann gibt’s ein Fäßchen allerfeinsten Genever.“
Auf der „Goekoop“ wurde gearbeitet, bei totaler Finsternis, ohne großen Radau. Die Holländer kannten ihr Schiff und fanden sich auch nachts blind zurecht. Diesmal vergaßen sie sogar das Fluchen, denn sie dachten daran, daß es weit zu hören war und Türken herbeilocken konnte.
Etwas später segelte die holländische Galeone kreuzend gegen den Wind, und es gab pausenlos Arbeit. Ein Kreuzschlag nach dem anderen erfolgte, in dichtem Nebel, der mitunter so kompakt war, daß man die Hand nicht mehr vor den Augen sah.
Einmal hörten sie es leise rauschen, und jeder hielt unbewußt den Atem an, denn das Rauschen ertönte von vorn und wurde stärker. Das Geräusch ließ sich nicht genau definieren, denn der zähe Nebel brachte die Töne aus verschiedenen Richtungen heran.
Kruger zitterte nicht, er blieb die Ruhe selbst, obschon sie jeden Augenblick krachend mit einem Türken kollidieren konnten. Er behielt auch den Kurs bei und verließ sich auf sein Glück, das ihn seit dieser weihnachtlichen Niederlage durch die Türken nur sehr selten verlassen hatte.
Lauschend standen sie an Deck. Das Rauschen schwoll an, es kam aus der Richtung Westnordwest, das war jetzt deutlich zu hören.
Es mußte sich um einen der türkischen Nachzügler handeln, der den anderen nachsegelte.
Dann erreichte das Rauschen seinen höchsten Punkt, und jeder glaubte, er könne den Türken mit den Händen greifen, so dicht segelte er vorbei.
Das einzige, was sie hörten, waren ein paar undeutliche Stimmen, zu sehen war absolut nichts. Dann verschwammen auch diese Töne, das Rauschen wurde leiser und verstummte schließlich.
Henk Kruger grinste.
„Die sind alle an uns vorbeigelaufen, und das war vermutlich der letzte von ihnen, wenn ich die Zeit ausrechne, die wir bis jetzt gebraucht haben. Der war verdammt dicht dran, dieser Gülgül.“
Er lachte laut und ließ sich von Zantkuyl eine große Muck Genever geben, die er ansetzte und gierig in einem Zug schluckte. Dann wischte er zufrieden mit dem Handrücken über die Lippen.
„Jetzt können wir ihnen unbesorgt hinterhertrotteln“, sagte er. „Das werden sie erst recht nicht vermuten. Also rum mit dem Bock. Solange wir in dieser Brühe stecken, können mich die Gülgüls mal.“
„Ist das nicht noch ein bißchen zu früh?“ fragte Zantkuyl.
„Am liebsten würde ich in dem Geschwader mitsegeln“, sagte Henk verwegen, „und die Burschen ordentlich zum Narren halten. Aber man soll den Teufel nicht versuchen und sein Glück nicht mit Gewalt herausfordern. Hinterher jetzt, los! Ab mit euch, dreht den Arsch nach Norden, ich habe es mir anders überlegt.“
Die „Goekoop“ wechselte wieder den Kurs, bis sie auf Süd lag und den Türken langsam auswanderte, wie es schien.
Jetzt, als nicht mehr viel zu befürchten war, begannen die Piraten damit, Trinksprüche auf Henk Kruger auszubringen. Sie ließen ihn hochleben, denn nur seiner Schläue und Gewitztheit hatten sie es zu verdanken, daß ihnen die Türken diesmal nichts abschnitten. Und so soffen sie auf ihren verwegenen Kapitän, und stießen immer wieder Hochrufe aus, und es erklang: „Alles van die beste!“
Das heißt soviel wie Prost auf Holländisch.
Aber noch waren sie nicht ganz in Sicherheit.
Kurz vor dem ersten Morgendämmer wurde der Nebel dünner und trieb in langen Schleiern auseinander. Als die Sonne aufging, sah Henk Kruger zum erstenmal die Schäden, die die Türken ihnen zugefügt hatten.
Die „Goekoop“ sah aus wie nach einem Enterkampf. Der Besan war nur noch ein zersplitterter Stumpf, in den meisten Segeln gähnten Löcher, das Achterdeck war aufgerissen, in den Fockmast war eine Kugel gedonnert und hatte große Brocken herausgefetzt, und die anderen Decks sahen aus, als hätten hier die Vandalen gehaust.
Auch das Schanzkleid war auf beiden Seiten beschädigt. Die Beiboote waren sie ebenfalls los.
Unrasiert und leicht übernächtigt, inspizierte Henk sein Schiff und fluchte von vorn bis achtern, als er die Bescherung sah.
Ein paar seiner rauhen Kumpane sahen ähnlich aus wie das Schiff. Sie waren ziemlich lädiert, und als er die Kerle durchzählte, da fehlten acht Mann, die entweder gleich von den Türken erschlagen worden waren, oder die sie lebend erwischt hatten.
„Fangt gleich mit der Arbeit an“, sagte er. „Bessert die Schäden aus, so gut es geht. Wo ist der Zimmermann?“
„Bei den Türken“, antwortete einer, „der sägt jetzt die Bretter für die Särge.“
„Dann geht es auch ohne. Den Mast können wir nicht ersetzen, aber Planken haben wir. Strengt euch an, so wie wir jetzt aussehen, sind wir nicht mal gefechtsfähig.“
Um sie herum war das Wasser „sauber“. Von der Türkenflotte war kein einziges Schiff mehr zu sehen, und so gingen die Kerle auch willig an die Arbeit. Sie schufteten mit verbissenem Eifer, um die Galeone wieder herzurichten.
Zwei neue Segel, die sie einem anderen Handelsfahrer abgenommen hatten, wurden angeschlagen. Die durchlöcherten verschwanden in der Last und sollten gelegentlich mal geflickt werden. Einer der Piraten, der sich ein wenig auf die ärztliche Kunst zu verstehen glaubte, nahm sich die Verwundeten vor, aber seine Künste waren so gefürchtet, daß die meisten freiwillig darauf verzichteten, sich behandeln zu lassen. Lieber wuschen sie ihre Wunden mit Seewasser aus und verbanden sie mit alten Lappen.
So war jeder beschäftigt, auch die Verwundeten packten mit an und schufteten, während die „Goekoop“ langsam weiter nach Süden segelte.
Bis zum Mittag ging alles gut. Dann alarmierte Henk Kruger ein Ruf aus dem Mars, und der klang nun wirklich nicht streng vorschriftsmäßig.
„He, ihr Torfköppe! Backbord achteraus krebst ein Türke. Steht schon halb unter der Kimm!“
Henk Kruger zuckte zusammen. Der vermeintliche Türke versetzte ihn augenblicklich in Aufregung, und so klemmte er das Spektiv in den Hosenbund und enterte in den Großmars auf, wo der Ausguck stand.
„Türke?“ fragte er gallig. „Woher willst du Windelnässer wissen, daß es ein Türke ist?“
„Nehm ich an, weil wir ja vor ihnen ausgerückt sind.“
„Quatsch, das ist kein Türke“, sagte Kruger, nachdem er lange durch das Spektiv geblickt hatte. „Nein, das ist kein Gülgül“, wiederholte er nachdenklich. „Das ist ein Dreimaster, und der Teufel soll mich am Spieß braten, wenn das nicht dieser wahnwitzige Kerl ist, den sie hier den verrückten Giaur aus England nennen.“
Aufgeregt versuchte er, Einzelheiten zu erkennen, bis er seiner Sache ganz sicher war.
„Was ist nun?“ fragte der Ausguck.
Aber Kruger gab ihm eine so ordinäre Antwort, daß der rauhbeinige Pirat zusammenzuckte und dem abenteuernden Kapitän verdutzt nachblickte.
„Zantkuyl, van Hall!“ brüllte Kruger, als er wieder an Deck stand. „Laßt augenblicklich die Arbeiten einstellen. Da segelt dieser Kerl, von dem wir schon so oft gehört haben.“
„Welcher Kerl?“ fragte van Hall.
„Der ist uns doch an der Südküste der Türkei schon ein paarmal genau beschrieben worden. Ein schwarzhaariger Riese, der furchtlos zwischen dem Golf von Antalya und Adana die tanzenden Derwische des Barabin auseinandergenommen hat. Dieser höllische Engländer hat Schätze an Bord, das weiß ich genau, jeder behauptet es. Und diese Burschen werden wir uns jetzt kaufen.“
„Wie willst du denn mit diesem wracken Schiff ein Gefecht durchstehen?“ fragte Zantkuyl höhnisch. „Der schießt uns doch zusammen, bis uns kein Stiefel mehr paßt. Laß es bleiben, Henk, den Burschen sind wir nicht gewachsen. Du hast doch gehört und selbst gesagt, wie sie den Derwischen zugesetzt haben.“
Kruger sah den breitschultrigen Mann mit den weizenblonden Haaren fast verächtlich an.
„Glaubst du Dummkopf eigentlich, ich wüßte nicht, in welcher Lage wir uns befinden, he? Die schnappen wir mit einer List und nicht mit unseren Kanonen. Nur so kriegen wir sie.“
„Und wie wollen wir das anstellen?“
Statt einer Antwort blickte Kruger wieder durch das Spektiv.
„Kein Zweifel, das ist die englische Galeone“, murmelte er zufrieden. Erst dann wandte er sich wieder den beiden zu. „Wie wir das anstellen? Ganz einfach. Wir spielen die Überfallenen, und so ähnlich sehen wir ja auch aus. Du selbst siehst aus wie ein dreckiges blutverschmiertes Schwein, und ich habe auch etwas abgekriegt. Unser Schiffchen sieht ebenfalls schlimm aus, und so geben wir vor, von den Türken ausgeplündert worden zu sein. Wir bitten sie um ein wenig Proviant und ärztliche Hilfe, und wenn sie an Bord erscheinen, hauen wir sie zusammen. Vorher werden wir noch ein paar scheinbar Verletzte und Tote auf den Decks postieren, und die springen dann auf und greifen an.“
„Alle werden wohl kaum bei uns an Bord erscheinen“, gab Zantkuyl zu bedenken.
„Natürlich nicht, du Strohkopf. Es langt doch, wenn es nur ein paar sind. Sie haben ohnehin nicht viele Leute, das weiß ich. Aber wenn wir ein paar von ihnen haben, sind die anderen geschwächt. Wir könnten sie entweder als Geiseln gegen die Schätze tauschen oder das Feuer auf den Engländer eröffnen. Das muß erst die Situation selbst ergeben, denn wir wissen ja nicht genau, wie sie reagieren werden.“
„Hm, dein Plan ist gut, Henk. Hoffentlich segeln die Kerle nicht achtlos an uns vorbei.“
„Das werden wir ja bald wissen.“
Mittlerweile wurden die Arbeiten eingestellt und die Piraten über das Vorhaben unterrichtet. Schon jetzt schlichen sie mit Leidensmienen an Bord herum, und ein paar stinkfaule Burschen legten sich auf die Planken und spielten tote Männer. Die Kerle mit den blutverkrusteten Gesichtern hüteten sich, ihre Visagen zu waschen, denn so sah alles viel echter aus.
Kruger kontrollierte noch einmal alles und fand es in Ordnung.
Jetzt blieb nur noch zu hoffen, daß die Engländer wirklich nicht achtlos an ihnen vorbeisegelten.
Kruger ließ die Flagge der Sieben Provinzen setzen. Dann lauerte er wie eine Spinne im Netz auf ihr Opfer.
Anfangs bereitete es den Seewölfen Vergnügen, daß sie verfolgt wurden, denn der Verfolger war zweifellos der merkwürdige Delphin des Händlers Ibrahim.
Hasard vermochte sich beim besten Willen nicht vorzustellen, daß das Tier die „Isabella“ so anziehend fand. Daher wurde sein Blick immer nachdenklicher, und er legte sich eine kühne Theorie zu.
Das Tier zog spielerisch und mit hohem Tempo an der „Isabella“ vorbei, sprang mit einem wilden Satz aus dem Wasser, gab die kullernden und kekkernden Geräusche von sich und umkreiste das Schiff immer wieder in einem weiten Bogen.
Dann schoß es pfeilschnell im Kielwasser der „Isabella“ davon, kehrte nach einer knappen Stunde aber zurück und setzte das lustige Spiel fort. Gleich darauf verschwand der Delphin wieder, und diesmal blickte Hasard ihm vom Großmars aus nach. Seine Bahn war schnurgerade und führte in die Richtung, aus der sie hergesegelt waren. Dann verlor er das gesellige Tier aus den Augen.
„Wir haben einen Fühlungshalter“, sagte er zu den erstaunten Männern auf dem Achterdeck. „Ja, ihr könnt ruhig grinsen, ich nehme es nicht übel, aber es gibt keinen Zweifel, daß der Händler dieses Tier für seine Zwecke mißbraucht.“
„Ein Delphin als Fühlungshalter?“ fragte Dan O’Flynn ungläubig. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Was man noch nicht erlebt hat, kann man sich auch nur schwer vorstellen“, sagte der Seewolf ernst. „Aber es gibt einwandfreie Anzeichen dafür, daß der Delphin uns folgt und dann wieder zurückschwimmt.“
„Aber wie soll das vor sich gehen?“ fragte Ben Brighton. „Das läßt sich doch kaum verwirklichen.“
„Ihr wißt, daß der Delphin so gut dressiert und abgerichtet ist, wie ich noch keinen gesehen habe. Ibrahim schickt ihn los und bleibt mit seiner Feluke immer hinter der Kimm, so daß er für uns unsichtbar bleibt. Seine winzige Verbindung zu uns ist eben dieses Tier. Ich weiß zwar nicht, wie er fertigbringt, ihn auf unsere Spur zu setzen, aber er schafft es jedenfalls und hat seine Tricks. Der Delphin kehrt zurück und zeigt ihm den Weg. Für ihn ist diese Strecke eine lächerliche Distanz, denn er bewegt sich zwanzigmal schneller durchs Wasser als wir. Und er nimmt stur den Kurs zurück, den wir bereits zurückgelegt haben.“
„Wenn das wirklich stimmt“, sagte Ben, „dann bereiten wir der ganzen Sache doch einfach ein Ende. Sobald er wieder aufkreuzt, ziehen wir ihm eins mit der Drehbasse über, und dann ist Ibrahim seinen Fühlungshalter los.“
Die Zwillinge, die das hörten, waren sofort empört.
„Dieses liebe und verspielte Tier wollen Sie abknallen, Mister Brighton?“ rief Hasard junior. „Der ist ja schon fast wie ein Mensch.“
„Der Delphin kann nichts dafür, wenn der Händler ihn mißbraucht“, schaltete sich nun auch Philip ein. „Der weiß bestimmt nicht, was er tut.“
„Nein, auf den Delphin schießen wir nicht“, sagte auch der Seewolf sehr bestimmt. „Gerade diese Tiere scheinen eine gewisse Intelligenz zu haben, und es geht mir gegen den Strich, auf diese freundlichen Meeresbewohner zu feuern.“
„Du mußt es ja wissen, Sir“, sagte Ben. „Später, wenn dieser lausige Händler uns überlistet hat, werden wir sicher bereuen, nicht auf den Delphin gefeuert zu haben.“
„Wir kennen das Geheimnis der Feluke“, entgegnete Hasard. „Und wir sind auf diesen schlitzohrigen Händler eingestellt. Er weiß nicht, daß wir es wissen, und aus diesem Grund wird es ihm auch nicht mehr gelingen, uns zu übertölpeln. Das habe ich schon einmal betont, falls du dich erinnerst.“
Hasard sah nach den Flögeln. Die „Isabella“ lief wieder gute Fahrt, seit sie die Kalme hinter sich hatten, und so hatten sie sich eine Menge Knochenarbeit erspart.
„Von nun an werden wir wenigstens immer wissen, wo die Feluke steht“, sagte Hasard zur Verblüffung der anderen. „Der Mann im Ausguck wird mit einem Spektiv darauf achten, wann der Delphin achteraus wieder auftaucht. Dann loggen wir unsere Geschwindigkeit, und die des Delphins, falls uns das gelingt. Aber annähernd läßt sich das schon schätzen. Er umkreist uns, kehrt zurück und erscheint wieder. Anhand der Zeit können wir die Strecke errechnen. Das wird für dich eine prächtige Aufgabe sein, Dan. Du rechnest doch so gern.“
„Mann, das ist ein Ding“, sagte Big Old Shane staunend. „Eine verdammt gute Idee.“
Der Delphin blieb jetzt ein regelmäßiger Gast, und Hasards Theorie hatten sich alle anderen längst angeschlossen. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie es hier mit einem fast menschlichen Fühlungshalter zu tun hatten, der schnell heranjagte, das Schiff ein paarmal umkreiste und dann pfeilschnell wieder zurückschwamm. Dort wurde er wahrscheinlich jedesmal mit einem Fisch belohnt, und der Delphin mochte es vielleicht als ganz bequem empfinden, die Futtersuche los zu sein.
Doch etwas später konnten sie sich nicht mehr um ihn kümmern, denn weit voraus wurde ein Schiff gesichtet, das die Flagge der Sieben Provinzen führte. Ziemlich angeschlagen, soweit man das von hier aus beurteilen konnte, trieb es mit nur ganz wenigen Segeln in der See.
6.
Es war ungefähr auf der Höhe des fünfunddreißigsten Breitengrades, wo die viermastige Galeone trieb.
Durch das vergrößernde Spektiv ähnelte sie einem Totenschiff, denn an Deck zeigte sich kein Leben, auch stimmte die Segelstellung nicht mit dem Kurs überein.
Dem Viermaster fehlte der Besan, eine Rah war zersplittert, das Schanzkleid aufgerissen, Planken zerfetzt und verbogen. Kurzum, das Schiff der Sieben Provinzen befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand.
„In einen Sturm kann es nicht geraten sein“, sagte Dan O’Flynn. „Der zertrümmert ein Schiff anders. Die Holländer scheinen Piraten in die Hände gefallen zu sein, oder sie haben sich in einem Gefecht mit jemandem angelegt, der ihnen überlegen war.“
Hasards Mißtrauen war wieder erwacht. Immer, wenn ihnen Schiffe dieser Art begegneten, hatte er ein ungutes Gefühl, und auch den anderen erging es so.
Aber der Seewolf wollte sich nicht dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung aussetzen. So beschloß er, wenigstens bis auf Rufweite an die halbwrakke Galeone heranzusegeln. Es war immerhin möglich, daß jemand Hilfe brauchte, genauso wie es möglich war, daß sich das alles nur als Falle entpuppte.
„Wir gehen bis auf Rufweite heran“, sagte er. „Dann sehen wir ja was es mit der Galeone auf sich hat. Pete, du drehst nachher so, daß wir parallel an dem Schiff vorbeilaufen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte der Gefechtsrudergänger Pete Ballie, und wiederholte den Befehl noch einmal.
Die Segelflächen wurden verkleinert, so daß die Fahrt rapide zurückging. Pete Ballie drehte bei, und die „Isabella“ trieb jetzt langsam in einem Abstand von sechzig, siebzig Yards auf Parallelkurs dem Holländer entgegen.
Das Schiff sah wirklich zum Fürchten aus. Überall waren schwere Kugeln eingeschlagen und hatten große Verwüstungen angerichtet. Aus der Nähe sah es noch schlimmer aus. Selbst das Achterkastell war aufgerissen, und um die Schäden auszubessern, bedurfte es schon einer Menge Arbeit.
„Verwundete und Tote an Deck!“ brüllte Matt Davies aus dem Großmars, der es aus seiner luftigen Höhe besser und deutlicher als die anderen erkennen konnte. „Aber ein paar leben noch!“
Als hätte die Stimme sie herbeigezaubert, erschienen drei abgerissene Gestalten auf der Kuhl des Holländers.
Eigentlich müßten sie uns längst gesehen haben, dachte Hasard, aber anscheinend war das nicht der Fall gewesen, denn die drei Männer, grobschlächtige Kerle, schienen außer sich vor Freude zu sein. Sie umarmten sich, schlugen sich auf die Schultern und winkten herüber, dabei riefen sie gleichzeitig um Hilfe.
„Was ist passiert?“ rief Hasard auf Englisch.
Auf Englisch mit dem harten holländischen Akzent wurde ihm auch geantwortet. Als die „Isabella“ noch etwas dichter an dem Holländer vorbeiglitt, sah er die Gesichter der drei deutlicher, und er sah auch, daß an Deck viele Verwundete lagen und einige sogar tot zu sein schienen.
Er fragte sich allerdings mit gesundem Mißtrauen, warum man die Toten nicht über Bord gegeben hatte, wie das üblich war.
„Bitte, helfen Sie uns, Mijnheer!“ schrie der größte der drei Kerle zurück. „Segeln Sie nicht vorbei, ich bin der Kapitän dieses Schiffes, und wir leiden bittere Not.“
Einige der Gesichter waren blutverkrustet, wie Hasard deutlich sah. Selbst der Kapitän hatte einen gehörigen Teil abgekriegt, das sah man an seinen verschrammten Wangen und dem dunkel angelaufenen rechten Auge.
„Was denkt ihr darüber?“ fragte Hasard.
„Sieht wirklich ernst aus“, meinte Dan O’Flynn. „Ich würde ihnen Hilfe geben, unter der nötigen Vorsicht allerdings.“
„Selbstverständlich würde ich auch helfen“, sagte der ehemalige Schmied von Arwenack Castle. „Aber ich würde nicht an Bord anlegen, sondern ein Boot schicken.“
Das Ganze sah verblüffend echt aus, denn die Verwundeten dort drüben erhoben und bewegten sich. Manche von ihnen sanken ermattet wieder an das zersplitterte Schanzkleid.
„Hören wir erst einmal weiter, was sie zu sagen haben.“
Hasard wandte sich wieder dem Holländer zu.
„Wir werden Ihnen helfen“, sagte er. „Was ist passiert?“
Kruger lehnte sich ans Schanzkleid der Kuhl, legte seine Hände auf den teilweise zerschmetterten Handlauf und sagte, während die „Isabella“ ganz langsam vorbeitrieb: „Ich bin ein holländischer Kaufmann, Mijnheer. Vor fast drei Tagen haben uns die Türken aufgebracht und ausgeplündert, wir hatten gegen die Übermacht keine Chance. Ich möchte Sie bitten, wenigstens die am schlimmsten verletzten Männer zu versorgen, falls das möglich ist. Unseren Feldscher haben die Kerle umgebracht. Und dann, wenn es nicht zu unverschämt ist, bitten wir um ein klein wenig Proviant, Sir. Wir haben nichts mehr an Bord, nur noch ein paar Fässer Trinkwasser.“
„Wann haben euch die Türken überfallen?“ wollte der Seewolf wissen. „Heute morgen?“
„Schon vor drei Tagen, Sir. Seitdem treiben wir dahin und haben Hunger. Wir wissen wirklich nicht mehr weiter, und ihr seid die einzigen, die uns noch helfen können. Wir sind nicht einmal in der Lage, das Schiff zu steuern, denn fast alle sind schwer verwundet.“
„Habt ihr auch Tote an Bord?“
Beinahe hätte Kruger sich verraten, denn er nickte schnell, hob dann aber beide Hände in die Höhe. Er fiel auf die harmlos gestellte Frage nicht herein, denn auch er sagte sich, daß man Tote nicht drei Tage lang an Deck liegen lassen würde.
„Wir haben sie über Bord gegeben, Sir, wie sich das für einen Christenmenschen gehört, aber es sterben immer noch einige, weil wir keinen Feldscher haben.“
Da die „Isabella“ immer noch langsam weitertrieb, humpelte der Holländer den Niedergang hinauf zum Achterdeck, damit die Verständigung besser klappte.
Die Kerle kriechen auf den Leim, dachte er zufrieden, die werden mir die Hilfe nicht verweigern.
Die beiden anderen, van Hall und Zandkuyl, gingen mit. Sie sahen dreckig und verlottert aus, und auch einer der Verletzten erhob sich und schrie um Hilfe.
„Segeln Sie nicht vorbei, Sir!“ flehte der Kapitän. „Haben Sie ein Herz, lassen Sie uns nicht verhungern. Sehen Sie uns an, sehen Sie das Schiff an, wir sind am Ende.“
Hasard musterte noch einmal die abgerissenen, verlotterten und unrasierten Gestalten. Nein, ihnen Hilfe verweigern, das konnte er vor sich selbst nicht verantworten, das ging gegen seine Natur. Er hatte sogar den Spaniern geholfen, als sie geschlagen und total entwürdigt zurück in ihre Heimat segelten.
„Gut, wir lassen ein Boot zu Wasser!“ rief er hinüber. „Wir werden euch Proviant und unseren Feldscher mitbringen. Wie steht es mit den Wasservorräten?“
„Vielen Dank, Sir!“ brüllte Kruger und umarmte mit gespielter Herzlichkeit den neben ihm stehenden Schlagetot van Hall, der krampfhaft bemüht war, ein dankbares Grinsen auf seine Visage zu zaubern.
„Wasser haben wir noch genug, Sir, das hatten die verdammten Türken selbst, es reicht noch eine Weile.“
Die „Isabella“ war jetzt am Heck des Holländers vorbeigeglitten und dümpelte ganz schwach in der See. Der Wind hatte ebenfalls abgeflaut, aber dadurch, daß auf dem Holländer noch ein paar Fetzen an den Rahen hingen, holte das Schiff unmerklich wieder auf.
Der Seewolf achtete jedoch genau darauf, daß die „Isabella“ immer den nötigen Abstand hielt.
„Laßt das kleine Boot zu Wasser“, sagte Hasard. „Der Kutscher geht mit hinüber, er soll auch den Proviant aussuchen und zusammenstellen und seinen Zauberkasten mitnehmen. Zuerst sehen wir uns das Schiff aus der Nähe an, danach holen wir den Proviant, es sind ja nur ein paar Yards.“
„Und wer geht mit?“ fragte Ben.
Der Seewolf überlegte nicht lange. Alle seine Männer waren gut, aber er wählte bewußt die aus, die notfalls am härtesten zuschlagen konnten, und das waren Shane, Carberry natürlich, Smoky, der Decksälteste, der seine Fäuste und Schlagkraft immer wieder unter Beweis gestellt hatte, und Batuti.
Natürlich fehlten noch einige, die genauso hart waren, so Ferris Tukker, aber den wollte er an Bord zurücklassen, falls die Kanonen besetzt werden mußten. Schließlich nahm er auch noch Matt Davies mit, den grauhaarigen harten Kämpfer mit der Hakenprothese, und Blacky.
Einschließlich Hasard und dem Kutscher, der sich um die Verwundeten kümmern sollte, waren es acht Mann, mehr als ein Drittel der Besatzung.
Der Kutscher hatte schon seine Kiste mit Arzneien, Kräutern, Mixturen und Essenzen bereit, ebenso ein paar unerläßliche „Werkzeuge“, deren bloßer Anblick für sich schauerlich genug war, die aber nicht fehlen durften.
Den Proviant schleppten die Zwillinge herbei und Luke Morgan, das lebende Schießpulver an Bord, der explosionsartig hochgehende und überaus jähzornige Mann, der es nicht scheute, sich hin und wieder auch mit dem Seewolf anzulegen.
An Proviant nahmen sie nur das allernötigste mit, damit der erste Hunger gestillt wurde, dann sollte der Nachschub folgen.
Aber sie gingen nicht unbewaffnet, um nicht vielleicht doch ahnungslos in eine Falle zu laufen.
„Denkt immer dran, ihr Rübenschweine“, sagte der Profos. „Auch wenn alles noch so klar ist, kann immer einer in die Brühe gespuckt haben, das haben wir oft genug erlebt. Und Mißtrauen ist – äh – na ja, eben immer angebracht.“
Das Nötigste wurde in das kleine abgefierte Beiboot geladen, dann nahmen die Männer Platz, stießen sich kräftig von der Bordwand ab und trieben hinüber. Ein paar Riemenschläge genügten, dann befanden sie sich am malträtierten Rumpf des Holländers.
Dort hingen schon zwei Jakobsleitern, hilfreiche Hände streckten sich nach unten und packten zuerst den schmächtigen Kutscher, den Kruger mühelos nach oben hievte.
„Wir danken euch“, sagte Kruger. „Ihr seid anständige Christenmenschen, und wir werden euch das nie vergessen. Aber haltet immer die Augen offen, denn die Türken krebsen hier oft herum, und ihr sollt nicht das gleiche Schicksal erleiden wir wir.“
Er gab Hasard die Hand und grinste dankbar.
„Tromp!“ stellte er sich vor. „Aber nicht der große Tromp, eher ein ängstlicher Kauffahrer. England wird mir immer sympathischer, Sir.“
„Killigrew“, sagte Hasard knapp. Er fand, daß dieser Tromp etwas zu viel schwätzte, aber das konnte auch an der geradezu befreienden Situation liegen. Hasard sah jedoch in den Gesichtern der Männer Dankbarkeit, und sie bissen auch gierig in den angebotenen Zwieback.
Noch während er kaute, zeigte der angebliche Tromp auf die Verletzten, die apathisch an Deck lagen. Er lockte den Kutscher etwas weiter weg, um die Männer möglichst weit auseinander zu haben, dann zeigte er Hasard die Beschädigungen.
„Diese Türken haben mir alles kaputtgeschlagen“, jammerte er. „Der Überfall hat mich etliche Männer gekostet, die gesamte Ladung, den Proviant und noch das halbe Schiff dazu. Und ausgerechnet unseren Zimmermann haben sie als einen der ersten ermordet.“
Ja, es sah wüst aus, fand auch Hasard, und er sah aus den Augenwinkel, wie ein bulliger Kerl gerade dem Profos freundschaftlich die Hand hinstreckte.
Eines mißfiel dem Seewolf allerdings, und sogleich meldete sich das angeborene Mißtrauen wieder.
An Deck gab es kaum Blut! Und es sah ganz und gar nicht danach aus, als hätten sie das Deck gewaschen, denn es gab Dreck in Fugen und Ritzen, und bei der angeblichen Schlacht, die hier getobt hatte, mußte zumindest eingetrocknetes Blut auf den Planken zu sehen sein, das war Hasards nüchterne Überlegung.
Er ging noch ein Stückchen weiter mit Tromp. Auf den Planken lag ein Säbel, ein schweres Ding, und Tromp schob es mit dem Fuß achtlos beiseite. Dann bückte er sich wie zufällig danach, peilte noch einmal kurz die Lage und sah, daß alle seine Kerle auf der Lauer lagen und nur auf seinen Befehl warteten.
Der erfolgte umgehend.
„Auf sie!“ brüllte Kruger.
Dann hieb er mit aller Kraft mit dem schweren Säbel auf Hasard ein.