Kitabı oku: «Glückswelle», sayfa 2
November Rain
Am nächsten Morgen saß ich fröstelnd im Büro und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Trister könnte ein Novembermorgen nicht sein. Draußen war es nasskalt. Das Laub machte die Straßen rutschig und der Nebel senkte sich über die Stadt. Es war windig und der Regen prasselte nun schon seit Stunden unaufhörlich an die Fenster. Ich würde Einiges dafür geben jetzt irgendwo am Strand zu sitzen und die Füße im warmen Sand zu vergraben. Aber sowohl mein Jahresurlaub als auch mein Urlaubsbudget waren restlos aufgebraucht und so würden Australien, Kuba und Südafrika noch etwas auf mich warten müssen.
Ich arbeitete als Teamassistentin in einer Werbeagentur. Ursprünglich hatte ich zwar damals nach dem Abi andere Pläne und dachte zunächst über ein Grafikdesign-Studium nach. Aber das Zeichnen blieb mein Hobby und so hatte ich mich zunächst für die Ausbildung zur Werbekauffrau entschieden. Bislang hatte ich diese Entscheidung nicht bereut. Und auch in München fühlte ich mich pudelwohl. Ich wollte unbedingt mal weg vom Land, um Großstadtflair zu schnuppern. Mir gefiel die Stadt ausgesprochen gut. Schon bei meinem ersten Aufenthalt war ich absolut schockverliebt. Und auch die Leute, die ich bisher hier kennengelernt hatte, waren offen und herzlich und dass, obwohl ich als gebürtige Hessin doch eine 'Zuagroasde' bin.
Meinen Eltern konnte ich es früher ohnehin nicht recht machen. Überhaupt missfiel ihnen, dass ihre Tochter mit dem Abi in der Tasche nicht etwas Anständiges studieren würde, Medizin zum Beispiel oder Jura. Aber ich war nun mal eher kreativ. Das war meine Welt.
So, was mache ich denn nun zuerst? Heute war mal wieder irre viel los. Alle wuselten hektisch herum und waren angespannt, weil unserem Großkunden die Entwürfe für seine aktuelle Kampagne nicht gefielen. Nun gab es eine neue Deadline bis Freitag. Eigentlich konnte man mir als Teamassistentin schon ein gutes Organisationstalent nachsagen. Aber heute ging es wirklich drunter und drüber. Die beiden Chefs, Thorsten und Michael, denen ich seit nun fast schon fünf Jahren zuarbeitete, hatten natürlich alle beide einen superwichtigen Auftrag, der keinen Aufschub duldete und außerdem musste ich für eine Inhouse Messe noch Einiges organisieren. Hotelzimmer und Räume waren zwar gebucht, aber das Catering musste noch ausgewählt und bestellt werden. Puuuh, das wird heute wohl ein langer Tag werden. Ich atmete tief durch und stürzte mich in die Arbeit. Meine Wangen glühten, aber ich mochte auch diesen Druck. Meistens kamen mir dann die besten Ideen. Ich studierte gerade die Menüvorschläge, notierte hier und da ein paar Änderungen, als mein Kollege Malte den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Hallo Leni, hast du mal eine Minute?«
»Eigentlich nicht.« Ich blickte ihn entschuldigend an. »Was gibt’s denn?«
»Ach, ich bräuchte deine unabhängige Meinung zu unserem neuen Internetauftritt.«
»Ich kann ihn mir nach der Messe nächste Woche gerne mal ansehen. Reicht dir das? Wann soll er denn live gehen?«
»Laut Planung am Montag.« Zerknirscht stand er in der Tür und schenkte mir einen bittenden Blick.
Ich mochte ihn und das war sicher auch der einzige Grund warum ich mich sagen hörte »Also gut, heute schaffe ich es sicher nicht, aber vielleicht morgen, ok?«
»Du bist ein Schatz Leni, danke dir.« Er warf mir eine Kusshand zu und war schon fast wieder aus dem Büro verschwunden.
»He, mal nicht so schnell. du kannst dich gerne revanchieren, zum Beispiel morgen Abend beim Italiener in der Lilienstraße«, sagte ich keck.
»Ähm, ja«, stotterte er verlegen »warum nicht?«
Damit hatte er nicht gerechnet.
Trotzdem, oder gerade weil es heute so stressig war, gönnte ich mir eine ausgedehnte Mittagspause. Wer weiß wie lange ich heute noch im Büro sein würde. Weil ich diese heute nicht allein verbringen wollte, griff ich zum Hörer und wählte Caros Nummer. Vielleicht hat sie ja Zeit und Lust auf eine Abwechslung. Caro und ich kannten uns aus dem Fitness-Studio, wo ich nach der ersten Euphorie eher sporadischer Besucher war, stilles Mitglied sozusagen. Sie war etwas jünger als ich und mit ihrer quirligen, unkomplizierten und manchmal auch chaotischen Art, das genaue Gegenteil von mir. Trotzdem verstanden wir uns super. Wir sahen uns nicht häufig, aber wenn die eine die andere brauchte, waren wir immer füreinander da. Es dauerte eine Weile, bis sie sich mit einem abgehetzten 'Morelli' am Telefon meldete.
»Hallo Caro, ich bin’s Leni. Wie schaut es aus, hast du Lust auf ein Mittagessen im Kultig?«
Sie überlegte einen Moment und meinte »Schöne Idee. Und ja, ich habe natürlich Lust. In einer Dreiviertelstunde könnte ich es schaffen.«
»Das passt perfekt. Dann sehen wir uns um eins. Bis dann, ich freu mich«.
»Ich mich auch. Ciao Bella«.
Das Bistro Kultig ist nur zwei Straßen von unserem Bürogebäude entfernt. Außerdem gibt es direkt um die Ecke ein kleines Eiscafé, in dem es im Sommer das beste Schokoladeneis der Stadt gab.
Thorsten betrat das Büro. »Mahlzeit, Leni. Hast du meinen Barcelona-Flug schon gebucht? Und denk bitte daran den Bachmayr-Termin zu vereinbaren. Vielleicht kannst du später Alex etwas bei der Erstellung der Präsentation für Freitag unterstützen?« Wie immer redete Thorsten ohne Punkt und Komma und ohne eine Antwort abzuwarten. Hastig notierte ich mir ein paar Stichpunkte. Thorsten war bereits wieder verschwunden, als ich mich fragte, wie ich das alles schaffen sollte. Prompt nagte das schlechte Gewissen an mir und ich überlegte, ob ich mir eine ausgedehnte Mittagspause wirklich erlauben konnte. Aber Caro wieder absagen wollte ich nun auch nicht mehr.
Oh. Schon kurz vor eins. Ich musste los. Zum Glück hatte der Regen etwas nachgelassen. Meinen Schirm hatte ich mal wieder zu Hause vergessen und hangelte mich deshalb nun unter den Dachvorsprüngen und Markisen der Obsthändler in Richtung Bistro Kultig. Es war fünf nach eins als ich ankam. Caro wartete an unserem Lieblingstisch am Fenster und winkte mir kurz zu. Von weitem sah ich bereits zwei Gläser Aperol Spritz, die dort schimmerten und mich an den Sonnenuntergang in Oia erinnern. Oia ist ein wundervoller Ort an der Nordküste der kleinen griechischen Insel Santorin. Ich erinnere mich noch gut an diesen Griechenland-Trip vor fünf Jahren. Von einem Kollegen hatte ich damals einen wohl schon etwas veralteten Reiseführer geliehen, der Oia als den Geheimtipp für malerische Sonnenuntergänge vorschlug. Dort angekommen warteten etwa fünfhundert weitere Touristen auf das allabendliche Spektakel. Romantik wollte dort nicht so recht aufkommen. Dennoch war es ein atemberaubender Moment, die Sonne dort im Meer versinken zu sehen. Bei dem Gedanken daran, musste ich unwillkürlich schmunzeln.
»Hallo Leni, du siehst ganz schön gestresst aus. Alles gut bei dir?« Caro winkte mich gut gelaunt zu sich.
»Hi Caro«, entgegnete ich abgehetzt. »Du bist der einzige Lichtblick meines heutigen Tages.«
»So schlimm?«, fragte sie mit erwartungsvollem Blick.
»Schlimmer, eine Werbekampagne für die Zielgruppe ab sechzig, die bis Freitag fertig sein muss«, beklagte ich mich.
»Du solltest deine beiden Chefs um eine Gehaltserhöhung bitten.«
»Eigentlich hast du Recht. Das sollte ich bei nächster Gelegenheit einmal ansprechen.« München war teuer und in den letzten Jahren ist mein Gehalt nahezu gleichgeblieben. Dann könnte ich mir vielleicht auch bald den einen oder anderen Reisewunsch meiner Bucket-List erfüllen.
»Lass uns über was anderes reden. Wie geht es dir und Maik oder ist der schon nicht mehr aktuell?«
Der Kellner, ein junger Typ, Anfang zwanzig, sicherlich ein Student unterbrach uns. »Hi, was darf ich euch bringen?«
Er hieß Hannes, das konnte ich auf seinem originellen Namensschild erkennen. Darauf stand 'Das ist mein 1. Tag, bitte sei nett zu mir:-)'. Witzige Idee.
»Für mich die Spinatlasagne«, entgegnete ich.
»Ich nehme den Feldsalat mit Granatapfel und gratiniertem Ziegenkäse«, meinte Caro.
»Geht klar!«
Neugierig wandte ich mich wieder an Caro. »Also, was ist mit Maik? Erzähl schon.«
»Du weißt doch, ich ticke da etwas anders als du. Warum sollte ich mir die Zeit, bis mein Traumprinz aufkreuzt, sollte es ihn wirklich geben, nicht mit dem einen oder anderen Leckerbissen versüßen. Maik war nur eine kurze Affäre. Mehr läuft da nicht.«
Das war einer der Punkte, in dem Caro und ich sehr unterschiedlich waren.
Wir ließen uns das Essen schmecken, saßen noch eine Weile zusammen, plauderten über dies und das und beobachten die Pärchen an den Nachbartischen, bevor ich zurück ins Büro musste. Auf dem Weg zurück in die Agentur schaute ich noch kurz bei Yusuf im Gemüseladen vorbei. Ich griff mir einen Kürbis, ein paar Äpfel und etwas Ingwer. Bei dem Mistwetter würde eine Kürbissuppe am Abend sicher guttun.
Gut gestärkt und gut gelaunt machte ich mich im Büro an die Arbeit und war nun doch ganz zuversichtlich meine offenen Vorgänge noch bis zum Abend abarbeiten zu können.
In den kommenden zwei Tagen waren alle Kollegen im Büro ziemlich angespannt, dennoch schafften wir es alle gemeinsam, die neuen Entwürfe bis Freitag fertig zu kriegen. Letztendlich machte dies auch die Agentur aus. Wir waren eine großartige Gemeinschaft, in der wir stets auf die Hilfe des anderen zählen konnten. Fast wie eine Familie. Einen besseren Job konnte ich mir gar nicht vorstellen.
Mit Geduld und Spucke
Samstagmittag, halb zwölf. Ich war gerade auf dem Weg zu meiner Wohnungstür, als das Telefon klingelte. Ein kurzer Blick auf das Display verriet mir, dass es Mama war. Wenn ich jetzt rangehe, würde ich es nicht rechtzeitig zu Nina schaffen. Andererseits dachte ich an Punkt Vier meiner Bucket-List. Ein Telefonat wäre ja zumindest mal ein Anfang. Ich zögerte kurz, zog dann aber die Tür zu und ließ es klingeln.
Draußen war ein herrlicher Wintertag. Die Luft war klar, der Himmel eisblau und die Sonne glitzerte im ersten Schnee, der heute Nacht die Gehwege kristallweiß gezuckert hatte. Ich musste unwillkürlich lächeln und fühlte mich gleich ein wenig besser. Dann zog ich mir meine Mütze tief ins Gesicht und machte mich auf den Weg.
Pünktlich um zwölf Uhr klingelte ich bei Nina. Nina und Tom wohnten sehr idyllisch, in einer erst vor einem Jahr neu entstandenen Wohnsiedlung, direkt am Hirschgarten. Die Häuser waren in mediterranem Stil gebaut. Die geradlinigen Formen, der terracottafarbene Wandputz und die schmideisernen Balkone mit ihren Verzierungen versetzten einen irgendwo nach Italien, zumindest im Sommer, denn dann zierten Zypressen, Palmen und verschiedenfarbige Oleander das Terrassen- und Gartenbild.
Der Türsummer brummte und Nina kam mir bereits entgegen. »Hallo Leni, schön dich zu sehen. Gut, dass du da bist«, begrüßte sie mich.
Ich drückte sie vorsichtig. »Dito, schau mal, ich habe uns Latte Macchiato, für dich natürlich koffeinfrei, und ein paar süße Leckereien mitgebracht.«
»Das ist ja schön. Vielen Dank. Tom wird sich über die Nervennahrung bestimmt freuen. Schon seit einer Stunde versucht er verzweifelt die Wickelkommode namens Blöjor zusammenzubauen, aber irgendetwas scheint zu fehlen. Komm rein.«
Ich streifte im Flur meine Stiefel ab, warf die Jacke über einen Stuhl und versuchte meine halblangen Haare zu bändigen, die durch die Mütze in alle Richtungen standen. »Hallo Tom.«
»Servus, Leni«, meinte der nur zerknirscht.
»Leni hat uns Latte Macchiato mitgebracht, magst du nicht mal eine Pause machen?«
»Nee, ich muss das jetzt erst mal fertigkriegen«, entgegnete Tom ziemlich gereizt und vom männlichen Ehrgeiz gepackt. Nina deutete mit einer Handbewegung in Richtung Esszimmer und ich folgte ihr aus der Gefahrenzone. Na ja, so hatten wir wenigstens ein wenig Zeit zum Quatschen. Wir setzten uns an den Esstisch und Nina verdrehte die Augen »Typisch Mann, er will sich aber auch nicht helfen lassen. So ein Sturkopf«, beschwerte sie sich. »Momentan ist er einfach schnell gereizt. Weißt du, das Tagungsgeschäft im Hotel läuft zurzeit richtig gut, eine Bankettveranstaltung jagt die andere und das Personal ist noch nicht optimal eingespielt. Tom fühlt sich verpflichtet überall mit anzupacken, schließlich hat er die Verantwortung. Er kommt oft erst nach Hause, wenn ich schon schlafe. Dabei hätte ich ihn so gerne in meiner Nähe. Ich hoffe das ändert sich ein wenig, wenn unser kleiner Krümel auf der Welt ist«, sagte Nina und streichelte sich zärtlich den Bauch.
»Mach dir keine Sorgen, Nina. Bestimmt wird er dann Einiges delegieren können und mehr Zeit für dich und das Baby haben«, versuchte ich sie zu beruhigen, obwohl ich mir nicht sicher war, denn Tom arbeitete erst seit kurzem als Geschäftsführer in einem Vier-Sterne-Hotel nahe dem Messegelände, was ein großer Karrieresprung für ihn war.
»Was macht die Suche nach deinem Traumprinzen? Zeigt unsere Backaktion schon erste Erfolge?«, fragte Nina dann mit einem Grinsen. »Ich habe übrigens neulich von einer Studie gelesen, die belegt, dass sich viele Paare bei der Arbeit oder im Supermarkt kennenlernen. Vielleicht solltest du da mal ansetzen.«
»Das frage ich mich manchmal auch. Wo steckt der Kerl nur?«, entgegnete ich mürrisch.
Nina lachte auf und blickte mich ermahnend an. »He, sei mal nicht so pessimistisch.«
»Na ja, also am Donnerstag zum Beispiel, hatte ich ein Date mit einem Arbeitskollegen. Das war der totale Flop. Soviel zu Deiner Studie.«
»Du darfst das einfach nicht so verbissen angehen. Er wird dir schon irgendwann über den Weg laufen. Wahrscheinlich dann, wenn du am wenigsten damit rechnest.«
»Du hast gut reden.«
Drüben aus dem Kinderzimmer hörte man vereinzelt Tom fluchen. Aber ganz ehrlich, von mir aus konnte das noch dauern. Ich genoss es mit Nina hier zu sitzen und rumzualbern.
»Erzähl schon und spann mich nicht so auf die Folter, was hatte das mit deinem Kollegen auf sich?«
»Mein Kollege Malte hat mich am Mittwoch gebeten unseren neuen Webauftritt zu sichten und ihm Feedback zu geben. Ich meinte 'Klar, wenn er mich dafür am Donnerstag zum Italiener einlädt, mache ich das gerne.' Er war etwas verdutzt, aber sein Wort hat er gehalten. Ich hatte mich natürlich mächtig aufgebrezelt. Hab mir mittags sogar noch ein neues Strickkleid gekauft, mir verführerische Smokey Eyes geschminkt und mein bestes Parfüm aufgelegt. Und dann nahm das Desaster seinen Lauf. Gleich beim Aperitif hat er mir offenbart, dass er eine Freundin hat. Oh Mann, wie peinlich und naiv von mir.«
»Und das hast du wirklich nicht gewusst? Also das mit den Dates musst du wohl noch ein wenig üben, hm? Wie ist der Abend dann noch verlaufen?«
»Na ja, wir haben trotzdem noch gegessen und uns auch ganz nett unterhalten. Aber wohlgefühlt habe ich mich mit der Situation nicht. Was er wohl seiner Freundin erzählt hat? Sicher haben sich die beiden insgeheim über meinen Flirtversuch kaputtgelacht.«
Nina brach in Gelächter aus und ich konnte es ihr noch nicht mal verübeln. Am Ende hielt auch ich mir den Bauch vor Lachen.
»Tja Nina, mein Glück scheint etwas zu taumeln. Kann ja nicht jeder so einen Volltreffer landen wie du mit Tom.« Mir kam das Lied '80 Millionen' von Max Giesinger in den Sinn, das die letzten Wochen und Monate im Radio rauf und runter lief.
»Du wirst deinen Traumprinzen schon auch noch finden, Leni. «
»Da bin ich mir nicht so sicher. Bisher sind da draußen nur Frösche unterwegs.« Die Frustration in meiner Stimme war nicht zu überhören. »Aber das Essen war echt lecker. Dort sollten wir unbedingt mal hingehen«, fügte ich nach einem Moment hinzu, um über meinen peinlichen Auftritt hinweg zu lenken und die Sehnsucht, die sich in mir breit machte wegzuschieben.
»Hey Mädels, ich hab’s«, rief Tom euphorisch aus dem Kinderzimmer. Nur wenige Sekunden später stand er grinsend im Türrahmen. »Der Kaffee ist bestimmt schon kalt, aber hattest du nicht was von was Süßem gesagt, Leni? Das wäre jetzt genau richtig.«
»Klaro, schau mal da vorne in die Tüte.«
Den Mittag verbrachten Nina und ich damit die Möbel im Kinderzimmer auszuwischen und die Klamotten, die Nina schon nach Größen und Farben vorsortiert hat, einzuräumen. Süß, wie winzig die Hosen und Shirts waren. Den Wickeltisch bestückten wir mit allen wichtigen Utensilien und an der Decke über dem Kinderbett platzierten wir ein buntes Mobile. »Jetzt fehlt mir nur noch ein schöner Sessel oder vielleicht auch ein Sitzsack, wo ich den Kleinen später gemütlich stillen kann«, meinte Nina und schaute sich zufrieden um.
»Ja, das Zimmer ist wirklich gemütlich geworden. Wenn du willst kann ich noch ein paar schöne Grafiken anfertigen, die wir auf kleine Leinwände bedrucken und aufhängen können«, schlug ich vor.
»Au ja, schöne Idee. Vielleicht irgendwas mit Tieren.« Zufrieden, dass wir so ein tolles Kinderparadies geschaffen hatten, gingen wir in die Küche, wo Tom uns bereits erwartete. Er hatte selbstgemachte Pasta vorbereitet, dazu gab es frisches Grillgemüse und das beste Pesto der Stadt. Hm, lecker. Wir tranken Chianti und Nina Traubensaft, bevor ich mich gegen Mitternacht, nach einem ausgelassenen Abend, müde, aber auch glücklich auf den Heimweg machte. Wahrscheinlich waren die Gedanken, die ich mir in Bezug auf unsere Freundschaft machte, völlig unnötig.
Frisch gewickelt
Es war so weit, nur ein paar Tage nach unserer Kinderzimmer-Aktion hat der kleine Krümel sein Ein-Zimmer-Appartement in Ninas Bauch verlassen, um das Licht der Welt zu erblicken. Tom hatte mächtig stolz per E-Mail erste Fotos und die wichtigsten Eckdaten verschickt. Max hieß er und hatte ganz dunkle, kurze Haare, wie Tom, und ein wirklich süßes Lächeln.
In der Agentur herrschte die letzten Tage allerdings wieder Hochbetrieb. Unzählige Überstunden standen auf der Tagesordnung, weshalb ich Nina auch im Krankenhaus nicht besuchen konnte.
Trotzdem hatte ich meine alte Nähmaschine rausgekramt, die Oma Emmi mir zum Auszug geschenkt hatte und in liebevoller Nachtarbeit einen süßen hellblauen Knisterelefanten und eine dazu passende Buchstabenkette genäht. Ich gebe zu, ich war etwas aus der Übung und habe so sehr geflucht, dass ich am Sonntag eigentlich zur Beichte müsste. Aber am Ende konnte sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. Nina gefiel so was bestimmt. Ich war stolz und freute mich schon auf ihre Reaktion, wenn sie das Päckchen auspackte. Und die Grafiken hatte ich auch fertig. Sie sind wirklich schön geworden.
Heute würde ich es endlich schaffen und bei Nina und Tom vorbeischauen. Gleich nach Feierabend machte ich mich auf den Weg zu ihnen. Ich war schon mächtig gespannt auf den Kleinen. Wem er wohl mehr ähnlich sah und ob er mich mochte? Voller Neugier stand ich nun also vor Ninas Haustür und klingelte. Nichts. Also nochmal. Das Klingeln wurde offenbar durch Max lautes Gebrüll übertönt. Ich griff nach meinem Handy und wählte Ninas Nummer. Kurz darauf öffnete Tom die Tür.
»Ja, doch. Jetzt hast du ihn aufgeweckt und das Ganze Prozedere geht nun wieder von vorne los«, sagte er barsch und der Vorwurf in seiner Stimme war deutlich zu hören.
»Tschuldigung«, murmelte ich kleinlaut, weil mir gerade nichts Besseres einfiel, verstand aber die Aufregung nicht. Tom eilte schon wieder nach oben, denn Max schrie nach wie vor aus Leibeskräften.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer blieb mein Blick in der Küche hängen. Ich erschrak. Dort sah es aus, als wäre eine zwei Zentner schwere Weltkriegsbombe explodiert. So ein Chaos war ich von Nina gar nicht gewohnt. Da die beiden nach wie vor damit beschäftigt schienen, Max zu beruhigen stand ich zunächst unschlüssig im Wohnzimmer und wartete. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich in der Küche schnell den Abwasch machen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Also zog ich meinen Mantel aus und wärmte mich am Kamin.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Tom und meinte »Nina braucht noch eine Weile. Max ist heute besonders quengelig. Möchtest du etwas trinken?« Es klang mehr nach einer Höflichkeitsfloskel, als nach einer ernst gemeinten Frage. Tom sah gestresst und erschöpft aus.
»Jetzt lass dich erst mal drücken, du frischgebackener Papa. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute. Hier habe ich eine Kleinigkeit für Max. Ich hoffe es gefällt euch.« Erwartungsvoll streckte ich Tom das Päckchen entgegen.
»Oh, prima, vielen Dank«, sagte Tom und stellte das Päckchen achtlos zu den anderen Geschenken, die sich bereits im Wohnzimmer stapelten. Er wirkte etwas unbeholfen und ziemlich genervt. Hm, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ein richtiges Gespräch kam irgendwie auch nicht zustande. Nach einer Weile wurde es still und Nina kam völlig erschöpft aus dem Kinderzimmer.
»Hallo Leni« und zu Tom »Endlich schläft er«! Ich gratulierte auch Nina und drückte sie herzlich.
»Tut mir leid, dass ich jetzt erst komme. Geht es dir gut?«, wollte ich wissen.
»Hm, mal abgesehen davon, dass ich schon drei Tage kaum ein Auge zugedrückt habe und außerdem aussehe wie ein zerknautschter Boxer, geht es mir gut. Leni, sei mir nicht böse, aber ich bin total müde. Lass uns einfach für die nächsten Tage nochmal was ausmachen, ok? Am besten du rufst vorher an.«
Etwas zerknirscht stimmte ich zu. Ich hätte ja auch vorher anrufen können, ob es den beiden überhaupt passt. Daran hatte ich irgendwie gar nicht gedacht, sondern hatte es als selbstverständlich empfunden, dass Nina sich über meinen Besuch freuen würde. Ihre genervte Reaktion stimmte mich nachdenklich. Schnell verabschiedete ich mich und ging traurig in Richtung U-Bahn. Der eisige Wind pfiff mir um die Ohren und die Kühle zog mir die Glieder hinauf. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis oben hin und vergrub mein Gesicht in meinem flauschigen Schal. Eine Träne lief mir übers Gesicht. Ich wischte sie energisch weg und damit auch alle schwermütigen Gedanken.