Kitabı oku: «Bis ich dich endlich lieben darf», sayfa 3

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KAPITEL 5

Riley manövrierte sich auf Krücken durch die Türen des Roadhouses. Für einen Donnerstag war es ziemlich laut in dem beliebten Treffpunkt für Einheimische und Gäste. Auf sehr laut aufgedrehten Fernsehern wurde das Spiel der Red Sox übertragen, allerdings noch übertönt von den lautstarken Gesprächen der Gäste. Es war ausschließlich der würzige Duft der Chickenwings, der dafür sorgte, dass er nicht wieder Reißaus nahm, sondern weiterging.

„Bist du wirklich sicher, dass du nicht lieber im Rollstuhl sitzen willst?“, fragte Paige und ließ die Tür hinter ihnen zufallen.

„Ja, ganz sicher“, antwortete er, denn er war es so leid, immer zu den Leuten aufblicken zu müssen. Als er jetzt das Lokal nach seinen Brüdern absuchte, entdeckte er sie auf ihren Stammplätzen hinten in einer Ecknische und ging vorsichtig an seinen Krücken dorthin, wie es ihm der Physiotherapeut gezeigt hatte. Das fehlende Bein störte sein Gleichgewichtsgefühl, und er wäre diese Woche schon zwei Mal beinahe gestürzt, während Paige bei der Arbeit war, doch das hatte er lieber für sich behalten.

Er begrüßte seine Brüder mit viel Elan, und sie rutschten ein Stück, sodass er sich dazusetzen konnte.

„Warum setzen wir uns nicht an einen richtigen Tisch statt hier in die Nische?“, fragte Paige.

„Wieso denn das? Wir sitzen doch immer hier“, entgegneten die Brüder.

„Ich dachte nur“, ihr Blick ging kurz zu Riley, „dass es vielleicht ein bisschen einfacher wäre.“

Riley spürte, wie er rot wurde, und er sagte: „Es ist alles gut.“ Dann ging er zu dem frei gewordenen Platz, verlagerte die Krücken auf die gute Seite und ließ sich nieder. Das Ganze dauerte etwa eine halbe Minute, und ihm stand vor Anstrengung Schweiß auf der Stirn.

Erinnerst du dich noch an die Zeit, als es kein Ereignis war, wenn du dich hingesetzt hast?

Als er endlich saß, verstaute Riley seine Krücken neben sich und griff nach der Speisekarte.

„Ich habe einen Bärenhunger“, sagte er. „Wo sind denn die Mädels?“

„Die spielen Billard“, antwortete Beau. „Jedenfalls versuchen sie es.“

Und tatsächlich erblickte Riley sie in einer fernen Ecke. Eden stand ein wenig abseits vom Tisch, während Lucy sich gerade zu einem Stoß fertig machte.

„Hey, guck mal“, sagte Zac. „Lucy wird immer besser. Vergiss nicht, dass wir dich letzte Woche geschlagen haben.“

„Ach, das war doch Anfängerglück“, entgegnete Beau, woraufhin Zac nur die Augen verdrehte.

„Ich muss noch mal wohin. Könnt ihr mir bitte einen Buffalo-Chicken-Salat bestellen?“, fragte Paige jetzt.

Riley sah ihr kurz nach, bevor er sich wieder der Speisekarte zuwandte.

„Seit wann geht sie denn auf öffentliche Toiletten?“, fragte Beau und sah ihr mit gerunzelter Stirn hinterher.

Es wurmte Riley, dass sein Bruder Paige so gut kannte, aber Beau und Paige waren schließlich eine ganze Weile zusammen gewesen. Nichts war für Riley so schlimm gewesen, wie dabei zuschauen zu müssen, dass sich die Liebe seines Lebens in seinen älteren Bruder verliebte. Er hatte sich nur freiwillig zur Army gemeldet, weil er nicht hatte haben können, was er sich am allermeisten gewünscht hatte. Aber dadurch hatte er nur erreicht, dass er es nie bekommen würde. Die Ironie dieses Zusammenhangs war ihm durchaus bewusst.

„Sie geht gar nicht zur Toilette“, sagte Riley. „Das ist nur ein Vorwand, um eventuelle Hindernisse auf dem Weg zur Herrentoilette zu entfernen für den Fall, dass ich hinmuss.“ Genauso wie sie im Erdgeschoss ihres Hauses alle Teppiche entfernt, jedes Kabel weggeräumt und alles auf Augenhöhe geräumt hatte, was er vielleicht benötigen könnte.

„Sie versucht doch nur, dir zu helfen“, sagte Zac.

Riley merkte, wie sich sein Unterkiefer verspannte. Er wollte weder Paiges Hilfe noch ihr Mitleid. Er wollte nicht, dass sich die Frau, die er liebte, um ihn kümmerte, als wäre er ein Behinderter. Er wollte voll intakt und selbstständig sein. Er wollte sein blödes Bein wiederhaben.

„Hey“, sagte Beau jetzt. „Du machst das alles so großartig und läufst schon wie ein Profi an diesen Dingern.“

Ja, klar. Er war ein echter Profi. Noch vor einem Monat hatte er zehn Kilometer in voller Kampfmontur rennen können, und jetzt musste er wieder laufen lernen wie ein Kleinkind.

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, echt schnell, nicht?“

„Wart’s ab, eh du dich versiehst, gehst du wieder auf Hummerfang“, sagte Beau.

Daraufhin sah Riley ihn nur an, stieß ein trockenes, freudloses Lachen aus und sagte: „Ja, klar.“

„Wieso denn nicht?“, fragte Zac. „Beinamputierte können doch heutzutage alles Mögliche machen. Sieh dir doch nur mal all die Läufer bei den Paralympics an.“

Riley schaute ihn daraufhin finster an. Im Moment war es ja schon illusorisch, aus eigener Kraft und ohne Hilfsmittel auch nur einmal durch den Raum zu gehen, und seine Zukunft kam ihm ungefähr so strahlend vor wie ein schwarzes Loch.

Na, so viel dann also zu „all dem Guten“, das du mit mir vorhast, was, Gott? „Gedanken des Friedens und nicht des Leids“? „Hoffnung und Zukunft“?

Ja klar.

„Wieso denn nicht?“, fragte Beau. „Es gibt doch keinen Grund, wieso du nicht wieder Fischen gehen solltest.“

Auf welchem Planeten lebte sein Bruder eigentlich? „Ja, und bei meinem Glück verliere ich dann auch noch eine Hand in der Takelage. Vielen Dank auch. Den Rest meiner Gliedmaßen würde ich eigentlich ganz gerne behalten. Ich habe nämlich keine mehr übrig.“

In dem Moment kamen die Mädels aus dem Billardraum zurück an den Tisch und quetschten sich auf die gegenüberliegende Bank, sodass die Anspannung am Tisch etwas nachließ.

„Wo ist denn Micah?“, fragte Zac jetzt, denn Eden hatte sonst eigentlich fast immer ihren siebenjährigen Sohn dabei.

„Mein Vater hat ihn mit zum Angeln genommen. Das heißt, dass sie eine Viertelstunde die Angel ins Wasser halten und dann aufgeben und Eis essen gehen.“

„Ganz schön schlau, die Jungs“, bemerkte Lucy. „Es gibt doch nichts Besseres als eine Kugel Eis. Außer zwei Kugeln.“

Zac stupste seine Frau an und sagte dann mit zärtlichem Blick: „Ich erinnere mich an eine gewisse Person, die mir eine Kugel Eis in hohem Bogen auf den Schoß befördert hat. Wenn ich mich recht erinnere, führte dieser Zwischenfall zu einem ziemlich süßen und langen ersten Kuss.“

Sie lächelte ihn an, und ihr Blick wurde ganz weich. „Eine Frau muss eben tun, was eine Frau tun muss.“

Riley massierte sich währenddessen abwesend den Beinstumpf. Zacs und Lucys gemeinsame Geschichte war lang und kompliziert. Sie waren verlobt gewesen, bis Lucy ihn eine Woche vor der Hochzeit einfach hatte sitzen lassen und spurlos verschwunden war. Dann war sie Monate später wieder aufgetaucht, hatte aber ihr Gedächtnis verloren, sodass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, dass sie Zac verlassen hatte. Sie war immer noch in ihn verliebt gewesen und davon überzeugt, dass sie demnächst heiraten würden. All den Aufruhr hatte Riley gar nicht miterlebt, weil er zu der Zeit bereits im Einsatz in Afghanistan gewesen war. Doch irgendwie schienen die beiden die ganze Geschichte gut bewältigt zu haben, und die frischgebackenen Eheleute sahen sich immer noch in die Augen, als wären sie allein auf der Welt.

Beau rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her und sagte schließlich: „So, jetzt ist aber gut – sonst nehmt euch doch ein Zimmer.“

Daraufhin lächelte Zac ihn provozierend an, tat, als ob er wirklich aufstehen wollte, und sagte: „Wenn du darauf bestehst …“

Aber Lucy gab ihrem Mann einen Stoß in die Rippen und sagte lachend: „Jetzt hör schon auf damit.“

Beau schaute Eden finster an und fragte: „Wie viele Tage sind es eigentlich noch bis zu unserer Hochzeit?“

„Halte durch, mein Schatz“, antwortete Eden. „Nur noch zwei Monate.“

Beau schloss die Augen. „Monate. Was war noch mal der Grund, weshalb wir so lange warten?“

„Dass sie noch genügend Zeit hat, um zu merken, was für einen Riesenfehler sie macht“, antwortete Zac.

Beau warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, während Paige zurückkam, gegenüber von Riley in die Sitzbank rutschte und die anderen beiden Frauen begrüßte.

„Stimmt es, was ich über das Tierheim gehört habe?“, fragte Lucy bestürzt.

Riley sah Paige daraufhin durchdringend an. Sie waren die ganze Woche zusammen gewesen, die meiste Zeit zu zweit, und sie hatte nicht einmal andeutungsweise etwas davon gesagt, dass es Probleme gab. „Was ist denn mit dem Tierheim?“, fragte er.

Paige lächelte angestrengt, und ihr Blick ging flackernd in der Gruppe umher.

„Ach, wir haben nur ein paar finanzielle Probleme, sonst nichts.“

„Charlotte hat gesagt, dass sie das Tierheim schließen muss“, berichtete Lucy, was sie von der Besitzerin des Frumpy Joe’s gehört hatte. „Das hätte der Vorstand gestern beschlossen.“

„Ist das wahr?“, fragte Riley jetzt nach, doch er sah Paige auch so schon an, dass es stimmte. „Wieso hast du mir denn nichts davon gesagt?“

„Ach, so dramatisch ist es doch gar nicht. Ich habe noch drei Monate Zeit bekommen, die Sache wieder ins Lot zu bringen. Das wird schon klappen.“

„Und wie willst du das machen?“, fragte Eden.

„Indem ich neue Sponsoren auftue, eine Spendenaktion veranstalte und Zuschüsse beantrage.“

Mit gerunzelter Stirn sah Riley sie an und fragte: „Und wann willst du das alles machen? Dazu hast du doch gar nicht die Zeit.“

„Abends und an den Wochenenden. Manches davon kann ich auch bei der Arbeit erledigen, wenn nicht so viel los ist. Bei den Anträgen für Zuschüsse hilft mir Lauren – in Papierkram ist sie wirklich ein Ass. Ihr werdet sehen, das wird schon alles klappen.“

Jetzt schaute Riley Paige noch einmal etwas genauer an und sah, wie angespannt ihre Augenpartie wirkte, bemerkte die Sorgenfalten auf ihrer Stirn und wie sie nervös an ihrer Serviette zupfte.

„Wenn du Hilfe brauchst, eine Spendenaktion zu organisieren, dann sag Bescheid“, bot Eden an. „Ich kann einen Spendenaufruf oder was du sonst brauchst, auf die Homepage des Tierheims setzen.“

„Auf mich kannst du auch zählen“, sagte Lucy.

„Danke, Mädels. Das ist wirklich lieb von euch.“

In dem Moment kam die Bedienung, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Rileys Magen knurrte vor Hunger, als eine andere Kellnerin mit einer Portion Chickenwings vorbeikam.

„Wie läuft denn deine Physiotherapie?“, fragte Beau, während die Mädels ein eigenes Gespräch begannen.

„Gut. Mein Therapeut erinnert mich an meinen Offizier in der Grundausbildung.“

„Na, das klingt ja nach jeder Menge Spaß“, bemerkte Zac.

„Alles ist gut, was mich wieder auf die Beine bringt.“ Auf das Bein.

„Wenn du mal jemanden brauchst, der dich fährt, sag Bescheid“, bot Beau seinem Bruder an.

Dann sprachen sie über das Spiel der Red Sox. Riley hatte seinen Blick die ganze Zeit fest auf den Fernsehbildschirm gerichtet und tat so, als würde er es aufmerksam verfolgen.

Schon seit dem Morgen, als er auf dem Weg zur Therapie am Hafen vorbeigekommen war, fühlte er sich niedergeschlagen. Der Anblick der Hummerfischer, die ihre Boote zum Auslaufen fertig machten, die Kennzeichen auf den Bojen, deren Bedeutung er noch genau kannte – alles erinnerte ihn an die Zeit, als er einer von ihnen gewesen war. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

Eigentlich hätte er jetzt mit den anderen Fischern draußen sein sollen, um Hummerfallen einzuholen und nachzuschauen, wie der Fang an diesem Tag war.

Er verspürte eine unendliche Sehnsucht danach, wieder aufs Meer hinauszufahren, den salzigen Wind im Gesicht zu spüren, zu arbeiten wie sein Vater und davor schon dessen Vater. Der Hummerfang lag ihm im Blut.

Aber damit war es jetzt vorbei. Beau und Zac hatten es nur noch schlimmer gemacht, indem sie so taten, als könnte er einfach eine Prothese anschnallen und dann wieder aufs Boot steigen.

Selbst für einen starken und gesunden Mann war der Job schon schwer und nicht ungefährlich. Er hatte schon Stiefel und Handschuhe verloren, wenn er sich in den Leinen und Schnüren der Takelage verheddert hatte, das passierte den meisten Hummerfischern hin und wieder. Zum Glück hatte er sich noch nie mit einem ganzen Körperteil verheddert und war über Bord gegangen, aber mit einer Prothese würde er niemals die Gewandtheit und Schnelligkeit haben, die er an Bord brauchte. Zumindest würde es sicher Jahre brauchen, um sie zu erlangen.

Jetzt weckte etwas am Gespräch der Mädels seine Aufmerksamkeit, und er hörte genauer hin, den Blick aber immer noch fest auf den Fernsehbildschirm gerichtet.

„Ist das nicht der, der letztes Jahr im Sommer bei der Auktion deinen Picknickkorb ersteigert hat?“, fragte Lucy gerade.

„Ja, genau der“, bestätigte Paige. „Wir sind danach noch einmal miteinander ausgegangen, aber er hatte gerade eine längere Beziehung hinter sich und hat gesagt, dass er noch Zeit bräuchte. Vor einem Monat hat er mich dann wieder zu einem Date eingeladen. Freitag ist jetzt schon unser fünftes.“

Das fünfte? Er warf Zac einen finsteren Blick zu, aber der war so mit dem Footballspiel im Fernsehen beschäftigt, dass er nicht reagierte. Vielen Dank auch, dass du mir Bescheid gesagt hast, Kumpel.

„Und wohin geht ihr?“, fragte Lucy.

„Keine Ahnung. Er will mich überraschen.“

„Er hat so schön verträumte braune Augen“, meinte Eden jetzt.

„Wie ein Welpe“, fügte Lucy hinzu. „Hat er dich denn schon geküsst?“

Riley zerknüllte die Serviette auf seinem Schoß und kämpfte gegen den Impuls, sich die Ohren zuzuhalten. Er war froh, als die Red Sox in diesem Moment den Ausgleich erzielten und die anderen Gäste laut applaudierten und jubelten, sodass er Paiges Antwort nicht mitbekam. Er wollte sich nicht vorstellen, wie dieser andere Kerl sie küsste. Dieses Privileg hatte er nur ein einziges Mal gehabt. Er erinnerte sich daran noch ganz genau, und diese Erinnerung wollte er sich nicht verderben lassen.

„Seine Schultern sind wie gemacht, um sich daran auszuheulen“, sagte Lucy jetzt gerade. „Er ist doch auch in unserer Gemeinde, oder?“

Braune Augen, ihre Gemeinde … er hatte immer noch keine Vorstellung, um wen es da ging.

„Starker Glaube, starke Schultern … was will man als Mädel mehr?“, sagte Lucy.

Riley biss die Zähne zusammen und starrte auf den Fernseher.

„Gehört seiner Mutter nicht das Mangy Moose?“, fragte Eden. „Ich war im Frühjahr mal dort, als ich nach einer Kleinigkeit für Micah gesucht habe. Wir haben eine Weile geplaudert.“

„Ja, genau.“

Dann war also von Dylan Moore die Rede. Er war Hummerfischer wie Riley und stammte ebenfalls aus einer Familie, die schon seit Generationen vom Hummerfang lebte. Aber er hatte noch beide Beine. Und offenbar verträumte braune Augen.

„Du musst uns hinterher unbedingt von dem Date erzählen“, sagte Lucy jetzt.

Dann ging es in dem Gespräch um die anstehende Hochzeit von Eden und Beau, und Rileys Gedanken schweiften ab. Es war schwer gewesen, mit anzusehen, wie Paiges Beziehung zu seinem Bruder immer ernster wurde. Doch kurz vor seiner Abreise zur Army hatten sich die beiden getrennt, und er hatte sie für endlos lange Monate zurücklassen müssen, ohne zu wissen, ob sie bei seiner Rückkehr vielleicht mit jemand anderem zusammen sein würde. Doch in all den Szenarien, die er sich ausgemalt hatte, hatte es wenigstens immer einen Hoffnungsschimmer für ihn gegeben.

Jetzt musste er mit ansehen, wie dieser Schwachkopf mit ihr ausging, und das auch noch in dem Wissen, dass es für ihn selbst und Paige keine Hoffnung gab. Denn selbst wenn sich ihre Gefühle für ihn änderten – und das war ungefähr so wahrscheinlich wie ein Sonnenaufgang um Mitternacht –, würde er ihr niemals den Mann zumuten, der er jetzt war.

Irgendwie musste er sich an die Vorstellung gewöhnen, dass sie mit jemand anderem zusammen war, denn wenn es eine Frau gab, die die Liebe eines guten Mannes verdient hatte, dann war das Paige.


KAPITEL 6

Schon allein der Anblick, wie Paige in Yogahose und T-Shirt im Haus herumflitzte, machte Riley schwindelig. In der Küche holte sie ein Glas Wasser, das er gar nicht brauchte, dann rannte sie halb die Treppe hinauf, wo sie mit gerunzelter Stirn stehen blieb und murmelte: „Was wollte ich hier noch gleich? Ach ja, meine Klamotten! Du liebe Güte, ich bin ja völlig durch den Wind.“ Dann weiter die Treppe hinauf, von wo aus sie über die Schulter nach unten rief: „Brauchst du eine Decke? Es ist ein bisschen kühl hier drinnen. Ich mache die Fenster lieber zu. Wenn es dir zu kalt ist, kannst du später auch gern die Heizung einschalten.“

Es war völlig sinnlos, darauf etwas zu entgegnen, denn sie war wie die Dunlop-Häschen, seit sie von der Arbeit nach Hause gekommen war. Dylan sollte in – er schaute auf seine Uhr – fünf Minuten da sein, um sie zu ihrem Date abzuholen. Er hielt ein Sofakissen fest umklammert. Das hier war wirklich hart.

Über ihm knarrte jetzt der Fußboden unter den eiligen Schritten. Ein paar Minuten später kam sie mit ihren sonnengebräunten Beinen wieder die Treppe heruntergesaust. Sie trug ein hellblaues Shirt, das genau die Farbe ihrer Augen hatte, Shorts, die viel zu viel Bein zeigten, und ihr Haar fiel ihr wie gesponnenes Gold glatt über die Schultern. Umwerfend sah sie aus, einfach atemberaubend.

Sein Herz schlug zu schnell, und beinah hätte er ausgesprochen, was er dachte, aber dann würzte er das Ganze mit einer guten Dosis Kumpelhaftigkeit und sagte: „Hey, gut siehst du aus.“

„Danke. Habe ich dir schon gesagt, dass Zac eine Portion Chickenwings vorbeigebracht hat? Außerdem ist auch noch deine Lieblingspizza im Tiefkühlfach und natürlich die zwölf verschiedenen Aufläufe von deinem Fanclub.“

„Alles klar.“

„Ich wollte dir eigentlich noch einen frischen Obstsalat machen“, rief sie jetzt aus der Küche. „Aber das habe ich nicht mehr geschafft.“

„Den kann ich mir nachher auch selbst machen.“

„Manchmal hört die Toilettenspülung nicht auf zu laufen. Weißt du, was du dann machen musst?“

„Natürlich weiß ich das. Ich bin doch nicht blöd.“ Es gelang ihm nicht, seine beginnende Gereiztheit zu verbergen.

Sie blieb in der Tür zur Küche stehen, sah ihn kurz stirnrunzelnd an und fragte: „Was ist denn?“

„Nichts.“

Doch sie blieb dort stehen, verschränkte die Arme vorm Körper und sah ihm fest in die Augen.

Also gut, wenn sie wollte, dass er es sagte, dann sagte er es eben. „Du gluckst auf mir herum, und ich brauche keinen Babysitter.“

„Ich bin doch gar nicht dein Babysitter, Callahan, sondern deine Freundin.“

Ja klar, sie war seine beste Freundin – mehr nicht. Daran brauchte sie ihn nicht extra zu erinnern. Aber vielleicht ja doch. Vielleicht war das ja der Grund für seine miese Stimmung. Dieses blöde Date wühlte alle möglichen dummen Gedanken und Gefühle bei ihm auf.

Er biss die Zähne zusammen, um den Müll bei sich zu behalten, der sich in seinem Kopf angesammelt hatte und ihm jetzt auf der Zunge lag. Aber das wurde immer schwerer.

Paige stand an den Türrahmen gelehnt da und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich tue nichts für dich, was du nicht auch für mich tun würdest, Riley. Wenn ich mich recht erinnere, ist es sogar das erste Mal, dass du derjenige bist, der etwas annehmen muss. Bis jetzt war es immer so, dass du dich um mich gekümmert hast. Du hast mich umsorgt, als Caspar angefahren wurde, hast meine Heizung repariert und meinen Ölwechsel erledigt. Erinnerst du dich noch an den Abend, als ich siebzehn war und dummes Zeug gemacht hatte, weil mein Vater gestorben war? Auch da bist du für mich da gewesen und hast dich um mich gekümmert.“

Er wappnete sich gegen die Erinnerung an diesen Abend, an das hilflose Bündel Mensch in seinen Armen und daran, wie ihre Lippen seine berührt hatten. Er hatte sich wirklich um sie gekümmert, das konnte man wohl sagen.

„Aber mach bitte nicht so viel Aufhebens um mich. Du bist doch nur ein paar Stunden weg – ich komme schon zurecht.“ Doch dann kam ihm ein verstörender Gedanke. Hatte sie etwa vor, länger fortzubleiben? Er versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, doch er kam immer wieder. In betont lockerem, fast beiläufigem Ton fragte er: „Es sei denn, du hast vor, über Nacht weg…“, woraufhin sie aber nur mit gerunzelter Stirn antwortete: „Natürlich nicht. Was ist denn bloß los mit dir?“

Daraufhin sah er sie nur an und fragte „Was mit mir los ist? Ich renne jedenfalls nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Gegend herum. Du bist nervös wie sonst was. Liegt das an Dylan Moore, oder was?“

Ihre Augen wurden jetzt ganz schmal, und sie sagte: „Nein, ich bin kein bisschen nervös, aber du bist ein richtiger Arsch, weißt du das? Vielleicht solltest du lieber wieder anfangen, mir aus dem Weg zu gehen.“

Riley stieß ein freudloses Lachen aus und erwiderte: „Wir leben im selben Haus, Paige, schon vergessen?“

„Na, du hast es ja trotzdem geschafft, die letzten zwölf Stunden kaum ein Wort mit mir zu reden.“

In dem Moment klingelte es an der Tür, aber sie starrten sich weiter unverwandt an, und offenbar war keiner von ihnen bereit, nachzugeben.

Als Paige schließlich an die Tür ging, hätte er ihr am liebsten die Patchworkdecke um die nackten Beine gewickelt. Stattdessen griff er nach seinen Krücken, um sich zu verziehen und es nicht noch schlimmer zu machen.

Er hievte sich also auf die Füße und drehte sich genau in dem Moment zur Eingangstür um, als Dylan seinen Blick mit männlicher Anerkennung über Paiges Körper gleiten ließ. Riley kämpfte heftig gegen den Drang an, dem Mann mit dem stumpfen Ende seiner Krücken seine verträumten braunen Augen auszupieksen.

„Wow“, sagte Dylan. „Toll siehst du aus. Umwerfend.“

Paiges Lächeln wurde breiter und strahlender, als hätte seine Bemerkung gerade ihre gesamte Woche gerettet. „Danke!“, antwortete sie.

Eigentlich hättest du derjenige sein sollen, der ihr das sagt, du Idiot, dachte er und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt.

Nach einer Weile konnte Dylan sich schließlich lange genug von Paiges Anblick losreißen, um ihn zu bemerken. „Hey, Riley, alter Junge. Hab schon gehört, dass du wieder da bist. Schön, dich zu sehen, Mann.“

Riley jonglierte mit den Krücken, bis er beide in einer Hand hatte, und gab Dylan die andere Hand. Er versuchte, sie so fest zu drücken, wie er konnte, und entgegnete: „Ja, ich bin auch froh, wieder hier zu sein.“

Dylan zuckte ein wenig zusammen, als er seine Hand wieder losließ.

„Ich hole mir nur noch schnell einen Pullover“, sagte Paige. „Bin sofort wieder da.“ Und mit diesen Worten rannte sie die Treppe hinauf.

Dylan sah ihr nach, bis sie verschwunden war, und wandte sich dann mit einem sympathischen Lächeln wieder Riley zu. Der Typ sah offenbar absolut keine Konkurrenz in ihm. Aber wieso auch? Rileys Stimmung ging immer weiter in den Keller.

„Also …“, sagte Dylan nach einem langen unbehaglichen Schweigen. „Wie geht es denn so? Ich meine, mit der Genesung und dem ganzen Zeugs?“

„Super. Wohin führst du sie denn heute Abend aus?“

Einen Moment lang sah Dylan überrascht aus und schien nicht recht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte.

Okay, vielleicht war Riley ja nicht besonders freundlich, aber es kostete ihn schon ungeheure Beherrschung, dem Typen nicht an die Gurgel zu gehen.

„Ach … ich habe gedacht, wir könnten mit der Fähre übersetzen nach Folly Soals und dort ins Seafood Shack gehen. Es ist ja perfektes Wetter für eine Bootsfahrt“, antwortete Dylan.

„Aber sie wird seekrank“, gab Riley zu bedenken.

Sein Strahlen ließ etwas nach, und er sagte. „Ach, dann kaufen wir unterwegs in der Apotheke noch etwas dagegen.“

„Und außerdem hat sie eine Allergie gegen Schellfisch.“ Wusste denn der Typ gar nichts über sie?

Ein Hauch von Röte überzog jetzt Dylans Gesicht. Er kniff die Augen ein bisschen zusammen und sagte schließlich: „Na ja … die Speisekarte dort ist ja ziemlich umfangreich. Ich bin sicher, sie wird etwas finden.“

„Ja, sicher.“ Riley ließ den Mann auch weiterhin keinen Moment aus den Augen und musterte ihn völlig ungeniert. Und es ist besser für dich, wenn du sie gut behandelst, Kumpel, sonst kannst du was erleben.

Dylan trat voller Unbehagen vom einen Bein aufs andere, und sein Gesicht war mittlerweile voller hektischer roter Flecken. „Hör mal, kann es sein, dass es irgendein Problem gibt?“

Riley stand stocksteif da, obwohl die Schmerzen in seinem Beinstumpf immer schlimmer wurden.

„Nee, nicht das ich wüsste.“

„Seltsam. Ich habe irgendwie das Gefühl.“

„Solange du sie gut behandelst, gibt es absolut kein Problem.“

„Da brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen, Papa …“

„Okay“, rief Paige von der Treppe aus. „Ich bin fertig. Wir können jetzt los.“

Riley sah Dylan weiterhin fest in die Augen, damit er die Botschaft auf jeden Fall verstand, und als Paige näher kam, ging ihr Blick erst fragend zwischen den beiden hin und her, dann lachte sie nervös und fragte: „Alles in Ordnung?“

Riley warf Dylan einen letzten warnenden Blick zu und antwortete: „Ja, alles bestens.“

Auf dem Weg zur Tür drehte Paige sich noch einmal zu ihm um, und ihr fragender Blick sagte: Was war das denn gerade?

Er reagierte darauf aber nur mit einem etwas verkrampften Lächeln und sagte zum Abschied: „Dann habt mal einen schönen Abend, Kinder.“ Woraufhin ihm Paige noch einmal einen Blick zuwarf, den er aber demonstrativ ignorierte.

In dem Moment, als die Tür ins Schloss fiel, war Riley mit seinen Kräften am Ende, und in seinem Stumpf pochte ein dumpfer Schmerz. Ihm graute vor dem langen Abend, der vor ihm lag, als er sich aufs Sofa plumpsen ließ. Er schaltete den Fernseher ein und suchte einen Sportsender, aber fünf Minuten später war er mit seinen Gedanken schon wieder bei Paige. Er wünschte, er hätte nicht gefragt, wohin sie gingen, denn jetzt konnte er sich jeden Moment ihres Dates ganz genau vorstellen, bis hin zum Gang in die Apotheke.

Er erinnerte sich noch einmal an ihren Blick, als Dylan ihr das Kompliment gemacht hatte. Er wollte derjenige sein, der dafür sorgte, dass sie sich gut fühlte, lächelte und ihre Augen vor Vergnügen blitzten. Er wollte derjenige sein, der ihr im Restaurant die Tür aufhielt und ihr besonders leckere Gerichte vorschlug.

Jetzt wurde sein Inneres wieder von Dunkelheit geflutet, und vor Verzweiflung nahm er eines der Sofakissen und schleuderte es quer durch den Raum. Mit einem unbefriedigend leisen Geräusch traf es auf die Wand.

Reiß dich zusammen, Callahan. Du kannst sie nun mal nicht haben.

Er versetzte seinem nutzlosen Bein einen Schlag. Ist das deine Art von Unterhaltung, Gott? Einem Krüppel dabei zuzusehen, wie er die Frau, die er liebt, an einen anderen Mann verliert?

Und das schon zum zweiten Mal?

Er schloss die Augen und holte einmal tief Luft. Er würde schon damit fertigwerden. Er musste sich nur ganz auf seine Wiederherstellung konzentrieren, musste ackern, damit er endlich die Prothese bekam, und dann noch ein bisschen mehr ackern, damit er bei Paige ausziehen und sie ihr eigenes Leben fortsetzen konnte. Und er auch.

Auf ihn warteten ein neues Leben und ein neuer Job in Georgia, wo Noah, ein Kumpel aus seiner Einheit, nur darauf wartete, dass er sich bei ihm meldete.

Allein der Gedanke daran löste einen dumpfen Schmerz in seiner Körpermitte aus. Wenn das alles doch nie passiert wäre! Wenn sich doch seine Gefühle für sie nie geändert hätten. Seine Gedanken gingen zurück zu jenem Tag. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, er könnte die Zeit zurückdrehen, und alles wäre anders.

Es hatte in dem Moment angefangen, als Paige aus dem Feriencamp zurückgekommen war. Sie war damals siebzehn gewesen. Ihre Mutter schickte sie im Sommer immer in unterschiedlichste Camps mit der Begründung, es würde Paiges Horizont erweitern. Und Paiges Vater hatte wie immer die Entscheidungen der Mutter nicht weiter hinterfragt und zugestimmt.

Paige war in drei direkt aufeinanderfolgenden Camps gewesen, von denen eines – sehr zu Rileys Unmut – einen ganzen Monat lang gedauert hatte. Er hatte währenddessen in den langen Sommerferien auf der Weihnachtsbaumplantage den Rasen gemäht und seinem Vater beim Pflanzen der neuen Fichtensetzlinge geholfen. Wenn auf der Plantage nicht so viel zu tun war, hatte er auch mit seinem Vater zusammen auf dem Hummerboot gearbeitet.

Paige war erst eine Woche vor Schulbeginn wieder nach Hause gekommen, und als ihre Mutter ihr endlich erlaubt hatte zu gehen, hatte sie sich mit Riley am Anleger verabredet, wo das Ruderboot der Warrens lag.

Er war etwas zu früh am Treffpunkt gewesen, weil er es nicht erwarten konnte, sie endlich wiederzusehen. Er wusste, dass sie mit ihm auf den Meeresarm hinausrudern wollte, und dabei würden sie sich dann erzählen, was es alles Neues gab. Er hoffte, dass sie danach noch Lust auf eine Runde Basketball hatte. Seine Brüder waren beide viel zu beschäftigt, um mit ihm zu trainieren, und er wollte fit sein für die Tryouts, wenn die Basketballsaison wieder anfing. Er spielte gern mit Paige, und noch lieber, seit sie im Laufe des vergangenen Jahres zehn Zentimeter gewachsen war.

Er saß also auf dem Steg, ließ die Beine baumeln und schaute zu, wie der Rumpf des Bootes sich rhythmisch auf dem Wasser hob und senkte und dabei immer an dem Pfahl entlangschabte, an dem es vertäut war. Am Himmel segelte eine Möwe und stieß ihre einsamen Schreie aus. Als er endlich Schritte auf dem hölzernen Anleger hörte, stand die Sonne schon so tief, dass der ganze Himmel in goldenes Licht getaucht war.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
352 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783961400065
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Telif hakkı:
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