Kitabı oku: «Hüter meines Herzens», sayfa 3

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KAPITEL 5

In Gedanken bereits bei dem Abend, der vor ihr lag, drehte Josephine den Schlüssel ihres Ford Focus um. Der Motor des Autos stotterte, das machte er öfter. Er musste durchgecheckt werden, aber das schob sie schon länger vor sich her.

Sie versuchte es wieder. „Komm schon, Kleiner. Du schaffst das.“ Sie musste mit der Sache abschließen. Weil sie dauernd an Noah Mitchell denken musste, konnte sie sich kaum auf etwas anderes konzentrieren.

Der Motor sprang an, und sie seufzte aus tiefstem Herzen. Mit dem Packen Papiere aus der Anwaltskanzlei auf dem Beifahrersitz bog sie aus der Parklücke und verließ die Stadt. Noah wohnte jetzt auf der Sweetbriar Ranch, eine gute halbe Autostunde den Berg hoch.

Die Sonne hing über dem Horizont, und ihr graute schon jetzt vor der Rückfahrt über die sich windenden Bergstraßen im Dunkeln. Aber nicht so sehr, wie ihr davor graute, Noah wiederzusehen.

Ihr Herz tat einen Extraschlag. Zu sagen, ihr graute davor, war zu einfach für die komplexen Gefühle, die er in ihr aufrührte. Immerhin würde er froh sein, sie zu sehen. Natürlich nicht, weil er ihre Gesellschaft schätzte, sondern weil es den Scheidungsprozess beschleunigte. Nicht einen Moment lang glaubte sie, ihre gute Tat könnte ihr enormes Versagen ausgleichen.

Kurz nachdem sie in der Bergregion angelangt war, begann es zu regnen, und sie stellte die Scheibenwischer an, während sie langsam Kehre um Kehre bewältigte. Schön war es hier oben. Tannen und Bergpanoramen und die Art Stille, die einen seine eigenen Gedanken hören ließ.

Sie fragte sich, ob Noah sich zum Abendessen hinsetzte. Zum ersten Mal dachte sie darüber nach, ob er allein war. In der Stadt hatte sie Gerüchte über ihn und seine Reitlehrerin, Mary Beth Maynor, gehört. Was, wenn Josephine einen gemütlichen Abend oder ein romantisches Abendessen für zwei unterbrach?

Auf dem Lenkrad begannen ihre Handflächen zu schwitzen. Mary Beth war ein liebes Kirchenmädchen mit einer guten, anständigen Erziehung. Sie war hübsch, ein hübsches Mädchen von nebenan, mit ihrem glatten dunklen Haar und einem freundlichen Lächeln. Sie wäre gut für Noah.

Der Gedanke schloss sich wie eine Faust um Josephines Herz.

Kein Wunder, dass ihn die ganze Situation so aufgeregt hatte. Wenn er mit Mary Beth zusammen war, betrog er sie so unwissentlich, und es gab keinen loyaleren Menschen auf der Welt als Noah.

Die Straße wand sich weiter, krümmte sich nach Norden und Süden, Osten und Westen, bis ihr flau im Magen wurde. Die Sonne war inzwischen hinter dem Horizont verschwunden, und es hatte sich eingeregnet, die Tropfen trommelten auf ihr Autodach.

Sie bremste, als sie sich der Old Hollow Road näherte, einer Schotterstraße, die steil nach rechts abfiel. Ein Wegweiser deutete Richtung Sweetbriar Ranch. Die Straße ging noch eine Weile weiter, bevor sie eine weite Ebene voller sanfter Hügel erreichte, die von einem weißen Lattenzaun umfriedet war. Ein Schild am Eingang sagte ihr, dass sie angekommen war.

Kies knallte unter ihren Rädern, als sie langsam über die Auffahrt rollte. Im schwindenden Licht wirkte die Landschaft eintönig, aber sie stellte sich die Hügel grün vor, überall darauf verteilt die Pferde, die sie hier schon einmal gesehen hatte, in glücklicheren Zeiten. Sie überquerte eine Holzbrücke über einen Bach, der sich durch die Weiden schlängelte.

In seiner Jugend hatte Noah auf der Ranch als Stalljunge gearbeitet, wenn im Bauunternehmen seiner Familie wenig los gewesen war. Sie war überrascht gewesen, als sie hörte, dass er die Anlage gekauft hatte. Sosehr er Pferde liebte, Baustellen waren einfach Teil seiner DNA. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er das aufgab. Irgendwie hatte sie sich auch dafür die Schuld zugeschrieben.

Sie erreichte einen Hügelkamm, von wo aus ein kleines Häuschen in Sicht kam. Im Fenster brannte ein Licht, und Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein. Sie bremste vor dem Haus und schnappte sich das Bündel Papiere, dann sauste sie durch den kalten Regen in den Schutz der Veranda.

Nach dreimaligem Klopfen jedoch sank ihr Magen in die Kniekehlen. Sie war doch sicher nicht den ganzen Weg umsonst gefahren. Was, wenn er eine Lücke in seinem Zeitplan gefunden hatte und wegen der Papiere in die Stadt gefahren war? Er würde fuchsteufelswild werden, wenn er den ganzen langen Weg auf sich genommen hatte, um dann festzustellen, dass sie weg war.

Im schwindenden Licht ließ sie ihren Blick über das Umland gleiten und entdeckte den Schatten einer Scheune an einem entlegenen Ende des Grundstücks. Dort glomm ein schwaches Licht. Natürlich.

Sie stürzte zum Auto zurück, kämpfte mit dem Motor und gewann beim zweiten Versuch. Sie klappte die Sonnenblende herunter und verzog das Gesicht bei ihrem Anblick: zusammengefallenes Haar, das Gesicht nassglänzend vom Regen und ein dünnes helles Jäckchen mit dunklen Tropfspuren. Ach, egal. Er würde sowieso nicht begeistert sein, sie zu sehen, ganz gleich, wie sie aussah.

Sie folgte der Auffahrt bis zur Scheune, wo sie seinen Pick-up entdeckte. Als sie ausstieg, hörte sie im Inneren der Scheune ein lautes Wiehern, gefolgt von Noahs tiefer Stimme. Sie hechtete zum Unterstand und blieb in der Tür stehen.

Noah führte gerade ein braunes Pferd in eine Box. Er trug einen dunklen Regenmantel und hatte sich die Kapuze ins regennasse Gesicht gezogen. Ein Rappe stand wartend im Mittelgang. Seine Ohren drehten sich aufmerksam in ihre Richtung, und er wieherte so leise, dass sie es kaum hören konnte.

Bei dem Klang drehte sich Noah um und entdeckte sie in der Türöffnung. Irgendetwas leuchtete in seinen Augen auf, Überraschung vielleicht und noch etwas anderes, bevor sie sich zu Schlitzen verengten.

Seine Kiefermuskeln verkrampften sich, während sein Blick über sie glitt. „Was machst du hier?“

„Ich … ich habe die Papiere hergebracht.“

Sein Blick fiel auf den Packen in ihrer Hand.

„Ich dachte, es könnte den Ablauf beschleunigen, wenn ich sie vorbeibringe.“

Das sanfte Licht konnte seine harten Gesichtszüge nicht abmildern. „Du hättest anrufen sollen. Ich muss die Pferde hereinholen.“

Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Stift. „Wenn du sie einfach unterschreibst, bin ich gleich wieder weg. Ich kann sie Joe morgen gleich als Erstes vorbeibringen.“

Er schenkte ihr ein ironisches Lachen. „Wenn du glaubst, dass ich das unterschreibe, ohne es gelesen zu haben, spinnst du wirklich.“

Hitze stieg ihr ins Gesicht. „Es sind die gleichen Unterlagen, auf die wir uns schon vorher geeinigt hatten. Ich habe sie nur abgeholt.“

Er ging rückwärts aus der Box und schloss die Tür. „Trotzdem. Ich schaue sie mir an.“

Sie verlagerte ihr Gewicht und drückte den Papierstapel an sich. „In Ordnung. Also, dann werde ich sie einfach unterschreiben und hier bei dir lassen, denke ich.“ Dann konnte er sie abgeben, wenn er Zeit hatte. So viel zu ihrem Ausflug auf den Berg.

Mit gerunzelter Stirn griff er nach der Führleine des Rappen.

Josephine wartete geduldig, während er das Pferd offenbar tief in Gedanken versunken in die Box führte.

Sie fühlte sich entlassen, nahm die Kappe ihres Stifts ab und blätterte zur letzten Seite. Sie legte den Stapel auf den Deckel eines Eimers in der Nähe und unterschrieb mit zitternder Hand auf der entsprechenden Linie.

Keine große Sache, Josephine. Du hast doch sowieso gedacht, es wäre längst erledigt. Nur eine Formalität. Doch das Gefühlsknäuel in ihrem Inneren drohte zu platzen.

Sie richtete sich wieder auf. „Okay. Ich lasse das dann einfach hier.“ Als er nicht antwortete, wandte sie sich zum Gehen. Der Regen war stärker geworden, und sie verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, um sich gegen die bevorstehende Nässe zu schützen.

„Warte.“

Josephine drehte sich um, während Noah mit schnellen Handgriffen die Pferdedecke des Rappen abnahm.

Als er fertig war, richtete er seinen finsteren Blick auf sie und seufzte schwer. „Ich will nicht wieder in die Stadt fahren. In zwanzig, dreißig Minuten bin ich hier fertig, wenn du ein bisschen warten kannst.“

Sie wurde nirgendwo anders gebraucht. „Ich warte im Auto.“

Er öffnete seinen Mund, und sie fragte sich, ob er sie gleich in sein Haus einladen würde. Aber falls er das in Erwägung gezogen hatte, hatte er es sich anders überlegt. „Gut.“

Sie ließ den Stift neben den Papieren liegen und stürzte zurück in die Wärme ihres Autos. Durch die Rinnsale auf der Windschutzscheibe beobachtete sie, wie Noah in der Dunkelheit der Weide verschwand. Eine Weile später tauchte er mit drei weiteren Pferden wieder auf.

Während er in der Scheune war, veränderte sich der Klang des Regens. Josephine erkannte, dass der Wolkenbruch in Graupel überging. Sie dachte an die Bergstraße und drängte Noah in Gedanken zur Eile.

Ein paar Minuten später graupelte es gleichmäßig weiter, und Noah war immer noch in der Scheune. Wenn es irgendeine Hoffnung gab, sicher in die Stadt zurückzukommen, war es jetzt oder nie. Sie rannte zurück in die Scheune, inzwischen zitternd vor Kälte und Nässe.

Noah entfernte gerade die Decke eines kastanienbraunen Pferdes.

„Noah … Ich glaube, ich lasse dir die Papiere besser einfach hier.“

„Ich bin beinahe fertig.“

„Der Regen ist in Eisregen übergegangen. Wenn ich jetzt nicht fahre …“ Sie ließ ihn seine eigenen Schlüsse ziehen.

Er durchbohrte sie mit einem nicht gerade freundlichen Blick. Seine Hände arbeiteten schnell, effizient. „Schön. Dann fahr.“

Nett. So viel zu ihren Bemühungen. Sie spürte ein Fünkchen Irritation, drehte sich auf dem Absatz um und eilte zu ihrem Auto. Der Wind wehte ihr das nasse Haar ins Gesicht, wo es auf ihren Wangen kleben blieb. Sie war nass bis auf die Haut und zitterte am ganzen Körper. All das für nichts. Es würde eine langsame, dunkle Fahrt den Berg hinunter werden.

Sie drehte den Schlüssel um. Ihr Bauch krampfte, als der Motor nicht beim ersten Versuch ansprang. Und beim zweiten auch nicht. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, die ihre Aufmerksamkeit weckte – Noah, der wieder auf dem Weg zur Weide war und nichts von ihrer steigenden Besorgnis ahnte.

„Komm schon, Kleiner, du kannst es doch.“ Sie versuchte es wieder. Diesmal gab der Motor nur ein leises Klicken von sich. Ihr Herz setzte aus. „Nein. Nein, nein, nein.“ Das war ein neues Geräusch, und vermutlich kein gutes. Sie schlug mit dem Handballen aufs Lenkrad.

Nach ein paar weiteren vergeblichen Versuchen lehnte sie sich im Sitz zurück und gab auf. Ihre Augen tasteten die Dunkelheit nach Noah ab, aber bis er mit zwei Pferden an der Hand wiederkam, waren zwanzig Minuten vergangen.

Der Eisregen brannte wie Stiche auf ihrer Haut, als sie auf ihn zu rannte. Blinzelnd krümmte sie sich gegen den Wind zusammen. In ihrer Eile rutschte sie auf dem eiskalten Boden aus und konnte sich gerade noch fangen.

Sie sah, wie er sie bemerkte. Sein Rücken streckte sich, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Was machst du denn immer noch hier?“, brüllte er über den Wind.

„Mein Wagen springt nicht an.“

Er kam mit den Pferden im Schlepp zu ihr herüber und bat wortlos mit ausgestreckter Hand um die Schlüssel.

Mit zusammengekniffenen Lippen reichte sie sie ihm.

Er führte die Pferde in ihre Boxen und arbeitete zügig, während sie in einer schattigen Ecke der Scheune zitternd wartete.

Glaubte er wirklich, sie sei nicht imstande, einen Schlüssel umzudrehen? Oder vielleicht glaubte er, sie log. Vielleicht glaubte er, das sei eine Art Komplott, um bei ihm gut Wetter zu machen. Ha.

Er ging mit schnellen Schritten an ihr vorbei in den peitschenden Schneeregen. Als er ihr Auto erreichte, öffnete er die Tür und stieg ein, wobei er möglicherweise mit dem Knie gegen das Lenkrad stieß. Ein Fuß blieb fest auf dem Boden.

Wartend sah sie ihm unter dem Vordach der Scheune zu, aber er steckte den Schlüssel noch nicht einmal ins Zündschloss. Er saß einfach nur da und starrte aus dem Fenster. Sogar von hier aus konnte sie sehen, wie sich sein Brustkorb heftig hob und senkte.

Das Licht im Wageninneren beschien sein Gesicht, akzentuierte seine markanten Wangenknochen und die feine Linie seiner Nase.

Sie zog die Schultern hoch und flitzte über den Hof, um an der offenen Autotür anzuhalten. „Was machst du?“

Er sagte nichts. Die Muskeln in seinem Gesicht verkrampften sich.

„Willst du es nicht versuchen?“ Früher war sie gut darin gewesen, seine Gedanken zu lesen. Aber das war zu Zeiten, als er sie noch angeschaut hatte, als sich seine Gefühle noch offen auf seinem Gesicht gezeigt hatten. Jetzt waren da nur noch tote Augen und eine unbeschriebene Tafel.

„Es ist zu spät“, sagte er tonlos.

Sie hörte ihn kaum bei dem Wind und dem Prasseln des Eises. „Was meinst du?“

„Schau dir die Windschutzscheibe an. Alles ist mit einer Eisschicht bedeckt.“

Er hat recht, dachte sie, und sie verstand langsam. Mit ihren abgefahrenen Reifen hatte sie keine Chance, die Hügel hinaufzukommen, sogar wenn ihr Auto auf zauberhafte Weise anspringen sollte. Selbst der Boden unter ihr wurde langsam gefährlich glatt.

Der Wind frischte auf und wehte Eiskörnchen gegen ihre Wange. Sie duckte sich. „Es tut mir leid. Ich glaube, dann wirst du mich mit deinem Truck fahren müssen. Der hat doch Allrad, oder?“

Er drehte sich langsam um und nagelte sie mit einem tödlichen Blick fest. „Das wird uns bei dem Eis nichts helfen.“

Langsam ging ihr auf, was er sagen wollte. Und zwar gründlich. Oh nein. Auf gar keinen Fall. „Also – also, das muss dann eben sein.“

„Sei nicht albern. Wir würden es nicht einmal bis zur Straße hoch schaffen.“

„Na, hier bleibe ich jedenfalls nicht.“

„Du hast nicht viel Auswahl.“

„Dann – dann bleibe ich in meinem Auto.“

„Wir haben Temperaturen um den Gefrierpunkt, Josephine.“

„Das ist mir egal.“ Sie wich zurück. Sie drängte sich ihm nicht auf. Sie wusste, wann sie nicht willkommen war. Noah würde sich eher einen Arm abhacken, als eine Stunde mit ihr zu verbringen, und sie war auch nicht gerade begeistert von dem Gedanken.

„Du würdest erfrieren hier draußen.“

Sie dachte an das kleine Haus auf dem Hügel, den Lichtschein, an das gemütliche Feuer im Kamin. Nur Noah und sie und eine Flut schöner Erinnerungen. Ein kalter Angstschauer jagte ihr über den Rücken.

„Hol mir eine Decke. Ich komme schon zurecht.“

Er stieg aus dem Auto und schloss die Tür.

Als sie nach den Schlüsseln griff, richtete er sie auf den Wagen und drückte einen Knopf. Die Schlösser klickten, und er steckte den Schlüsselbund ein.

Glühende Hitze stieg in ihr auf, die sie irgendwie noch mehr zittern ließ. „Gib mir die Schlüssel!“

Aber Noah war schon auf halbem Weg zu seinem Pick-up.

Sie schlidderte hinter ihm her und rutschte dabei fast aus. „Noah!“

Sie holte zu ihm auf, als er die Beifahrertür öffnete.

Sein Gesicht war hart wie ein Eisblock. „Steig ein.“

„Gib mir meine Schlüssel!“

„Steig ein, Josephine, oder ich ziehe dich eigenhändig rein.“

Sie steckte blitzschnell eine Hand in seine Manteltasche, aber ehe sie die Schlüssel finden konnte, hatte er sie in die Arme genommen und hochgehoben. Er machte einen Schritt, warf sie ohne weitere Umstände in den Wagen und schloss die Tür hinter ihr.

Bis sie sich aufsetzen und nach dem Türgriff greifen konnte, hatte sich Noah schon auf den Fahrersitz gesetzt und die Türen von innen verriegelt.

Josephine entriegelte das Schloss an ihrer Tür, aber bevor sie den Griff erreichen konnte, packte Noah sie am Arm. „Beruhig dich mal! Du machst dich lächerlich.“

„Und du schikanierst mich. Du kannst mich nicht einfach entführen. Ich will nicht hierbleiben.“

„Dann hättest du nicht kommen sollen.“

Das tat weh. Sie strengte sich sehr an, ihre Zunge im Zaum zu halten. „Ich wollte dir einen Gefallen tun.“

Er lachte ironisch, startete das Auto und wendete.

Sie hielt sich am Armaturenbrett fest, um nicht gegen ihn zu fallen. Der Wagen rutschte ein bisschen, und er nahm Tempo weg, um um die nächste Kurve zu fahren.

Josephines Augen fielen auf das Häuschen, das sich auf den entfernten Hügel schmiegte. Ihre ganze Wut verschwand, wurde verdrängt von dem Grauen, das langsam durch ihre Adern kroch. Das alles passierte wirklich. Sie war bei Noah. Sie würde die Nacht mit Noah verbringen. Ganz allein. Nur sie beide zu zweit.

Sie schloss ihre Augen und ließ das Haus einen süßen Moment des Verdrängens lang verschwinden. Sie atmete tief ein, und sein vertrauter männlicher Geruch, Moschus und Holz, füllte ihre Nasenlöcher.

Sie konnte dem hier nicht entgehen. Konnte ihm nicht entgehen.

Er hatte recht. Es war zu kalt, um die Nacht im Auto zu verbringen, und sie war nass bis auf die Haut. Ihre Zähne klapperten, und ihr Körper bebte von der Art Kälte, die bis in die Knochen zog. Wie konnte das alles hier passieren? Sie war so eine dämliche, blöde Kuh. Warum war sie hier herausgefahren? Warum hatte sie nicht nach der Wettervorhersage geschaut?

Sie öffnete die Augen und konzentrierte sich auf das Häuschen, das immer näher kam. Es war so klein. So klein wie ihr Bungalow in der Katydid Lane. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich an kalten Winterabenden auf ihrer durchgesessenen Couch, in eine Wolldecke eingewickelt, zusammengekuschelt hatten. Wie sie zusammen in der engen kleinen Küche das Abendessen gekocht hatten, wie seine Hand die Rundung ihrer Hüfte fand, seine Lippen ihren Nacken. Wie sie Töpfe und Pfannen auf dem Herd zurückließen, wo das Essen verkochte, während er sie rückwärts ins Schlafzimmer führte.

Die Erinnerungen schossen wie Sternschnuppen durch ihren Kopf und hinterließen eine Spur der Verzweiflung. Ihr Herzschlag sprang in ihrer Kehle. Ihre Brust wurde eng, und hinter ihren Augen fing es an zu brennen.

Er hielt vor dem Haus an und stellte den Motor ab. Sie starrte an den schmelzenden Rinnsalen vorbei aus dem Fenster auf das Haus vor ihnen und fragte sich, wie sie diese Nacht überstehen sollte.

KAPITEL 6

Das Heulen des Windes gesellte sich zu dem stetigen Prasseln des Eisregens auf dem Dach von Noahs Pick-up-Truck. Er drehte sich zu Josephine, die schweigend aus dem beschlagenen Beifahrerfenster starrte.

Das Kämpferische schien während der kurzen Fahrt vom Stall herüber aus ihr herausgesickert zu sein, und sie hatte sich nach innen gewandt. Das machte sie manchmal. Noah gefiel sie besser, wenn sie aufgebracht war, wenn Funken aus ihren blauen Augen schossen. Mit Wut konnte er umgehen. Dieses stoische Schweigen machte ihn hilflos. Und er fühlte sich nicht gern hilflos.

Auch von seiner eigenen Wut war viel verraucht. Genug, dass er sich schuldig fühlte für die Art, wie er sie ins Auto bugsiert hatte. Er war nie anders als vorsichtig und zart mit ihr umgegangen, selbst wenn sie ihn provoziert hatte. Er fragte sich, ob es daran lag, dass ihre Schultern jetzt hochgezogen und die Knie von ihm abgewandt waren.

„Es könnte sich zu Regen verändern und in ein, zwei Stunden wieder schmelzen.“

Als sie nicht antwortete, stieg er aus und ging zum Haus. Er war erleichtert, als er ihre Schritte hinter sich hörte. Immerhin würde er nicht wieder handgreiflich werden müssen. Dieses närrische Weib. Sie würde dort draußen keine drei Stunden überleben. Ihr wurde ja schon kalt, wenn die Temperatur unter zwanzig Grad fiel.

Er öffnete die Haustür, führte sie hinein und schloss die Tür dann wieder gegen den brausenden Wind. Shadow, sein schwarzer Labrador, kam ihm schwanzwedelnd entgegen, um ihn zu begrüßen. Noah kraulte sein Fell, aber der Verräter erkannte Josephines Geruch und bohrte leise winselnd seine Schnauze in ihre offene Handfläche.

Sie kniete sich hin, und Shadow leckte ihr das Wasser vom Gesicht. Das erste Mal seit ihrer Ankunft umspielte ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. „Hallo, Schätzchen“, gurrte sie. „Oh, ich habe dich so vermisst. Du bist so ein guter Junge, ja wirklich, das bist du.“

Er schenkte ihnen einen Moment und hatte augenblicklich Gewissenbisse, weil er sie voneinander getrennt gehalten hatte. Klar war Shadow sein Hund gewesen, aber er konnte auch nicht leugnen, dass es eine besondere Verbindung zwischen Josephine und dem Labrador gab.

Am Ende stand sie zitternd auf seinem Teppich und sah aus wie ein verwahrlostes nasses Kätzchen. Ihre Hände zitterten, als sie ihre dünnen Ballerinas auszog. Ihr weißer Pullover war so dünn und nass, dass er das hellblaue T-Shirt sehen konnte, das sie daruntertrug.

„Du brauchst eine heiße Dusche.“ Er zeigte den Flur hinunter. „Da lang geht es zum Bad.“

Sie warf einen Blick auf die Holzdielen und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich will nicht deinen ganzen Boden volltropfen.“

„Das trocknet schon wieder.“

Er wartete, bis die Dusche anging, und eilte dann wieder nach draußen. Mary Beth verwahrte Ersatzklamotten im Stall. Vorher hatte er noch nicht daran gedacht, sie zu holen. Der Wind war übel und peitschte ihm auf dem Weg zum Wagen Eis ins Gesicht.

Wind und Regen hatte er erwartet. Viel Regen. Das Sturmtief war enorm. Aber eigentlich war nicht vorhergesehen gewesen, dass die Temperatur tief genug für Eisregen fiel. Jetzt, wo es passiert war, fragte er sich, was sonst noch kommen würde. Vielleicht würde der Eisregen wieder zu normalem Regen werden, und er konnte Josephine später am Abend in die Stadt zurückbringen. Für ihr Auto würde er einen Abschleppwagen rufen, und dann hätte er sie endlich endgültig vom Leib.

In der Scheune nahm er sich etwas Zeit, um Kismet zu beruhigen. Das braune Vollblut war neu in seinem Stall und äußerst zaghaft. Gestern hatte er eine Dreiviertelstunde lang bei dem Pferd im Auslauf gesessen, das ängstlich hoch wiehernd auf und ab trabte, während seine Ohren fortwährend hin und her zuckten.

Jetzt sprach Noah in tiefen Tönen mit ihm und streichelte Kismets Widerrist, als der ihn mit einem Stupsen dazu aufforderte. Nach ein paar Minuten beruhigte sich das Pferd. Noah holte Mary Beths T-Shirt und ihre ausgebleichte Jeans. Er schnappte sich die Scheidungspapiere von der Tonne und nahm auf dem Weg nach draußen Mary Beths Arbeitsmantel vom Haken. Nachträglich fiel ihm noch ein, ihre Stiefel ebenfalls mitzunehmen.

Er konnte sich Josephine in diesen abgewetzten Kleidern nicht vorstellen. Mary Beth war ungefähr gleich groß und dürfte in etwa die gleiche Größe tragen, aber sie bestand ganz aus geraden Linien und Kanten, wirkte schlaksig. Josephine dagegen … nicht.

Als er die Wärme des Hauses betrat, überraschte es ihn, dass die Dusche bereits abgestellt war. Früher hatte er sie immer wegen ihrer langen Duschzeiten aufgezogen, aber entweder hatte sie sich gebessert, was das anging, oder aber sie nahm Rücksicht.

Mit einem Klicken öffnete sich die Tür, als er gerade den zweiten Stiefel auszog. „Noah?“ Ein Hauch Panik lag in ihrer Stimme, und er fragte sich, wie oft sie schon nach ihm gerufen hatte.

„Gleich.“ Er brachte ihr das Kleiderbündel. Dampf quoll aus dem Türspalt, als er ihr die Kleider reichte. Er wandte seinen Blick ab und versuchte, nicht daran zu denken, was sie wohl gerade auf der anderen Seite trug oder nicht trug.

„Danke.“ Die Tür schloss sich.

Er legte Jacke und Sweatshirt ab und behielt nur sein schwarzes T-Shirt und die feuchte Jeans an. Lieber erst einmal übers Abendessen nachdenken. Dann würde er duschen und nach dem Wetter sehen. Er hatte gerade erst damit begonnen, den Inhalt seiner Speisekammer zu begutachten, als er sie hinter sich hörte.

Shadow ließ ihn stehen, um sie schwanzwedelnd und mit heraushängender Zunge zu begrüßen.

„Hast du einen Trockner für die hier?“

„Da hinten.“ Mit einer Kopfbewegung wies er in die ungefähre Richtung.

Er beobachtete sie beim Weggehen. Ihre nackten Füße patschten über seinen Küchenboden. Die Jeans hatten die richtige Länge, spannten aber an der Sitzfläche und mussten in der Taille mit einem Gürtel zusammengerafft werden, den sie anscheinend schon vorher getragen hatte.

Er wandte sich wieder seinen Vorräten zu und versuchte, das Bild ihres herzförmigen Hinterns aus seinem Kopf zu verbannen. War das Wollust, wenn sie immer noch verheiratet waren?

Er schlug seinen Kopf gegen die Tür der Speisekammer. Einmal. Zweimal. Idiot. Er war schon einmal verblendet gewesen. Nie wieder. Gib ihr was zu essen und schaff sie hier raus.

Er überflog die Auswahl an Konserven und Schachteln. Noah machte sich nicht die Mühe, für sich allein zu kochen, und sein Vorratsschrank spiegelte sein einfaches Küchenkönnen wider. Er hatte am Samstag vorgehabt, bei Piggly Wiggly ein paar Kleinigkeiten mitzunehmen, war dann aber durch seinen unglückseligen Zwischenstopp bei der Post abgelenkt worden.

Er versuchte immer noch, einen Plan zu schmieden, als der Trockner ansprang. Einen Moment später fühlte er Josephines Gegenwart in seinem Rücken.

„Warum gönnst du dir nicht eine heiße Dusche, während ich mich ums Abendessen kümmere?“, schlug sie vor.

„Essenstechnisch ist da nicht viel zu machen.“ Er sah sie über seine Schulter an. „Ich müsste längst mal zum, äh …“

Das Farnam-Logo auf ihrem lila-grauen T-Shirt spannte sich straff über ihrer Brust. Wenn Mary Beth das T-Shirt je getragen hatte, erinnerte er sich nicht daran.

Er riss seine Augen von dem Logo los und blinzelte. „Äh, Supermarkt. Vielleicht ist noch was im Gefrierschrank.“

„Mir fällt schon was ein.“

Die Küche war um zwei Größen geschrumpft. Irgendetwas Metallisches klickte gleichmäßig in der Trommel des Trockners.

Ihr feuchtes Haar war zerzaust, und ihr Gesicht war ungeschminkt, was ihre Augen hervorhob, obwohl die ihn immer noch nicht anschauten. So war sie ihm immer am liebsten gewesen. Natürlich. Sie brauchte keinen Lippenstift und keine Wimperntusche. Obwohl sie, echtes Südstaatenmädel, das sie war, nie ohne aus dem Haus ging. Ohne diese Maske aus Make-up haftete etwas Verletzliches an ihr.

Es befindet sich kein verletzlicher Knochen in ihrem Körper, Mitchell.

Sein Herz wehrte sich gegen den Gedanken, aber sein Hirn wusste es besser. Sosehr sie sich auch bemühte, es zu verstecken – vor ihm, vor allen anderen –, da drin steckte irgendwo ein geschundenes kleines Mädchen.

Aber es lag nicht mehr an ihm, dieses Rätsel zu lösen. Er wandte sich Richtung Bad. „Dann überlasse ich dir das Feld.“


Sobald sich die Badezimmertür geschlossen hatte, taumelte Josephine gegen die Wand. Die Dusche hatte sie aufgewärmt, aber diese unfassbare Situation setzte sie so unter Adrenalin, dass ihre Knie weich waren wie gekochte Nudeln.

Shadow schob sein Maul in ihre Hand. Er bettelte um Aufmerksamkeit und bekam sie auch. Mit gesprenkelten braunen Augen schaute er zu ihr auf, das eine Ohr aufgestellt, das andere geknickt. Noah hatte immer gescherzt, es sei kaputt, aber Josephine hielt dagegen, es sei einfach Teil seines Charmes.

„Gut jetzt, Mädchen“, murmelte sie sich selbst zu. „Reiß dich zusammen.“ Sie wandte sich der Speisekammer zu, schob Dosen beiseite, überflog die Etiketten, gab aber angesichts der wilden Mischung bald auf. Der Gefrierschrank spuckte immerhin etwas Hackfleisch und gefrorenen Brokkoli aus.

Sie taute das Fleisch auf, und als sie hörte, wie Noah im Nebenzimmer das Feuer schürte, brutzelten längst Frikadellen in der Pfanne. Ein bisschen Fett spritzte ihr aufs T-Shirt, als sie einen der Burger umdrehte, aber das war ihr so was von egal.

Als er sagte, er würde trockene Kleider für sie heraussuchen, hatte sie eins seiner T-Shirts und eine Jogginghose erwartet. Doch diese Klamotten schrien förmlich nach „Mary Beth Maynor“. Sie versuchte, nicht weiter über den Grund nachzudenken, warum Mary Beth Kleider in Noahs Zuhause aufbewahrte. Versuchte, alle Gerüchte aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber sie krochen immer wieder aus den Schatten und verspotteten sie.

Das geht dich alles nichts an, Josephine. Er gehört dir nicht mehr. Egal, was es mit den Papieren auf sich hat.

Sie briet die Frikadellen fertig, packte sie mit einem großzügigen Klecks Senf zwischen zwei Scheiben Weißbrot und legte zwei davon auf Noahs Teller. Sie verteilte den dampfenden Brokkoli und platzierte die Teller auf dem Tisch der Essecke, die einst seiner Großmutter gehört hatte.

„Es ist fertig“, rief sie.

Noah betrat den Raum. Er roch sauber und trug frischgewaschene Jeans und T-Shirt.

Er setzte sich ihr gegenüber und senkte den Kopf, schloss sie aus seinem stillen Gebet aus. Vermutlich bat er Gott um eine Hitzewelle.

Früher hatte er an genau diesem Tisch immer ihre Hand gehalten und für sie beide gebetet. Nach dem Amen hatte er dann sanft ihre Hand gedrückt. Josephine hatte es nicht so mit dem Beten. Es hatte ihr nie viel gebracht. Aber aus ihrem abendlichen Ritual hatte sie Mut geschöpft. Aus seinem Glauben.

Jetzt sah sie seine Hände an, die zu Fäusten geballt neben dem Teller lagen. Seine starken, männlichen Hände hatte sie immer gemocht. Männerhände: rau, schwielig, aber zärtlich. Ein Hauch dunkler Haare zog sich über seinen Unterarm und führte zu ihrem Lieblingsteil seiner Anatomie – seinem Bizeps, geformt und gehärtet durch stundenlange körperliche Arbeit. Sein Beruf hatte sich verändert, nicht aber diese Arme.

Ihr Blick wanderte hinauf zu seinem arglosen Gesicht. Dunkle Augenbrauen schwangen sich über seinen geschlossenen Augen. Seine Wimpern waren feucht und hoben sich spitz von seiner olivfarbenen Haut ab, und dichte Stoppeln zogen sich über seinen Unterkiefer. Zwei-Tage-Bart, schätzte sie.

Damals hatte sie ihn manchmal an faulen Samstagvormittagen rasiert. Er konnte nie stillhalten oder seine Hände bei sich lassen. Oft lag er am Ende halb rasiert wieder mit ihr unter den kühlen Bettlaken, wo sich das Lachen in seinen Augen schnell genug in Lust verwandelt hatte.

Seine Augen öffneten sich und richteten sich auf ihre. Sie war wie ein Reh im Scheinwerferlicht gefangen. Sie fragte sich, ob er wohl ihre Gedanken lesen konnte, und lief rot an. Was die wechselseitige Chemie anging, hatten sie nie Probleme gehabt.

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