Kitabı oku: «Weihnachtlich glänzet der Wald»

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KaroKrimiPreis 2017

Weihnachtlich glänzet der Wald

Wiener Weihnachtskrimis – Die besten Vierzehn

edition ♦ karo 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

unter www.dnb.d-nb.de abrufbar.

KaroKrimiPreis 2017

WEIHNACHTLICH GLÄNZET DER WALD

Wiener Weihnachtskrimis – Die besten Vierzehn

karo ♦ weihnachtskrimis, band 7

1. Auflage 2017

© edition ♦ karo

Verlag Josefine Rosalski, Berlin

www.edition-karo.de

Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck oder jede andere Nutzung des Werks, auch

auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Umschlagfotos und Grafik: © nataliazakharova, © Aleksandr

Ugorenkov, © Carola Schubbel, © NDTeam, alle: Fotolia.com

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-945961-64-3

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

1. Preis: Sandra Spreemann

PUNSCH AM DACH

2. Preis: Ruth Reuter

ADVENT, ADVENT, EIN LICHTERL BRENNT

3. Preis: Detlef Seydel

KRAWALL IM BÖSENDORFERSAAL

Monika Deutsch

BOANLKRAMERS NIKOLAUSABEND

Sabine Roidl

WEIHNACHTEN IM ZINSHAUS

Horst-Dieter Radke

WEISSAGUNG ZU WEIHNACHTEN

Brigitte Karin Becker

HIMMLISCHE BESCHERUNG

Doris Distelmaier-Haas

PUPPENKRIMI AUS WIEN

Parviz Amoghli

SCHWARZER SCHATTEN

Robert Anders

SCHNAUZ UND SEIN TOTENACKER

Heinrich Beindorf

DAS GESCHENK

Rita Klement

SÜSSER DIE GLOCKEN NIE FALLEN

Karin Koller

ZU WEIHNACHTEN, DAS ÜBLICHE

Katja Hoffmann

TANTENWIRTSCHAFT

Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren

Karo Weihnachtskrimis

Vorwort

2017 haben wir zum vierten Mal den KaroKrimiPreis für Weihnachtskrimis ausgelobt. Die bekannten und weniger bekannten Tatorte liegen diesmal in der schönen Donaustadt Wien.

Die vierzehn besten Einsendungen einschließlich der drei Preisträger präsentieren wir in diesem Buch.

Eine wieder einmal hochkarätige Jury, besetzt mit Katharina Joanowitsch, Autorin, Angela Temming, Autorin, und Henry Kersting, freier Lektor, erhielt die zahlreich eingesandten Texte anonym und wählte die Preisträger und die Nominierten aus.

Mit festlichem Gepräge und frechem Wiener Schmäh erzählen die Kurzkrimis von familiären Katastrophen, falschen Freunden, mörderischen Rezepten und erschreckenden Geschenken im festlich geschmückten, wunderschönen Wien.

Der Verlag

1. PREIS

Sandra Spreemann

Punsch am Dach

Wenn es mir schlecht ging, sah ich

Mama immer durch die Luft segeln.

Schon das erste Weihnachten, an das ich mich erinnere, war eine Katastrophe, war es. Mit Hingabe sortierte ich meine Geschenke nach Größe, Form und Farbe. Aber auspacken? Mama machte es vor, und unversehens war ich von buntem Spielzeug, Winterkleidung und Bilderbüchern umzingelt. Meine Freude wich blanker Panik: Wie sollte ich all die fremden Gegenstände in mein Leben integrieren? Ich schrie. Mama schrie auch. Ich wollte die Sachen schnellstmöglich wieder in das Papier zurückstecken, wollte ich. Aber Mama hielt mich fest. Als ich kurz freikam, schlug ich der neuen Puppe in meiner Hand den Schädel ein. Tavi brachte mich in mein Zimmer, und Mama rief: »Schließ deine Tochter bis morgen da ein!« Aber das musste er gar nicht – ich verbrachte freiwillig die restlichen Weihnachtstage unter meinem Bett, bis ich mich langsam an den Gedanken gewöhnte, dass die sogenannten »Geschenke« nun Teil unserer Wohnung waren.

Anstatt die Schenkerei künftig zu unterlassen, machte Mama ein Weihnachten, »wie es sich in der Familie gehört«, zu ihrer persönlichen Mission. Hatte sie zuvor nur auf ein bisschen Weihnachtsschmuck gesetzt, ließ sie sich nun jedes Jahr etwas Neues einfallen. Aber auch, wenn sie die Geschenke mal in Jutesäcken, mal in übergroßen Strümpfen daherkommen ließ – am Ende spielte sich immer die gleiche Szene ab. Vor dem vierten Weihnachten, an das ich mich erinnere, nahm Tavi mich im November heimlich mit in die Rauhensteingasse. Wir betraten die Wiener Spielzeugschachtel, und er sagte: »Jetzt such dir mal selbst aus, womit du klarkommst, Lissie, und dann besuchen wir deine Geschenke noch ein paar Mal hier, bevor sie zu uns kommen, ja?« Er legte den Finger an den Mund. »Aber pssst!«

Die friedlichen Bescherungen in den Jahren danach verbuchte Mama als ihren Erfolg. Aber es war Tavi, der das Weihnachtsmahl allein mit mir in der Küche aß, wenn Oma und Opa und Onkel Franz an Heiligabend in der falschen Reihenfolge eingetroffen waren. Mama stritt sich deswegen mit ihm, doch ich beruhigte mich eben nur, wenn ich eine Auszeit von dem abgesägten Baum in der Wohnzimmerecke bekam. Außerdem konnte ich die Kaugeräusche der verdoppelten Esser nicht ertragen, konnte ich nicht.

Am sechsten Weihnachten, an das ich mich erinnere, bestand Mama auf meine Anwesenheit bei Tisch. »Wir wollen Fondue machen, und Lissie ist alt genug, sich mal zusammenzureißen!« Man drückte mir zwei seltsame Gabeln in die Hand. Was mir dazu erklärt wurde, bekam ich nicht mit, denn das Rauschen des Spiritusbrenners hypnotisierte mich und auch das große Durcheinander aus Platten, Schüsseln und Händen, die pausenlos dazwischen hin und her huschten. »Lissie sitz doch nicht so da«, hörte ich Mama, die mit einer Hand die Flamme regulierte. »Du kannst schon mal mein Fleisch aufspießen, wenn du selbst keinen Hunger hast.« Das tat ich. Aber ich erwischte ihre Pulsadern, und den Rest des Abends verbrachte Mama mit Tavi in der Notaufnahme.

»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fragte Oma, die nach dem Tumult zu mir gekrabbelt kam, um mich unter dem Tisch hervor zu zerren. »Deine Mutter hätte sterben können!« Diese Möglichkeit weckte mein Interesse, weckte sie. Schon jetzt war es viel angenehmer in der Wohnung, ohne Mama. Konnte sie wirklich verschwinden, nur weil man das mit den Rindfleischbrocken nicht kapiert hatte? Und was, wenn man dem unbemerkt etwas nachhülfe? Ein Leben nur mit Tavi wäre ruhig und friedlich. Er zwang mich nicht in die Nähe anderer Kinder, die mir mit ihren sich ständig in Bewegung befindlichen Gesichtern ein noch größeres Rätsel als die Erwachsenen waren. Er führte keinen Streit mit meinen Lehrern wegen der Sonderschule, und ließ meine »Anfälle« einfach an sich vorüberziehen. Mama dagegen schrie, gebot, weinte lautstark. Im Grunde wollte ich sie das ganze Jahr über verschwinden lassen. Aber an Weihnachten war es am schlimmsten.

Ich übte mich in kleineren Haushaltsunfällen, meine Fortschritte hielt ich in einer Liste fest. Es war einfach auszutüfteln, was man wie sabotieren konnte. Aber nur einmal musste Mama in die Klinik, und mit einem Gipsarm kam sie schnell zurück. Um sie für die Weihnachtszeit zuverlässig auszuschalten, brauchte ich einen richtigen Plan, brauchte ich.

Doch bevor mir etwas einfiel, kam Tavi auf die Idee mit dem Museum. Weil Mama blinkende Lichterketten aufhängte und draußen das Glockengeläut nicht mehr abriss, packte er mich ins Auto. »Das Kind muss aus dem Weihnachtsrummel raus!« Das war das achte Weihnachten, an das ich mich erinnere, und es gab noch keinen Christkindlmarkt auf dem Maria-Theresien-Platz. Dort standen wir unentschieden zwischen den beiden Museumspalästen – Kunst oder Natur? Plötzlich sah ich eine Gestalt auf dem Dach der Naturhistorik, und ich hatte eine Eingebung: Mit Geschick konnte man jemanden doch bestimmt diskret da runterschubsen? Vielleicht könnte anderntags mal Mama mit mir hierherkommen. Ich zeigte auf das Gebäude, und die Entscheidung war gefallen, war sie.

Sie wurde zur einzigen Weihnachtstradition, die ich mochte. Ganze Adventswochenenden, auch Feiertage, streiften Tavi und ich durch die menschenleeren Korridore und Prunksäle. Krebse, Spinnentiere, Insekten, Wirbeltiere – Tausende von Taxidermie-Präparaten, jedes in seiner Glasvitrine. Hier veränderte sich kaum etwas, und keines der toten Augenpaare sendete je Signale, die ich nicht entziffern konnte. Nur aufs Dach durfte man als Besucher doch nicht, durfte man nicht. Trotzdem: Wenn es mir schlecht ging, sah ich Mama immer durch die Luft segeln.

Ich experimentierte damit, aber in dem Jahr, in dem Mama am Martinstag tatsächlich von der Leiter stürzte und drei geruhsame Wochen mit Tavi folgten, nahm ich widerwillig Abstand vom Ausbau meiner Pläne. Denn bevor Mama aus der Reha kam, stand Tavi eine Spur zu lange vor der Vitrine mit der Mexikanischen Zwergklapperschlange: »Weißt du was? Ich brauche deine Mutter.« Zuhause vernichtete ich die Liste.

An die drei darauffolgenden Weihnachten erinnere ich mich nicht, wahrscheinlich wegen der Medikamente, die sie mir eins nach dem anderen und ohne jeglichen Erfolg verabreichten. In der Schule ging es immer schlechter, dann ging gar nichts mehr, ging es nicht. Statt Mama verschwand ich aus unserer Wohnung. Da, wo ich hinkam, störte nichts meine einmal gefundenen Gewohnheiten, eine lange Weile nicht. Ich fühlte mich wohl, das Personal war so ruhig. Auch Tavi und Mama führten lange Gespräche mit den Ärzten. Am Ende entschuldigte sich Tavi bei mir. Mama sagte: »Na, dann ist das Kaninchen ja endlich aus dem Hut!« Ich sah mich suchend um, fand aber keins.

Danach durfte ich bald alleine leben, durfte ich. Am Anfang bekam ich Betreuer, die mich besuchten. Für die Schule gab es Fernangebote. Tavi besuchte mich auch, manchmal mit Mama: »Und wann wirst du mal etwas arbeiten können, Lissie?« Als ob das nicht für mich selbst das größte Rätsel gewesen wäre! Sie wohnten jetzt weiter weg, aber am Samstag vor Heiligabend kam Tavi immer allein und blieb über Nacht, damit wir bis spät im Museum wandeln konnten. Noch immer waren mir die Augenpaare der Exponate lieber als lebendige, und von mir aus hätte es ewig so weitergehen können, hätte es. Doch dann bekam Tavi einen Herzinfarkt und selbst tote Augen.

Das war vor dem sechszehnten Weihnachten, an das ich mich erinnere. Obwohl Mama am Telefon wieder schrie, gebot und weinte, ging ich nicht zur Beerdigung, deren Sinn sich mir nicht erschloss. Dafür erlaubte ich ihr, das traditionelle Weihnachtswochenende mit mir in Wien zu verbringen. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, hätte ich nicht. Aber mit wem sonst ins Museum gehen? Dies war nicht die Zeit, um meine Weihnachtsabläufe durcheinander zu bringen.

Mama erschien mit Koffer und einer Papiertüte vor meiner Tür, fast hätte ich die wieder zugeworfen. »Grüß Gott, Lissie!«, ächzte sie. »Ich musste dem Taxler ein unmoralisches Angebot machen, sonst wär ich zu spät.« Überquellende Geschenkbänder kräuselten sich in meine Augen. Gleichzeitig fiel mich ein Bild von Mama in Strapsen an, aber nein, sie hatte dem Fahrer wohl nur eine Menge Geld geboten.

»Wieso, du bist drei Minuten über Plan, über Plan«, sagte ich und deutete auf die Tüte. »Du bringst Geschenke mit?«

»Willst du mich nicht erst mal reinlassen?«, fragte sie. Ich überlegte. Sie tat einen Schritt auf mich zu.

»Ach Kind, nur eines, ausnahmsweise! Dies Jahr ist sonst alles so trostlos ohne deinen Vater. Geht’s dir nicht auch so?«

»Deswegen bist du ja hier. Wusste nicht, dass ich auch ein Geschenk nehmen muss. Lass es draußen stehen.«

»Na gut, aber du wirst es diesmal mögen. Wir packen aus, wenn wir in Stimmung sind!«

Ich schwieg. Es war nicht einfach, das Loch im Kopf meiner Puppe von damals aus dem Sinn zu bekommen.

Als ich das Kaffeetablett in mein Wohnzimmer trug, hatten 17 Gegenstände ihre Position im Raum verändert, und meine Sonnenbrille war ruiniert. Mama hielt mir die Reste entgegen: »Das Ding ist mir nur runtergefallen und geht gleich kaputt!«

Tavi hatte nie etwas angefasst, hatte er nicht. Vom Lebkuchen und den schlechten Aussichten wurde mir übel: Ohne dunkle Brille war ich der vorweihnachtlichen Lichtverschmutzung wie früher schutzlos ausgeliefert.

»Hör doch mal auf, mit den Händen vor deinem Gesicht zu wedeln!«, hörte ich Mama. Dann klingelte der nächste Taxler, wir gingen runter.

Vor Aufregung vergaß ich meine Kopfhörer. Das wurde bei unserer Ankunft am Burgring zum Problem. Mit zugekniffenen Augen und Fingern in den Ohren ließ ich mich schließlich von Mama am tingelnden Weihnachtsdorf vorbei und ins Foyer des Naturkundemuseums führen.

»Immer noch so ein Theater!«, sagte sie und zeigte auf die Tafeln mit den Eintrittspreisen. »Dafür könntest du jetzt mit mir diese Führung hier machen. Da steht, in der Adventszeit servieren sie am Ende Punsch am Dach.«

»Was?«, fragte ich. Taumelnd.

»Na hier, Über den Dächern von Wien! Klingt doch viel netter als die Naturaliensammlung. Die Gruppe da vorn geht gleich los!«

Ich konnte mich nicht bewegen, alles drehte sich. Mama ließ mich stehen.

»Wenn du nicht willst oder kannst oder was weiß ich, dann warte eben hier auf mich!«

Leute glitten an mir vorbei. Ich sah ihnen auf die Absätze. Absätze hatten Formen, die Formen waberten vor mir, ich wiegte mich hin und her.

»Ich brauche deine Mutter«, hörte ich Tavi wieder sagen, schaute auf und merkte, dass ich mich in Bewegung gesetzt hatte. Aber die Führung war Nebel. Erst am Ende, oben angekommen, hob sich der Schleier. Ich stellte fest: Genau an dieser Stelle auf der Dachterrasse hatte ich damals die Gestalt gesehen! Jetzt verschmolzen Lichter, Gebäude, Graupel, Straßen, Gesang, Plätze und weihnachtliche Gerüche zu einem großen Ganzen, ergaben ein Muster, in dem mir kein einziger Reiz mehr störend oder zu viel vorkam. Zwischen uns und dem grafisch wirkenden Panorama rund um den Rathausmann war nur diese steinerne Balustrade da, breit wie eine Bank und sehr flach. Ich atmete tief durch.

»Siehst du, es geht doch!« Mama ließ sich mit mir hinter den anderen zurückfallen. Mit ihrem Punschbecher prostete sie mir zu. »Dann kann ich ja jetzt auch beruhigt bis Silvester bleiben!« Das Muster fiel in sich zusammen. Einzelteile prasselten auf mich ein, lauter Einzelteile!

»Das geht nicht!«, stöhnte ich. »Das geht nicht.« Und: »Ich muss hier runter!« Aber Mama hielt mich am Handgelenk fest.

»Jetzt bleib mal hier, Fräulein! Du kannst nicht immer vor allem weglaufen. Immer nur ich, ich, ich! Hast du vielleicht mal an mich gedacht? Da wartet doch nichts auf mich, daheim!« Ich riss mich los.

»Tavi ist nie über Weihnachten geblieben!«

»Du und dein Tavi! Vati ist tot! Und jetzt hocke ich da auf dem Land, weil du ja in der teuren Stadt wohnen musstest mit deinen Therapeuten!«

Plötzlich sah ich nur noch Mamas Gesicht, Wasser darin, das floss auf ihre Wangen und auf mich ein, floss das. Ich würde darin ertrinken.

»Aber weißt du was? Ich kann das alles allein nicht länger bezahlen. Wir müssen sowieso bald wieder zusammenwohnen!«

»Niemals!« Vor meinen Augen bohrten sich Fonduegabeln in Mamas Adern. Warum war mir das nicht gleich eingefallen? Ich warf mich mit aller Kraft gegen ihren Körper – fast das gleiche Gefühl wie an jenem Heiligabend. Es stand auch der gleiche Ausdruck auf ihrem Gesicht, nur dass ich inzwischen die Bedeutung analysieren konnte: Sie war überrascht. Das Überraschungsmoment half mir – die Sache dauerte nicht lang. Halb mit ihr auf der Balustrade hängend, stieß ich noch einmal nach, dann fiel Mama. Bis zum Aufschlag sah ich ihr hinterher. Dann war die Ordnung wiederhergestellt. Wenn Tavi sie brauchte, sollte er sie haben, sollte er.

2. PLATZ

Ruth Reuter

Advent, Advent, ein Lichterl brennt

… ich stürze ins Wohnzimmer.

Wo ist er, der zache Hund!

Nachfolgend in der Geschichte beinhaltete Rezepte werden nicht zur Nachahmung empfohlen.

… erst eins …

Der selbst gebundene Adventkranz ist wirklich hübsch geworden. Außerdem ist es ein richtiger mit drei rosa Kerzen und einer violetten. Hoffentlich fällt niemanden auf, dass es Eibenzweige sind. Überhaupt ist heute Eibentag für mich. Der im Frühjahr angesetzte Maiwipferlsirup riecht süßlich. Bin gespannt, wie er wirkt.

Diese Lebkuchen werden mit Liebe gemacht, für meinen Liebsten. Das sind seine Lieblingskexerln. Denen wird er nicht widerstehen können. Einen Teil des Honigs ersetze ich diesmal mit dem Maiwipferlsirup. Wie immer ist der Teig zäh, pickig. Ich variiere ein wenig die Gewürze, schließlich muss der Geruch passen. Ja, auch der Geschmack sollte passen, kosten tu’ ich lieber nicht. Welche Formen soll ich nehmen? Stern, Mond, Baum, Engel. Die Küche ist vom würzigen Duft erfüllt. Gleich sind die ersten Lebkuchen fertig.

Ich denke ans Frühjahr. Es war ein ausgesucht schöner Tag, als ich mich im Wienerwald auf die Suche nach Maiwipferln machte. Immer wieder blickte ich mich um. Der Wienerwald ist Schutzgebiet, heißt, nichts darf gepflückt, ausgerissen, abgeschnitten oder dergleichen werden. Ein paar Eibenwipferl werden nicht abgehen. Rasch waren die Wipferl im Rucksack verstaut. Ganz unten, unter Wurst-Käse-Brot und Thermoskanne. Erschöpft, aufgedreht und erleichtert, dass mich niemand beim Sammeln gesehen hatte, genoss ich die Aussicht vom Leopoldsberg. Die Stadt lag mir zu Füßen. Trotz des Smogs sah man sehr weit. Gemächlich schlängelte sich die bräunliche Donau durch die Stadt, flankiert von dem einen oder anderen Hochhaus, überdacht von so mancher Brücke, durchpflügt von Kreuzfahrt- und Transportschiffen – und dazwischen gestaut von Kraftwerken. Ob sich der Fluss an seinen ursprünglichen Weg durch Wien erinnerte, als er noch an der Inneren Stadt vorbeifloss, machen konnte, was er wollte, bevor sein selbst gewähltes Bett zum Donaukanal verkümmerte? Heute ist der schmale Donaukanal umzingelt von Lokalen, Freizeitsportlern, Touristen. Und würde er nicht regelmäßig ausgeräumt werden, wäre er längst eine Mistgrube voll Fahrrädern, Autos, Kühlschränken, Waschmaschinen und mehr. Erst am Stadtrand, dort, wo kein Mensch mehr wohnt, in den geschützten Donauauen, darf der Fluss über die Ufer treten, wenn ihm danach ist.

Zu Hause setzte ich gleich den Sirup an. Noch wusste ich nicht, was genau ich damit anfangen wollte. Es wird sich schon etwas ergeben. Ein kleiner Vorrat schadet jedenfalls nicht.

Ach, wie das duftet! Soll ich ein paar der Kexerln verzieren? Nein, unnötige Arbeit. Wie die Backerei nervt. Mein Mann, soeben nach Hause gekommen, stibitzt ein Kexerl. Heute hatten sie Training. Seine Truppe will beim Internationalen Feuerwehrwettkampf mitmachen. Weitere Kexerl verschwinden in seinem Mund, doch nicht sehr viele. Bald schläft er vorm Fernseher, schnarcht. Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Wann setzt die Wirkung ein? Wie wird der Verlauf sein? Nichts zu merken. Enttäuscht gehe ich zu Bett.

Sehr früh morgens schleppt sich mein Mann von der Wohnzimmerbank aufs Klo. Er übergibt sich.

Alles in Ordnung, Schatz?

Ach, ich hätt’ gestern nicht die drei Leberkässemmeln essen sollen. Wer weiß, wie lange die schon gelegen sind.

Mein armer Schatz.

Er schlüpft ins Bett, ganz verschwitzt. Ich mag das nicht, stehe auf. Er merkt das nicht. Interessiert beobachte ich ihn, wobei ich fürsorglich den Schweiß von seiner Stirn wische.

Nachmittags geht es ihm schon besser. Ja, so ein Feuerwehrmann hält was aus.

… dann zwei …

Ich starre in die Flammen der beiden Kerzen. Heute mache ich zwei Kexerlsorten. Der vierte Advent ist heuer auch der Weihnachtsabend. An dem Tag möchte ich nicht backen. Gedankenverloren leere ich das Papiersackerl. Die Stechapfelsamen hüpfen heraus und über die Arbeitsplatte. Kein Mensch hat sich darum gekümmert, als ich sie auf einer Brachfläche in der Donaustadt sammelte. Blöd angeredet werde ich nur, wenn ich Brennnesseln und Brennnesselsamen sammle.

Was machen S’ da?

Brennnesselsamen sammeln.

Wozu?

Zur Potenzoptimierung meines Mannes.

Aha. Da braucht ma so viel?

Immerhin soll die Optimierung über’n Winter anhalten.

Aja. Na dann, viel Spaß.

Werd’ ich haben.

Ein bisschen von den Samen in den Teig, ein wenig in den Zitronenguss. Ich mache Sterne, auf die ich den Guss kleckse. Aufwendige Verzierungen sind nicht meins. Außerdem muss ich die Rumkugeln machen. Ganz besondere, mit Attichmarmelade.

Der Attich, der ist mir sozusagen über den Weg gelaufen. Ende September war das, als ich an einem trüben Samstagvormittag zum Friedhof der Namenlosen radelte. Auf diesem alten Friedhof gibt es keine Bestattungen mehr. Er ist die letzte Ruhestätte für jene, die des Lebens überdrüssig waren und sich der Donau überließen, für jene, die die Donau wieder hergab und die nicht identifiziert werden konnten. Ein unheimlicher, romantischer Ort.

Eigentlich wollte ich lediglich stimmungsvolle Fotos machen, aber der Attich lachte mich mit seinen kleinen, glänzend schwarzen Beeren an. Wie er sie so in die Luft streckte, schrie er gerade zu danach, gebrockt zu werden. Spezialhollermarmelade schoss es mir sofort in den Kopf. Und als ich mit meinem Mann und einigen seiner Feuerwehrhaberern und deren Lebenspartnerinnen abends im Prater war, fiel mir die Verwendung dafür ein. Gleich nachdem mich mein Mann in der Geisterbahn extra erschreckt und mit einer Hochschaubahnfahrt beglückt hatte. Dazwischen gab es einen kleinen Kraftwettbewerb beim Watschenmann. Hätte er mir nur eine einzige kleine Rose geschossen, bevor er im Schweizerhaus die Stelze mit Bier ertränkte.

So, die Zitronensternderl trocknen friedlich vor sich hin. Die Masse für die Rumkugeln bekommt einen extra Schuss Inländerrum. Nervig, diese Backerei. Beim Drehen der Kugeln muss ich an den Prater denken. Vielleicht macht er doch noch eine Bootsfahrt bei Vollmond mit mir? Oder er spaziert einfach so mit mir durch den grünen Prater, ohne mir zu zeigen, wie weit man Kastanien werfen kann. Ach, er strotzt so vor Kraft.

Die letzte Rumkugel kugelt in den Schokostreuseln. Draußen ist es finster, als er endlich vom Dienst kommt. Drei Einsätze heute. Ein Kätzchen retten, eine Oma hat vergessen den Herd abzudrehen, einer warf sich vor die U-Bahn. Abgekämpft greift er abwechselnd nach den Rumkugeln und den Zitronensternderln. Bald ist er vorm Fernseher eingeschlafen.

Sicherlich hat er interessante Träume, während ich einem weihnachtlichen Blaskonzert in den Blumengärten Hirschstetten lausche. Ein Schnapserl auf den Steckerlfisch hilft bei der Verdauung. Hübsch sind die Dekorationen, so fantasievoll, so detailverliebt, so viele Leute. Da, das wäre ein Weihnachtsgeschenk für mich! Eine aus Weißblech gegossene Hexe auf einem Besen.

… dann drei …

Ich schlendere über die Mariahilfer Straße. Geht man so mitten auf der Straße, kommt die Weihnachtsbeleuchtung viel besser zur Geltung. Unzählige Menschen huschen im Weihnachtsstress links und rechts an mir vorbei. Was gab es nicht für Proteste, als die Mariahilfer Straße von den Autos befreit wurde. Die Geschäfte werden sterben, weil die Leute nicht mehr mit dem Auto zum Einkaufen vorfahren können. Davon ist nichts zu merken, es herrscht mehr Trubel als je zuvor. Dank der neuen Schanigarten-Verordnung schießen die Heizpilze nur so aus dem Boden. Wer will schon frieren beim Punsch trinken? Noch ein Punsch, ein Glühwein? Kein Problem, man ist mit den Öffis da, quasi mit Chauffeur.

Auf dem Adventmarkt zwischen Natur- und Kunsthistorischem Museum genieße ich eine Semmel mit Wildschweinleberkäse. Der leichte Schneefall verwandelt sich bald in Nieselregen. Schnee in Wien, zu Weihnachten, das wäre eigentlich schon ein Wunder. Meine Gedanken beschäftigen sich bald mit einem möglichen neuen Rezept für Vanillekipferln. Es ist die letzte Chance des Jahres die Angelegenheit mit Kexerln zu erledigen. Haut es wieder nicht hin, muss ich härtere Seiten aufziehen, mir etwas Anderes einfallen lassen. Ich hasse Gewalt.

Die Pfaffenhütchensamen gehen nicht mehr aus meinem Kopf. Ach, hat der durchtrainierte Kerl gejammert, als wir durch den Wienerwald marschierten.

Was willst mit den Pfaffenhütchen, sind doch giftig.

Aber nicht für die Vogerln.

Die suchen sich schon selbst was.

Im Winter haben sie’s so schwer.

Du verwöhnst sie.

Ich mag ihr Zwitschern.

Verwöhn’ lieber mich.

Wir könnten anschließend auf den Donauturm. Die haben dort einen fabelhaften Rostbraten und Tafelspitz.

Und dann ins Bermudadreieck auf ein Bier, oder zwei?

Meinetwegen.

Und vorher ins Kino?

Okay.

Tags darauf fiel ihm nicht auf, dass ich die Pfaffenhütchensamen sorgfältig trocknete. Ich werde sie fein reiben, gemeinsam mit Vanillepulver und Zucker beziehungsweise Nüssen. Die perfekte Gewürzmischung für Vanillekipferln nach Art des Hauses. Zum Dank, dass er mich vor der einfahrenden U-Bahn rettete, vor die ich fast gestürzt wäre, nachdem er mich im angeheiterten Zustand geschubst hatte.

Übrigens ist er heute trainieren, für den Internationalen Feuerwehrwettkampf – im grünen Prater, Querfeldeinlauf. Hält er mich für blöd? Das ist ja schon eine Chuzpe. Der Wettkampf war bereits im Juli. Jaja, nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Und im Wettkampf sind wir immer alle. Irgendwie.

Magst nicht die Vanillekipferln kosten?

Du, ich bin so müd. Die haben uns heut ganz schön hergenommen. Ich bin mindestens zehnmal den Prater rauf und runter. Aber riechen tun s’ gut.

Eingeschlafen. Wieder einmal. Vorm Fernseher. Keine Weihnachtsstimmung weit und breit. Wird wohl am fehlenden Schnee liegen.

… dann vier. Dann steht der Quiqui vor der Tür.

24. 12. Es ist Weihnachten. Wie jedes Jahr. Ich fühle mich ein bisserl marod. So viel Mühe habe ich mir mit den Kexerln gegeben, ihre Wirkung lässt allerdings zu wünschen übrig. Wie Paracelsus sagte: Die Dosis macht das Gift. Und diese Dosis habe ich noch nicht gefunden. Naja. Hauptsache, mein Mann freut sich über die vielen Kexerln. In drei Tagen wird er sie nicht mehr ansehen. Egal, bleiben welche für die Nachbarn übrig.

Während ich die Kexerln hübsch auf Papierteller drapiere und mit Frischhaltefolie abdecke, stolpert mein Mann zur Tür herein. Er strahlt übers ganze Gesicht:

Sieh mal, was für ein Prachtexemplar an Tanne ich erstanden habe! Super günstig für eine Tanne.

Das ist eine Fichte.

Nein, hier, schau mal. Da steht eindeutig Rottanne.

Die Rottanne ist eine Fichte.

Wurscht. Wo ist der Weihnachtsschmuck?

Seufzend erhebe ich mich und krame den Kellerschlüssel raus. Als ich mit dem Schmuck zurückkomme, steht der Baum bereits an der üblichen Stelle.

Du, sollten wir ihn diesmal nicht dort rüberstellen?

Hier kommt er viel besser zur Geltung.

Mit dem Kabel von der Lichterkette ist das nicht so super. Da kann man sich leicht dastess’n.

Geh. Hat sich noch nie einer dastess’n. Hilfst aufputzen?

Ich muss die Kexerln für die Nachbarn einpacken.

Damit verschwinde ich in der Küche. Funktioniert das mit dem Vergiften nicht, sollte ich eventuell handgreiflich werden. Ihn mit der Lichterkette erwürgen? Da müsste ich ja dabei sein, wenn er stirbt. Leiden kann ich ihn nicht sehen.

Den Baum schmückt er ganz alleine, strahlt dabei wie ein kleines Kind. Hübsch. Nervig. Jetzt den Weihnachtsstern auf der Spitze anbringen. Er könnte runterstürzen, sich das Genick brechen. Zu unsicher. Was, wenn es nur ein Schädelbasisbruch wird? Die Lichterkette anstecken. Mir wären echte Kerzen lieber. Nein! Könnte ja der Baum brennen, explodieren gar. Nicht einmal einen Sternspucker darf ich anzünden. Brandgefahr! Geradezu ein Wunder, dass der Baum echt sein darf. Nervig so ein Feuerwehrmann im Hause.

Ja, schön, sieht gut aus mit den Kunstlichterln.

Und schau, das Kabel hab’ ich fixiert, ohne Stolperfalle. Da rührt sich nichts, da kann man si net dastess’n.

Draußen ist es bereits finster. Er dreht den Luster ab, damit seine Weihnachtstanne so richtig zur Geltung kommt.

Heut’ hab ich ein besonderes Geschenk für dich, säuselt er mir ins Ohr, steigt übers Kabel und verschwindet im Schlafzimmer. Die Überraschung kenne ich schon. Wie jedes Jahr wird er sich nackig ausziehen, sich eine Weihnachtsmütze aufsetzen und eine Christbaumkugel an seinen Penis befestigen, die er dann im Erregungszustand wieder nicht runterkriegt, weil er zu eng geschnürt hat. Der Herr Feuerwehrler kennt sich mit Knoten nicht so gut aus. Langsam geht die Schlafzimmertür auf. Diesmal hat er sich sogar Lametta umgehängt.

Liebste, dein Weihnachtsmann ist da!

Ich glaub’ ans Christkind.

Und erregt ist er auch schon. So erregt, dass er nicht auf das Kabel der Lichterkette achtet. Mit dem rechten Fuß bleibt er am Kabel hängen. Während er nach Halt sucht, macht er eine Vierteldrehung. Ihn entkommt ein überraschtes Oh. Schließlich kriegt er den Baum zu fassen, der ihm natürlich keinen Halt bietet. Mit einer weiteren Vierteldrehung und einem kleinen Schmerzens- und Schreckensschrei stürzt er zu Boden. Da liegt er nun auf dem Rücken, den Baum auf der Brust. Ein Strampeln und Fuchteln bis der Baum zur Seite rollt. Ein Griff an den Hals. Dort steckt der Weihnachtsstern. Erschrocken reißt er den Stern aus dem Hals. Blut sprudelt aus dem Loch im Hals. Was für ein Treffer! Genau in die Halsschlagader. Röchelnd versucht er die Wunde mit seinen Fingern zu verschließen.