Kitabı oku: «Blindflug Abu Dhabi», sayfa 2
Da Alkohol ausschliesslich in Hotels ausgeschenkt wird, sind Toni und ich ab und zu im Sheraton, Hilton oder Le Meridien auf ein Bier anzutreffen. Viel kennen wir von Abu Dhabi noch nicht. Wir tasten uns langsam vor, schnappen hie und da kulinarische Empfehlungen auf. Im Schulhaus wimmelt es von Neuankömmlingen, die ihre Entdeckungen und Erfahrungen in Kaffee- und Mittagspausen grosszügig weitergeben. Doch viel Zeit für nächtliche Streifzüge bleibt nicht. Das Büffeln hat uns fest im Griff. Zurzeit sind wir noch Schüler. Einwanderer am Anfang eines mühsamen Prozesses. Wir verfügen weder über ein Auto noch über ein lokales Bankkonto. Einige haben noch nicht einmal eine Handynummer. Und ohne die wird bereits das Buchen einer Tennisstunde schwierig.
Noch können wir die Abende unter freiem Himmel geniessen. Bald wird es zu heiss sein. Es ist erst Mai, fühlt sich aber wie im Schweizer August an. Im Sommer kann das Quecksilber in den Emiraten gut und gerne die 50-Grad-Marke kratzen. Ein lokales Gesetz besagt, dass bei Temperaturen über 50 Grad nicht mehr gearbeitet werden darf. Büros und Schulen stünden leer, Banken wären ausgestorben und Baustellen verwaist. Damit dieser logistisch ungünstige Fall nicht eintritt, wird, so vernehmen wir in einer unserer Theoriestunden, zu einem einfachen Mittel gegriffen: Die Wetterstationen melden keine höheren Temperaturen als 49 Grad. And the show goes on – so einfach ist das! Ich bin schon jetzt gespannt, wie unsere Frauen und die Kinder mit der Hitze klarkommen werden. Nicht einmal das Meer bietet Abkühlung. Einzig den Klimaanlagen haben wir es zu verdanken, dass wir von der totalen Überhitzung verschont bleiben.
Mit dem letzten Theorietag schliessen wir den ersten Block unserer Einführung ab. Die Woche ist geprägt von zahlreichen Prüfungen. Den Test in Luftfahrtgesetzgebung absolvieren wir nicht im Schulhaus, sondern im Gebäude der General Civil Aviation Authority (GCAA). Zu fünft sitzen wir, jeder an einem eigenen Tisch, in einem kleinen unaufgeräumten Raum mit geradezu frostigen Temperaturen. Die Klimaanlage summt. Pullover werden übergezogen, vereinzelt ist nervöses Räuspern hörbar. Mehr nicht. Nach der knappen Einführung eines Inspektors der Luftaufsichtsbehörde setzt sich, zu unser aller Erstaunen, eine verschleierte Frau in der schwarzen «Abaya» vor unsere Gruppe und mustert uns eine ganze Stunde lang mit unbeweglich strengem Blick. Ihre ebenso schwarze «Niqab» gibt lediglich zwei dunkle, stechende, ja beinahe bedrohlich wirkende Augen frei. Sie wandern während der gesamten Prüfung vom einen zum andern, und mir scheint, als entginge ihnen nicht das kleinste Zucken eines Augenlids. Bei allem Respekt, aber so viel Autorität einer verschleierten Frau – noch dazu im Land der stolzen arabischen Patriarchen – erstaunt mich nun doch ein wenig. Ich glaube, wir müssen noch viel lernen. Vor allem auch, was die soziale Stellung und Entwicklung der Frau in der Gesellschaft hierzulande angeht.
Mit dem Schrecken davongekommen
Während einer unserer Schweizer Kollegen nach dem Abschluss der Theorie mangels verfügbarer Instruktoren einer entspannten und lockeren zweiten Monatshälfte entgegensieht und in dieser Nacht nach Zürich zu seiner Familie fliegt, beginnt für Toni und mich am Samstag die zweite Einführungs-Etappe. Bereits am Vormittag fliegen wir im Cockpit eines Etihad Airbus A330 von Abu Dhabi nach Bahrain und zurück. Von unseren Klappsitzen aus schauen wir den zwei fliegenden Piloten bei der Arbeit über die Schulter und versuchen, möglichst viele Abläufe und Verfahren aufzusaugen. Im Gegensatz zur Swiss operiert Etihad ihre Airbus-Typen nach den empfohlenen Vorgaben und Verfahren des Herstellers. Bereits die Swissair machte da eine Ausnahme und kreierte seinerzeit Anwendungsverfahren, die in wesentlichen Belangen markant von den Airbus-Prozeduren abwichen. Selbstverständlich nicht auf Kosten der Sicherheit, sondern vielmehr im Sinne einer flottenübergreifenden Vereinheitlichung. So sehen Toni und ich uns gezwungen, neue Abläufe und Checklisten für die Operation eines bestens bekannten Flugzeugs zu lernen. Alte Speicher müssen geleert und mit neuen Inhalten gefüttert werden. Das funktioniert bei zwei gesetzten Piloten mit Pawlowschen Cockpitreflexen leider nicht so einfach wie bei Computern der modernen Generation. Und uns ist klar, dass wir auch in den kommenden Tagen und Wochen mehr als einmal in die über viele Flugstunden eingeübten Gewohnheiten zurückfallen werden.
Am Sonntagmorgen um halb sieben steht die erste Simulator-Session an. In Ermangelung eigener Simulatoren schickt Etihad ihre Piloten ins benachbarte Dubai, wo Emirates Airlines ein grosszügiges und modernes Trainigszentrum betreibt. Um drei Uhr morgens wartet das Taxi vor dem Hotel. Die Fahrt ins hundertfünfzig Kilometer entfernte Dubai führt mehrheitlich über eine achtspurige Autobahn. Da die Taxifahrer, die uns zu dieser frühen Stunde fahren, jeweils am Ende einer langen und ermüdenden Nachtschicht stehen, befinden sie sich in teilweise bedenklichem Zustand. Die lange Autobahnfahrt artet zum brutalen Kampf gegen die nagende Müdigkeit aus. Die Kollegen haben uns bereits im Vorfeld gewarnt. Ich sitze jeweils angespannt auf dem Rücksitz und beobachte die Augen des Fahrers aufmerksam im Rückspiegel. Bei unserer dritten Fahrt scheint der Driver besondere Mühe zu bekunden. Ich überlege, ob ich mich nach vorne setzen soll. So weit vom Lenkrad entfernt fühle ich mich hilflos. Die Lider des übernächtigten ägyptischen Chauffeurs drücken schwer, immer wieder fallen ihm die Augen zu. Mir ist überhaupt nicht wohl, während Toni unbekümmert neben mir döst. Ich lasse meinen Blick nicht mehr vom Rückspiegel. Und dann passiert es: Der Wagen beginnt, langsam nach links auszuscheren. Es geht sehr schnell. Wir kreuzen zwei Spuren, ich rufe laut: «Hey, watch out!» Während meine rechte Hand ans Lenkrad schnellt, schreckt der Ägypter auf und korrigiert mit einer brüsken Bewegung die Richtung des Wagens. Jetzt sind alle hellwach. Sogar Toni! Ich weise den Fahrer an, bei der nächsten Tankstelle anzuhalten. Wir offerieren ihm einen Kaffee, den er dankend annimmt.
Mir scheint, dass Taxifahrer hierzulande an chronischer Übermüdung leiden. Einmal erklärt mir ein Chauffeur, dass er bereits seit 48 Stunden nicht mehr geschlafen habe. Was aber überhaupt kein Problem sei, da er über einen ausreichenden Vorrat an Red Bull verfüge. Zum Beweis zeigte er mir voller Stolz seine Büchsensammlung, die Hälfte davon bereits leergetrunken.
«Was für Arbeitsbedingungen, was für ein Taxiunternehmen, welch ein Behördenapparat, der so etwas zulässt?», frage ich mich.
Neulich wusste ein Taxifahrer gar nicht, wie er den Zähler zu bedienen hat. Für Fahrten an den Flughafen verrechnet die Taxigesellschaft den Etihad-Piloten einen Spezialtarif von 40 Dirham. Dieser Betrag muss vorgängig in den Zähler eingegeben werden. Als dies meinem Fahrer nicht gelingt, stoppt er seinen Wagen nach wenigen Metern an ziemlich ungünstiger Lage. In der Folge beginnt er, wild auf dem kleinen schwarzen Kasten herumzudrücken. Anfänglich beobachte ich ihn dabei amüsiert, bekomme allerdings nach knapp fünfzehn Minuten – in Anbetracht meines näher rückenden Schulbeginns – ein ungutes Gefühl. Ausserdem donnern konstant schwere Lastwagen zentimeternah an meiner Fensterscheibe vorbei. Das ist nicht nur laut, sondern auch gefährlich. Allein, des Fahrers Missmut hat sich mittlerweile verstärkt, sodass er förmlich auf das arme Zählgerät einhämmert. Mir ist schon lange klar, dass sich der Kasten infolge mangelnder Antischock-Vorrichtung seit geraumer Zeit im Tilt-Zustand befinden muss. Aber erst nachdem ihm die Zentrale via Funk die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt, setzt der Fahrer unter mürrischem Brummeln den Wagen endlich wieder in Bewegung.
Saiydati sadati
Die jordanischen Klassenkollegen versuchen bereits seit Tagen, uns in die Geheimnisse der arabischen Cockpitansagen einzuweihen. Während wir mit der gutturalen Vielfalt dieser Sprache kämpfen, können sie ihr schadenfreudiges Lachen kaum verkneifen. «Saiydati sadati – qa’ed al-taerh» bedeutet so viel wie «Meine Damen und Herren, hier spricht der Captain». Diese Silbenkombination lässt sich irgendwie noch meistern. Wesentlich schwieriger wird es jedoch bei der Passage «Ahlan wsahlan washokran lehtieranicum …». Netterweise hat der Ghostwriter den Text in phonetischer Schrift abgefasst. Doch noch ist mir der Klang der arabischen Sprache zu unbekannt, als dass ich mich an Ansagen wage. Ein Umstand, der sich in naher Zukunft ändern wird und muss. Anders sieht das Toni. Arabische Ansagen sind für ihn kein Thema: «Alles hat seine Grenzen», spöttelt er, fingert eine Zigarette aus der Packung und verschwindet im Hinterhof der Kantine.
Unser Trost: Auch die Kollegen des Mittleren Ostens tun sich schwer beim Versuch, deutsche Vokabeln zu artikulieren. Allein der Buchstabe «ü» erweist sich für arabische Zungen als beinahe unüberwindbare Hürde. Belustigt verfolgen sie unsere in Mundart geführten Diskussionen: «Das klingt, als würde jemand Zeitungen zerreissen», lautet ihr trockener Kommentar.
Städtische Irrfahrten und Jeppesen-Karten
Interessant, ja mitunter gar amüsant, verläuft die Suche nach einer passenden Bleibe für die Familie. Zusammen mit Tonis Frau Andrea, die für ein paar Tage in Abu Dhabi zu Besuch weilt, will ich einige Häuser besichtigen. Zu diesem Zweck haben wir uns mit Fadia, die für eine lokale Vermittlungsagentur arbeitet, verabredet. Sie soll uns um halb zehn Uhr vor dem Hotel abholen. Pünktlich, wie wir dies schon beinahe nicht mehr gewohnt sind, klingelt mein Handy. Am Apparat ist Fadia, die aus dem Libanon stammt und mit einem Franzosen verheiratet ist, und die mir kundtut, dass sie vor dem Eingang auf uns wartet. Doch wir können sie nirgends ausmachen und so frage ich, vor welchem Hotel sie denn ihren Wagen geparkt habe. Beinahe haben wir es uns gedacht; sie wartet vor dem falschen Gebäude. Kein Problem, wenige Minuten später hat sie uns gefunden.
Zu dritt fahren wir los. Guter Dinge, in Bälde beim ersten Compound einzutreffen. Dem ist leider nicht so. Fadia – sie lebt seit drei Jahren in Abu Dhabi und ihr Auto verfügt über kein Navigationsgerät – verfährt sich in den Quartierstrassen von Al Bateen hoffnungslos. Immer wieder parkt sie, auf göttliche Eingebung hoffend, vor einem neuen Eingangstor. Dazwischen kramt sie in losen Blättern mit Strassenskizzen, verschaltet sich in den Gängen – Fadia fährt, wenig typisch für dieses Land, einen Wagen ohne Automatikgetriebe – und versucht obendrein, Hilfe per Handy anzufordern. Ihre Spurwechsel sind spontan, um nicht zu sagen verwegen bis kühn, und ihr Beschleunigungs- und Bremsverhalten ziemlich unsanft. Zwischendurch frage ich mich, ob sie dies aus taktischen Gründen tut; beispielsweise, um von ihrem navigatorischen Unvermögen abzulenken. Ein erneut brüskes Bremsmanöver reisst mich abrupt aus meinen Überlegungen.
Irgendwann entscheidet sich Fadia, die sich überdies als äusserst kommunikativ erweist, eine Adresse anzusteuern, die ihr wirklich bekannt ist. So kommen wir endlich in den Genuss, ein unbewohntes Haus zu besichtigen. Leider sprengt die verlangte Miete unsere Vorgaben um ein Vielfaches. Weiter gehts. Der nachfolgende Versuch, einen weiteren Compound anzusteuern, führt jedoch einmal mehr nicht zum gewünschten Erfolg. Nach dreimaliger Passage derselben Strasse erklärt uns Fadia, dass sie in wenigen Minuten zu einer Besprechung müsse und ihre Zeit knapp werde. So knapp, dass es nicht einmal mehr für die Fahrt ins Hotel reicht. Mitten in der Stadt – an einer uns unbekannten Kreuzung – setzt sie Andrea und mich ab, winkt ein Taxi herbei und drückt dem verdutzten Fahrer einige zerknitterte Dirham-Scheine in die Hand. Mit der knappen Anweisung, er solle uns ins Hotel bringen, dreht sie auf dem Absatz, steigt in ihren Wagen und braust davon. Nach dieser rund zweieinhalbstündigen Irrfahrt haben wir gerade einmal ein einziges Haus besichtigt. Immerhin findet der Taxifahrer auf Anhieb unser Hotel.
Etwas effizienter gehts zum Glück bei unserer fliegerischen Ausbildung zu. Ich habe bereits drei Einführungsflüge hinter mir. Dabei sitzen wir «Jungkapitäne» auf dem linken Sitz, während, anders als bei der Swiss, der Instruktor, ebenfalls ein Captain, rechts Platz nimmt. Die Destinationen liegen nicht allzu fern, sodass es sich in der Regel um eintägige «Turnarounds» handelt, bei denen wir am Abend wieder in Abu Dhabi landen. Mein erster «Hüpfer» bringt mich ins benachbarte Bahrain. Für einen Erstflug keine ideale Ausgangslage, weil ziemlich nah. Die neuen Verfahren und zahlreichen Checklisten halten mich auf Trab. Ebenso die ungewohnten und unübersichtlichen Jeppesen-Anflugkarten. Denn nicht nur die Cockpit-Prozeduren, sondern auch die Unterlagen sind mir neu. Unvermittelt werde ich an meine Lehr- und Wanderjahre als junger Swissair-Copi erinnert. Damals, als die Swissair noch Flüge zwischen Zürich und Basel durchführte, kamen wir Jungpiloten ab und an gehörig ins Rudern, und manch ein abgebrühter Kapitän hat sich einen Spass daraus gemacht, uns Grünschnäbeln zu zeigen, wie sportlich eine DC-9 über die Luftstrassen brettern kann.
Nach fünf Wochen Schule, Simulator und Streckeneinführung schliesse ich meine Initialphase in Abu Dhabi mit dem Final Check ab. Ein gutes Gefühl. Nach 26 Jahren Verkehrsfliegerei bin ich nicht sonderlich darauf erpicht, einen Instruktor an meiner Seite zu haben. Sind zwar alles sehr nette Kollegen, doch vor lauter guter Tipps läuft einem schon beinahe der Speicher über. Schliesslich sind die Hirnzellen auch nicht mehr die jüngsten.
Zu meiner Überraschung wird der Final Check nach Kairo und zurück zu einem waschechten Heimspiel: Mit Copi Roman Tschudy, Checkpilot Giuliano Moret und meiner Wenigkeit tummeln sich ausschliesslich Schweizer im Führerstand. Es mutet beinahe schon befremdend an, im Cockpit schweizerdeutsch zu sprechen. Aber da ist ja noch die zwölfköpfige Kabinenbesatzung mit klingenden internationalen Namen wie Sveistrup oder Gaynutdinova. Genug Gelegenheit also für einen Schwatz in Englisch. Wobei der Begriff «Englisch» in diesem Zusammenhang vorsichtig interpretiert werden muss: Allein die Klangvielfalt, die das simple Wort «Coffee» entwickeln kann, ist beeindruckend: Ob Philippina, Australierin, Russin oder Indonesierin, die diversen Nationalitäten verleihen der anglikanischen Sprache und dem Kaffee einen «unverwechselbaren» Charakter. Doch letztlich scheinen die geschmacklichen Hürden weniger hoch als die linguistischen.
Beachtung gilt es in diesen Tagen auch dem Fussballstatus eines Landes zu schenken. In Deutschland ist die Weltmeisterschaft in vollem Gange. Was darf ich bei einem Engländer sagen, wie weit lehne ich mich bei einer Italienerin aus dem Fenster, und wie viel verträgt eine Brasilianerin …? Humor ist ebenso vielfältig wie das Sprachen- und Nationengemisch unter Etihad-Besatzungen. Dabei wird deutlich, dass der Begriff «Völkerverbindung» in seiner Wahrnehmung äusserst vielschichtig ist. Sportlich, politisch und überhaupt! United Nations im Kleinformat – mit Hauptsitz in Abu Dhabi statt New York.
Den Final Check in die ägyptische Hauptstadt habe ich jedenfalls bestanden, und anschliessend mit den Cockpitkollegen in einem indischen Restaurant mit «Butter Chicken» und Bier gebührlich gefeiert.
Changing rules
Nach zwei Monaten Wüste steht ein Kurzbesuch in der Schweiz an. Einige Tage mit Franziska und den Kindern zu verbringen würde von unschätzbarem Wert sein. Doch zu Hause in Stadel herrscht das nackte Chaos. Zwischen Tischen und Betten stapeln sich Kartons mit Habseligkeiten übereinander, der Hund zerrt an Stofffetzen, meine Frau schrubbt einen leeren Schrank und Nina, die jüngste Tochter, will sogleich mit mir zum Schwimmen gehen. Alles ist in Bewegung. Hausaufgaben lösen mit dem Erstgeborenen und mitfiebern beim sonntäglichen Geigenspiel der mittleren Tochter in der Kirche. Daneben sortiere ich Post, erledige Telefonate und begleite meine Frau zum Behördenabschied. Am Sonntag dann ein Fernseh-Sportmarathon mit Federer im britischen Tennistempel und dem Endspiel der Fussball-WM zwischen Frankreich und Italien: Zinédines Kopfstoss erinnert an Managementattacken früherer Arbeitgeber und die Elfmeterquote der Italiener ans Pistolenschiessen am Chilbistand. Jeder Schuss ein Treffer – beinahe wie im wirklichen Leben.
Dann sitze ich bereits wieder im Flugzeug nach Abu Dhabi. Die Wüste ruft und die Arbeit hat mich wieder.
Mein erster Flug als ausgecheckter Etihad-Kapitän hat mich vor Wochenfrist nach Colombo geführt. Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, ich befände mich mitten in einer Generalstabsübung. In der Wüstenstadt muss aus dem Nichts eine Existenz aufgebaut, in der Schweiz eine ebensolche heruntergefahren werden. Dabei wollen die administrativen Irrungen kein Ende nehmen. Ämterbesuche noch und noch, und auch der Übersetzer verdient sich den einen oder anderen Batzen an mir und meiner Familie. Und wenn Toni und ich uns in naiver Verblendung einen Schritt weiter glauben, rauscht unvermittelt eine Welle lokaler Gepflogenheiten über unsere Köpfe hinweg und vermeintlich geglaubte Fortschritte verlieren sich in der zischenden Brandung.
Ein Haus scheint endlich gefunden, ein Reservationsvertrag unterzeichnet, doch unvermittelt ändern sich die vertraglichen Bedingungen meines Arbeitgebers. Man sähe uns offenbar lieber in einer von Etihad zur Verfügung gestellten Wohnung. Wir aber pochen auf die vertraglich zugesicherte freie Häuserwahl und die Auszahlung der Mietzins-Entschädigung.
«Tut mir leid, Mister Eppler, aber wir haben die Klausel geändert», erklärt mir mein Gegenüber in der schneeweissen Dishdasha mit freundlichem Blick.
«Was heisst denn hier Klausel, wir haben schliesslich einen Vertrag unterzeichnet», denke ich.
«Wann war das?», will ich wissen. Die Antwort kommt postwendend: «Letzte Woche.» Dann wendet sich der Araber wieder dem Papierberg auf seinem Pult zu.
Ich versuche mich zu beherrschen und verlasse das Büro mit aufgesetzt gleichgültigem Blick. Eigentlich ist es egal, ändern können Toni und ich vorerst eh nicht viel. Geduld und zahlreiche Telefonate bringen uns behutsam weiter. Stundenlange Gespräche beim Personaldienst. Eine Tür geht zu, eine neue öffnet sich. Am Schluss erreichen wir unser Ziel und unterschreiben die Hausverträge – al Hamdulillah!
Wann ist das Domizil bezugsbereit? Gemäss Prospekt im April dieses Jahres. Vielleicht Mitte Juli, sagt man uns auf der vermittelnden Bank, möglich wäre aber auch erst Anfang August – Inshallah. Na Klasse! So lange wird uns Etihad die Hotelrechnung wohl kaum bezahlen.
Wer nicht lernt, den Rhythmus der Einheimischen anzunehmen, tut sich schwer. Alles dauert seine Zeit, und statt einer konkreten Antwort erhält der Frager viel eher einen Verweis an die nächste Auskunftsstelle. So wechseln sich Hochs und Tiefs in unterschiedlichen Intervallen ab. Franziska lässt sich durch meine Schilderungen am Telefon nicht aus der Ruhe bringen. Ich selber zeige weniger Geduld; diese Warterei, dieses vergebliche Anrennen gegen träge Beamtenmühlen strapaziert meine Nerven oft bis aufs Äusserste und entlockt mir den einen oder anderen stillen Fluch.
Toni und ich fliegen jetzt normale Streckeneinsätze und sind zu unterschiedlichen Zeiten im Hotel. Gemeinsame Bier- und Plauderstunden werden in der Folge rar.
Als nächstes gilt es, Möbel für das gemietete Haus anzuschaffen. Da kommt mir das «Shopping Festival» mit massiv reduzierten Preisen gerade recht. Grund genug, die Familie für einige Tage nach Abu Dhabi zu holen. Denn Franziska und die Kinder wollen ihre Betten selber auswählen. Ausserdem wäre meine Frau wohl kaum zufrieden mit meiner Kühlschrank- oder Herdwahl: Das Getränkefach zu gross – die Gemüseschublade zu klein. Küchen werden hier eben «nackt» vermietet, ohne die notwendigen Geräte.
Als ich die Kinder, Franziska und ihre Schwester Brigitte am Flughafen abhole, ist die Freude gross. Alle reden durcheinander, sind beeindruckt von der neuen Umgebung, der prunkvollen Ankunftshalle und den emiratischen Zollbeamten in ihren langen, weissen Gewändern und gestrengen Blicken.
Am nächsten Tag stürzen wir uns ins Getümmel diverser Shopping Malls. Doch zuerst machen wir einen kurzen Abstecher zum «Al Qurm Compound», unserem neuen Zuhause. Franziska gefällt das schmucke Siedlungshaus auf Anhieb. Noch steht die Anlage im mediterran-orientalischen Stil leer. Zwischen den Häusern sind Arbeiter in blauen Overalls mit dem Verlegen von Bodenplatten beschäftigt. Gärtner pflanzen Sträucher und legen Rasenteppiche. Zum Schutz gegen die gleissende Sonne haben sie Baumwolltücher um ihre Köpfe gewickelt. Tim, Linda und Nina stürmen durch die Räume, um ihre Zimmer auszusuchen. Franziska wendet sich derweil der Küche zu.
«Es gibt viel zu tun, packen wir es an!», schmunzelt meine Frau, zückt ein Meterband aus ihrer Handtasche und beginnt sogleich, die Aussparungen für Kochherd, Kühlschrank und Geschirrspüler auszumessen. Unsere Energie wird allerdings rasch durch die brütende Hitze gebremst. Noch ist in den Wohneinheiten kein Strom vorhanden, die Klimaanlagen sind ausser Betrieb. Anfänglich steht uns der Schweiss in kleinen Tropfen auf der Stirn, aber bereits nach einer Viertelstunde schiesst der Saft aus allen Poren. Als wenig später Toni und Andrea dazustossen und unsere roten Köpfe und durchnässten Shirts erblicken, brechen sie in schallendes Gelächter aus.
Um es kurz zu machen; die drei Shoppingtage mit der Familie gestalten sich alles andere als unkompliziert. Aufgrund der knapp bemessenen Zeit treibe ich Franziska immer wieder dazu an, schnelle Entscheide zu fällen. Sie aber möchte da und dort Vergleiche anstellen, das Mobiliar passend und nach ihrem Geschmack auswählen. Es fallen ungewollt lieblose Worte, zeitweilig schweigen wir einander trotzig an.
Als Franziska mit den Kindern in die Schweiz zurückfliegt, bleibt ein seltsames Gefühl der Ungewissheit zurück. Meine Frau und ich haben in der kurzen, uns zur Verfügung stehenden Zeit versucht, eine Basis für unser neues Domizil zu schaffen. Das ist uns nicht wie gewünscht gelungen. Ich spüre, dass Franziska noch mit belastenden Abschlussarbeiten in der Schweiz beschäftigt ist, während sich mein Lebenszentrum bereits nach Abu Dhabi verschoben hat. Wir wirken an unterschiedlichen Fronten und reiben uns gegenseitig auf. Dabei wäre es gerade jetzt enorm wichtig, am selben Strick zu ziehen. Die Zweifel beunruhigen mich.
In der Schweiz steht für die Kinder die letzte Schulwoche an. Nun bekommen Tim und die Mädchen die Folgen unseres Auswanderungsentscheids konkret zu spüren. Abschiedsfeste sind angesagt. Geschenke, Briefe, herzförmige Kissen, überdimensionierte Lollipops, signierte Kalender. Die letzte Franzstunde, die letzte Turnstunde, die erste Träne – jede Lektion erhält ultimativen Charakter. Ob so viel Abschied geraten die Noten verständlicherweise etwas in den Hintergrund und für einmal ist das Zeugnis gar nicht mehr so wichtig. Umso mehr in der Deutschen Schule der Vereinigten Arabischen Emirate die «Sechs» eh eine «Eins» ist.
Zwei Wochen später steht der Container vor der Haustür. Nicht zur Entsorgung wohlgemerkt. Viel eher zum Transport diverser Tische und Sofas. Längst ist das Wohnen in unserem Haus unkonventionell, denn die Räume werden dominiert von herumstehenden Kisten und Kartonschachteln unterschiedlicher Grösse. Die neuen Mieter haben sicherheitshalber bereits einige Möbelstücke unübersehbar im Wohnzimmer platziert. Vieles wird auf diese Weise einfacher, beispielsweise das Aufräumen, das in seiner ursprünglichen Art gar nicht mehr stattfindet. Die Kinder freuts, die Mutter weniger. Und der Vater hat sich sowieso in die Wüste abgesetzt.
«Stabilisiert» und «instabil»
In der Fliegerei geniesst ein «stabilisierter» Anflug höchste Priorität. Dazu gehören die Übereinstimmung von Anflugachse und -winkel, die Geschwindigkeit, die Stellung der Landeklappen und letztlich auch die entsprechende Triebwerkleistung. Bewegt sich eines der oben genannten Elemente in einem bestimmten Höhenfenster ausserhalb der Toleranz, muss sofort ein Durchstart eingeleitet und die Landung neu eingefädelt werden.
Meine Anflüge sind in der Regel stabilisiert. Instabil hingegen sind unsere derzeitigen Wohnverhältnisse. Das Haus, für das wir uns entschieden haben, will einfach nicht fertig werden. Probleme bei der Installation der elektrischen Anlage verzögern den Bezug auf unbestimmte Zeit. Der Umzugstermin der Familie ist auf Mitte August geplant. Ob das Domizil dann bezugsbereit ist? Allmählich zehrt das Ganze am Nerv. Vielleicht wäre es ratsam, im Carrefour ein Zelt zu erstehen. Schliesslich lebe ich im Land der Beduinen, einem Land mit uralter Zelttradition. Gemeinsam mit Toni, der in der gleichen Lage ist, versuche ich, das weitere Vorgehen mit unserem Arbeitgeber zu regeln. Denn dieser ist der Ansicht, dass es nun endlich an der Zeit wäre, unser Hotelzimmer zu räumen. Die erste Frist vom 15. Juli wurde um eine Woche verlängert – doch die nächste Frist rückt rasch näher. Einmal mehr laufen die Telefone heiss und es gelingt Toni und mir, eine weitere Gnadenfrist zu erwirken.
Der in diesen Julitagen eskalierende Konflikt im Libanon zieht die Welt im Mittleren Osten in seinen Bann. Wir befinden uns in einem völlig anderen Umfeld als bis anhin in der Schweiz, wo, im Zentrum Europas, sowohl ideologisch als auch geografisch mehr Distanz zur Nahostsituation besteht. Etihad beschäftigt viele Angestellte mit arabischen Wurzeln. In jeder Besatzung finden sich Marokkaner, Tunesier, Algerier, Syrer oder Libanesen. Die Diskussionen verlaufen anders als in der Schweiz. Die politische Ausrichtung vieler Mitarbeiter und ihre Emotionalität unterscheiden sich deutlich vom helvetisch moderaten Mittel. In dieser Gegend sind die Sympathien anders verteilt. Dies manifestiert sich in der Berichterstattung der lokalen Medien. Beim abendlichen Zappen drücke ich mich durch eine Serie von arabischen Sendern, die ununterbrochen von den Ereignissen im Nahen Osten berichten. Wohl verstehe ich die Inhalte nicht, doch selbst als reiner Bildbetrachter ist der Grundtenor augenfällig. Ich stelle fest, wie sehr mich der Ort und das unmittelbare Umfeld bei der Meinungsbildung beeinflussen. Wie steht es da um die Objektivität? Wie viel Wert hat meine Sachlichkeit? Verdient sie gar diesen Namen?
Bei meinem heutigen Flug nach München führt unsere Route über Syrien. Aus der Ferne kann ich die Lichter Beiruts erkennen. Das täuschend friedliche Funkeln stimmt mich nachdenklich. Eben erst blitzten Granaten und Raketen durch das Dunkel der Nacht. Zahlreiche Etihad-Angestellte stammen aus dem Libanon und haben bei den Angriffen verletzte oder gar getötete Familienmitglieder zu beklagen. Die Luftstrassen über Jordanien und Syrien sind weiterhin offen und ein ganzer Pulk von Flugzeugen überfliegt in dieser Nacht das Krisengebiet. Stumme Blicke aus dem gut besetzten Cockpit und Fragen nach Sinn, Unsinn und Gerechtigkeit. Sie bleiben ohne Antwort.
Cool Runnings
Check-in um 00.50 Uhr, mein Flug nach Casablanca, ins Land der vier Königsstätten, soll anderthalb Stunden später erfolgen. Mitten in der Nacht.
Um diese Zeit herrscht beim Operations-Control-Center, wo sämtliche Besatzungsmitglieder ihren Dienst antreten, Hochbetrieb. Die Platzverhältnisse sind seit der Gründung der Airline vor drei Jahren kaum erweitert worden. Alles etwas eng, Mann und Frau kommen sich ungewollt nah. Genau genommen handelt es sich lediglich um einen langen, schmalen und ständig verstopften Gang, in dem sich wartende Cabin Crew Members die Zigarettenpackungen weiterreichen. Beim Internet-Corner bilden sich, in Ermangelung von genügend Computerstationen, Schlangen von wartenden und tratschenden Piloten und Hostessen.
Die Flugplanung findet im Stehen statt. An einer langen Theke, hinter der Vertreter von Crew Control und Dispatch sitzen und versuchen, den Bedürfnissen aller Crew Members gerecht zu werden. Viel Papier staut sich auf knapper Ablagefläche, es gibt kaum eine Möglichkeit, in Ruhe die Dokumente durchzugehen.
Irgendwann kämpft sich mein Copi durch die planende, wartende und – zu jener Zeit auch zügellos rauchende – Menschenmenge. Ein sympathisch grinsender Jamaikaner, der alle zu kennen scheint, der links und rechts grüsst und mit jeder und jedem ein bisschen plaudert. Er arbeitet zwar erst seit neun Monaten bei der Firma, doch bei solch rasantem Wachstum gehört er bereits nach kurzer Zeit zu den Insidern. Sein Englisch erinnert mich ein bisschen klischeehaft an Bob Marley oder an den Film «Cool Runnings», in dem sich vier muntere Bobfahrer mit Rastalocken aufmachen, die Eiskanäle dieser Welt zu erobern.
Mit einem knappen «ya man» erklärt sich der Copi mit meinem Spritvorschlag einverstanden. In Casablanca ist Nebel angesagt, da lohnt es sich, einige Liter mehr zu tanken.
Während des Reisefluges diskutieren wir angeregt: über die angespannte Wohnsituation in Abu Dhabi, das familiäre Umfeld, über unsere Zukunftspläne. Einzelne Kollegen berichten bei solchen Gesprächen äusserst detailliert über ihre Vorgeschichte. Und nicht selten offenbaren sie ungewöhnliche Biografien. So auch mein Copi Jason. Irgendwann landen wir beim Thema Sport. Ich staune nicht schlecht, als der dunkelhäutige Pilot von seiner Vorliebe für Eis und Schnee, und schliesslich – wer mag es für möglich halten – von seiner aktiven Karriere als Bobfahrer zu erzählen beginnt!
Jason berichtet von Sommer- und Wintertrainings, von deutschen Profitrainern, von Sponsoren und von diversen Wettkämpfen. Dann setzt er noch einen drauf und erwähnt grinsend, dass er übrigens im Jahre 1998 sein Land bei den Olympischen Winterspielen von Nagano im Zweierbob vertreten hätte. Nicht auf einem Podestplatz zwar – aber immerhin hätten sie auch nicht zu den schlechtesten Teams gehört. Ich staune und bin mir, nach fünf Stunden Nachtflug, nicht ganz sicher, ob ich wache oder träume.