Kitabı oku: «Einführung in die philosophische Ethik», sayfa 7

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Erstens: Vielfalt, Wechsel oder Uneinigkeit sind kein Beweis, dass es Wahrheit im Moralischen nicht gibt oder dass man sie nicht finden könnte. Im Gegenteil, man mag gerade die Menge an Zugängen, den Wandel der Auffassungen und die Auseinandersetzung um die Inhalte als Zeichen dafür ansehen, dass sämtliche Beteiligten an eine solche Wahrheit glauben, sich mit ihr beschäftigen und um sie ringen. Gewiss wäre denkbar, dass sie sich darin allesamt täuschen und rundweg sinnlos agieren. Eine solche Einschätzung würde sich aber nicht nur einer gewissen Unbescheidenheit anderen Menschen gegenüber schuldig machen. Letztlich dürfte sie auch eine vertiefte Einsicht in die relevanten Phänomene verstellen: Man erfasst moralische Pluralität nicht adäquat, wenn man darin lediglich eine beliebige Ansammlung subjektiver Vorlieben wähnt. Man begreift moralische Entwicklungen nicht richtig, wenn man hinter ihnen allein eine kontingente Abfolge relativer Machtverhältnisse vermutet. Man deutet moralische Konflikte nicht angemessen, wenn man sie als ein bloßes Aufeinanderprallen vorgefasster Meinungen interpretiert. Die räumliche und zeitliche Mehrzahl, auch der zu beobachtende geschichtliche Fortgang und nicht zuletzt der mitunter heftige Streit der moralischen Überzeugungen lassen sich erst dann wirklich verstehen, wenn man sie, zumindest in Teilen, als Gestalten, Symptome und Antriebe einer gemeinsamen Suche nach moralischer Wahrheit erkennt.

Zweitens: Vielfalt, Wechsel und Uneinigkeit im Moralischen haben oftmals ein geringeres Ausmaß als gemeinhin angenommen. Lügen, Stehlen oder Töten gelten in fast allen Gesellschaften und Epochen als verwerflich. Hilfeleistung, Unterstützung oder Höflichkeit werden beinahe überall und immer als lobenswert angesehen. Pluralität, Entwicklung und Konflikte beschränken sich meist auf nachgeordnete Fragen, etwa hinsichtlich konkreter Umsetzungen, wechselseitiger Gewichtungen oder möglicher Ausnahmen von diesen Regeln. Solche sekundären Diskrepanzen machen aber einen objektiven Bezugspunkt nicht unglaubwürdig. Umgekehrt wird dieser durch den gemeinsamen Kern an primären Moralprinzipien durchaus nahegelegt.

Drittens: Moralische Uneinigkeit beruht oftmals nicht auf eigentlich normativen Dissensen, sondern auf differierenden faktischen Überzeugungen. Man streitet zwar über eine moralische Angelegenheit (›A ist gut‹), aber die Kontroverse betrifft nicht die normativen Prämissen (›Q ist gut‹), sondern die faktischen Prämissen (›A ist Q‹). So gründen beispielsweise unterschiedliche Auffassungen zu einer angemessenen Steuerpolitik oftmals nicht in unverträglichen Vorstellungen, wie eine gerechte Verteilung von Wohlstand aussähe, sondern in abweichenden Einschätzungen, welche Effekte die diskutierten Maßnahmen hätten. Ähnlich entzweien sich die Positionen in der Energiepolitik oftmals nicht an moralischen Fragen, welche Sicherheit in Betrieb und Versorgung oder welche Aufteilung von Nutzen und Lasten geboten wäre, sondern an empirischen Fragen, wie gefährlich und wie ersetzbar nukleare oder fossile Energieträger sind. Insbesondere sind normative und faktische Aussagen in ungleicher Weise aufeinander bezogen: Normative Aussagen hängen fast immer auch von faktischen Annahmen ab (›A ist gut‹ ist abhängig von ›A ist Q‹), aber das vertauschte Verhältnis tritt niemals auf (›A ist Q‹ ist unabhängig von ›A ist gut‹). Dies führt zwangsläufig zu einer größeren Varianz im normativen als im faktischen Sektor, indem jede faktische Uneinigkeit zu einer normativen Uneinigkeit führen kann, aber ein umgekehrter Einfluss nicht stattfindet. Die höhere Varianz des Normativen gegenüber dem Faktischen muss daher keine geringere Wahrheitsfähigkeit anzeigen. Vielmehr kann sie in der einseitigen Abhängigkeitsbeziehung beider Felder gründen, aufgrund derer sich etwaige Unsicherheiten nur in einer Richtung ausbreiten können.

Viertens: Da Normen unmittelbar menschliches Verhalten steuern sollen, kollidieren sie häufiger als Fakten mit persönlichen Interessen. Deshalb fehlt im normativen Bereich öfter die nötige Neutralität, was wiederum eine größere Uneinigkeit gegenüber dem faktischen Bereich erzeugen kann. Einmal mehr läge diese größere Uneinigkeit jedoch nicht an einer fehlenden Wahrheitsfähigkeit. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Faktenfragen, sobald sie doch einmal persönliche Interessen berühren, vergleichbar kontrovers diskutiert werden wie Normfragen. Die Auseinandersetzungen um Kosmologie, Evolutionstheorie, Genetik oder Klimamodelle waren und sind nicht weniger unversöhnlich als die um Bürgerfreiheiten oder Menschenrechte. Das stellt ihren Objektivitätsbezug jedoch keineswegs in Frage.

Fünftens: Gelegentlich wird die skeptizistische Absage an eine objektive moralische Wahrheit als notwendige Bedingung eines toleranten Umgangs, etwa als Ausdruck der Bescheidenheit hinsichtlich eigener Ansichten oder als Form der Anerkennung gegenüber fremden Überzeugungen dargestellt. Dies ist indessen ein schweres Missverständnis, das bei genauerer Betrachtung rasch zutage tritt. Echte Bescheidenheit besteht in dem Bewusstsein, sich irren zu können (was Wahrheit voraussetzt), nicht in der Behauptung, es gebe keine Wahrheit (womit sich niemand irren könnte). Echte Anerkennung meint die Bereitschaft, sich die Meinung des anderen anzuhören (weil er recht haben könnte), nicht die Auffassung, es könne ohnehin niemand recht haben (womit alle Meinungen gleichermaßen belanglos wären). Letztlich beruht das skizzierte Toleranzargument wohl sogar auf einem versteckten Selbstwiderspruch: Schließlich hat die Forderung nach Toleranz ihrerseits deutlich moralischen Charakter und ist daher mit einem tatsächlich umfassenden Skeptizismus unverträglich. Ein konsequenter Skeptizist müsste eine solche Forderung zurückweisen mit dem Hinweis, dass auch sie nur ein subjektives Geschmacksurteil, keine objektive Norm, dass auch sie nur ein kulturelles Brauchtum, kein notwendiges Gebot darstelle. Was Bescheidenheit und Anerkennung tatsächlich nahelegen, ist somit kein Skeptizismus, dem zufolge es keine objektive moralische Wahrheit gäbe, sondern ein Fallibilismus oder Kritizismus, der bereit ist, die grundsätzliche Fehlbarkeit eigener moralischer Überzeugungen einzuräumen und die mögliche Angemessenheit fremder moralischer Einstellungen zu berücksichtigen. Was Toleranz tatsächlich erfordert, ist kein Subjektivismus oder Relativismus, der sämtliche moralischen Auffassungen allein als individuelle oder kollektive Bevorzugungen gelten ließe, sondern ein Liberalismus, der zentrale Normen wie gewaltfreie Konfliktlösung oder wechselseitigen Respekt als objektiv verbindlich ansieht und in eben diesem Rahmen nachgeordnete Konzeptionen der persönlichen Lebensführung oder der kulturellen Identitätsstiftung als subjektiv bzw. relativ erachtet.

Sechstens: Skeptizistische Positionen werden bezeichnenderweise zumeist nur mit Blick auf eher harmlose Fragestellungen, nicht in Hinsicht auf wirklich ernsthafte Problemlagen vertreten. Typischerweise werden Beispiele der privaten Lebensgestaltung oder der gemeinschaftlichen Etikette angeführt, um den subjektivistischen bzw. relativistischen Charakter moralischer Normen plausibel zu machen, wie etwa die Frage, ob man eine monogame Partnerschaft führen wolle oder welche genauen Bekleidungsformen als angemessen gelten – was überaus nachrangige Themen sind, bei denen man berechtigt zweifeln darf, ob sie überhaupt in das Feld der Moral fallen. Der Skeptizismus als solcher ist jedoch eine umfassende These, welche die Nichtobjektivität jeglicher Moralnormen behauptet und sich daher auch auf deutlich kritischere Fälle einlassen muss, beispielsweise indem man erklärte, dass die Richtigkeit oder Falschheit von Vergewaltigung oder Völkermord allein Sache persönlichen Geschmacks oder kultureller Gebräuche sei – was eine höchst prekäre Position ist, bei der durchaus fragwürdig bleibt, welche Plausibilität sie haben sollte und wie man sie im Diskurs durchhalten wollte. Letztlich ist die normative Behauptung, der Holocaust sei nicht objektiv falsch gewesen (bzw. es gebe keine moralische Wahrheit in dieser Frage), kaum weniger befremdlich oder bedenklich als die faktische Behauptung, der Holocaust sei objektiv niemals geschehen (bzw. es gebe keine historische Wahrheit in dieser Frage). Entsprechend rücken Skeptizisten bei solchen Extrembeispielen zumeist von ihrer Position ab, indem sie auf die Unverletzlichkeit der Person oder auf die Freiheit von Unterdrückung verweisen, die selbstverständlich zu gewährleisten seien. Damit werden jedoch Grundsätze angeführt, die unzweifelhaft moralischer Natur sind und offenbar in ihrer objektiven Gültigkeit anerkannt werden, wie abstrakt und präzisierungsbedürftig sie auch sein mögen.

(3) Skeptizistische Positionen stützen sich zuweilen auf eine bestimmte historische Sicht der Entwicklung von Moral und Ethik: Demzufolge sei normative Ethik in ›moralisch ruhigen‹ Epochen und Gesellschaften entstanden, in denen große Einigkeit in hergebrachten Normen etwa religiösen Ursprungs geherrscht habe. Vor dem Hintergrund dieser Einigkeit habe man naiverweise geglaubt, dass es so etwas wie moralische Wahrheit gebe, und sich entsprechend damit beschäftigt, angebliche ethische Beweise für jene ohnehin allseits anerkannte Moral zu führen. Die moderne globale Erfahrung jedoch zeige, dass erhebliche moralische Divergenzen zwischen verschiedenen Kulturen und auch merkliche moralische Abweichungen innerhalb einer gegebenen Kultur bestehen. Angesichts dessen werde offenbar, dass keine moralische Wahrheit existieren könne, was zu der Einsicht nötige, dass das Geschäft einer normativen Ethik als Suche nach dieser moralischen Wahrheit aufzugeben sei.

Das historische Bild, das hiermit entworfen wird, ist nicht nur überaus klischeehaft, sondern schlichtweg falsch: Normative Ethik ist gerade nicht unter ›moralisch ruhigen‹ Bedingungen entstanden. Denn unter solchen Umständen besteht gar kein Bedarf an ihr. Normative Ethik ist, ganz im Gegenteil, gerade vor dem Hintergrund von moralischen Konfrontationen mit anderen Kulturen und von moralischen Differenzen in der eigenen Kultur entwickelt worden. Sie war immer schon philosophische Reaktion auf die Herausforderung einer Inkohärenz von moralischen Vorstellungen.

Eben diese Herausforderung prägt das klassische Griechenland, in dem die Wurzeln der modernen Ethik liegen: Man hat intensiven Kontakt zu fremden Völkern, die abweichende moralische Normen vertreten, man erlebt in den eigenen Staaten eine große Vielfalt, einen raschen Wechsel und eine tiefe Uneinigkeit hinsichtlich dessen, was moralisches Verhalten sei. Tatsächlich ist angesichts dieser Pluralität, dieses Wandels und dieser Konflikte bereits in der griechischen Antike die skeptizistische Vorstellung verbreitet, es gebe keine moralische Wahrheit. Insbesondere die Sophisten vertreten typischerweise die Auffassung, alle Moral sei willkürlich vom Menschen gesetzt, sei also nur Ausdruck persönlicher Interessen oder kultureller Bevorzugungen.

Die normative Ethik entsteht im klassischen Griechenland wesentlich als der Versuch, diesem Skeptizismus zu begegnen: Namentlich Sokrates, Platon und Aristoteles formulieren ihre ethischen Überlegungen, Ansätze und Systeme, um zu zeigen, wie moralische Gültigkeit jenseits von faktischer Geltung ausgewiesen werden kann. Ethische Begründungen wurden also keineswegs aufgestellt, weil ohnehin moralische Einigkeit bestand und es deshalb ein einfaches Geschäft war. Vielmehr wurden ethische Begründungen genau deshalb entworfen, weil moralische Uneinigkeit herrschte und damit eine schwierige Aufgabe zu bewältigen war.

Ob diese Aufgabe von den antiken oder von späteren Philosophen zufriedenstellend gelöst wurde, ist eine andere Frage: Um sie zu beantworten, muss man sich die entsprechenden Entwürfe ansehen und auf ihre jeweilige Überzeugungskraft hin prüfen. Strikte Demonstrationen, wie in der Mathematik oder der Logik, wird man dabei nicht erwarten dürfen. Dies gilt indessen auch für andere Wissenschaften, Naturwissenschaften nicht weniger als Geisteswissenschaften, in denen ebenfalls keine unumstößlichen Beweise möglich sind, aber allemal bessere oder schlechtere Belege und Argumente vorgebracht werden. Genau hieran wird ihre Fähigkeit bemessen, der objektiven Wahrheit in ihrem jeweiligen Bereich näherzukommen.

Letztlich dürfte dies vielleicht die beste Antwort auf die skeptizistische Herausforderung sein: Über die Wahrheitsfähigkeit des Moralischen lässt sich am ehesten entscheiden, indem man niveauvolle Ansätze normativer Ethik studiert. Ehe man sich daher festlegt, ob es moralische Objektivität geben könne, sollte man sich informieren, welche ethischen Entwürfe diesbezüglich entwickelt worden sind. Hierzu bieten die nachfolgenden Kapitel ausgiebig Gelegenheit. Es ist ratsam, sich in diese Entwürfe zu vertiefen und auf ihrer Grundlage zu entscheiden, ob die in ihnen formulierten Prinzipien bzw. die von ihnen untersuchten Urteile allesamt einzig auf persönlichen Geschmack bzw. kulturelle Gebräuche zurückgehen oder ob sie vielleicht doch zuweilen moralische Wahrheiten zu vermitteln vermögen.

Die metaethischen Positionen, die in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels behandelt werden, kommen allesamt darin überein, dass sie den Kognitivismus im epistemologischen Sinne befürworten: Sie bejahen die Objektivität moralischer Normen, sehen also insbesondere das Geschäft einer normativen Ethik als sinnvoll an. Unterschiedliche Auffassungen vertreten sie dahingehend, wie jene objektive Moral beschaffen ist, wie sie erfasst werden kann und worauf sie sich bezieht.

Entsprechend haben die Positionen der nächsten Abschnitte einen doppelten Charakter: Zum einen benennen sie Standpunkte metaethischer Art, die in grundlegender Weise Stellung dazu beziehen, wie moralische Normen verfasst sind, wie man sie erkennt und was sie behandeln. Zum anderen kennzeichnen sie aber auch bereits Typen normativer Ethiken, die in ihren konkreten Strukturen, Methoden und Gehalten jene metaethischen Grundüberzeugungen umsetzen.

3.3 Generalismus und Partikularismus

Die Unterscheidung von Generalismus und Partikularismus lässt sich als eine primär ontologische Differenzierung verstehen: In ihr geht es wesentlich darum, in welcher Gestalt sich moralische Normen genauer konstituieren bzw. welchen Entitäten moralische Werte überhaupt zukommen.

Definitionen

(1) Gemäß dem Generalismus haben moralische Normen die Form allgemeiner Prinzipien. Ihr ursprüngliches Wesen liegt in Regeln für Handlungstypen, etwa der Art: ›Man soll nicht lügen, stehlen, töten etc.‹ Entsprechend sind jene Handlungstypen die eigentlichen Träger moralischer Werte. Einzelne Handlungen tragen demgegenüber ihren moralischen Wert nur deshalb, weil sie ›Fälle von‹ jenen allgemeinen Handlungstypen sind und damit ihrerseits unter dem allgemeinen Prinzip stehen. Die individuelle Zuordnung einer Handlung zu einem Handlungstyp, und damit die Subsumtion jener Handlung unter das Prinzip, ist dabei eine faktische Aufgabe: Sie entscheidet sich an den natürlichen Eigenschaften der gegebenen Handlung. Alle normative Einstufung leistet demgegenüber die allgemeine Regel: Diese Regel weist dem einzelnen Fall, aufgrund jener faktischen Zugehörigkeit, seinen moralischen Wert zu.

Für den Partikularismus hingegen haben moralische Normen die Form konkreter Einzelfallurteile. Ihr wahres Wesen besteht in Befunden zu Einzelhandlungen, etwa der Art: ›Dass Peter in dieser Situation gelogen, gestohlen, getötet etc. hat, ist schlecht.‹ Genauer sind diese Einzelhandlungen sogar die einzigen Träger moralischer Werte. Sie mögen nachträglich zu ›Mengen von‹ Einzelfällen gruppiert werden, etwa indem man Fälle mit ähnlichem Wert zusammenstellt. Aber das verbindende Merkmal dieser Fälle liegt nicht in einer geteilten natürlichen Eigenschaft: Sie tragen jenen ähnlichen Wert nicht, weil sie einem gemeinsamen Handlungstyp zugehörten, der seinerseits unter ein allgemeines Prinzip fiele. Vielmehr trägt jeder Fall diesen Wert ganz für sich allein, in seiner unverwechselbaren Besonderheit, wie es das jeweilige Einzelfallurteil festhält: Sein verbindendes Merkmal mit anderen Fällen liegt einzig in jenem geteilten moralischen Wert selbst.

Generalismus und Partikularismus (ontologische Ebene der Metaethik)

Generalismus: Moralische Normen konstituieren sich in allgemeinen Prinzipien. Partikularismus: Moralische Normen konstituieren sich in konkreten Einzelfallurteilen.

Gelegentlich wird der Generalismus auch als ›Prinzipienethik‹ oder als ›Prinziplismus‹ bezeichnet. Zumindest der letztere Begriff ist allerdings doppeldeutig: Vor allem in der modernen angewandten Ethik nennt man Prinziplismus einen ganz bestimmten Typ von generalistischen Ansätzen. Diese gehen davon aus, dass Moral aus einem irreduziblen Satz von mehreren Prinzipien besteht, statt aus einem einzigen Masterprinzip, wie es andere generalistische Ethiken annehmen.

Zuweilen wird der Partikularismus auch als ›Situationsethik‹ oder als ›Kasuistik‹ angesprochen. Wiederum ist zumindest beim letzteren Terminus indessen Vorsicht geboten: In der mittelalterlichen philosophischen Ethik meint Kasuistik ein Verfahren, das gerade auf einer generalistischen Grundauffassung von Moral beruht. Es bezeichnet die Kunst, einzelne Fälle allgemeinen Prinzipien zuzuordnen, oder auch die Kunst, solche allgemeinen Prinzipien zu etwas konkreteren, aber immer noch allgemeinen Sätzen zu spezifizieren, die für festumrissene Situationstypen gelten.

(2) Mitunter werden die Wörter ›Generalismus‹ und ›Partikularismus‹ in ganz anderen Bedeutungszusammenhängen verwendet, etwa mit Blick auf den Geltungsbereich von Normen (ihren Subjektkreis), d. h. in der Frage, für wen jene Normen maßgeblich sind: ›Generalismus‹ bezeichnet dann die Auffassung, dass die wesentlichen moralischen Pflichten für alle Menschen gleichermaßen verbindlich sind, kultur- und individuenübergreifend, an allen Orten und zu allen Zeiten. ›Partikularismus‹ meint demgegenüber die Einschätzung, dass zentrale moralische Pflichten nur für bestimmte Gruppen oder sogar nur für bestimmte Einzelpersonen bindend sind. Verbreiteter und passender für diese beiden Auffassungen sind allerdings andere Begriffe: Die erste Position, welche die Allgemeingültigkeit bzw. Universalität moralischer Normen hervorhebt, bezeichnet man besser als Universalismus. Die zweite Position nennt man eher Relativismus bzw. Subjektivismus, wenngleich nicht im skeptizistischen Sinne, dass es keine objektive Moral gebe und stattdessen nur gruppen- bzw. einzelpersonbezogene Interessen in den üblichen Normvorstellungen am Werk seien, sondern im positivistischen Sinne, dass objektive moralische Forderungen nur innerhalb einer gegebenen Kultur bzw. für ein jeweiliges Individuum Gültigkeit haben. In jedem Fall stimmen die beiden skizzierten Positionen nicht mit der hier verwendeten Begrifflichkeit von ›Generalismus‹ bzw. ›Partikularismus‹ überein, d. h. beide Standpunkte können generalistisch oder partikularistisch im obigen Sinne sein: Eine Norm, die für alle Menschen Gültigkeit beansprucht, kann in einem allgemeinen Prinzip bestehen (›Niemand darf Unschuldige töten‹) wie auch in einem unhintergehbaren Einzelfallurteil (›Niemand darf Karl töten‹). Ebenso kann eine Norm, die nur für einige oder sogar nur für einen Menschen Gültigkeit haben soll, als ein allgemeines Prinzip auftreten (›Ich darf keine Unschuldigen töten‹) oder als ein unhintergehbares Einzelfallurteil (›Ich darf Karl nicht töten‹).

Manchmal finden die Wörter ›Generalismus‹ und ›Partikularismus‹ auch Anwendung, wenn es um den Gegenstandsbereich von Normen geht (ihren Objektkreis), d. h. um die Frage, gegenüber wem jene Normen zu befolgen sind: ›Generalismus‹ besagt dann, dass die wesentlichen moralischen Pflichten allen Menschen gleichermaßen geschuldet sind. ›Partikularismus‹ bedeutet demgegenüber, dass zentrale moralische Pflichten nicht gegenüber allen Menschen, sondern nur gegenüber bestimmten Gruppen oder Einzelpersonen relevant sind. Auch hier sind andere Termini üblicher und treffender: Im ersten Fall spricht man eher von einer Forderung nach Unparteilichkeit, vor allem als Unabhängigkeit von der persönlichen Stellung, in der sich der Akteur zu den jeweils Betroffenen befindet. Im zweiten Fall geht es um eine Perspektive der Parteilichkeit, die namentlich gegenüber Menschen angebracht sein mag, zu denen der Handelnde in einer besonderen Sozialbeziehung steht, etwa Familienangehörigen, Freunden, Vertragspartnern oder Kollegen. In jedem Fall stimmt diese Differenz wiederum nicht mit den hier zugrunde gelegten Definitionen von ›Generalismus‹ bzw. ›Partikularismus‹ überein, d. h. beide Pflichtenarten können generalistisch oder partikularistisch im obigen Sinne sein: Eine Norm, die eine Handlung gegenüber allen Menschen gebietet, kann in einem allgemeinen Prinzip bestehen (›Tut immer allen Mitmenschen Gutes‹) oder in einem unhintergehbaren Einzelfallurteil (›Tut heute allen Mitmenschen Gutes‹). Ebenso kann eine Norm, die eine Handlung nur gegenüber einigen oder sogar nur gegenüber einem Menschen vorschreibt, als ein allgemeines Prinzip auftreten (›Tut immer euren Kindern Gutes‹) oder als ein unhintergehbares Einzelfallurteil (›Tut heute euren Kindern Gutes‹).

(3) Auch Universalismus und Unparteilichkeit dürfen ihrerseits nicht miteinander verwechselt werden: Zuweilen liest man, eine universalistische Moral kenne keine speziellen Pflichten gegenüber bestimmten Gruppen oder Einzelpersonen. Umgekehrt heißt es gelegentlich, eine unparteiliche Moral könne keine exklusive Gültigkeit für besondere Gruppen oder Einzelpersonen beanspruchen.

Tatsächlich sind aber auch hier alle Kombinationen beider Normtypen denkbar: Eine Moral kann universalistisch und unparteilich sein (›Niemand soll irgendwem Leid zufügen‹), aber ebenso wohl universalistisch und parteilich (›Jeder soll für seine Familienangehörigen sorgen‹). Eine Moral kann nichtuniversalistisch und unparteilich sein (›Christen sollen niemandem mit Gewalt begegnen‹), oder auch nichtuniversalistisch und parteilich (›Christen sollen ihren Glaubensbrüdern beistehen‹).

Deduktivismus und Induktivismus

Die Frage, ob Moral sich in allgemeinen Prinzipien konstituiert oder aber allein in Form konkreter Einzelfallurteile auftritt, ist, wie erwähnt, ontologischer Art: Sie thematisiert das Wesen, die Beschaffenheit des Moralischen. Sie ist daher insbesondere von der Frage zu unterscheiden, ob man moralische Richtigkeit eher von Handlungstypen oder eher von Einzelhandlungen erkennt: Dies ist eine epistemologische Frage, die mit der ontologischen Ebene zusammenhängt, aber durchaus ein eigenständiges Problem formuliert.

(1) Ein Generalist ist überzeugt, dass Moral aus allgemeinen Prinzipien besteht: Sie konstituiert sich in übergreifenden Regeln der Art ›Q ist gut‹. Zwar bestreitet er nicht, dass es auch konkrete Einzelfallurteile gibt wie ›A ist gut‹. Aber diese gehören zur Moral allein aufgrund des Prinzips: Der Einzelfall A trägt seinen moralischen Wert ›gut‹, weil er an der natürlichen Eigenschaft Q teilhat (›A ist Q‹). Diese allgemeine Eigenschaft Q ist der eigentliche Träger des moralischen Wertes ›gut‹, wie es das Prinzip festhält (›Q ist gut‹). (Es ist hierbei wesentlich für den Generalisten, dass in der Tat eine allgemeine natürliche Eigenschaft Q mit der allgemeinen moralischen Eigenschaft ›gut‹ verknüpft wird, oder auch mit anderen moralischen Eigenschaften, wie ›gerecht‹ oder ›lobenswert‹. Denn nur dann hat man es mit einem moralischen Prinzip zu tun, d. h. mit einer Regel, die einem sagt, was man tun soll, indem sie festlegt, dass alle natürlichen Vollzüge einer bestimmten Art einen moralischen Wert des angegebenen Typs tragen.)

Dabei kann es sein, dass jenes allgemeine Prinzip ›Q ist gut‹ in der Tat auch leichter oder schneller zugänglich ist als das konkrete Einzelfallurteil ›A ist gut‹. In diesem Fall kann man aus dem moralischen Prinzip ›Q ist gut‹, zusammen mit der faktischen Prämisse ›A ist Q‹ (welche die Subsumtion des Falles unter das Prinzip leistet), auf das konkrete Einzelfallurteil ›A ist gut‹ schließen. Diese Ableitung folgt der deduktiven Schlussrichtung, die vom sicher erkannten Allgemeinen zum zu beurteilenden Besonderen führt (›top-down‹). Die allgemeine Eigenschaft Q bestimmt (ontologisch), wie der einzelne Fall A zu bewerten ist, und man kann auch beim Prinzip ansetzen (epistemologisch), um das Einzelfallurteil zu gewinnen. Normative Ethik wäre damit ähnlich wie Mathematik zu betreiben: Auch dort beginnt man mit allgemeinen Axiomen, etwa den formalen Regeln der Addition, und leitet aus ihnen konkrete Sätze her, etwa die Gleichung 3+5=8. Man mag sich zwar mitunter von einzelnen Rechnungen zu höheren Axiomen inspirieren lassen. Aber der wissenschaftliche Beweis muss letztlich immer in deduktiver Richtung verlaufen, vom ursprünglich gewissen Allgemeinen zum hieraus abgeleiteten Besonderen. Er folgt hiermit der inhärenten Logik mathematischer Systeme, die vom Allgemeinen zum Besonderen führt, aus dem höheren Satz die einzelne Gleichung entstehen lässt. (Ein wesentlicher Unterschied zwischen Mathematik und Ethik liegt freilich darin, dass in der Mathematik die obersten Axiome möglicherweise als Definitionen zu verstehen sind. In der Ethik hingegen müssen die obersten Sätze synthetische Sätze der Form ›Q ist gut‹ sein, nicht analytische Sätze der Form ›gut bedeutet Q‹; vgl. Abschnitt 3.1.)

Es ist aber auch denkbar, dass nicht das allgemeine Prinzip ›Q ist gut‹, sondern das konkrete Einzelfallurteil ›A ist gut‹ besser oder rascher eingesehen werden kann. In diesem Fall müsste man aus dem moralischen Einzelfallurteil ›A ist gut‹, zusammen mit der faktischen Feststellung ›A ist Q‹, auf das allgemeine Prinzip ›Q ist gut‹ zurückfolgern (was nicht im Sinne einer strengen Verifikation, aber im Sinne einer mehr oder weniger gerechtfertigten Vermutung möglich ist). Eine solche Herleitung folgt der induktiven Schlussrichtung, die vom sicher erkannten Besonderen zum zu erfassenden Allgemeinen führt (›bottom-up‹). Dies würde nichts daran ändern, dass nach wie vor die allgemeine Eigenschaft Q den moralischen Wert des einzelnen Falls A bestimmt (ontologisch), aber es würde bedeuten, dass nun das Einzelfallurteil die moralische Einsichtigkeit des Prinzips liefert (epistemologisch). Normative Ethik hätte hiermit ähnlich wie die Naturwissenschaften vorzugehen: Auch dort setzt man mit einzelnen Beobachtungen an, etwa indem man gezielte Experimente mit schweren Körpern anstellt, und erschließt hieraus die allgemeinen Naturgesetze, etwa das Fallgesetz oder das Gravitationsgesetz. Man mag zwar gewisse Mutmaßungen bezüglich jener Gesetze hegen, falls man beispielsweise Symmetrie oder Einfachheit von ihnen erwartet. Aber ihre tatsächliche Bewährung kann letztlich nur auf induktivem Wege erfolgen, vom beobachteten Besonderen zum unbekannten Allgemeinen. Dies ändert indessen nichts daran, dass das Naturgesetz das Einzelereignis bestimmt, die naturwissenschaftliche Determination vom allgemeinen Gesetz zum einzelnen Geschehen verläuft. (Ein gewichtiger Unterschied zwischen Naturwissenschaften und Ethik besteht freilich dahingehend, dass in der Ethik keine Experimente im üblichen Sinne angestellt werden können. Insbesondere genügt ein faktisches Beobachten der Einzelfälle nicht, sondern es ist ein normatives Urteil über jene Fälle erforderlich; vgl. Abschnitt 3.1.)

(2) Ein Partikularist ist demgegenüber davon überzeugt, dass es keine moralischen Prinzipien gibt: Moral besteht für ihn nicht in allgemeinen Regeln des Typs ›Q ist gut‹. Sie konstituiert sich allein in einzelnen Urteilen wie ›A ist gut‹. Entsprechend kann man als Partikularist keinen der beiden Schlusswege beschreiten: Man kann weder deduktiv bei moralischen Prinzipien ansetzen, noch kann man induktiv moralische Prinzipien erschließen. Denn moralische Prinzipien in einem relevanten Sinne existieren überhaupt nicht. (Zwar leugnet der Partikularist nicht, dass es eine allgemeine moralische Eigenschaft ›gut‹ gibt, die an unterschiedlichen Einzelhandlungen immer wieder auftreten kann, und er mag auch einräumen, dass es allgemeine innermoralische Regeln gibt, nach denen unterschiedliche Wertqualitäten wie ›gerecht‹ oder ›lobenswert‹ in einer festen Rangordnung zueinander stehen. Aber er bestreitet, dass es Prinzipien gibt, d. h. Regeln, die diese allgemeinen moralischen Eigenschaften mit allgemeinen natürlichen Eigenschaften verbinden, indem sie festlegen, welcher Handlungstyp welche dieser Wertqualitäten trägt.)

Man mag als Partikularist nachträgliche Zusammenstellungen von ähnlich beurteilten Fällen anfertigen. Man mag Urteilssammlungen der Form ›A1, A2, A3 … sind gut‹ erstellen, als Hilfsmittel für die moralische Heuristik, als Übungsmaterialien für den moralisch Unerfahrenen, als Quellen von moralischer Einsicht. Aber solche nachträglichen Zusammenstellungen haben für den Partikularisten keine eigenständige moralische Bedeutung. Die in ihnen versammelten Fälle teilen keine natürliche Eigenschaft, die originärer Träger eines moralischen Wertes wäre, so dass sie ein moralisches Prinzip, eine gesetzhafte Allaussage wie ›Q ist gut‹ vermitteln könnten. (Man kann ebenso Sammlungen von gelben Dingen zusammenstellen, um an diesen Beispielen einem Unkundigen die Farbe Gelb zu erläutern und sein Urteil über Gelbes zu trainieren. Aber hierhinter verbirgt sich kein gesetzhafter Zusammenhang dieser gelben Dinge, kein Prinzip der Gelbheit, aufgrund dessen alle Dinge, die irgendeine sonstige natürliche Eigenschaft teilen, auch in der speziellen natürlichen Eigenschaft übereinkommen müssten, von gelber Farbe zu sein. Vielmehr trägt jedes dieser Dinge seine gelbe Farbe ganz für sich allein. Und folglich wird man diese gelbe Farbe auch in jedem neuen Einzelfall ganz für sich allein feststellen müssen.)

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