Kitabı oku: «Pfeifen!», sayfa 3

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Sehen und gesehen werden

»Ja, aus den Augen, aus dem Sinn.«

Johann Wolfgang von Goethe: Faust,

der Tragödie erster Teil

»Ich kann den Blick nicht von euch wenden, ich muss euch anschaun immerdar.«

Ferdinand Freiligrath: Die Auswanderer

Nur ein unauffälliger Schiedsrichter ist ein guter Schiedsrichter. So lautete jahrzehntelang das Credo der Zunft. Damit ist es lange vorbei. Heute steht der Referee im Flut- und Rampenlicht. Er steht dort gern und auch gut. Nicht nur, weil »manche Vorkommnisse auf dem Rasen es erfordern, ›auffällig‹ zu werden und mit Strenge und Unnachgiebigkeit markante Entscheidungen zu treffen« (Rainer Moritz). Ein gänzlich unauffälliger Schiedsrichter kann für heillose Verwirrung sorgen. Wie Hellmut Krug, der einmal eine Halbzeit lang einfach nicht zu orten war. Kollege Hans Rößlein schrieb ihm einen geharnischten offenen Brief.

»Sonntagabend, ich schalte den Fernseher ein. Das Bundesligaspiel Hertha BSC – Hansa Rostock wird aus dem Berliner Olympiastadion übertragen. Doch was muss ich sehen? Ich glaube, ich traue meinen Augen nicht, denn das Spiel wird ohne Schiri durchgeführt. Erst nach ein paar Minuten konnte ich feststellen, dass dem nicht so ist: Deutschlands Spitzen-Referee Hellmut Krug leitete diese Partie mit seinen Assistenten, allerdings in der gleichen Farbe – rot! – wie eine der spielenden Mannschaften. Diesen Fehler hat er erst später bemerkt und sich in der Halbzeitpause umgezogen. Siehe da, plötzlich hat man das Schiri-Team bemerkt. Selbst der Reporter hat dies mehrmals erwähnt, dass der Schiedsrichter jetzt zu sehen ist. Ich frage mich: was hat das Team vor dem Spiel gemacht? Der DFB stellt seinen Schiris sämtliche Farben zur Verfügung, um diese auch zu tragen (und dabei zu haben). Hier wurde die Sorgfaltspflicht und die Aufgabe vor dem Spiel – Kontrolle der Spielkleidung – nicht beachtet.

Ich meine: Gelb-Rot, Herr Krug! Und mindestens zwei Spiele weniger. Und nicht zuletzt: Das ganze Team zum Sehtest!«

Zur Ehrenrettung von Hellmut Krug muss gesagt werden, dass er auch in Halbzeit eins alles Wesentliche, darunter zwei Tore von René Schneider und Ali Daei und ein Eigentor von Uwe Ehlers (Endstand 5 : 2), tadellos im Blick hatte.

Das Selbstbild der Schiedsrichter – Ein tolles Kapitel

»Jedermann kennt uns aus den neunzig Minuten eines Spiels, doch wer weiß schon, wer wir sind, was wir tun, was wir denken, wenn wir nicht auf dem Spielfeld stehen?«

Pierluigi Collina

»Was der Mensch nicht aus sich selbst erkennt, das erkennt er gar nicht.«

Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion

»Markus fliegt mit 14 Jahren aus der Mannschaft, weil der Vater eines Mannschaftskameraden unmittelbar vor dem Spiel für seinen eigenen Sohn erfolgreich Lobbyarbeit beim Trainer betreibt. Tief gekränkt schmeißt er die Brocken hin. Sauber und ordentlich, wie er es daheim lernte. Er legt das Trikot ein letztes Mal zusammen. Im nächsten Sportgeschäft hätten sie es nicht besser können, pedantisch gerade liegt das Ding da, wie ein Mahnmal des Aufstandes. ›Trainer, das war es‹, sagt er wütend und stapft davon. Vater Merk ist mächtig sauer. Er wollte einen Wettkämpfer, nun hat er einen Sohn, der Schiedsrichter wird.«

So hat es Dr. Markus Merk aufnotieren lassen vom Journalisten Oliver Trust in seiner Autobiografie Bewegend der Mit- und Nachwelt zum Nutzen und Frommen. Und fürwahr, liegt nicht in diesem Anfang, im Trotz und Aufbegehren des gedemütigten Kindes, schon alles begründet, was den späten, den »Weltschiedsrichter« Merk ausmachen wird? Jawohl, es liegt: nämlich »das Entscheiden, das Auftreten, das Vermitteln von Entschlussfähigkeit« genauso wie die Gabe, »das, was ich tue, gut zu präsentieren«. Bald würde der Schrillton seiner Pfeife Stadien und Fan-Gemüter erschüttern, »bald würden sie ihm nachbrüllen und ihn für ihr Unglück verantwortlich machen. So als habe er sie um Haus und Hof gebracht, mit einem einzigen fahrlässigen Pfiff.«

Doch das wird ihn nicht jucken. Nicht einen wie Merk, der aufwächst »300 Schritte« vom Betze, vom Fritz-Walter-sein-Berg, entfernt, in der »22-qm-Küche«, wo »die gesamte Einrichtung in Rot« leuchtet wie das Trikot des FCK und der Bub »seinen Helden mit der Pfeife« serviert auf des Vaters Geheiß an jedem zweiten Samstag »Sprudel, ein Bier, Pfälzer Wein oder ein Glas Sekt, pfälzische Hausmannskost und ein herzhaftes Bauernbrot«. Denn siehe, der Vater, »ein herzensguter Mensch«, ist auch ein Unparteiischer und zugleich ihr Betreuer, wenn der DFB welche schickt, die schiedsen sollen die Roten Teufel. »In diesen Tagen wächst ein Pflänzchen in Markus«, so erzählt die Mär. Es muss nur noch entdeckt werden. Und so geschieht es. Eines Tages hockt Albert Dusch in der Küche, der genannt werden muss »in einem Atemzug mit Größen wie Gottfried Dienst, Rudolf Kreitlein, Kurt Tschenscher und Kenneth Dragnall« (Gotthard Dykty), und er lässt das unbestechliche Referee-Auge ruhen auf dem Knaben mit Wohlgefallen, denn er spürt dessen »unermüdliches Streben nach Perfektion« (Oliver Trust). Und wie er strebt! Klein Merk liest abends »nicht Karl May, sondern das Regelwerk«, staunt der Vater und staunt bald noch mehr, als der es aufsagen kann »Wort für Wort. Punkt für Punkt. Wie ein Automat, programmiert von den Schöpfern der Regeln«.

So kommt Markus Merk unter die Schiedsrichter. Dort sind schon Michael Prengel und Hellmut Krug, welche ebenfalls in sich tragen das Erbe der pfeifenden Väter. Andere verschlägt ein kaputtes Knie, ein gerissenes Kreuzband zur Schiedsrichterei. Wieder andere, unsportliche, gibt es, für die ist »der Ball ein Würfel« (Buffy Ettmayer), weshalb sie besser ablassen vom aktiven Fußballspiel. Da gibt es gleich »ein paar von der Sorte« (Wolf Günther Wiesel). Der DFB nimmt sie alle, denn an guten Referees herrscht Mangel immerdar. Aber egal, was diese und jene an-, um- und letztendlich zur Pfeife treibt, wer hinein will ins »Stahlbad Bundesliga« (Eugen Strigel), in die »Elite der Unparteiischen« (Volker Roth), der muss »alles – auch Familie und Beruf – unterordnen der Schiedsrichter-Tätigkeit«, denn merke: »Die Basis aller Schiedsrichter ist die Heimat-Gruppe« (DFB-Schiedsrichterhandbuch).

Dort muss er nicht leben wie ein Mönch, doch bedenken, »dass sich die Interessen zweier Partner in der Ehe entsprechen sollten«. Eine »Allgemeingültigkeit«, die Dieter Pauly viel zu spät aufging und sich verhängnisvoll paarte mit der Erkenntnis, dass Frau Pauly die »Liebe zum Fußball« weder teilen, noch »auf Dauer tolerieren« konnte. Anderseits, wie sollte er sowas ahnen, Pauly war ja nie zu Hause. Wenn er »nicht als Schiedsrichter unterwegs war«, besuchte er »Stadien oder saß vor dem Fernseher, um Anschauungsunterricht zu nehmen. Wurde gerade nichts dergleichen geboten, so stand garantiert ein Lehrabend für Schiedrichter auf dem Programm.« Die Ehe wurde nach elf (!) Jahren geschieden. Schiedsrichterfrauen sollten sein wie Birgit Merk. Sie schafft es, des Gatten »bewegtes und bewegendes Leben zu fördern, ohne zu fordern und dabei bescheiden im Hintergrund zu bleiben.« (Markus Merk) Ist aber so eine Frau gefunden, ist alles gut.

Dann gilt es, »sich weitgehend der Schiedsrichtersache« zu verschreiben (DFB-Schiedsrichterhandbuch), um ihr Wesen zu begreifen in voller Gänze und Pracht und wie es sich offenbart in Schrift und Wort und da heißt: Gesegnet sei der Unparteiische mit »Charakterstärke« (Rudolf Kreitlein), mit »Mut und Durchsetzungsvermögen« (Manfred Amerell), mit »gesundem Menschenverstand, einer gewissen Ausstrahlung und guten Umgangsformen« (Eugen Strigel). »Untadelig« sei der Referee, »unangreifbar, korrekt und fair«. So spricht Wolfgang Mierswa, der Vorsitzende des Verbands-Schiedsrichter-Ausschusses in Niedersachsen.

Und er spricht auch so: »Wir bemühen uns, ihm das zu vermitteln.« Das ist das eine. Vollendung aber, weiß Pfeifenfrau und Pfeifenmann, Vollendung kann nur werden durch »Persönlichkeitsbildung« (Merk), »Persönlichkeitsentwicklung« (Elke Günthner), »Persönlichkeitsschulung« (Urs Meier), durch »entschlossenes Arbeiten an sich selbst« (Pierluigi Collina), durch »ständige Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit« (Hellmut Krug), weil ja »seit dem Hoyzer-Skandal die Persönlichkeit immer wichtiger« wird (Mierswa).

So wichtig, wie »der Grat zwischen Buhmann und anerkannter Persönlichkeit schmal« ist, spricht Amerell, der alte Fahrensmann. Aber so der Referee jung ist und schmort im besten Saft, mag er nicht einsehen, wie das Schiedsen und das Gratwandern funktionieren sollen, ganz ohne ein »Talent zur Dickfelligkeit« (Kuno Fischer). Daher ist tatsächlich oft ein großes Wundern unter den Menschen, wie mächtig eilig manchem das Pelzhaar sprießen kann.

Zum Beispiel einem aus Burgdorf mit Namen Florian Meyer. Längst hat er verbannt den Namen des Hoyzer »aus dem Gedächtnis und Sprachgebrauch« und ebenso resolut das Pokalfinale 2005 aus seinem Schädel operiert, welches Schalke bekanntlich gegen Bayern vergeigte und die FAZ genannt hat:«ein hitziges Spiel voller Fehlentscheidungen«. »Das«, sagt Mayer, »ist abgehakt, professionell aufgearbeitet«.

Und das ist recht getan. Denn ein- und für alle Mal sei es nunmehr und hierorts verkündet und den Verleumdern und Spöttern der Schiedsrichterei eingraviert in den Hohlraum zwischen zwei tauben Ohren. Es liegt kein Nachdenken auf dem Platz und auch kein Überdenken, da liegt nur die nackte Wahrheit (Otto Rehagel) und »wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf« (Bertolt Brecht). Die Wahrheit indes verlangt vom Referee nur eines: die »Tatsachenentscheidung« (DFB Regel 5), »eine Entscheidung in den unerwartetsten, unvorhersehbarsten Situationen unmittelbar, also im Bruchteil von Sekunden« (Pierluigi Collina), und sie verlangt, »auch dazu zu stehen« (Barbara Steinhaus), keinesfalls aber, wirklich keinesfalls ist gestattet »Entscheidungen zu verschleppen«. Das Verschleppen von Entscheidungen, das sei das Ärgste, sagt Markus Merk, denn es »zeugt von Unsicherheit, weckt Emotionen und Subjektivitäten«. Nicht nur im Stadion, auch »bei meinen Mitarbeitern und Verhandlungspartnern«. Also steht es geschrieben in den Expertisen über Alltagstechniken, welche Dr. Merk, der Zahnmedicus, Weltschiedsrichter, »Berater«, »Vortragsreisende« und »Motivationstrainer« gerne nach Spielschluss »an Firmen und andere Kunden vermittelt« (Christian Eichler).

Ja, längst ist der Fußball eingeholt und eingemeindet vom trübsinnigen Alltag und seinen Techniken. Früher war der Fußball ein Fest und der Unparteiische vertrat dabei »die Amtsautorität im Stadion« (Gerd Hortleder), ohne dass ihm einer widersprechen wollte. »Jetzt«, spricht Mierswa und schüttelt traurig das Haupt, »jetzt ist der Schiedsrichter keine Amtsautorität mehr.« Weil, man lebe in Zeiten, welche die Autoritäten mit Zweifel, den Referee aber mit Argwohn und Spott überziehen. Das hat Konsequenzen.

Während der Kreisligareferee gemobbt, bespuckt und geschlagen oder, so er ein Glück hat, geduldet wird, materialisiert sich in der Bundesliga ein Referee »neuen Typs« (Christian Eichler). Wir wollen ihn nennen den Dienstleistungs-Schiri. Er misst sich und den Fußball mit den Parametern der Ökonomie. Weshalb seine Rede spröde ist und dumm wie die des Zugführers Mehdorn. Dauernd muss etwas standardisiert, optimiert, professionalisiert und kommuniziert werden. Der Dienstleistungs-Schiri sagt: »Spielleitung ist Menschenführung« (Florian Meyer) und die Spieler sind ihm ein »Menschencocktail aus 22 unterschiedlichen Charakteren« (Kuno Fischer). Statt ein Match zu pfeifen, betreibt er »Spielmanagement«, statt auf dem Rasen jobbt er im »Unternehmen Fußball«, statt zärtlich »blinde Bratwurst« (Fredi Bobic), will er, dass man ihn »Leistungssportler« tituliert, »Einzelkämpfer« und »Psychologe«, gern auch »Mittler zwischen Menschen und Mannschaften« und »Fußballer, Spezialgebiet Schiedsrichterwesen« (Markus Merk).

So befördert, mag er nie mehr erleben, dass Ricelme oder Ronaldinho, van der Vaart oder Figo ihm die Hacken zeigen und den Rang ablaufen. Er sieht sich längst auf gleicher Höhe stehen, denn »wir haben keine Nr. 10 auf dem Rücken, aber irgendwo sind wir auch Spielmacher.« So spricht Dr. Merk. Volker Roth aber hört man frohlocken, dass Schiedsrichter nicht länger mehr seien«ein notwendiges Übel«, sondern »ein wertvoller, ja unverzichtbarer Teil des großen Spiels« und »noch nie so bekannt und interessant wie heute.« Gleichzeitig jedoch nagt die Frage ihm ein ballrundes Loch in den Bauch, warum »es bislang kaum gelungen ist, ihr Image zu verbessern?« Und siehe, dies ist eine gute Frage. Weshalb auch schon viel Grübeln, Spekulieren und Streiten war unter den Unparteiischen und immer noch ist. Denn die richtige Antwort hat noch niemand gefunden.

Obwohl Collina spricht, Schuld sind die Trägen und Faulen, »die sich gemütlich im Fernsehsessel eine Szene wieder und wieder, natürlich in Zeitlupe, ansehen können«, um dann zu verkünden: »Nein, Schiedsrichter sind wie Richter. Die dürfen sich einfach nicht irren.«

Des Rätsels Lösung, widerspricht Herbert Seiler, seien Eile und Stress, von dero misslichen Folgen er darlegt ein Exempel in der Postille Pfeife’n’kopf unter dem Titel »Haifa – Schiri blau«: »Auf der Anreise zum UEFA-Cup-Spiel zwischen Hapoel Haifa und dem FC Brügge schaute das Schiedsrichter-Team etwas zu tief ins Glas. Aufgefallen waren sie durch Tanz- und Gesangseinlagen beim Verlassen des Flugzeuges, auch Zöllnerinnen wurden umarmt. Anschließend sorgten sie – offensichtlich stark alkoholisiert – in der Innenstadt von Tel Aviv für Verwirrung, als einer der Zecher versuchte, den Verkehr zu regeln. Sie wurden daraufhin selbst aus dem Verkehr gezogen.«

Ein klarer Fall von mangelnder »Persönlichkeitsbildung«. Der Referee, spricht Dr. Merk, muss »genau überlegen, wie man sich in der Öffentlichkeit präsentiert, genau überlegen, wo man sein Bier trinkt«, und wissen, dass es nicht angehe »in einem Lokal auf dem Tisch zu tanzen«. Wer das unbedingt wolle, so die Conclusio, »muss das bei sich zu Hause tun und schauen, dass er vorher die Rollläden schließt«. Oder in den Katakomben des Stadions, hinter verschlossener Kabinentür, dort, wo Merk sich gewöhnlich hineinpfeift »die obligatorische Flasche Sekt nach gelungenen Spielleitungen«.

Vielleicht kränkelt das Schiedsrichter-Image just an dem Faktum, dass beprostenswert gelungene Spielleitungen so selten und kostbar sind, dass das ganze Entscheiden, Spitzenleisten und Verantworten, »gar nicht so einfach ist« (Pierluigi Collina), dass es »Kritik schafft. Sicher positive, vielmals jedoch auch negative« (Volker Roth).

Weil dieses Problem aber allzu verzwickt und Erdenmenschen eigentlich gar nicht begreiflich ist, gibt uns Roth, der große Vorsitzende im Ausschuss der Schiedsrichter, das Gleichnis von den »vierundvierzig Beinen«. Und das Gleichnis ist voller Weisheit und geht so: »Das Spiel von 44 Fußballer-Beinen hat in allen Klassen nicht von seiner Attraktivität verloren. Wohin würden aber diese 44 Beine laufen, gäbe es auf dem Platz nicht den Schiedsrichter?« Ja, wohin?

Ein Mann verschwindet

Ohne erwähnenswerte Regelverstöße, noch etwelcher Bosheiten wegen und nicht weil es zu Tumulten oder Schlägereien, zu Bedrohungen oder Grausamkeiten, zu brutalen Attacken oder bösen Verletzungen gekommen war, fand ein Spiel in Andover/​Hampshire sein frühzeitiges Ende. Stewart Weighill, der Schiedsrichter der Begegnung zwischen Barton Stacey und Andover Fire Station, verließ das Spielfeld, als eine Ecke getreten werden sollte. Ohne ein Wort zu sagen, schreibt die Deutsche Presse-Agentur Ende 2000, verschwand er und ließ die Teams beim Stand von 1 : 0 ratlos auf dem Platz zurück. Das Spiel wurde abgebrochen und muss wiederholt werden, berichteten britische Zeitungen, wie dpa berichtet, um schließlich Weighill zu zitieren, den Referee, der mitten im Spiel den Kram hingeschmissen hatte: »Es gab keinen besonderen Grund. Ich hatte plötzlich genug und bin gegangen. Ich kann Fußball nicht leiden. Ich habe gekündigt. Ich habe den Verband informiert.« Manager Roger Purdue von Barton sagte: »So etwas hat man ja wohl überhaupt noch nie gesehen.«

Diese schöne Geschichte hakt, das stellt sich bei näherer Betrachtung bald heraus. Ihr Wahrheitsgehalt muss stark beweifelt werden, wenn sie nicht sogar pure Erfindung ist. Recherchen mit Hilfe mehrerer internationaler Suchmaschinen und Meta-Suchmaschinen sowie in den Archiven mehrerer britischer Zeitungen bleiben ohne jegliches Ergebnis, wenn man nach Stewart Weighill fahndet oder nach einem Verein namens Andover Fire Station. Ein Verein namens Andover Fire Station scheint nicht zu existieren. Die Homepage des Barton Stacey Football Club weiß von dem kuriosen Spielabbruch nichts. Die Anfrage im Gästebuch der »Referees Association« schwebt seit Wochen unbeantwortet im Äther, falls das ein technisch einwandfreies Bild dafür sein sollte. Niente. Bestimmt könnte man energischer, noch weitaus gründlicher auf die Pirsch gehen, das ist möglich, aber ist es empfehlenswert?

Pfeifen von höherer Warte – Anmerkungen zur Transzendenz auf Rasenplätzen

»Dass wir einen Gott ahnen, ist nur ein unzulänglicher Beweis für sein Dasein. Ein stärkerer ist, dass wir fähig sind, an ihm zu zweifeln.«

Arthur Schnitzler: Buch der Sprüche und Bedenken

»Gerade im Fußball passieren in schöner Regelmäßigkeit Wunder.«

Jupp Heynkes

Der Schiedsrichter verkörpert das Absolute. Sein Pfiff ist der Anfang und das Ende. Er ist das Gesetz, er bestraft den Verstoß, seine Entscheidungen sind unumstößlich. Indem er das Spiel lenkt, sorgt er dafür, dass sich dessen Sinn erfüllt. Für den Schiedsrichter gilt, was Elias Canetti über den Dirigenten schrieb: »Er gibt an, was geschieht, durch das Gebot seiner Hand«. Solange die Vorführung dauert, »ist er der Herrscher der Welt«. Und noch viel mehr. Trifft ihn der Ball, sagt die Regel, ist es, als wäre es nicht geschehen. So gleicht der Schiedsrichter dem heiligen Geist, ist ohne Gestalt, also eigentlich gar nicht anwesend. Und doch ist er der einzige, der nicht ausgewechselt werden kann. Trotzdem käme niemand auf die Idee, Schiedsrichter als Fußballgötter zu preisen. Das sind immer die anderen.

Der erste Fußballgott wurde 1954 im Berner Wankdorf-Stadion gesichtet. Und zwar von Reporter Herbert Zimmermann, just als der Ungar Hidegkuti den Ball aus drei Metern aufs deutsche Tor drosch. Das höhere Wesen inkarnierte sich in Gestalt des Düssseldorfers Torhüters Anton Turek, der das Geschoss um den Pfosten lenkte. »Toni, du bist ein Teufelskerl, Toni, du bist ein Fußballgott«, jauchzte Zimmermann. Kurioserweise musste sich Zimmermann später bei seinem Sender entschuldigen – für den »Fußballgott«, nicht für den »Teufelskerl«. Einen Abgesandten Beelzebubs hatten die Brasilianer auch schon im Viertelfinale auflaufen sehen. Er hieß Arthur Ellis und war Schiedsrichter. Ellis pfiff die wüste Treterei der Seleção gegen Ungarn. Sie endete mit drei Herausstellungen (2x Brasilien, 1x Ungarn) und einem 4 : 2 nach Verlängerung für die Magyaren. Hinterher beklagte sich die brasilianische Fußballvereinigung bei der FIFA, der Referee habe sich »im Dienste des internationalen Kommunismus gegen die abendländisch-christliche Zivilisation« verschworen.

Das war grober Unfug und eine Beleidigung der damals noch rabenschwarzen Schiedsrichterzunft. Zum einen, weil für Ungarn ein gewisser Puskás stürmte, der – in seiner atheistischen Heimat längst als Himmelsstürmer gefeiert – später im erzkatholischen Spanien ebenfalls zum Fußballgott aufsteigen sollte. Zum anderen verloren die Kommunisten das Finale politisch korrekt gegen eine christdemokratisch regierte BRD. Der entscheidende Mann war aber nicht der heilige Anton, sondern Pfeifenmann William Ling, weil er kurz vor Schluss ein reguläres Tor von Puskás wegen Abseits nicht anerkannte. Zum Helden von Bern ist Ling natürlich nicht geworden, geschweige denn zum Fußballgott.

Schiedsrichter werden verflucht, selbst wenn sie Matthew Messias heißen. 2005 verhängte der Brite in der ersten Runde des UEFA-Pokals zwei umstrittene Elfmeter gegen Bröndby Kopenhagen. Einen davon in der Nachspielzeit. Den ersten verschoss der Hamburger SV, der zweite bedeutete das Aus für die Heimelf. Das Stadion kochte vor Wut. Sündenbock war natürlich der Referee. Das mag menschlich verständlich und faktisch angemessen sein, eschatologisch betrachtet bleibt es höchst fragwürdig. Denn »die Göttlichkeit drückt sich aus durch den Einzelnen, der dem Durchschnittsgeschmack zuwiderhandelt«. (Antoine de Saint-Exupéry).

Zum Beispiel durch einen begnadeten Exzentriker wie Wolf-Dieter Ahlenfelder, den die Profis 1987 zum besten Unparteiischen der Bundesliga wählten. 1975 schiedste der Westfale Werder Bremen gegen Hannover 96. Das Wetter war schön, die Partie ein müder Kick. Die Zuschauer wären eingeschlafen, hätte nicht Ahlenfelder für ein wenig Abwechslung gesorgt. Sichtbar angetrunken bellte er Hannovers Trainer Fiffi Kronsbein an, ermahnte eine Eckfahne, trabte sinnlos gestikulierend über den Platz und pöbelte auf am Boden liegende Spieler ein. Als das Spiel nicht besser wurde, pfiff er die erste Halbzeit einfach ab – 15 Minuten zu früh. Werder-Präsident Franz Böhmert kommentierte: »Für die Show hätte man die Eintrittspreise erhöhen müssen«. Seitdem bestellt man in Werders Vereinskneipe keinen Schnaps mehr, sondern »einen Ahlenfelder«. Der DFB hat es ihm nicht gedankt, Ahlenfelder wurde nie für internationale Aufgaben nominiert.

Kollege Rafa Guerrero dagegen hofft noch auf weltweite Einsätze. Man sollte ihm Glück wünschen. Die Spezialität des Iberers sind ereignisarme Matches, die er seit Jahren durch übersinnliche Wahrnehmungen in Schwung zu bringen pflegt. Zur Berühmtheit wurde er 1997. Die Partie hieß Real Saragossa gegen FC Barcelona. Guerrero gab den Linienrichter. Ein »Barça«-Spieler ging zu Boden. Guerrero wedelte aufgeregt mit der Fahne. Als der Referee an die Linie eilte, entspann sich folgender Dialog, der über die Außenmikrophone einer TV-Station in ganz Spanien zu hören war und dankenswerterweise von dpa-Reporter Axel Beckmann protokolliert worden ist. Schiedsrichter (nervös): »Was ist los?« Guerrero: »Es war die Nr 6. Elfmeter und Platzverweis.« Referee (noch nervöser): »Rafa, erzähl keinen Mist. Ich scheiße auf meine Mutter, wenn das nicht stimmt.« Es stimmte – wie fast immer – nichts. Die Tätlichkeit war ein hartes, aber reguläres Tackling und der Ausführende trug die Nr. 4. Xavi Agudo (Nr. 6) flog unberechtigt vom Platz. Die Firma Renault verpflichtete Rafa Guerrero daraufhin für ein paar Werbefilme. Einer ging so: Eine Stimme aus dem Off sagt: »Damit er nicht die schönsten Spielszenen zerstört.« Im Bild sieht man, wie Kidnapper den Unparteiischen in ein Auto zerren und ihn samt Fahne im Wald aussetzen.

Dort steht die Schiedsrichterzunft recht eigentlich immer noch, obwohl die Vergötterung des Fußballs längst inflationäre Dimensionen erreicht hat – auch in Gegenden, die nicht nur in fußballerischer Hinsicht als gottverlassen gelten. In Hannover stellten sie den Grobmotoriker Carsten Linke neben Maradona, Pele und Zidane auf den Altar. Beim Drittligisten VFL Osnabrück trug man Transparente herum, auf denen stand »Wolfgang Schütte Fußballgott«. In Erkenschwick hieß der Fußballgott Horst Koschmieder, in Duisburg tatsächlich einmal Klaus Wunder.

Eignet diesen Offenbarungen oft auch ein heidnisch-ironischer Zug, weist der Fall Beckham stringent ins Christlich-Transzendentale. Der Kreuzweg des Midfielders ist gepflastert mit roten Karten, verschossenen Elfern, einer brotdummen Ehefrau und (keinesfalls nur haarmodischen) Entgleisungen nebst drei Dutzend gelungenen Flanken. Dennoch ist er längst ein moderner Heiland, »ein Markenzeichen für Erlösung, Seelenrettung und Auferstehung« geworden, wie der schottische Sozialwissenschaftler Carlton Brick ermittelt hat.

Ähnliches – wenn auch in sozialverträglicheren Dosen – ist heuer bei der Alemannia aus Aachen zu beobachten. Dort verkörpert der Niederländer Erik Meijer das göttliche Prinzip. Doch ist Meijer nicht annähernd so allmächtig wie Referee Edgar Steinborn. »Wir hatten Riesenschwein«, kommentierte der Gesalbte 2004 den Pokaltriumph über Gladbach. In den letzen acht Minuten waren Steinborn zwei elfmeterwürdige Aachener Handspiele souverän entgangen: »Mir springt der Ball an die Hand, da brauche ich nicht zu lügen«, bekannte Meijer. »Warum der Schiedsrichter das Handspiel von George Mbwando nicht sah«, ist ihm »ein Rätsel«.

Meijer muss sich nicht grämen. Der große Kant hielt jeden Versuch, gnostische Spekulationen zu verifizieren, für vertane Zeit, während Nietzsche eh der Meinung war, Gott sei lange vor Einführung der Bundesliga am Mitleid mit seiner Schöpfung verstorben. Damit ist das theologische Dilemma aber keineswegs vom Rasen. Es zeigt sich vielmehr an jedem Spieltag neu und immer aufdringlicher, je näher das Saisonende rückt.

Geradezu mustergültig kumulierten die Ereignisse am letzten und entscheidenen Samstag der Saison 2000/​2001. Jener 18. Mai bescherte den Münchner Bayern den 17. Titel und Lesern der Münchner Abendzeitung die Schlagzeile: »Gott ist Bayer«. Das konnte aber gar nicht wahr sein. Denn der Einzige, der an diesem Nachmittag Fußballgott spielte, war der Pfälzer Referee Markus Merk. Nach einem vermeintlich absichtlichen Rückspiel des HSV-Spielers Ujfalusi pfiff er »indirekten Freistoß« für Bayern. In der 3. Minute der Nachspielzeit! Andersen drosch auf den Ball, die Kugel rauschte ins Netz, Bayern war Last-Minute-Meister, Schalke 04 guckte in die Röhre. Verbittert knurrte Manager Rudi Assauer: »Ab heute glaube ich nicht mehr an den Fußballgott«, wohl wissend, dass die Königsblauen den damals noch quicklebendigen Papst Johannes Paul II. als Ehrenmitglied führten.

Assauers unchristlicher Einwurf wiederum rief sogleich die Ökumene auf den Plan. Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann bestritt kategorisch ein mehr als seelsorgerliches Interesse des höchsten Wesens am Fußballspiel. »Ich denke, Gott freut sich mit den Gewinnern und stärkt den Verlierern den Rücken«, predigte die passionierte Hobbyläuferin. Und wußte sich einig mit den Katholischen. Karl-Heinz Summerer, seines Zeichens Bayrischer Sportprälat, hatte Tage zuvor dekretiert, »das Gerede vom Fußballgott« sei stante pede einzustellen. Das Machtwort hielt selbst bei den Seinen keine drei Jahre. Dann erklärte ausgerechnet Kardinal Tarcisio Bertone, der Erzbischof von Genua, die Kirche habe endlich »ihren Beckenbauer gefunden: einen zurückgezogenen Regisseur, der aber lange Pässe in die Tiefe schlagen kann.« Bertone meinte den Präfekten der Glaubenskongretations, den Kollegen Joseph Ratzinger. Was der verbale Steilpass bedeutete, war klar, als Ratzinger zum Papst und damit tatsächlich ein weiterer bajuwarischer Kaiser wenn nicht gleich zum Fußballgott, so immerhin zum Spielführer des Herrn befördert wurde. Höheren Orts empfohlen hatte sich der Dogmen-Defender mit scholastischen Dribblings, die Thomas von Aquin wie einen Stümper aussehen ließen: »Ein Heraustreten«, sei der Fußball, »ein Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alltags und seiner Lebensbesorgung in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und gerade darum schön ist«, letztlich sei er »eine Art versuchter Heimkehr ins Paradies«.

Käßmanns Berliner Glaubensbruder, Pfarrer Alexander Gütt, muss so etwas geahnt haben. Im Sommer 2002, nach Deutschlands 8 : 0 WM-Kantersieg gegen Saudi-Arabien, stieg der Geistliche auf die Kanzel und sprach: »Wenn es einen Fußballgott gibt, so ist er sicher kein Moslem.« Dafür spräche, dass mit Nigeria, Marokko und Saudi-Arabien erst drei islamische Länder die KO-Runde einer WM erreicht haben – und natürlich sofort ausgeschieden sind.

Lazio Rom trug Mitte der 90er Jahre sogar das Logo der vatikaneigenen »Banco di Santo Spirito« durch die Stadien. Dank der päpstlichen Kollekte verpflichtete man Könner wie den Kroaten Boksic, den Briten Gascoigne, den Argentinier Chamot, den Holländer Winter und die italienischen Internationalen Nesta, Signori und Casiraghi. Lazio gewann 1998 den italienischen Pokal und wurde Supercupsieger, allein zur Meisterschaft reichte es nicht.

Daraus schlossen einige Aktive, man müsse sich nicht an den Stellvertreter, sondern gleich an die Chefetage wenden. Zum Beispiel der Brasilianer Ademir, der an einem eiskalten Februartag des Jahres 2001 sein erstes Spiel für den VfB Stuttgart bestritt. Er schoss drei Tore. Den Zuschauern blieb er jedoch durch ein bis dato in Deutschlands Arenen nie gesehenes Ritual unvergesslich. Nach jedem Treffer riss sich der Brasilianer das Trikot über den Kopf, um die Inschrift auf seinem Unterhemd freizulegen. Sie lautete: »Gott ist treu«. Danach schoss der Stürmer allerdings wochenlang nichts als Fahrkarten. Wenn er doch mal das Tor traf, schüttelte der Schiedsrichter lächelnd den Kopf und pfiff Abseits. Trainer Magath setzte ihn auf die Tribüne. Warum es nur so und nicht anders kommen konnte, hätte Ademir bei Paulus, Galater 6,7 nachlesen können. Dort heißt es über die Wesenheit des Herrn: »Irret Euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten.«

Womit wir fast am Ende, beziehungsweise bei Ademirs Landsmann Edilson Pereira de Carvalho angekommen wären. Der FIFA-Referee inszenierte sich jahrelang als Heiland mit der Pfeife. Das heißt, er trat vor jedem Spiel in den Mittelkreis, um dort, rote und gelbe Karte wie Wundmale nach oben reckend, minutenlang Zwiesprache mit dem himmlischen Vater zu halten. Dann ging er hin und verpfiff mindestens 25 Begegnungen der 1. brasilianischen Liga und der »Copa Libertadores«. Für 10 bis 15 000 Real (3700 bis 5500 Euro) und im Auftrag einiger Industrieller, die mit Internetwetten ein Vermögen machten. »Beten hilft nicht mehr«, schrieb die Zeitschrift Veja, als man de Carvalho verhaftete.

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