Kitabı oku: «Herausforderungen der Wirtschaftspolitik», sayfa 5
Exkurs: Ökonomie als Wissenschaft
Für die historisch junge Disziplin Volkswirtschaftslehre gibt es eine fast unüberschaubare Anzahl von Definitionen oder Definitionsversuchen (genau wie für die „alte Religion“). Dies ist insoweit nicht überraschend, als die drei wichtigsten ökonomischen Denker Adam Smith und Karl Marx Philosophen waren und John Maynard Keynes aus der Mathematik kam.
Eine Hauptrichtung der Volkswirtschaftslehre stellt auf sozialwissenschaftliche Aspekte ab, indem z.B. neben der Produktion ebenso auf die Verteilung Bezug genommen wird. Die in der Lehre an Hochschulen dominantere Strömung – jedenfalls für die Studenten, für die VWL nur ein Nebenfach ist – geht auf Lionel Robbins aus den frühen 1930er Jahren zurück: Ökonomie ist hier „die Wissenschaft, die das menschliche Handeln als Verhältnis zwischen Zwecken und knappen Mitteln, für die es alternative Verwendungen gibt, untersucht.“[16]Anders ausgedrückt: Ökonomie wird verkürzt auf knappe Ressourcen, die eingesetzt werden in dem Bestreben, a priori grenzenlose Begierden zu befriedigen. Beachten Sie, dass Argumentationen, die auf Knappheit beruhen, keiner Werturteile bedürfen.
Die Volkswirtschaftslehre wird klassischerweise in die Teilgebiete Mikro- und Makroökonomie unterteilt. Eine alternative „Aufteilung“ der Volkswirtschaftslehre ist die in WirtschaftstheorieWirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und FinanzwissenschaftFinanzwissenschaft. An deutschen Hochschulen wird üblicherweise die Mikroökonomie zuerst gelehrt, bevor die Makroökonomie Gegenstand des Studiums wird. Der Begriff Makroökonomie ist historisch gesehen noch sehr jung; er wurde das erste Mal in den 1930er Jahren verwendet.
Bemerkung:
Es ist in der Tat immer eine Frage der Perspektive(n), wie sich einem Gegenstand wissenschaftlich genähert wird: Die SteuerwissenschaftSteuerwissenschaft als Querschnittsteilwissenschaft von Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre wird üblicherweise in die drei Teildisziplinen Finanzwissenschaftliche Steuerlehre, Steuerrechtswissenschaft und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre unterteilt. Gelegentlich wird als vierter Bereich die Staats- bzw. Verfassungslehre genannt. Eine „trennscharfe“ Abgrenzung der einzelnen Fachwissenschaften ist dabei praktisch unmöglich.
Ökonomie ist immer auch eine historische Wissenschaft. Das kann man gut nachvollziehen, wenn man die erste und die letzte Auflage von Paul Samuelsons Buch „Economics“ nebeneinanderlegt. Samuelsons Buch, das 1948 in erster Auflage erschien, ist „die Mutter“ aller modernen VWL-Lehrbücher, d.h., dass fast alle zeitgenössischen einführenden Lehrbücher der VWL durch das Buch von Samuelson und seinen späteren Co-Autor William Nordhaus geprägt sind. Bis zu Samuelsons Tod im Jahr 2009 konnte das Werk, das immer noch überarbeitet und verlegt wird, somit auf 60 Jahre eigene Entwicklung zurückblicken. Paul Samuelson war einerseits einer der Väter der „mathematisierten“ modernen VWL, anderseits konnte er aber ein Lehrbuch schreiben, in dem nicht nur eine einfache Sprache verwendet und auf „zu komplizierte“ Mathematik verzichtet wurde und dafür die ökonomischen Fragestellungen im Vordergrund stehen.1 Auch machte er Probleme einer verkürzten Lehrbuchökonomie klar, als er formulierte: „John D. Rockefeller’s dog may receive the milk that a poor child needs to avoid rickets. Why? Because supply and demand are working badly? No. Because they are doing what they are designed to do, putting goods in the hands of those who can pay the most.”[17] Hier ist zunächst nur von Effizienz die Rede, nicht von Fairness (die von Samuelson später behandelt wird).
Unsere Art zu denken ist naturgemäß von unserer Ausbildung und den unser Studium prägenden Texten bestimmt. Sie können dies rasch verifizieren, wenn Sie über eine hinreichend große „Stichprobe“ von z.B. Juristen, Maschinenbauingenieuren, Musikern, Ökonomen und Ärzten in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis verfügen, um festzustellen, dass jede dieser Berufsgruppen bzw. ihr Denken auf besondere Art durch das davor gelegene Fachstudium geprägt wurde. Paul Samuelson war sich der Bedeutung dessen, was er tat, sehr bewusst: So führte er bereits im Jahre 1948 aus „I don’t care who writes a nation’s laws – or crafts its advanced treatise […] if I can write its economics textkooks.”[18]
Bezüglich der ÖkonomieFinanzwissenschaft bzw. ihrer Teildisziplinen können wir kurz festhalten, dass sich diese natürlich wissenschaftlicher Methoden vor allem aus der (mathematischen) Statistik und der Optimierung bedient, dass ihr „Fundament“ aber sowohl orts- als auch zeitveränderlich ist und dass es sich um eine Sozialwissenschaft handelt. Experimente können nicht in unverändertem Versuchsaufbau wiederholt werden: Menschen können, frei nach Heraklit, immer noch nicht zweimal in denselben Fluss steigen.
Gregory Mankiw, Verfasser des in der Vorrede erwähnten Lehrbuchs der Makroökonomie, eröffnet sein Werk mit einem kommentierten Zitat von John Maynard Keynes:
„‚An economist must be ‚mathematician, historian, statesman, philosopher, in some degree…as aloof as incorruptible as an artist, yet sometimes as near to the earth as a politician.‘[…] No single statement summarizes better what it means to be an economist.”
Die angelsächsische Sicht- und Betrachtungsweise sozialer Phänomene unterscheidet sich oft fundamental von der kontinentaleuropäischen und im Speziellen der deutschen Sichtweise. Deutsche Standardlehrbücher versuchen im Allgemeinen mehr Inhalte zu transportieren bzw. Fragen anzureißen als ihre englischsprachigen Pendants: Vergleichen Sie diesbezüglich einmal die Inhaltsverzeichnisse eines beliebigen amerikanischen Standardwerkes mit Peter Bofingers Buch zur Volkswirtschaftslehre.
Rosen und Gayer beschreiben den Inhalt ihres 600 Seiten-Buches zu Public Finance (das oft, aber nichtsdestotrotz nicht korrekt, mit der deutschen Finanzwissenschaft gleichgesetzt wird) schlicht durch „This book is about taxing and spending activities of government.“ Sie werden kein deutsches Lehrbuch finden, dass sich derart „hart“ und präzise äußert. Das bedeutet übrigens nicht, dass ein Ansatz a priori besser oder schlechter ist, die Herangehensweise ist unterschiedlich.
Es lohnt in diesem Zusammenhang sich allgemein klarzumachen, dass eine jede Wissenschaft bzw. eine Teildisziplin derselben nicht statischer Natur ist, sondern dass sich ihre Untersuchungsgegenstände und die verwendeten Methoden im Laufe der Zeit verändern. Dies gilt für die Sozial- und die Naturwissenschaften. Man denke hier zum Beispiel an die Chemie, die erst durch die Untersuchungen Lavoisiers (1743-1794) zu einer exakten Wissenschaft wurde und die sich, nachdem sie den Ruf, eine „Hilfswissenschaft der Medizin“ zu sein, im späten 18. Jahrhundert abgeschüttelt hatte, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zweites Mal, diesmal von der Physik, „emanzipierte“. In jeder Wissenschaft gibt es, frei nach einer mehr als drei Jahrzehnte zurückliegenden Feststellung von Roger Penrose, Physiknobelpreisträger des Jahres 2020, großartige, nützliche, vorläufige und irreführende Theorien: Uns ist dabei fast nie bewußt, dass sich irreführende Theorien nicht nur über lange Zeiträume halten können (wie z.B. die „Feuerstoff“ Phlogiston-Theorie), sondern dass sie bzw.ihre Repräsentanten auch mitten unter uns sind bzw. sein müssen.
Tatsächlich fällt auch in der Mathematik oder Physik kein Resultat vom Himmel; Grundlage jeder mathematischen Theorie sind Axiome, also Aussagen, die nicht begründet werden müssen oder können und auf deren Basis sich mathematische Sätze beweisen lassen.
Wenn Sie für sich nur kurz die Namen einiger die Ökonomie prägender Geistesgrößen wie Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman aufrufen, dann sollte Ihnen sofort klarwerden, dass hinter den Gedankenwelten dieser Denker unterschiedliche Axiome bzw. Werte stehen, die im Gegensatz zur Mathematik nicht immer widerspruchsfrei sind.
Zu jeder Teildisziplin der Ökonomie Finanzwissenschaft existieren „schwere Wälzer“; die jeweils für die Komplexität ihrer Teilwissenschaft stehen und die für die „Tiefenausbildung“ verfasst wurden. Ein schönes Beispiel dafür, das man komplexe Zusammenhänge dennoch so darstellen kann, dass die Sicht auf den Wald vor lauter Bäumen nicht verloren geht, ist Walter Euckens aus weniger als 100 Textseiten bestehende Monographie aus dem Jahr 1938 „Nationalökonomie wozu“, in der Eucken seine grundlegenden Gedanken in einer einfachen und für gebildete Nichtexperten verständlichen Sprache darlegt. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, geht Wissen auch verloren: Eucken ist der Mehrheit jüngerer Ökonomen, wenn überhaupt, nur noch im Zusammenhang mit dem Begriff Ordnungspolitik (für den es übrigens keine sinnvolle englische Übersetzung gibt!) bekannt.
Übungen zur Selbstüberprüfung
Übung 1.1:
Was versteht man unter dem Begriff „Arabischer Frühling“?
Übung 1.2:
Was versteht man unter „Entsolidarisierung“?
Übung 1.3:
Recherchieren Sie die Entwicklung der Börsenwerte der Firmen
VW
Bayer
Exxon Mobil
Canon
seit dem Jahre 2000 und versuchen Sie darauf basierend, die jeweilige Entwicklung bis zum Jahre 2030 zu prognostizieren.
Übung 1.4:
Definieren Sie die Begriffe
1 Marktwirtschaft
2 soziale Marktwirtschaft
2 Demografie und Demografisierung
Tatsächlich hat in den vergangenen Jahren – nicht erst seit Ausbrechen der Flüchtlingskrise – eine Demografisierung der politischen Diskussion stattgefunden, allerdings bis jetzt mit kaum sichtbaren gesellschaftlichen Auswirkungen. Wenn Sie die aktuelle Presse bzw. andere Medien verfolgen, werden Sie zahlreiche dramatische Darstellungen des Bildungssektors, der Familienpolitik, der Langzeitarbeitslosigkeit, der Rentenproblematik, des Investitionsnotstands, der Finanzierung der Krankenkassen, der Migration aus Ländern außerhalb der EU u.v.m. vorfinden, wobei einerseits oft erschreckend simplifiziert wird und, wie bereits erwähnt, andererseits alles mit allem verbunden zu sein scheint.
Bemerkung:
In den modernen täglichen Sprachgebrauch wurde der Begriff Narrativ durch Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller eingeführt.
Tatsächlich stellte aber bereits der große englische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes fest, dass „einfache“ Menschen komplexe Themen gern durch Narrative, leicht verdauliche Miniaturtheorien, erklären. Diese nicht von diesen einfachen Menschen erdachten Theorien sind in der Tat oft interessensgeleitet à la „die Wirtschaft“ ist an billigen Arbeitskräften interessiert bzw. (vermeintlich) moralisch überfrachtet. Oft ist das Narrativ allerdings einfach „nur“ dumm.
Dass die Deutschen im Durchschnitt älter und auch größer, reicher und dicker geworden sind und über die vergangenen Generationen immer weniger Kinder bekommen haben, ist seit mindestens 40 Jahren bekannt. Ebenso ist die „Landflucht“ kein neues Phänomen. Gesellschaftliche Vorstellungen zu den daraus resultierenden Konsequenzen bezüglich eines „zeitgemäßen Lebensstils“ gibt es bisher allerdings nur in Ansätzen, diese vor allem in einigen ländlichen Räumen, die stark unter der Abwanderung junger Menschen in die Ballungszentren leiden. Diese demografischen Veränderungen verbunden mit der rasanten technischen Entwicklung, wichtigste Stichworte sind wiederum Digitalisierung Digitalisierungbzw. Digitale Transformation, sind direkt verbunden mit dem Entstehen neuer Risiken, auf die wir bisher kaum vorbereitet sind. (Konsultieren Sie hierzu z.B. die Studie der Münchener Rück „Megacities – Megarisks“ aus dem Jahre 2005).
Eine Zwangsläufigkeit der Vergreisung und des Abstiegs Deutschlands in den kommenden zwei bis vier Jahrzehnten ist im Gegensatz zur dominierenden medialen Darstellung meiner Überzeugung nach keinesfalls determiniert: Fast alle Prognoserechnungen basieren auf ceteris paribus-Bedingungen, die sich isoliert betrachtet kaum als realistisch erweisen dürften. Ferner wird, auch in den allgemein als seriös wahrgenommenen Medien, Bekanntes und Vermutetes oft durcheinandergebracht. So gehörte es bis Mitte des Jahres 2015 zum „Allgemeinwissen“, dass wir Deutschen mit 1,41 Kindern pro gebärfähiger Frau (vs. 2,1 Kinder pro Frau in Frankreich; dies entspricht ziemlich genau der Reproduktionsquote zur Bestandserhaltung einer menschlichen Population, s. weiter unten) am Ende der entwickelten Länder stehen und dass unsere akademisch gebildeten Frauen Geburten „verweigern“. Der medial bejubelte „Geburtensprung“ der letzten Jahre ändert die qualitative demografische Situation indes kaum.
Tatsächlich wissen wir nicht, wie hoch die Geburtenrate der heute lebenden jungen Frauen sein wird: Diese kann erst nach Ende ihrer gebärfähigen Jahre ermittelt werden. Ebenso sind wir, wie oft behauptet oder suggeriert, bezüglich der Geburtenrate nicht „Weltschlusslicht“ unter den entwickelten Staaten, wie ein kurzer Blick nach Singapur, Japan, Südkorea oder Taiwan zeigt. Diese hoch entwickelten asiatischen Volkswirtschaften, die bis auf Singapur keine Migrationstradition haben, sind bereits im Begriff, „zu schrumpfen“: Wir können also, wenn wir das wollen, von ihnen lernen, wie eine Gesellschaft friedlich „zurückgebaut“ werden kann.
Die Demografie bzw. das Verstehen demografischer Zusammenhänge ist ein hervorragender Ausgangspunkt, über Deutschlands Zukunft nachzudenken. Etwas im Medienstil ins Extreme versimplifiziert: Wollen wir in 30 Jahren ein Volk von 60 Millionen Menschen sein oder wollen wir durch Einwanderung das heutige Niveau von mehr als 80 Millionen Menschen halten?
Nicht nur diese beiden Extremalternativen würden unsere Gesellschaft innerhalb von ein bis zwei Generationen substanziell verändern. Gesellschaften haben sich allerdings immer verändert: Wenn es Ihnen gelingt, sich mithilfe von Filmen oder Geschichten klarzumachen, wie die west- oder gern auch die ostdeutsche Gesellschaft Mitte der 1970er bzw. Mitte der 1990er Jahre beschaffen war, und Sie diese zwei oder vier Schnappschüsse neben das heutige Deutschland legen, wird Ihnen eine ungeheure Dynamik auffallen.
Die German Angst – vergleichbare „Demografie-Diskussionen“ gibt es in unseren Nachbarländern (noch) nicht – kann durchaus zu produktivem Streit und Ergebnissen führen.
Definition 2.1:
Die Demografie oder Bevölkerungswissenschaft beschäftigt sich theoretisch und statistisch mit der Entwicklung von Bevölkerungen.
Die Demografie wird in drei Hauptforschungsgebiete unterteilt:
Definition 2.2:
Die Fertilität ist die Geburtenhäufigkeit bzw. die Anzahl der Lebendgeborenen innerhalb einer (Teil-)Bevölkerung in einer bestimmten Periode innerhalb eines bestimmten geografischen Raums. Die Fertilität bezieht sich im demografischen Sinne nicht auf die grundsätzliche Fortpflanzungsfähigkeit, sondern auf die tatsächlich erfolgten Geburten.
Definition 2.3:
Die Mortalität bezeichnet das Verhältnis der Anzahl der Todesfälle innerhalb einer Periode zur (Gesamt-) oder (Teil-)Bevölkerung.
Fertilität und Mortalität werden über Geburtenzahlen bzw. Sterbefälle, die in sogenannten Sterbetafeln ihren Niederschlag finden, statistisch dokumentiert.
Wichtig ist hier zu verstehen, dass wir aus vergangenen „Zu- und Abgangsdaten“ die Kinderzahl der heute lebenden Frauen im gebärfähigen Alter und unsere Lebenserwartung nicht wissen, sondern nur schätzen können. Ersteres, weil viele dieser Frauen noch Kinder bekommen können. Letzteres, weil wir noch am Leben sind.
Definition 2.4:
Unter Migration versteht man eine spezifische Form räumlicher Mobilität von Menschen. Herkunft und Ziel der Migranten liegen in verschiedenen Regionen eines Lands (Binnenmigration) bzw. verschiedenen Ländern (internationale Migration). Die Definition und Messung letzterer ist somit an Nationalstaaten und nicht an Kulturkreise bzw. Staatenverbünde wie die EU gebunden.
Als internationale Migranten gelten nur die Personen, die ihren Wohnsitz für eine bestimmte Mindestdauer oder für unbestimmte Zeit – eventuell für immer – ins Ausland verlegen. Damit ergeben sich unmittelbar Probleme bezüglich der internationalen Vergleichbarkeit: Die deutschen offiziellen Migrationsstatistiken erfassen z.B. bereits Ausländer mit lediglich dreimonatigem Aufenthalt, während in der Schweiz nur Personen mit mindestens zwölfmonatigem Aufenthalt als Migranten definiert werden. Einen noch anderen Weg gehen die USA: Dort können sich im Unterschied zu Deutschland Studierende und temporäre Arbeitskräfte über mehrere Jahre aufhalten, ohne offiziell als Migranten gezählt zu werden, dafür erfassen die US-amerikanischen Behörden auch illegal anwesende Personen ohne Aufenthaltsrecht. Beim Vergleich von statistischen Daten unterschiedlicher Länder kommt es somit zu Abgrenzungsproblemen und damit notwendigerweise zu Problemen der internationalen Vergleichbarkeit.
Abzugrenzen von der internationalen Migration ist die Binnenmigration, die ebenfalls kein neues Phänomen darstellt, aber seit einiger Zeit in den deutschen Medien vermehrt thematisiert wird: Hier handelt es sich in der Gegenwart überwiegend um Wanderungsbewegungen aus dem ländlichen bzw. kleinstädtischen Raum in die Großstädte bzw. Ballungsräume und damit praktisch um die langsame „Entvölkerung“ der ländlichen Räume, in denen die Zuzüge insbesondere junger Menschen die Abgänge (vulgo: den Tod) unterschreiten.
Diese teilweise Entvölkerung ländlicher Gebiete, die mit einem vermehrten Zuzug vor allem junger Menschen in Ballungsräume wie München, Hamburg und Berlin korrespondiert (die fast die gesamte ostdeutsche Provinz, aber beispielhaft auch Teile von Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Nordbayern und Nordhessen trifft) ist bei Weitem kein deutsches Phänomen, wie Sie sich exemplarisch z.B. am Zentralmassiv in Frankreich oder an weiten Teilen der baltischen Staaten klarmachen können. Ob und inwiefern die Corona-Krise diesen langjährigen Trend verlangsamt oder gar umkehrt – Argumente dafür gibt es in der Tat: Weniger Menschen im Raum, geringere Mietkosten, die Möglichkeit, weitgehend online zu studieren und in einigen Berufen auch im Homeoffice zu arbeiten – wird die Zukunft zeigen.
Diese Wanderungsbewegungen wirken nicht nur auf Individuen oder geografisch verstandene „Kollektive“, sie haben auch einen schleichenden Einfluss auf die Funktionsfähigkeit von Gebietskörperschaften: Dies bedeutet nichts anderes, als dass es mittelfristig in Frage stehen wird, inwieweit Kommunen (noch dazu technologisch „abgehängte“) oder auch kleine europäische Peripheriestaaten in der Lage sein können, ihren heutigen verfassungsgemäßen Pflichten zu genügen.
Im Folgenden werden wir uns eingehender mit Fertilität und Migration beschäftigen: Die Lebenserwartung bzw. Mortalität scheint – ohne technische Innovationen – in den vergangenen Jahren im reichen Teil der Welt und damit auch Deutschland relativ konstant zu sein. Aber Vorsicht! Dieser Wert ermittelt sich als gewichtetes Mittel von etwa 84 Jahren bei Frauen und 77 Jahren bei Männern. Wenn als Durchschnittswert der Lebenserwartung in Deutschland 81 Jahre angegeben werden, ist das mathematisch sicher korrekt, inhaltlich aber sinnlos.
Ebenso wichtig sind die Aussagen einer im Sommer 2020 von Rau und Schmertmann vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock publizierten Studie, die die Lebenserwartung in allen 402 Landkreisen Deutschlands untersucht. Dabei kamen in den Extrema Differenzen von 5 Jahren bei Männern und 4 Jahren bei Frauen zu Tage.1[19]
Bildung und Lebenserwartung
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 2015 ging u.a. an den US-Amerikaner Angus Deaton für seine Analyse des Konsums, der Armut und des Gemeinwohls.
Nach Analyse von Kranken- und Sterbedaten wies Deaton nach, dass die Lebenserwartung und die Gesundheit weißer US-Amerikaner mittleren Alters insgesamt rückläufig sind. Dies ist besonders ausgeprägt bei US-Amerikanern mit niedriger Bildung, d.h. mit Highschool-Abschluss oder weniger. Mit Anne Case veröffentlichte Deaton im Jahr 2020 das Buch „Deaths of Despair and the Future of Capitalism“.
Auch in Japan, dem Land mit der höchsten Lebenserwartung, scheint seit etwa 10 Jahren ein Sättigungspunkt (bzw. Sättigungspunkte für Männer und Frauen) erreicht worden zu sein; die Menschen werden im statistischen Durchschnitt derzeit nicht mehr messbar älter.
Zu ethischen Problemen der technischen Lebensverlängerung sind z.B. Hararis Überlegungen in „Homo Deus“ lesenswert. Etwas „hemdsärmliger“ ist Boris Palmers Meinungsbeitrag in der Welt „Nüchterne Analyse, keine falsch verstandene Pietät“.[20]