Kitabı oku: «Herausforderungen der Wirtschaftspolitik», sayfa 10

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3.1.2 Einige Betrachtungen zum Gut Gesundheit und zu dessen RegulierungRegulierung1

Intuitiv einsichtig ist, dass uns die klassischen Angebots- und Nachfragebetrachtungen und die in der Lehrbuchökonomie üblichen Angebots- und Nachfragediagramme (auch wenn diese natürlich möglich sind) nicht weit kommen lassen, um ein hinreichendes Verständnis zum „Gesundheitsmarkt“ zu entwickeln. Es gibt nicht nur in Deutschland keine unsichtbare Hand, die die vielen Individuen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite zusammenbringt. Wenn diese existierte, könnten sich „arme Leute“ keine Gesundheitsbehandlungen leisten. Zudem sind wir fast alle nicht in der Lage, mit den uns zur Verfügung stehenden Informationen zu vernünftigen Schlüssen zu gelangen (vulgo: die Frage „Was sind gute und weniger gute Ärzte?“ zu beantworten). Angebotsseitig müssen Ärzte und Krankenschwestern und –pfleger eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung vorweisen, die entweder vom Staat organisiert bzw. alternativ von ihm anerkannt wird. Ein Arzt benötigt ferner eine Genehmigung, um eine Praxis zu eröffnen.

Gesundheit ist ein sogenanntes meritorisches Gut. Dies ist ein Gut, das im nationalen Interesse liegt und somit so wichtig ist, das es vom StaatStaat garantiert bzw. (teil-)produziert wird. In unserem Falle (nicht nur in München, Berlin und Hamburg) schafft mehr Angebot auch mehr Nachfrage, d.h. mehr Ärzte bedeuten mehr Behandlungen (und i.a. höhere Preise). Dies ist einfach erklärbar, da es für Gesundheit keine Sättigung gibt. Man kann immer noch ein bisschen gesunder werden und ein bischen schöner. Diese Aussage gilt nicht nur aber insbesondere für die zunehmende Anzahl gebildeter Pensionäre. Die Kosten pro Bürger bzw. Versicherten betreffend ist statistischer Schrecken aller Kassen nicht der moderat rauchende und/oder trinkende Arbeiter oder Angestellte, sondern der gesundheitsbewusste, gebildete Mensch.[42]

Ein nutzensmaximierender Arzt hat somit keinen Anreiz, kosteneffizient zu „produzieren“. Er wird darüber hinaus teurere Dienstleistungen für wohlhabendere Patienten (z. B. Fitness-Programme und Schönheitsoperationen, die nicht zur Grundversorgung zählen und privat bezahlt werden) anbieten, anstelle arme Menschen zu behandeln.2 Eindrucksvoll nachvollziehen kann man diesen Gedanken am Fall der "Intensivbettendiskussion", die im Verlauf der Jahre 2020 und 2021 dreimal geführt wurde. Der Bundesrechnungshof zitierte dazu im Sommer 2021 ein Schreiben des Robert Koch-Instituts an das Gesundheitsministerium vom 11. Januar 2021, dass „Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren."[43]

Dazu kann kurz festgehalten werden, dass es in einem teilprivatisierten Gesundheitssystem, in dem die Kostenerstattung über Fallpauschalen erfolgt, per se unvernünftig ist, Reserven vorzuhalten, dass also offensichtlich ein „Systemfehler“ vorliegt.

Somit sind (Stichwort Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse) RegulierungRegulierungen auf der Angebots- und der Nachfrageseite erforderlich. In den entwickelten Ländern stehen zumeist Krankenkassen zwischen Arzt und Patient. Diese erheben Beiträge von den Versicherten und bezahlen die Ärzte und Krankenhäuser für deren Dienstleistungen, wobei die Preise zwischen den Ärzteverbänden und den Krankenkassen ausgehandelt werden. Die Menschen bezahlen also auf indirektem Wege für ihre Gesundheit und Gesunde subventionieren Kranke. Spätestens hier erkennen wir ein klassisches Moral Hazard-Problem. Versicherte können zu fahrlässigem Verhalten tendieren und sich zudem im Recht fühlen, sich ihre Beiträge „zurückzuholen“.

Praxis bis zu Beginn der 2000er Jahre war es, dass Krankenhäuser und Ärzte von den Versicherungsgesellschaften für erbrachte Leistungen bezahlt wurden. Dabei wurden seitens der Krankenhäuser fraglos auch nicht notwendige Leistungen abgerechnet, Patienten verblieben mitunter länger im Krankenhaus als notwendig, usw. Um die Kosten zu beschränken, wurde in den reichen europäischen Ländern daraufhin entweder ein Prozentsatz oder eine fixe Praxisgebühr der Behandlungskosten auf die Patienten übertragen. Letztere betrug in Deutschland bei ihrer Einführung im Jahr 2004 10 Euro pro Patient und Quartal. Sie erwies sich letzlich als insgesamt wirkungslos und wurde Ende 2012 wieder abgeschafft. Ab 2003 wurden nach australischem Vorbild sogenannte Fallpauschalen (englisch: Diagnostic Related Groups) eingeführt.3 Um Wettbewerb zwischen Krankenhäusern zu initiieren, wird hier ein fester Betrag pro Behandlung für klassifizierte Krankheitsbilder an das Krankenhaus bzw. den Arzt gezahlt. Ziel war es, Kliniken sich spezialisieren zu lassen und damit die Kosten pro Behandlung zu senken.

Die Folge waren insgesamt kürzere Verweildauern in den Krankenhäusern, weniger Tote in den Krankenhäusern und niedrigere Kosten der Krankenhäuser (inpatient costs); aber auch – als Folge falsch gesetzer Anreize! – gestiegene Kosten außerhalb der Krankenhäuser (outpatient costs) und ebenso mehr Tote außerhalb der Krankenhäuser, viele wiederkehrende Patienten und dass Krankenhäuser schwierige Fälle „abwimmelten“. Parallel wurde versucht, durch „Pay for Performance“ (P4P) finanzielle Anreize zu setzen, um „gute“ Ärzte oder Krankenhäuser besser zu bezahlen, als weniger gute. Dabei wird die Qualität der medizinischen Behandlung durch Indikatoren gemessen, die aber die Frage „Was ist ein guter Arzt“ nicht zufriedenstellend beantworten können.4 Als Folge wurde verstärkt in Technik bzw. Gerätemedizin investiert, die messbare und damit hart interpretierbare Ergebnisse liefert.5

Um es kurz zu machen: Wir haben bisher keinen Weg gefunden, die Kosten im Gesundheitssystem mittelbar unter Kontrolle zu halten. Die Hoffnung, die Steigerungen der Ausgaben im Gesundheitssystem durch höhere zukünftige Zuwächse des BIPs unter Kontrolle zu bekommen, dürfte sich, sofern überhaupt gehegt, als Illusion erweisen. Dies ist umso beunruhigender, als wir quasi deterministisch in weniger als 10 Jahren mit dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge von Mitte der 1950er Jahre bis Mitte der 1960er Jahre einen qualitativen demografischen Einbruch erleiden werden. Vermutlich wird es auf einen harten zeitgleichen cut, Begrenzung/Beschneidung der Arztgehälter und –honorare, Reduktion der Verfügbarkeit medizinischer Leistungen, weniger neue Technik in den Praxen und Krankenhäusern hinauslaufen.

3.2 Rentenversicherung

Die AltersvorsorgeAltersvorsorge in Deutschland stützt sich auf drei Säulen. Säule 1 bildet die gesetzliche, für alle Beschäftigten verpflichtende Rentenversicherung, durch die die Versicherten Anspruch auf eine Altersrente erwerben. Säule 2 besteht aus der betrieblichen, d.h. vom Arbeitgeber mitfinanzierten bzw. -organisierten Altersversorgung. Säule 3 bildet die private Vorsorge in Form eines eigenverantwortlich angesparten Vermögens, das im Alter „entspart“ werden kann.

Die gesetzliche Rentenversicherung gehört wie die Kranken-, Unfall-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu den seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland schrittweise eingeführten Bismarckschen Sozialgesetzen.

Im Jahre 1954 wurde das sogenannte Umlageprinzip eingeführt: Die jüngeren Generationen kommen seitdem für die Renten der Alten auf und erwerben selbst einen Anspruch auf eine zukünftige Rente (Stichwort Generationenvertrag). Die eingezahlten Beiträge werden also nicht gespart, sondern sofort auf die laufenden Rentenzahlungen umgelegt, wobei sie durch Steuermittel „aufgestockt“ werden.

Da das Umlagesystem wegen des demografischen Wandels nur noch bedingt leistungsfähig ist – d.h., immer weniger Junge müssen immer mehr Alte finanzieren – wurde und wird es immer wieder reformiert. Die derzeit prominentesten Beispiele sind die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre bis zum Jahr 2029 und die Ausweitung der Versteuerungspflicht auf die gesamte Rente ab 2040. Bereits 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht die fehlende Rentenbesteuerung für verfassungswidrig erklärt. Wer 2020 in Rente ging, muss 80% davon versteuern. Das Niveau der gesetzlichen Altersrente wird ferner von 51% im Jahr 2015 auf voraussichtlich 44,9% des durchschnittlichen Nettolohns bis zum Jahr 2030 gesenkt.[44] Damit verbunden ist die Aufforderung der Bundesregierung an die Bevölkerung, eigenverantwortlich für das Alter vorzusorgen. Langfristig soll die private Vorsorge als Ausgleich zur schrumpfenden Säule 1 an Bedeutung gewinnen; deshalb wird sie (Stichworte Riester- und Rüruprente) vom deutschen StaatStaat gefördert.

„Richtig“ privat vorsorgen ist indes leichter gesagt als getan. Sowohl Investitionen in Aktien als auch in Immobilien können ihre Tücken haben. Schwer verkäufliche Immobilien in strukturschwachen Gebieten können sich – leicht einsichtig – als Fluch erweisen, und die Aussage, dass Aktien langfristig die beste Geldanlage seien, wird durch Wiederholung in ihrer Pauschalität nicht richtiger. Als warnendes Beispiel sei hier eine Grafik des japanischen Leitindex Nikkei225 von 1986 – 2021 angegeben.

Abb. 3.3:

Nikkei 225, 1986–2021 (Eigene Darstellung: Daten von Refinitiv)

Wenn Sie einen kurzen Blick auf Abb. 3.3 werfen, werden Sie ohne großes „Rumrechnen“ schnell feststellen, dass Sie einen großen Teil Ihres Vermögens verloren hätten, wenn Sie um 1990 herum angefangen hätten, Ihr Geld in japanische Standardaktien, d.h. also in weltbekannte Firmen wie Mitsubishi, Sony, Canon, Toyota usw., zu investieren. Hier nützte es Ihnen auch nur wenig, zu wissen, dass der Nikkei225 Ende des Jahres 2021 wieder bei kanpp 29.000 Punkten stand. Der Argumentation, dass Aktien langfristig die beste Geldanlage seien, sollten Sie nun – wenn dies nicht bereits der Fall war – etwas kritischer gegenüberstehen. Langfristig sind wir, um ein Bonmot von John Maynard Keynes zu zitieren, alle tot.1

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Dies ist kein Plädoyer gegen Aktien! Es bietet sich allerdings zumeist eine „vernünftige DiversifizierungDiversifizierung“ in verschiedene risikobehaftete Assetklassen an. Da aber die aggregierte Wertentwicklung fast aller Assetklassen langfristig positiv korreliert ist, wird den meisten Menschen in Zukunft vermutlich nicht viel anderes übrig bleiben, als lange zu arbeiten, wenn ein gewisser Lebensstandard gewahrt werden soll.

Bemerkung:

Hier sei wiederum angemerkt, dass – und dies ist seit Langem bekannt – ein beträchtlicher Teil der deutschen Bevölkerung (Stichwort Niedriglohnsektor) die Möglichkeit, substanziell für das Alter zu sparen, nicht hat. Es wird also eine gesellschaftliche Aufgabe bleiben müssen, heutigen Geringverdienern ein materiell würdiges Leben im Alter zu ermöglichen. Dies ist kein „Jammern“ über den Niedriglohnsektor; schlecht bezahlte Arbeit ist in fast jeder Hinsicht für die Gesellschaft und auch die Betroffenen besser als keine Arbeit. Dennoch lohnt sich ein Blick in die Schweiz, die auch ein anderes Demokratiemodell praktiziert als Deutschland, wie dort mit gering qualifizierter Arbeit und deren Vergütung umgegangen wird.

Diversifikation

Grundsätzlich ist es sinnvoll, Vermögen in unterschiedliche Assets, deren Renditeverteilungen bei positiven erwarteten Renditen möglichst gering korreliert sind, aufzuteilen. Hier bieten sich zur Bestimmung der Anteile des zu investierenden Vermögens u.a. die naive DiversifizierungDiversifizierung (in jede Anlage wird der gleiche Prozentsatz des Vermögens investiert) oder auch die Anwendung der Markowitztheorie an, bei der üblicherweise eine minimale Zielrendite vorgegeben wird und im Anschluss die prozentualen Beiträge der einzelnen Assets zur Ermittlung des korrespondierenden varianzminimalen Portfolios berechnet werden. Beide Ansätze haben indes Grenzen, insbesondere wenn nicht teilbare „teure“ Assets wie Immobilien Bestandteile des Portfolios sind. Und wenn es weltweit crasht, dann crasht es weltweit, d.h., der Diversifizierungsnutzen, der aus der Korrelationsstruktur der unterschiedlichen Anlagen in „Normalzeiten“ gewonnen wurde, wird deutlich reduziert.

Einordnung und Ausblick

Deutschland (und Europa) wird älter, es werden nicht genug Kinder geboren, um den biologischen Bestand der europäischen Nationen „aus eigener Kraft“ dauerhaft auf dem aktuellen Niveau zu erhalten. Besonders hart betroffen sind ländliche Räume in fast allen europäischen Staaten und in ihrer Gesamtheit die ärmeren Staaten am geografischen Rande der EU.

Mittelfristig werden die Staaten nicht alle ihnen heute obliegenden Aufgaben (Straßenbau bzw. -instandhaltung, wohnortnahe Kindergärten und Schulen, Krankenversorgung, etc.) flächendeckend aufrechterhalten können. Spiegelbildlich stieg – jedenfalls vor Ausbruch der Corona-Pandemie – der Preisdruck auf den Wohnungsmärkten in den Ballungsgebieten und sank die Werthaltigkeit von Wohnimmobilien in vielen ländlichen und kleinstädtischen Regionen.

Der mittel- und langfristige Erfolg von Zuwanderung hängt von deren Komposition sowie von staatlichen und privaten Anstrengungen ab, Zuwanderer in die Gesellschaft zu integrieren, d.h. insbesondere, sie in bezahlte (bzw. gut genug bezahlte, um davon anständig leben zu können) Beschäftigungsverhältnisse zu bringen.

Exkurs: Das Bruttoinlandsprodukt

Erste Versuche, das nationale Einkommen zu schätzen, gehen auf das 17. Jahrhundert in England zurück: William Petty und Gregory King legten die Grundsteine für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR).

Das bei weitem bedeutendste Maß für die Stärke einer Volkswirtschaft ist das Bruttoinlandsprodukt, dem wir bereits im Exkurs zur Statistik am Ende von Kapitel 2 begegnet sind. Grob gesagt handelt es sich beim BIPBIP um den in GeldGeld gemessenen Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb eines Staatsgebietes erwirtschaftet werden. Es wird also gemessen, was in Geld bezahlt wurde und was besteuert wurde. Lebensqualität, die durch Nachbarschaftshilfe, Haushalts- und Kindererziehungsarbeit gewonnen wird sowie Elemente der Schattenwirtschaft gehören nicht dazu.

Das BIP kann über drei verschiedene Wege ermittelt werden: In der Entstehungsrechnung wird die Wertschöpfung aller Produzenten als Differenz zwischen dem Wert der produzierten Waren und Dienstleistungen und dem Vorleistungsverbrauch berechnet, wobei die Gütersteuern hinzugefügt und die Gütersubventionen abgezogen werden. Die Verwendungsrechnung ermittelt das BIP als Summe aus privatem und staatlichem Konsum, Investitionen und Außenbeitrag. Bei der Verteilungsrechnung wird das BIP aus der Summe der Arbeitnehmerentgelte, der Unternehmensgewinne und der Vermögenserträge in der Volkswirtschaft berechnet.

Rechnungswesen ist nicht neutral, es „lässt sich den Zwecken einer Organisation entsprechend formen, was wiederum Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Organisation nehmen kann.“ (Mazzucato, S. 111) Dies können Sie sich verdeutlichen, indem Sie auf Betriebsebene die Grundprinzipien des HGB und diejenigen der amerikanischen Rechnungslegung IFRS gegenüberstellen. Ebenso ist es nicht zeitinvariant. Historisch interessant ist vor allem die Entwicklung der Produktionsgrenze. Der französische Nationalökonom (den Begriff Volkswirt gab es damals noch nicht) Quesnay betrachtete im 18. Jahrhundert zum Beispiel die Landwirtschaft, Fischerei, Jagd und den Bergbau als produktiv, die Haushalte, den Staat und sogar die Industrie hingegen nicht. So wird verständlich, dass der Begriff des WachstumWachstums in der Ökonomie erst im frühen 19. Jahrhundert dauerhaft auftauchte, da Kapital theoretisch unbegrenzt wachsen kann, Boden, der bis dato wichtigste Produktionsfaktor, hingegen naturgemäß beschränkt ist. Die wichtigste Änderung in der VGR fand schließlich in den 1970er Jahren statt, in denen übrigens auch der Goldstandard beerdigt wurde. Erst vor weniger als 50 Jahren wurde begonnen, den Finanzsektor in die Berechnung des BIPs miteinzubeziehen. Davor wurde das Finanzwesen nur als Transformationssektor, der nicht produktiv war, betrachtet.

Beim BIP handelt es sich kurz gesagt um eine „in Entwicklung begriffene gesellschaftliche Konvention [..], die sich weder durch physikalische Gesetzmäßigkeiten noch durch absolute ‚Realitäten‘ definiert, sondern Ideen, Theorien und Ideologien der jeweiligen Ära reflektiert, in der sie entstanden ist.“ (Mazzucato, S. 111)

Nach dem bereits gesehenen (vgl. inbesondere den Exkurs zum täglichen Umgang mit Zahlen und Statistik am Ende von Kapitel 2) ist es schlicht aberwitzig, die Entwicklung bzw. den Zustand einer Volkswirtschaft aus einer einzigen Größe ableiten zu wollen. Maßzahlen, die die Dominanz des BIP bisher aber nicht beeinträchtigten, gibt es reichlich; z.B. den Gini-Index, den Engels-Koeffizienten, den Human Development Index, diverse Glücksindizes und den Better-Life-Index der OECD.

Gegen das BIPBIP werden allerdings noch weitere konzeptionelle Gründe ins Feld geführt:

1 Das BIP enthält Größen, die lediglich Wohlstandseinbußen ausgleichen, obwohl tatsächlich nur beschädigte oder verloren gegangene Bestandswerte wie Schäden an Häusern nach einem Sturm wiederhergestellt wurden.

2 Das BIP erfasst zahlreiche Effekte nicht, die den Wohlstand mitbestimmen. Dies betrifft Umweltverschmutzung wie unbezahlte Arbeit.

3 Für die Berechnung des BIPs ist es egal, ob jemand seine Arbeit mit Freude oder aus Zwang erfüllt.

Die „heilige Kuh“ zeitgenössischer WirtschaftstheorieWirtschaftstheorie und -politik ist indes das Wachstum des Bruttinlandproduktes. Wenn von Wachstum des BIPs geredet bzw. darauf abgestellt wird, stellen sich unmittelbar Fragen, wozu das Wachstum da sein soll und was wachsen soll. Diese Fragen sind unabhängig von Umweltfragen gerade deshalb relevant, weil die materiellen Bedürfnisse der überwiegenden Mehrheit der Menschen in den Industrieländern längst gedeckt sind und die meisten Menschen „von dem Geld, das sie nicht haben, Dinge kaufen, die sie nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen.“[45]

WachstumWachstum einer Wirtschaft heißt zuallererst, dass der „Gesamtkuchen“, der aufgeteilt werden kann, größer wird. Das bedeutet etwas vereinfacht, dass es „Wirtschaftsakteure“ gibt, die ihr Einkommen erhöhen können, ohne das Einkommen anderer Akteure zu verringern. Es handelt sich somit nicht um ein Nullsummenspiel (s. Exkurs zu Kapitel 8), bei dem der Gewinn eines Akteurs den Verlust eines anderen Akteurs bedingt. In den entwickelten Ländern führte dies bis vor ca. 10–20 Jahren dazu, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen einen im historischem Maßstab gesehen beträchtlichen materiellen Wohlstand genoß, ohne dass die wirklich Reichen etwas hergeben mussten. Auf globaler Ebene führte die Arbeitsteilung dazu, dass ein Großteil der Menschen, die in sich entwickelnden Ländern leben, ihrer vormaligen absoluten ArmutArmut entkommen konnten. Die alten Industrieländer konnten somit verfolgen, wie der Rest der Welt wohlhabender wurde, ohne etwas abgeben zu müssen. Damit wurde, jedenfalls für eine gewisse Zeit, technischer Fortschritt mit weitgehender VollbeschäftigungBeschäftigung verbunden. Kurz gesagt hat das Wachstum der vergangenen Jahrzehnte die betroffenen Gesellschaften befriedet.

Auch wenn die Wirtschaft in Deutschland nicht mehr wächst, könnte unser Einkommen längerfristig stabil bleiben oder gar steigen, wenn deutsche Unternehmen auch in Zukunft im Ausland entsprechende Gewinne erwirtschaften und diese wieder nach Deutschland zurückfließen.1 Die Krux ist allerdings, dass globales WachstumWachstum nötig ist, damit unsere heutige Wirtschaft wie gewohnt funktioniert.

Dass wir uns offensichtlich an einem historischen Wendepunkt befinden, hat zahlreiche bestimmende Faktoren, von denen die sich ändernde Demografie die wichtigste Ursachengruppe darstellt. Wenn in alternden Gesellschaften immer weniger Menschen immer mehr Menschen versorgen müssen, könnte dieses Problem theoretisch durch Wirtschaftswachstum, das dann primär auf Innovationen bzw. technischem Fortschritt basiert, eingehegt werden (s. Kapitel 10). Falls dies nicht gelingt, wird der Gesamtkuchen a priori kleiner und wir stehen, wenn wohl auch nicht zuerst in Deutschland, sehr bald nicht mehr nur vor theoretischen Diskussionen zur Einkommens- und Vermögensverteilung.

Die Glücksforschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer interessanten neuen wissenschaftlichen Disziplin im Schnittpunkt von Psychologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entwickelt. Bekanntester Vertreter ist der Schweizer Professor Bruno Frey. Außer Frage steht dabei, dass Glück schwer messbar und damit international auch schwer vergleichbar ist. Rankings, in denen die Schweiz, Bhutan oder verschiedene Südseeinseln auf den Spitzenplätzen rangieren, bedienen somit offensichtlich die Wünsche ihrer Empfänger.

Glück oder das Streben nach Glück ist westliches Denken. Die berühmteste Festlegung finden wir in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: Dass „the pursuit of happiness“ zu den selbstverständlichen Wahrheiten gehöre. Etwas auch nur ansatzweise Vergleichbares findet sich im KonfuzianismusKonfuzianismus nicht.

Bekannt ist, dass eine gute BildungBildung, lange Lebenserwartung, gute Gesundheitsversorgung und materieller Wohlstand noch lange nicht glücklich machen. Das „Paradebeispiel“ dafür ist Japan: Während sich das Bruttoinlandprodukt per capita von 1958 bis 1991 in etwa versiebenfacht hatte, ging die life satisfaction bei geringen Schwankungen sogar leicht zurück.2[46]

Dies geht sogar weiter als das sogenannte Easterlin-Paradox, das „nur“ besagt, dass die Erhöhung des BIPBIP ab einer gewissen Schwelle nicht mehr mit einer Verbesserung des Glücksgefühls einhergeht. Dies ist auch nicht wirklich überraschend, da „glücklich sein“ schlecht gesteigert werden kann.

Der große griechische Philosoph Aristoteles entwarf in seiner TugendethikEthik keine Regeln, sondern er stellte auf Haltungen ab. Sind diese Haltungen tugendhaft, stellt sich Glück von allein ein. Hier war ihm John Maynard Keynes ca. 2300 Jahre später mit seinem Wunsch nach einem guten Leben sehr nah.

Das Problem liegt wie so oft in den Begriffen; was also Glück ist bzw. besser was darunter verstanden wird. Ist der Wunsch nach „größtmöglichem Glück“, wie Keynes glaubte, ein vernünftiges politisches oder eher ein ethisches Prinzip, wie der Philosoph David Hume (1711–1776) es darlegte? Erinnern Sie sich hieran, wenn wir in Kapitel 13 das mehr als 2000 Jahre existierende Ideal der alten wie der heutigen Chinesen, Harmonie zwischen Himmel und Erde zu erreichen, besprechen werden.

Sehr empfohlen sei Ihnen an dieser Stelle ein weiteres Vater-und-Sohn-Buch: Robert und Edward Skidelskys „Wie viel ist genug: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens“. Das Buch wurde in seinem Erscheinungsjahr 2012, zum Höhepunkt der Finanzkrise, sehr wohlwollend aufgenommen, geriet aber mit zunehmender Erholung der Weltwirtschaft wieder schnell in Vergessenheit. Ebenso ist von den bereits erwähnten „Rufen“ nach einer besseren Volkswirtschaftsausbildung an den Hochschulen nur punktuell etwas geblieben.

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