Kitabı oku: «Kaiserkrieger 13: Flammen über Persien», sayfa 2
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Yun-Suk Choi nahm einen tiefen Schluck, spürte, wie die brennende Flüssigkeit seine Kehle hinabrann, spürte die sich wohlig ausbreitende Wärme in seinem Magen und die dahinterstehende Lüge. Der starke Branntwein versprach so einiges: Entspannung, etwas Wohlbefinden, eine Erleichterung der drückenden Sorgen und Fragen, ein Vergessen der drängenden Pflichten, ein Trüben der schwierigen Erinnerungen und das Gefühl, dass Ungewissheit doch gar nicht so schlimm war, denn im Grunde war sowieso alles egal.
Und wenn man trank, wurde es am egalsten.
Der Gedanke daran, dass er sich mit dem Trinken also nur selbst betrog, motivierte ihn dazu, sofort einen zweiten Schluck zu nehmen. Der Reisschnaps war ordentlich gebrannt, ein Produkt seiner Heimat, das er gerne zu sich nahm, manchmal vielleicht zu gerne. Der Betrug, den ihm der Alkohol versprach, war immerhin ehrlich: Choi wusste, welche Konsequenzen der Schnapskonsum hatte und wie weit er damit gehen konnte. Es gab da keinerlei doppelte Böden oder Verstecke. Es war, wie es war.
Ein dritter Schluck. So langsam kam zu der Wärme ein wenig von dem hinzu, was er von diesem Getränk erwartete: die sanfte Andeutung von Leichtigkeit in seinem Kopf. Er war noch nicht betrunken, nicht einmal etwas beschwipst, und würde man ihn jetzt mit einer Aufgabe betrauen, so würde er sie einigermaßen bewältigen können. Aber er war am Rande der Trunkenheit, ging den schmalen Grat entlang, der das klare Denken und Handeln von der sanften, anheimelnden Trägheit verschwommener Seligkeit trennte. Er hielt inne, betrachtete die Flasche. Es war eine neue, frisch angebrochen, und es war sein dienstfreier Abend. Sie zu leeren und dann ins Bett zu fallen, war seine Freiheit, eine der wenigen, die er genoss. Sich ihr zu ergeben, enthob ihn von der Notwendigkeit, anderen Ideen nachzuhängen oder sich allzu sehr mit seiner Frustration zu beschäftigen.
Er hielt inne, als er die Flasche wieder ansetzen wollte.
Er schaute aus dem Fenster. Hier im Norden Baekyes war es mittlerweile empfindlich kalt geworden, der Winter hatte sich ausgebreitet, der Frost hielt den Boden, die Bäume und anderen Pflanzen, die Tiere umklammert. Schnee fiel in regelmäßigen Abständen, manchmal als Sturm, und des Nachts kämpfte das Feuer in den Kohleöfen mit großer Hartnäckigkeit gegen die eisige Umarmung an. Der Außenposten hatte siebzehn Soldaten, deren Kommandant Choi war, ein Posten, den er seit sechs Monaten innehatte.
Das war kein Zufall. Er war für diese Position von zu hohem Rang und überqualifiziert. Er war vielfach versetzt worden, nachdem er das Lager verlassen hatte. Ein Jahr kämpfte er an der Front in Indien, eine Zeit, an die er sich nicht gerne zurückerinnerte. Ein Jahr ging er auf die Akademie für weitere Kurse, diese bestand er mit Auszeichnung. Er verstand nicht, wohin seine Karriere ging. Ging sie überhaupt noch in eine bestimmte Richtung oder drehte er sich nur im Kreis? Wollte er eigentlich, dass sie nach vorne und nach oben strebte? Seit seiner Zeit im Umerziehungslager verstand er so manches nicht mehr. Wachten jene, die sich, tief im Inneren des Systems versteckt, gegen den Großen und Geliebten Marschall verbündet hatten, über seine Schritte? Halfen sie ihm oder schadeten sie, prüften sie ihn oder hatten sie keine Verwendung? Choi war die letzten beiden Jahre mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gegangen und sein Widerstandswille gegen das System, für das er zu kämpfen einen Eid geschworen hatte, war eher noch gewachsen. Doch es gab für ihn keine Möglichkeit, diesen Willen in Aktion umzusetzen, ohne sich selbst sofort zu gefährden und dabei gleichzeitig absolut nichts zu bewirken.
Sinnlose Jahre. Eine verlorene Zeit. Er fühlte sich hin und her getrieben. Er versah seinen Dienst ohne Richtung, ohne Elan, erfüllte seine Pflicht, eckte nirgends an, akzeptierte klaglos seine Befehle. Seine Akte war seit jenem Vorfall einwandfrei, sein Verhalten makellos. Dass er manchmal nachts aufwachte und einen tiefen Schmerz in seinem Herzen fand, als er an jene Frau dachte, deren Leidenschaft ihn damals gefangen hatte, akzeptierte er. Bedauern, ein wenig Sehnsucht, jetzt alles langsam bedeckt durch Schnee und Eis. In den Bergen war es immer kalt und sein Dienst hier war sinnlos. Die siebzehn Soldaten, die ihm unterstellt waren, ein Unteroffizier, sechzehn Mannschaftsgrade, waren allesamt strafversetzt, die letzten beiden erst vor einem Monat eingetroffen. Sie hatten ein Verhalten an den Tag gelegt, das keine richtige Bestrafung erforderlich machte, mit Laufbahnen, die immer nur ganz knapp an der Grenze zur Straffälligkeit, zur disziplinarischen Maßnahme verliefen, aber eben so, dass sie als unzuverlässig galten. Hier, in der Wildnis, umgeben von wenigen Bergbauern, unwegsamem Gelände, ohne jede Aussicht auf Feindkontakt, schadeten sie niemandem, erledigten ihren sinnlosen Dienst, waren aus dem Weg. Vielleicht hofften die Vorgesetzten im Stillen, sie würden hier etwas anstellen, damit man sie richtig bestrafen konnte.
Doch hier gab es nichts, mit dem man etwas anstellen konnte.
Hier gab es rein gar nichts.
Sie saßen im einfachen Gebäude mit seinem Schlafsaal, dem windigen Aussichtsturm, der Vorratskammer, dem Gemeinschaftsraum mit der einfachen Küche. Einmal im Monat kam ein Karren mit Vorräten, hin und wieder brachten die Bauern aus der Gegend etwas, mehr als Bestechung, um bloß in Ruhe gelassen zu werden – ein Gefallen, den man ihnen gerne tat, wenn es dafür frische Milch und Käse gab, Winterkimchi dazu, lange im Erdboden vergraben und gut durchgegoren, ein Fest für die Sinne und eine willkommene kulinarische Freude in dieser Gegend der eiskalten Untätigkeit.
Jemand betrat den Raum, gähnte laut, um sich bemerkbar zu machen. Chois Blick wanderte vom Fenster zum Neuankömmling.
»Schnaps? Wir haben doch gerade erst gefrühstückt.«
Kamgung war der einzige Unteroffizier der Truppe, ein Veteran von fast 50 Jahren, der nicht nur einiges gesehen, sondern auch von vielem die Schnauze gestrichen voll hatte. Das war gewiss ein Grund dafür, dass er hierher versetzt worden war. Er erzählte nicht viel über seine Karriere, aber irgendwann hatte Choi herausgekitzelt – und der Schnaps hatte dabei geholfen –, dass der ältere Mann nicht immer die Menschen, die seine Vorgesetzten gerne tot gesehen hätten, auch getötet hatte, vor allem dann nicht, wenn diese keine Waffe auf ihn gerichtet hatten.
Offiziell war er damit im Recht. Inoffiziell aber war der Befehl eines Vorgesetzten Gesetz, egal aus welchen niedrigen Beweggründen er geäußert wurde. Und dann gab es eben Konsequenzen.
»Es ist Nachmittag«, sagte Choi.
»Sag ich doch. Frühstück.« Kamgung grinste und begann, in den Regalen der kleinen Küche zu rumoren. »Ist noch Reiskuchen da? Ich habe irren Kohldampf auf Reiskuchen!«
»Im Schrank. Die letzten sechs. Wann kommt der Nachschub?«
Man verlor das Gefühl für Zeit hier draußen, für die Tageszeit ebenso wie für das Datum. Auch Kamgung musste erst einmal angestrengt nachdenken, um die Frage zu beantworten.
»Drei Tage.«
»Drei Tage nur Kimchi«, schlussfolgerte Choi, ohne Bedauern oder Schmerz in der Stimme. Es gab Schlimmeres. Sie würden auf die Jagd nach Schneehasen gehen und sich einen Braten machen, das verschaffte Kraft und Abwechslung. Für Ersteres hatten sie zwar keine Verwendung, Letzteres aber war immer hochwillkommen.
»Das Kimchi ist super«, meinte Kamgung. Er war in der Tat absolut in der Lage, sich nur von der Leib-und-Magen-Speise zu ernähren, ohne dabei die geringste Klage zu erheben. Choi aber verlangte es nach Abwechslung und er wusste, dass eine solche generell gut für die Moral war. Seine Männer waren schlecht gelaunt, weil es hier tödlich langweilig war, und obgleich sich die Aggressionen noch in Grenzen hielten, war jeden Tag morgens, mittags und abends das gleiche Essen nichts, was dem zuträglich war. Choi war verantwortlich. Er hatte nichts zu tun, er war abgestellt worden, zumindest fühlte er sich so, und seine eigene Frustration wuchs jeden Tag.
Aber er war verantwortlich.
Also war es an der Zeit, den Schnaps beiseitezustellen. Mit betont exakten Bewegungen verschloss er die Flasche und schob sie von sich, ein symbolischer Akt, der bei Kamgung zu einem beifälligen Nicken führte.
»Ich gehe zu den Bauern. Vielleicht haben die ein paar Reiskuchen, oder Jeonggwa.« Chois Gesicht bekam für einen Moment einen träumerischen Eindruck. Er hatte in den Jahren beim Militär gelernt, sich zu bescheiden und nicht allzu viel Luxus zu erwarten, auch nicht als Offizier, erst recht nicht, seit er offenbar unter strenger und tendenziell eher kritischer Beobachtung stand. Aber Jeonggwa, das war ein kleiner, flüchtiger Genuss, nach dem er sich hin und wieder sehnte. Es waren in Honig gekochte Früchte oder Nüsse, die dadurch lange haltbar waren und manchmal auch gut in den Winter gerettet werden konnten. Wenn er irgendwas anzubieten hatte, was eine Bauersfrau dazu überreden konnte, sich von einem kleinen Vorrat zu trennen – der träumerische Ausdruck wollte sein Gesicht gar nicht mehr verlassen.
»Zu den Kims? Haben hübsche Töchter!« Kamgung schnalzte mit der Zunge. Obgleich er gerne solche Sprüche machte, war er tatsächlich sehr harmlos, sobald er den hübschen Töchtern auch einmal begegnete. Da verhielten sich alle hier stationierten Männer überraschend tadellos. Choi hatte da schon andere Dinge gehört und erlebt, und die meisten davon waren wenig ehrenvoll gewesen.
Indien, erinnerte er sich. Das waren keine schönen Gedanken.
»Ich interessiere mich für Jeonggwa«, sagte der Offizier betont zurechtweisend.
»Ich bin hier der Älteste. Da sollte sinnlose Fresserei meine Präferenz sein.«
»Dir reicht ein Berg Kimchi und eine Tasse Tee.«
Der ältere Mann seufzte. »Es ist wahr. Ich sollte vehement widersprechen, aber es ist wahr. Wenn du Reiskuchen mitbringst, bin ich dankbar, oh tapferer Anführer. Wenn du dieses Honigzeugs beschaffst, dann lasse ich die Finger davon. In meinem Alter setzt das zu schnell an.« Er tappte sich auf den Bauch, der in der Tat aus etwas mehr als nur Muskeln bestand. Und der Dienst hier beförderte das nur. Es wurde so kalt und windig, dass es an vielen Tagen kaum möglich war, sinnvoll auf Streife zu gehen. Stürmten die Schneemassen auf einen ein, konnte man die Hand vor den Augen kaum erkennen. Und in letzter Zeit war es häufig zu Schneestürmen gekommen.
Jetzt aber schien es langsam aufzuklaren. Choi warf einen prüfenden Blick ins Freie, erkannte, wie sich die Konturen der rauen Landschaft deutlicher abzeichneten, der Himmel sich zu zeigen begann. Mit etwas Glück war jetzt für einige Stunden Ruhe und damit genug Zeit, sich auf Handelsmission zu begeben.
»Was haben wir an Geld?«
Kamgung verwaltete die gemeinsame Kasse. Die Bauern konnten im Winter mit den Won nichts anfangen, aber sobald der Frühling kam, wurde auch wieder gehandelt. Dann machte sich ein voller Beutel ganz gut und so war das Ansinnen der Soldaten, ehrlichen Handel zu betreiben, durchaus gerne gesehen. Die Preise waren entsprechend. Aber Choi rühmte sich, kein schlechter Händler zu sein und beim Feilschen zu guten Ergebnissen zu kommen. Daher überreichte ihm Kamgung den kleinen Beutel mit den Münzen, ohne weiter zu zögern. Er wusste das Geld in guten Händen.
Es dauerte keine fünf Minuten und Choi stand im Freien, angetan mit einer dicken, gefütterten Winterjacke, einer passenden Mütze, festen Stiefeln und Handschuhen. Die Winterausrüstung der Armee war von hoher Qualität und schützte vorbildlich, dennoch trieben der beißende Wind und die durchdringende Kälte dem Mann Tränen in die Augen. Er atmete vorsichtig ein, um seine Lunge langsam an die klirrende Luft zu gewöhnen, dann sah er den Weg hinab in Richtung seines Ziels: Das Gehöft des nächstgelegenen Bauern war zu Fuß in etwa zwanzig Minuten zu erreichen und jetzt, da es aufklarte, war es sogar in der Ferne gut zu erkennen. Mit einem leeren Rucksack auf dem Rücken marschierte es sich leicht und so setzte sich der Offizier in Bewegung. Die Kälte vertrieb auch die vom Schnaps ausgelöste Leichtigkeit aus seinem Kopf.
Das war eher bedauerlich.
Es war die Stille, die es hier draußen so eigentümlich machte. Der ständige Schnee dämpfte alle Geräusche und mit seinem oft sehr dichten Gestöber auch die Wahrnehmung durch die Augen. Es war, als wäre alles in Watte gepackt, und wenn es dann auch noch trübe war, schien es, als würde einem alles entgleiten, da es nichts mehr gab, auf das man seine Aufmerksamkeit heften konnte. Jetzt, ohne Schnee und beim Blitzen der Sonne auf der weißen Pracht, verflog dieser Eindruck, und das Knirschen des Weiß unter seinen Sohlen untermalte seinen Marsch nachdrücklich. Er musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte, denn oft genug lag unter den Flocken eine Eisdecke, gerade dort, wo der Weg so uneben war, dass sich Wasser ansammelte, wenn der Schneefall einmal durch Regen ersetzt wurde.
Doch Choi ging hier nicht das erste Mal. Er kannte die Tücken. Die Augen fest auf sein Ziel geheftet, erreichte er das Gelände des Gehöfts in der kalkulierten Zeit. Die Haut auf seinem Gesicht war kalt und fühlte sich taub an, der Rest seines Körpers aber war warm. Die Kleidung isolierte hervorragend und er war mit vollem Bauch gestartet, es gab genug Energie zum Verbrennen. Mit einer Faust hämmerte er gegen die Eingangstür des flachen Gebäudes und Augenblicke später öffnete sie sich. Ein Mann mittleren Alters mit zerknittertem, wettergegerbtem Gesicht und einem sofortigen Erkennen in den Augen. Er schob die Tür ganz auf.
»Ah, der Offizier. Ye-Eun! Hier will jemand sich aufwärmen!«
Die Frau des Hauses, klein, rundlich, mit ähnlich von der Natur gezeichnetem Gesicht und geschäftigen Händen, tauchte auf, als Choi hineingebeten wurde. Ihr Gatte zog sich mit einer höflichen Verbeugung zurück. Geschäftliches überließ er seiner Frau, die mit Geld offenbar besser umgehen und auch hartnäckiger handeln konnte. Es lag wohl an ihrem Lächeln. Man wollte nicht zu rücksichtslos handeln, nicht den Offizier herauskehren, die eigene Autorität zur Geltung bringen, wenn man dieses mütterliche Lächeln sah. Choi ging davon aus, dass Ye-Eun das absolut wusste und diese Gabe mit ihrer eigenen Rücksichtslosigkeit zur Wirkung brachte. Den Offizier weichzulächeln, schien ihm jedoch eine erträgliche Folter, und da die anstehenden Verhandlungen mit einem Platz am Steinofen, einer Tasse Tee und etwas Gebäck begleitet wurden, konnte er ihr beileibe nicht böse sein.
Was bedeutete, dass ihr ein lukrativer Nachmittag bevorstand.
»Wie ergeht es unseren tapferen Kriegern?«, fragte sie, als sie ihm Tee in eine irdene Tasse eingoss, die sie zweifelsohne auch selbst hergestellt hatte.
»Sie langweilen sich tapfer.«
»Lieber Langeweile als der Tod.«
Ye-Eun wusste, wovon sie sprach. Abgesehen von ihren beiden Töchtern hatte sie zwei weitere Kinder, einen Sohn und eine Tochter, beide in den Streitkräften Baekyes tätig. Sie sprach nicht gerne über sie, war vorsichtig in Gegenwart eines Offiziers, aber es bedurfte nicht vieler Worte, um zu verstehen, was sie vom Wehrdienst hielt, der jeden jungen Bürger des Landes an die Waffe rief, und das für mindestens vier Jahre. Choi berührte das Thema nicht. Er wusste nicht einmal, was er selbst davon hielt. Das Buch der Revolution, das er immer noch bei sich trug, stellte auch nur Fragen. War es notwendig, dass ein jeder zum Krieger wurde? War es notwendig, dass die Zukunft Baekyes der permanenten Gefahr des Todes ausgesetzt wurde? Musste man den jungen Menschen so viele Jahre ihres Lebens rauben und manchmal sogar gleich alle? Der Geliebte Marschall schien dieser Ansicht zu sein und im Regelfall widersprach man dieser besser nicht.
»Was kann ich denn heute für Sie tun?«
»Wir würden gerne ein paar Nahrungsmittel erwerben«, sagte Choi lächelnd. Sie tranken beide ihren Tee, wohl wissend, dass die Verhandlungen soeben begonnen hatten.
»Ich weiß nicht, was ich so dahabe … der Winter ist diesmal doch sehr streng.«
»Ist es nicht milder als sonst?«
Die Frau sah ihn tadelnd an. »Sehr streng, sage ich. Meine alten Knochen sagen die Wahrheit.«
»Natürlich«, beeilte sich Choi und trank noch etwas Tee. »Reiskuchen vielleicht? Einer meiner Männer brachte sein Bedürfnis nach Jeonggwa ins Spiel. Ich dulde so was natürlich normalerweise nicht.«
»Es macht schwach und verweichlicht!«, bestätigte Ye-Eun ernst. »Wir wollen das auf jeden Fall vermeiden.«
»Andererseits, ich muss die Moral beachten.«
»Moral ist gewiss wichtig.«
»Gibt es irgendwas, was Sie mir anbieten können?«
»Hm, hm.«
Die Bäuerin erhob sich, ging durch eine schmale Tür in einen anderen Raum, ein Ort, den Choi niemals betreten hatte. Er wusste, dass sich dort die Vorratskammer befinden musste. Er würde sie nicht zu Gesicht bekommen, schlug er damit doch Ye-Eun eine wichtige Grundlage ihrer Verhandlungstaktik aus den Händen: das Lamento über schwere Zeiten und strenge Winter.
Er wollte nicht ungerecht sein. Es waren schwere Zeiten. Und es war verdammt kalt da draußen.
Die Frau kam zurück, diesmal mit einer Kiste in den Händen, die sie mit einem betonten Ächzen auf den Tisch stellte. Heraus beförderte sie mit leidvoller Miene einige der Reiskuchen, auf die Choi seine Hoffnung gesetzt hatte, sowie, ebenfalls in eine Art Pergamentpapier eingeschlagen, jene Süßspeisen, auf die er sein besonderes Augenmerk richtete. Sie wirkte dabei sehr kummervoll. Natürlich würde sie diese Vorräte nur sehr widerwillig an Choi weitergeben, da sie damit das Überleben ihrer Familie aufs Spiel setzte, und allein ihre unverbrüchliche Treue zum Geliebten Marschall brachte sie überhaupt dazu, die dafür angebotenen Münzen in aller Demut entgegenzunehmen.
Das alles verstand sich von selbst. Dennoch, es musste immer mal wieder erwähnt werden, damit der Offizier es ja nicht vergaß.
Am Ende der Transaktion hatte Ye-Eun ihn um Münzen erleichtert, mehr, als er vorher auszugeben bereit gewesen war, und er sie um Vorräte, die ausreichen würden, den Männern bei maßvoller Verteilung bis zum Eintreffen des Karrens mit dem Nachschub etwas Abwechslung zu gewährleisten. Choi missbrauchte seine Privilegien als Offizier in schamloser Weise, als er einen kleinen Beutel mit Jeonggwa in seine Jackentasche steckte. Unter den 17 Männern, die er hier befehligte, waren Fressmaschinen, die ohne jede Rücksicht bereit waren, jede Delikatesse in Sekundenschnelle zu vertilgen, soweit sie der Allgemeinheit zur Verfügung stand – und das, ohne den Genuss dieser auch richtig zu würdigen. Es war sein Selbsterhaltungstrieb, der Choi zu dieser beinahe schon verzweifelten Tat trieb.
»Noch etwas Tee?«
»Gerne.«
Ye-Eun lächelte wie eine sehr zufriedene Katze, als sie dem Mann eingoss.
»Der Winter ist bald vorbei«, sagte sie.
»Er neigt sich dem Ende zu«, bestätigte Choi und blies auf das dampfende Getränk. Über das Wetter zu reden, war gerade für Bauern von essenzieller Bedeutung. Für ihn war kalt einfach nur kalt und Schnee einfach nur Schnee. Aber er musste ja auch keine Böden bestellen, Pflanzen pflegen und Vieh füttern, also war das zu entschuldigen.
»Dann ist es an der Zeit weiterzuziehen«, sagte Ye-Eun betont. »Die Zeit des Wartens ist vorbei und es ist jetzt alles gerichtet. Eine große Aufgabe steht Ihnen bevor, junger Mann.«
Choi sah sie verwirrt an. Der Tonfall der Bäuerin hatte eine seltsame, tief greifende Wandlung erfahren. Darin lag nun eine alles andere als beiläufige Bedeutung, deren Sinn sich ihm aber entzog. Wie kam sie dazu, solche Worte zu sprechen?
»Ich verstehe nicht.«
»Nein?« Die Frau lächelte wieder, diesmal nicht zufrieden, sondern eher amüsiert. »Hier!«
Sie griff in die Kiste und zog anstatt eines Reiskuchens ein Büchlein hervor. Choi musste es nicht entgegennehmen und aufschlagen, um zu wissen, worum es sich handelte, er erfasste es mit einer nahezu instinktiven Gewissheit. Dennoch nahm er es entgegen, las die ersten Sätze der ersten Seite, nur um sich auf keinen Fall zu täuschen. Ja, es stimmte. Es war das Werk jener unbekannten Autoren, die das Handbuch jener Revolutionäre verfasst hatten, auf dessen Besitz allein mit großer Sicherheit die Todesstrafe stand.
Choi war kein dummer Mann. Und so begann er langsam zu verstehen. Die Worte der Bäuerin ergaben einen plötzlichen Sinn. Die Dinge fügten sich zusammen. Dennoch beschloss er, weiterhin zu schweigen. Vielleicht bekam er jetzt endlich klare Antworten auf seine Fragen. So bezähmte er seine plötzliche Erregung, nickte, legte das Buch hin, schob es in die Richtung der Frau, nahm die irdene Tasse, pustete, schluckte, alles in einem Ausdruck äußerlicher Gelassenheit, für den er sich sogleich gratulierte.
Er hatte dieses Verhalten zur Perfektion entwickelt. Eigentlich nur für den Fall, dass er auf besonders fanatische Loyalisten traf und deren Reden ertragen musste, ohne seinem Reflex zu folgen, ihnen den Hals umzudrehen. Aber gelernt war gelernt.
»Nun?«, fragte die Frau.
»Sie hätten vorher schon etwas sagen sollen.« Choi blieb ganz ruhig, obgleich das Unverständnis über seine lange, erzwungene Untätigkeit gewiss hindurchschimmerte. »Es ist sehr kalt hier.«
»Kalt und abgelegen und ignoriert«, sagte die Bäuerin. »Und die letzten Vorbereitungen sind zu erledigen gewesen und die Gruppe musste komplettiert werden. Es dauert alles seine Zeit, weil wir wirklich sehr, sehr vorsichtig sein müssen. Der Geheimdienst ist überall, beobachtet alles und jeden. Die Wachstation hier oben, mit einer Gruppe von etwas heruntergekommenen Versagern, ist einer der ganz wenigen schwarzen Flecken auf der Landkarte, ein Ort, den wir mühsam etabliert, beschützt und getarnt haben. Ihn zu nutzen, bedarf größter Sorgfalt. Allergrößter Sorgfalt. Und Sorgfalt bedarf der Zeit. Ich entschuldige mich nicht dafür, dass Sie sich haben langweilen müssen.«
»Ich will gar keine Entschuldigung. Ich wollte nur eine Erklärung.« Die Frau nickte. Choi fragte: »Also, was soll jetzt geschehen?«
»Wir haben Arrangements getroffen. Es wird eine Besprechung verschiedener Aufgaben geben. Es wird Zeit, zu handeln und das Schlimmste zu verhindern.« Sie sah ihn prüfend an. »Sind Sie bereit dafür?«
»Das ist eine seltsame Frage, wenn ich doch gar nicht weiß, worum es genau geht«, sagte Choi. Erneut musste er ein wenig Ungeduld niederkämpfen. Er verstand ja, dass man in der Position als Gegner des Systems manchmal nur sehr kryptische Worte benutzte, aber wenn dies eine Art sicherer Hafen des Widerstands war, dann sollte es doch auch der Ort sein, an dem man offen über die anstehenden Pläne sprach. Alles war riskant. Die bloße Tatsache, dass er mit dieser Frau sprach, genügte bereits für die Todesstrafe. Es konnte von da ab an wirklich kaum noch schlimmer kommen.
»Dann habe ich erst einmal eine gute Nachricht für Sie. Sie werden befördert.«
Choi wusste nicht, ob das wirklich eine so gute Nachricht war. Gewiss, er war sozusagen überfällig, selbst wenn man die Beschmutzung seiner Akte durch den Aufenthalt im Umerziehungslager mitberücksichtigte. Aber er hatte sich bereits damit abgefunden und alle großen Ambitionen ad acta gelegt. So gesehen kam diese Information zumindest überraschend.
»Befördert, gut. Und eine neue Dienstposition?«
»Das ist zutreffend. Eine neue Position in der Hauptstadt.«
Das traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er wusste gar nichts darauf zu sagen, starrte die Frau einen Moment ratlos, ja überrumpelt an. Die Hauptstadt. Das war nicht irgendein Ort, irgendein Posten. Es war … die Hauptstadt!
Verdammt!
»Pjöngjang? Ich?«
»In der Tat.«
Das war keine richtig gute Nachricht. Als eine der ältesten Städte dieser Region hatte sich Pjöngjang, nach allem, was man hier durch die Zeitreisenden von der Zukunft erfahren hatte, als Hauptstadt durchgesetzt. Weil sie das auch in ihrer Zeit war und weil … nun, der Geliebte Marschall es eben so befohlen hatte.
Und es war damit kein Ort, den man einfach so besuchte. Da dort die geheiligte Person des Geliebten Marschalls residierte, wurde der Zugang sehr restriktiv gehandhabt. Nur Bürger mit einem Passierschein konnten die Metropole betreten. Den Passierschein bekam man auf unterschiedlichen Wegen, Voraussetzung war aber in jedem einzelnen Fall eine sehr intensive und zeitaufwendige Sicherheitsprüfung. Und jemand, der einmal in einem Lager gesessen hatte … nein, das war im Grunde ganz ausgeschlossen.
»Das kann ich nicht glauben.«
Die Bauersfrau nickte verständnisvoll.
»Jetzt verstehen Sie gewiss, warum wir so viel Zeit benötigt haben. Sie wurde dringend gebraucht, um die Hürden zu überwinden, die Sie sich gerade, nicht unberechtigt, ausmalen.«
»Was soll ich in der Hauptstadt tun?«
»Wir müssen etwas über den Großen Plan erfahren.«
Choi runzelte die Stirn. Er hörte das allererste Mal von diesem Begriff, konnte ihn nicht einordnen. Alles in Baekye war, soweit es vom Marschall kam, irgendwie »groß«, tatsächlich war dieses Adjektiv angesichts der sonst weitaus blumigeren Lobpreisungen und Beschreibungen eher als bescheiden und zurückhaltend zu bewerten.
»Ich habe davon noch nie gehört.«
»Wir auch erst vor Kurzem, und allein für die Preisgabe der bloßen Existenz dieses Vorhabens starben zwei Menschen.« Ye-Eun sagte es mit unbewegter Stimme. »Wir wissen nur, dass es eine Sache ist, die militärische Auswirkungen hat, machtpolitische Konsequenzen, etwas, das die oberste Ebene um den Marschall in große Aufregung, ja Begeisterung versetzt. Gewiss in große Erwartung. Wir müssen es wissen, damit wir einschätzen können, ob es zu verhindern ist. Es wird Zeit, dass wir handeln.«
»Und mich haben Sie dafür auserkoren?«
»Sie und die siebzehn, die wir hier versammelt haben.«
Choi starrte sie an.
»Wie bitte?«
Ye-Eun lächelte, es war nicht das warme Lächeln einer wohlmeinenden Bauersfrau. Es war das Lächeln eines Raubtiers, das sich darüber freute, dass seine Beute die eigene Situation zu erkennen begann. Choi fühlte sich angesichts dieser Mimik ein klein wenig unwohl. Schnell nahm er noch einen Schluck Tee. Der war jetzt kalt und bitter. Das machte ihm alles keine Freude mehr.
»Sie haben sich gewiss gefragt, warum man Sie hier so hat leiden lassen.«
»Die Frage drängte sich mir auf.«
»Sie werden alle an unterschiedlichen Stellen in der Hauptstadt einsickern. Es hat lange gedauert, für alle Passierscheine zu erhalten und damit eine ausreichende Tarnung. Wir durften nichts erfinden, wir mussten auf Gelegenheiten warten. Eigentlich hatten wir mit mehr gerechnet. Ursprünglich bestand die Gruppe aus 25 Leuten.«
»Was geschah mit den restlichen acht?«, wagte Choi die Frage.
»Sie haben es nicht geschafft.«
Choi sah die Frau an, deren Gesicht mit einem Mal eine Totenmaske war, ermahnte sich selbst, keine unnötigen Nachfragen zu stellen. Wenn bereits in der Vorbereitung dieser beachtlichen Aktion mehr als ein Fünftel der Widerständler entdeckt und getötet worden waren oder, was wahrscheinlicher war, sich selbst vor unausweichlicher Entdeckung aus dem Spiel gebracht hatten, dann sagte das alles, was er über das Risiko wissen musste.
»Angst? Rückzieher?«, fragte sie.
»Nein. Aber danke für die Möglichkeit.«
»Es war nur eine Frage. Ein Rückzieher wäre ein Risiko an sich. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut wäre, wenn Sie das überleben. Allein schon deswegen, weil es nach all der Arbeit schwierig wäre, Sie woanders unterzubringen, ohne Verdacht auszulösen.«
Sie sagte es ohne sichtbare Anteilnahme. Wie sehr man sich doch in einem Menschen irren konnte. Und wie kalt dieses System alle darin machte, sowohl jene, die es unterstützten, wie auch jene, die sich gegen es wandten.
Er beugte sich nach vorne.
»Ich weiß, dass ich nicht erfahren werde, wer diese Infiltration geplant hat«, begann er. »Aber Sie wollten 25 schicken und entsenden jetzt 17. Ehrliche Frage, ehrliche Antwort: Von wie vielen von uns erwarten Sie, dass wir diese Mission überleben und danach jemals wieder eine weitere werden antreten können?«
Auf das Gesicht der Frau stahl sich nun ein bedauerndes Lächeln.
»Tja«, machte sie, schüttelte den Kopf. »Es gibt da unterschiedliche Sichtweisen. Wir haben wenig Vergleichsmöglichkeiten, eine solche Operation haben wir vorher noch nie geplant. Es gibt viele Unwägbarkeiten, auf so vielen Ebenen, und …«
»Wie viele?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn es einer von Ihnen schafft, sind wir bereit, es als Erfolg anzusehen.«
Sie sah ihn abwartend an, seine Reaktion genau abschätzend. Choi sagte für einen Moment gar nichts, dann nickte er.
»Das Gebäck ist gut«, murmelte er.
Da war wieder dieses mütterliche Lächeln, so falsch wie hier fast alles.
»Danke, ich habe es selbst gemacht. Ein altes Familienrezept.«
Und dann war es Zeit für den Rückweg.