Kitabı oku: «Eine illegitime Kunst», sayfa 5

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Klassenunterschiede und sich bewußt unterscheidende Klasse

Mithin ist das Verhältnis der Photoamateure – vor allem der ambitioniertesten – zur Photographie niemals unabhängig von ihrem Verhältnis zu ihrer Gruppe (oder, wenn man so will, vom Grad ihrer Integration in die Gruppe) und von ihrem Verhältnis zur modalen Praxis ihrer Gruppe (in dem ihre Lage innerhalb der Gruppe zum Ausdruck kommt), die ihrerseits eine Funktion der Bedeutung und des Platzes ist, die der Photographie von der Gruppe zugewiesen werden. Diese Zuordnung hängt einerseits von dem gruppenspezifischen System impliziter Werte sowie der Position der Photographie innerhalb des Systems der schönen Künste ab (die sich mit der Lage der Gruppe gegenüber diesem System ändert), andererseits von der Bedeutung und dem Platz, die die anderen Gruppen aufgrund derselben Logik der Photographie zuschreiben.

Und schließlich ist die – technisch wie ökonomisch – extrem leichte Zugänglichkeit des Mediums zu berücksichtigen. In der Tat unterscheidet sich das Photographieren ebenso von solchen Tätigkeiten, die zwar kostspielig sind, aber keinerlei intellektueller Vorbereitung bedürfen (z.B. der Tourismus), wie von den zwar erschwinglichen, aber nur jenem Personenkreis vorbehaltenen Beschäftigungen, der über bestimmte Grundkenntnisse verfügt (z.B. dem Besuch von Museen). Anders gesagt, nichts ist weniger esoterisch als das Photographieren, da es genügend preiswerte Kameras mit geringem Bedienungsaufwand gibt, und da die Neigung (und nicht lediglich die Befähigung) zu deren Gebrauch nicht das Ergebnis einer praktischen oder theoretischen Bildung ist. Daraus folgt, daß die Bedeutung, die dieser leicht zugänglichen Praxis verliehen wird, mitkonstituiert ist durch den – vorwiegend – negativen Vergleich mit der üblichen Praxis. Die verschiedenen Gruppen einer geschichteten Gesellschaft können die photographische Praxis unterschiedlichen Normen unterwerfen, welche zumindest darin übereinstimmen, daß sie (in je besonderer Weise) von jener Norm abweichen, welche die gängige Praxis reguliert. Das ist der Grund, warum die Photographie ein aufschlußreiches Beispiel für die Logik der Bemühung um Andersartigkeit um der Andersartigkeit willen ist oder, wenn man so will, für die Logik eines Snobismus, der kulturelle Tätigkeiten nicht an sich und für sich wahrnimmt, sondern einzig in und aufgrund einer Beziehung mit den Gruppen, die ihnen nachgehen. Dieser Differenzierungsmechanismus veranlaßt einen Teil der Angehörigen der Mittelschichten dazu, Originalität in der engagierten Beschäftigung mit einer Photographie zu suchen, die ihrer familialen Zwecksetzungen entkleidet ist, während er einen Teil der Angehörigen der Oberschicht von diesem Engagement abhält, dem das Odium des Gewöhnlichen anhaftet, weil es weit verbreitet ist.

Die bäuerliche Gesellschaft ist genügend stark integriert und ihrer Werte hinreichend sicher, um bei ihren Mitgliedern das Gebot der Konformität durchzusetzen und jeden Versuch zu vereiteln, sich durch Nachahmung der Leute in der Stadt von den anderen Mitgliedern ihrer Gesellschaft zu unterscheiden. Somit können weder die ökonomischen Hemmnisse, etwa die hohen Kosten der Ausrüstung, noch die technischen Hindernisse erklären, warum das Photographieren im bäuerlichen Milieu eher die Ausnahme ist.47 Die Bauern nutzen die Photographie lediglich als Konsumenten, noch dazu in selektiver Weise, und sie können auch gar nicht anders, weil das System der Werte, an denen sie teilhaben und die um ein bestimmtes Bild vom »typischen« Bauern angeordnet sind, ihnen untersagt, selbst zu photographieren und sich so mit den Städtern zu identifizieren.

Die Photographie erscheint hier als Luxus. Das bäuerliche Ethos macht es zur Pflicht, Geld zunächst in die Vergrößerung des ererbten Besitzes oder zur Erneuerung des landwirtschaftlichen Geräts und erst dann in Verbrauchsgüter zu investieren. Mehr noch: Jede Neuerung ist suspekt in den Augen der Gruppe, und zwar nicht nur als Absage an die Tradition, sondern vor allem deshalb, weil hinter ihr die Absicht, sich zu unterscheiden, sich von den anderen abzuheben, die anderen zu beeindrucken oder auszustechen, vermutet wird. Diese Prinzipientreue beherrscht die gesamte gesellschaftliche Existenz und hat mit Egalitarismus nichts zu tun. Im Grunde haben Ironisierung, Spott und Dorfklatsch den Zweck, den Aufschneider oder den Prahlhans, der mit seinem Versuch, Neuerungen einzuführen, anscheinend der ganzen Gemeinde eine Lektion erteilen oder sie herausfordern möchte, zur Räson zu bringen, d.h. zu Konformität und Gleichförmigkeit anzuhalten. Ob er diesen Vorsatz tatsächlich hegt oder nicht, der Verdacht bleibt auf ihm sitzen. Unter Rekurs auf die Erfahrungen der Vergangenheit und indem man alle anderen Gruppenmitglieder als Zeugen anruft, soll öffentlich bekräftigt werden, daß die Neuerung keinem wirklichen Bedürfnis entspringt.

Die kollektive Mißbilligung weist jedoch je nach Art der Innovation und dem Bereich, in dem sie auftritt, feine Nuancen auf. Betrifft sie den Bestand der landwirtschaftlichen Techniken und Anbauweisen, so wird niemals vollständig und schonungslos verworfen, da man dem Neuerer den Rechtsvorteil des Zweifels einräumt: Sein Verhalten könnte ja, gegen den Anschein, einer höchst lobenswerten Absicht entspringen, nämlich dem Wunsch, den Wert des ererbten Besitzes zu erhöhen – er handelt dann zwar gegen die bäuerliche Tradition, aber er handelt als Bauer. Auch kann sich die moralische Verurteilung in die Sprache der Skepsis des Technikers und des »Mannes von Erfahrung« kleiden: Die Strafe wird aus dem Gang der Dinge selbst folgen. Da der Neuerer das Risiko auf sich nimmt, einen Fehlschlag zu erleiden und sich lächerlich zu machen, verdient er immerhin Respekt.

Allerdings empfindet die Gemeinde jede Neuerung, von der sie argwöhnt, daß sie der rationalen oder plausiblen Rechtfertigung entbehre, als Provokation oder Ketzerei. Tatsächlich zwingt ein großtuerisches oder als solches gedeutetes Verhalten ähnlich wie ein Geschenk, das jedes Gegengeschenk ausschließt, die Gruppe in die Lage der Unterlegenheit und kann nur als Affront erlebt werden, der ihre Selbstachtung verletzt. In diesem Fall erfolgt die Sanktion unverzüglich: »Was der sich einbildet!« »Für wen hält er sich?«

Die Mißbilligung ist indes nicht bloß abhängig von der Art der Neuerung, sondern auch von der Situation und dem Status des Neuerers. Da man sie mit dem Leben in der Stadt in Verbindung bringt, vermutet man in der Photographie die Imitation städtischer Gewohnheiten. Sie wirkt als Ausdruck der Lossagung – als Gestus des Parvenüs. Ihn sieht man so, wie der Landmann die »Urlauber« sieht, d.h. die abgewanderten Dorfbewohner, die im Sommer zurückkehren, um hier ihre Ferien zu verbringen. Noch die beiläufigste ihrer Handlungen wird zum Gegenstand von Kommentaren, und selbst ein geringfügiger Verstoß gegen die Bräuche wird ihnen als Dünkel und Provokation ausgelegt:

»Im allgemeinen hat man die Amateurphotographen scheel angesehen. Dazu muß man sagen, daß der Eindruck entstand, als würden sie sich über die Bauern lustig machen, die mitten bei der Arbeit waren. Und überhaupt, die waren ja bloß zum Urlaub hier ...«

»M.F. hat Photos gemacht und wollte mich dauernd aufnehmen. Das war vielleicht ein Zirkus! [...] Ich habe sie abblitzen lassen, weil ich Angst hatte, daß die anderen sich über mich lustig machen würden. Ich habe mich geniert, weil meine Mutter gesagt hat: ›Sie spielt sich auf, sie kommt nur von Paris, um hier anzugeben.‹ In Paris leben, mit einer jämmerlichen Stelle, nichts zu beißen haben, aber mit einem Photoapparat ankommen! [...] Damit hatte die jedes Maß verloren. Sie wollte immer Familienbilder machen, aber meine Mutter ging gar nicht darauf ein: ›Das ist alles Angeberei. Sie kommt mit ihrem Apparat an, um aufzufallen, damit alle Welt weiß, daß sie in Paris ist‹, usw. Man darf eben nicht aus der Reihe tanzen und auffallen.«

Die Beschäftigung mit der Photographie wird gerade dort vehement mißbilligt, wo sie – in ihrer Funktion als Statusattribut – den Versuch auszudrücken scheint, einer gesellschaftlichen Stellung minderen Ranges zu entrinnen: »Ein Dienstmädchen, und so was will photographieren!« Dem Ehrgeiz, sich zu unterscheiden, setzt man die Mahnung an die gemeinsame Herkunft entgegen: »Wir wissen, woher er kommt.« »Sein Vater ging noch in Holzschuhen!« Die Photographie, ein leichtsinniger Luxus, erscheint den Bauern als ein lächerlicher Barbarismus. Sich dieser kostspieligen Marotte des Städters hinzugeben, wäre etwa so, als wollte man an den Sommerabenden, wie die Pensionäre in der Kleinstadt, Arm in Arm mit seiner Frau einen Spaziergang durchs Dorf machen.

»Ein Bauer, der Photos macht, daß ich nicht lache! Das überlassen wir besser den Leuten in der Stadt! Henri [mein Sohn] macht welche, aber der ist auch kein geborener Bauer. Wenn man nach der Arbeit fix und fertig ist, das gäbe ein schönes Photo!« »Ich habe noch nie einen Bauern gesehen, der regelmäßig Photos macht. Wenn einer von ihnen ausnahmsweise den Mut dazu hätte, z.B. am Hochzeitstag mit einem solchen Apparat herumzuhantieren, würde er sich lächerlich machen. Weiß Gott, sie können eben besser mit dem Pflug umgehen! Es gibt ein paar Frauen aus sehr guten Familien, die vor einer Hochzeit Photos aufnehmen, aber das ist eigentlich selten, und sie fallen auf. Sie spielen sich auf, diese Angeberinnen! Bei denen wird kein Bild was!« »Die Bauern, die ich kenne, haben Besseres zu tun, als mit so einem Gerät umzugehen, vor allem die kleinen wie wir. Das ist wohl ein teurer Spaß. Dazu muß man gut betucht sein, und das ist keiner von denen, die ich kenne.« »Auf dem Land gibt es kaum welche, die einen Photoapparat umhängen haben. [...] Aber es gibt viele, die einen Brotbeutel über der Schulter tragen, und den brauchen sie auch. [...] Das ist alles eine Mode. [...] Wer dafür keinen Sinn hat, der kümmert sich gar nicht erst darum.« »Man geniert sich, Aufnahmen zu machen. Teils schämt man sich, teils liegt es am eigenen Ungeschick. Das ist etwas für die Feriengäste, das gehört nicht aufs Land. Ein Bauer, der sich mit einem Photoapparat über der Schulter sehen ließe, das wäre ein verhinderter Herr. Um mit diesen Apparaten umgehen zu können, braucht man feine Hände. Und die Kröten? So was ist teuer. Das geht ins Geld, bis man den ganzen Krempel beisammenhat.«

Kurz, wer photographieren wollte, würde den Städter nachahmen oder, wie man sagt, »den feinen Herrn markieren«. In der Tat stellt man seit jeher dem Bauern den »Herrn« gegenüber. Der Bauer von früher, der etwas auf sich hielt, grenzte sich ebenso vom »verbauerten« Bauern ab, vom »Hinterwäldler«, wie vom »verbürgerlichten« Bauern. Zwar sah man darüber hinweg, wenn ein Bauer sich so sehr in seine Arbeit verbissen hatte, daß er darüber bestimmte gesellschaftliche Pflichten vergaß; aber das kollektive Urteil war erbarmungslos gegenüber jedem, der auf den Gedanken verfiel, »den Herrn zu spielen«, und seine Aufgaben als Bauer vernachlässigte. »Sich zum Herrn machen«, das bedeutet einen zweifachen Verstoß gegen die fundamentalen Gebote der bäuerlichen Moral, nämlich sowohl als Mitglied der Gruppe wie auch als Bauer aus der Reihe zu tanzen, indem man seine Herkunft verleugnet. Dem Städter, der der Gruppe gänzlich fremd ist, gesteht man die »Abweichung« zu; sie gehört zu dem stereotypen Bild, das man sich von ihm macht. Der Photoapparat ist eins der Attribute des »Urlaubers«. Man macht – nicht ohne Ironie – dessen Launen mit, wirft sich vor seinem Ochsengespann in Positur und denkt sich: »Sie haben zuviel Zeit und zuviel Geld.« Gegenüber den im Ort Geborenen, die jetzt in der Stadt leben, ist man weniger tolerant, und noch weniger gegenüber den Bewohnern des nächsten Marktfleckens, von denen man argwöhnt, daß sie nur photographieren, um für Städter zu gelten. Anders ausgedrückt, nicht die Beschäftigung mit der Photographie generell wird abgelehnt: als Marotte und Liebhaberei des Städters paßt sie sehr gut zu den »Fremden«, freilich nur zu diesen. Was man für absolut verwerflich hält, ist der Gebrauch der Photographie als Mittel, sich von der Gruppe und der Lebenswelt der Bauern zu distanzieren.48 Genau genommen geht es darum, undiskutierte und bedingungslose Zustimmung zu einem System willkürlicher Regeln, die das Verhalten des Bauern von Grund auf prägen, sicherzustellen. Das wird ganz deutlich an dem folgenden Dialog zwischen zwei Bewohnern von Lesquire, für den das unaufhörliche Schwanken zwischen der schlichten Berufung auf die soziale Norm, jeweils willkürlich und unvermittelt, und dem Rückgriff auf Erklärungen aus Zweitursachen oder – gründen, denen das reale Verhalten widerspricht (vgl. das Schema auf den folgenden Seiten),49 charakteristisch ist.

Wie man sieht, kommen die Werte der bäuerlichen Gesellschaft in den Zugeständnissen und Ausnahmen ebensogut zum Vorschein wie in den Geboten und Verboten. Soweit die Photographie dort akzeptiert wird, wo ihre Funktion in der Aufrechterhaltung der sozialen Beziehungen besteht, sofern sie als oberflächliche und daher nur dem Städter angemessene Beschäftigung für die Dauer der Adoleszenz toleriert wird, folgen diese Zugeständnisse gegenüber der Regel jenen Werten, an denen auch die Regel teilhat.






Die Heranwachsenden haben stets ein Anrecht auf erlaubte, d.h. symbolische und träumerische Unbekümmertheit gehabt. Früher profitierten die Jugendlichen insbesondere von der normierten Freiheit traditioneller Feste, etwa des Karnevals; bis heute sind sie für frivole Unternehmungen »zuständig«, ihnen obliegt die Organisierung und Vorbereitung von Festen, oder sie treiben Sport, während die Wahrnehmung von ernsthaften Angelegenheiten, beispielsweise von Gemeindeinteressen, bei den Erwachsenen liegt. Es verhält sich mit der Photographie wie mit dem Tanzen und den Techniken der verliebten Werbung, ja des Amüsements überhaupt. Bei den Jüngeren durchaus gebilligt, werden diese Praktiken mit der Eheschließung aufgegeben, die einen tiefen Einschnitt in die Existenz bezeichnet. Von einem Tag zum anderen ist es vorbei mit den Tanzvergnügen, den Ausflügen und der Photographie, die mit beiden gelegentlich verbunden war.

»Sie machen Photos, wenn sie sich verlieben, wenn Tänze veranstaltet werden. Natürlich, wenn man jung ist, tauscht man Photos aus; nach 25 Jahren sieht alles ganz anders aus, da hat man andere Sorgen im Kopf.« »Sobald ein Paar auf dem Land geheiratet hat, muß es sich um andere Dinge kümmern. B., der größte Bauer in der Umgebung, hat während seiner Verlobung und in der ersten Zeit nach der Hochzeit noch Photos gemacht. Heute müssen sie den Gürtel noch enger schnallen als wir Kleinbauern. Solche Flausen vergehen einem schnell, wenn die familiären Sorgen kommen, genau wie die Lust, auswärts tanzen zu gehen. Meiner Meinung nach ist das ganz normal. Und schließlich die Photographie: dafür sind die Berufsphotographen da, jedenfalls für die feierlichen Anlässe.«

So wird die Photographie als Objekt wie als Praxis immer nach der Logik jenes Systems impliziter Werte reinterpretiert, das die ländliche Gesellschaft beherrscht. Das photographische Bildnis, eine Innovation, deren man sich bedient, ohne sie ganz und gar gutzuheißen, wird von dieser Gesellschaft so weit übernommen, als es für sie eine Funktion zu erfüllen vermag. Bei den Heranwachsenden als Spielerei ohne Konsequenzen und Beständigkeit geduldet, den Frauen oder Familienmüttern gern zugestanden, weil sie in deren Händen gesellschaftlich vereinbarten Zwecken dient, widerspricht die photographische Praxis jedoch den männlichen Werten, die das Bild des typischen Bauern bestimmen; sie greift das Gebot der Konformität an, jenes ungeschriebene Gesetz, von dem das gesamte soziale Leben auf dem Land geprägt ist. Wenn das Bedürfnis, sich durch Nachahmung des Städters von anderen zu unterscheiden, gnadenlos mißbilligt und unterdrückt wird, weil man in ihm eine Herausforderung und einen erklärten Bruch mit der Gruppe erblickt, dann nicht zuletzt deshalb, weil diese Gesellschaft sich im Belagerungszustand erlebt und ihre Existenz verteidigt, indem sie sich versagt, der Lockung städtischer Werte nachzugeben.

Der Differenzierungsprozeß, den die Dorfgemeinschaft stets zu verhindern oder zu kontrollieren sucht, kann sich innerhalb der städtischen Gesellschaft frei entfalten. In der Logik der Bestätigung durch das Gegenteil fungieren die Unterschichten der großen Städte als fester Vergleichsmaßstab oder, genauer, als Kontrastmittel, was sich damit erklären läßt, daß die Photographie, anders als die sublimen kulturellen Tätigkeiten, anscheinend allen zugänglich ist. Die Praxis der Unterschichten, die unmittelbar und ausnahmslos den traditionellen Kodes unterworfen bleibt, verdankt die Mehrzahl ihrer Merkmale, insbesondere ihre relative Homogenität, dem Einfluß ökonomischer Hemmnisse, die sich bei Angestellten und Arbeitern etwa gleich stark bemerkbar machen.50 Die relativ wenigen Photoamateure sind meist Saisonkonformisten, die geringe Anzahl der Engagierten erscheint als abweichende Randgruppe. In ihrer Intensität beschränkt, versagt sich diese Praxis überdies außergewöhnlichen Ansprüchen: Sie ist dazu verurteilt, den traditionellsten Funktionen zu dienen. Sie meidet die besonders anspruchsvollen Mittel oder geht jedenfalls sparsam mit ihnen um. Das gilt vor allem für den Gebrauch des Farbfilms, freilich nicht allein wegen dessen Kosten, sondern auch, weil die Farbphotographie im allgemeinen mit einer Erweiterung des Bereichs des Photographierbaren einhergeht, einer Erweiterung, die an Reisen gekoppelt ist. Solange man vom Photo nichts anderes verlangt als die Fixierung einer wiedererkennbaren Erinnerung (und die Gewohnheit erwartet von einem Familienphoto nichts anderes), genügt eine Schwarzweiß-Aufnahme.51 In diesem Fall verdammt die mindere technische Ausstattung zu einer unzulänglichen Praxis, gleichzeitig bringt sie die Ergebung in eine solche Praxis zum Ausdruck.52

Der Wert, der der Photographie beigemessen wird, gründet darin, daß sie den Forderungen nach Realismus und Lesbarkeit genügt und besser als die Malerei (jedenfalls die moderne) den ästhetischen Erwartungen entspricht. So wird sie häufig zum Objekt einer ungebrochenen und gegenüber den Verhaltensregeln, die den ästhetischen Konsum der gebildeten Klasse bestimmen, gleichgültigen Zustimmung – zweifellos deshalb, weil man sich die Frage nach ihrer Zugehörigkeit zum Universum der Kunst nicht stellt, weil man sie nicht als Kunstwerk befragt und weil man nicht im Traum daran denkt, sie zu den erhabenen Künsten in Relation zu setzten, deren Legitimität man anerkennt, ohne daß sich dadurch das Urteil über die Photographie ändern würde. Das wird ganz deutlich an den Unsicherheiten und Widersprüchen in den Meinungen von Arbeitern zu unterschiedlichen Einschätzungen der Photographie, die ihnen vorgelegt wurden: Während es viele von ihnen ablehnen, sie für eine Kunst zu halten53, und in ihr ein Verfahren ohne Schwierigkeiten und Geheimnisse sehen, das anzuwenden keinerlei Begabung voraussetzt54, stimmen sie ebenso zahlreich Bewertungen zu, die die Photographie über die Malerei stellen.55

Diese Widersprüche sind eher scheinbar und im Grunde genommen auf den Umstand zurückzuführen, daß erst die Problembeschreibung des Meinungsforschers und die Untersuchungssituation eine für die Unterschichten fiktive und artifizielle Fragestellung hervorbringen, nämlich die nach dem ästhetischen Wert der Photographie.56 So läßt z.B. die Tatsache, daß die Mehrzahl der Arbeiter bei der Ausschmückung der eigenen vier Wände der Photographie denselben Rang wie der Malerei einzuräumen geneigt ist, gleicherweise die Schlüsse zu, daß die Photographie für sie eine Kunst ist, daß sich für sie das Problem der Kunst bei der Photographie überhaupt nicht stellt, und daß eine bestimmte Art der Photographie den Normen einer »Ästhetik« unterliegt, deren man als solcher gar nicht habhaft werden kann.

»Ich kann mit dem Kubismus und mit abstrakten Photos oder Bildern nichts anfangen,« sagt ein Arbeiter. »Das werde ich doch nie verstehen. [...] Landschaftsphotos mag ich am liebsten in Farbe, da sieht man die Jahreszeit und die Gegend, wo die Aufnahme gemacht wurde. Das Farbphoto lebt viel stärker als eine Schwarzweiß-Aufnahme. Das ist fast Cinemascope in Farbe. Das geht einem glatt runter.«

Wie die Metapher des Essens belegt, ist die ästhetische Wahrnehmung als Genuß definiert. Ihn gewährt vor allem ein Werk, das eine Realität wiedergibt, die zum Genuß auffordert und sich unmittelbar, ohne angestrengtes Suchen oder Bemühen verstehen läßt. Deshalb erfüllen die Farbphotographie und das Farblitho die ästhetischen Erwartungen besonders erfolgreich – die Gewohnheit, die »guten« Zimmer der Wohnung mit bunten Ansichtskarten oder mit Reproduktionen realistischer Gemälde zu verzieren, ist dafür das Indiz. Ein Arbeiter stellt sich die Ausschmückung seiner Wohnung folgendermaßen vor:

»Hochzeitsphoto, 20 x 30, auf einer Hartfaserplatte aufgezogen, ziemlich hoch an der Wand, darunter meine Kinder. Auf dem Kamin Photos von unserem Haus auf dem Land im kleineren Format 6 x 9 oder Postkartengröße. Auf der Kommode kleine Wechselrahmen mit Photos zum Angucken. Links und rechts von den Photos jeweils ein Blumenstrauß. Eine Wandtafel mit schönen Postkarten (Landschaften, Schiffe, Place de France in Casablanca, algerische, spanische oder griechische Landschaften). [...] Ich habe auch Reproduktionen von Gemälden, die sind eingerahmt. Ich habe das ›Angelus‹.*«

Die im strengen Sinne ästhetische Perzeption fehlt nicht nur dem Blick, den man auf das Photo wirft; sie ist der photographischen Praxis selber fremd. Man braucht die Ablehnung kühner Neuerungen gar nicht in erster Linie ökonomisch zu begründen; die bloße Vorstellung vom »Besonderen« ist so wenig vertraut, daß man es sich nicht anders als in Gestalt phantastischer oder ungewöhnlicher Einfälle der technischen Virtuosität denken kann: »Ich habe Leute gesehen, die schöne Bilder machen, nicht die üblichen Photos, z.B. eine Aufnahme, auf der der Eiffelturm durch die Beine eines Kindes photographiert worden ist. Man kommt selten auf die Idee, solche Photos zu machen.« (Arbeiter, 40 Jahre, der selbst photographiert.) Im Gegensatz zu dem, was diese Äußerungen nahelegen (in denen sich erneut die Situation der Befragung spiegelt), sind es nicht die außerordentlichen oder originellen »Ideen«, an denen es fehlt, sondern es ist der Gedanke, überhaupt Ideen zu haben, denn dies setzte voraus, daß es der photographische Akt an und für sich ist, der das Interesse des Photographen auf sich zieht. Tatsächlich jedoch bleibt die photographische Praxis stets jenen Funktionen untergeordnet, denen sie ihr Dasein und ihre Dauer verdankt, wobei Kostbarkeit und Kostspieligkeit der Ausrüstung diese Unterordnung noch verschärfen.

Obwohl die Photographie auch für die Angestellten den »ästhetischen« Erwartungen und insbesondere der Forderung nach realistischer Darstellung genügt, haben diese nicht mehr dasselbe einfache, unmittelbare und, wenn man so sagen kann, glückliche Verhältnis zur Photographie. Der Schatten der großen Künste, von der Situation der Befragung beschworen oder ins Gedächtnis zurückgerufen, fällt immer wieder auf die Urteile über die Photographie und bringt sie häufig ins Wanken. Den aus der Indifferenz entsprungenen Widersprüchen machen hier jene Zwiespältigkeiten und Unsicherheiten Platz, die in der Angst um die Normen der legitimen kulturellen Praxis wurzeln. Man verklärt die Photographie, indem man sie zur Rarität stilisiert57; zugleich läßt man sie lediglich als eine Kunst minderen Werts gelten.58 Man lehnt es ab, der Photographie denselben dekorativen Rang einzuräumen wie der Malerei; doch obschon man sich weigert, die traditionellen Photos einzurahmen und auszustellen, ist man sehr wohl bereit, gedruckte Photographien aus Bildbänden oder Zeitschriften auszuschneiden und sie zu rahmen. Dieselben Zwiespältigkeiten kommen in der Praxis selbst zum Ausdruck. Die nämliche Neigung, die einen die Photographie als Kunst hat akzeptieren lassen, begründet auch ihre Bewertung als eine minderwertige Kunst. Sie steht für einen verschämten oder, was auf dasselbe hinausläuft, aggressiven ästhetischen Entwurf.

»Ein Photo ist letztlich wie ein Gemälde. [...] Es gibt etwas vom Charakter desjenigen wieder, der es aufgenommen hat, und das ist eben ein bestimmter Stil.« Man gesteht seine Indifferenz ein, seine fehlende Kompetenz oder Geschicklichkeit, was man im Hinblick auf die legitimen Künste niemals tun würde: »Also, was mich angeht, ich habe überhaupt keinen persönlichen Stil, wenn ich Bilder mache, überhaupt keinen. [...] Die Photographie hat mich nie besonders angezogen.« (Angestellte, 25 Jahre, die selbst photographiert.)

Wenn sich unter den Angestellten weniger Amateurphotographen finden, die dafür ambitionierter und besser ausgerüstet sind als die Arbeiter59, wenn die Desinteressierten unter ihnen häufig auf die hohen Kosten dieser Liebhaberei hinweisen, und wenn die Häufigkeit der Praxis mit steigendem Einkommen bei ihnen langsamer zunimmt als bei den Arbeitern, so rührt das daher, daß sie sich implizit auf eine anspruchsvollere Definition dieser Praxis berufen und eher dazu neigen, ganz auf sie zu verzichten, als sie bloß gelegentlich auszuüben oder sie in den Mitteln zu beschränken.60 Die Sorge um die Legitimität der Photographie erklärt, warum in dieser Gruppe seltener als in anderen das Desinteresse an der Photographie für endgültig ausgegeben61 und überwiegend argumentativ gerechtfertigt wird – spontane oder unüberlegte Ablehnungen sind hier relativ selten. Auch werden die ästhetischen Präferenzen weniger unbefangen einbekannt. So kommt es z.B. vor, daß man seine Vorliebe für Gegenlicht-Aufnahmen mit dem Hinweis auf einen Maler oder ein Gemälde begründet.62

Es aktualisiert sich also das mehrdeutige Verhältnis dieser Gruppe zur hohen Kultur in ihrer Einstellung zur Photographie, die bei einzelnen Befragten, ja sogar bei ein- und demselben Individuum zum Gegenstand sowohl der Ablehnung werden kann, die einem Gefühl der geringeren Würde dieser aufwendigen Praxis entspringt, als auch einer unsicheren Zustimmung zu ihrer Legitimität.63 Das kommt offen in der Bedeutung zum Ausdruck, die die Photoamateure ihrer Tätigkeit zuschreiben: Der Anteil derer, die sich zumindest verbal mit den dieser Praxis zugeordneten Funktionen zufriedengeben, ist relativ niedrig.64 Die hinter scheinbar festgefügten Auffassungen verborgene Unsicherheit zeigt sich darin, daß die Angestellten in ihrem Bemühen, sich nicht auf die rituellen Anlässe der Praxis zu beschränken, und in ihrer Unfähigkeit, sich ohne Regeln und Modelle positiv zu definieren, häufig einer Art inhaltsloser ästhetischer Intention folgen, die strikt negativ durch die Ablehnung der Gebote jener »Ästhetik« definiert ist, die in den Photographien der Unterschicht zum Ausdruck kommt.65 Den ambitionierten Photographen bleibt demnach kein anderer Ausweg als der in eine vom Zweifel an der Legitimität gezeichnete und in ihren Normen vage Passion. Für diese reklamieren sie einen ästhetischen Wert, während sie sie zugleich mit kontingenten persönlichen Vorlieben umgeben, die ihnen den Vergleich mit den legitimen Künsten ersparen.66

»Man nimmt irgendwas auf, was einem gefällt, ganz egal, ob es regnet oder ob die Sonne scheint. [...] Ich nehme also z. B. einen Stuhl auf, der mir etwas sagt, weil ihm ein Bein fehlt. Aber trotzdem, was ist das schon! Das gibt absolut nichts her! Es gibt das wieder, was ich aufnehmen wollte, und für mich ist es deshalb etwas Schönes. Aber wenn ich meine Photos anderen Leuten zeige, dann heißt es: ›Na und?‹« (Lediger Angestellter, 23 Jahre)

Die zwiespältige gesellschaftliche Lage dieser Gruppe, die nichts oder nur sehr wenig, selbst in ökonomischer und erst recht in kultureller Hinsicht, von den Handarbeitern trennt, es sei denn das Bestreben, sich zu unterscheiden, tritt in den Zwiespältigkeiten ihrer Haltung gegenüber der Photographie zutage: Die insgeheime Zustimmung zur ›Volksästhetik‹ und zu den Werten, die diese zum Ausdruck bringt, läßt sich mit dem »guten Willen zur Kultur«, der sich vorwiegend negativ, über die Ablehnung der »Naivität« des Volkes, definiert, einzig im Rahmen eines subjektivistischen Relativismus vereinbaren, wie er sich in der Redensart niederschlägt: »Über Geschmack läßt sich nicht streiten.«

Dieselbe Attitüde verrät sich in den alltäglichen ästhetischen Wahlen. Durch seine Opposition gegenüber dem Alten oder dem Traditionellen sanktioniert, liefert der Geschmack am »Modernen« das Auswahlkriterium, das die Unsicherheit zu überwinden erlaubt. In der Photographie bekundet sich diese Haltung im Gebrauch anspruchsvoller Mittel: Farbfilm und Filmkamera, die von Angestellten häufiger benutzt werden als von Arbeitern. Und sie findet sich auch in anderen Bereichen. Ein Beispiel: Unter Bruch mit den Normen der Wohlanständigkeit, die Unaufdringlichkeit und Übereinstimmung mit den Regeln des Konformismus vorschreiben, führen die Angestellten in den Dörfern oder den Randzonen der kleinen Städte die schreiend bunten Häuserfassaden ein, als wollten sie jeder Ironie zuvorkommen, indem sie diese trotzig herausfordern und dem Betrachter signalisieren: »Das gefällt mir.«

Die gleichen Ambivalenzen und Widersprüche, allerdings härter und unverhüllter, bestimmen das Verhalten der mittleren Angestellten. Durchaus bereit, der Photographie die Dignität einer Kunst zuzuerkennen, und – zumindest verbal – darauf bedacht, sie ihrer herkömmlichen Funktion (Dokumentation von Familienerinnerungen) zu entkleiden, verwerfen sie meist die volkstümliche Definition der Photographie, die von einem verstümmelten Begriff des technischen Gegenstandes als einem Automaten ausgeht, versagen sich der realistischen Ästhetik, die gemeinhin mit diesem Begriff verknüpft wird, und sind sich einig in der Vorstellung, daß die Photographie dieselbe Arbeit erfordere wie die Malerei.67 Heißt das, daß die Ambitionen, die sie in ihrer Praxis verfolgen, mit ihren Absichtserklärungen übereinstimmen? Zweifellos verbinden die mittleren Angestellten das Photographieren stärker mit ihrer Freizeit und insbesondere mit dem Tourismus, zweifellos ist das Interesse, Familienphotos zu machen, bei ihnen geringer. Aber der Versuch, mit der Ästhetik der unteren Volksschichten zu brechen, läßt sich weniger an ihrer Praxis als an ihren ästhetischen Urteilen oder ihren Absichtserklärungen ablesen.68