Kitabı oku: «Eine illegitime Kunst», sayfa 4
So gesehen wird die Photographie zu einer Art Ideogramm oder Allegorie, wobei die individuellen oder zufälligen Züge in den Hintergrund treten. Die photographierte Person wird in eine Umgebung gestellt, die man ihres starken Symbolwertes wegen ausgewählt hat (obwohl sie daneben auch einen ästhetischen Wert haben kann) und die als Zeichen aufgefaßt und gebraucht wird. Typisch dafür ist ein Photo, auf dem man P. vermutet (eine winzige Figur vor der Kirche Sacré Cœur, die den Arm bewegt) und das, wie meist, aus sehr großer Entfernung »geschossen« worden ist, weil man das gesamte Monument zusammen mit der Person auf dem Bild unterbringen wollte: Um die Person zu entdecken, muß man sozusagen »wissen, daß sie sich dort befindet«. Zahlreiche andere Abzüge zeigen eine Person, die nicht mit einem bedeutungsschweren Monument gekoppelt ist, sondern mit einem Schauplatz, der ebenso bedeutungslos ist wie ein Zeichen, zu dem der Schlüssel fehlt. Das gilt beispielsweise für solche Photos, die auf der ersten Plattform des Eiffelturms oder in den Fußgängertunnels der Pariser Metro aufgenommen wurden. Zur reinen Allegorie stilisiert, bedarf die Photographie der Erläuterung: »P. auf der Terrasse der ersten Plattform des Eiffelturms.« Es kommt auch vor, daß der Hintergrund ganz und gar belanglos und anonym ist – eine Tür, ein Haus oder ein Garten –, allerdings niemals in einem Grade, daß der informative Gehalt völlig verlorenginge, da der Hintergrund immerhin die Begegnung einer Person und eines Ortes in einem außergewöhnlichen Augenblick zum Ausdruck bringt: Dies ist die Tür zum Haus der Familie Untel, bei der man während der Hochzeitsreise in Paris gewohnt hat. Anders gewendet, die Logik der wechselseitigen Erhöhung von Person und Umgebung geht darauf aus, aus der Photographie ein Ideogramm zu machen, das aus der Konstellation alle zufälligen und zeitlichen Elemente, also alles, was Leben anzeigt, ausschließt. In der Sammlung von J. B. finden sich von Paris nur zeitlose Zeichen: In diesem Paris kommen Geschichte oder Passanten allenfalls beiläufig vor, es ist eine Stadt ohne Ereignisse.35 Obgleich sich das Spektrum des Photographierbaren ständig erweitert, ist die photographische Praxis deswegen nicht freier, da man nur das photographieren darf, was man photographieren muß, und weil es Bilder gibt, die man »unbedingt aufnehmen« muß, so wie es Naturschönheiten und Monumente gibt, die man »mitnehmen« muß. Traditionellen Funktionen unterworfen, bleibt die Praxis deshalb auch in der Wahl der Objekte, der Augenblicke und sogar in ihrer Intention traditionell: Sie verhält sich zur Ansichtskarte, von der sie häufig ihre Ästhetik und ihre Themen borgt, wie die häusliche Photographie zu der im Atelier. Selbst dort, wo sie den vertrauten Personen keinen Platz mehr gewährt und von einem genuinen Interesse am dargestellten Gegenstand geleitet scheint, seien es Landschaften oder Mahnmale, besteht ihre eigentliche Gebrauchsbestimmung noch darin, eine Beziehung zwischen Photograph und photographiertem Gegenstand zu signalisieren. Wenn die zeremoniellen Vorführungen von Diapositiven Langeweile hervorrufen (wofür die ritualisierten scherzhaften Kommentare sprechen), dann eben deshalb, weil die Bilder in Intention und Ästhetik von äußeren Vorgaben beherrscht sind und sich in ihnen oft nichts anderes ausdrückt als die schlichte und private Konstellation zwischen dem Photographen und seinem Objekt, so daß sie jede Bedeutung und allen Wert verlieren, sobald sie von einem Betrachter als Bilder an und für sich wahrgenommen werden, einem Betrachter, der gegenüber dem besonderen Erlebnis ihres Urhebers gleichgültig bleibt.36 Es kann sich also die traditionellen Funktionen verhaftete Praxis quantitativ erweitern, ohne daß jemals eine im strengen Sinne ästhetische Komponente zum Zuge kommt. Der Schritt in eine engagierte Praxis setzt nämlich mehr und etwas anderes voraus als die schlichte Intensivierung des Gelegenheitshandelns. Es besteht zwischen einer Photographie im Dienste des familialen Gebrauchs und einer engagierten Praxis ein gravierender Unterschied. Indem erstere den Akzent auf das erzeugte Bild setzt, kann sie sich per definitionem nicht endlos intensivieren – stets an außergewöhnliche Anlässe gebunden, bleibt sie oftmals zeitlich befristet. Demgegenüber ist eine passioniert betriebene Praxis, die den Akt der Produktion in den Vordergrund rückt, einer unbegrenzten Erweiterung fähig, da sie von Grund auf und ständig, als Anstrengung zu technischer und ästhetischer Vollkommenheit, die Überwindung des eigenen Produkts produziert. Zweifellos ist das Bemühen um eine hohe technische Qualität des Bildes ein Anreiz, sich mit einer hochwertigen Ausrüstung zu versehen. Doch es entfaltet sich auf einer anderen Ebene als der Wunsch nach einer ästhetischen Qualität des Bildes. Das ist auch der Grund dafür, daß das private Filmen noch nachdrücklicher als das Photographieren von familialen Verwendungszusammenhängen geprägt ist: Daß der Ehrgeiz, das Filmen wie eine Kunst zu betreiben, sogar unter passionierten Amateurfilmern äußerst selten ist, liegt nicht lediglich daran, daß damit neben technischer Versiertheit Zeit und Mühe verbunden sind, die für Operationen aufgewendet werden müssen, die weniger interessant sind als die Filmaufnahme selbst, sondern auch daran, daß man die Szenarios erst erfinden und konstruieren müßte, die das Familienleben in Gestalt organisierter Abfolgen von Ereignissen bereits fix und fertig liefert – mit unmittelbarer Bedeutung zumindest für denjenigen, der sie filmt, und für die, die sich das Gefilmte ansehen werden.37
Weil sie stets den Blick auf die Erfüllung gesellschaftlicher und gesellschaftlich definierter Funktionen gerichtet hält, ist die übliche Praxis zwangsläufig rituell und zeremoniell, folglich ebenso stereotyp in der Wahl ihrer Objekte wie in ihren Ausdruckstechniken. Als institutionalisierte Pietät vollzieht sie sich einzig im Rahmen sanktionierter Umstände und Örtlichkeiten. Und in ihrem Vorsatz, das Feierliche zu feiern und das Heilige zu heiligen, bleibt sie immun gegen den Einfall, irgend jemandem oder irgend etwas zur Würde des »Photographierten« zu verhelfen, das sich nicht objektiv (d. h. gesellschaftlich) als »photographierbar« definiert und als »würdig, photographiert zu werden« – in beiden Fällen ist dasselbe Prinzip am Werk. Solange die Praxis nichts anderes ist als das Photographieren des Photographierbaren, so lange ist sie an diese Stätten und Augenblicke gekettet, von denen sie im doppelten Sinne des Wortes determiniert wird. Als permanente und verallgemeinerte Bereitschaft, jedes beliebige Objekt in den Rang eines Kunstwerks zu erheben, ist die künstlerische Einstellung, die das Prinzip ihrer Auswahl selbst bestimmt, die sich selbst determiniert, indem sie ihre Gegenstände determiniert, durch eine wesentliche Differenz von einer Praxis geschieden, die das Prinzip ihrer Existenz und ihrer Begrenzung außerhalb ihrer selbst sucht.
Devotion oder Devianz?
Die nämlichen Faktoren sind es, denen die photographische Praxis ihre immense Verbreitung verdankt, auch wenn es keinerlei institutionalisierten Anreiz oder eine Anleitung dazu gibt; die dafür sorgen, daß sie nur selten einer genuin ästhetischen Intention folgt und daß spezifisch künstlerische Interessen vor allem von Individuen oder Gruppen favorisiert werden, die von traditionellen Funktionen am stärksten entbunden sind.38 In der Tat ist Aufmerksamkeit für eine an ästhetischen Zielen orientierte Praxis nicht systematisch oder ausschließlich bei den Befragten mit dem höchsten Bildungsstand anzutreffen, d. h. bei denen, die am ehesten in der Lage wären, eine durch Bildung erworbene generelle Disposition auf eine spezifische Tätigkeit anzuwenden; man findet sie vielmehr bei denen, die aufgrund ihres Alters, ihres Familienstandes oder ihres Berufs weniger nachhaltig in die Gesellschaft integriert sind.39 Das wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Ausbildung eines genuinen Interesses für die Photographie die Aufhebung der traditionellen Funktionen voraussetzt (die, wie wir gesehen haben, der Gruppenintegration dienen), und daß ohne diese Voraussetzung Photographie zu betreiben eine Anomalie darstellt40: Innerhalb der eigenen Gruppe gegen den Strom schwimmen, bedeutet, sich zwingen, eine ungewöhnliche Praxis mit ungewöhnlicher Hingabe zu leben.
Wir wollen die Umkehrung nicht zu weit treiben, doch die Beobachtung lehrt, daß gegenüber der Familienphotographie, Zeichen und Mittel der Integration in einem, die durch die Negation des familialen Gebrauchs definierte Photographie häufig eine geringer ausgeprägte Integration in die Familiengruppe oder den Beruf verrät, während sie andererseits bisweilen diese schwache Integration verstärkt, indem sie sie zum Ausdruck bringt. So ranken sich die kleinen Ehedramen mit wechselseitigen Vorwürfen (bei denen man sich halb scherzhaft, halb ernsthaft gegenseitig neckt) oft um die mit besonderer Hingabe betriebene Photographie:
»Natürlich paßt das meiner Frau überhaupt nicht«, erklärt ein Vorarbeiter, Mitglied eines Photoklubs. »Also heute abend z.B. bin ich bereits zu spät dran und weiß schon jetzt, was ich zu hören kriege: ›Du mit deiner Photographie!‹ Wissen Sie, die meisten Frauen können mit der Photographie nichts anfangen.«
Daß zahlreiche passionierte Amateure kategorisch auf einer Trennung der Geschlechter je nach photographischen Aufgaben und Interessen bestehen, daß sie sich eifersüchtig die anspruchsvollen Anwendungsgebiete vorbehalten und ihren Frauen lediglich die traditionellen überlassen, für die sie ihrer »Weiblichkeit« wegen »prädestiniert« seien, läßt erkennen, wie sehr die als Liebhaberei aufgefaßte Photographie, deren ästhetisches Credo sich, vor allem in den weniger gebildeten Schichten, oft auf die Absage an die Familienphotographie reduziert, aus ebendemselben Grund nach einer Komplementärpraxis verlangt, die der Frau reserviert wird und ausschließlich familialen Zwecken gehorcht.
Tatsächlich findet der ambitionierte Photograph eine – wenn auch noch so eingeschränkte – Definition seines Vorhabens in der Absage an die rituellen Objekte der Alltagsphotographie. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Photoapparat fast immer Gemeinschaftseigentum ist, das unterschiedslos von den Gruppenmitgliedern in gemeinsamem Gebrauch genutzt wird, dann wird deutlich, daß der autonome Gebrauch der Kamera den Sinn eines Bruchs mit dem Gemeineigentum annimmt: Die Negation der Familienphotographie bedeutet wennschon nicht die Leugnung des Wertes der Familie überhaupt, so doch immerhin eines der Familienwerte, indem man sich weigert, dem Familienkult zu huldigen. Und das Verhalten des Fanatikers, der sich lange bitten läßt, bis er endlich eine Aufnahme von den Kindern macht, obwohl er viele Stunden zurückgezogen in der Dunkelkammer verbringt, steht dem Verhalten des Photographen, der feierlich und öffentlich dem Familienkult huldigt, in derselben Weise gegenüber, wie – soziologisch ausgedrückt – die Magie der Religion.
Nach alledem überrascht es nicht, daß die Saisonkonformisten und die passionierten Amateure zwei statistische Gruppen mit gänzlich entgegengesetzten Merkmalen bilden: Engagierte Photographen finden sich häufiger unter den Unverheirateten, in kinderlosen Familien und bei den Jüngeren (vor allem im Alter von 18 bis 20 Jahren), d.h., in den Gruppen und Schichten, in denen die Gelegenheitsphotographen am schwächsten repräsentiert sind, so als ob diese Passion ein um so günstigeres Terrain hätte, je weniger sich der Druck der traditionellen Funktionen bemerkbar macht.41
Zwar liegt der Anteil der Photoamateure bei den Unverheirateten niedriger als bei den Verheirateten, aber dafür nimmt die Praxis bei ihnen in der Regel sehr viel engagiertere Züge an. Sie sind weniger geneigt, die Photographie in den Dienst traditioneller Funktionen zu stellen, und unterscheiden sich im Hinblick auf ästhetische Intentionen von den Verheirateten eklatant in ihrer photographischen Praxis. Beschreibt man unter Rückgriff auf die Terminologie Durkheims zur Charakterisierung unterschiedlicher Typen des Selbstmords die Praxis dieser Photographie als »anomische«, so wird klar, daß es müßig wäre, die Ursachen oder Bedingungen dieser Passion in den immanenten Merkmalen statistischer Gruppen zu suchen, bei denen sie am häufigsten auftritt. Tatsächlich ist die Korrelation gerade negativ, da die ambitionierte Praxis, die Negation der allgemeinen Praxis, überall da (ex negativo) vorgezogen wird, wo der Druck der familialen Funktion nachläßt, und umgekehrt. Während der positive Einfluß der Integration sich in positiven Indikatoren äußert (etwa im Besitz einer Kamera), werden die Determinanten der ambitionierten Praxis erst dann in vergleichbarer Weise sichtbar, wenn ihre Wirkung erlischt: So sinkt der Anteil der Mitglieder von Photoklubs sehr stark mit der Eheschließung. Obwohl die Erfüllung traditioneller Funktionen der Photographie jedermann abgefordert wird (unabhängig von seiner ökonomischen oder sozialen Lage), einzig aufgrund der Integration in die Familie, so bleibt doch wahr, daß die Bedeutung, die der Einzelne der photographischen Praxis beimißt, vom System der impliziten Gruppenwerte abhängt, das die passenden Mittel und Wege bestimmt, um diese Funktionen erfüllen zu können. Wenngleich diese »Normen«42 sich innerhalb der städtischen Gesellschaft minder einschneidend bemerkbar machen als in der ländlichen Umgebung, überläßt die Gruppe die allgemeine Praxis bloß scheinbar der individuellen Phantasie. So kann man zwar die ambitioniertesten Photographen objektiv durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten statistischen Gruppen charakterisieren; aber wenn sie sich als solche verstehen, beziehen sie sich nicht auf diese abstrakten Kategorien, sondern auf ökonomisch und sozial definierte Gruppen. Engagement und Fanatismus können je nach der wirtschaftlichen und sozialen Lage, innerhalb deren oder gegen die sie sich ausbilden, völlig verschiedene subjektive und objektive Bedeutungen annehmen, denn sie binden ihren Stil und ihre Form der Orientierung implizit oder explizit an diese Lage.
Die verschiedenen sozialen Schichten ermutigen zur Beschäftigung mit der Photographie in unterschiedlicher Weise. Das läßt sich z.B. daran ablesen, daß der Anteil derjenigen, die zwar noch keinen Apparat besitzen, aber die Absicht hegen, eine Kamera zu erwerben, in folgender Reihe relativ gleichmäßig ansteigt: Handwerker und Kleinhändler (12,5%), Arbeiter (16,6%), Selbständige und leitende Angestellte (20%) und schließlich mittlere Angestellte und Beamte (25%). Die ausgeprägte Häufigkeit geplanter Käufe bei den mittleren Angestellten ist aufschlußreich, da diese Schicht nicht das höchste Einkommen bezieht und die Kaufabsicht die Resultante aus einem gruppenspezifischen Anspruch einerseits und den finanziellen Möglichkeiten andererseits ist. Tatsächlich werden die Unterschiede noch deutlicher, wenn diese Absicht unbefangener und ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Mittel und deren Kosten zum Ausdruck kommt. Die bewußte und entschiedene Absage an die Photographie findet sich am häufigsten bei den leitenden Angestellten und den freien Berufen, ebenso bei der Gruppe der Handwerker und Kleinhändler, während das photographische Interesse bei den Arbeitern, bei den mittleren und vor allem den niederen Angestellten überaus stark ausgeprägt ist. Auch wenn man den Absichten und Absichtserklärungen einen jeweils spezifischen Sinn unterlegen muß, auch wenn deren Modalität in den einzelnen Schichten erhebliche Abweichungen aufweist, da sie von der verbalen Beteuerung über die unentschlossene Konformität mit der impliziten »Norm« der Gruppe bis zum festen Vorsatz reichen, so verraten diese Antworten doch ziemlich klar den Wert, den jede Gruppe der Photographie zuschreibt: Erst die höfliche Zustimmung erschließt über die vorgebrachten Gründe die Stellung der Photographie innerhalb des Wertesystems, denn sie setzt in gewissem Maße ein dumpfes Bewußtsein von der Notwendigkeit der Zustimmung voraus.
Diese »Norm«, die sich in der modalen Praxis oder Meinung kundtut, ohne daß man sie deswegen mit einer »Mode« vergleichen dürfte – schuldet sie doch ihre Dauerhaftigkeit dem Umstand ihrer Verwurzelung in den Werten der Gruppe –, regelt auch die Einstellungen der Jugendlichen, die in ihrer Mehrzahl der Photographie denselben Platz einräumen wie ihre soziale Gruppe. Da das Ethos das Verhalten zwar anleitet, aber nicht explizit bestimmt, und da die von ihm objektiv auferlegten Regeln als solche nicht ins Bewußtsein der Subjekte treten, selbst wenn diese sich in ihren konformen oder abweichenden Verhaltensweisen objektiv daran orientieren, können sich die diffusen Werte innerhalb einer Gruppe fortpflanzen, ohne daß es nötig wäre, zur Ordnung zu rufen. So läßt sich denn am Beispiel der Photographie gut beobachten, wie die klassengebundenen Werte ohne jede Unterweisung übermittelt werden können. Obwohl die Photographie kein Bestandteil eines institutionalisierten Unterrichtssystems ist und keinerlei prompte und unmittelbare gesellschaftliche Rentabilität verheißt, obgleich sie, im Gegensatz zu subtileren kulturellen Aktivitäten wie dem Spielen eines Musikinstruments oder dem Besuch von Museen, niemals verordnet, ja nicht einmal durch das Beispiel anderer angeregt wird, variiert der Anteil der Kinder, die photographieren, innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen in derselben Weise wie der Anteil der erwachsenen Photoamateure, wenn man einmal unberücksichtigt läßt, daß photographische Praxis bei den Kindern leitender Angestellter anscheinend häufiger ist als bei denen der mittleren Angestellten.43 Diese Anomalie ist leicht zu erklären: Abgesehen davon, daß die leitenden Angestellten, die ja über ein relativ hohes Einkommen verfügen, ihren Kindern eher eine aufwendige Ausrüstung sowie jene teuren Freizeitvergnügen bieten können, an die die Photographie häufig gebunden ist (beispielsweise Reisen), hängen sie offenkundig der weitverbreiteten Vorstellung an, daß die Photographie, weit davon entfernt, dem Erlernen erhabener Kunstfertigkeiten Konkurrenz zu machen, die Aufgabe einer künstlerischen Propädeutik übernehmen könne, da sie, alles in allem, in einem Zeitalter der flüchtigen Interessen eine der minder oberflächlichen Zerstreuungen darstelle.
Wenn man in den obersten Einkommensgruppen einen hohen Anteil von Personen feststellt, die zwar nicht photographieren, aber den Wunsch danach äußern und ihre Abstinenz häufig damit erklären, daß sie keine Kamera besitzen; wenn der Anteil derer, die nicht photographieren, weil sie keinen Photoapparat haben oder weil die damit verbundenen Kosten ihnen zu hoch erscheinen, quer durch sämtliche Einkommensgruppen konstant bleibt, dann deshalb, weil eine Erhöhung der Ansprüche sich im Verhalten der Praktiker sowie in den Begründungen ausdrückt, auf die sich die Nicht-Praktiker berufen, um ihre Abstinenz zu rechtfertigen: Die Weigerung zu photographieren, weil man nicht über die notwendigen Mittel verfügt, um den Kriterien einer Praxis zu genügen, die man für angemessen hält (nach dem Motto: »Wenn man schon einmal dabei ist ...«), bestätigt letztlich, daß sich die photographische Praxis jeder gesellschaftlichen Gruppe unter Berufung auf eine Norm organisiert, die Intensität, Qualität und Bedeutung der Praxis bestimmt. Jede Gruppe hat ihre eigene Vorstellung von der unabdingbaren Qualität dieser Praxis, und diese Vorstellung wirkt sich auf die Wahl der Kamera und auf die Einschätzung der Ausrüstung aus. So liegt etwa der Anteil derer, die ihre Abstinenz allein mit dem Fehlen einer Kamera rechtfertigen, bei den mittleren Angestellten ebenso hoch wie bei den Arbeitern und höher als bei den niederen Angestellten, die beide ein deutlich geringeres Durchschnittseinkommen beziehen. Dies erklärt sich daraus, daß die Normen, die die Qualität des Apparats definieren, den Mitgliedern dieser Gruppe den Kauf einer preiswerten Kamera, z.B. einer Box, verbieten, die für sie ökonomisch gesehen leicht zu erwerben wäre. Ebenso ist es die implizite Definition der Qualität der Praxis, die den Typus der Ausrüstung determiniert, die innerhalb jeder Gruppe als unerläßlich erachtet wird: Während bei den Arbeitern die modale Praxis keinerlei Zubehör erfordert, setzt sie bei den leitenden Angestellten eine komplette Ausrüstung voraus.
Indessen sind es fraglos die Verletzungen der »Norm«, die deren Realität und Macht am ehesten enthüllen, zumal dann, wenn sie wirtschaftliche Sanktionen nach sich ziehen: Die Abweichungen, die in den Statistiken nicht zum Vorschein kommen, die die ausgeübte Praxis oder die Art der Ausrüstung in Abhängigkeit vom Einkommen erfassen, werden von den passionierten oder fanatischen Amateuren eingeführt, die – unter Bruch mit der »Norm« ihrer Gruppe – jeden Zusammenhang zwischen dem Einkommen und den für den Kauf einer Ausrüstung akzeptierten Ausgaben zum Verschwinden bringen.44 Allgemeiner ausgedrückt: Wo der Rekurs auf die »Norm« der Einstellung zur Ausrüstung die Richtung weist, die die Praktiker wie die Abstinenten jeder Gruppe mehr oder weniger einhellig für unverzichtbar oder angemessen halten, da liefert er auch das leitende Prinzip der photographischen Tätigkeit jener Individuen, die mit der impliziten Gruppennorm gebrochen haben, beispielsweise das Prinzip eines unbeständigen Enthusiasmus oder das einer anhaltenden Begeisterung, die man beide häufig bei den »Devianten« findet.
Bei den Arbeitern, die insgesamt zu einer nur sporadisch ausgeübten und wenig intensiven Praxis neigen, ist die Gruppe der ambitionierten Amateure besonders klein: Trotz oder gerade wegen der für diese Schicht charakteristischen schwach ausgeprägten Neigung zur Photographie widmet sich die Hälfte der Passionierten ihrer Liebhaberei seit mehr als zehn Jahren. Eine Praxis, die in der Gruppe keinerlei Unterstützung findet, vermag nur dann zu dauern, wenn sie zur Devotion wird oder in wütenden Fanatismus umschlägt. In einer dem Photographieren wenig aufgeschlossenen Umgebung setzt eine intensive Praxis in aller Regel eine Wahl voraus, die zudem entschieden genug sein muß, um nicht an den ökonomischen Hindernissen zu scheitern, d.h. eine Wahl von Dauer. Es genügt nicht, die Intensität der Praxis einzig dem Willen zuzuschreiben, eine Ausrüstung, die (vergleichsweise) teuer war, nicht ungenutzt zu lassen. Bereits die Entscheidung für eine Kamera, die viel kostet, setzt eine Neigung oder Passion voraus, die stark genug ist, um zu überdauern, und schließt launenhaften Wankelmut im allgemeinen aus. Ganz anders liegt der Fall, wenn die teure Ausrüstung eine Art Statusattribut darstellt. Dann kann sie ebensogut ein Engagement ausdrücken wie eine kurzlebige Begeisterung.
Somit sind Form und Dauer des Engagements eine Funktion des Verhältnisses der Subjekte zu dem in ihrer Gruppe am weitesten verbreiteten Typus dieser Praxis. Man kann sich sogar fragen, ob die implizite Berufung auf die modale Praxis nicht das Grundprinzip der Devotion ist: In Ermangelung einer Tradition, die als ein Kodex von Kenntnissen und Regeln übermittelt werden könnte, in Ermangelung eines Dogmas und einer Liturgie, die zur Definition einer Hierarchie von Praktiken beitragen könnten, vermag sich die individuelle Praxis einzig durch Bezugnahme auf die modale Praxis zu bestimmen und zu regeln. Im Gegensatz zur Beschäftigung mit den sanktionierten Künsten, bei der sich der Eifer an einem Ideal messen und objektiv wie subjektiv durch Beachtung einer Anzahl fester Grundsätze ausweisen kann, die den Modalitäten des ästhetischen Handelns ihren festen Platz in einer Hierarchie zuweisen, kann die Devotion nur gelebt werden, indem sie von der üblichen Praxis abrückt und die Norm der Lauen übertritt. So kommt es, daß in einer Gruppe, in der die Voraussetzungen für die Photographie überaus günstig sind, nämlich bei den mittleren Angestellten, der Eifer nur sichtbar werden kann in der Übertrumpfung anderer, durch zusätzliche Riten wie das Entwickeln und Vergrößern der Photos: Das erklärt, daß diejenigen, die ihre Photos selbst entwickeln, in dieser Gruppe ebenso zahlreich sein können wie bei den Arbeitern, obgleich bei diesen die Neigung dazu viel stärker ausgeprägt ist, weil sie Freude an manueller Tätigkeit haben und weil sie vor allem auf Sparsamkeit bedacht sind.45
Es ist dieselbe Logik, die manche Mitgliedschaft in einem Klub von Amateurphotographen erklärt, ein Schritt, mit dem man sich von der Masse der Amateure entfernt, um die kulturelle Initiation zu erlangen. Wenn die Mehrzahl dieser Klubs die meisten ihrer Mitglieder aus sozialen Schichten rekrutiert, die der Photographie besonders aufgeschlossen gegenüberstehen (d. h. vor allem aus den Mittelschichten und hier wiederum aus dem unteren Bereich), dann zweifellos deshalb, weil hier die engagierten Amateure in ihrer Umgebung für ihren Eifer Unterstützung finden; in der Tat geht es ihnen hauptsächlich darum, zu dokumentieren, daß sie sich mit einer, wie sie meinen, allzu platten Praxis nicht zufriedengeben mögen. Im übrigen jedoch sind diese »Ästheten«, deren ästhetische Intentionen sich insbesondere bei den weniger Gebildeten auf die Negation der gängigen Normen beschränken, die die legitimen Gegenstände der Photographie definieren, angetrieben von der Hoffnung auf ein neues Normensystem, das ihnen die beruhigende Sicherheit zurückgeben könnte, deren sie sich durch ihren Bruch mit der gemeinsamen Tradition begeben haben. Es drückt sich in der Mitgliedschaft einer Sekte, die den Initiierten eine neue Geborgenheit und neue Regeln verspricht, wahrscheinlich die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer integrierten Gruppe aus, einer Gruppe, die diese Sehnsucht in ihr Gegenteil verkehrt, indem sie sich über die Negation gemeinsamer Regeln konstituiert.46