Kitabı oku: «Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule», sayfa 2

Yazı tipi:

Kapitel 10 gibt einige Impulse für zukünftige Projekte, Vorhaben und Untersuchungen.

Ich möchte an dieser Stelle mit Steve Bells klugen Worten schließen: “Good teaching is about the quality of the partnership between the teacher and the learner. Their relationship is the key to success! (...) Teachers who take pride in their professionalism do so by feeling secure in their own philosophy of teaching. Teaching should be more than the passing out of books“ (Bell 2001, 5). Wie dies realisiert werden kann, soll diese Arbeit zeigen.

Teil A: Grundlagen, Theorie und Forschungsstand

1 Die Ausgangslage: Kinder und Jugendliche in der Schule
1.1 Einleitung

All the flowers of tomorrow are in the seeds of today (Chinesisches Sprichwort)

Die Entwicklung der heutigen Gesellschaft zur so genannten und vielseitig propagierten „Wissensgesellschaft“ verlangt von jedem Individuum die Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen und damit verbundene Kompetenzen, um sich dem schnellen Wandel der Gesellschaft und auch des Arbeitsmarktes anpassen zu können. Entsprechend nüchtern und sachlich klingt der Bericht über ein einschlägiges OECD-Projekt:

Der beschleunigte Wandel aller Lebensbereiche, insbesondere der Berufstätigkeit, hat weitreichende Konsequenzen für die Lernerfordernisse und die Lernbereitschaft der Menschen. Nur mit kontinuierlicher Weiterbildung ist der Strukturwandel zu bewältigen und Innovationsfähigkeit zu sichern; sie befähigt die Individuen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und die Gesellschaft mitzugestalten. Das ständige Weiterlernen vollzieht sich in einem kontinuierlichen Prozess der Aneignung von Qualifikationen und der Entwicklung von Kompetenzen. Solches – lebenslanges – Lernen ist von den Individuen eigenverantwortlich zu planen und zu steuern. Dies allerdings setzt Qualifikationssysteme voraus, die sie darauf vorbereiten und darin unterstützen (Bundesinstitut für Berufsbildung, Hrsg. 2004, 77).

Erfüllen unsere Schulen diese Forderungen? Werden sie den mannigfaltigen Ansprüchen der Individuen sowie der Gesellschaft gerecht? Gewährleisten sie gleiche Bildungs- und Lebenschancen für alle? Berücksichtigen sie die heterogenen Voraussetzungen und individuellen Bedürfnisse der einzelnen Lernenden? Motivieren und bereiten sie die jungen Menschen auf ein lebenslanges Lernen vor, damit diese mit Optimismus in die Zukunft blicken können? Welche Kompetenzen sind dafür konkret erforderlich? Inwiefern berücksichtigt der Fremdsprachenunterricht die diversen Ansprüche?

Bildung gilt bekanntlich als Motor des Wachstums und als Garant für soziale Gerechtigkeit und somit als wichtigste Investition in die Zukunft. Es stellt sich hier die grundsätzliche Frage, ob und inwiefern die Schule diesen hehren Anspruch einlösen kann: Werden alle Schülerinnen und Schüler entsprechend gefordert und gefördert, so dass ihre individuellen Potenziale erkannt und voll ausgeschöpft werden?

Auf den folgenden Seiten werden zu den Themen „Bildungschancen“ und „Heterogenität“ ausgewählte Ergebnisse aus der empirischen Bildungsforschung vorgestellt und kritisch kommentiert sowie einige relevante Kernpunkte und Fragen zu Anspruch und Aufgabe der Schule zusammengetragen und mit der derzeitigen Schul- bzw. Unterrichtssituation in Beziehung gesetzt, um später konkrete Forderungen ableiten zu können, wie Unterricht in heterogenen Klassen (besser) gelingen kann. Des Weiteren werden diverse Kompetenzen aufgeführt, die in einer zunehmend komplexer werdenden Welt und schnelllebigen Gesellschaft lebenslanges Lernen ermöglichen und fördern sollen. Zwar werden hier zunächst vermehrt Aspekte und Faktoren berücksichtigt, die Schule als Ganzes betreffen, Schwerpunkt der Überlegungen und Ausführungen wird allerdings immer der Bezug zum Fremdsprachenunterricht und/oder zur Sekundarstufe I sein.

1.2 Der ewige Patient: Die Schule

We don’t need no education (Pink Floyd)

Dem deutschen Schulsystem geht es laut öffentlicher Meinung angeblich wie den Jugendlichen: ein ewiger Problemfall! Es vergeht kein Tag, an dem man nicht mit Medienberichten konfrontiert wird, in denen mit wenig schmeichelhaften Worten die Schieflage des deutschen Bildungssystems dargestellt wird. Parallel zu den in den Boulevardblättern eher emotional geführten Diskussionen um Bildung und Erziehung nehmen Publikationen und Streitschriften, in denen einerseits wenig konstruktiv auf den altbekannten Schwachstellen herumgeritten wird und andererseits unzählige Reformvorschläge unterbreitet werden, zu, so dass es schwer fällt, den Überblick zu bewahren. Ewige Kritiker und selbst ernannte Reformer publizieren ohne Unterlass, erneuern die alten Buchtitel oder veranlassen Nachdrucke von früheren Exemplaren, ohne sich immer bewusst darüber zu sein, dass sich manches verändert hat und vieles bereits gut läuft. Aber eben nicht alles, und es bleiben zweifellos noch einige gravierende Dinge zu überdenken und den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Andererseits ist Kritik am Schulwesen keine Neuerscheinung, denn seit der Antike stellt man sich die Frage, was, wie und weshalb gelernt bzw. gelehrt werden soll.1 Obwohl Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland heute gut (und im internationalen Vergleich sogar überdurchschnittlich gut) verdienen (Kluge 2003, 187; Pommerin-Götze 2005, 153), möchte seltsamerweise kaum jemand mit ihnen tauschen. Fairerweise sollte man sich deshalb selbstkritisch die folgenden Fragen stellen: Werfen wir nicht allzu schnell der Schule Versagen vor statt der Gesellschaft (oder gar uns selbst)? Sind Lehrerinnen und Lehrer nicht oft willkommene Sündenböcke für Fehlentscheidungen bzw. fehlende Entscheidungen und mangelnde Unterstützung von Seiten der Eltern, der Politik und der Gesellschaft?

Richard Münchmeier, Berliner Sozialpädagoge, resümiert in einem Interview bezüglich Ausländerfeindlichkeit, dass viele Probleme, die wir an der Jugend studieren, Probleme unserer Gesellschaft sind: „Politische Bildung allein wird das Problem nicht lösen. Was wir brauchen, sind Lehrstellen und Arbeitsplätze – oder zumindest Perspektiven, die dahin führen“ (Pieper 2000, 38). Joachim Bauer, Arzt und Psychotherapeut an der Universitätsklinik Freiburg, vertritt eine ähnliche Meinung: „Die Probleme, die sich in der Schule zeigen, haben nicht nur mit der Schule selbst zu tun. Wir lassen Kinder heute in einem Land aufwachsen, das – so erleben es jedenfalls viele Jugendliche – außer Geldverdienen, Geldausgeben und Medienkonsum kaum noch sinnstiftende Tätigkeiten oder Lebensziele kennt“.2

Die Schulkritik macht selbstverständlich auch vor dem Fremdsprachenunterricht nicht Halt, und bereits im Jahr 1882 forderte Viëtor, dass der Sprachunterricht umkehren müsse (Viëtor 1984). Beim Lesen von Viëtors Streitschrift stellt man mit Erstaunen fest, dass manche seiner Kritikpunkte auch heute noch genauso aktuell sind und im Rahmen von fachdidaktischen Publikationen oder Fachtagungen noch immer diskutiert werden.

Über Schule muss also mit Sicherheit nachgedacht werden, aber mehr kritisch-konstruktiv statt emotional-destruktiv, denn unser Bildungssystem hat einige Schwächen, das wissen wir nicht erst seit PISA3. Und: Trotz diverser Reformbemühungen (z.B. Gemeinschaftsschulen, Ganztagsschulen usw.) sollten Hatties (2009) Befunde aus der deutschen und internationalen Schulforschung im Blick bleiben: „Unterrichtsmerkmale sind für Schulleistungen deutlich erklärungsmächtiger als Schulmerkmale“ (Köller 2012, 72).

1.3 Wer hat, dem wird gegeben: Bildungs- und Lebenschancen

Gute Bildung darf etwas kosten (Klippert 2010, 292)

Egal, wie man zu Vorgehensweise und Aussagen der diversen OECD-Studien stehen mag, das wirklich Gute an den PISA-Studien ist, dass sie – nach dem ersten Schock – sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen eine breite Diskussion über unsere Bildungseinrichtungen angestoßen und geradezu ein „publizistisches Trommelfeuer“ (Kluge 2003, 74) entfacht haben:1

Als im Dezember 2001 die für Deutschland unerfreulichen Ergebnisse der OECD-Studie PISA zeigten, dass es nicht nur um die Erziehung, sondern auch um die Bildung in Deutschland schlecht bestellt sei, wurde das Diskussionsfeld erweitert. Die neue deutsche Bildungskatastrophe erregte die Gemüter der Bevölkerung. In den Ursachenzuschreibungen, die nach dem ‚PISA-Schock‘ auf vielen Ebenen eingesetzt haben, geraten neben der unzureichenden Bildungspolitik und unzulänglicher individueller schulischer Förderung auch schwierige familiäre und soziale Hintergründe der Kinder sowie mangelnde Erziehungskompetenzen der Eltern ins Blickfeld der Diskussionen (Tschöpe-Scheffler 2007, 11).

Nach der schmerzhaften Feststellung im Jahr 2000, dass Deutschland im internationalen Vergleich von 32 Ländern nur auf Rang 20 bzw. 21 gelandet war, somit zu den „Verlierern im globalen Bildungswettbewerb“ (Kluge 2003, 74f.) zählte und insbesondere in Lesekompetenz, Naturwissenschaften und Mathematik schlecht abgeschnitten hatte, dazu offensichtlich auch die meisten „Bildungsverlierer“ (Ebd., 75) unter den Industriestaaten hervorbringt, stellte sich alsbald der Nutzen der öffentlichen Blamage durch PISA 2000 ein: Wettbewerb. Dieser hat bewirkt, dass zwischenzeitlich zahlreiche Ressourcen sowohl in finanzieller als auch immaterieller Form freigelegt und umgesetzt wurden, so dass Deutschland bei PISA 2006 besser abschnitt und dieser Trend offenbar anhält. Das ist erfreulich – aber noch nicht genug! Studiert man nämlich den nationalen Bildungsbericht 2008, der offenlegt, dass im Jahr 2006 zwar fast 15 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgegeben wurden, jedoch der „Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt rückläufig ist“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Hrsg. 2008, 18; nachfolgend: ABB)2 und im internationalen Vergleich sogar unter dem OECD-Durchschnitt liegt, dann wird klar: Es muss noch mehr investiert werden, sowohl in konzeptioneller als auch finanzieller Art.

Dass sich Investitionen lohnen, wurde mittlerweile erkannt, denn durch diverse Sonderprogramme „sind die Bildungsausgaben überproportional gestiegen“ (ABB, Hrsg. 2012, 6). Im Jahr 2010 wurden insgesamt 172,3 Milliarden Euro für Bildung ausgegeben: „der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahm – bei einem um 3,9 gestiegenen BIP – von 6,9 auf 7 % zu“ (Ebd.). Ob das Bildungsbudget in den letzten Jahren tatsächlich stark gestiegen ist, lässt sich schwer einschätzen, denn auch im 5. Bildungsbericht wurde für 2012 zwar eine „weitere Steigerung der Bildungsausgaben“ dokumentiert, allerdings (erneut) mit dem Hinweis: „aber Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) leicht rückläufig“ (ABB, Hrsg. 2014, 5).

Die PISA-Befunde aus den Jahren 2000 (PISA, Hrsg. 2001), 2003 (PISA, Hrsg. 2004) und auch 2006 (PISA, Hrsg. 2007), auf die ich im Einzelnen nicht näher eingehen kann, bestätigten im Grunde genommen das, was schon durch zahlreiche frühere Untersuchungen3 in Deutschland belegt und beklagt worden ist, nämlich einen großen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft bzw. Bildungsnähe des Elternhauses und schulischer Leistungsfähigkeit der Kinder. Sie zeigten deutlich, „dass das deutsche Schulwesen in besonderer Weise sozial selektiv wirkt und somit nicht nur die Begabungsreserven einer Gesellschaft nur unzureichend ausgeschöpft werden, sondern zudem soziale Ungerechtigkeit produziert wird“ (Frederking u.a. 2005, 7). Diese Feststellung war im Prinzip nichts Neues, doch „PISA machte die Misere zum Medienereignis“ (Kluge 2003, 74) und zeigte die Wirkung eines mittleren Erdbebens.4

Oft wurde in diesem Zusammenhang kritisiert, dass die multikulturelle Randgruppe für den Gesichtsverlust Deutschlands verantwortlich sei. Allerdings handelt es sich in diesem Fall um eine sehr verengte Sichtweise: „Das deutsche PISA-Leistungsdefizit ist sicherlich zu einem Teil ein Migrantenproblem. Aber es sind weniger der Migrantenstatus als solcher, sondern eher die verwendete Sprache und die Sprachkompetenz, welche sich auf die Leistungen auswirken“ (Sacher 2005, 49).5 Eine schlechte sprachliche und kommunikative Kompetenz wirkt sich natürlich auch auf die Leistungen in den Sachfächern aus, wo vermehrt divergentes Denken oder Problemlösestrategien zum Einsatz kommen, denn jedes Lernen und jede Wissenskonstruktion ist bekanntlich (auch) sprachbasiert.

Verleugnet werden darf hier jedoch nicht, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund auf Grund der äußerst schlechten Leseleistungen auch im Jahr 2003 (PISA II) als „Risikogruppe“ (Pommerin-Götze 2005, 144) eingestuft wurden, was nicht nur deren Bildungschancen, sondern auch deren Ausbildungs- und Berufschancen verringert und auch hinsichtlich einer Integration in die Gesellschaft nicht förderlich ist (PISA, Hrsg. 2004, 265). Dies wird auch im Bildungsbericht 2008 bestätigt: „Migrationshintergrund führt in allen Stufen des Bildungssystems zu Benachteiligungen“ (ABB, Hrsg. 2008, 17). Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erhalten seltener eine Empfehlung für Realschule oder Gymnasium, und „gelangen sie auf höhere Schulen, haben sie größere Schwierigkeiten, sich dort zu halten“ (Stein/Stummbaum 2011, 207). Sie besuchen nicht nur seltener ein Gymnasium oder eine Hochschule, sondern verlassen auch doppelt so häufig die Schule, „ohne zumindest den Hauptschulabschluss zu erreichen“ (ABB, Hrsg. 2008, 17). Während die Bildungsbeteiligung in Deutschland kontinuierlich gestiegen ist, stagniert sie bei Personen mit Migrationshintergrund (Stein/Stummbaum 2011, 207).

Auch der Bildungsbericht 2012 attestiert, dass über 19 % der 15-Jährigen nicht richtig lesen und Texte verstehen können. Jugendliche mit Migrationshintergrund und diejenigen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status sind dabei „überdurchschnittlich häufig vertreten“ (ABB, Hrsg. 2012, 9). Eine frühe Sprachförderung für Kinder mit nicht deutscher Familiensprache wird deshalb noch immer dringend empfohlen (Ebd.; Stein/Stummbaum 2011, 216).6 Im Übrigen hat die DESI-Studie7 (DESI-Konsortium, Hrsg. 2008; nachfolgend: DESI) gezeigt, dass auch die Lesekompetenz im Fremdsprachenunterricht gefördert werden muss (Eisenmann 2012, 90).

Die „Ausschöpfung der Begabungsreserven“ (Altrichter/Hauser 2007, 5) scheint heute wieder eine Renaissance zu erleben, aber nicht allein aus ethischen, moralischen oder sozialen Gründen, sondern schlicht und ergreifend aus demographischen und den damit verbundenen finanziellen Sorgen, denn es geht um die Sicherung der zukünftigen Rentenzahlungen und unseren Wohlstand, die im Zuge des globalisierten Wettbewerbs und der schrumpfenden Schülerpopulation gefährdet sind. Ähnliche Befürchtungen hatte man übrigens bereits Mitte des letzten Jahrhunderts. Der „PISA-Schock“ kann quasi als Nachfolger des früheren „Sputnik-Schocks“ betrachtet werden, denn in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den 1950er Jahren war offensichtlich geworden, dass die Bildungsbeteiligung in Deutschland stark an die soziale Herkunft gebunden ist. Dieser Befund führte damals zu diversen Reformmaßnahmen und setzte unter anderem eine breit angelegte Bildungsexpansion in Bewegung, um eine angeblich drohende „Bildungskatastrophe“ (Picht 1964) aufzuhalten sowie wirtschaftliche und politische Nachteile zu vermeiden. Geißler (1994) beschreibt zwei Paradoxe der damals initiierten Bildungsexpansion: nämlich die Aufwertung (Upgrading) und gleichzeitige Entwertung (Inflationierung) der Bildungsabschlüsse, was beim Wettbewerb um Arbeitsplätze und damit verbundene Lebenschancen eine „vertikale Verdrängung“ (Geißler 2011, 281, im Original Fettdruck) zur Folge hatte. Die Bildungsexpansion verbesserte zwar im Sinne der „Umschichtung nach oben“ (Ebd., 278, im Original Fettdruck) die Bildungschancen insgesamt, verstärkte aber gleichzeitig die soziale Ungleichheit auf dem Weg zu höheren Bildungsniveaus.8

Der damals ersehnte „Fahrstuhl-Effekt“ ist also ausgeblieben, stattdessen ist die Konkurrenz um Lebenschancen über Bildungsabschlüsse für viele wesentlich länger und anstrengender geworden. Die letzten Shell Jugendstudien haben gezeigt, dass es bis heute nicht gelungen ist, „soziale Ungleichheit beruhend auf der Herkunft der Jugendlichen über die Schule auszugleichen. Vielmehr zementiert Schule mit ihrer Funktion der Zuweisung von Bildungskarrieren solche sozialen Unterschiede“ (Shell Deutschland Holding, Hrsg. 2010, 80; nachfolgend: Shell). Fest steht: Für den Statuserhalt kann der erworbene Bildungstitel nur „durch die Bereitschaft zum ‘Lebenslangen Lernen’ in seinem Wert erhalten werden“ (Ebd., 2010, 71).

Erfreulicherweise profitieren von der Bildungsexpansion insbesondere immer mehr Mädchen und junge Frauen, die zumindest im Bereich der Schulbildung die Jungen sogar überholt haben.9 Allerdings ist dieser Bildungsaufstieg „keine Garantie für ein Aufholen von Frauen im späteren Berufsleben“ (Shell, Hrsg. 2006, 68), denn nach wie vor existieren bei der Wahl von Studienfächern oder Ausbildungsberufen die altbekannten Rollenmuster und auch hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen existieren „erhebliche Unterschiede“ (ABB, Hrsg. 2008, 17): Frauen sind zwar immer häufiger erwerbstätig, allerdings wegen der Kindererziehung vielfach nur in Teilzeit (ABB, Hrsg. 2012, 5). Außerdem werden Frauen trotz gleicher Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt noch immer „deutlich niedriger als Männer bezahlt“ (Shell, Hrsg. 2010, 74). Daran hat sich bis heute nichts geändert!

Soziale Disparitäten im deutschen Bildungssystem entstehen primär bei den Übergangsentscheidungen von der Grundschule in die Sekundarstufe (Baumert/Köller 2005; Shell, Hrsg. 2010; 2015). Trotz vielfältiger Bemühungen in den vergangenen Jahren bestätigen diverse Studien, dass „in Deutschland die Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz [noch immer] zu stark“ ist (PISA, Hrsg. 2007, 30) und dass diese hierzulande „nach wie vor stärker ausgeprägt ist als in anderen Staaten“ (ABB, Hrsg. 2008, 15). In der 16. Shell Jugendstudie wurde belegt, dass Deutschland unter den OECD-Ländern das Land ist, „in dem der schulische Erfolg am stärksten vom sozialen Status der Eltern abhängt“ (Shell, Hrsg. 2010, 72). Im Bildungsbericht 2014 wird moniert, dass „trotz leichter Verbesserung (...) weiterhin eine starke soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung bestehen [bleibt]“ (ABB, Hrsg. 2014, 6). Dies wird auch in der 17. Shell Jugendstudie bestätigt (Shell, Hrsg. 2015, 66ff.). Von einer Chancengleichheit sind wir also noch weit entfernt. Darüber hinaus wird das kognitive und motivationale Potenzial der Lernenden bedauerlicherweise „nur unzureichend ausgeschöpft“ (Stein/Stummbaum 2011, 209).

Nach Auswertung der PISA-Studie aus dem Jahr 2006 kam man zu dem vielsagenden Schluss, dass es sich offensichtlich auszahlt, „gründlich relevante Bedingungen zu untersuchen und Neues zu wagen“ (PISA, Hrsg. 2007, 30). Die vorliegende Arbeit kann vielleicht einen Beitrag dazu leisten. Die diversen Befunde sollten allerdings Anlass sein, nicht nur die Bildungspolitik, sondern auch die Familien- und Sozialpolitik auf den Prüfstand zu stellen (Sacher 2005, 49), denn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist noch immer ein Problem und wird durch ein Betreuungsgeld sicher nicht gelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nach der Veröffentlichung des nationalen Bildungsberichts im Juni 2008 die Bildungspolitik zur Chefsache erklärt und die „Bildungsrepublik Deutschland“10 ausgerufen. Man darf also (weiterhin) gespannt sein!

1.4 Heterogenität in Schule und Unterricht: Dilemma oder Chance?

Der Sinn von Freiheit ist ja schließlich Differenz (Winfried Kretschmann)

In den vergangenen Jahren sind – maßgeblich initiiert durch die enttäuschenden Ergebnisse der PISA-Studien – eine Reihe an Publikationen zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht erschienen, obwohl dieses Thema in der bildungspolitischen und schulpädagogischen Diskussion alles andere als neu ist, denn schon im ausgehenden 18. Jahrhundert beklagte Johann Friedrich Herbart (1776-1841), Verfasser der ersten Allgemeinen Pädagogik, „die Verschiedenheit der Köpfe“ als Hauptproblem des Unterrichts (Tillmann/Wischer 2006, 44), wohingegen viele Ansätze aus der Reformpädagogik genau diese Verschiedenheit zu nutzen und zu fördern versuch(t)en. Dennoch hat in Deutschland die Ausrichtung des Unterrichts auf die „Mittelköpfe“ seit Ernst Christian Trapp (1745-1810) eine lange Tradition, und Lernende, „die in ihrem Entwicklungs- und Kenntnisstand außerhalb dieses Bereichs liegen, laufen Gefahr, zu ‘Problemfällen’ zu werden“ (Tillmann 2004, 7).

Auch Wenning (2013) diskutiert die Frage, ob die zunehmende Thematisierung von Heterogenität „nur eine Mode ist [oder] ein Symptom für eine bestimmte Reaktionsform auf (gesellschaftliche) Abweichungen darstellt“ (Ebd., 128), und ob die festgestellte Heterogenität schon vorhanden oder in der Schule erst konstruiert bzw. produziert wird (Ebd., 134ff.). Die Beiträge in Budde (Hrsg.) (2013) beschäftigen sich mit der (berechtigten) Frage der (Re-)Produktion von Heterogenität in der Schule.1

Fakt ist, dass in Fachkreisen derzeit intensiv diskutiert wird, ob Heterogenität als Dilemma und Lernhindernis oder als Chance und Bereicherung bewertet werden soll.2 Auch Fragen hinsichtlich Chancengleichheit, individueller Förderung, Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, Koedukation3, Hochbegabtenförderung4, Umgang mit Kindern aus Migrantenfamilien oder Möglichkeiten der Integration bzw. Inklusion von behinderten Kindern5 tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf. Meist bezieht man sich bei dem uneinheitlich verwendeten Begriff „Heterogenität“ allerdings auf kognitive bzw. entsprechende leistungsbezogene Unterschiede in einzelnen Fächern und blendet andere Merkmale weitgehend aus.6 Doch wie heterogen bzw. homogen sind Lerngruppen im deutschen Schulsystem eigentlich?

Obgleich in Deutschland Kinder und Jugendliche schon immer unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse in die Klassenzimmer mitgebracht haben und es diesbezüglich auch schon in der Vergangenheit Diskussionen in den Erziehungswissenschaften gab, erstaunt hier umso mehr, „dass das deutsche Schulsystem nach wie vor von der paradigmatischen Idealvorstellung einer homogenen Gruppe, die ohne störende Einflüsse von innen und von außen im Lernen vorwärts kommen soll, bestimmt wird“ (Boller u.a. 2007, 12). Erschwerend kommt hinzu, dass vielfach noch immer von einem Schülerbild ausgegangen wird, „das längst nicht mehr allein der Wirklichkeit an unseren Schulen entspricht: deutschsprachig, mit christlichem Hintergrund, aus intakter Familie“ (Kluge 2003, 89). Divergenz wird als störend und somit negativ empfunden. Wenning (2013, 149) kritisiert zu Recht „einen, bewusst oder unbewusst, diskriminierenden Umgang mit Verschiedenheit“.

Obwohl lange bekannt und oft belegt ist, dass die vergleichsweise frühe Auslese (tracking) und Verteilung im hierarchisch gegliederten Schulsystem zahlreiche Probleme mit sich bringt, dominiert im Umgang mit Heterogenität noch immer die Strategie der äußeren Differenzierung nach Leistung, was jedoch zwangsläufig auch eine (inoffizielle) Selektion nach sozialen und ethnischen Merkmalen nach sich zieht (Tillmann/Wischer 2006).7 Somit fungiert die Schule hinsichtlich Lebenschancen nicht – wie grundsätzlich anzunehmen – als Türöffner im Sinne der Gleichberechtigung für alle, sondern reproduziert und verfestigt die bereits bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten und Machtverhältnisse noch mehr.

In der Tat wird in unserem gegenwärtigen Schulsystem mit unterschiedlichen organisatorischen Maßnahmen wie Späteinschulungen, Verteilung auf die unterschiedlichen Schulformen, Sitzenbleiben oder Schulformwechsel8 immer wieder versucht, durch Reduzierung der Leistungsunterschiede Homogenität in Lerngruppen herzustellen, „dass eine Passung zwischen Lerngruppe und Lernangebot erreicht wird“ (Trautmann/Wischer 2007, 44), allerdings ohne zu hinterfragen, ob dies überhaupt von Vorteil für die Lernenden ist. Hintergrund ist die Ansicht, dass sich Lernen in homogenen Gruppen besser organisieren lasse und somit „die Lehrkraft auch für alle den gleichen (frontalen) Unterricht machen“ kann (Tillmann/Wischer 2006, 44). Andererseits erstaunt (übrigens auch die PISA-Autoren), dass vor allem deutsche Lehrkräfte immer wieder über die „große Leistungsheterogenität in Sekundarschulen“ (Ebd., 45) und die damit verbundenen Belastungen klagen, obwohl der internationale Vergleich zeigt, dass es auf Grund der horizontalen Gliederung des deutschen Bildungswesens „kaum leistungshomogenere Sekundarschulen als in Deutschland“ gibt (Ebd.). Warum also empfinden gerade Lehrkräfte im hochselektiven Sekundarbereich Heterogenität als besondere Belastung (Wenning 2013, 130)?9

Doch der Schein trügt, denn jede Schulform weist in sich eine große Leistungsstreuung auf, und auch die einzelnen Klassen des gegliederten Schulsystems sind in sich wiederum stark leistungsheterogen, so dass die Homogenität der Lerngruppe „eine Fiktion“ bleibt (Tillmann/Wischer 2006, 45). Laut Sacher (2005, 44) ist das deutsche Schulsystem „offensichtlich nicht das Instrument“, um wirklich eine Homogenisierung der Lernenden herzustellen. Gerade auch durch die DESI-Studie (DESI, Hrsg. 2008) wurde im Fach Englisch eine große Leistungsheterogenität in allen Schularten bestätigt. Bedauerlich ist vor allem die Tatsache, dass diese institutionelle Fiktion viele Opfer fordert und auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird, denn circa ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler bleibt bis zur 10. Klasse mindestens einmal sitzen (von Saldern 2007, 43).10 „Problemfälle“ müssen eine Klasse wiederholen, die Schule wechseln oder diese sogar gänzlich ohne Abschluss verlassen, was weder aus lernbiographischen noch aus wirtschaftlichen Gründen vertretbar ist.11

Untersuchungen belegen (und erklären auch die Ergebnisse der PISA-Studien): „Wir haben die homogensten Gruppen und zugleich die größte Leistungsspreizung, verbunden mit den negativsten Werten für soziale Koppelung (...): Im Umgang mit Heterogenität erhalten deutsche Schulen die Note mangelhaft“ (von der Groeben 2007, 6). Im Rahmen der Diskussionen um eine zukunftsfähige Bildungspolitik muss also dringend der Frage nachgegangen werden, welche Vor- und Nachteile unser gegliedertes Schulsystem auszeichnen, denn offensichtlich ist es „historisch entstanden und wurde – soweit bekannt – niemals pädagogisch begründet“ (von Saldern 2007, 43). Darüber hinaus zeigt sich im Vergleich mit anderen Ländern, wo Kinder und Jugendliche mitunter bis zur 9. oder 10. Klasse in einer Einheitsschule gemeinsam lernen, dass die bewusste Homogenisierung von Lerngruppen eben nicht den gewünschten positiven Effekt zu haben scheint: „Ganz im Gegenteil scheint vielfach sogar eher eine bewusste Heterogenisierung von Lerngruppen einen besseren und klügeren Weg zum Erfolg darzustellen – insbesondere wenn es um Lernziele geht, die über die Ebene des reinen Wissenserwerbs hinausgehen“ (Ebd., 50).12

Tillmann und Wischer (2006) sprechen sich nach Begutachtung der eher uneinheitlichen Forschungsbefunde für eine „begrenzt heterogene“ Zusammensetzung einer Lerngruppe aus (Ebd., 46), vorausgesetzt im Unterricht werden ausreichend binnendifferenzierende Maßnahmen genutzt. Sie warnen insbesondere „vor einer Homogenisierung am ‘unteren Ende’ des Schulsystems“ (Ebd., 44), denn gerade in Hauptschulklassen kommt es häufig zu einer verhältnismäßig hohen Konzentration von Verhaltens-, Lern- und Erziehungsproblemen, die ein Lernen – selbst für motivierte Schülerinnen und Schüler – oft sehr mühsam und mitunter sogar unmöglich machen. Die gegenwärtige Diskussion um die Gemeinschaftsschule ist zumindest ein Zeichen, dass diese Problematik wahr- und ernstgenommen wird.

Neben den dringend erforderlichen „großen Entwürfen“ für eine situationsangepasste Schulentwicklung von „oben“ (Makroebene), geht es auch um eine innere Reform des Schulwesens von „unten“ (Mikroebene), die eine soziale, kulturelle, geschlechts-, alters-, interessen- und leistungsbezogene Heterogenität der Gesellschaft und somit auch der Lerngruppe berücksichtigt, bejaht und für alle Beteiligten gewinnbringend nutzt. Ein sinnvoller Umgang mit Heterogenität bedeutet schlicht mehr als die bloße Vermittlung von diversen Methoden oder „Tipps und Tricks“, und ein paar zusätzliche Arbeitsblätter als Differenzierungsmaßnahme reichen sicher nicht aus (Ratzki 2007).13

Neben den bereits erwähnten Diversitäten existieren natürlich noch viele andere Unterschiede, die tagtäglich auf das Schulleben und den (Fremdsprachen-)Unterricht einwirken: nicht nur der gesamte sozioökonomische und soziokulturelle Erfahrungshintergrund, alters- und geschlechtsspezifische Besonderheiten, fachbezogene Kenntnisse und Vorerfahrungen, allgemeine Fähigkeiten und Begabungen, Persönlichkeitsmerkmale, Arbeitshaltung, Arbeitstechniken, Arbeits- und Lerntempo (Altrichter/Hauser 2007, 6), sondern auch individuelle Stimmungen, tagesabhängiges körperliches und seelisches Befinden, Klassenatmosphäre und – nicht zu vergessen – die Motivation und Einstellung zu Schule und Fach (vgl. Kapitel 4).

Der produktive Umgang mit heterogenen Lerngruppen stellt sehr komplexe und vielfältige Anforderungen an das Lehrerhandeln, doch andererseits gelingen Lernen und Lehren erst, wenn Kinder und Jugendliche sich akzeptiert fühlen und einen Sinn darin sehen, warum sie sich im Klassenzimmer befinden. Einzelne Lehrkräfte gelangen möglicherweise schnell an ihre Grenzen, wenn sie unter den jetzigen Rahmenbedingungen und gängigen Vorstellungen von Unterricht als „Einzelkämpfer“ jedes Kind individuell fordern und fördern sowie individuell beraten und evaluieren sollen, dennoch bestehen – auch im jetzigen Schulsystem – vielfache Möglichkeiten, die real existierende Heterogenität der Lerngruppe als positive Herausforderung zu betrachten und zu nutzen, anstatt dagegen anzukämpfen. Lehrkräfte (und auch Lehramtsstudierende) müssen sich „von der Illusion der homogenen Lerngruppen verabschieden und Heterogenität als Normalität, als Bereicherung und als Chance begreifen“ (Eisenmann/Grimm 2012, II). Sie müssen im eigenen Interesse auch lernen loszulassen, denn Schüleraktivierung führt auch zu Lehrerentlastung.14

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
1310 s. 17 illüstrasyon
ISBN:
9783823301691
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu