Kitabı oku: «Lehrbuch Musiktherapie», sayfa 6

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Nähren: Diese psychotherapeutische Technik wendet sich an das seelisch nach Beziehung hungernde innere Kind. Auch diese Technik kann musikalisch rezeptiv oder aktiv angewendet werden. Das Spezifische an der Musiktherapie ist, dass die Therapeutin direkt etwas für den Klienten tun kann. Sie kann (rezeptiv) für ihn spielen und singen, ihn mit „satten“, lebendigen Klängen „symbolisch füttern“ (Rudolf 1996, 19). In der aktiven Begegnung schwingt sich die Therapeutin auf ihn ein i. S. eines „tuning in“ des Säuglingsforschers Daniel Stern (1992). Dieser frühe, präverbale Mutter-Kind-Dialog über lautmalerisches Kommunizieren an den Wurzeln der Persönlichkeit ist lebenswichtige „seelische Nahrung“. Wenn bei frühen Persönlichkeitsstörungen Nachreifungsprozesse erforderlich sind, ist dies eine wichtige Indikation für eine musiktherapeutische Behandlung.

Spiegeln: Diese Technik dient der Stärkung des Klienten dadurch, dass er sich emotional wahrgenommen und dieser Beachtung wert fühlt. Gerade bei narzisstischen Störungen ist das Spiegelbild – dem Mythos entsprechend – von hervorragender Bedeutung. In der Einzeltherapie kann man rezeptiv z. B. für den Klienten eine Musik spielen, in der er seine eigene Stimmung wiederfindet, oder aktiv die musikalischen Äußerungen des Klienten so wiederholen, dass dieser seinen eigenen Gefühlsausdruck in ihnen wiedererkennt. Ein an diese Thematik anknüpfendes Angebot in Gruppen ist die Solo-Tutti-Improvisation, bei der ein Klient spielt, wie er sich gerade fühlt, und die Gruppe hört ihm dabei aufmerksam zu. Dann lauscht er selbst (wenn möglich mit geschlossenen Augen), während die Gruppe mit einem musikalischen Feedback antwortet.

Konfrontieren/Provozieren: Diese Technik bezieht sich auf die Qualität der Auseinandersetzung: mit problematischen Persönlichkeitsanteilen, entsprechenden Schwierigkeiten in Beziehungen, aggressiven Gefühlen usw. Für den Therapeuten ist neben einfühlsamem, unterstützendem Begleiten manchmal auch ein konfrontatives bis provokatives Vorgehen der Situation angemessen. Der Therapeut nimmt hier seine Gegenübertragungsgefühle ernst und macht sich in gewisser Weise zum Anwalt der verleugneten Teile des Klienten, indem er diese in sich spürt und ausdrückt.

Dabei darf er einerseits nicht die erforderliche therapeutische Abstinenz und den nötigen Überblick über die Situation aufgeben. Andererseits kann nur durch gefühlsmäßige Beteiligung im gemeinsamen Spiel der eigentliche emotionale Zustand aufgedeckt und bearbeitet werden. Auch dies ist wiederum ein Spezifikum der Musiktherapie, denn derartige Provokationen erlaubt wohl am ehesten die Spielebene, wo sich solche Grenzgänge eben „spielerisch“ gestalten können. In der Musik kann dies beispielsweise geschehen, indem der Therapeut den Klienten „stört“: bei Vermeidungsstrategien wie „harmonisierendem Geklimper“, musikalischen Stereotypien usw.

Durcharbeiten: Spezifisch musiktherapeutisch ist, dass klassische Behandlungstechniken in der beschriebenen musikalisch modifizierten Form auftreten. Dabei werden auch intellektuell retardierte Personen mit sprachlichen Beeinträchtigungen sowie Patienten mit strukturellen Ich-Störungen psychotherapeutisch behandelbar. Dagegen setzt die Technik des Durcharbeitens in der Psychoanalyse ein intaktes Ich sowie Einsichtsfähigkeit voraus (Oberegelsbacher 1997b, 48 f.).

Musiktherapie ermöglicht ein „Üben ohne zu üben“ (Schmölz 1985; 1988; o. J.), indem „gespielt“ wird. Es geht nicht um Programme, in denen verändertes Erleben und Verhalten trainiert wird, sondern die Angebote werden sorgfältig und einfühlsam auf den individuellen Prozess des Klienten abgestimmt. Man könnte von einem „tiefenpsychologischen Üben“ sprechen, bei dem Wandlungsprozesse im geschützten Rahmen probehandelnd vollzogen werden können. An anderer Stelle (Timmermann 1994, 151 ff.) wurde der musiktherapeutische Prozess in vier Phasen beschrieben, die zeitlich natürlich nicht streng getrennt werden können, sondern sich durchmischen: Erleben – Erkennen – Üben – Wandeln. Die Veränderung in Richtung mehr seelische Gesundheit wird in der therapeutischen Situation selbst durch experimentelles Handeln gestärkt, in der musikalischen Interaktion also, die lebendig vorbereitet auf das Handeln im alltäglichen Leben. Ein solcher Prozess vollzieht sich im Rahmen von mehreren, manchmal vielen Stunden, in denen sich die Dinge wiederholen und allmählich verändern dürfen.

Verbalisisieren/Deuten/Musikalisches Verdeutlichen: In der Musiktherapie kann verbal, nonverbal sowie im Wechsel von beidem aufgearbeitet werden. Nonverbal steht hier das gesamte Repertoire rezeptiver und aktiver Vorgehensweisen zur Verfügung. Auf der Gesprächsebene kann man die Choreografie des nonverbalen Dialoges beschreiben und mit dem alltäglichen Beziehungsgeschehen vergleichen. Außerdem kann man weitere musikalische Aktionen vereinbaren. Die Bearbeitung von Konflikten kann auch in der Musik selbst stattfinden. Die entsprechenden Gefühle auszudrücken muss oft mühsam wiedererlernt und d. h. eben auch „tiefenpsychologisch geübt“ werden.

In verbalen Formen von Psychotherapie steht bei der Bearbeitung der auftauchenden Problematik das Wort, die Sprache im Vordergrund, während gleichzeitig im Hintergrund andere Kräfte intensiv mitwirken. Diese haben einerseits zu tun mit dem Atmosphärischen, mit Stimmung, Schwingung, Resonanz, Rhythmen usw. sowie mit den Botschaften jenseits des semantischen Gehaltes von gesprochenen Worten, den sog. paralinguistischen oder außersprachlichen Elementen des Sprechens: Stimmklang, Tonhöhe, Lautstärke, Sprachrhythmen sowie Gestik, Mimik, Körperhaltungen, -bewegungen, -reaktionen (s. Nitschke 1984; Timmermann 2004a). Auch die präverbale Bedeutung des Rhythmus von Sprechen und Schweigen im therapeutischen Gespräch wurde bereits untersucht (Kächele et al. 1973). Dazu kommen eine Fülle von Faktoren, die in der gesamten Haltung des Therapeuten wurzeln und im Bündnis mit dem Klienten eine heilsame Beziehung begründen können.

Diese Beispiele sollen verdeutlichen, wie psychotherapeutische Techniken in einer die Grundorientierungen, Verfahren und Methoden überschreitenden bzw. übergreifenden Weise und bezogen auf das spezifische Medium Musik in der therapeutischen Situation zur Wirkung gebracht werden können.

Die Praxeologie zeigt, dass musiktherapeutisches Handeln gleichermaßen von Wissen und Intuition getragen ist und auf beiden Ebenen vom Musiktherapeuten umfassende Fähigkeiten verlangt.

Wissen und

Intuition

Timmermann, T. (1998): Rezeptive und aktive Musiktherapie in der Praxis. In: Kraus, W. (Hrsg.): Die Heilkraft der Musik. C. H. Beck, München, 50–66

Timmermann, T. (2004): Tiefenpsychologisch orientierte Musiktherapie. Bausteine für eine Lehre. Reichert, Wiesbaden

7Improvisation

von Tonius Timmermann

„Die Improvisation schöpft aus dieser Stille, dieser Ruhe,

in der das Unaussprechliche dargeboten wird,

um es im nächsten Augenblick wieder in die Stille zu entlassen.“

(Christopher Dell)

Die ursprüngliche, spontane und „naive“ Begegnung mit der Musik hat immer experimentellen Charakter. Sie ist ein Wechselspiel aus Tonerzeugung und Lauschen auf das, was dabei erklingt. Musizieren ist ursprünglich immer improvisiert. Der Mensch experimentiert mit seiner Stimme oder Materialien, die Töne hervorbringen. Er entwickelt Instrumente, zunächst eintönige, dann mehrtönige, die er, seinem harmonikalen Instinkt folgend, auf ganzzahlige Intervalle zurechtstimmt. Er entdeckt Tonfolgen, die ihn berühren, die ihm etwas sagen, Melodien, die er schließlich wiederholt, die sich durch diese Wiederholbarkeit als Lieder, als Musikstücke manifestieren und Musikkultur bilden.

In den meisten Musikkulturen der Erde hat sich dabei das Element des Improvisatorischen auch innerhalb mehr oder weniger komplexer Formbildung erhalten, nur in der klassischen europäischen Musikentwicklung hat es sich eher zurückentwickelt. Allerdings kam es im Laufe des 20. Jh. auch zu kulturübergreifenden musikalischen Entwicklungen und neuen Freiheiten. In der Musik der schwarzen Amerikaner und der davon stark beeinflussten Rock- und Popmusik seit den 60er und 70er Jahren sowie in Teilen der Avantgarde, der Neuen Musik wurde das Improvisatorische wieder ein wesentliches Element in der modernen Musikentwicklung.

Musikkultur

Wesentliche Impulse für die Wiederentdeckung des Improvisatorischen kamen auch aus den Reformbewegungen (Fitzthum 2003) und der sich in diesem Zusammenhang entwickelnden Rhythmik und künstlerischen Reformpädagogik. Heinrich Jacoby (1980; 1984), ein Musikpädagoge, der mit Alfred Adler, einem Psychotherapeuten der ersten Stunde, befreundet war, bietet einen guten Ansatz für die Verwendung von improvisierter Musik in der Musiktherapie, indem er die Künste mit der Muttersprache vergleicht: Grundsätzlich kann sich jeder darin äußern, nicht nur Dichter und Schriftsteller. Improvisation ist musikalische „Sprache“ bevor Musik immer mit Kunst oder Unterhaltung verknüpft ist. Improvisation kann Kunst oder Unterhaltung sein, zunächst aber ist sie Experiment. Sie findet ihre Form gemäß dem jeweiligen musikalischen Inhalt.

Reformbewegung

In der Musiktherapie kennen wir freie und strukturierte Improvisationen. Strukturen können sein: musikalische Vorgaben (z. B. „schwarze Pentatonik“ am Klavier) oder Vorgaben wie Themen, Spielregeln, Rollenspiele. Inhalte freier Improvisationen entstehen aus dem Hier und Jetzt der improvisierenden Person mit ihrer ganzen bio-psycho-sozialen Geschichte. Sie sind von außen nur durch das Potenzial an innerer Freiheit und seelischer Kraft des Therapeuten begrenzt, also beispielweise durch seine eigenen Ängste bezüglich der Wirklichkeiten, die ans Licht treten können, oder eben seiner Fähigkeit, dem standzuhalten und Halt, Sicherheit und Schutz anzubieten. Anders ausgedrückt: Das Innere des Klienten kann in dem Maße in einer Improvisation zum Ausdruck kommen und kommuniziert werden, wie er sich im therapeutischen Setting (Beziehung!) sicher, gehalten und geschützt fühlt. Ob eine freie oder eine in welcher Weise und in welchem Maß auch immer strukturierte Improvisation angeboten wird, entscheidet der Therapeut aufgrund der Indikation und dem jeweiligen Prozessmoment.

freie und

strukturierte

Improvisation

Ist eine Person in einer bio-psycho-sozialen Krise, drückt sich diese – auf die jeweils mögliche Weise – in Inhalten und Formen der improvisierten Musik aus. Für die geschulte Musiktherapeutin bieten diese musikalischen Äußerungen Anlass zu Reaktion und Mitgestaltung der Interaktion im Partner- und Gruppenspiel der aktiven Musiktherapie. Wenn möglich, wird dieser Prozess auch immer wieder verbal bearbeitet, wenn nicht, erfolgt die Bearbeitung im Musikalischen, begleitet von Gestik, Mimik und anderer Körperkommunikation.

Hörbarkeit

der Krise

Im Rahmen aktiver Vorgehensweisen, aber auch, wenn er in rezeptiven Vorgehensweisen für den Klienten improvisiert, gestaltet der Therapeut die Musik aufgrund seiner professionellen Entwicklung. Dabei schwingt auch im spielenden Musiktherapeuten dessen bio-psycho-soziale Geschichte mit, die er jedoch im Rahmen einer Lehrmusiktherapie studiert hat, an der er arbeitet und die er deswegen nicht mit der des Klienten vermischt. Im Zweifelsfall nimmt er Supervision. Die behandlungsbezogene therapeutische Gestaltung der improvisierten Musik erfolgt gemäß dem Sinn der jeweiligen Intervention bzw. Technik, die hier angewendet werden soll. Die konkrete Musik ist – bei allem Wissen und Können – weitgehend intuitiv gestaltet, basiert auf Flexibilität und Elastizität, erfasst eher eine Stimmung, als dass sie sich direkt an vorgegebenen Formen orientiert. (Unter Forschungsgesichtspunkten ist es allerdings sehr interessant, welche Formen intuitiv gestaltet werden.)

Persönlichkeit

des Therapeuten

Improvisation ist in der Musiktherapie das am häufigsten angebotene Mittel zur gemeinsamen Gestaltung des zentralen psychotherapeutischen Wirkfaktors, nämlich der Beziehung. Die therapeutischen Möglichkeiten improvisierter Musik liegen in der Mitgestaltung der Begegnung zwischen Musiktherapeutin und Klient durch aktive und rezeptive Vorgehensweisen.

Gestaltung

von Beziehung

Grenzen sind gegeben, wo der Klient aufgrund bio-psycho-sozialer Gegebenheiten (wie z. B. schwerem körperlichen Leiden oder dramatischer Angstzustände) nicht in der Lage ist, sich mit Instrumenten oder Stimme auszudrücken und in Beziehung zu gehen, und wo er auch durch das Anhören einer vom Therapeuten improvisierten Musik überfordert ist. Grenzen finden ansonsten alle Vorgehensweisen im adäquaten Maß und der Stille vorher und nachher.

Grenzen

Das lateinische Wort „improvisus“ bedeutet „unvorhersehbar, unerwartet“. Dieser Wortsinn weist auf Möglichkeiten wie Überraschung und plötzlichen Richtungswechsel. Dies wird in der aktiven Musiktherapie gerade dann genutzt, wenn die improvisierte musikalische Begegnung als psychosoziales Übungsfeld genutzt wird. Der Prozess eines improvisierten musikalischen Ablaufs und Beziehungsgeschehens macht Veränderung und Wandlung akustisch deutlich wahrnehmbar und ist ein Spezifikum der Musiktherapie.

Möglichkeiten

Abschließend sei hierzu Weymann (2004, 38) zitiert, der in seiner psychologischen Untersuchung zur musikalischen Improvisation zu folgender Definition gelangt:

Definition

Improvisation

„Eine musikalische Improvisation ist ein vielschichtiger, spontaner und impulsiver Prozess der Erfindung und gleichzeitigen formenden Realisierung von Musik. Das Improvisieren ist eine Handlung, die im Moment ihres Vollzuges teilweise unvorhersehbar bzw. unerwartet ist. Sie entwickelt sich im Spannungsfeld von subjektiven Ausdruckswünschen und gegebenem idiomatischen Hintergrund, von musikalischem Material und gegenwärtiger (Beziehungs-)Situation.“


Decker-Voigt, H.-H. (1975): Musik als Lebenshilfe. Eres, Lilienthal/Bremen

Dell, Ch. (2002): Prinzip Improvisation. Verlag der Buchhandlungen, Köln

Hegi, F. (1986): Improvisation und Musiktherapie. Junfermann, Paderborn

Timmermann, T. (1994): Die Musik des Menschen. Gesundheit und Entfaltung durch eine menschennahe Kultur. Piper, München

Weymann, E. (2004): Zwischentöne. Psychologische Untersuchungen zur musikalischen Improvisation. Psychosozial Verlag, Gießen

Wigram, T. (2004): Improvisation. Methods and Techniques for Music Therapy Clinicians, Educators and Students. Jessica Kingsley, London/New York

8Rezeption

von Tonius Timmermann

„Wo sind wir, wenn wir Musik hören?“

(Peter Sloterdijk)

Wir sprechen von aktiver Musiktherapie, wenn die Klienten und Patienten selbst musizieren. Es wäre also zu erwarten, dass man das Hören von Musik im therapeutischen Kontext als „passive“ Musiktherapie bezeichnet. Dem ist aber nicht so. Es wäre auch unpassend, da Musikhören alles andere als ein passiver Vorgang ist. Unsere Beteiligung beim Hören, beim Rezipieren, d. h. Aufnehmen, Empfangen von Musik, was wir „hineinhören“, was es an inneren Prozessen zum Arbeiten bringt, das ist in der Summe alles andere als rein passiver Genuss. Diese Eigenbeteiligung ist es ja auch, die die Rezeptionsforschung so hochkomplex macht, wenn sie die Objektivierung von Wirkung im Bereich der Musik im Blickpunkt hat (s. Kap. 3).

Wer sich auf einem Blatt Papier eine der eigenen Biografie entsprechende Lebensalterskala aufzeichnet und dann sammelt, was er/sie zu welcher Zeit in seinem Leben für Musik gehört und wie diese mit welchen schicksalhaften Prozessen und Ereignissen verbunden ist, wird vielleicht besser verstehen, warum welche Musik ihn/sie beim Hören in welche Zustände zu versetzen vermag (s. a. Muthesius 1997 und Kap. 21.2).

Musik und

Biografie

Hinzu kommt, dass das Hören unsere früheste intrauterine Sinneswahrnehmung ist und an der Basis der Persönlichkeit existenziell, vertraut, bedrohlich, beeindruckend usw. erlebt wird. Daher können auch tiefe, frühe Schichten der menschlichen Persönlichkeit beim Hören in therapeutischen Kontexten aktiviert werden. Decker-Voigt spricht in Anlehnung an Spitz von einer „Musik der Außenwelt“ (1993, 118 ff.). Auch im frühen Dialog konstatiert er, dass alle Signale und Reize im Hin und Her zwischen Mutter und Kind identisch sind mit den Elementen dieser Musik. Kommunikative Signale sind Rhythmus, Tempo, Dauer, Tonhöhe, Klangfarbe, Resonanz, Schall, ferner Gleichgewicht, Spannung, Körperhaltung, Temperatur, Vibration, Haut- und Körperkontakt. Die Kommunikationssignale werden zu einem Empfindungssystem gelenkt, das Spitz als „coenästhetische Organisation“ bezeichnet: eine angeborene Rezeptionsfähigkeit gegenüber affektiven Vorgängen.

frühestes Hören

im Leben

Diese frühe Rezeptionsfähigkeit muss unterschieden werden von der späteren rezeptiven Wahrnehmung, die Bewusstsein voraussetzt, einen Lernprozess, bei dem sich durch wiederholtes Hören und Wiedererkennen die Wahrnehmung mehr und mehr ausdifferenziert und Formen und Gesetzmäßigkeiten verstanden werden. Die Bedrohlichkeit diffuser Geräuschwelten weicht dem Genuss, der auch mehr und mehr verfeinert werden kann.

Immer wieder geschieht es in musiktherapeutischen Prozessen, dass ein Patient bei einem bestimmten Klang, sei es im Rahmen einer Gruppenimprovisation oder wenn er vom Therapeuten zur Rezeption angeboten wurde, bis ins Mark getroffen wird. Dieser Klang tut mit ihm etwas (oder er mit diesem Klang), das in diesem Moment stärker ist als der Bewältigungsschutz, der um eine seelische Verletzung herum konstelliert wurde. Man kann dies als ein gewisses Gefahrenmoment der Musiktherapie auffassen, bei professionellem Umgang damit stellen solche Erfahrungen jedoch eine große Chance dar. Menschen können mit bisher nicht zugänglichen Teilen des Unbewussten in Kontakt kommen, kommunizieren und sich in heilsame therapeutische Prozesse einlassen. Diese Möglichkeit zur Tiefenwirkung machen sich die Methoden rezeptiver Musiktherapie mehr oder weniger zunutze, indem sie sehr bewusst Musik und/oder ihre Elemente (Klänge, Rhythmen, musikalische Strukturen) auswählen und darbieten.

Gefahrenmoment

„Verletzlichkeit“

Im Gegensatz zu der Vielfalt, die Frohne-Hagemann (2004) heute darstellen kann, war rezeptive Musiktherapie im Europa der 70er Jahre des 20. Jh. weitgehend von aktiven Vorgehensweisen mit musikalisch freier Improvisation abgelöst, obwohl sie in den 40er, 50er und 60er Jahren eine zentrale Rolle gespielt hatte. Daher war es damals eher eine Ausnahmeerscheinung, dass ich begann, mich für einen rezeptiven Einsatz des Monochords in der Musiktherapie zu interessieren, nachdem ich dieses Instrument bei Rudolf Haase im Fach „Harmonikale Grundlagenforschung“ kennengelernt hatte (Timmermann 1981; 1983a, b; 1989b). Die Wirkung monotonaler Klangfarben, Intervalle, Skalen und Rhythmen erschien mir damals als faszinierendes und zukunftsträchtiges Forschungsgebiet. In der Tat erlebte das rezeptive Element in der Musiktherapie im Laufe der folgenden Jahre eine Art Renaissance, die allerdings auch ihren ganz eigenen Charakter hatte. Zum Monochord kamen andere monotonale Klänge von Gongs, Klangschalen, Trommeln, Rasseln usw. dazu (s. Strobel/ Timmermann 1991). Die Rolle archaischer Instrumente bei der Rezeption in der Musiktherapie wurde evident (Hess 2002). Im Jahre 1993 erschienen zwei Sonderhefte der Musiktherapeutischen Umschau (Nr. 14, Heft 3 und 4) zum Thema „Neue Wege der Rezeptiven Musiktherapie“.

Renaissance des

Rezeptiven, Monotonalität

In einer Umfrage unter Studierenden der Musiktherapie zu Beginn der 90er Jahre kam Oerter (1993, 340) zu dem Ergebnis, dass trotz der Verschiedenheit der Ausbildungen überall von aktiver Musiktherapie ausgegangen wird. Gezielter Unterricht fand nur in einem Fall statt, ansonsten am Rande oder überhaupt nicht. In Wien wurde es 1992 als Lehrfach, Vorlesung mit Übung, eingeführt (Timmermann 2004b).

Primat des

Aktiven

Für die Ausbildung von MusiktherapeutInnen heute scheint es mir dabei sehr bedeutsam, welche Ansprüche instrumentales Spiel für den Patienten an die Therapeutenhaltung stellt. Diese Vorgehensweise, die ich mittlerweile als „Für-Spiel“ – im Unterschied zum „Vor-Spiel“ – bezeichne, ist eine musiktherapeutische Verwirklichung psychotherapeutischer Techniken wie „Holding“ und „Nähren“ (s. Kap. 6). Bei diesen geht es darum, an den frühen Wurzeln der Persönlichkeit elementare Versorgung wie Halten, Tragen, Wiegen usw. im therapeutischen Setting zu vermitteln. Die Resonanz des Patienten ist direkt zu spüren, etwa an Reaktionen im Körper, in der Atembewegung, in seinen Tränen, seinem Strahlen, oder sie wird anschließend im aufarbeitenden Gespräch deutlich.

Rezeption des

„Für-Spiels“

Dieses „Für-Spiel“ umfasst nicht nur die Arbeit mit monotonalen Klängen, sondern darüber hinaus auch ein improvisiertes Musizieren und Singen der Therapeutin für den Patienten, bei dem sowohl das Instrument als auch die Art und Weise des Spiels von der Therapeutin durch Einfühlung in die Situation gewählt und entwickelt werden. Dies ist immer auch ein sehr persönlicher Vorgang, bei dem die Therapeutin sich auf eine momentane, subjektive Gestaltung einlässt. Der wesentliche Unterschied zum Interpretieren eines komponierten Stückes oder zum Spielen eines Musikstückes durch einen technischen Tonträger liegt auf der Hand. Es bietet der Therapeutin weniger Schutz und mutet mehr unmittelbare Offenbarung zu. Die therapeutische Abstinenz ergibt sich insbesondere daraus, dass die Therapeutin nicht um ihrer selbst willen spielt, sondern im Dienste des Patienten.

Singen

In den integrierten Ausbildungskonzepten, die sich keiner Schule oder speziellen Methode allein verpflichtet fühlen, werden rezeptive und aktive Vorgehensweisen im Allgemeinen als sich methodisch ergänzende Elemente der musiktherapeutischen Arbeit betrachtet (s. Timmermann 1998). Die Situation des jeweiligen Patienten entscheidet in der Einzeltherapie, ob Musikhören oder Musikmachen angeboten wird. Ändert sich seine Situation, können sich auch Vorgehensweisen ändern. Bei Patienten mit einer tendenziell schwachen Ich-Struktur kann man mehr methodische Stringenz vereinbaren. Ansonsten ermöglicht die moderne tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie methodische Flexibilität, was der Musiktherapie mit ihrem großen Repertoire an möglichen Angeboten entgegenkommt. Im offenen Raum als Spiel-Raum inszeniert sich im Laufe der Zeit, was aus dem Patienten in der Begegnung mit dem therapeutischen Du entsteht. Der konkrete Prozessmoment bestimmt die Entscheidung, mit dem Patienten zu spielen oder für ihn. Gezielte Angebote aus dem musiktherapeutischen Repertoire aktiver und rezeptiver Musiktherapie helfen ihm, neue Erfahrungs- und Verhaltensmöglichkeiten durch experimentelles Erleben und Handeln zu vertiefen. Was für die Einzelmusiktherapie gilt, lässt sich in der Gruppensituation auf den Gruppenprozess anwenden bzw. auf die Einzelarbeit in und mit der Gruppe.

Musikhören und

Musikmachen

Daneben gibt es spezifische Methoden rezeptiver Musiktherapie, die bei Frohne-Hagemann (2004) ausführlich dargestellt sind und im Folgenden nur im Überblick genannt seien:

Methoden

rezeptiver

Musiktherapie

●GIM (Guided Imagery and Music) nach Helen Bonny,

●RMT (Regulative Musiktherapie) nach Christoph Schwabe,

●MTE (Musiktherapeutische Tiefenentspannung) nach Hans-Helmut Decker-Voigt,

●ETmnG (Entspannungstraining nach musiktherapeutischen Gesichtspunkten) nach Volker Bolay,

●Anthroposophische Hörtherapie nach Anny von Lange,

●RAM (Rezeptive Altorientalische Musiktherapie) nach Gerhard Tucek.

Zum Schluss noch einige allgemeine Gedanken zu der Frage, in welchen Bereichen speziell rezeptive Musiktherapie zur Anwendung kommt oder kommen könnte bzw. sollte. Zum Teil ergibt sich dies inhaltlich bereits aus Kapitel 6 „Praxeologie“. Frank-Bleckwedel (1996) hat einiges dazu zusammengestellt, das im Folgenden überblickshaft dargestellt sein soll:

Indikation

rezeptiver

Musiktherapie

●Innere Medizin (s. Decker-Voigt/Escher 1994)

●Sterbebegleitung (Munro 1986)

●Neonatologie (Nöcker-Ribaupierre 2003a)

●Geriatrie (Muthesius 1997)

●Suchterkrankungen (Kapteina 2004)

●Frühstörungen/Persönlichkeitsstörungen

Für eine zukünftige Entwicklung wäre es wünschenswert, dass rezeptive Elemente in die musiktherapeutischen Ausbildungen integriert wären. Dadurch können ihre diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten eingeschätzt und situationsadäquat angewendet werden. Das Erlernen spezieller Methoden sollte dem Fort- und Weiterbildungsbereich überlassen sein.


Frohne-Hagemann, I. (2004): Rezeptive Musiktherapie. Theorie und Praxis. Reichert, Wiesbaden

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