Kitabı oku: «Die Pest der Korruption», sayfa 5

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Ich stellte einen Antrag auf Klarstellung. Welchem Beklagten sollte ich etwas zustellen? Am 11. April 2019 reichte ich eine schriftliche, beeidete Aussage zu strafrechtlich relevanter Erpressung und Behinderung der Justiz ein.

Bis zum heutigen Zeitpunkt habe ich auf keines dieser Schreiben eine Antwort bekommen. Ich bezweifle, ob es auf dieser Erde jemals Gerechtigkeit geben wird. Die Vereinigten Staaten haben jegliche Treuepflicht sowohl gegenüber Jeffersons als auch gegenüber Hamiltons Prinzipien preisgegeben. Ich denke oft an Clint Eastwoods Spruch in dem Film Unforgiven, als der Sheriff um sein Leben bittet und sagt, er habe das nicht verdient. Eastwood antwortet: „Verdienen hat damit gar nichts zu tun.“

Kent sagt mir, dass die Freiheit, ein Buch zu veröffentlichen und unsere Sicht der Geschichte darzustellen, vielleicht die letzte tatsächliche Freiheit ist, die es in diesem Land noch gibt. Vielleicht hat er recht. Die Gerichte sind korrupt, die Medien, die Politiker, die Wissenschaftler und Ärzte sind gekauft oder durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht.

Das reicht in etwa aus, um eine ehrliche Wissenschaftlerin zu einer Geächteten zu machen.

KAPITEL 2
Eine Rebellin von Anfang an

Ich war im Büro meines Chefs Russ und wir hatten eines unserer regelmäßigen Treffen. Als ich vor seinem Schreibtisch stand und mein Laborbuch fest umklammerte, sagte er etwas, das ich nie vergessen werde. „Du hast eine moralische, gesetzliche und ethische Pflicht, genau das zu tun, was ich dir sage.“

Es war im Sommer 1987, ich war neunundzwanzig Jahre alt und arbeitete bei Upjohn Pharmaceuticals in Kalamazoo im Bundesstaat Michigan. Im Jahr zuvor hatte ich bei Upjohn eine Stelle als Laborantin in der Qualitätskontrolle angenommen, nachdem ich meinen Job am Fort Detrick in Maryland verlassen musste, da dort die Abteilung für Biological Response Modifiers [Biologische Immunmodulatoren] aufgelöst worden war. Als Russ diese Aussage machte, wusste ich es noch nicht, aber meine Karriere bei Upjohn würde bald beendet sein.

Wo ist der geeignete Ort für die Wissenschaft?

Diese Frage habe ich mir in den Jahrzehnten meiner Arbeit in der Forschung immer wieder gestellt. War ein solcher Ort die staatlich geförderte Wissenschaft, die eigentlich frei von Einseitigkeit oder politischer Einflussnahme sein sollte? Oder gab es einen solchen Ort in der Industrie, die, gestützt vom Gewinnstreben, beträchtliche Gelder in Fortschritte steckt, die das Potenzial haben, das Leben der Menschen zu verändern? Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass beide, staatlich geförderte und von der Industrie finanzierte Wissenschaft, das Potenzial haben, etwas außerordentlich Gutes zu erreichen. Aber beide können auch leicht auf die schiefe Bahn geraten, wenn es denjenigen, die Verantwortung tragen, an Integrität mangelt. Integrität ist eine Eigenschaft, die in dem Maße seltener zu werden scheint, wie jemand die Karriereleiter aufsteigt – ob in der Industrie oder in der staatlich geförderten Wissenschaft.

Ich schreibe dieses Buch in der Hoffnung, dass die Wissenschaft auf ihre ursprünglichen Prinzipien zurückgeführt werden kann.

Seitdem ich als Zehnjährige hilflos zusehen musste, wie mein geliebter Großvater langsam an Lungenkrebs dahinsiechte, wollte ich Ärztin werden. Wir hörten uns immer gemeinsam Baseballspiele an, und er entfachte meine lebenslange Begeisterung für Sport. Als ich 1980 kurz vor meinem Abschluss an der University of Virginia stand, las ich eine Titelgeschichte in Time über Interferon, das zu dieser Zeit als möglicher Durchbruch in der Krebsbehandlung propagiert wurde. Später in diesem Jahr bekam ich einen Job als Laborantin am National Cancer Institute in Frederick in Maryland, und damit begann meine berufliche Laufbahn in der Wissenschaft. Und was war meine Aufgabe dort? Interferon-alpha purifizieren.

Das Programm, das ich am National Cancer Institute am meisten mochte, war das Biological Response Modifiers Program am Fort Detrick, bei dem ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern, Pflegekräften mit akademischer Weiterbildung und Laboranten wie mir zusammenarbeitete. In dieser Zeit arbeiteten wir an adoptiven Zelltransfers für AIDS-Patienten und versuchten zu verstehen, wie Interferon-alpha helfen könnte oder ob Immunmarker wie IL-2 und andere Zytokine die Hinweise liefern könnten, die wir brauchten, um ihr Leben zu retten.

Es war auch eine turbulente Zeit, da eine Kontroverse darüber hochkochte, ob Dr. Robert Gallo, der meistzitierte Wissenschaftler der 1980er- und 1990er-Jahre, versucht hatte, die Lorbeeren für die Entdeckung des HIV für sich zu reklamieren, oder ob dieses Verdienst dem französischen Wissenschaftler Luc Montagnier anzurechnen sei.

War es ein versuchter Diebstahl oder einfach nur ein ehrlicher Fehler?

Montagnier würde schließlich 2008 den Nobelpreis für die Entdeckung des HIV erhalten, und Gallos Name würde auffallend fehlen. Ich entwickelte eine geharnischte Meinung über Gallo und darüber, was Wissenschaftler wie er dem Berufsstand antaten.

Im Jahr 1986 entschied die Regierung in ihrer unendlichen Weisheit, das Biological Response Modifiers Program zu streichen. Ich musste mir im Institut eine neue Arbeitsstelle suchen. Zu dieser Zeit beobachtete ich auch, wie ein leitender Forscher einen jungen japanischen Postdoc anwies, bei einem Experiment die Daten zu verändern. Der Postdoc war von dieser Anweisung sichtlich aufgewühlt. Kurz nach dieser Unterredung beging er Selbstmord, indem er Natriumazid trank, ein weißes Salz, das die Elektronentransportkette ausschaltet, was dann zum Ersticken und zum Tod führt. Ich ging zum Leiter des Programms (Franks Boss) und berichtete ihm, was ich beobachtet hatte. „Ich weiß, warum er sich umgebracht hat“, sagte ich. Meinen Boss interessierte das nicht. Der leitende Forscher bekam seine Ergebnisse. Der junge japanische Postdoc wurde als jemand abgeschrieben, der unter psychischen Problemen litt. Er hinterließ seine Frau und zwei kleine Kinder.

Später an diesem Tag erhielt ich noch einen Anruf von einem meiner früheren Kollegen, der bei Upjohn arbeitete. „Judy, wir haben hier einen Job für dich, du wirst ihn wirklich mögen.“ Ich war in Michigan geboren und war damit aufgewachsen, unser Baseball-Team Detroit Tigers anzufeuern. Michigan war Heimat. Und die Bezahlung war um einiges besser als bei der Regierung.

„Ich bin schon da“, sagte ich.

* * *

Bei Upjohn war ich so etwas wie ein komischer Kauz, aber nicht aus den Gründen, die Sie vielleicht vermuten würden.

Die meiste Zeit, in der ich am National Cancer Institute war, arbeitete ich für Frank und wir beide hatten eine natürliche Zuneigung und einen gemeinsamen Zugang zur Wissenschaft. Frank und mir machte es nichts aus, um vier oder fünf Uhr morgens zur Arbeit zu kommen und unsere Experimente aufzubauen, um dann bis sechs Uhr abends zu arbeiten.

Die Wissenschaft war das, was wir liebten.

In der Industrie wird so nicht gearbeitet. Bei Upjohn kamen die Forscher morgens so gegen halb neun, arbeiteten bis viertel vor zehn, machten eine Viertelstunde Pause und arbeiteten bis kurz vor Mittag, machten sich dann zu einem etwa halbstündigen Mittagessen auf, legten um zwei Uhr eine weitere Pause ein und gingen dann für den Rest des Tages wieder an die Arbeit. Im Sommer machten wir um halb vier Feierabend. Die Firma hatte einige interne Sportteams, ich spielte bei den Softballteams, beim Fußball und im Winter beim Eishockey mit. Ich muss über meine Behauptung lachen, ich hätte Fußball gespielt, denn ich habe den Ball fast nie berührt.

Unser Fußballtrainer war ein großer, gut aussehender dunkelhäutiger Mann namens Wayne, der die Personalabteilung leitete. Ich bin damals viel gelaufen und Fahrrad gefahren, und ich hatte eine ziemliche Ausdauer. Ich hatte nie Fußball gespielt und hatte keine gute Koordination, aber ich war zäh. Wayne erkannte das und setzte mich zur Deckung der besten Offensivspieler ein. Ich klebte an ihnen wie Superkleber, und sie schrien dann frustriert: „Geh weg von mir! Geh weg von mir!“

Wir haben die Spiele einfach nur deshalb gewonnen, weil ich ihre besten Spieler daran hinderte, an den Ball zu gelangen.

Es war Wayne, der mich als Erster darauf hinwies, dass meine Arbeitsethik ein Problem bei der Belegschaft auslösen würde. Ich kam immer drei bis vier Stunden vor meinem Boss Russ, der um neun Uhr auftauchte. Neun Uhr morgens war für mich wie mitten am Tag. Wir untersuchten ein kürzlich auf den Markt gekommenes Wachstumshormon für Rinder. Viele andere Pharmaunternehmen vermarkteten ein ähnliches Produkt. Der Anspruch war, dass das Hormon die Milchproduktion ohne Nebenwirkungen für die Rinder erhöhte. Ich dachte, das sei eine großartige Idee, aber Upjohn hatte keine biologische Abteilung, in der die Auswirkungen des Produkts auf Zelllinien hätten untersucht werden können. Sie hatten eine Reihe ausgezeichneter Chemiker und machten hervorragende Arbeit mit ihrer Hochleistungsflüssigkeitschromatografie sowie ihrem Massenspektrometer, aber sie hatten eigentlich keine Forscher, die über viel Erfahrung in Biologie verfügten. Das war einer der Gründe, warum ich für Upjohn so attraktiv war. Ein Teil meiner Arbeit, die ich bereits so früh am Morgen erledigte, war es, die gleiche Art biologischer Assays zu entwerfen wie am National Cancer Institute.

„Warum ist das ein Problem?“ fragte ich Wayne, als er mir sagte, es gebe Unruhe, weil ich so früh morgens kam.

„Die Leute wissen nicht, was du da machst“, antwortete er.

„Ich arbeite.“

„Du musst den Leuten sagen, was du machst“, sagte Wayne. Er dachte einen Moment nach. „Wie wär’s, wenn du regelmäßig zu Russ gehst?“

„Mr. Persönlichkeit?“ Russ war ein kleiner Kerl, und ich glaube nicht, dass ich ihn jemals habe lächeln oder lachen sehen. Er redete auch nicht viel. Er war nur ein paar Jahre älter als ich und hatte kürzlich seinen Doktortitel erhalten. Er hatte einen rötlichen Bart und Schnauzer, trug eine Brille und seine Lippen schienen oft zusammengekniffen. Wenn man mit ihm sprach, neigte er dazu, wegzuschauen. Jawohl, er war wirklich ein geselliger Mensch.

Ich ging und fragte Russ, ob es in Ordnung für ihn sei, wenn ich so früh zur Arbeit käme. Er sagte, das sei in Ordnung. Ich fragte ihn auch, ob wir uns ein paar Mal in der Woche treffen könnten, sodass ich ihn über meine Arbeit auf dem Laufenden halten könnte. Er war damit einverstanden, zeigte aber keine sichtbare emotionale Regung.

Jedoch kam ein anderes Problem bei Upjohn auf, das mich aus meiner Arbeit für Russ herauszog und unsere unvermeidliche Konfrontation über das Rinderwachstumshormon hinauszögerte.

* * *

Das Produkt wurde als ATGAM bezeichnet, ein Medikament für Transplantierte. Es wurde aus menschlichem Blut gewonnen. Aber wir schrieben das Jahr 1986 und die AIDS-Epidemie war in vollem Gange. Jedes Jahr infizierten sich Hunderttausende Amerikaner, und es kam zu einer Seuche von langsamem Dahinsiechen, wie man sie in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. HIV war ein durch Blut übertragener Krankheitserreger, und es war bestätigt worden, dass das Virus von einem Menschen auf den anderen durch ungeschützten Sex, die gemeinsame Nutzung von Injektionsnadeln sowie durch Bluttransfusionen übertragen werden konnte. Niemand wusste, ob es den Herstellungsprozess für ein Produkt wie ATGAM überleben würde, das aus menschlichem Blut gewonnen wurde.

Die „offizielle“ Linie der Regierung besagte, dass HIV es noch nicht bis Michigan geschafft hatte und auf Orte wie New York City und San Francisco begrenzt war.

Es gereicht Upjohn zur Ehre, dass sie diese Ansicht nicht teilten.

Hier war man besorgt über die Möglichkeit, dass das Blut zur Herstellung ihres Produkts, das sie von den Einwohnern Michigans bekamen, HIV enthalten könnte. Der Friseur, den ich mir suchte, als ich in Michigan ankam, erzählte mir, er sei HIV-positiv und würde am Ende an AIDS sterben.

Da ich vom National Cancer Institute kam, hatte ich das entsprechende Hintergrundwissen zur Beantwortung der Frage, ob der Herstellungsprozess jegliches HIV abtöten würde, sodass es nicht in das Endprodukt gelangen würde. Ich habe mich schnell mit einem Wissenschaftler namens Bob ausgetauscht, ein großartiger Mann, der eine andere Abteilung bei Upjohn leitete. Er hatte einen genialen Verstand, war Opernsänger und es war einfach eine wahre Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Ich sagte ihm, dass wir, um herauszufinden, ob unser Produkt sicher war, nur das rohe Blutprodukt mit HIV-Proben versetzen mussten, die wir vom National Cancer Institute bekommen könnten. Dann würden wir nach jeder Stufe des Produktionsprozesses überprüfen, ob es zumindest eine Verminderung des Virusvorkommens um den Faktor 106 gab. Er war der Meinung, dies sei eine großartige Idee, und stimmte schnell zu.

Ich bekam Schwierigkeiten, als ich mit dem National Cancer Institute Kontakt aufnahm und fragte, ob man uns ein paar HIV-Proben an das Upjohn-Werk in Kalamazoo schicken könnte. Da offiziell noch nicht anerkannt war, dass es HIV in Michigan gab, konnte ich keinerlei Proben in den Bundesstaat liefern lassen. Wollte ich etwa für immer als die Frau bekannt sein, die HIV nach Michigan brachte?

Bob dachte sich eine geniale, wenn auch unkonventionelle Lösung aus. Upjohn hatte einen Learjet, den sie oft einsetzten, um ihre Führungskräfte und Wissenschaftler nach Washington, D. C., und zurück zu fliegen, um dort ihre Produkte mit Beamten der Food and Drug Administration zu besprechen.

Da könne ich doch mitfliegen, um meine Experimente direkt am National Cancer Institute durchzuführen.

Frank würde mich bei der Arbeit unterstützen, denn ich war ja immer noch nur eine kleine Laborantin. (Armer Frank! Wie ein falscher Fünfziger tauchte ich ständig wieder auf!) Am Montagmorgen stieg ich dann oft mit einem Rucksack über der Schulter in den Learjet von Upjohn, flog zum Washington (Reagan) National Airport, um dann mit meinem Mietauto zum National Cancer Institute in Frederick, Maryland, zu fahren. Dort führte ich Experimente durch oder nahm an Besprechungen teil. Manchmal flog ich am selben Tag nach Kalamazoo zurück, manchmal blieb ich bis zum Ende der Woche und flog erst Freitagnacht zurück. Wenn ich länger bleiben konnte, hatte ich Zeit, etwas mit meinen früheren Kollegen zu unternehmen oder meine Mutter und meinen Stiefvater Ken zu besuchen.

Ich muss auch den etwas heimlichen Charakter meiner Flüge nach Washington ansprechen.

Da war ich, eine achtundzwanzigjährige junge Frau, die mit den obersten Führungskräften von Upjohn in einen Learjet einstieg und die nicht wirklich in der Lage war, mit ihren Kollegen über das zu sprechen, was sie tat. Ich trage meist sportliche Kleidung und Jeans und habe oft eine Baseballkappe auf, und da saß ich dann in einem kleinen Learjet mit den Topmanagern der Firma. Selbst in dem jungen Alter war ich schon eine ziemlich gute Gesprächspartnerin, und bald hatte ich ein freundschaftliches Verhältnis mit einer ganzen Reihe der Mächtigen von Upjohn.

Es war schön, wieder mit Frank zusammenzuarbeiten. Innerhalb einiger Wochen hatten wir alle Experimente aufgebaut und waren mittendrin in unseren Untersuchungen. Es war sicher hilfreich, dass unsere Tests ergaben, dass Upjohns Herstellungsprozess HIV zuverlässig aus potenziell kontaminiertem Blut entfernte. Ich schlug ein paar geringfügige Veränderungen vor wie etwa die Erhöhung der Temperatur bei einigen Prozessen, um eine weitere Sicherheitsebene hinzuzufügen, aber der Herstellungsprozess war bereits sicher.

Bereits innerhalb der ersten Monate bei Upjohn hatte ich mich als kreative Forscherin profiliert, mich unter die Topmanager gemischt und eine lebenslange Freundschaft mit Bob begonnen. (Jahre später, 1992, luden Frank und ich Bob dazu ein, einen Vortrag bei einer von Frank geleiteten Konferenz in Genua in Italien zu halten, da Upjohn einiges an hervorragender Arbeit auf dem Gebiet der HIV-Forschung geleistet hatte.) Außerdem hatte ich viel Spaß, in den firmeneigenen Sportteams mitzuspielen. Und das alles noch ohne einen Doktortitel.

Aber es wurde Zeit, zu der Arbeit zurückzukehren, für die sie mich eingestellt hatten: Die Qualitätskontrolle und den Aufbau einer Abteilung für biologische Qualitätskontrolle mit Zelllinien, um ihre genveränderten biologischen Produkte zu testen und die Sicherheitsanforderungen für ihr Rinderwachstumshormon zu untersuchen.

* * *

Zu dieser Zeit dachte ich, es sei eine großartige Idee, ein Rinderwach­s­tumshormon einzusetzen, um die Milchproduktion zu erhöhen und den Rindern zu schnellerem Wachstum zu verhelfen.

Mein Job bestand darin nachzuprüfen, ob dies sicher war.

Die Behauptung lautete, das Rinderwachstumshormon habe keine Auswirkungen auf menschliche Zellen. Meine Arbeit als Qualitätskontrolleurin bestand darin nachzuprüfen, ob das stimmte oder nicht.

Ich baute die Experimente auf, benutzte etliche verschiedene Zelllinien, fügte das Rinderwachstumshormon hinzu und wartete ab, um zu sehen, was passierte.

Die Behauptung, das Rinderwachstumshormon hätte keine Auswir­kungen auf die Zellen, stellte sich als falsch heraus.

Eine der ersten Beobachtungen, die ich bei den Zellkulturen machte, war, dass das Rinderwachstumshormon die Morphologie (das Erscheinungsbild) der Adipozyten – allgemein als Fettzellen bekannt – veränderte. Einfach ausgedrückt veränderten die Fettzellen ihr Aussehen und sahen nicht mehr wie gesunde Fettzellen aus. Als ich überprüfte, ob die Fettzellen die typischen Moleküle einer gesunden Fettzelle produzierten, was unter anderem Auswirkungen auf die Kommunikation mit anderen Zellen hat, fand ich außerdem heraus, dass es erhebliche Unterschiede gab. Die Fettzellen, die mit dem Rinderwachstumshormon behandelt worden waren, produzierten andere Moleküle. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten diese anderen Moleküle Auswirkungen auf die Funktion anderer Zelltypen.

Ich sah etliche Beispiele von Zellen, die eine Beschaffenheit hatten, die als blebbing bezeichnet wird, ein Zustand, in dem eine Zelle ihr Zellskelett von der Zellmembran ablöst und die Membran zu kugelförmigen Blasen anschwillt. Das einwandfreie Funktionieren der Zellmembran ist entscheidend für die Kommunikation mit anderen Zellen, sodass das, was ich beobachtete, wahrscheinlich einen Zusammenbruch der zellulären Kommunikation bedeutete. Ich beobachtete auch einige große vom Zellkörper ausgehende faserartige Ausläufer, strähnig aussehende Zellen, die abnormal waren.

Meine Forschung führte mich zu einer einfachen, aber gefährlichen Schlussfolgerung.

Das Rinderwachstumshormon führte zu einer schwerwiegenden Schädigung der humanen Zellkulturen.

Ein Großteil meiner Arbeit am National Cancer Institute drehte sich um die Immundysfunktion, die von einer Retrovirusinfektion verursacht wird. Ich hatte gelernt, wie man diese bestimmen konnte und unter welchen Bedingungen sie wahrscheinlich persistieren, was wiederum die Wahrscheinlichkeit stark erhöht, dass die Immundysfunktion zu Krebs führt. Viele Retroviren, die in der Vergangenheit verschiedene Arten infiziert haben, sind in unser Erbgut integriert worden.

Diese sind als endogene Retroviren (ERVs) bekannt, was bedeutet, dass sie im Wesentlichen entwaffnet sind und wir jetzt friedlich mit ihnen zusammenleben können. Wenn jedoch die Verhältnisse im Körper anormal werden, dann können diese Viren reaktiviert werden und Krankheiten verursachen.

Ich erinnere mich daran, Frank irgendwann einmal gefragt zu haben, ob die Anomalien, die ich in den Zellkulturen beobachtete, dazu führen könnten, dass ein lange inaktives Rinderleukämievirus (Bovine Leukemia Virus – BLV) in Kühen wieder zu einem Problem werden. Frank kannte sich auf dem Gebiet sehr gut aus, da er und Bernie Poiesz das erste pathogene humane Retrovirus entdeckt hatten, das Leukämievirus HTLV-1. Frank hatte etliche Artikel über BLV veröffentlicht und ich hatte die technischen Untersuchungen gemacht. Robert Gallo würde im Wesentlichen die Lorbeeren für die Entdeckung des HTLV-1 ernten, während Frank und Bernie nicht nur wenig Anerkennung bekamen, sondern auch noch gefeuert wurden, weil ihnen „zu viel Ehre“ zuteilgeworden sei. Frank war der Meinung, dass meine Sorge darüber, ob immunologische Anomalien schlafende Retroviren wiederaufwecken könnten, durchaus berechtigt war.

Ich verbrachte eine Menge Zeit mit der Untersuchung der Auswirkungen des Rinderwachstumshormons auf unterschiedliche Zellkulturen. Es war nicht einfach nur ein einziges Experiment.

Ich machte Fotos von den Zellen, auf denen zu sehen war, dass sie geschwollen und anormal waren, dass einige mehrkernig geworden waren oder die faserartigen, strähnigen Auswüchse ausbildeten und wie viele von ihnen abstarben.

Ich hatte die Werte der anormalen Moleküle, und gerade so, wie ich herausgefunden hatte, dass der Herstellungsprozess eines der Upjohn-Produkte das HIV vernichtete, führte mich meine Forschung über das Rinderwachstumshormon nun zu einer gegenteiligen Schlussfolgerung. Ich hatte immer die Vorstellung, ein Wissenschaftler sei wie ein Schiedsrichter in einem Baseballspiel, der über Balls und Strikes entscheidet, wie er sie sieht.

Und das war es, was mich in Russ’ Büro führte, mit den entsprechenden Daten, die ergaben, dass das Rinderwachstumshormon die biologische Qualitätskontrolle nicht bestehen würde. Ich konnte geradezu fühlen, wie er wütend wurde, innerlich darüber kochte, dass ich sein Leben noch schwieriger machen würde, weil ich ihm sagte, er müsse die Herstellung des Produkts stoppen, bis wir herausgefunden hätten, ob es sicher sei. Es gab andere Unternehmen wie Monsanto, die vergleichbare Produkte verkauften, und wenn wir Alarm gaben, dann würden sie letztendlich ebenfalls unserem Beispiel folgen.

Ich wusste, dass das zu Problemen führen konnte, aber als Laborantin war das nicht meine Sorge.

Die Daten waren eben die Daten.

Nach einer erregten Auseinandersetzung stand ich auf und wollte gehen. In dem Moment forderte Russ mich auf, ihm mein Notizbuch zu geben und sprach die Worte, die noch dreißig Jahre später in mein Gedächtnis eingebrannt sind: „Du hast eine moralische, gesetzliche und ethische Pflicht, genau das zu tun, was ich dir sage.“

Russ wollte mein Notizbuch, und ich wusste, dass er in gewisser Weise das Recht dazu hatte. Upjohn bezahlte mein Gehalt. Die Arbeit, die ich gemacht hatte, gehörte dem Unternehmen. Aber ich wollte dazu Stellung nehmen.

„Du willst mein Notizbuch? Bitte, hier hast du es!“

Ein alter Freund von mir, Don Kent, war ein Frisbee-Champion. Und anstatt das Notizbuch einfach nach ihm zu werfen, verwandelte ich es in eine Frisbeescheibe und ließ es genau über seinen Kopf segeln. Russ duckte sich, bewegte sich schneller, als ich es jemals bei ihm gesehen hatte. Das Notizbuch traf eine Pinnwand direkt hinter ihm und riss ein paar Zettel herunter, bevor es auf den Boden fiel.

Ich stürmte aus seinem Büro und ging zu Wayne, dem Leiter der Personalabteilung, dessen Büro in der Nähe war, und konfrontierte ihn mit dem Krawall.

Seine Augen stellten stumm die Frage: „Was ist passiert?“

„Er ist ein Idiot!“, entfuhr es mir.

Wayne lachte. Niemand im Labor konnte Russ leiden. „Geht’s ein bisschen genauer?“

Ich erzählte ihm von den Experimenten zum Rinderwachstumshormon, davon, was meiner Meinung nach getan werden sollte und dass ich davon ausging, Russ würde überhaupt nichts unternehmen. Und schließlich erzählte ich ihm von meinem Frisbeewurf auf Russ.

„Das kannst du nicht machen, Judy“, antwortete Wayne auf meinen Versuch, Upjohn zu sagen, was sie zu tun hätten. „Und du kannst deinen Boss nicht mit Sachen bewerfen.“

„Er hat es verdient.“

„Kann schon sein.“ Wayne schwieg für eine Minute, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, ihn in eine solche Lage gebracht zu haben.

„Es ist okay. Es ist nicht dein Problem, Wayne“, sagte ich. „Ich muss sowieso nach Hause gehen. Lass mich Frank anrufen.“

Am Tag zuvor hatte ich einen Anruf meiner Mutter erhalten, die mir sagte, dass mein Stiefvater Ken an einem aggressiven Prostatakrebs erkrankt war, und das im Alter von fünfundfünfzig Jahren. Sie wollte wissen, ob es irgendeine Möglichkeit gebe, dass ich nach Hause kommen und ihr helfen würde, diese voraussichtlich schwierige Zeit durchzustehen. Das Problem war, meine Stiefgeschwister hatten bereits ihre Mutter wegen Brustkrebs verloren und Ken wollte ihnen nichts von seiner Krebserkrankung erzählen. Wenn ich nach Washington, D. C., zurückkehren würde, könnte ich in der Nachbarschaft des National Cancer Institute in Bethesda, Maryland, sein, eine Entfernung von weniger als fünfzehn Kilometern.

Als ich Frank erreichte, erklärte ich ihm, was passiert war, und schnitt ein Thema an, das wir vor langer Zeit zum Tabuthema erklärt hatten. Am Anfang meiner Zeit mit Frank hatte er mir über seine missbräuchliche Ausnutzung durch Robert Gallo berichtet. Meinerseits erzählte ich ihm von einem Chemieprofessor an der University of Virginia, der darauf beharrte, dass Frauen niemals Ärzte werden sollten. Er gab allen Frauen in seinem Kurs schlechte Noten, und das zerstörte meinen Traum, Medizin zu studieren.

Nachdem wir uns unsere jeweiligen Traumata berichtet hatten, sagte ich, wir hätten beide unsere verbotenen „G“-Wörter.

Ich würde nicht Gallo sagen und er würde die Graduate School [Hochschule für Aufbaustudien] nicht erwähnen. Aber jetzt lagen die Dinge anders.

„Ich bin bereit, über die Graduate School zu reden“, sagte ich zu Frank. Es gab etliche Laboranten, die am National Cancer Institute arbeiteten und ihre Abschlüsse an der George Washington University machten.

„Kannst du mich an die George Washington University bringen?“, fragte ich.

„Ich denke schon“, sagte Frank.

„Und kann ich meinen alten Job wiederbekommen?“

„Wahrscheinlich nicht. Aber ich kann dir hier einen Arbeitsvertrag beschaffen. Wir werden das mal herausfinden.“

Frank war immer gut zu mir. Das ist der Grund, warum wir jetzt, mehr als fünfunddreißig Jahre, nachdem wir uns kennengelernt haben, eine gemeinsame Beratungsfirma haben. Upjohn hat mich auch gut behandelt. Als die nächste Unternehmenszeitschrift herauskam, verkündeten sie mit großem Trara, dass ich an der George Washington University angenommen worden sei und dass sie hofften, ich würde zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu Upjohn zurückkehren.

Was Russ betrifft, so wurde er wegen seiner Rolle in unserer Auseinan­dersetzung angewiesen, an einem Sensibilitätstraining teilzunehmen.

* * *

Im September 2015 veröffentlichten Forscher von der University of California in Berkeley die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über das Vorliegen des Rinderleukämievirus (BLV) im Brustkrebsgewebe von 239 Frauen. 59 Prozent der Brustkrebsgewebeproben zeigten Hinweise auf eine Exposition gegenüber BLV, während nur 29 Prozent der Gewebeproben von Frauen, die niemals Brustkrebs hatten, auf eine Exposition gegenüber dem Virus hinwiesen.

In einer Presseerklärung der UC Berkeley schrieb die Erstautorin Gertrude Behring:

Studien, die in den 1970erJahren durchgeführt worden waren, fanden keine Belege für eine Infektion des Menschen mit dem Rinderleukämievirus. Die Tests, die wir heute haben, sind empfindlicher, aber es war immer noch schwie­rig, das etablierte Dogma umzustoßen, dass das Rinderleukämievirus nicht auf den Menschen übertragbar sei. Folglich gab es für die Viehwirtschaft wenig Anreiz, Verfahren zu entwickeln, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Dieses Risiko ist höher als irgendeines der häufig publizierten Risikofaktoren für Brustkrebs wie etwa Fettleibigkeit, Alkoholkonsum und die Einnahme von Hormonen nach der Menopause.1

Es gibt eine Menge, was man an dieser Aussage in Betracht ziehen sollte. Vielleicht waren die Tests in den 1970er-Jahren nicht empfindlich genug, um das Vorliegen des Virus im Brustkrebsgewebe zu entdecken. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Rinder in dieser Zeit nicht in so großer Zahl vom Rinderleukämievirus befallen waren wie sie es heute sind.

Könnte der Einsatz des Rinderwachstumshormons, mit dem man in den 1980er-Jahren begonnen hatte, die Expression von latenten Rinderleukämieviren verändert haben, die latent im Erbgut der Rinder vorhanden waren?

Nochmals – ich weiß es nicht.

Aber es ist eine berechtigte Frage, deren Beantwortung man mit großem Nachdruck verfolgen sollte.

Und was lehrt uns das darüber, was jemand tun sollte, wenn ein Vorgesetzter sagt: „Das kannst du nicht sagen!“ Also, mir scheint es vollkommen klar zu sein, dass das Problem in den meisten Fällen nicht von alleine verschwindet. In den 1980ern habe ich eindeutige Beweise dafür gefunden, dass das Rinderwachstumshormon Zellkulturen schädigt, und das führt mich zu der Frage, welche Auswirkungen das auf die Expression des Rinderleukämievirus in der Milch von diesen hormonbehandelten Kühen hat.

Heute stellt man sich die Frage, ob BLV mit Brustkrebs zusammenhängt.

Welche Frau macht sich nicht irgendwann in ihrem Leben Sorgen über Brustkrebs?

Mir ist klar, dass zwischen meiner eigenen Forschung und der an der UC Berkeley eine große Lücke klafft, aber eine solche Lücke sollte es nicht geben. Wir sollten die gesamte Kette von Ursache und Wirkung verstehen, von der Einführung eines neuen Produkts in der Öffentlichkeit bis zu seinen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Ich weiß, dieser Prozess kann schwierig und zeitraubend sein, aber wir sprechen hier über Menschenleben.

Wissenschaft sollte dafür da sein, schwierige, sogar missliebige Fragen zu beantworten. Bei meinem ersten Bewerbungsgespräch mit Frank wollte er mich direkt einstellen, aber die Abteilungsleiterin lehnte das ab. Auf die Frage warum antwortete die Frau: „Sie stellt zu viele Fragen.“ Frank dachte, dass genau diese Eigenschaft in der Wissenschaft gebraucht wird. Also stellte er mich gegen ihren Willen trotzdem ein.

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Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
422 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783962571900
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