Kitabı oku: «3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT», sayfa 2

Yazı tipi:

»Wann sagst du’s Karin?«

»Das hab ich schon getan.«

Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Endlich entwickelte sich alles so, wie sie es sich gewünscht hatte. »Wann?«

»Vor einer Viertelstunde. Karin …« Er stockte und seufzte schwer. »Sie hat es zum Glück relativ gefasst aufgenommen und keine Szene gemacht. Vielleicht hat sie ja schon etwas geahnt. Auf jeden Fall ist sie mit den Kindern weggefahren. Wenn sie in zwei Stunden zurückkommt, muss ich meine Koffer gepackt haben und verschwunden sein.«

»Soll ich …?«

»Ja. Komm bitte her und hol mich ab. In dein winziges Spielzeugauto passt zwar nicht viel rein, aber den Rest kann ich auch ein anderes Mal holen. Und beeil dich! Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«

»Mir geht es genauso.«

»Fahr über die Dörfer, dann bist du schneller da.«

»Aber …«

»Tu es einfach, Spatzi! Mir zuliebe. Um diese Zeit ist auf der Strecke ohnehin nichts los. Und je eher du da bist, desto früher kann ich dich wieder in meinen Armen halten und können wir ein neues, gemeinsames Leben beginnen. Ich hab dich so vermisst.«

»Ich dich auch. Ich leg dann jetzt auf und fahr sofort los.«

»Gut. Ich warte auf dich.«

»Ich liebe dich«, sagte sie, doch Norbert hatte bereits aufgelegt. Macht nichts, dachte sie. In ungefähr zwanzig Minuten kann ich es ihm ins Gesicht sagen.

Die Erinnerung an das Telefonat hatte ein verträumtes Lächeln auf Lisas Gesicht gezaubert. Sie wurde allerdings sofort wieder ernst, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung im Seitenspiegel registrierte. Sie nahm die Augen von der Straße und blickte in den Spiegel. Was sie darin sah, verjagte die Glücksgefühle und trieb ihr erneut den Angstschweiß auf die Stirn.

»Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt«, sagte sie und behielt das Fahrzeug, das sich ihr mit hoher Geschwindigkeit von hinten näherte, noch einen Moment länger im Auge, ehe sie sich losriss und wieder nach vorn sah. Gerade noch rechtzeitig, denn da kam auch schon die nächste Kurve. Mit dem anderen Auto hinter sich bremste sie nicht so stark ab, wie sie es getan hätte, wenn sie allein auf der Strecke gewesen wäre. Dennoch kam sie gut durch die Kurve. Danach ging es wieder ein Stück geradeaus weiter, sodass Lisa es wagen konnte, wieder in den Rückspiegel zu schauen.

Sie stöhnte auf, denn der andere Wagen war schon direkt hinter ihr. Zwischen den beiden Fahrzeugen hätte kein anderes Auto mehr gepasst. Der andere musste wie ein Wahnsinniger durch die Kurve gefahren sein, um die Lücke so schnell zu schließen.

Lisa sah wieder auf die Straße. Die nächste Kurve war noch mehrere Hundert Meter entfernt. Außerdem war die Straße an dieser Stelle breit genug, sodass zwei Autos gefahrlos nebeneinander fahren konnten.

»Überhol doch endlich!«

Doch als sie in den Rückspiegel sah, war der andere noch immer hinter ihr. Es handelte sich um einen schwarzen Wagen, vermutlich ein BMW. Den Fahrer konnte sie nicht erkennen, da sich der weißblaue Himmel in der Frontscheibe widerspiegelte. Sie hatte das unangenehme Gefühl, das andere Auto wäre noch näher gekommen, sodass die Entfernung zwischen ihnen nicht mehr in Metern, sondern nur noch in Zentimetern gemessen werden konnte.

»Was soll das denn, du Idiot? Und wieso überholst du nicht?«

Obwohl sie eigentlich gar nicht schneller fahren wollte, trat Lisa dennoch aufs Gas, um den Abstand zu vergrößern. Für einen Moment klappte das auch, doch dann fuhr auch der andere schneller und hing erneut wie eine Klette an ihr.

Zum Glück war sie heute ausnahmsweise angeschnallt. In der Regel mochte sie es nicht, weil sie sich dabei immer so eingeengt fühlte. Doch weil Norbert sie gebeten hatte, diese Strecke zu fahren, hatte sie eine Ausnahme gemacht und den Gurt genommen. Jetzt war sie froh darüber.

Sie fuhr noch schneller und sah nach vorn. Noch etwa zweihundert Meter bis zur Kurve.

Was soll ich nur tun, wenn wir dort sind?, fragte sie sich panisch, denn ihrer Meinung nach fuhr sie zu schnell für die scharfe Kurve. Und wenn sie abbremste, fuhr ihr möglicherweise der Idiot hinter ihr ins Heck. Sie sah auf den Tacho und erschrak. Sie hatte gedacht, sie würden achtzig fahren. Doch laut Geschwindigkeitsanzeige hatte sie bereits über hundert Sachen drauf.

»Das ist doch der Wahnsinn!«

Es war nicht mehr weit bis zu dem kleinen Ort, in dem Norbert wohnte. Doch wenn der Schwachkopf hinter ihr so weitermachte, käme sie dort nie heil an.

Sie sah wieder in den linken Seitenspiegel und atmete erleichtert auf. Der BMW war endlich zum Überholen auf die andere Spur ausgeschert und schob sich jetzt langsam neben sie. Bei der hohen Geschwindigkeit, mit der sie fuhren, hatten sie die Kurve schon beinahe erreicht.

Lisa wollte bremsen.

Doch bevor sie dazu kam, sah sie aus dem Augenwinkel, dass das andere Auto in ihre Richtung schwenkte, obwohl es noch immer neben ihr fuhr und sie noch nicht überholt hatte. Sie riss das Lenkrad herum, um auszuweichen, schaffte es jedoch nicht. Mit einem lauten Krachen prallte der schwere BMW seitlich in ihren Daihatsu. Der Kleinwagen hatte gegen die Masse des viel schwereren Autos keine Chance und wurde zur Seite geschleudert. Die rechten Räder kamen von der Straße ab und holperten über den schmalen Grasstreifen, der die Straße von der steilen Böschung trennte, hinter der die Felder lagen.

Für einen Moment hatte Lisa die Hoffnung, dass der Fahrer des anderen Wagens ihr nach der unabsichtlichen Kollision Platz machen würde und sie ihr Auto wieder auf die Straße lenken könnte. Doch schon eine Sekunde später krachte der BMW erneut in ihr Auto und schob es endgültig von der Straße.

Der Daihatsu stellte sich schräg und raste die steile Böschung hinunter. An ihrem Ende bohrte sich die vordere rechte Ecke des Fahrzeugs in die Erde des Ackers.

Durch den Krach wurde eine Schar Krähen aufgeschreckt, die auf dem abgeernteten Feld nach Körnern gesucht hatte, und erhob sich mit einem protestierenden, vielstimmigen Krächzen in die Luft.

Lisa schrie ebenfalls laut, als sie nach vorn geworfen wurde und in den Sicherheitsgurt fiel, der sich ruckartig spannte und in ihren Leib bohrte. Den Bruchteil eines Augenblicks später entfalteten sich mit einem lauten Knall die Airbags und pressten sie in den Sitz zurück.

Der Wagen wurde hochgeschleudert, landete auf dem Dach und überschlug sich dann mehrmals auf dem Feld.

Um Lisa herum herrschten nur noch infernalischer Lärm und wirbelnde, übelkeitserregende Bewegung, sodass sie sich wie in einer Waschmaschine im Schleudergang vorkam. Der Gurt hielt sie allerdings in ihrem Sitz und verhinderte, dass sie durch die Fahrgastzelle oder durch die zerschmetterten Fenster nach draußen geschleudert wurde. Von den dreieinhalb Überschlägen bekam die junge Frau allerdings nur die ersten anderthalb mit. Denn als das Auto das zweite Mal auf dem Dach landete, schlug Lisas Kopf so heftig gegen etwas, das härter und unnachgiebiger als ihr Schädelknochen war, dass die chaotische Welt um sie herum für sie augenblicklich zu existieren aufhörte.

Nach zwei weiteren Überschlägen kam der Daihatsu völlig demoliert auf dem Dach zu liegen. Nur die vier Reifen drehten sich noch eine Weile munter weiter, bis schließlich auch sie zum Stillstand kamen. Danach war nur noch das Ticken von heißem Metall zu hören, das sich langsam abkühlte, denn das Motorengeräusch des ohne Halt davongefahrenen BMW hatte sich längst in der Ferne aufgelöst.

Ansonsten war es für eine Weile geradezu totenstill. Und nichts bewegte sich, weder innerhalb noch außerhalb des Wracks.

Dann kamen die Krähen zurück, die auf einem nahen Baum Zuflucht gesucht hatten, landeten rund um das zerstörte Fahrzeug und suchten wieder nach Essbarem.

»Verdammter Mist!«

Er wäre gern schneller gefahren, doch ausgerechnet heute hatte der Scheinwerfer seines Keeway-Motorrollers seinen Geist aufgegeben. Michi wusste nicht, ob nur die Birne defekt oder sogar ein neuer Scheinwerfer fällig war. Letzteres wäre noch ärgerlicher, denn das würde ein Loch in sein derzeit ohnehin geringes Barvermögen reißen.

Er fuhr langsam über den schmalen Kiesweg, der an dieser Stelle durch ein dichtes Waldstück führte und eigentlich nur für Spaziergänger und Wanderer gedacht war. Hier war es besonders dunkel. Die einzige Orientierungshilfe bot ein schmaler Streifen Nachthimmel über ihm, der nur geringfügig heller war als die Baumkronen rechts und links, weil der sichelförmige Mond sich hinter eine dichte Wolkendecke zurückgezogen hatte. Wenigstens kannte Michi den Weg, sonst hätte er auf diesem Teil seines Heimwegs noch langsamer fahren oder den Motorroller vielleicht sogar schieben müssen. Er hoffte nur, dass nicht plötzlich ein Reh oder Wildschwein vor ihm auf dem Weg stand, denn wenn er das Tier zu Gesicht bekäme, wäre es zu spät, um den Roller noch rechtzeitig anzuhalten.

Seine Mutter würde toben. Wahrscheinlich hatte sie schon unzählige Male versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen. Da er jedoch keine Lust hatte, sich ihre Tirade anzuhören, hatte er es ausgeschaltet. Wenn er nach Hause kam, würde er sich ohnehin einiges anhören müssen. Es reichte also, wenn er ihre Schimpfkanonade einmal über sich ergehen ließ.

Dabei hatte er heute gar nicht vorgehabt, so lange bei seinem besten Freund Max zu bleiben, weil er noch Hausaufgaben – ausgerechnet in seinem »Lieblingsfach« Mathe – machen und ein paar Seiten in diesem blöden Kannibale und Liebe, oder wie der Schinken hieß, lesen musste. Er fragte sich jedes Mal, wieso dieser Schiller nicht so hatte schreiben können, dass auch ein normaler Fünfzehnjähriger verstand, worum es ging. Aber dann hatten Max und er noch eine Runde FIFA 15 gespielt und noch eine und … Na ja, irgendwie hatte er die Zeit vergessen, und als er dann doch einmal auf die Uhr gesehen hatte, war es später als gedacht und draußen schon dunkel gewesen.

Michi bremste vorsichtig, um auf dem lockeren Kies nicht die Kontrolle zu verlieren, denn in wenigen Metern musste eine Kurve kommen. Es fehlte ihm gerade noch, dass er jetzt zu allem Überfluss auch noch seinen Roller schrottete. Er hatte zu lange darauf gespart und konnte sich momentan keine größeren Reparaturen leisten. Eine neue Birne für den Scheinwerfer war okay, doch alles, was darüber hinausging, wäre schmerzhaft. Da kam die Kurve auch schon. Michi durchfuhr sie vorsichtig und starrte angestrengt ins Dunkel, das vor ihm lag.

Michael Bergmoser, der von allen nur Michi genannt wurde, war fünfzehn Jahre alt und ging in die 10. Klasse des Gymnasiums. Er war für sein Alter recht groß – bei der letzten Messung eins vierundachtzig – und schlank. Er hatte kurzes hellbraunes Haar, braune Augen und bis auf ein paar Härchen auf der Oberlippe noch keinen nennenswerten Bartwuchs. Michi lebte mit seiner Mutter im – wie er es nannte – allerletzten Kuhkaff. Deshalb war er froh gewesen, als er endlich den Mofa-Führerschein machen und sich von seinen Ersparnissen den gebrauchten Motorroller kaufen konnte, denn damit wurde er endlich unabhängig von der Gnade seiner Mutter, die ihn zu seinem Leidwesen nicht immer dorthin gebracht hatte, wo er hingewollt hatte. Aber die Zeiten, in denen er sie anbetteln oder Hausarbeiten gegen Chauffeurdienste verrichten musste, waren zum Glück vorbei.

Allerdings würde sie heute Abend wieder einmal besonders angepisst sein, weil er erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam und sein Handy ausgeschaltet hatte. Michi zuckte mit den Schultern. Seit sein Vater sie verlassen hatte und mit einer wesentlich jüngeren Frau zusammengezogen war, kannte seine Mutter ohnehin nur drei Gemütszustände: ärgerlich, wütend und fuchsteufelswild. Er tippte darauf, dass heute wieder einmal fuchsteufelswild an der Reihe war. Also würde er ihre Schimpftirade schweigend über sich ergehen lassen, schließlich sah er ausnahmsweise sogar ein, dass er sie verdient hatte, und sich reumütig zeigen, bis sie sich allmählich wieder beruhigte und nur noch ärgerlich war. Am Ende würde sie ihn fragen: »Hast du deine Hausaufgaben überhaupt schon gemacht?« Und er würde lügen und sagen, dass er es getan habe. Und dann wäre er entlassen und könnte in sein Zimmer gehen, während Mutter sich wieder auf die Couch im Wohnzimmer zurückzog, irgendeinen Scheiß im Fernsehen ansah und eine Flasche Wein, Hugo oder was auch immer leerte. Immer das Gleiche!

Michi fuhr behutsam um die nächste Kurve, um im Kies nicht auszurutschen, und atmete erleichtert auf, als er endlich das Ende des Waldstücks vor sich sah. Wenn er den Wald erst hinter sich hatte, konnte er auch wieder schneller fahren. In spätestens fünfzehn Minuten wäre er dann zu Hause. Er gab schon jetzt wieder etwas mehr Gas, da er sehen konnte, dass es zwischen ihm und dem Waldrand keine Hindernisse gab, weder umgekippte Baumstämme noch lebende nachtaktive Tiere. Dann hatte er es endlich geschafft und fuhr aus dem Wald. Der Weg machte einen scharfen Rechtsknick und führte zunächst ein kleines Stück am Waldrand entlang. Dann ging es nach links, und an dem einsamen Ahornbaum, der an einer Gabelung stand, musste er nach rechts abbiegen.

Er fuhr durch die Biegung und gab anschließend Gas.

Da sah er das Feuer.

Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde der ganze Ahornbaum in Flammen stehen. Hören konnte Michi jedoch nichts, da der Helm, den er trug, die Geräusche seiner Umgebung dämpfte. Er fuhr unwillkürlich schneller, während sein Blick weiterhin auf den Flammen ruhte, die am Fuß des großen Baumes loderten. Zuerst vermutete er, betrunkene Jugendliche hätten sich einen Scherz erlaubt oder ein Lagerfeuer gemacht, das dann außer Kontrolle geraten war. Doch er sah niemanden in der Nähe des Feuers. Er ließ seinen Blick umherschweifen auf der Suche nach denjenigen, die für das Feuer verantwortlich sein mussten. Dabei sah er ein Auto, das ohne Licht fuhr und schon im nächsten Augenblick in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises, den die lodernden Flammen schufen, verschwand, als hätte es nie existiert.

Michi folgte dem Kiesweg, der sich vom Wald entfernte und direkt auf den Ahornbaum zuführte. Er konnte jetzt besser sehen, was sich unter den ausladenden Ästen des Baumes befand, und erkannte ein Auto. Es war gegen den Stamm geprallt und stand lichterloh in Flammen.

Was ist denn hier passiert?, fragte er sich und versuchte, sich ein Szenario vorzustellen, bei dem zwei Autos und ein Ahornbaum eine Rolle spielten und eines der Autos gegen den Baum prallte und in Flammen aufging. Es gelang ihm allerdings nicht. Diese Gegend war viel zu abgeschieden. Er hatte hier draußen noch nie auch nur ein einziges Auto gesehen, sondern immer nur Traktoren, Mähdrescher und Fahrräder. Außerdem war der Feldweg viel zu schlecht für Autos und zu schmal, um darauf Rennen zu fahren.

Michi stoppte den Motorroller in ausreichendem Abstand zum brennenden Fahrzeug. Er hatte im Fernsehen genug explodierende Autos gesehen, um seinen kostbaren Roller besser keinem Risiko auszusetzen. Ohne den Blick von den Flammen zu nehmen, schaltete er den Motor aus und bockte den Roller auf. Dann ging er langsam auf das Feuer zu, behielt dabei aber sicherheitshalber den Helm auf.

Das Innere des Fahrzeugs, das er hinter den Scheiben sehen konnte, war bereits ein einziges Flammenmeer. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis das Glas aufgrund der Hitze zersprang. Aber auch über die Motorhaube, das Dach und den Kofferraum leckten schon gierige Feuerzungen, sodass der schwarze Lack Blasen warf. Manche Flammen züngelten sogar schon an der Rinde des Baumstamms empor.

Michi erkannte, dass es sich bei dem Auto um einen BMW handelte. Da er sich von der Beifahrerseite her näherte, umrundete er das Fahrzeug, hielt jedoch einen ausreichenden Sicherheitsabstand. Nicht nur die Angst, der Wagen könnte explodieren, hielt ihn auf Abstand, sondern auch die Hitze, die sogar mehrere Meter vom Brandherd entfernt enorm war. Obwohl er nur Jeans und einen dünnen Pulli trug, brach ihm der Schweiß aus.

Als er auf der Fahrerseite angekommen war, sah er, dass die vordere Seitenscheibe offen war. Die Flammen schlugen nach draußen und leckten am Rahmen. Mittlerweile konnte er trotz des Helms auch das Prasseln und Tosen des Feuers hören.

Er überlegte, was er tun sollte. Natürlich musste er umgehend die Feuerwehr rufen. Aber was, wenn sich jemand im Inneren befand? Musste er das den Rettungskräften nicht mitteilen?

Da ist keiner mehr drin!, sagte sich Michi. Er wusste jedoch nicht, woher er die Überzeugung dafür nahm. Vermutlich war es nur die Hoffnung, dass keiner mehr im Wagen gewesen war, als dieses Feuer angefangen hatte, denn den Hochofen, in den sich das Fahrzeuginnere mittlerweile verwandelt hatte, konnte niemand überlebt haben.

Er dachte an das Fahrzeug, das sich entfernt hatte, ohne das Licht anzuschalten. Wer immer das gewesen war, hatte anscheinend etwas zu verbergen. Michi stellte sich Bankräuber vor, die ihren Fluchtwagen angezündet hatten, um alle Spuren, die sie möglicherweise hinterlassen hatten, zu vernichten. Aber wieso waren sie mit dem BMW dann auch noch gegen den Ahornbaum gerast? Das ergab doch keinen Sinn!

Michi wollte sich schon abwenden, um sein Handy herauszuholen und die Feuerwehr zu rufen, als er eine Bewegung im Fahrzeuginneren sah. Er glaubte, sein Herz würde aufhören zu schlagen und sich dann nie mehr in Gang setzen lassen.

Das kann nicht sein!

Dennoch sah er es ganz deutlich. Ein dunkler Umriss neigte sich in Richtung des offenen Fensters. Michi erschauderte. Als seine Fantasie ihm eine Vorschau dessen lieferte, was gleich geschehen würde, sah er darin eine verkohlte Leiche, die die Fahrertür öffnete, aus dem Wagen stieg und steifbeinig auf ihn zu stakste, während die Flammen sie noch immer wie ein lebender Umhang umhüllten. Im Nachhinein hätte er sich nicht einmal gewundert, wenn er sich in diesem entsetzlichen Moment in die Hose gemacht hätte. Aber zum Glück blieb ihm diese Schmach erspart.

Die Bewegung, sofern es eine solche überhaupt gegeben hatte, kam zum Stillstand. Dann fuhr ein leichter Windstoß durch das offene Fenster ins Feuer, sodass sich für einen Augenblick eine Lücke im dichten Flammenvorhang auftat, durch die Michi einen Blick auf die geschwärzte, unmenschlich wirkende Gestalt auf dem Fahrersitz werfen konnte.

Hinterher konnte er sich an keine Einzelheiten mehr erinnern, wofür er dankbar war. Er wusste nur noch, dass ihm in diesem Moment klar wurde, dass die Person im Inneren des Wagens mausetot sein musste und gar nicht mehr in der Lage sein konnte, sich zu bewegen. Vermutlich waren nur ihre Muskeln und Sehnen unter dem Einfluss der mörderischen Hitze geschrumpft, sodass sich der verkohlte Schädel in Richtung Fenster geneigt hatte. Und obwohl Michi das erkannte, hatte er dennoch das Gefühl, der Leichnam hätte ihm grüßend zugenickt.

Als sich der lodernde Vorhang wieder schloss und ihm die Sicht verwehrte, wurde Michi sich endlich wieder bewusst, dass er einen Körper hatte und sich bewegen konnte. Außerdem wurde ihm so übel wie noch nie in seinem fünfzehnjährigen Leben. Er wirbelte herum, lief ein paar Schritte, bis die Hitze erträglicher war und nur noch seinen Rücken wärmte. Es gelang ihm gerade noch, sich den Helm vom Kopf zu reißen. Dann konnte er die Gummibärchen, die Chips und die Cola, die er bei Max bekommen hatte, nicht mehr länger bei sich behalten. Als er sich nicht mehr würgend übergeben musste, war ihm zwar immer noch übel, doch wenigstens war der Brechreiz weg. Er wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und ging auf wackligen Beinen zurück zu seinem Roller. Dabei vermied er es, noch einen Blick auf den brennenden BMW zu werfen. Er hatte viel zu viel Angst, er könnte auf dem Beifahrersitz oder den Rücksitzen noch weitere schwarz verkohlte Leichen entdecken, die sich bewegten und ihn dann bis in seine Albträume verfolgen würden. Er setzte sich auf den Roller und holte sein Handy heraus. Nachdem er es angemacht hatte, sah er, dass er sechs Anrufe von seiner Mutter bekommen hatte. Aber die war momentan seine geringste Sorge. Statt die Feuerwehr anzurufen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, wählte er die 110. Schließlich saß ein toter Mensch im Wagen, für den jede Rettung zu spät kam, und dafür war seiner Meinung nach in erster Linie die Polizei zuständig.

Dilegua, o notte! Tramontate, stelle! Tramontate, stelle! All’alba vincerò! Vincerò! Vincerò!

(Die Nacht entweiche, jeder Stern erbleiche! Jeder Stern erbleiche, damit der Tag ersteh und mit ihm mein Sieg!)

Er summte die Opernarie Nessun dorma, die den britischen Handyverkäufer Paul Potts in der Castingshow Britain’s Got Talent 2007 schlagartig berühmt gemacht hatte, ergänzte den italienischen Text allerdings nur in Gedanken, während er unter der Dusche stand und sich den Schaum aus dem vollen, mittelblonden Haar spülte. Zu Hause sang er die Arie immer laut, wenn er duschte, obwohl seine Frau und die Kinder ihn hinterher immer damit aufzogen. Natürlich wusste er selbst, dass er nicht so gut singen konnte wie Paul Potts, seiner Meinung nach klang es aber auch nicht so schlecht, wie sie sagten. Trotzdem hätte er es nie gewagt, an einem Ort wie diesem, dem Bad seines Gästezimmers, laut zu singen, weil er keinen der anderen Gäste stören wollte.

Gerhard Biermann hörte auf zu summen und stellte das Wasser ab. Dann öffnete er die Tür der Duschkabine und griff nach dem Handtuch, das er in der Nähe bereitgelegt hatte, um sich abzutrocknen. Während er das tat, dachte er über den Tag nach, der bald zu Ende gehen würde.

Er war eigentlich recht erfolgreich verlaufen, denn er hatte heute sämtliche Termine einhalten und eine ganze Reihe von Ärzten und Apotheken in und um Fürstenfeldbruck besuchen können. Morgen würde er nach Möglichkeit den Rest auf seiner Liste abhaken, bevor er zum nächsten Ort weiterzog. Gerhard war Pharmaberater und lebte mit seiner Frau Heike und den beiden Kindern Sarah und Niklas in Mannheim. Nach seinem letzten Termin bei einem Allgemeinmediziner war es bereits dunkel geworden. Also fuhr er gleich zum Gästehaus, in dem er im Lauf des Tages eingecheckt hatte, ging dort auf sein Zimmer und rief zu Hause an, damit er noch mit den Kindern sprechen konnte, bevor sie ins Bett gingen. Danach unterhielt er sich noch eine Weile mit seiner Frau. Zum Schluss versicherten sie sich gegenseitig, wie sehr sie den anderen liebten und vermissten, und beendeten das Gespräch. Anschließend ging Gerhard zu einem späten Abendessen in ein italienisches Restaurant in der Nähe und trank zwei Gläser Wein zu seiner Pizza. Obwohl er danach schon recht müde war und sich am liebsten nur noch ins Bett gelegt hätte, ging er dennoch wie jeden Abend unter die Dusche.

Als er sich abgetrocknet hatte, trat er aus der Duschkabine und vor den Spiegel, der beschlagen war. Er nahm ein Handtuch und wischte ein Oval in der Mitte der spiegelnden Fläche frei. Obwohl schon viele behauptet hatten, Gerhard sähe so unscheinbar aus, dass man sein Gesicht schon wieder vergessen hatte, sobald er aus dem Zimmer gegangen war, war er dennoch zufrieden mit dem, was er sah. Und Heike war es wohl auch, sonst hätte sie ihn bestimmt nicht geheiratet. Er hatte kurzes mittelblondes Haar, ein glatt rasiertes, gleichmäßiges Gesicht ohne besondere Merkmale und blassgraue Augen. Außerdem war er von durchschnittlicher Größe und Statur.

Gerhard nahm die Bürste und kämmte sein trocken gerubbeltes Haar. Dann sprühte er sich Deo unter die Arme. Fertig! Jetzt konnte er sich endlich ins Bett legen und schlafen, denn morgen war bestimmt wieder ein anstrengender und langer Tag.

Er öffnete die Tür und trat in den schmalen Flur, der von der Zimmertür zum Gästezimmer führte. Da er das Licht hatte brennen lassen, sah er sofort den Eindringling, der neben dem Bett stand und augenscheinlich auf ihn gewartet hatte, denn er sah ihn erwartungsvoll an.

»Wer sind Sie?«, fragte Gerhard aufgebracht. Trotz seiner Entrüstung fühlte er sich unwohl, da er nur ein Handtuch um die Hüften trug und sich darin entblößt und nackt vorkam. »Und was haben Sie in meinem Zimmer zu suchen?«

Der andere Mann sagte nichts, sondern starrte ihn nur an. Dann hob er die Hand, die er bislang hinter seinem Körper verborgen gehalten hatte, sodass Gerhard zum ersten Mal das große Küchenmesser sehen konnte, das der Fremde bei sich hatte. Gerhard schloss für einen Moment die Augen, als sich das Licht der Deckenlampe in der Klinge spiegelte und ihn blendete.

»Was wollen Sie von mir?«

»Das weißt du ganz genau, Ladykiller

Gerhard war verwirrt. Was sollte das? Und wer bitte schön war dieser Ladykiller, von dem der andere sprach? Er verspürte den drängenden Impuls, sich augenblicklich herumzuwerfen, zur Tür zu rennen und fluchtartig das Zimmer zu verlassen. Doch ein anderer Teil seines Verstandes überzeugte ihn davon, dass es vermutlich besser war, dem anderen klarzumachen, dass er sich geirrt hatte, im falschen Zimmer gelandet war und demzufolge auch den falschen Mann bedrohte. Es war der Teil von ihm, der auch der Ansicht war, dass man durch ein vernünftiges Gespräch jedes Problem lösen konnte.

»Sie täuschen sich«, sagte er daher. »Ich bin nicht der, für den Sie …«

Weiter kam er jedoch nicht, da er plötzlich von hinten an den Armen gepackt wurde.

»Was …«

Im nächsten Augenblick wurde ihm etwas über den Kopf gezogen. Es fühlte sich nach einem Stoffsack oder Kissenbezug an. Trotz der Angst, die ihn erfüllte, war Gerhard froh, dass es wenigstens kein Plastikbeutel war und er noch immer atmen konnte. Der Stoff war nicht völlig undurchsichtig, und so konnte er schemenhaft erkennen, dass der Mann mit dem Messer auf ihn zukam. Gerhard wand sich und versuchte verzweifelt, seine Arme aus den Griffen der Personen zu befreien, die hinter ihm standen und die er zunächst gar nicht wahrgenommen hatte. Bei einem, vermutlich demjenigen, der ihm auch den Sack über den Kopf gestülpt hatte, gelang es ihm sogar. Er riss die rechte Hand im gleichen Moment hoch, als der Mann vor ihm auf ihn einstach. Die Klinge traf seine Handkante und schnitt tief ins Fleisch, bis sie auf einen Knochen traf. Gerhard schrie vor Schmerz, aber wenigstens hatte er das Messer aufhalten können, bevor es in seinen Leib fuhr und Schlimmeres anrichtete.

»Haltet ihn gefälligst fest!«, zischte der Mann vor ihm ärgerlich. »Und bringt ihn zum Schweigen!«

Dann wurde auch schon Gerhards Arm gepackt, nach unten gerissen und eng an den Körper gepresst, sodass er sich nicht noch einmal befreien konnte, sosehr er es auch versuchte. Gerhard konnte fühlen, wie das Blut an seiner Hand und seinen Fingern hinunterlief, von deren Spitzen es vermutlich auf den Teppichboden tropfte. Er riss den Mund auf, um erneut zu schreien, viel lauter dieses Mal, um jemandem in einem der anderen Zimmer auf sich und seine Notlage aufmerksam zu machen. Doch noch ehe er auch nur einen Ton von sich geben konnte, legte sich eine Hand auf seinen Mund, um ihn zu verschließen und jeden Schrei im Ansatz zu ersticken. Was er daraufhin von sich gab, klang dumpf und erstickt und konnte außerhalb dieses Zimmers unmöglich gehört werden.

Gerhard war zu abgelenkt gewesen, um den zweiten Stick kommen zu sehen. Er wurde sich erst darüber bewusst, dass der Messermann erneut zugestochen hatte, als sich etwas durch seine Bauchdecke bohrte. Zunächst spürte er nur die eisige Kälte der Klinge in seinen Eingeweiden, doch als der andere sie wieder herauszog, traf ihn der Schmerz mit der Wucht eines heftigen Faustschlags. Augenblicklich wurden seine Knie wachsweich, während er gleichzeitig spürte, wie das warme Blut aus der tiefen Wunde sprudelte und nach unten lief, wo es vom Stoff des Handtuchs aufgesaugt wurde. Er knickte in den Knien ein und wäre zu Boden gesunken, hätten ihn die anderen Angreifer nicht festgehalten.

Warum ich? Was habe ich getan?

Seit er aus dem Bad gekommen war, war nicht einmal eine Minute vergangen. Eine Minute, in der er von seinem normalen, alltäglichen Leben geradewegs in einen fürchterlichen Albtraum gestolpert war. Alles war so schnell gegangen, dass er gar nicht dazu gekommen war, sich Gedanken darüber zu machen, was hier geschah. Es war einfach unbegreiflich! Im Bad war sein Leben noch vollkommen in Ordnung und so gewesen, wie es sein sollte. Zugegebenermaßen langweilig und nicht jeden Tag erfreulich, aber dafür sicher und berechenbar. Doch als er das Bad verlassen hatte, war es, als wäre er durch eine Zaubertür getreten und in eine andere Welt geraten. Eine Welt, die ihm fremd war und deren Regeln er nicht kannte. Aber vor allem eine Welt, in der Gewalt herrschte und Männer über einen Unschuldigen herfielen, um auf ihn einzustechen.

Und wer zum Teufel ist dieser verfluchte Ladykiller?

Es war Gerhards letzter bewusster und zusammenhängender Gedanke, bevor der Angreifer vor ihm erneut auf ihn einstach und die Klinge sich in seinen Körper grub. Er wusste nicht einmal, wo genau das Messer ihn traf, weil der Schmerz mittlerweile seinen ganzen Körper in Flammen gesetzt hatte. Doch danach spürte er nur noch Agonie und war keines einzigen logischen Gedankens mehr fähig.

Diejenigen, die ihn von hinten gepackt hatten, waren nicht länger in der Lage, ihn zu halten, und ließen ihn zu Boden sinken. Es war auch nicht mehr nötig, ihm den Mund zuzuhalten, da ihm zum Schreien längst die Kraft fehlte. Alles, was aus seinem Mund kam, war ein langgezogenes, dumpfes Stöhnen.

Der Messermann hatte jedoch noch immer nicht genug und stach weiter zu. Gerhard spürte allerdings kaum noch, wie die Klinge immer wieder wie ein wütendes Tier in sein Fleisch biss. Wie durch einen blutigen Nebel sah er Bewegungen, doch sie waren verschwommen und unscharf.

Das Einzige, was er noch deutlich spürte, war das Blut, das aus mehreren tiefen Wunden aus seinem Körper rann und sein Leben Tropfen für Tropfen mit sich nahm. Doch ehe er verblutete, fand die lange Klinge des Küchenmessers sein Herz und durchbohrte es.

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