Kitabı oku: «DAS BUCH ANDRAS II», sayfa 2
Obwohl der schwache Lichtschein aus dem Flur, der durch den schmalen Spalt ins Zimmer gelangt war, nach dem Schließen der Tür fehlte, war es zum Glück dennoch nicht völlig dunkel. Die dicken Vorhänge waren zwar geschlossen, sodass kein Mondlicht durchs Fenster hereinfiel, aber ein mattes Leuchten, das von einem kleinen Nachtlicht auf der anderen Seite des Bettes direkt neben dem Notruf für die Schwestern stammte, ließ mich wenigstens vage Umrisse erkennen, als ich mich vorsichtig und langsam tiefer in das Zimmer hineinbewegte.
Erst jetzt, als würde sich mein Verstand aufgrund des dämmrigen Lichts verstärkt auf das Gehör und nicht mehr so sehr auf die Augen konzentrieren, bemerkte ich das nicht sehr laute, aber regelmäßige Schnarchen. Das Bett, aus dem die auf Dauer wahrscheinlich nervtötenden Geräusche kamen, befand sich nur wenige Schritte vor mir. Ich konnte darauf eine dunkle, langgezogene Erhebung ausmachen, bei der es sich um den Bewohner des Zimmers handeln musste, der unter der Decke lag und allem Anschein nach noch immer tief und fest schlief.
Als ich näher heranschlich, schälten sich weitere Umrisse aus dem Dunkel. Ich sah einen Nachttisch, einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen und einen Schrank auf der dem Bett gegenüberliegenden Seite des Raumes. Im Großen und Ganzen entsprach die Ausstattung somit der in meinem Zimmer. Was ich allerdings nicht entdecken konnte, war eine zweite Tür, die in eine kleine, angrenzende Toilette führte. Anscheinend waren nicht alle Zimmer mit einem eigenen WC ausgestattet, und manche Insassen mussten wohl auf die Gemeinschaftstoilette gehen, wenn sie ein dringendes Bedürfnis verspürten.
Ich hätte am liebsten laut geschimpft, um meiner Enttäuschung Luft zu machen, als meine Pläne erneut von widrigen Umständen durchkreuzt wurden. Denn eigentlich hatte ich vorgehabt, mich auf der Toilette hinter der Tür zu verstecken und Gehrmann, sollte er auch nur den Kopf hineinstrecken, mit einem geeigneten Gegenstand eins überzubraten. Das konnte ich mir jetzt natürlich abschminken. Nun hieß es, ein anderes geeignetes Versteck zu finden. Die Auswahl war allerdings nicht besonders groß, und die Chance, dass Gehrmann mich dennoch nicht entdeckte, eher gering. Andererseits wollte ich mich den Männern, die mich umbringen wollten, auch nicht wie auf dem Präsentierteller darbieten. Vielleicht nahm sich Gehrmann gar nicht so viel Zeit bei seiner Suche und konnte, um nicht alle Insassen aufzuwecken, auch nicht in jedem Winkel nachsehen, sodass er mich unter Umständen übersah. Und genau darauf setzte ich alle Hoffnungen, die ich noch hatte, denn etwas anderes blieb mir im Augenblick nicht übrig.
Da ich weder in den Schrank noch unter das Bett kriechen wollte und auch nicht das Bedürfnis hatte, mich neben den unbekannten Schläfer ins Bett zu legen, um meinen Verfolger auf diese Weise in die Irre zu führen, entschied ich mich für die einzige Möglichkeit, die übrigblieb. Ich beschloss, mich in den etwa zwanzig Zentimeter breiten Spalt zu zwängen, der sich zwischen der von der Tür abgewandten Seite des Schranks und der dahinterliegenden Wand befand, und zu hoffen, dass Gehrmann mich dort nicht entdeckte.
Doch vorher nahm ich mir noch die Zeit, auf Zehenspitzen lautlos um das Bett herumzugehen und das Nachtlicht aus der Steckdose zu ziehen. Sofort wurde es stockfinster im Zimmer. Ich konnte nichts mehr sehen. Nur noch das regelmäßige Schnarchen war zu hören und half mir zumindest, mich akustisch zu orientieren.
Ich wusste nicht, wer dieses Zimmer bewohnte und in dem Bett lag. Außer van Helsing kannte ich bislang ohnehin nur wenige der anderen Insassen, diese auch nur vom Sehen, und hatte nicht die geringste Ahnung, wer in welchem Raum der Station untergebracht war. Allerdings war das auch nicht von Belang. Solange die unbekannte Person weiterschlief und nicht plötzlich aufwachte und das Licht anmachte, war ich verhältnismäßig sicher.
Da ich mir, bevor ich das Nachtlicht entfernt hatte, meine Umgebung eingeprägt hatte, bereitete es mir nun keine Schwierigkeiten, mich bis zu dem von mir ins Auge gefassten Versteck vorzutasten. Ich hatte Glück und stieß auch nicht gegen irgendwelche Hindernisse, die mir aufgrund der unzulänglichen Beleuchtung verborgen geblieben waren.
Ich schob mich tief in die Lücke zwischen Schrank und Wand und wartete dann ab. Da sich meine Atmung wieder normalisiert hatte, bereitete es mir keine Mühe, flach und geräuschlos durch den geöffneten Mund zu atmen. Und falls ich doch versehentlich ein Geräusch verursachte, würde es vom Schnarchen des Schläfers übertönt werden.
Ich erschrak, als das schnarchende Geräusch plötzlich abbrach und die Person im Bett sich raschelnd bewegte. Doch anscheinend hatte sie im Schlaf nur eine andere Position eingenommen, denn unmittelbar danach lag der Schläfer wieder still und begann auch sogleich wieder damit, lautstark imaginäre Bäume umzusägen.
Allerdings blieb mir nicht viel Zeit, mich wieder zu beruhigen, denn nur wenige Augenblicke später begann mein Herz erneut schneller zu schlagen, als auf dem Gang vor der Tür Schritte ertönten, rasch lauter wurden und unmittelbar vor der Tür verstummten. Ich hielt den Atem an. Zunächst herrschte – bis auf die Geräusche des Schnarchers – wieder Stille, und ich dachte schon, ich hätte mich getäuscht und mir die Schritte nur eingebildet. Doch im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet.
Die Tür schwang nach innen, bis sie mit dem Türgriff beinahe gegen die Wand stieß, und ließ das matte Licht der Gangbeleuchtung hereinfallen, die ein verzerrtes, schiefes Viereck auf den Boden malte, das nicht ganz bis zum Bett reichte. Inmitten dieses hellen Rechtecks ragte tiefschwarz und bedrohlich der Schatten einer schlanken Gestalt in den Raum.
Ich hatte um die Ecke des Schranks gespäht und alles beobachtet. Doch nun beschloss ich, dass ich mehr als genug gesehen hatte, und zog den Kopf vorsichtig zurück, damit Gehrmann mich nicht sehen konnte. Vielleicht gab er sich mit einem Blick von der Tür ins Zimmer zufrieden und ging anschließend weiter. Doch da der Einsatz mein Leben war, verzichtete ich darauf, zu wetten, dass die Sache so leicht werden würde.
Ich konnte zwar nicht mehr zur Tür sehen, wo Gehrmann schweigend und bedrohlich in der hellen Öffnung stand, doch ich sah von meinem Versteck aus das Bett und seinen Schatten auf dem Boden. Sosehr ich mir auch wünschte, er möge sofort wieder verschwinden und die Tür hinter sich schließen, erfüllte sich dieser Wunsch jedoch nicht.
Gehrmann harrte mehrere Sekunden lang regungslos auf der Schwelle aus. Womöglich, um sich einen Überblick zu verschaffen, auf verdächtige Geräusche zu lauschen oder auch nur aus Vorsicht, damit er nicht aus der Dunkelheit heraus angefallen werden konnte. Dann betrat er das Zimmer. Beinahe lautlos kam er herein und ging geradewegs auf das Bett zu, aus dem unverändert die lauten Schnarchgeräusche kamen.
Als er das Bett erreichte, konnte ich deutlich die Umrisse der Pistole in seiner Hand erkennen. Er hielt sie allerdings so, dass die Mündung mit dem aufgesetzten Schalldämpfer nach oben zur Zimmerdecke zielte.
Mein Pulsschlag und das Geräusch meiner flachen Atmung dröhnten mir plötzlich wieder überlaut in den Ohren. Ich befürchtete, dass Gehrmann, der nur wenige Meter von mir entfernt stand, beides deutlich hören könnte. Am liebsten wäre ich mit der Wand in meinem Rücken verschmolzen, um mich dadurch vollständig unsichtbar zu machen. Ich presste mich unwillkürlich noch fester dagegen, doch das harte Material gab natürlich kein bisschen nach.
Doch Gehrmann konnte weder mein Herz, das in meiner Brust wummerte wie ein alter Dieselmotor, noch meine nahezu lautlosen Atemzüge hören. Und selbst wenn sie tatsächlich so laut gewesen wären, wie ich in meiner Panik befürchtete, wären sie aufgrund der Geräusche, die der Schläfer verursachte, dennoch nicht zu hören gewesen.
Aus der Dunkelheit meines Verstecks heraus beobachtete ich, wie Gehrmann sich über die schlafende Gestalt im Bett beugte, um deren Gesicht ansehen zu können, das von ihm abgewandt war. Möglicherweise dachte er, ich hätte mich einfach ins Bett gelegt, würde mich nun schlafend stellen und den dazu passenden Soundtrack produzieren. Aber was hätte ich in diesem Fall mit dem ursprünglichen Bewohner des Zimmers anstellen sollen. Hätte ich ihn einfach in meine Hosentasche stecken sollen?
Doch da fiel mir wieder ein, dass Gehrmann aufgrund des mutigen Widerstands der Nachtschwester gar nicht wusste, welches Zimmer ich bewohnte. Er musste daher bei jedem Zimmer, das er kontrollierte, davon ausgehen, dass es mir gehörte, und deshalb jede schlafende Person in jedem einzelnen Bett überprüfen. Eine derartige Vorgehensweise kostete natürlich jede Menge Zeit. Viele andere wären deshalb möglicherweise schneller und damit auch weniger sorgfältig vorgegangen. Allerdings gehörte Gehrmann nicht zu diesem Menschenschlag. Er war – diesen Eindruck hatte ich bereits bei der Besprechung mit ihm im Beisein von Dr. Jantzen und Gabriel gewonnen – penibel bis ins Mark und nahm alles peinlichst genau. Halbe Sachen gab es für ihn vermutlich nicht, und deshalb war es für seinen Kollegen Klapp wahrscheinlich auch nicht leicht, den älteren Mann halbwegs zufriedenzustellen, weshalb ich den Übereifer und die übertriebene Sorgfalt, die Klapp zeitweise an den Tag legte, nun ein wenig besser verstand.
Und weil Gehrmann eine Sache lieber zweimal kontrollierte und nicht zur Schlamperei neigte, überprüfte er auch in diesem Moment besonders gewissenhaft, ob es sich bei dem Schläfer im Bett nicht doch vielleicht um mich handelte. Dazu beugte er sich so weit nach vorn, dass ich schon befürchtete, er könnte das Gleichgewicht verlieren und vornüber aufs Bett kippen, und betrachtete aufmerksam das im Schatten liegende Gesicht der schlafenden Gestalt. Als er – möglicherweise aufgrund der Farbe oder Länge des Haars, der Form oder Farbe des Gesichts oder anderer leicht erkennbarer Merkmale – zu seiner Zufriedenheit festgestellt haben musste, dass der Schläfer nicht die Person war, die er suchte, begann er wieder damit, sich möglichst behutsam aufzurichten, ohne die Person im Bett dabei zu wecken.
Doch bevor er die Bewegung beenden und sich vollständig aufrichten konnte, ertönte urplötzlich ein ohrenbetäubender, gellender Schrei, der auch mich in meinem Versteck vor Schreck so stark zusammenzucken ließ, dass ich mit einem Knie und der Stirn gegen die Seitenwand des Schranks vor mir und mit einem Ellbogen und dem Hintern gegen die Wand hinter mir krachte. Die lauten Geräusche, die ich dadurch zwangsläufig verursachte, gingen aber in dem Krach unter, der im Bereich des Bettes laut wurde.
Ohne mich um die Schmerzen in den diversen angeschlagenen Körperteilen zu kümmern, verfolgte ich gebannt die dramatischen Ereignisse, die dem vollkommen überraschend erfolgten Aufschrei auf dem Fuße folgten und in denen Gehrmann eine tragende, gleichzeitig aber auch tragische Rolle zukommen sollte.
Den ohrenbetäubenden Schrei, der sowohl Gehrmann als auch mich überrascht und erschreckt hatte, hatte niemand anderes ausgestoßen als der dritte Anwesende im Zimmer, den Gehrmann und ich tief schlafend gewähnt hatten. Noch bevor der Schrei vollends verklungen war, schnellte der Oberkörper der bislang reglosen Gestalt, wie von einer straff gespannten Feder angetrieben, im Bett senkrecht nach oben. Gleichzeitig drehte sich die Person, die auf der Seite gelegen hatte, bis sie innerhalb eines halben Augenblicks aufrecht im Bett saß. Der rechte Arm des Unbekannten fuhr herum und beschrieb einen perfekten Halbkreis, dessen Endpunkt sich in Höhe von Gehrmanns linker Brustseite befand. Gehrmann stand wie erstarrt und noch immer nicht vollständig aufgerichtet neben dem Bett und starrte wahrscheinlich ebenso verblüfft wie ich auf die Gestalt im Bett, die wie ein rasender Kastenteufel so jäh zum Leben erwacht war.
Ich nahm an, der Schläfer wäre durch Gehrmann im Schlaf gestört worden und lediglich hochgeschreckt. Seine Reaktionen – der Schrei, das Aufrichten und die abrupte Armbewegung – hielt ich für einen panischen Reflex, mit dem der Sanatoriuminsasse auf die dunkle, bedrohliche Gestalt reagierte, die so überraschend mitten in der Nacht neben seinem Bett aufgetaucht war. Doch ich täuschte mich gewaltig. Erst als ich den Gegenstand, den die Person im Bett in der rechten Hand hielt und in Richtung von Gehrmanns Oberkörper schwang, deutlicher sehen konnte und erkannte, um was es sich dabei handelte, wurde mir mein Irrtum bewusst.
»Fahr zur Hölle, Kreatur der Verdammnis!«, schrie van Helsing und rammte Gehrmann den angespitzten Holzpfahl in die Brust, bevor dieser auch nur in der Lage war, den Angriff abzuwehren oder ihm zu entgehen.
Ich stellte mir unwillkürlich die Frage – auch wenn der Moment alles andere als passend für derartige Überlegungen war –, ob es sich um denselben Pflock handelte, an dem der selbst ernannte Vampirjäger vor wenigen Stunden in der geheimen Bibliothek so ausdauernd und kunstvoll herumgeschnitzt hatte.
Gehrmann ächzte vor Schmerz. Ein geisterhaft wirkender Laut, der wie ein leichter Windhauch aus seinem weit aufgerissenen Mund drang und kaum hörbar war. Er senkte die Hand mit der Schusswaffe, um eine Kugel auf seinen Peiniger abzufeuern. Doch van Helsing verstärkte den Druck auf den Pfahl, der im Brustkorb des anderen Mannes steckte, und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Mit einem ekelerregenden, nassen Geräusch, das sich anhörte, als würde jemand seinen Fuß aus dickflüssigem, klebrigem Morast ziehen, drang die Spitze des Holzpflocks noch tiefer in Gehrmanns Körper.
Die Pfahlspitze musste schließlich das Herz des Mannes durchstoßen haben, denn jäh erzitterte Gehrmanns Körper von Kopf bis Fuß wie unter einem Stromstoß. Die Finger der rechten Hand öffneten sich, bevor er die Pistole abfeuern konnte, und die Waffe fiel zu Boden, wo sie mit einem lauten Poltern landete.
Erneut drang ein gespenstischer Laut aus dem Mund des tödlich getroffenen Mannes, der mich unwillkürlich an das nächtliche Stöhnen auf einem verlassenen Friedhof denken ließ und mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Ich war in diesem Augenblick fest davon überzeugt, dass mich dieser Laut noch jahrelang in meinen Träumen verfolgen würde.
Dann erstarb das Zittern so rasch, wie es entstanden war, als scheinbar von einer Sekunde zur nächsten alles Leben aus Gehrmanns Körper entfloh. Starr und in aufrechter Haltung kippte Gehrmann wie ein gefällter Baum nach hinten und landete hart auf dem Boden. Er blieb auf dem Rücken liegen und zuckte ein letztes Mal spasmisch.
Im schwachen Licht, das aus dem Gang ins Zimmer fiel, nur undeutlich erkennbar, sah ich, dass ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel lief und an seiner Wange nach unten rann. Seine Augen hatte er vor Entsetzen und Agonie weit aufgerissen, doch sie starrten nur blick- und ausdruckslos zur Decke.
Trotz des Schocks, den mir das soeben Erlebte und vor allem die Rasanz und Unaufhaltsamkeit der Geschehnisse versetzt hatten, erholte ich mich erstaunlich schnell wieder. Wahrscheinlich hatte ich in letzter Zeit einfach zu viele schreckliche Dinge erlebt, sodass inzwischen ein Gewöhnungseffekt eingetreten war. Ich quetschte mich aus meinem Versteck und rannte am Bett vorbei, in dem van Helsing noch immer aufrecht saß und, mit sich und der Welt anscheinend vollkommen zufrieden und im Einklang, lächelnd auf sein blutiges Werk herabblickte.
Neben Gehrmanns gefälltem Körper ging ich in die Hocke. Ich brauchte mir gar nicht erst die Mühe zu machen, nach seiner Halsschlagader zu tasten und seinen Puls zu fühlen. Es reichte ein Blick in seine starren, vollkommen leblosen Augen, um sofort zu erkennen, dass der Mann tot war und nichts und niemand in der Lage sein würde, ihn zu retten. Wie der abgesägte Schaft einer monströsen Lanze ragte der hölzerne Pfahl aus seiner linken Brustseite. Van Helsings Hieb war so kraftvoll gewesen, dass fast die Hälfte des Holzpflocks in Gehrmanns Körper eingedrungen war. Im schwachen Lichtschein konnte ich große Mengen Blut sehen, die aus der Wunde geflossen waren, als sein Herz noch geschlagen hatte, und die schwarze Kleidung um die grässliche Wunde herum noch dunkler erscheinen ließ.
Ich erinnerte mich daran, dass die gefährliche Situation noch längst nicht ausgestanden war, denn im Gang stand ein weiterer Mann mit einer geladenen, schussbereiten Waffe. Und wenn er den Lärm aus diesem Zimmer gehört hatte – und davon musste ich ausgehen –, dann war er sicherlich schon längst hierher unterwegs, um nach seinem Kollegen zu sehen.
Ich durfte also nicht länger herumtrödeln und kostbare Zeit verlieren. Also riss ich mich von dem Anblick des toten Mannes los, dessen Ableben in meinen Augen ohnehin nicht völlig unverdient erfolgt war – wer Gewalt sät usw. –, auch wenn die Brutalität und Vehemenz, mit denen es eingetreten war, mich dennoch schockiert hatten. Rasch griff ich nach Gehrmanns Pistole, die neben dem Bett am Boden lag und matt glänzte.
»Bleib lieber, wo du bist, van Helsing!«, raunte ich und richtete mich gleichzeitig auf. »Draußen ist nämlich noch einer von denen.«
Kapitel 3
Während ich auf leisen Sohlen zur Tür huschte, konnte ich hören, dass auf der Station inzwischen auch andere Stimmen und Geräusche laut wurden. Der für diese Uhrzeit ungewohnte Lärm, angefangen bei den abgewürgten Schreien der Nachtschwester über das Splittern der zerschossenen Trennscheibe bis hin zu van Helsings gellendem Schrei, der dem Ganzen die Krone aufgesetzt und vermutlich auch den letzten Erwachenden davon überzeugt hatte, dass in der heutigen Nacht auf der Station etwas nicht in Ordnung war, war natürlich nicht ungehört geblieben. Zahlreiche Insassen in der unmittelbaren Umgebung mussten mittlerweile geweckt worden sein und rührten sich nun. Und allmählich, wie ein Waldbrand, breitete sich die Unruhe aus und zog weitere Kreise.
Die Bewohner des Sanatoriums, die psychisch ohnehin in den allerwenigsten Fällen ausreichend gefestigt und durch den ungewohnten nächtlichen Lärm nun auch noch aus dem Schlaf geschreckt worden waren, reagierten verständlicherweise panisch auf die Durchbrechung ihrer gewohnten Routine, die für viele von ihnen für eine erfolgreiche Behandlung ihrer Krankheiten von entscheidender Bedeutung war.
Stampfendes Getrampel war zu hören, als jemand panisch umherlief. Laute Schreie in unterschiedlichen Lautstärken und Tonhöhen erklangen aus allen Richtungen, teils langgezogen wie schrille Sirenen, teils abgehackt und in rhythmischer Folge. Außerdem wurden ringsum auch hysterische Rufe, Gejammer und fragende Stimmen lauter.
Als ich die Türöffnung erreichte, herrschte auf der ganzen Station bereits ein höherer Lärmpegel, als es tagsüber der Fall war. Wenn man die Augen schloss, konnte man das Gefühl haben, sich inmitten eines erwachenden Zoos oder im tropischen Regenwald zu befinden angesichts der Kakophonie und Vielfältigkeit der Geräusche, die oftmals eher an die Laute von Tieren als an von Menschen verursachte Töne erinnerten. Die Station war also mittlerweile akustisch im wahrsten Sinne des Wortes das reinste Tollhaus.
Ich musste mir nicht mehr besonders viel Mühe geben, mich lautlos oder zumindest möglichst leise zu verhalten, da jedes Geräusch, das ich verursachte, ohnehin in der sich weiterhin steigernden und um sich greifenden Unruhe unterging. Vor der Tür ging ich erneut in die Hocke und spähte um den Türstock herum nach draußen in den Flur.
Klapp war selbstverständlich auf den Lärm aus diesem Zimmer aufmerksam geworden. Vermutlich war er anfangs noch etwas irritiert gewesen, was der Schrei zu bedeuten hatte, und hatte erst noch eine kleine Weile abgewartet, ob sein Kollege wieder heraus in den Gang kam oder nach ihm rief. Als das allerdings nicht geschehen war, musste er selbstständig eine Entscheidung getroffen und sich in Marsch gesetzt haben, um nach dem Rechten zu sehen. Deshalb marschierte Klapp nun mit schussbereit vor sich gehaltener Waffe direkt auf diesen Eingang und damit auf mich zu. Allerdings hatte er mich noch nicht entdeckt, da ihn der lauter werdende Lärm um ihn herum erschreckte und seine weit aufgerissenen Augen hektisch in alle Richtungen zuckten, als hätte er Angst, jeden Moment von einer Meute Wahnsinniger hinterrücks angefallen zu werden.
Ich sah, dass sich bereits einige Türen geöffnet hatten und vereinzelt Patienten mehr oder weniger zögerlich auf den Flur traten, um nachzusehen, was los war. Dann zog ich jedoch lieber den Kopf zurück, bevor ich von Klapp gesehen werden konnte.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Ich hielt zwar ebenfalls eine Schusswaffe in der Hand, was mich meinem Gegner zumindest hinsichtlich der Bewaffnung ebenbürtig machte. Ich war mir jedoch keineswegs sicher, ob ich auch dieselbe Kaltblütigkeit und Skrupellosigkeit wie er besaß, um im entscheidenden Moment abzudrücken, sollte die Situation es erfordern. Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn ich erst gar nicht in die Lage geriet, eine derartige Entscheidung treffen zu müssen. Aber so, wie es momentan aussah, würde es mir wohl nicht erspart bleiben, denn Klapp würde, wenn kein Wunder geschah, nur allzu bald im Türrahmen auftauchen.
Da nahm ich völlig überrascht wahr, dass eine flinke Gestalt an mir vorbeihuschte. Ich blickte rasch auf und erkannte van Helsing. Barfüßig rannte er durch die Tür, sodass seine nackten Sohlen auf den Boden klatschten, und stieß dabei ein derart infernalisches Heulen aus, dass es sogar den allgemeinen Geräuschpegel übertönte. Er trug lediglich einen hellblauen Schlafanzug, der mit unzähligen Comic-Fledermäusen in verschiedenen Größen bedruckt war, und schwenkte in einer Hand einen Pflock und in der anderen ein großes hölzernes Kreuz. Da ich an dem Pfahl kein Blut entdecken konnte, ging ich davon aus, dass der Pflock, der Gehrmann getötet hatte, noch immer in dessen Körper steckte. Allem Anschein nach bewahrte van Helsing eine ganze Sammlung dieser Mordinstrumente in seinem Zimmer auf.
Ich hob noch die Hand, um ihn zurückzuhalten, doch er war zu überraschend und schnell an mir vorbeigehuscht, als dass ich wirklich eine Chance gehabt hätte, ihn zu erwischen. So blieb mir nur, tatenlos mitanzusehen, wie van Helsing mit erhobenen Armen auf Klapp zurannte, dabei mit der Linken das Kreuz vor sich hielt, um das Böse in Gestalt des bewaffneten jungen Mannes in Schach zu halten, und die Rechte mit dem Pflock stoßbereit erhoben hatte.
»Dein dunkler Meister hat durch meine Hand bereits sein untotes Leben ausgehaucht, elender Blutsauger. Und auch du entgehst deiner gerechten Strafe nicht!«, rief van Helsing gestelzt und theatralisch, nachdem er sein Heulen beendet hatte, und begann unmittelbar im Anschluss, laut das Vaterunser zu beten.
Klapp blieb abrupt stehen, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis gerannt, und sah dem auf ihn zustürzenden Wahnsinnigen entgeistert entgegen. Er schien total verwirrt und von der Situation restlos überfordert zu sein. Wahrscheinlich war in ihren Planungen dieses nächtlichen Kommandounternehmens Widerstand durch die Bewohner des Sanatoriums nicht in Betracht gezogen worden. Er hatte daher auch keine Ahnung, wie er auf diese neue Entwicklung reagieren sollte.
Doch da erinnerte sich der junge Attentäter wieder an die Schusswaffe in seiner Hand, denn er richtete sie kurzerhand auf den heranstürmenden van Helsing. Er konnte nun jederzeit schießen und den Angreifer durch einen gezielten Schuss niederstrecken, bevor van Helsing auch nur in seine Nähe kam und ihm gefährlich werden konnte..
Ich hob die Pistole, die ich gewissermaßen von Gehrmann »geerbt« hatte, und zielte damit am Türstock vorbei auf Klapp. Ich wollte auf ihn schießen, bevor er seinerseits Gelegenheit hatte, auf van Helsing zu feuern.
Doch auch hier und jetzt zeigte Klapp, wie schon zu Beginn des missglückten Mordversuchs an mir, dass er im Grunde seines Herzens kein skrupelloser Mörder war. Im Gegensatz zu Gehrmann, dem ich jede Schandtat ohne Weiteres zugetraut hatte.
Klapp zögerte und war anscheinend nicht in der Lage abzudrücken, während die Waffe in seiner Hand unkontrolliert zu zittern anfing. Möglicherweise machte ihm der Umstand zu schaffen, dass es sich bei van Helsing nicht um die Zielperson dieser Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern um einen Unbeteiligten handelte, der mit der ganzen Situation nichts zu schaffen hatte. Klapps Blick schien dabei jedoch weder auf den bedrohlichen Pflock in van Helsings Hand noch auf dessen entschlossene Miene gerichtet zu sein, sondern auf das Holzkreuz. Und dabei bewegte er die Lippen, als würde er im Einklang mit dem selbst ernannten Vampirjäger lautlos beten.
Die Lage wurde für Klapp allerdings mit jedem Augenblick kritischer und bedrohlicher. Denn ganz abgesehen von dem für seine Begriffe offensichtlich vollkommen Durchgeknallten, der mit einem Holzpfahl in der Hand auf ihn zustürmte und ihn damit pfählen wollte, kamen mittlerweile weitere Insassen dieser Station aus ihren Zimmern in den Flur, sahen sich verwirrt und ängstlich nach der Quelle des nächtlichen Lärms um und fragten sich teils verängstigt, teils hysterisch, was dieses ungewohnte nächtliche Spektakel zu bedeuten hatte.
Klapp brach der Angstschweiß aus. Ich konnte deutlich eine Vielzahl von Schweißperlen auf seiner Stirn glitzern sehen, während ich ihn über den Lauf der Schusswaffe in meiner Hand hinweg immer noch anvisierte. Er sah sich hektisch nach allen Seiten um und versuchte, die immer undurchschaubarer werdende Situation im Blick und auch ohne die Unterstützung seines älteren und erfahreneren Kollegen Gehrmann weiterhin unter Kontrolle zu behalten.
Erneut bewegte Klapp die Lippen, sodass ich wieder den Eindruck gewann, er würde leise beten. Doch dieses Mal sprach er wesentlich lauter, sodass ich ihn trotz des hohen Lärmpegels bruchstückhaft verstehen konnte.
»… dringend Verstärkung … spurlos verschwunden … Irren angegriffen … sofort … weiß nicht … irgendwo … dieser Station … verstanden!«
Schließlich entdeckte ich, als ich genauer hinsah, ein kleines unscheinbares Gerät, das mit einem Bügel an seinem Ohr befestigt war und von dem ein schmaleres Teilstück an seiner Wange in Richtung Mund ragte. Ich begriff, dass es sich dabei um das Headset eines Funkgerätes handelte, eine Kombination aus Kopfhörer und Mikrofon, mit dem Klapp in Kontakt zu einer weiteren Person stand.
Hätte ich in diesem Moment nicht mit hundertprozentiger Sicherheit gewusst, dass Gehrmann kein derartiges Gerät getragen hatte, als er gestorben war, wäre ich womöglich davon ausgegangen, Klapp versuchte in diesem Moment vergeblich, mit seinem inzwischen verstorbenen Kollegen Kontakt aufzunehmen. So aber stellte sich die entscheidende Frage, mit wem Klapp dann sprach. Und die niederschmetternde Antwort darauf konnte eigentlich nur lauten, dass Gehrmann und Klapp nicht allein gekommen waren, sondern weitere Männer ins Sanatorium eingedrungen waren, die möglicherweise damit beschäftigt gewesen waren, die anderen Stationen nach mir abzusuchen. Und nun befanden sich diese Männer, von ihrem panischen Kollegen Klapp alarmiert, vermutlich auf dem Weg hierher. Schließlich hatte Klapp ausdrücklich das Wort »Verstärkung« erwähnt. Und vielleicht hatte Klapp sie bereits beim ersten Anzeichen, dass hier etwas schiefzugehen drohte, informiert und jetzt nur noch einmal auf die Dringlichkeit hingewiesen, mit der er Unterstützung benötigte, sodass die Männer bereits näher waren, als mir lieb sein konnte. Ich wusste zwar nicht, mit wie vielen Gegnern ich es in diesem Fall zu tun bekommen würde, aber jeder weitere Angreifer wäre schon einer zu viel. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch nicht vor, es herauszufinden, da es mir bestimmt mehr als nur die Laune verderben würde. Aber was sollte ich tun?
Obwohl sich Klapp im Augenblick in arger Bedrängnis befand und gar keine Gelegenheit hatte, auf mich zu achten, war ich hier dennoch nicht mehr sicher. Denn möglicherweise saß ich, sollte ich zu lange zögern, in der Falle. Ich musste also schnellstens von hier verschwinden, bevor die Verstärkung der beiden Attentäter auftauchte und meine Überlebenschancen damit auf schätzungsweise null Komma null Prozent sank.
Während ich gedanklich blitzschnell die wenigen Möglichkeiten durchging, die mir blieben, und sie hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit und Erfolgschancen abklopfte, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse im Flur.
Van Helsing hatte Klapp mittlerweile erreicht und versuchte fuchtelnd, ihm den Pfahl in die Brust zu rammen, so wie er es bereits bei Gehrmann erfolgreich praktiziert hatte. Allerdings handelte es sich hier nicht um einen Überraschungsangriff, mit dem niemand gerechnet hatte. Klapp konnte die Vorstöße des selbst ernannten Vampirkillers im Augenblick noch mühelos mit der schweren Schusswaffe in seiner Hand abwehren, die er aufgrund innerer Hemmungen scheinbar noch immer nicht ihrem eigentlichen Verwendungszweck gemäß einsetzen wollte. Doch Klapp geriet auch von anderer Seite in Bedrängnis, als plötzlich weitere Sanatoriuminsassen in den Kampf eingriffen, um ihrem Mitpatienten van Helsing zu helfen. Im Nu war Klapp von einem halben Dutzend wütender und panischer Bewohner umzingelt, die von allen Seiten mit bloßen Händen oder geballten Fäusten auf ihn losgingen. Allerdings fehlte den größtenteils ungezielten Hieben oftmals die Kraft, um Schaden anzurichten. Deshalb konnte Klapp die Schläge problemlos einstecken und seine Abwehrmaßnahmen stattdessen auf den gefährlichsten Gegner konzentrieren, mit dem er es zu tun hatte, und der hieß van Helsing und schwang einen gefährlich spitzen Holzpflock in der Hand. Wahrscheinlich spielte Klapp auf Zeit und hoffte, dass die Kavallerie schnellstmöglich eintraf und ihn aus dieser brenzligen Situation befreite.
Während der Auseinandersetzung umkreisten sich die beiden Hauptkontrahenten langsam wie ein Paar auf dem Tanzparkett. Als Klapp mir den Rücken zuwandte, sah ich endlich meine Chance, unentdeckt durch den Flur zu rennen und zu versuchen, das Treppenhaus zu erreichen, bevor Klapps Kollegen mir den einzig möglichen Fluchtweg versperrten. Da Gehrmann und Klapp hier höchstwahrscheinlich gewaltsam eingedrungen waren, ging ich davon aus, dass der Weg nach draußen unversperrt war. Wieso sollten sie auch hinter sich abschließen, wenn sie doch wieder den gleichen Weg in entgegengesetzter Richtung für ihre anschließende Flucht benutzen mussten.