Kitabı oku: «DAS BUCH ANDRAS II», sayfa 3

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Ich richtete mich rasch auf und rannte in den Gang. Dort wandte ich mich in Richtung Ausgang, musste allerdings die ständig anwachsende Menschentraube mit dem verzweifelten Klapp in ihrer Mitte passieren. Ich hoffte, dass der junge Mann mich nicht bemerkte, weil er zu sehr damit beschäftigt war, sich seiner Haut zu erwehren. Und falls er mich doch beim Vorbeilaufen entdeckte, würde er dennoch nicht so leicht auf mich anlegen und schießen können, da er weiterhin vor dem Holzpflock auf der Hut sein musste und sich zudem ständig weitere Patienten als Deckung zwischen uns schoben.

Ich umrundete zuerst die Menschenansammlung und passierte anschließend das Schwesternzimmer, ohne einen lauten Ausruf von Klapp zu hören, der mir zeigte, dass er meinen Fluchtversuch registriert hatte. Beinahe wäre ich auf den zahllosen Glasscherben ausgerutscht, die von der gesplitterten Trennscheibe stammten und den Boden übersäten. Ich konnte meinen Körper gerade noch abfangen und ging anschließend vorsichtiger und langsamer über dieses Minenfeld aus glitzernden Scherben.

Ich wandte kurz die Augen vom Boden und warf einen raschen Blick ins Schwesternzimmer. Die Nachtschwester saß noch immer auf dem Drehstuhl. Allerdings war sie nun mit mehreren Mullbinden, die Gehrmann in einem der Schränke gefunden haben musste, gefesselt worden, damit sie nicht weglaufen und Hilfe holen konnte. Auch um den unteren Teil ihres Kopfes war eine Mullbinde geschlungen worden, die ihren Mund vollständig bedeckte und sie so daran hinderte, laut um Hilfe zu rufen. Die junge Frau verfolgte meinen Weg über den Scherbensee aus geweiteten Augen. Ich winkte ihr mit der freien Hand zu, froh darüber, dass sie unversehrt war und es ihr den Umständen entsprechend ganz gut ging. Doch mehr konnte ich im Moment nicht tun. Wollte ich sie befreien, würde mich das nur kostbare Zeit kosten, die ich wahrscheinlich gar nicht mehr zur Verfügung hatte. Und am Ende würden wir beide geschnappt werden, wodurch sich meine persönliche Situation im Verhältnis zur augenblicklichen Lage wesentlich verschlechtert hätte. Außerdem ging ich davon aus, dass ihr nichts passieren würde, da es die Männer allein auf mich abgesehen hatten. Ansonsten hätte Gehrmann sich gar nicht erst die Mühe gemacht, sie dermaßen zu verschnüren, sondern hätte sie gleich erschossen. Was die Männer mit mir anstellen würden, wenn sie mich in die Finger bekamen, stand hingegen auf einem ganz anderen Blatt und war mit Sicherheit um ein Vielfaches unangenehmer.

Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Weg und lief schneller, nachdem ich den mit Glasscherben bedeckten Bereich unfallfrei hinter mich gebracht hatte. Während des restlichen Weges bis zur Tür ins Treppenhaus hoffte ich, dass nicht nur der Nachtschwester, sondern auch den Patienten, die Klapp attackierten – und unter diesen natürlich insbesondere mein spezieller Freund van Helsing – keine Gewalt angetan wurde, da die Männer schließlich nur hier waren, um mich zu töten. Alle anderen hatten mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun und waren mehr oder weniger zufällig hineingeraten.

Ich hatte die Tür, die aus der Station führte – sie bestand aus zwei nahezu undurchsichtigen, gewellten Milchglasscheiben in einem metallenen Rahmen und wurde sonst ständig verschlossen gehalten –, fast erreicht, als im Treppenhaus erregte Stimmen und das Poltern schwerer, rasch näher kommender Schritte laut wurden.

Verdammt! Beinahe hätte ich es noch rechtzeitig geschafft. Doch die Verstärkung, die Klapp zu seiner Unterstützung herbeigerufen hatte, stand schon fast vor der Tür und versperrte mir dadurch den einzigen Fluchtweg, der gegenwärtig aus der abgesperrten Station des Sanatoriums nach draußen führte.

Kapitel 4

Ich lehnte mit dem Rücken gegen die Tür, die aufgrund der schweren Stiefeltritte schwach vibrierte. Während ich in der Dunkelheit stand und auf die lauten Geräusche horchte, die von den Männern verursacht wurden, die draußen im Flur vorbeirannten, hielt ich unwillkürlich den Atem an, obwohl meine Lunge nach dem Spurt durch den Gang und die anschließende panische Suche nach einem geeigneten und nahen Versteck nach Sauerstoff gierte und schon leicht zu schmerzen anfing.

Die Tür zum Treppenhaus direkt vor Augen, die wegen der Rufe und des Polterns wuchtiger Schritte auf der Treppe jedoch keine Rettung, sondern im Gegenteil einen baldigen Tod versprochen hatte, war ich vor lauter Frustration kurz davor gestanden, einfach aufzugeben und diesen Wahnsinn nicht länger mitzumachen. Denn ständig geriet ich in neue, schier ausweglose Situationen, vom Regen in die Traufe gewissermaßen. Und wenn ich endlich glaubte, einen Ausweg aus dem momentanen Dilemma gefunden zu haben, reckte schon das nächste Problem den Kopf und rief mir wie der schlaue Igel dem dämlichen Hasen zu: »Ich bin schon da!« Wieso, fragte ich mich, musste ausgerechnet mir immer wieder so etwas passieren? Womit hatte ich das alles auch nur ansatzweise verdient? Da mir mein bisheriges Leben noch immer weitgehend unbekannt war, konnte ich natürlich nicht sagen, ob ich unter Umständen genau das erntete, was ich irgendwann einmal gesät hatte. Aber da ich ein glühender Anhänger der Unschuldsvermutung war, hielt ich mich solang für schuldlos an allem, was mir widerfuhr, bis mir jemand verdammt noch eins das Gegenteil bewies.

Doch trotz all dieser negativen Gedanken gab ich dann doch nicht auf. Etwas tief in mir – mein starker Selbsterhaltungstrieb oder auch nur ein masochistisch veranlagter Teil meiner Persönlichkeit, der möglicherweise Gefallen daran fand, dass ich jedes Mal noch tiefer in der Scheiße landete – wollte sich nicht ergeben und in sein Schicksal fügen, sondern beschloss, dass längst noch nicht alles vorbei war.

Also bremste ich nur wenige Meter von der Tür entfernt, die mir einerseits die Flucht ermöglichen, andererseits aber auch jeden Moment noch mehr meiner potentiellen Mörder auf die Station strömen lassen würde, abrupt und aus vollem Lauf ab. Allenfalls für den Bruchteil eines Augenblicks blieb ich unentschlossen mitten im Gang stehen, während in meinem Innersten die Entscheidungsschlacht darüber ausgetragen wurde, was ich tun sollte. Aufgeben oder nach einem anderen Ausweg suchen. Der Wille, auch diese Episode mit heiler Haut zu überstehen, obsiegte in einem kurzen, erbittert geführten Gefecht und ließ meinen Blick anschließend hektisch umherfliegen auf der Suche nach einer Möglichkeit, mich vor meinen rasch näher kommenden Häschern zu verstecken.

Die Stimmen und Schritte hörten sich mittlerweile schon so lärmend und nah an, dass ich jeden Moment damit rechnete, die Tür könnte aufschwingen und mir die Männer, wie viele es auch sein mochten, wie eine wilde Horde angreifender Indianer entgegenspeien.

Ich spürte bereits, dass ich mit jeder ergebnislos verstreichenden Sekunde panischer wurde, während meine Augen immer schneller und hektischer mal hierhin, mal dahin zuckten und sich mein Verstand gleichzeitig bemühte, die immer rascher in meinem Kopf aufblitzenden Bilder zu analysieren und nach Versteckmöglichkeiten zu durchforsten.

Da fiel mein Blick endlich auf eine unscheinbare Tür, die lediglich angelehnt war und einen winzigen Spaltbreit offen stand. Putzraum stand auf einem Schild neben der Tür. Meine rastlos suchenden Augen waren bereits zum nächsten Objekt weitergehuscht und hatten sich auf diesen Bereich fokussiert, bevor mein wesentlich bedächtiger funktionierendes Gehirn die Informationen verarbeitet und die richtigen Schlüsse daraus gezogen hatte. Anscheinend wurden hinter der unscheinbaren Tür in einer kleinen Kammer die Arbeitsutensilien und Putzmittel der Reinigungskräfte aufbewahrt. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass diese Tür ständig verschlossen war, damit keiner der Insassen an die giftigen oder ätzenden Reinigungsmittel gelangte und sie versehentlich oder absichtlich zu sich nahm. Wahrscheinlich hatte eine der Putzfrauen vergessen, sie nach der Arbeit wieder abzusperren. Was mein Glück war, denn ansonsten befand sich in unmittelbarer Nähe keine andere Möglichkeit, mich ebenso rasch und gut verstecken zu können.

Noch während ich die wenigen Schritte zur spaltbreit offenen Tür hastete, warf ich einen kurzen Blick in die Richtung, aus der ich zuvor gekommen war und wo der Tumult und das Geschrei immer lauter und vehementer wurden. Ich erkannte, dass die menschliche Traube, die sich um den Attentäter geschart hatte, noch größer geworden war und sich mittlerweile zahlreiche weitere Personen an dem Gerangel beteiligten. Entweder reagierten sie panisch und gewalttätig auf den ungewohnten Stress, oder sie wollten ihre Leidensgenossen gegen den Fremden in ihrer Mitte unterstützen.

Klapp drohte nun schon allein aufgrund der immensen Übermacht der Körper, die gegen ihn drängten, diesen Kampf zu verlieren. Anscheinend wusste er sich nicht mehr anders zu helfen, als nun doch seine Pistole einzusetzen, denn über die Köpfe der Leute hinweg konnte ich sehen, dass er seine Waffe gegen die Decke richtete und mehrmals rasch hintereinander abdrückte. Die gedämpften Geräusche, zu denen der aufgesetzte Schalldämpfer die Schüsse reduzierte, erzielten zwar nicht dieselbe Wirkung wie ungedämpfte Schussgeräusche, dennoch gelang es ihm damit, einige seiner Angreifer in Panik zu versetzen und in die Flucht zu schlagen. Sie pressten sich die Fäuste gegen die Ohren oder verbargen ihre Gesichter in den Händen und rannten kreischend oder jammernd davon, um sich in irgendeiner ruhigen Ecke der Station zu verkriechen. Andere hingegen ließen sich durch die Knallerei nicht im Geringsten beeindrucken und bedrängten den Eindringling weiterhin. Unter ihnen auch van Helsing, der immer noch an vorderster Front kämpfte.

Mehr konnte ich in diesem kurzen Augenblick nicht erkennen, da ich endlich die offene Tür des Putzraums erreichte. Allerdings machte ich mir nun, nachdem Klapp sich gezwungen gesehen hatte, von seiner Schusswaffe Gebrauch zu machen, noch größere Sorgen um van Helsing und die anderen Patienten. Allerdings konnte ich nichts tun, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Das Beste, was ich für sie tun konnte, bestand darin, von hier zu verschwinden, denn dann hatten die bewaffneten Eindringlinge keinen Grund mehr, noch länger an diesem Ort zu verweilen und den anderen Insassen etwas anzutun.

Ich schob die angelehnte Tür rasch so weit auf, dass ich mich hindurch und in den winzigen, mit allerlei Dingen vollgestellten Raum zwängen konnte. Es roch intensiv nach ätzenden Putzmitteln und Bohnerwachs. Ich schloss die Tür und versuchte, mich anschließend nicht mehr zu bewegen, um nicht versehentlich einen Eimer oder einen Schrubber umzustoßen und mich durch den dadurch verursachten Lärm zu verraten.

Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen und meinen Rücken dagegen gepresst, hörte ich auch schon, wie die trampelnden Schritte vor der Tür zum Treppenhaus kurz innehielten. Dann wurde sie vehement aufgestoßen und knallte mit einem so lauten Krachen gegen die Wand, dass wahrscheinlich nicht mehr viel gefehlt hätte, um die Milchglasscheiben zu zerschmettern. Anschließend setzte das Trampeln wieder ein und dröhnte draußen im Gang direkt an meinem Versteck vorbei.

Ich versuchte, aus den hämmernden Geräuschen die Anzahl der Personen herauszulesen, die es verursachten, gab es aber rasch wieder auf, weil es mir aussichtslos erschien. Ich schätzte allerdings, dass es sich mindestens um vier bis fünf Leute handeln musste, die Klapp in diesem Moment zu Hilfe eilten. Einerseits versetzte es mir zwar einen Schock, dass meine Feinde – um wen es sich dabei letztendlich auch handelte – so viel Personal einsetzten, um eine einzelne unbewaffnete und im Grunde wehrlose Person zu töten. Andererseits beruhigte es mich aber auch, denn wegen ihrer großen Zahl würden die Eindringlinge nicht gezwungen sein, ihre Schusswaffen einzusetzen, um sich der Insassen zu erwehren und Klapp aus ihrer Mitte zu befreien.

Erst als sich das Getrampel ein gutes Stück entfernt hatte, wagte ich es endlich, die angehaltene Luft auszustoßen und meine schmerzenden Lungenflügel mit frischem, dringend benötigtem Sauerstoff zu füllen. Ich musste mich förmlich dazu zwingen, noch ein paar Sekunden länger geduldig an Ort und Stelle auszuharren, und nutzte die Wartezeit, um mehrmals tief und gleichmäßig durchzuatmen, bis meine Lunge nicht mehr wehtat. Erst als sich meine Atmung wieder einigermaßen normalisiert hatte, öffnete ich vorsichtig die Tür und spähte um den Türrahmen herum den Gang hinunter.

Der Lärm hatte sich scheinbar proportional zur Größe der aufeinandertreffenden »Armeen« verstärkt. Mehrere Insassen, allen voran der unermüdliche van Helsing, der mittlerweile zwar seinen Pfahl verloren hatte, dafür aber das massive hölzerne Kreuz schwang, bedrängten Klapp immer noch von allen Seiten, wurden aber nun von dessen hinzukommender Verstärkung, die tatsächlich aus fünf groß gewachsenen und kräftigen Männern bestand, beiseite gedrängt. Keiner der Kombattanten schien bislang ernsthafte Verletzungen davongetragen zu haben, und niemand lag, soweit ich das sehen konnte, verletzt oder sogar tot am Boden. Nach den Warnschüssen in die Luft hatte ich auch keine weiteren gedämpften Schüsse gehört. Nun sah ich auch den Grund dafür, denn Klapp war mittlerweile entwaffnet worden und erwehrte sich der Attacken gegen seine Person nur noch mit den bloßen Händen. Die Schusswaffe musste ihm aus der Hand geprellt worden sein und lag nun wahrscheinlich inmitten der hin und her wogenden Körper am Boden. Hoffentlich bekam keiner der Insassen die Pistole in die Finger und schoss damit unkontrolliert und ungezielt um sich.

Die fünf Männer, die gekommen waren, um Klapp zu helfen, waren ebenfalls wie für ein geheimes Kommandounternehmen einer Elitearmee ganz in Schwarz gekleidet. Sie stürzten sich, glücklicherweise ohne nach ihren Waffen zu greifen, in das Gewühl, um ihren Kollegen aus der Umklammerung der Menschentraube zu befreien, und räumten die Patienten, die ihnen dabei im Weg standen, kurzerhand rechts und links zur Seite.

Zahlreiche weitere Insassen standen unentschlossen im Gang herum. Einige davon starrten gebannt auf das Handgemenge, als würde der Anblick eine ungewohnte Faszination auf sie ausüben. Manch einer unter ihnen grinste oder lachte sogar und hüpfte aufgeregt auf und ab angesichts dieses Spektakels, das jedes Fernsehprogramm bei Weitem in den Schatten stellte. Aber es gab auch andere, für die das Geschehen wesentlich beängstigender sein musste. Zwei oder drei kauerten am Boden, den Rücken gegen die Wand gepresst, hatten ihre Gesichter in den Händen vergraben und schaukelten auf den Fußsohlen vor und zurück. Andere wiederum hielten sich die Ohren zu und schrien selbst laut und gellend in dem von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch, den Kampflärm zu übertönen, der sie so beunruhigte. Natürlich trugen sie so erst recht wesentlich dazu bei, die bereits herrschende Kakophonie noch zu verstärken. Einige Patienten verhielten sich aber auch, als wäre alles ganz normal. Sie erschienen absolut teilnahmslos, lebten in ihrer eigenen Welt, zu der kein anderer Zugang hatte, und marschierten durch den Gang, als würden in ihrer unmittelbaren Nähe momentan nicht die Fetzen fliegen, sondern als nähme ihre Umwelt seinen normalen und geregelten Lauf.

Ich war der Meinung, nun mehr als genug gesehen zu haben, und riss meinen Blick von den vielfältigen und für einen Psychologen oder Verhaltensforscher wahrscheinlich faszinierenden Aspekten des Geschehens los. Im Augenblick waren alle übrigen auf der Station anwesenden Personen mit anderen Dingen beschäftigt, und niemand achtete auf mich. Daher schien nun der günstigste Zeitpunkt gekommen zu sein, mein Versteck im Putzraum zu verlassen und zum Ausgang zu rennen. Das Kampfgeschehen drohte sich nun rasch zugunsten der wesentlich kampferprobteren Eindringlinge und zuungunsten der Patienten zu entwickeln. Nur allzu bald würden die Leute, die gekommen waren, um mich zu töten, wieder Gelegenheit haben, durchzuschnaufen und verstärkt auf ihre Umgebung zu achten. Wenn ich dann noch immer hier war, hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes meinen Einsatz verpennt.

Also rannte ich auf den Flur und zur Treppenhaustür. Ich öffnete sie weit genug und trat hindurch, hielt sie dann jedoch mit meinem Körper weiterhin offen. Jetzt musste ich eigentlich nur noch loslaufen, während die Tür hinter mir zufiel, und die Stufen nach unten rennen. Aber zuvor hatte ich noch etwas Wichtiges zu erledigen.

Ich sah zurück zu van Helsing, Klapp und all den anderen, deren Namen ich nicht kannte. Mit Daumen und Zeigefinger meiner linken Hand formte ich einen Ring und steckte ihn in den Mund. Der Pfiff, den ich ausstieß, war so laut und schrill, dass er die infernalische Geräuschkulisse mühelos übertönte. Ich hatte vorher gar nicht gewusst, ob ich dazu überhaupt in der Lage war, bis ich es einfach ausprobiert hatte.

Urplötzlich, als wäre mein Pfiff ein allgemein anerkanntes Mittel zur Eindämmung von Kampfhandlungen, kam jede Bewegung im Gang zum Erliegen und verstummte sogar das leiseste Geräusch. In der anschließenden, unnatürlich wirkenden Stille richteten sich die Augen nahezu aller Anwesenden – natürlich mit Ausnahme derjenigen, die in ihrem eigenen kleinen Sonnensystem lebten – auf den Ursprungsort des schrillen Geräusches und damit zwangsläufig, wie ich es geplant hatte, auf mich.

Die meisten Patienten starrten nur verständnislos oder mit einem absolut leeren Ausdruck zu mir herüber, da sie nicht begriffen, worum es ging. Aber es gab mindestens sechs Augenpaare, in denen von diesem Moment an langsam und zunehmend das Begreifen dämmerte.

»Hört mal her, ihr Idioten!«, rief ich und meinte damit nicht die Insassen des Sanatoriums. »Wenn ihr mich haben wollt, dann müsst ihr mich erst mal kriegen.« Anschließend lachte ich laut und selbst in meinen Ohren ziemlich unecht, um die Eindringlinge noch ein bisschen mehr zu reizen.

Insgeheim betete ich währenddessen, dass mein Plan auch tatsächlich so funktionierte, wie ich es mir ausgerechnet hatte. Der Sinn dieser schwachsinnigen Aktion war nämlich keineswegs reiner Übermut oder Dummheit, wie manch einer beim Lesen dieser Zeilen annehmen könnte. Vielmehr wollte ich damit in erster Linie erreichen, dass die Attentäter mir nachsetzten und die Patienten in Ruhe ließen, sobald sie erst einmal realisierten, dass es mir gelungen war, aus der Station zu entkommen. Deswegen konnte ich mich nicht einfach still und heimlich davonstehlen, sondern musste meinen Abhang effektvoller und publikumswirksamer inszenieren. Ich hoffte allerdings, dass tatsächlich alle Eindringlinge auf Klapps Hilferuf reagiert hatten und auf meinem Weg nach draußen nicht noch weitere Männer lauerten, die im nächsten Moment von dem noch reichlich konsterniert aus der Wäsche guckenden Klapp und seinen ebenso überrumpelten Kumpanen alarmiert werden würden.

Während sich der Lärm im nächsten Augenblick wie frisch entfesselt erhob, als wollte er das nach meinem schrillen Pfiff entstandene akustische Vakuum wieder so schnell wie möglich füllen, huschte ich bereits ins Treppenhaus und ließ die Tür los, die sich aufreizend langsam hinter mir schloss. Eilig lief ich die Stufen nach unten. Ich durfte keine einzige weitere Sekunde verlieren, denn die ersten Angreifer hatten sich bestimmt schon von ihrer Überraschung erholt und waren mir sicherlich bereits auf den Fersen.

Kapitel 5

Ich hatte Glück, denn mir stellte sich kein weiterer Eindringling in den Weg, als ich die Treppenstufen nach unten rannte. Als ich die ebenfalls unverschlossene Tür vom Treppenhaus zur Lobby passierte, konnte ich hören, dass die ersten Verfolger oben ins Treppenhaus stürmten.

So schnell wie möglich eilte ich durch den Empfangsbereich, in dem wie auch auf der Station und im Treppenhaus nur eine Notbeleuchtung brannte. Ich hatte keine Ahnung, was mit der Pflegekraft passiert war, die nachts die Lobby besetzt hielt, hoffte aber, dass sie wie die Nachtschwester unserer Station allenfalls gefesselt und geknebelt worden und ihr nichts Schlimmes widerfahren war. Ich hatte aber nicht die Zeit, einen raschen Blick hinter den Empfangstresen zu werfen und nachzusehen, denn die Verfolger waren mir bereits dichter auf den Fersen, als mir aufgrund ihrer weitreichenden Schusswaffen lieb sein konnte.

Ich stieß einen Flügel der gläsernen Eingangstür auf und rannte nach draußen in die Nacht, die von der schmalen Sichel des Mondes nur mäßig erhellt wurde. Am Ende der Zufahrt, die durch den parkähnlichen Erholungsbereich führte, konnte ich im Licht der Straßenbeleuchtung die Umgrenzungsmauer, die Schranke und das hohe, schmiedeeiserne Tor erkennen. Ein Flügel stand ein Stück offen und zeigte mir, wie und wo die Männer auf das Gelände gelangt waren.

Zum Glück erwartete mich auch im Freien niemand. Anscheinend hatten alle Eindringlinge auf den Hilferuf ihres jungen Kollegen reagiert und waren nach oben gerannt, um ihm zu helfen. Wenigstens ein Aspekt, der in dieser Nacht zu meinen Gunsten ausging, denn als ich die Eingangstür durchschritten hatte, hatte ich insgeheim damit gerechnet, wieder mitten in eine neue, noch ausweglosere Gefahrensituation zu schlittern.

Ich nahm mir aber nicht die Zeit, mir ob des Erfolgs des ersten Teils meiner Flucht auf die Schulter zu klopfen und die schöne Aussicht zu genießen, sondern rannte sofort los, weil ich bereits den sprichwörtlichen Atem meiner Verfolger im Nacken zu spüren glaubte. Ich lief über den Kies, der nur wenige Meter vom Haupteingang des Sanatoriums entfernt eine kreisförmige Fläche bildete, und dann den Weg entlang, der ohne Umwege zum Tor führte.

Kurz bevor ich den offen stehenden Torflügel erreichte, warf ich über die Schulter einen Blick zum Sanatoriumgebäude. In exakt diesem Moment öffnete sich die Eingangstür, und mehrere dunkle Silhouetten ergossen sich ins Freie. Sie orientierten sich rasch und rannten dann, nachdem sie mich entdeckt hatten – eine der Gestalten deutete mit der erhobenen Hand in meine Richtung und rief etwas Unverständliches –, hinter mir her.

Ich machte mir nicht die Mühe, die genaue Zahl meiner Verfolger festzustellen, sondern rannte durchs Tor auf die Straße. Unmittelbar neben dem Tor parkten am Straßenrand zwei dunkle Mercedes-Limousinen. Beide Fahrzeuge waren jedoch zu meiner Erleichterung verlassen.

Ich entschied mich aufs Geratewohl für die linke Seite und lief neben der Mauer entlang, die mich nicht nur vor den Blicken, sondern auch vor den Schusswaffen meiner Feinde abschirmte. Ich erreichte das Ende der Mauer an der Stelle, an der das Sanatoriumgrundstück aufhörte, und bog kurz darauf an der ersten Querstraße erneut nach links ab.

Während ich durch die nächtlichen Straßen rannte, fiel mir auf, dass ich noch immer die Pistole in der Hand hielt. Ich umklammerte den Griff der Waffe so fest, dass die Knöchel meiner verkrampften Finger ganz weiß waren. Gut, dass mir bisher niemand begegnet war, denn er hätte wohl den Schreck seines Lebens bekommen. Da keine unmittelbare Gefahr bestand und ich die Schusswaffe auch nicht einfach ins nächste Gebüsch oder in einen Mülleimer werfen wollte, sorgte ich dafür, dass die Pistole gesichert war, und steckte sie dann in den Bund meiner Jeans, wo sich das Metall kalt gegen meine Haut presste. Das T-Shirt ließ ich darüber fallen, sodass es die Waffe vor neugierigen Blicken verdeckte, solange ich mich nicht allzu sehr streckte.

Als ich im Sanatorium erwacht war, war der neue Tag erst eine halbe Stunde alt gewesen. Ich wusste allerdings nicht, wie spät es jetzt war, da ich aufgrund der dramatischen Ereignisse jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Auf den schmalen Nebenstraßen, denen ich eher intuitiv als planmäßig folgte, herrschte so gut wie kein Verkehr, und ich war bislang auch keinem einzigen Fußgänger begegnet. Die meisten Häuser waren dunkel, weil die Bewohner schon schliefen. Nur vereinzelt war ein Fenster erleuchtet, weil jemand las, Fernsehen schaute oder möglicherweise auch nur bei Licht eingeschlafen war.

Jeden Moment, so fürchtete ich, konnte eines der beiden dunklen Fahrzeuge, die ich vor dem Sanatoriumgelände gesehen hatte, hinter mir auftauchen. Ich sah mich ständig nervös um, doch ich konnte keinen meiner Verfolger entdecken. An jeder Kreuzung oder Einmündung bog ich vollkommen willkürlich nach rechts oder links ab, sodass ich zuletzt selbst nicht mehr den Weg zurück gefunden hätte.

Durch die ständigen Richtungswechsel wollte ich die Zahl meiner möglichen Fluchtwege dermaßen erhöhen, dass sie die Zahl meiner Verfolger deutlich überstieg. Dadurch wären sie gar nicht in der Lage, jede einzelne Route zu überprüfen. So hoffte ich, ihnen letztendlich entkommen zu können. Und wenn sie unter Umständen genauso orientierungslos waren wie ich, dann würde mir das unter Umständen sogar gelingen.

Als ich mich schließlich wieder etwas sicherer zu fühlen begann, weil ich sowohl eine ausreichend große Distanz zwischen mich und das Sanatorium gebracht hatte, als auch genügend Zeit verstrichen war, ohne dass mich die Attentäter erwischt hatten, verlangsamte ich meine Geschwindigkeit deutlich und marschierte in normalem Schritttempo weiter. Dabei sah ich mich aber immer noch ständig um, ob nicht doch noch ein dunkles Fahrzeug oder ein schwarz gekleideter Fußgänger aus der Dunkelheit hinter mir auftauchte.

Nachdem es allmählich ganz so aussah, als wäre ich den Männern tatsächlich entkommen, machte ich mir Gedanken darüber, was ich jetzt tun sollte. Ich hatte kein Geld bei mir und kannte mich hier nicht aus. Aber selbst wenn ich den Weg gewusst hätte, hätte ich mich keineswegs schon jetzt zurück ins Sanatorium getraut. Zu groß war meine Angst, dort oder auf dem Weg dorthin den Männern zu begegnen, die mich aus einem mir unerfindlichen Grund unbedingt tot sehen wollten. Ich wusste auch nicht, wo Direktor Engel wohnte oder wie ich ihn erreichen konnte. Die Telefonnummer, die Gabriel auf seinem Mobiltelefon gespeichert hatte, hatte ich mir nämlich nicht gemerkt. Es hatte also ganz den Anschein, als wäre ich für den Augenblick zwar mit dem Leben davongekommen, nun aber allein und auf mich gestellt.

Da erinnerte ich mich an den Zettel mit Michaels Telefonnummer, der noch immer in der Gesäßtasche meiner Jeans steckte. Zum Glück hatte ich mich angezogen, bevor ich mich vor einer gefühlten halben Ewigkeit auf den Weg gemacht hatte, um nachzusehen, was der abgewürgte Schrei zu bedeuten hatte. Und das nicht nur, weil ich deswegen Michaels Nummer bei mir hatte, denn andernfalls müsste ich jetzt zu allem Verdruss auch noch im Nachthemd durch die Gegend marschieren.

Ich holte den Papierfetzen aus der Tasche. Dann entfaltete und glättete ich ihn sorgfältig mit den Fingern, bevor ich im Licht einer Straßenlaterne versuchte, die Nummer zu lesen. Anschließend drehte ich mich einmal um die eigene Achse und sah mich dabei aufmerksam in meiner augenblicklichen Umgebung um. Eine Telefonzelle, von denen es ohnehin nur noch wenige gab, war nirgendwo in Sicht. Allerdings hatte ich auch nicht das dafür nötige Kleingeld oder eine Telefonkarte einstecken. Ich erinnerte mich an die Möglichkeit eines R-Gesprächs, bei dem der Angerufene die Kosten des Gesprächs übernehmen konnte, wusste allerdings die entsprechenden Nummern nicht, die man dafür wählen musste. Aber selbst wenn ich die Nummer gekannt hätte, würde mir das nur etwas nützen, wenn ich einen öffentlichen Fernsprecher fand, der natürlich – Murphys Gesetz folgend – genau dann nicht in der Nähe war, wenn man ihn am dringendsten benötigte.

Ich ging weiter und beschloss, auf das Anbrechen des neuen Tages zu warten, am besten auf einer Bank oder etwas Ähnlichem, wo sich mir die Möglichkeit bot, meine müden Beine auszustrecken und ihnen eine dringend benötigte Pause zu gönnen. Sobald es hell geworden war, musste es wieder gefahrlos möglich sein, ins Sanatorium zurückzukehren, da die Eindringlinge spätestens dann sicherlich das Weite gesucht hatten, wenn sie nicht schon längst weg waren, weil sich ihr Zielobjekt auch nicht mehr dort befand. Zu einer zivilisierteren Uhrzeit dürften auch mehr Menschen auf den Straßen unterwegs sein, die ich dann nach dem Weg fragen konnte.

Plötzlich kam direkt vor mir eine dunkle Gestalt um die nächste Hausecke. Ich blieb abrupt stehen und wich erschrocken zwei Schritte zurück, befürchtete ich doch im ersten Moment, es könnte sich um einen meiner Verfolger handeln, dem es gelungen war, mich aufzuspüren. Doch der junge Mann, dem ich mich gegenübersah, war keiner der nächtlichen Angreifer. Er schien über mein unvermutetes Erscheinen mindestens ebenso erschrocken zu sein wie ich, denn allem Anschein nach hatte er um diese Uhrzeit nicht mit einem weiteren nächtlichen Spaziergänger gerechnet. Er trug auch keine schwarzen Geheimkommando-Klamotten, sondern eine ausgewaschene und schlabberige hellblaue Jeans und ein rotes T-Shirt mit einem Aufdruck, den ich nicht genau erkennen konnte.

Der Mann hob beide Hände, sodass ich seine leeren Handflächen sehen konnte, und zeigte mir damit, dass er nichts Böses im Sinn hatte. In einem möglichst beruhigend klingenden Tonfall sagte er: »Keine Angst, ich will Ihnen nichts tun. Ich bin auch nur auf dem Weg nach Hause.«

Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte und ebenfalls nicht vorhatte, ihm etwas anzutun. Schon wollte ich meinen Weg fortsetzen und an ihm vorbeigehen, als mich die Gegenwart des Mannes auf eine Idee brachte.

»Haben Sie zufällig ein Handy dabei?«

Er hatte bereits den ersten Schritt in meine Richtung gemacht, um seinen Heimweg fortzusetzen, doch nachdem ich ihn so unerwartet angesprochen hatte, blieb er jäh wieder stehen und nickte zögerlich. »Ja, natürlich. Warum fragen Sie?« Er konnte das plötzlich in ihm erwachte Misstrauen nicht ganz verbergen, als er mich mit schief gelegtem Kopf und leicht zusammengekniffenen Augen ansah.

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