Kitabı oku: «DER WIDERSACHER», sayfa 3

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Aber wie?

Schreien nützte ihm wahrscheinlich nichts. Bis seine Nachbarn realisierten, was los war und die Polizei riefen, und bis diese dann auch eintraf, hatte ihn der andere vermutlich längst auf die Bretter geschickt, bewusstlos oder, falls er es tatsächlich ernst meinte, vielleicht sogar tot. Also blieb ihm als einzige Alternative, so schmachvoll es auch war, die Beine in die Hand zu nehmen und abzuhauen. Unter Umständen war er dem Eindringling ja wenigstens im Davonlaufen überlegen.

Kaum hatte Kohler diesen Entschluss gefasst, wirbelte er auch schon herum und lief in Richtung Flur, um die Haustür zu erreichen.

Doch sein Widersacher schien vorausgeahnt zu haben, was in Kohlers Kopf vorgegangen war, denn er reagierte mindestens ebenso rasch. Und er war erheblich flinker als Kohler, der, noch bevor er die Tür erreicht hatte, am Oberarm gepackt und vehement zurückgerissen wurde. Erst da wurde es ihm so richtig bewusst, wie kräftig der andere sein musste, um seine 135 Kilogramm Lebendgewicht so mühelos zur Seite zu schleudern.

Sobald der Eindringling ihn wieder losgelassen hatte, stolperte Kohler rückwärts. Noch ehe er sein Gleichgewicht wiedererlangen konnte, prallte er mit den Kniekehlen gegen ein Hindernis und kippte nach hinten. Er wusste bereits, worauf er landen würde, bevor die Kristallglasplatte des Wohnzimmertischs unter seinem enormen Gewicht zerbarst und er inmitten des Gestells aus poliertem Stahl und den Scherben landete, die sich an mehreren Stellen durch seine Kleidung in seinen Körper bohrten. Kohler schrie vor Schmerz.

Er wälzte sich sofort zur Seite und befreite sich dabei vom Tischgestell. Dann tastete er hektisch nach den Stellen, wo die Schmerzen am heftigsten wüteten, und riss Glasscherben heraus. Die meisten Verletzungen waren zum Glück nur oberflächlich, weil die Scherben nur wenige Millimeter tief eingedrungen waren. Doch zwei dolchartige Glasstücke hatten sich tiefer in seinen Körper gebohrt, die eine in seinen Oberschenkel und die zweite in seinen Hintern, sodass er an diesen Stellen heftig blutete.

Auf Händen und Knien und schwer atmend sah Kohler sich hektisch nach dem Eindringling um. Doch bevor er ihn entdeckte, bekam er bereits einen heftigen Tritt in die Seite, der ihn herumschleuderte, sodass er wieder auf dem malträtierten Rücken landete. Er schrie erneut. Inzwischen konnte er gar nicht mehr unterscheiden, wo der Schmerz am heftigsten wütete, denn längst tat ihm alles weh. Dennoch wollte er nicht einfach liegen bleiben und alles geduldig über sich ergehen lassen, sondern sich wenigstens zur Wehr setzen. Er musste nur die Gelegenheit bekommen, den Kerl einmal richtig zu treffen. In dem Fall reichte ein einziger Schlag, um das Blatt zu wenden.

Kohler setzte sich stöhnend auf, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Doch kaum hatte er das getan, sah er eine Stiefelsohle auf sich zukommen. Sie wurde riesengroß, bevor sie ihn mit so enormer Wucht am Kopf traf, dass er beinahe schon dadurch das Bewusstsein verloren hätte. Sein Oberkörper wurde wieder nach hinten geschleudert, und sein Hinterkopf knallte auf den Parkettboden, worauf er tatsächlich bewusstlos wurde.

Der Eindringling schnaufte einmal tief durch und sah missmutig auf den gefällten Giganten zu seinen Füßen hinab.

Er hatte sich auf diesen Kampf gefreut und mit einer echten Herausforderung gerechnet. Doch der Kerl war letztendlich nur ein Scheinriese gewesen. Ein Zweimetermann mit viel Muskeln und wenig Hirn, der nicht einmal wusste, wie man effektiv kämpfte. Und so etwas wurde auch noch Personenschützer. Dabei hatte er sich nicht einmal selbst schützen können.

Der Eindringling seufzte, bevor er sich abwandte und an die Arbeit machte. Als Erstes entfernte er die beiden Wanzen, die er vor zwei Tagen im Wohnzimmer und im Flur angebracht hatte, und steckte sie ein. Anschließend holte er einen Gefrierbeutel aus der Innentasche seiner Jacke. Er nahm den Gegenstand heraus, der sich im Beutel befand, und schob ihn in die Brusttasche des Sakkos, das der Bewusstlose trug. Dann steckte er den leeren Beutel wieder ein, bevor er zum Fenster ging und nach draußen sah. Da im Wohnzimmer hinter ihm kein Licht brannte, vor dem sich seine Silhouette abzeichnen konnte, und der Nachthimmel dicht bewölkt war, sodass der sichelförmige Mond dahinter verborgen war, war die Gefahr verschwindend gering, dass ihn jemand sah. Außerdem befanden sie sich im vierten Stock, wohin das Licht der Straßenlaternen nicht reichte. Um dennoch keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, bewegte er sich behutsam und wie in Zeitlupe, als er sich nach allen Richtungen umsah. Die Straße vor dem Haus war verlassen. Hinter einem offenen Fenster auf der anderen Straßenseite stand ein alter Mann, rauchte eine Zigarette und sah auf die Straße hinunter. Ansonsten war im Augenblick niemand zu sehen.

Der Eindringling wartete reglos und geduldig, bis der alte Mann seine Zigarette ausdrückte, das Fenster schloss und verschwand. Erst nachdem auch noch das Licht ausgegangen war, öffnete er das Fenster. Anschließend kehrte er nach einem letzten Blick in die Runde zu seinem Opfer zurück.

Der Personenschützer war noch immer bewusstlos und hatte sich nicht gerührt. Als der Mann mit der tiefen Stimme ihn an den Füßen packte und zum Fenster schleifte, stöhnte er leise, wachte aber nicht auf.

Nachdem der Eindringling sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass niemand ihn beobachten konnte und die Straße unter ihnen noch immer verlassen war, hievte er den Bewusstlosen übers Fensterbrett und ließ ihn dann los.

Ralf Kohler fiel vier Stockwerke tief, bevor er mit einem eigentümlichen Klatschen zwischen der Hausmauer und den am Straßenrand geparkten Autos auf dem Bürgersteig landete und augenblicklich starb. Allerdings bekam er davon gnädigerweise nichts mehr mit, da er bis zur letzten Sekunde ohne Bewusstsein blieb.

Noch bevor der Körper am Boden aufgekommen war, hatte der Eindringling bereits das Fenster geschlossen und sich abgewandt, um eilig und ungesehen zuerst die Wohnung und anschließend das Haus zu verlassen.

Kapitel 3

Es war bereits nach Mitternacht, als Edgar Wimmer die Abkürzung durch den Luitpoldpark nahm.

Wimmer hatte den Park, von Westen kommend, an der Brunnerstraße betreten. Nun war er auf einem der Wege in östlicher Richtung unterwegs und hatte soeben den Pumucklspielplatz mit dem Brunnen und dem Heckenlabyrinth passiert.

Obwohl der Luitpoldpark um diese Uhrzeit ausgesprochen finster und völlig menschenleer war, hatte der 55-jährige Mann mit den kurzen mittelbraunen Haaren keine Angst. Warum auch? Schließlich nahm er diesen Weg an jedem Arbeitstag, und das sogar zweimal. Einmal bei Tageslicht am Vormittag, wenn er von seiner kleinen Zweizimmerwohnung in einem fünfstöckigen Mietshaus in der Hörwarthstraße zu seiner Arbeitsstätte ging. Dabei handelte es sich um ein bayerisches Wirtshaus mit Biergarten auf der anderen Seite des Parks, wo er als Kellner arbeitete. Nach Schließung der Wirtschaft um Mitternacht ging es anschließend wieder in die andere Richtung, nur dass es dann dunkel und vor allem an Werktagen kaum noch jemand im Park unterwegs war. Doch das machte Wimmer nichts aus. Im Gegenteil. Er liebte die nächtliche Stille nach den lauten und anstrengenden, oft hektischen Stunden in der Wirtschaft mit den manchmal nervigen, quengelnden Gästen, denen man oft nichts recht machen konnte.

Da Wimmer diesen Weg schon so oft gegangen war, dass er ihn sogar im Schlaf mit verbundenen Augen gefunden hätte, und seine Beine ihn wie ein Autopilot nach Hause brachten, ohne dass er ständig darauf achten musste, wohin er lief, war er dabei meistens tief in Gedanken versunken. In der Regel ließ er dabei die vergangenen Stunden noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren und dachte an die bemerkenswertesten der zahlreichen Gäste, die er im Laufe dieses Arbeitstages bedient hatte.

In den mehr als fünfunddreißig Jahren, in denen er nun schon als Kellner tätig war, hatte er eine Art geheimes Ranking für seine Gäste entwickelt. Dabei vergab er wie in der Schule Noten von eins bis sechs. Zunächst gab es eine Note für die Freundlichkeit des Gastes, dann eine weitere für seine Großzügigkeit im Hinblick auf das Trinkgeld. Denn da der Beruf des Kellners zu den schlechtbezahltesten überhaupt gehörte, bildete das Trinkgeld einen wichtigen Bestandteil des Verdienstes. Aus diesen beiden Noten bildete Wimmer anschließend eine Durchschnittsnote. Natürlich war er nicht in der Lage, sich sämtliche Gäste und ihre Noten zu merken, aber sowohl die schlimmsten als auch die positivsten Fälle behielt er im Gedächtnis.

Der schlechteste Gast war bis zum heutigen Tag ein Mann gewesen, der schon schimpfend zur Tür hereingekommen war und anschließend über alles und jeden lautstark gemeckert hatte: über das trostlose Ambiente, die langweilige Tischdekoration, die Lautstärke der anderen Gäste, den miserablen Service – womit er vor allem Wimmer meinte, der ihn bediente –, die zu geringe Füllmenge seines Getränks, die Temperatur, die Menge sowie die Qualität seines Essens, die berufliche Eignung des Kochs und schließlich die mangelnde Sauberkeit der Toiletten. Am Ende hatte er auch noch versucht, um den Preis zu feilschen, als wären sie auf einem türkischen Basar. Aber da war es Wimmer schließlich zu bunt geworden, und er hatte kurzerhand seinen Chef geholt, damit der sich mit dem Querulanten herumärgern konnte. Am Ende hatte der Gast, nachdem der Chef mit Polizei, Anwalt und einem Gerichtsverfahren gedroht hatte, widerstrebend bezahlt, natürlich ohne einen Cent Trinkgeld zu geben, und war, weiterhin vor sich hin motzend, gegangen. Der Mann war nie wiedergekommen, was Wimmer nicht verwunderte und worüber er insgeheim sogar froh war. Dennoch hatte er den Gast, ebenso wie einige andere, in denkbar schlechter Erinnerung behalten. Er hatte dem Mann zweimal die Note sechs gegeben, wodurch er sofort zum Spitzenreiter seiner Liste der unangenehmsten Gäste aufgestiegen war. Und bis heute war Wimmer davon ausgegangen, dass ihn niemand von dort verdrängen würde, schließlich gab es bekanntlich keine schlechtere Schulnote als die sechs.

Doch der heutige Tag hatte ihn, wie es das Leben seiner Meinung nach immer wieder tat, eines Besseren belehrt. Denn er hatte es mit einem Gast zu tun bekommen, für den er eine neue Notenstufe einführen musste, nämlich eine sechs minus. Und diese Benotung hatte der unsympathische Kerl sich in beiden Kategorien auch redlich verdient.

Als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht, stand der Mann an diesem Abend urplötzlich hinter Wimmer, als dieser sich mit einem Tablett voller Getränke von der Theke wegdrehte und eilig losmarschierte. Da der Kellner sofort abrupt abbremsen musste, um eine Kollision zu verhindern, geriet das runde Tablett auf seiner Handfläche unweigerlich in Schieflage, und die vollen Gläser, die darauf standen, neigten sich zur Seite und kamen bedenklich ins Rutschen. Reaktionsschnell gelang es ihm, das Tablett gerade noch rechtzeitig wieder aufzurichten, bevor es auf einer Seite Übergewicht bekommen, von seiner Hand kippen und mit allen Getränken zu Boden stürzen konnte. Anschließend atmete Wimmer erleichtert auf und warf dem anderen Mann einen irritierten, leicht verärgerten Blick zu.

»Sie müssen schon ein bisschen besser aufpassen«, sagte dieser herablassend und schüttelte den Kopf. »Nicht auszudenken, wenn Sie durch Ihre Ungeschicklichkeit Hannibal und mir eine Dusche aus Bier, Wein und Cola verpasst hätten.«

Wer zum Teufel ist Hannibal?, fragte sich Wimmer, bevor er den Yorkshire Terrier entdeckte, den der Mann auf dem Arm trug, und der, als wäre sein Name das Kommando dazu gewesen, in diesem Moment mehrere Male bellte.

»Jetzt sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!«, sagte der Gast theatralisch und sah Wimmer mit aufblitzenden Augen zornig an. »Mit Ihrer Tollpatschigkeit haben Sie Hannibal einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«

Wimmer war zu perplex, um etwas darauf zu erwidern. Außerdem hätte er ohnehin nicht gewusst, was er darauf sagen sollte.

Da der Mann ihm im Weg stand und keine Anstalten machte, zur Seite zu treten, um den Weg freizumachen, während er seelenruhig seinen Hund streichelte und beruhigend auf ihn einredete, blieb dem Kellner nichts anderes übrig, als zu warten. Der Raum zwischen den beiden voll besetzten Tischen rechts und links wäre ohnehin nicht breit genug gewesen, als dass sich Wimmer, obwohl er von schlanker Statur war, an dem Mann mit dem Hund auf dem Arm problemlos hätte vorbeiquetschen können. Erschwerend kam hinzu, dass der Kerl unglaublich dick war. Wimmer, der bei einer Körpergröße von 1,77 Meter siebzig Kilo auf die Waage brachte, schätzte, dass sein Gegenüber, obwohl er mindestens fünf Zentimeter kleiner war, 170 bis 180 Kilogramm wiegen musste. Er war vermutlich Ende dreißig, Anfang vierzig, obwohl er auf den ersten Blick älter wirkte, was vor allem an der Halbglatze und dem Kranz aus langem dunkelblonden, fettigen Haar liegen mochte. Seine Gesichtshaut war gerötet, die feinen Blutäderchen unter der Haut waren deutlich zu erkennen. Außerdem hatte er eine mit Knötchen und Pusteln übersäte gerötete Knollennase, auf der eine Brille mit auffallend rotem Rahmen saß, die nach Wimmers Ansicht nicht zu seinem Gesicht passte. Er trug eine khakifarbene Outdoorweste mit unzähligen Taschen, darunter ein kurzärmliges dunkelblaues Hemd mit Blumenmuster und gewaltigen Schweißflecken unter den Armen und eine enge beige Baumwollhose, alles in Übergröße. Dazu an den Füßen braune Herren-Slipper in der Größe von Kindersärgen.

Da Wimmer nicht ewig Zeit hatte, weil die Gäste auf ihre Getränke warteten, räusperte er sich schließlich. Allerdings schluckte er seinen Zorn auf diesen merkwürdigen Gast herunter, so wie er es stets tat, und fragte höflich: »Kann ich Ihnen helfen?«

Das gerötete Gesicht des anderen Mannes richtete sich ruckartig auf den Kellner, und seine kornblumenblauen Augen schienen dabei Funken zu sprühen. »Was soll das?«, fragte er aufgebracht. »Sehen Sie denn nicht, dass ich mit meinem Hund gesprochen habe?«

Da der Kerl beim Sprechen feine Speicheltröpfchen versprühte, hob Wimmer automatisch das Tablett mit den vollen Gläsern, um sie vor dem ekligen Sprühregen in Sicherheit zu bringen. Die wenigen Augenblicke in der Gegenwart dieses Mannes hatten ihm bereits gereicht, um sich aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und Menschenkenntnis ein umfassendes Bild von ihm zu machen. Deshalb verlieh er ihm schon jetzt in Sachen Freundlichkeit kurzerhand die Note sechs. Da er jedoch andererseits über ausreichend Erfahrung mit schwierigen Gästen verfügte, blieb er weiterhin ruhig, freundlich und gelassen. Und daher verkniff er sich jede Erwiderung, die ihm unweigerlich in den Sinn kam, und wartete schweigend ab.

Der Mann schnaubte kurz und wischte sich mit der linken Hand den Schweiß von der Stirn. Dann deutete er damit auf einen Tisch am Fenster. »Ich möchte den Tisch dort drüben haben.«

Ohne einen Blick in die Richtung werfen zu müssen, in die der dicke Mann zeigte, wusste Wimmer, dass der Tisch reserviert war, was auch deutlich zu erkennen war. »Tut mir leid, mein Herr, aber dieser Tisch ist reserviert. Ich kann Ihnen aber gern einen anderen …«

»Ich will diesen Tisch und keinen anderen!«, unterbrach ihn der Mann mit dem Hund auf dem Arm in höchst aggressivem Tonfall. »Und nachdem Sie mir beinahe ein Tablett mit vollen Gläsern auf den Kopf geworfen und fast meinen lieben, kleinen Hund ertränkt und zu Tode erschreckt haben, ist das noch das Mindeste, was ich verlangen kann.«

Wimmer seufzte. Er warf einen raschen Seitenblick zum Wirt des Gasthauses, der Josef Drexl hieß und von allen Sepp genannt wurde. Er stand nur wenige Meter entfernt hinter der Theke, zapfte ein Bier und war mittlerweile von selbst auf das Gespräch zwischen seinem Kellner und dem Gast aufmerksam geworden. Wimmer hob fragend die Schultern und die Augenbrauen, woraufhin der Chef mit einem widerwilligen Nicken seine Zustimmung erteilte.

»Natürlich bekommen Sie den gewünschten Tisch«, sagte Wimmer daraufhin zu dem dicken Mann vor ihm, obwohl ihm ganz andere Worte auf der Zunge lagen, die er allerdings wie immer für sich behielt und hinunterschluckte. Denn der Gast war bei ihnen nun einmal König und bekam in der Regel auch, was er verlangte.

Der dicke Mann lächelte selbstzufrieden. »Na also. Warum nicht gleich so?« Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und marschierte zu dem Fenstertisch.

Wimmer atmete erleichtert auf, dass er den Kerl vorerst los und der Weg endlich frei war. Er setzte sich unverzüglich in Bewegung, um die Getränke auf seinem Tablett zu verteilen, bevor die Gäste ungeduldig wurden. Dann nahm er an einem der anderen Tische gleich noch die Essensbestellung auf und meldete diese an die Küche weiter. Während er anstelle des Tisches, den der dicke Mann verlangt hatte, einen anderen freien Tisch mit einem Reserviert-Schild versah, vermied er es bewusst, in dessen Richtung zu blicken. Allerdings glaubte er immer wieder, die stechenden Blicke des Mannes zu spüren, als wären sie Dolche, die sich in seinen Rücken bohrten. Außerdem war er sich natürlich darüber bewusst, dass er sich früher oder später um den unangenehmen Gast kümmern musste. Er hätte ihn zwar liebend gern an den Tisch eines Kollegen gesetzt, wenn er die Wahl gehabt hätte, doch da der Kerl ausdrücklich den Fenstertisch verlangt hatte, war er weiterhin für ihn zuständig. Und da Unfreundlichkeit und Knauserigkeit seiner Erfahrung nach oftmals einträchtig Hand in Hand gingen, durfte er nicht einmal auf ein üppiges Trinkgeld hoffen, sofern es überhaupt eins gab.

»Hallo, Sie da, wollen Sie mich noch lange ignorieren? Ich habe Hunger und möchte jetzt endlich bestellen.«

Wimmer seufzte leise, als er jäh die unangenehme Stimme des dicken Mannes hörte, und schloss für einen Moment schicksalsergeben die Augen. Dann öffnete er sie wieder, richtete sich auf und wandte sich lächelnd um. Zahlreiche Augen waren auf ihn gerichtet, doch der Kellner ließ sich nicht anmerken, wie unangenehm ihm die Sache war. Allerdings richtete sich der Unmut der Gäste nicht etwa gegen ihn, sondern gegen den Mann mit dem Hund, der ihrer Meinung nach durchaus diskreter hätte vorgehen können.

»Das wurde aber auch Zeit«, sagte der dicke Mann mit der geröteten Knollennase, als Wimmer an seinen Tisch trat. Der Hund, der unter dem Tisch saß, knurrte daraufhin angriffslustig.

Wie das Herrchen, so der Hund, dachte Wimmer und machte sicherheitshalber einen Schritt nach hinten, damit das Tier nicht auf dumme Gedanken kam und ihn biss.

»Beruhige dich, mein Schätzchen«, sagte der Mann, beugte sich ächzend zur Seite, sodass Wimmer befürchtete, er könnte gleich von seinem Stuhl kippen und bei seinem Aufprall das Gebäude zum Einsturz bringen, und streichelte dem Yorkshire Terrier über den Kopf, worauf dieser augenblicklich verstummte. »Warten wir doch erst einmal ab, was der gute Mann uns serviert, bevor wir böse auf ihn werden. Wenn er seine Arbeit nicht gut genug erledigt, kannst du ihn von mir aus immer noch fressen.« Er richtete sich wieder auf, sah Wimmer an und lächelte verschlagen.

»Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?«, fragte der Kellner, dem es von Minute zu Minute immer schwerer fiel, freundlich zu bleiben, obwohl er in all den Jahren noch nie aus der Haut gefahren war und stets seine Fassung bewahrt hatte.

»Als Allererstes bringen Sie einen Napf mit Wasser für meinen Hund«, sagte der Gast, hob die rechte Hand und stach mit dem ausgestreckten Zeigefinger mehrere Male in Wimmers Richtung, als wollte er seinen Worten auf diese Weise besonderen Nachdruck verleihen. »Aber auf keinen Fall ordinäres Leitungswasser, sondern nur stilles Mineralwasser.«

In seinen dreieinhalb Jahrzehnten als Kellner hatte Wimmer genug erlebt, um die Bestellung, ohne mit der Wimper zu zucken, zur Kenntnis zu nehmen und auf seinem Block zu notieren.

»Und kommen Sie bloß nicht auf den verrückten Gedanken, mir das Wasser in Rechnung stellen zu wollen. Erstens sollte das zum Service eines guten Hauses gegenüber Hundebesitzern gehören, und zweitens sind Sie es meinem kleinen Liebling schuldig nach allem, was Sie bisher angerichtet haben.«

Wimmer seufzte, allerdings nur in Gedanken, denn angesichts dessen, wie dieser Mann sich bislang verhalten hatte, hatte er insgeheim bereits mit einem derartig unverschämten Ansinnen gerechnet. Die Forderung des Kerls, das Mineralwasser für seinen Hund nicht bezahlen zu wollen, ließ er sicherheitshalber unkommentiert. »Und was darf ich Ihnen bringen?«, fragte er stattdessen.

»Ich nehme den Merlot Cabernet Sauvignon. Bringen Sie mir gleich die ganze Flasche.«

»Sehr wohl, der Herr.« Wimmer notierte es sich gewissenhaft, wandte sich rasch um und ging. Auf dem Weg zur Ausschanktheke nahm er noch zwei weitere Bestellungen entgegen.

»Gibt es Ärger mit dem Kerl?«, fragte der Wirt, nachdem der Kellner ihm die Getränkewünsche mitgeteilt hatte.

Wimmer schüttelte den Kopf. »Keinen Ärger. Nur ein höchst unangenehmer Zeitgenosse. Aber mit dem komme ich schon klar.«

»Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte Sepp, der zehn Jahre jünger als Wimmer war und auf die langjährige Erfahrung seines Mitarbeiters im Umgang mit schwierigen Gästen vertraute. Dann wandte er sich ab, um die gewünschte Rotweinflasche zu holen und zu öffnen.

Wimmer ging indessen in die Küche, wo sie ein paar Hundenäpfe aufbewahrten. Da sie tatsächlich ein hundefreundliches Wirtshaus waren, hatten sie nichts dagegen, wenn Gäste ihre Zamperl mitbrachten, und waren darauf vorbereitet. Deshalb bekam der Yorkshire Terrier namens Hannibal natürlich auch sein Wasser. Allerdings würde er dem Köter mit Sicherheit kein teures Mineralwasser vorsetzen, wenn der Kerl nicht einmal bereit war, dafür zu bezahlen. Das Tier selbst würde sich auch mit ordinärem Leitungswasser zufriedengeben und den Unterschied vermutlich gar nicht bemerken.

Kurze Zeit später brachte er den mit Leitungswasser gefüllten Napf an den Tisch. Er stellte ihn daneben auf den Boden und schob ihn dann mit dem Fuß vorsichtig unter den Tisch, wo noch immer der Hund saß und sofort wieder zu knurren anfing. Trotz seiner geringen Größe klang das Knurren in Wimmers Ohren bedrohlich.

Der dicke Mann beobachtete alles argwöhnisch, sagte jedoch nichts, was der Kellner erfreut zur Kenntnis nahm.

Wimmer kehrte zur Ausschanktheke zurück, wo bereits das Tablett mit den Getränken für ihn bereitstand, darunter auch eine Flasche Merlot Cabernet Sauvignon und ein Rotweinglas. Er servierte die Getränke und hob sich den Rotwein bis zuletzt auf, da er bei der Gelegenheit auch gleich den Speisewunsch des Mannes entgegennehmen wollte.

Er stellte das Weinglas vor dem unangenehmen Gast ab. Anschließend nahm er die Flasche, schenkte zwei Fingerbreit Merlot in das Glas und wartete, dass der Kerl davon kostete.

Der Mann umfasste das Glas mit den dicken Wurstfingern seiner rechten Hand, hob es auf Augenhöhe und besah sich die rubinrote Flüssigkeit. Dann schwenkte er das Weinglas ein wenig und roch kurz daran. Schließlich nahm er laut schlürfend einen Schluck und bewegte den Wein mit geschlossenen Augen langsam im Mund.

Wimmer wartete geduldig, bis der Mann die Flüssigkeit endlich hinunterschluckte, was trotz des hohen Geräuschpegels in der Gaststube deutlich vernehmbar war.

»Ich habe schon viele deutlich bessere Merlots als diesen getrunken«, meldete sich der dicke Mann schließlich zu Wort. »Normalerweise würde ich darin nicht einmal meine Füße waschen.« Er seufzte tief. »Aber da ich nicht davon ausgehe, dass ich in der näheren Umgebung etwas Besseres vorgesetzt bekomme und langsam Hunger habe, muss ich mich heute Abend mit diesem minderwertigen Gesöff begnügen.« Er bedachte Wimmer mit einem empörten Blick, als wäre es dessen Schuld, und nickte dann zum Zeichen, dass der Kellner Wein nachschenken sollte.

Wimmer war froh, dass er geübt darin war, sich seine wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen, während er das Glas füllte. »Haben Sie schon etwas aus unserer Speisekarte ausgewählt?«, fragte er dann und stellte die Flasche auf den Tisch.

»Natürlich, was denken Sie denn!«, versetzte der dicke Mann schnippisch.

Wimmer wartete schweigend, Kugelschreiber und Block in den Händen.

»Als Vorspeise hätte ich gern das Beefsteak-Tatar, anschließend das gebackene Kalbsbries und als Nachtisch den Kaiserschmarrn. Außerdem brauche ich einen sauberen Fressnapf für meinen Hund.« Er klappte die Speisekarte zu und fügte hinzu: »Aber zügig, wenn ich bitten darf.«

Wimmer nickte, nahm die Speisekarte und ging.

Im Laufe der nächsten Stunde brachte er dem dicken Mann den Fressnapf, die Vorspeise, das Hauptgericht und den Nachtisch. Und als der Wein, dem der Gast ebenso eifrig und begierig wie dem Essen zusprach, zur Neige gegangen war, servierte er auf dessen Wunsch auch noch eine zweite Flasche. Wimmer hatte das Küchenpersonal bereits vorgewarnt, dass sie es mit einem überaus schwierigen, kritischen und ungeduldigen Gast zu tun hatten. Deshalb gaben sich der Koch und seine Helfer bei den Gerichten des Mannes besonders viel Mühe, damit auch ja alles perfekt war. Und obwohl die drei Gänge, wie verlangt, vom Kellner zügig serviert wurden, hatte der dicke Mann dennoch an allem zahlreiche Dinge auszusetzen.

Allerdings hatte Wimmer auch nichts anderes erwartet. Er wäre eher erstaunt gewesen, wenn der Kerl nicht an allem herumgemosert hätte und mit den Speisen und dem Service zufrieden gewesen wäre.

Was den Kellner jedoch sehr wohl irritierte und immer wieder erschaudern ließ, war die Tatsache, dass er den Kerl ständig dabei ertappte, wie er ihn regelrecht lauernd beobachtete. Und selbst wenn er nicht zu ihm hinübersah, hatte er das Gefühl, dass der dicke Mann ihn anstarrte, während er gleichzeitig sein Essen in sich hineinschaufelte.

Wimmer war deshalb heilfroh, als der Kerl endlich fertig war, die zweite Weinflasche geleert hatte und die Rechnung verlangte. Und wie er es vorausgesehen hatte, gab der Kerl auch keinen Cent Trinkgeld, sondern legte das Geld abgezählt auf den Tisch.

»Wenn Sie ein Trinkgeld erwartet haben, guter Mann, dann muss ich Sie enttäuschen«, sagte er und lächelte erneut lauernd, als wartete er darauf, dass Wimmer endlich aus der Haut fuhr. Doch den Gefallen tat ihm der Kellner nicht. Worauf er fortfuhr: »Eigentlich müssten sogar Sie mir etwas bezahlen. Und zwar Schmerzensgeld, weil ich Ihren miserablen Service und den elenden Fraß erduldet habe.« Er kicherte, als hätte er einen richtig guten Witz gemacht.

Wimmer bewahrte weiterhin Schweigen. Zu diesem Zeitpunkt war es ihm längst egal, was der Kerl sagte. Hauptsache, er ging endlich und verschwand mitsamt seinem Köter letztlich aus seinem Leben.

Er blieb bis zum Schluss gewohnt freundlich. »Vielen Dank«, sagte er, als er die abgezählten Scheine und Münzen entgegennahm und in seiner Kellnerbörse verschwinden ließ. »Beehren Sie uns doch bald wieder.« Insgeheim erhoffte er sich allerdings das Gegenteil. Und so wie der Kerl an allem herumgemeckert hatte, ging er auch nicht davon aus, dass er jemals wiederkommen würde.

Doch der dicke Mann war anscheinend immer wieder für eine Überraschung gut. »Vielleicht tue ich das sogar«, meinte er augenzwinkernd und fügte mit einem boshaften Grinsen einschränkend hinzu: »Obwohl der Wein, der Service und das Essen in diesem Etablissement natürlich erheblich zu wünschen übrig lassen.«

Wimmer ließ auch diesen Satz unkommentiert, obwohl es ihn Mühe kostete. »Einen schönen Abend noch«, sagte er, dabei wünschte er dem Kerl in Wahrheit die Pest an den Hals.

»Den werde ich mit Sicherheit haben«, erwiderte der andere und grinste bösartig.

Der Kellner wandte sich rasch um und ging geradezu fluchtartig davon, dankbar, dass er den Kerl endlich, endlich, endlich los war. Und als er sich zwei Minuten später umdrehte, war der Tisch bereits verwaist und von dem dicken Mann und seinem Hund nichts mehr zu sehen.

Während der Kellner den Tisch abräumte, dachte er bereits über die Noten nach, die er dem Kerl geben wollte. Sowohl in Sachen Freundlichkeit als auch bezüglich des fehlenden Trinkgeldes hatte der Gast sich selbstverständlich jeweils die schlechteste Note verdient. Da er aber in Wimmers Wahrnehmung noch furchtbarer als der bislang schlechteste Gast gewesen war, musste er auf eine Notenstufe ausweichen, die es eigentlich nicht gab, und vergab daher zweimal und damit auch insgesamt eine Sechs minus.

Als er jetzt, noch immer auf dem Weg durch den Luitpoldpark, noch einmal gründlich darüber nachdachte, kam er zu haargenau demselben Ergebnis. Der dicke Mann hatte sich den ersten Platz in der Tabelle der schlechtesten Gäste redlich verdient. Es war nicht nur seine Unfreundlichkeit gewesen und dass er an allem etwas auszusetzen gehabt hatte. Seine Art und sein Verhalten waren Wimmer zutiefst zuwider gewesen. Die ganze Zeit über hatte er das Gefühl gehabt, der Kerl würde ihn anstarren. Warum auch immer? Darüber hinaus hatte er in der Gegenwart des Mannes ständig ein Gefühl der Bösartigkeit und Heimtücke verspürt. Doch das war zum Glück Vergangenheit. Wimmer hoffte, dass der Kerl nie wieder in ihr Lokal kam, auch wenn er vor seinem Weggang etwas anderes angedeutet hatte.

Der Kellner folgte weiterhin dem Weg durch den Park. Er hatte es nicht eilig, denn er lebte allein; zu Hause wartete nur sein Bett auf ihn. Bis vor siebzehn Jahren war Wimmer verheiratet gewesen. Doch dann hatte ihn seine Frau nach dreizehn Ehejahren von heute auf morgen verlassen, um mit einem anderen Mann zusammenzuleben. Wimmer war damals aus allen Wolken gefallen, als Eva unversehens ihre Koffer gepackt und ihm gleichzeitig mitgeteilt hatte, dass sie ihn schon seit Jahren betrogen hätte und fremdgegangen wäre. Und er hatte nicht das Geringste davon bemerkt. »Weil du ständig so lange arbeitest. Und weil du selbst dann nie richtig da bist, wenn du zu Hause bist«, hatte seine Ex-Frau, denn die Ehe war längst geschieden, damals zu ihm gesagt. Und da sie gemerkt hatte, dass er nicht verstand, was sie damit meinte, hatte sie erklärend hinzugefügt: »Dein Beruf ist dir wichtiger als alles andere. Du lebst nur für deine Arbeit. Und selbst wenn du zu Hause und mit mir zusammen bist, denkst du nur an deinen Job und an deine blöden Gäste.« Mit diesen abschließenden Worten hatte sie sich umgedreht und war mit ihren Koffern aus der gemeinsamen Wohnung und seinem Leben verschwunden. Er hatte sie nur noch ein einziges Mal wiedergesehen, beim Scheidungstermin vor der Familienrichterin. Zuerst hätte er sie gar nicht wiedererkannt, denn alles an ihr hatte sich verändert: ihre Frisur, ihre Haarfarbe, ihre Kleidung, sogar ihr Auftreten. Sie sah glücklich aus und lachte viel. Da wurde Wimmer bewusst, dass er seine Frau in den letzten Jahren ihrer Ehe immer seltener lachen gesehen hatte. Gleichzeitig erkannte er, wie recht Eva gehabt hatte. Er liebte seine Arbeit als Kellner über alles. Und nicht einmal solche Typen wie der unfreundliche dicke Kerl mit dem Hund konnten diese Liebe trüben. Es gab praktisch nichts, was ihm wichtiger war. Und daneben hatte eben nichts anderes Platz, nicht einmal eine Frau. Deshalb lebte Wimmer seitdem allein und war auch nicht unglücklich, sondern zufrieden damit.

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