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Abbildung 2/5: Zentrale Führungsaspekte

Zusammengefasst lässt sich Führungskompetenz etwas umfassender damit als die Fähigkeit beschreiben, die Zukunftsfähigkeit einer Organisation zu sichern, indem die Organisation und ihre Mitarbeiter mithilfe geeigneter und den jeweiligen Umständen angepasster (Führungs-)Instrumente dazu gebracht werden, sich laufend neuen Entwicklungen anzupassen bzw. diese Entwicklungen (mit) zu bestimmen und die hierfür notwendigen Strukturen und Prozesse zu schaffen und optimieren.

[47]3.3 Kontextbezogenes Management

Management vollzieht sich grundsätzlich in einem spezifischen Handlungskontext, der viele Handlungsvariablen in mehr oder weniger großem Umfang (mit-)bestimmt und modifiziert. Mindestens drei verschiedene Kontextbündel sind hier zu unterscheiden:

 zum einen handelt jede beteiligte Person auf der Grundlage ihres jeweiligen persönlichen, sozialen und kulturellen Hintergrunds,

 zum zweiten beeinflusst die jeweilige Organisation, in der Management stattfindet, insbesondere ihre Form und Kultur, die Möglichkeiten des Handelns und

 schließlich beeinflusst auch der gesamte organisationsexterne Kontext, die Organisationsumwelt, sowohl die Organisation als auch die Personen in ihren Prozessen und Handlungen.

Hierdurch werden beispielsweise Interessen, Motivationen, Erwartungen, Interpretationen, Leistungsbereitschaft oder auch das Verständnis von Inhalten, Prozeduren oder Reaktionen beeinflusst.

Management beinhaltet damit immer die Gestaltung von Sachverhalten, in denen Menschen als Teil von sozialen Systemen in verschiedenen mehrdimensionalen Kontexten agieren. Der Managementerfolg hängt damit zu einem großen Teil davon ab, in welchem Umfang die relevanten Handlungsparameter den jeweiligen Kontext erkennen und berücksichtigen (können) und damit auch, inwieweit handlungsrelevante Aspekte erkannt, antizipiert und umgesetzt werden können. Erfolgreiches Management erfordert daher, diese – zusätzlichen – Erkenntnisse zu verdichten und das vorhandene Managementwissen, die Managementstandards und -instrumente und den eigenen Managementstil zu überdenken und zu erweitern, um diese so leichter an die spezifischen Kontexte anpassen zu können.

Hier sollen zunächst drei Kontexte unterschieden werden. Handelt ein Manager im nationalen Kontext, so muss er die spezifischen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen etc. Bedingungen seines Handlungsumfeldes kennen und berücksichtigen, handelt er im [48]internationalen Kontext, so gilt dies analog für die jeweiligen Bedingungen seiner Einsatz- oder Bezugsländer. Er kann jedoch auch im interkulturellen Kontext handeln, also im In- oder im Ausland mit Personen unterschiedlicher Kultur zu tun haben. Abb. 2/6 zeigt, dass die allgemeinen Managementkompetenzen entsprechend der jeweiligen Einsatzbereiche um nationale, internationale und/oder interkulturelle Kompetenzen ergänzt werden müssen.


Abbildung 2/6: Kontextbezogenes Management

[49]4 Internationales und interkulturelles Management

4.1 Internationales Management

Viele einschlägige Publikationen zu diesem Thema liefern entweder keine Definitionen oder umschreiben die Begriffe mehr oder weniger vollständig, andere unterscheiden nicht oder nur sehr ungenau zwischen internationalem und interkulturellem Management.

Grundsätzlich ist internationales Management grenzüberschreitendes Management. Es beschäftigt sich dabei grundsätzlich mit den gleichen Fragestellungen wie nationales Management, wobei der Komplexitätsgrad höher ist, da neben den üblichen Gesichtspunkten spezifische Besonderheiten anderer Nationen und internationale Unterschiede berücksichtigt werden müssen. Die trotz Globalisierung nach wie vor existierenden nationalen Grenzen und deren bewusste Überschreitung schaffen neue Rahmenbedingungen und beeinflussen somit die Umsetzung von Zielen und zu treffenden Entscheidungen und damit den Managementerfolg. Die zu berücksichtigenden unterschiedlichen Rahmenbedingungen umfassen im Wesentlichen die im Rahmen einer PEST-Analyse zu untersuchenden Elemente des externen Unternehmensumfeldes und der dort wirkenden Triebkräfte. PEST steht für wichtige externe Einflussfaktoren, auf die das Unternehmen keinen direkten Einfluss hat: politische, wirtschaftliche (economic), sozio-kulturelle, technologische.33

 Politische Faktoren z.B. allgemeine und branchenrelevante Steuergesetze, Regulierung des Kapital- und Arbeitskräftetransfers, politische Stabilität, Regionalisierung

 [50]Ökonomische Faktoren volkswirtschaftliche Indikatoren, Ressourcenverfügbarkeit, Schlüsselindustrien, Branchenstrukturen

 Sozio-kulturelle Faktoren Bevölkerung und Demographie, Einkommensverteilung, Mobilität, Bildungsniveau, Konsumentenverhalten, Sparraten

 Technologisch technologisches Niveau der eigenen Branche, von Zuliefer- und Kundenbranchen, staatliche und private F&E-Ausgaben und -Einrichtungen.

Hinzu kommen34

 rechtliche und ökologische Faktoren,

 klimatisch-geographische Besonderheiten sowie

 Besonderheiten bei Verfahren und Abläufen.

Nationale Spezifika sowie Unterschiede zum eigenen Land müssen bekannt sein und im Rahmen des Managements berücksichtigt werden. Immer dann, wenn diese Aspekte bei Managementüberlegungen und -handlungen eine Rolle spielen, können wir von internationalem Management sprechen. Die erweiterten PEST-Aspekte stellen wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Handeln im internationalen Kontext dar und können dazu beitragen, insbesondere die Managementfelder international auszurichten und erfolgreich zu gestalten. Viele dieser Aspekte können z.T. in erheblichem Umfang von kulturellen Einflussfaktoren beeinflusst oder auch Ergebnis kultureller Prozesse sein. Dennoch handelt es sich hierbei noch nicht um interkulturelles Management, hiervon soll erst dann gesprochen werden, wenn im Rahmen von Managementprozessen und Führung direkt interkulturell mit Vertretern anderer Kulturen agiert wird. Demnach wird folgende Definition vorgeschlagen:

Internationales Management ist die (laufende) (professionelle) zielorientierte Gestaltung, Steuerung und Entwicklung von (komplexen) Strukturen und Prozessen von Organisationen – unter notwendiger Berücksichtigung verschiedener nationaler Rahmenbedingungen.

[51]

Abbildung 2/7: International relevante Managementfelder

[52]Auf der Vorseite sind Beispiele für international relevante Managementfelder aufgelistet.35

4.2 Kultur und Management

Internationales Management fokussiert im Wesentlichen die „hard facts“ grenzüberschreitender Managementtätigkeit. Auch wenn in diesem Zusammenhang durchaus auch kulturelle Aspekte, etwa im Bereich des Personalmanagements oder des Marketings, thematisiert werden, so reicht dieses Wissen heute für erfolgreiches Management im interkulturellen Kontext nicht mehr aus. Hinzu kommt, dass interkulturelle Aspekte keineswegs nur grenzüberschreitend, sondern auch im nationalen Kontext berücksichtigt werden müssen. Menschliches Handeln ist in wesentlichen Teilen kulturbeeinflusst, für Manager ist es daher von erheblicher, zum Teil sogar von ausschlaggebender Bedeutung, über interkulturelle Kenntnisse und Kompetenzen zu verfügen und diese einzusetzen. So ist es wichtig zu wissen, in welcher Form soziale Gruppen und Individuen ihre Umwelt wahrnehmen, interpretieren und verstehen, wie sie (wahrscheinlich) handeln werden und warum sie das in dieser Form tun. Diesem Umstand trägt der Begriff des interkulturellen Managements Rechnung. Interkulturelle Managementkompetenz bedeutet also die Fähigkeit zu haben, auch in anderen kulturellen bzw. kulturübergreifenden Kontexten erfolgreich zu handeln.

[53]Was soll nun unter Kultur verstanden werden? Die folgenden Kulturdefinitionen stellen nur eine kleine Auswahl von in der Literatur zu findenden Definitionen dar.

[1] „Denn der Begriff Kultur meint jene Wirklichkeit, aus der sich die kulturelle Existenz der Menschen in all ihren verschiedensten gesellschaftlichen und geschichtlichen Ausprägungen immer schon verwirklicht. Gerade weil der Begriff der Kultur diese grundlegende Wirklichkeit aller menschlichen Existenzen meint, sind wir in unserer eigenen kulturellen Existenz selbstverständlich mit einbegriffen. Wir können Kultur als Gesamt- und Wirkungszusammenhang nicht als einen uns äußerlichen Gegenstand bestimmen, sondern haben unsere und andere Kulturen aus dem Gesamtzusammenhang menschheitlicher Kultur zu begreifen.“ (Schmied-Kowarzik)36

[2] „Culture consists of patterns, explicit and implicit of and for behavior acquired and transmitted by symbols, constituting the distinctive achievement of human groups, including their embodiments in artifacts; the essential core of culture consists of traditional (i.e. historically derived and selected) ideas and especially their attached values; culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the other hand, as conditioning elements of further action.“ (Kroeber/Kluckholm)37

[3] „Culture is a fuzzy set of attitudes, beliefs, behavioural norms, and basic assumptions and values that are shared by a group of people, and that influence each member’s behaviour and his/her interpretations of the „meaning“ of other people’s behaviour.” (Spencer-Oatey)38

[4] „I define culture as the collective mental programming of the people in an environment. Culture is not characteristic of individuals; it encompasses a number of people who were conditioned by the same education and life experience. When we speak of the culture of a group, a tribe, a geographical region, a [54]national minority, or a nation, culture refers to the collective mental programming that these people have in common; the programming that is different from that of other groups, tribes, regions, minorities or majorities, or nations.“ (Hofstede)39

[5] „Kultur ist ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem…. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein für die sich der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzungen zur Entwicklung eigenständiger Formen der Umweltbewältigung.“ (Thomas)40

[6] „Kultur ist … die heterogene und sich ständig verändernde Matrix, vor deren Hintergrund wir handeln und unsere Welt bewerten, mit der wir uns identifizieren oder von der wir uns abgrenzen, die wir durch unsere individuellen Taten aber auch vorantreiben und verändern.” (Breidenbach/Nyíri)41

Grundsätzlich wird unter Kultur eine unbestimmte Anzahl expliziter Werte und Normen sowie impliziter Grundannahmen von Gesellschaften, Teilgesellschaften oder sozialen Gruppen verstanden, durch die diese sich nach außen abgrenzen und nach innen integrieren. Die kulturellen Regeln werden überliefert und von den Mitgliedern der Gemeinschaft erlernt. Es gibt in der Regel keine klaren Grenzen zwischen den Gesellschaften, viele Regeln werden in mehreren Gesellschaften befolgt und Übergänge sind häufig fließend. Damit muss die noch häufig vorherrschende Vorstellung klar abgegrenzter „Container“-Gesellschaften42 mit identischen kulturellen Merkmalen aufgegeben werden. Die Übergänge sind fließend, es gibt unterschiedlich große Schnittstellen und Überlagrungen an den „kulturellen Rändern“. [55]Menschen bringen – auch globalisierungsbedingt – kulturelle Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen Kulturen in ihre eigene Kultur und können sie damit verändern. Es gibt subnationale Kulturen und Bereichskulturen, die in spezifischen Situationen, etwa als Professionskulturen, sonstige handlungswirksame Kulturaspekte entweder überlagern, ergänzen oder modifizieren.43 Trotzdem lassen sich Häufungen kultureller Merkmale und Eigenheiten in bestimmten Gesellschaften, die sehr häufig auch national abgegrenzt sind, weiterhin beobachten.

Dieses gemeinsame System von Sinnvorstellungen und Werten ist traditionell begründet, wobei diese Traditionen wiederum häufig durch ökonomisch und soziale Gegebenheiten bestimmt oder zumindest beeinflusst sind. Allerdings sind diese kulturellen Systeme nicht statisch. Sie unterliegen einem dynamischen Wandlungsprozess, der maßgeblich durch äußere Einflüsse, etwa durch die Globalisierung, erfolgt. Diesem Prozess des Wandels sind die gesellschaftlichen Gruppen in unterschiedlicher Weise ausgesetzt. Gruppen, die vielfältige und intensive Kontakte mit kulturanderen Gesellschaften haben, sind naturgemäß leichter geneigt, eigene kulturell geprägte Einstellungen und Verhaltensweisen zu relativieren. Demgegenüber kann davon ausgegangen werden, dass ein zentraler Bestand an kulturellen Grundmustern auch diese Einflüsse überdauert und weiterhin in hohem Maße verhaltensprägend bleibt.

Für die weiteren Überlegungen bietet sich als pragmatische Grundlage eine Kombination der Kulturdefinitionen von Thomas und Breidenbach/Nyíri an: Zum einen ist es wichtig, Kultur als ein universelles für eine Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typisches „Orientierungssystem“ aufzufassen, das nicht determiniert ist, sondern auch individuelle Freiräume bietet. Dieses System prägt zwar die Art und Weise, wie soziale Gruppen und Individuen wesentliche Bereiche ihrer sozialen Umwelt wahrnehmen, interpretieren und verstehen und führt damit auch zu unterschiedlichen Bewertungen, Einstellungen, Entscheidungen und Handlungen. Gleichzeitig erlaubt es aber nicht nur Abweichungen, sondern auch Änderungen [56]und dynamische Entwicklungen, die auch durch individuelles oder Gruppen-Verhalten initiiert werden können, wie dies beispielsweise die Jugendkultur in vielen Facetten regelmäßig demonstriert.

Im interkulturellen Umfeld muss der Manager

 sich daher zunächst seiner eigenen kulturellen Orientierung bewusst werden und deren handlungsbeeinflussende Wirkungen kennen,

 bereit sein, diese Orientierung als erlernt und nicht als objektive Wahrheit zu begreifen und entsprechend seinem interkulturellen Umfeld zu relativieren,

 aufmerksam für fremde kulturelle Orientierungssysteme sein und bereit sein, diese zumindest in ihren Grundzügen kennenzulernen, um sie dann auch erkennen und dechiffrieren zu können und

 schließlich die handlungswirksamen Elemente der eigenen Kultur und diejenigen fremder Kulturen zu neuen Handlungsmustern verknüpfen und sie so in sein eigenes Handeln integrieren, dass er auch in interkulturellen Kontexten ziel- und ergebnisorientiert handeln kann.

Erfolgreiches Management, das immer häufiger in solchen Kontexten stattfindet, erfordert damit spezifische zusätzliche Voraussetzungen, insbesondere kontextorientierte Grundfähigkeiten, Spezialwissen und die Fähigkeit, beide in geeigneter Form miteinander zu verknüpfen. Diese Voraussetzungen sind allerdings im Regelfall nicht in die übliche Berufsausbildung integriert und somit auch nicht Teil des berufsspezifischen Wissens.

Für eine Definition interkulturellen Managements müssen also allgemeine Managementdefinitionen um eine geeignete interkulturelle Komponente erweitert werden. So kann interkulturelles Management etwa bedeuten, „Ziele durch Personen anderer oder unterschiedlicher kultureller Prägung mit professionellen Mitteln zu erreichen“ oder „Managementprozesse in einem Kontext umzusetzen, [57]der von dem Zusammentreffen mehrerer Kulturen geprägt ist“. Integriert man diese Überlegungen in die schon zuvor gewählte Definition, so kann interkulturelles Management wie folgt definiert werden:

Interkulturelles Management ist die (laufende) (professionelle) zielorientierte Gestaltung, Steuerung und Entwicklung von (komplexen) Strukturen und Prozessen von Organisationen – in einem Kontext, der von dem Zusammentreffen von mindestens zwei unterschiedlichen Kulturen geprägt ist.

Interkulturelles Management stellt damit eine erweiterte und um zusätzliche Kompetenzen ergänzte Variante allgemeinen Managements dar. Die folgende Abbildung zeigt diesen Zusammenhang und verweist zusätzlich auf die Tatsache, dass sich der Erkenntnisbereich des interkulturellen Managements nur zu einem Teil mit dem des internationalen Managements überlappt.


Abbildung 2/8: Managementzusammenhänge

Zentral ist hierbei die Frage, welche kulturübergreifenden Regeln und Tools einsetzbar sind, ob und wo Modifikationen vorgenommen werden müssen und in welchen interkulturellen Kontexten kulturangepasste – für die eigene Kultur möglicherweise ungewohnte – [58]Verfahrensweisen zur Anwendung kommen müssen. Hierbei kann die Vermeidung oder Lösung durch kulturelle Unterschiede verursachter Konflikte – wie häufig hervorgehoben – durchaus von großer Bedeutung für den Managementerfolg sein. Dennoch ist dies, ebenso wie etwa eine interkulturell adäquate Verhandlungsführung immer nur ein – wenn auch wichtiger – Beitrag zur Erreichung der spezifischen Unternehmensziele. Erfolgreiches interkulturelles Management verlangt dabei mindestens im gleichen Umfang nach einer konstruktiven Nutzung des durch die Einbeziehung der verschiedenen Kulturen enorm ansteigenden Wissens, der Werte und Erfahrungen. Es geht hierbei um neue Wege und Potenziale zur Erreichung gemeinsamer Ziele, um Kreativität und die Entdeckung weiterer Horizonte: Managing not across cultures but through them or by means of them.44

Es ist dabei zu beachten, dass auch der interkulturelle Manager seinen Einflussbereich keineswegs nur auf die direkten unternehmensinternen Beziehungen begrenzen kann und wird, also vorzugsweise auf Mitarbeiter, direkte Kooperationspartner und Unternehmensleitung. Vielmehr wird er auch eine Vielzahl eher indirekter externer Beziehungen erfolgreich zu gestalten haben. Der Umfang dieser Beziehungen wird in einem internationalen Umfeld i.d.R. größer und vielfältiger sein, als dies auf dem eigenen nationalen Markt der Fall ist. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die im Sitzland im Allgemeinen erheblich stärker differenzierte Arbeitsteilung, die relevante Beziehungen zu wichtigen Akteuren tendenziell begrenzt. Dies gilt etwa für den Rechtsbereich oder für Pressekontakte, die im Inland von hierfür spezialisierten Abteilungen wahrgenommen werden, während im Ausland die Aufgabenbereiche häufig deutlich größer zugeschnitten sind. Hinzu kommen zusätzliche Kontakte, etwa zu ethnischen oder religiösen Institutionen und Vertretern, die in dieser Form im Inland meist nicht wahrgenommen werden müssen.45

[59]Fallbeispiel IFIS AG46

Florian K. ist bei einem bayerischen, mittelständischen Unternehmen mit 20.000 Mitarbeitern, der IFIS AG, zuständig für Internationale Märkte. Schon seit den 1990er Jahren nimmt für das Unternehmen die Bedeutung der Märkte in den asiatischen und lateinamerikanischen Ländern zu. Exportierte die Firma früher noch über 80% ihrer Produkte in ihre Stammländer in Westeuropa und die USA, so sitzen heute die Hauptkunden in den BRIC-Staaten, in Nahost und in Südostasien. In diesen Ländern gründete die IFIS AG Vertriebsniederlassungen und vereinzelt auch Produktionsstätten, für die Kernkomponenten aus Deutschland geliefert werden. Florian K. war in vielen Ländern für den Aufbau der Auslandsgesellschaften verantwortlich. Über viele Monate verbrachte er den größten Teil seiner Arbeitszeit im Flugzeug und im Ausland.

Früher reiste er häufig noch mit Unterlagen über Organigramme, Führungsprinzipien oder Unternehmensleitlinien in die einzelnen Auslandsniederlassungen und erklärte den dortigen Mitarbeitern, wie die IFIS AG arbeite, um diese Grundsätze dann auch an den Auslandsstandorten umzusetzen. Seine Kollegen aus der Personalabteilung führten Mitarbeitergespräche, maßen Mitarbeiterzufriedenheit mit standardisierten Instrumenten und versuchten, ihre bewährten Personalentwicklungskonzepte möglichst 1:1 umzusetzen. Die Reaktionen der ausländischen Mitarbeiter waren interessant: Ein chinesischer Mitarbeiter, der gefragt wurde, welche Unterstützung er sich wünsche, antwortete nur: „Aber das müssen doch Sie wissen!“ Mit den technischen Zeichnungen und Arbeitsanweisungen aus der Zentrale konnten die meisten ausländischen Kollegen allerdings nicht viel anfangen. Sie verstanden auch nicht, warum sie sich an dem in Deutschland [60]üblichen Qualitätsniveau orientieren sollten. „Qualität ist, was der Kunde akzeptiert“, war die durchgängige Meinung der ausländischen Mitarbeiter. Die IFIS AG musste also feststellen, dass sie ihre westlichen Instrumente nur schwer oder gar nicht einsetzen konnte und verstärkte deshalb die Bemühungen, den Tochtergesellschaften die Bedeutung der eingeführten Managementmethoden, Organisationsstrukturen, Prozesse und Führungsprinzipien zu vermitteln, um ein einheitliches und weltweit gültiges Unternehmensleitbild und eine Unternehmenskultur, die geprägt sein sollte von den traditionellen Werten der IFIS AG, durchzusetzen Mit zunehmender Bedeutung der neuen Märkte bemerkte Florian K. nun in den letzten Jahren eine Veränderung im Verhalten der ausländischen Kollegen. Kritik oder passiver Widerstand gegen die vorgeschlagenen Vorgehensweisen und Methoden nahmen zu:

Ein leitender Mitarbeiter in Russland überreichte ihm, nachdem Florian die zunehmende Korruption kritisiert und auf die Unvereinbarkeit mit den ethischen Prinzipien der IFIS AG verwiesen hatte, wortlos eine Liste mit Geldbeträgen, die an Entscheidungsträger beim Kunden, in der Verwaltung oder in der Regierung bezahlt werden müssten, und erklärte: „Wenn wir hier Geschäfte machen wollen, müssen wir dieses Spiel mitspielen. Russland ist ein mächtiges Land und lässt sich seine Geschäftspraktiken nicht vom Ausland diktieren.“

In Indien wurde ihm berichtet, dass ein wichtiger Lieferant Kinder beschäftige. Als er forderte, die Zusammenarbeit mit diesem Unternehmen abzubrechen, wurde ihm gesagt: „Was ist so schlimm daran, dass Kinder mit ihrer Arbeit Geld verdienen? Sollen sie verhungern, sich prostituieren oder stehlen? Zudem sind ihre Eltern auch selbst schuld, dieser Kaste anzugehören. Mit westlichen Maßstäben kann man dieses Thema nicht beurteilen.“

In China wurden Veranstaltungen organisiert, auf denen die potentiellen Kunden mit einem Spesenkonto ausgestattet und luxuriös untergebracht wurden, zusätzlich wurde ein aufwändiges [61]Begleitprogramm organisiert. Erst nach mehrmaligem Nachfragen erfuhr Florian, dass die chinesischen Mitarbeiter die westliche Art der Kundengewinnung und Kundenbindung als nicht effizient ansahen. „Wir können Kunden nicht nur mit technischen Produktdetails gewinnen, sondern müssen zu ihnen erst eine gute persönliche Beziehung aufbauen und pflegen.“

In Saudi-Arabien wurde eine von der IFIS-Zentrale ausgesuchte Bewerberin für eine Führungsposition nicht akzeptiert. Damit konnte hier der Unternehmensgrundsatz, weibliche Führungskräfte zu fördern, nicht umgesetzt werden.

Und in Japan war es nicht möglich, eine jüngere Führungskraft mit hervorragenden Fachkenntnissen durchzusetzen, da hier nur ältere Führungskräfte akzeptiert wurden.

Florian wollte diese neue Entwicklung nicht akzeptieren. Er organisierte daher ein internationales Treffen mit den Geschäftsführern aller Standorte, um einen letzten Versuch zu starten, die zentralen Werte, Leitlinien und Prinzipien durchzusetzen. Nachdem diese nochmals ausführlich erläutert worden waren, fragte der Geschäftsführer der indischen Niederlassung, wie es eigentlich mit der Umsatzverteilung auf die einzelnen Standorte aussähe? Nachdem festgestellt worden war, dass der Unternehmensumsatz zu einem großen Teil auf die neuen Märkte entfiel, stellte er die Frage: „Warum sollen wir uns dann an westlichen Werten und Einstellungen orientieren? Ich kann nicht erkennen, dass indische Werte und Normen angemessen berücksichtigt werden.“ Daraufhin wiesen auch die anderen Vertreter der ausländischen Niederlassungen darauf hin, dass sie es aus ihrer Sicht nicht akzeptieren könnten, wenn eurozentrische Werte und Standards, wie Menschenrechte, Gleichheit und Umweltschutz die Corporate Identity der IFIS AG bestimmten. Schließlich wurde beschlossen, einen Neuentwurf für eine Corporate Identity zu entwickeln, der die Werte aller in der IFIS AG vertretenen Kulturen in angemessener Weise berücksichtigen solle.

[62]4.3 Interkulturelle Managementsituationen

Interkulturelles Management kann in sehr unterschiedlichen Situationen erforderlich sein, die sich nur zum Teil überlappen und für die unterschiedliche Anforderungen an das Management gestellt werden.

Management in anderen Kulturen ist die klassische Situation, die in den meisten Fällen und Problembeschreibungen stillschweigend unterstellt wird. Grundsätzlich geht es dabei darum, Unternehmens- oder Organisationsziele in einem fremden kulturellen Kontext zu vermitteln, durch- und umzusetzen. Der Manager befindet sich meist in einer Expatriate-Situation, die – erschwerend – mit einem vielfach anspruchsvollen „Selbst- und Familienmanagement“ verbunden ist. Sie ist häufig verknüpft mit einem komfortablen Entsandtenvertrag – kann aber auch auf lokaler Vertragsgestaltung basieren – und der bekannten Rückkehrerproblematik.

Die Managementsituation beinhaltet sowohl das Führen von Menschen einer anderen Kultur in deren eigenem kulturellen Kontext, mit möglicherweise nur geringer Erfahrung in Bezug auf andere Kulturen, wie sehr häufig auch das Führen von Menschen aus Drittkulturen in für sie nicht vertrauten Kulturen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um Expatriates, entweder aus der gleichen Kultur wie der Manager selbst oder um Personen aus Drittkulturen, die wiederum spezifisch geprägte Erfahrungen über die Gastlandsowie Drittlandkulturen mitbringen können.

Beispiele 2/1

Der in einer deutschen Tochtergesellschaft in Thailand eingesetzte deutsche Techniker mit langjähriger Erfahrung in Südafrika, der ein Projekt mit zwei deutschen Praktikanten, mehreren Thailändern, einem Australier und zwei Indonesiern leitet und in einem sehr engen Zeitrahmen das Projekt erfolgreich abschließen soll; der belgische Teamleiter eines Entwicklungsprojekts [63]in Indonesien, der ein Team aus Deutschen, Schweizern und Engländern leitet und mit seinen indonesischen Partnern zusammen ein Kleinbankensystem entwickelt und fördert; die kanadische Managerin, die in China die expandierende Tochtergesellschaft ihres kanadischen Mutterkonzerns mit einer multikulturellen Belegschaft leitet, oder der französische Vice President, der den europäischen Vertrieb eines US-amerikanischen Softwareunternehmens von der Europazentrale des Unternehmens in London aus aufbaut.

Je nach Einsatzbereich sind hier die kulturelle Adaption des Fachwissens sowie die Führung lokaler Mitarbeiter von besonderer Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt zudem das häufig anspruchsvolle neuartige Beziehungsmanagement in Bezug auf lokale Partner, Kunden, Zulieferer und die lokale Administration. Gleichzeitig sind die lokalen Managementtätigkeiten mit den Anforderungen der Zentrale (Zielvorgaben, Administration, Controlling etc.) in Einklang zu bringen. Darüber hinaus ist die Kenntnis und Einschätzung der Entwicklung der fremden Märkte gefragt, der Wettbewerbssituation und der Einschätzung der Zielgruppenpräferenzen sowie häufig auch Kenntnisse der Nachbarmärkte bzw. der Region.

Da es keine Möglichkeit gibt, aus einem „sicheren“ kulturellen Umfeld heraus zu agieren, muss der betreffende Manager sich möglichst schnell Kenntnisse über das kulturandere Umfeld verschaffen und auf eine kulturelle Anpassung und Variation der ihm vertrauten Managementtechniken und -instrumente vorbereitet sein, um die Zusammenarbeit mit einer kulturell heterogener Mitarbeiterschaft erfolgreich zu gestalten.

Management für andere Kulturen erfolgt entweder aus dem Inland oder einem Drittland für Aktivitäten, die in einer anderen Kultur stattfinden sollen. Das Spektrum ist umfangreich. Es reicht vom Exportmanagement über die Planung von Einzelprojekten in anderen Ländern bis zur Planung komplexer Markteintrittsstrategien für neue Märkte. Meist stehen hierfür verschiedene Alternativen zur Verfügung, über die entschieden werden muss und die [64]dann auf die neuen Märkte abgestimmt werden müssen und mit entsprechenden Partnern in den neuen Ländern umgesetzt werden müssen.

Beim interkulturellen Exportmanagement kommt es vor allem auf Marktkenntnisse und den Aufbau entsprechender Kontakte im Ausland an, während die Planung und das Management von Auslandsprojekten ein ganzes Bündel von interkulturell relevanten Maßnahmen umfasst. Dieses reicht von der Kenntnis der politischadministrativen Verhaltensmuster und Politikkontakten über Verhandlungen mit lokalen Partnern, beispielsweise Baufirmen, Zulieferern, Banken und lokalen Dienstleistern, bis zur Personalauswahl, ggf. auch der Personalverantwortung für die Mitarbeiter ausländischer Projekte, einschließlich der Entscheidung über die Einsetzung eines lokalen Managements bzw. die Entsendung von Expatriates. Wird die Entscheidung für ein lokales Management getroffen, so besitzt häufig ein Vertreter der Zentrale im Sitzland die Gesamtverantwortung für diese Bereiche des Auslandsgeschäfts. Eine Variante besteht in der virtuellen Auslandsentsendung. „Pendel“-Manager oder „Vielflieger-Entsendungen“ übernehmen dann die Verantwortung über ausländische Büros mit oder ohne Personalverantwortung.47

Damit geht es bei dieser Variante häufig weniger um das Führen von Menschen in und aus anderen Kulturen als um das Verstehen von kulturanderen Bedingungen. Die interkulturelle Managementkompetenz ist damit eher fokussiert auf die Kenntnis anderer Märkte und deren spezifische kulturelle Bedingungen (Wettbewerber, Konsumenten), die Kenntnis kultureller Übereinstimmungen und Differenzen und die Einschätzung und Antizipation von Reaktionen. Häufig ist es hierbei für das Management nicht so entscheidend, selbst über das geforderte Wissen zu verfügen, sondern durch geeignete Personalauswahl diejenigen Mitarbeiter zu finden, die über die betreffende interkulturelle Kompetenz verfügen.

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