Kitabı oku: «Vielleicht begab es sich aber ...», sayfa 2

Yazı tipi:

SCHICKSAL

Zu 1. Mose 12,10 - 20; 16; 21,8 - 21

Manchmal hatte sie das Gefühl, das ganze Leben bestünde nur aus Lehm und Fliegen. Der Lehm an den nackten Füßen und allmählich auch an Beinen und Armen und überall diese Fliegen! Und dann war über allem noch die Sonne, die unbarmherzig vom Himmel brannte und ihr alle Kräfte aus den Gliedern saugte.

Weiter treten! Immer weiter!

Aber natürlich war da noch mehr als Lehm und Fliegen. Die Großmutter neben ihr, die auch mit ihren nackten Füßen den Lehm trat, um ihn mit dem Stroh zu durchmengen. Ihre Mutter, die in der Nähe den Lehm aus einer anderen Grube in die hölzernen Ziegelformen stampfte, die dann umkippte und den geformten Lehm zum Trocknen in die Sonne legte. Und ab und zu kam ihr Vater mit zwei Eimern Wasser vom Fluss herauf, die er an einem Joch auf der Schulter trug. Das Wasser kippte er in die Lehmgrube, nicht ohne seine Tochter mit rauer Stimme zu ermahnen: »Weiter, Kind! Schlaf nicht ein!«

Wenn er wieder gegangen war, stampfte ihre Großmutter manchmal näher an sie heran und strich ihr wortlos über die langen schwarzen Haare. Das tat ihr gut, weil es ihr klarmachte, dass eben doch nicht das ganze Leben nur Arbeit war und Erschöpfung und Schweiß, nur Lehm und Fliegen. Da gab es noch Menschen, die ihr zwar die Qual nicht ersparen, aber mit Trost und Nähe etwas mildern konnten.

Die Sonne war auf ihrer Barke gerade über den höchsten Punkt geglitten, da schreckte Hagar auf, weil ihre Mutter sie ansprach: »Komm, Hagar, schnell!«

Sie stapfte zum Rand der Lehmgrube. Ihre Mutter fasste mit der Linken ihren Hinterkopf, fuhr mit der Rechten in den Lehm und schmierte ihr geschickt den dicken Brei ins Gesicht. »Mach die augen zu!«

Hagar wusste nicht, was das für einen Sinn haben sollte, aber sie war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Als sie merkte, dass nicht mehr in ihrem Gesicht herumgewischt wurde, schlug sie die Augen auf. Ihre Mutter war gerade dabei, auch ihr eigenes Gesicht zu verunstalten.

»Was machst du da?«, fragte Hagars Großmutter.

»Siehst du ihn nicht? Den Mann des Königs? Jedes Jahr kommt er und sucht nach schönen Frauen und Mädchen für den Palast.« Dabei zeigte sie zur Straße, die in einiger Entfernung vorbeiführte, die große Fernstraße in Richtung Sonnenaufgang, über die man in ferne Länder kommen konnte, wie erzählt wurde.

Hagar wendete ihren Blick in die Richtung, in die ihre Mutter zeigte. Da kam eine merkwürdige Gruppe heran. Sie bestand aus einem Reiter auf einem Esel und drei Mann zu Fuß. Einer der Fußgänger lief dicht neben dem Esel und hielt eine Stange über den Reiter, an dem oben ein ausgespanntes Tuch befestigt war. Offenbar hatte er die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Reiter immer Schatten hatte.

»Du weißt nicht, was gut und was schlecht ist für das Kind!«, sagte die Großmutter. »Das Leben im Palast ist bestimmt besser für Hagar, egal, was sie dort erwartet. Es kann nicht schlimmer sein als diese Schufterei beim Ziegelmachen.« Und sie nahm Wasser aus dem Krug, der zum Trinken bereitstand, und wusch ihrer Enkelin das Gesicht wieder sauber.

Ihre Tochter widersprach nicht. Sie setzte sich – nein, besser: Sie ließ sich fallen, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Zur Erschöpfung kam die Verzweiflung, und beides zusammen war zu viel.

Hagar verstand das alles nicht. Sie traute sich auch nicht, die weinende Mutter oder die zornige Großmutter zu fragen. So blickte sie nur den Männern entgegen, die auf sie zukamen.

Der Reiter schien ein vornehmer Herr zu sein, auch wenn sein Reittier nicht sehr groß war. Seine Füße erreichten fast den Boden, obwohl er nur mittelgroß und sehr dick war. Außer dem Lendentuch trug er einen leichten Umhang, mit allerlei Mustern bestickt, in verschiedenen Farben, sodass es sehr bunt wirkte. So etwas hatte Hagar noch nie gesehen. Die Kanten des Kleidungsstückes waren mit etwas verziert, das metallisch glänzte, und große Knöpfe aus Knochen oder etwas Ähnlichem waren daraufgenäht. Aber der Umhang war nicht geschlossen, er stand offen, sodass man seine behaarte Brust und darunter den dicken Bauch sehen konnte.

Vor der Lehmkuhle hielt der Mann seinen Esel an. Die beiden Männer, die dahintergegangen waren, stellten sich breitbeinig hin und pflanzten ihre Spieße vor sich auf.

»Komm heraus!«, rief der Dicke mit seltsam hoher Stimme Hagar an. Hagar kletterte heraus, ihre Großmutter half ihr dabei.

»Von dir will ich nichts!«, schimpfte der Mann die alte Frau, und dann sagte er zu Hagar: »Sieh mich an!«

Sie hob zögernd den Kopf.

»Dreh dich um!« Hagar musste sich von allen Seiten begutachten lassen wie ein Stück Vieh.

»Hm. Hübsch, aber noch zu jung. Im nächsten Jahr vielleicht. Notiere das!«, sagte der Vornehme zu seinem Begleiter. Der wollte den Sonnenschirm auf den Boden legen, aber sein Herr brummte ärgerlich: »Gib her!« Er hielt sich das Ding selbst über den Kopf, und der andere nahm eine Wachstafel und einen Stift aus seiner Umhängetasche und drückte einige Zeichen hinein.

Gerade wollte der Dicke sich Hagars Mutter zuwenden, die immer noch auf dem Boden saß, da rief einer der Bewaffneten: »Herr! Sieh da drüben!«

Alle wendeten den Blick zur Straße.

Da kam eine Reisegruppe. Ein alter Mann ging voraus, ihm folgten mehrere Frauen. Eine kleine Schaf- und Ziegenherde wurde von Männern, anscheinend Knechten, zusammengehalten und vorwärtsgetrieben, zwei Esel trugen Teppiche und Zeltstangen, ein Eselsfüllen trippelte neben einem der Lasttiere.

»Haltet sie auf!«, befahl der Dicke und wendete seinen Esel. Die beiden Bewaffneten liefen zur Straße und stellten sich dort breitbeinig auf, die Spieße den Ankömmlingen entgegengestreckt. Die verzögerten ihre Schritte. Nun war auch der Dicke auf seinem Esel herangekommen. Er redete auf den Mann an der Spitze der Gruppe ein. Daraus, dass er dabei mit den Händen gestikulierte, schlossen die Frauen, dass sie in unterschiedlichen Sprachen redeten und sich kaum verstanden.

Jetzt sahen sie, dass der Dicke von seinem Esel stieg. Es schien ihn einige Mühe zu kosten. Er ging auf die Frau zu, die direkt hinter dem Anführer der Gruppe gegangen war, legte seinen Finger unter ihr Kinn und drückte damit ihren Kopf hoch. Nach einigen offenbar vergeblichen Versuchen, sich zu verständigen, und vielen Handbewegungen, stieg der Dicke mit Hilfe seiner Begleiter mühsam wieder auf sein Tier und ritt los, in die Richtung, aus der er gekommen war. Sein Helfer lief links neben ihm her, einer der Bewaffneten rechts, es folgten die Fremden, und der zweite Bewaffnete beschloss den Zug.

Hagars Großmutter murmelte zu ihrer Tochter: »Vielleicht hätten sie dich mitgenommen, wenn nicht gerade diese Fremden gekommen wären.«

»Vielleicht.«

»Ist das nun gut oder schlecht?«

Hagars Mutter antwortete nicht und wandte sich wieder ihren Ziegelformen zu. Hagar und ihre Großmutter stiegen in die Lehmgrube zurück.

***

Es war ein größerer Komplex von Lehmhäusern, in dessen Innenhof sie Hagar schoben. Da waren noch andere Frauen und Männer. Eine Frau kannte sie, sie hatten einmal bei der Getreideernte zusammengearbeitet.

Hagar ging zu ihr hin, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Doch die Frau sprach sie an: »Du auch? Du bist noch so jung.«

Hagar nickte. »Sie haben mich einfach von zu Hause weggeholt.«

»Ich kenne dich, aber ich habe deinen Namen vergessen.«

»Hagar.«

»Richtig, Hagar.«

»Kommen wir in den Palast?«

»Oh nein, in den Palast nicht. Ich weiß es nicht genau, aber es wird erzählt, der König wolle uns den Hebräern schenken.«

»Wem?«

»Hebräer. So nennt man diese Leute. Sie kommen aus dem Gebiet – da drüben irgendwo.« Sie zeigte in die Richtung, in der die Sonne aufgeht, etwas weiter nach links. »Es sind Nomaden. Leute, die nicht in festen Häusern wohnen, sondern in Zelten, die sie immer mitnehmen, wenn sie mit ihrem Vieh neues Weideland suchen.«

»Suchen sie jetzt hier Weideland?«

Die Frau lachte. »Nein, Kind, hier nicht. Man würde sie vertreiben. Hier braucht jeder sein Gras selbst. Sie sind auch fast ohne Vieh gekommen.«

»Aber warum sind sie dann überhaupt gekommen?«

»Weil es in ihrem Land eine Dürre gibt. Es wächst fast nichts, ihr Vieh hat nichts zu fressen, sie selbst haben darum auch nichts und müssen hungern. Aber jeder weiß, dass man hier in Ägypten nicht so auf Regen angewiesen ist. Hier wächst immer etwas, weil wir den Nil haben. Darum sind sie gekommen.«

»Ach so. Aber warum will uns der König ihnen schenken? Uns können sie ja nicht essen.«

»Nein«, lächelte die Frau, »wir werden Mägde und Knechte von diesem Mann.«

»Aber warum?«

Die Frau setzte sich auf den staubigen Boden und lehnte den Rücken an die Lehmziegelwand. Dann winkte sie Hagar. »Setz dich neben mich! Ich erzähle dir, was man so munkelt.« Sie dämpfte ihre Stimme, als handele es sich um ein tiefes Geheimnis. Hagar musste sich zu ihr hinüberbeugen, um alles zu verstehen.

»Dieser Abram hat eine Frau von großer Schönheit, obwohl sie wahrhaftig nicht mehr die Jüngste ist. Die Späher des Königs hatten sie schnell entdeckt und in den Palast gebracht.«

»So wie mich und meine Mutter auch fast …«

»Der Anführer dieser Truppe, dieser Abram, hat gesagt, sie sei seine Schwester. Deshalb hatten sie auch keine Skrupel. Das war auch nicht ganz gelogen, sie ist seine Halbschwester. Aber vor allem ist sie seine Frau. Man sagt, dass den König allerlei Unglück traf, seit diese Frau an seinem Hof war. Irgendwie kam dann raus, dass sie mit Abram verheiratet ist. Der König ist an dem Punkt sehr empfindlich. Wenn er sich nun den Zorn des hebräischen Gottes zuzieht! Also hat er Sarai wieder unversehrt an Abram zurückgegeben, und zur Versöhnung schenkt er ihm noch Vieh und – na ja, uns eben. Als Knechte und Mägde. Und mit genug Verpflegung ausgerüstet, geht nun die Reise zurück. Und wir sind dabei.«

»Werde ich dann meine Familien nicht mehr wiedersehen?«

»Natürlich nicht, Hagar! Gewöhne dich an den Gedanken, dass du jetzt eine Hebräerin bist. Du bist noch jung, wirst bald in die neue Lebensweise hineinfinden und ihre Sprache lernen. Ich werde dafür länger brauchen. Sei nicht traurig! Ob du da schuftest oder hier, kommt doch ziemlich auf das Gleiche raus.«

»Aber … aber meine Mutter und …«

»Es hätte sowieso nicht mehr lange gedauert, dann hätten sie dich aus deiner Familie gerissen. Vielleicht geht es uns ja bei diesen Schafhirten ganz gut. Wenn sie nur nicht so stinken würden! Na ja, daran werden wir uns gewöhnen. Sieh da rüber! Das scheinen sie zu sein.«

Ein vornehm gekleideter Herr – anscheinend ein Beamter des Königs – führte den alten Mann herein, den Hagar schon einmal von weitem gesehen hatte. Seine Frau ging an seiner Seite. Der Vierte in der Gruppe schien ein Übersetzer zu sein, denn wenn der Beamte mit ihm geredet hatte, sprach er anschließend mit dem Alten.

Nun erhob der Königsbeamte seine Stimme: »Herkommen! Alle!«

Wer gesessen hatte, stand auf, und alle drängten sich um ihn, auch Hagar.

»Dieser geschätzte Gast aus dem Land Kanaan genießt die besondere Freundschaft unseres weisen Königs – lang sei sein Leben! Darum hat er in seiner Großmut beschlossen, ihm ein Geschenk zu machen, das eines Königs würdig ist: Vieh und Sklaven. Das seid ihr. Dieser würdige Mann, Abram ist sein Name, ist also von nun an euer Herr. Und seine Frau Sarai ist eure Herrin. Erweist ihnen Ehre!«

Die Männer und Frauen fielen auf die Knie und beugten den Kopf, bis die Stirn die Erde berührte.

Der Alte sagte etwas mit freundlicher Stimme. Der Übersetzer erklärte: »Ihr sollt aufstehen!«

Alle erhoben sich. Hagar sah sich um. Einige konnten den Zorn in ihren Gesichtern nicht ganz verbergen, andere zeigten sich unterwürfig, wieder andere blickten nur voller Neugier.

Während der Alte mit dem Übersetzer sprach, ging seine Frau an der Reihe der Sklavinnen entlang und betrachtete jede Einzelne. Vor Hagar blieb sie stehen.

Hagar staunte. Die Frau schien etwa so alt wie ihre Großmutter zu sein, aber sie sah aus wie ihre Mutter. Ihr ebenmäßiges Gesicht strahlte eine Hoheit aus, wie man sie eher bei Königinnen erwartet als bei Frauen von Schafhirten. Ihre ruhig und ein wenig stolz blickenden Augen waren genauso schwarz wie ihr Haar, in dem sich noch keine graue Strähne zeigte, und das ihr lang und voll über die Schultern fiel. Ihre gerade Körperhaltung ließ darauf schließen, dass sie nicht wie Hagars Mutter viel bückend gearbeitet hatte. Sie trug ein einfaches, nur mit wenig Stickerei verziertes Kleid, das aber offenbar neu war und in seiner Schlichtheit die Schönheit und Würde der Trägerin noch unterstrich.

Nun winkte Sarai den Übersetzer herbei und sagte etwas zu ihm. Der sprach zu Hagar: »Deine Herrin will wissen, wie du heißt.«

»Hagar, Herr.«

»Du musst nicht mich ansprechen! Sie ist deine Herrin. Wie alt bist du?«

»Ich habe vierzehn Sommer gesehen.«

Nach einem Wortwechsel mit der Hebräerin sagte der Mann: »Deine Herrin hat dich aus all diesen Frauen ausgewählt, ihr persönlich als Magd zu dienen. Das ist eine besondere Ehre! Sei allezeit freundlich, höflich, fleißig und zuverlässig bei allem, was du zu tun bekommst!«

Hagar starrte die beiden abwechselnd an und wusste nicht, wie sie auf diese Worte reagieren sollte. Der Übersetzer fauchte sie an: »Verbeuge dich!« Erschrocken neigte Hagar ihren Oberkörper. Als sie hörte, dass die beiden miteinander redeten, dachte sie, dass sie nun sicher wieder gerade stehen dürfe, und richtete sich auf.

»Deine Herrin wird eine ihrer bisherigen Mägde beauftragen, dir die hebräische Sprache beizubringen, und dazu alles, was du für die Arbeit in ihrem Zelt wissen musst.«

Hagar nickte. Dann fiel ihr ein, dass es vielleicht angebracht war, sich noch einmal zu verbeugen, und tat es. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihre neue Herrin schon weitergegangen.

Aber dann kam sie noch einmal zurück, redete mit dem Übersetzer und zeigte auf Hagars Füße. »Du sollst dich waschen!«, sagte der Mann. »Da klebt noch Lehm zwischen deinen Zehen. Und auch sonst sollst du dich waschen. Wer schwitzt, zieht die Fliegen an.« Schnell folgte er der Frau mit Namen Sarai, die schon weitergegangen war.

***

»Träumst du, Mutter?«

Hagar schreckte auf. Ja, sie war in Gedanken in ihrer Kindheit gewesen. Vielleicht hatten die Fliegen sie daraufgebracht. Sie schabte gerade mit einem Bronzemesser das Fett von der Innenseite eines Schaffells. Das zog immer die Fliegen an, die sich davon reichlich Nahrung versprachen. Sie umkreisten sie in schwarzen Schwärmen, so wie damals, als sie schwitzend den Lehm stampfen musste. Eine Plage sind diese Fliegen, dachte sie. Gierig stürzen sie sich auf das, was von früherem Leben übrig geblieben ist. Sie leben vom Tod einer anderen Kreatur. Aber tun wir das nicht alle?

»Mutter! Wo bist du mit deinen Gedanken?«

Ach ja, der sie da ansprach, war nicht ihr Vater, der sie zum fleißigen Stampfen antreiben wollte, sondern ihr Sohn. Inzwischen war der fast so alt, wie ihr Vater damals gewesen war, sogar die Stimme klang so ähnlich. Nur freundlicher. Und sie selbst, Hagar, war fast so alt, wie ihre Großmutter damals gewesen war.

»Ja, Ismael, ich war mit meinen Gedanken in Ägypten. In meiner Kindheit.«

»Sehnst du dich zurück?«

»Nein, mein Sohn. Nein, ich sehne mich nicht zurück. Es war nicht schön damals.«

»Man sagt aber, alle Erwachsenen fänden im Rückblick, ihre Kindheit sei eine schöne Zeit gewesen.«

Hagar nickte. »Das mag für die meisten zutreffen. Aber nicht für mich.«

»Für mich trifft es zu«, meinte träumerisch der junge Mann. »Ich erinnere mich gern an die Zeit, als mein Vater mich als Kind auf den Schultern getragen hat, oft weite Strecken, wenn er zu den Weideplätzen ging. Oder wie er mir abends Geschichten erzählt hat, von seiner Heimat im Land der zwei Ströme oder in Haran am oberen Euphrat. Auch, wie er von Gott sprach. Oder wie er mir erklärte, wie ich den Bogen handhaben sollte, den er mir gemacht hatte.«

Hagar schabte eine Weile schweigend weiter und achtete nicht auf die Fliegen, die sich auf ihrem Gesicht niederließen. Schließlich sagte sie: »Es ist gut, Ismael, behalte das nur in guter Erinnerung. Die schöne Zeit war ja dann bald zu Ende.«

»Stimmt. Als ich … wie alt war ich, als Isaak geboren wurde?«

»Vierzehn Jahre. Ungefähr so alt, wie ich war, als ich als Sklavin Abram und Sarai geschenkt wurde, die heute Abraham und Sara heißen, und mit ihnen aus Ägypten fortzog.«

Ismael setzte sich neben sie und scheuchte die Fliegen von ihr fort. »Ich weiß, dass es eine schwere Zeit für dich war, Mutter. Dass Sarai eifersüchtig war. Und als Isaak geboren war, wurde es noch schlimmer. Bis sie uns dann aus dem Zelt gejagt haben. Aber ich habe es als Kind nicht so schrecklich empfunden, wie du es wohl empfinden musstest.«

»Das ist gut so, mein Sohn. Du sollst nicht mit Groll an deinen Vater denken. Aber du verstehst sicher auch, dass ich enttäuscht bin. Ich war gut genug für ihn, ihm einen Sohn und Erben zur Welt zu bringen. Aber als seine erste Frau doch noch einen Sohn bekam, galt ich nichts mehr.«

»Es ist nicht seine Schuld, Mutter, dass er uns vertrieben hat. Es geschah auf Saras Betreiben.«

»Na und? Hätte er sich nicht dagegen behaupten können? Ist er nicht der Patriarch, das Oberhaupt der Sippe?«

Ismael stand auf. Er wollte das Gespräch nicht fortsetzen. Es schmerzte ihn, wenn von seinem Vater so gesprochen wurde. Er nahm seinen Bogen, legte einen Pfeil auf und schoss auf die Terebinthe, die schon vorher das Ziel seiner Schießübungen gewesen war.

Hagar spürte, was in ihm vorging. Er hatte recht, sie sollte nichts Böses über Abraham sagen, nicht ihm gegenüber. Um das Thema zu wechseln, rief sie ihm zu: »Lass es gut sein, Ismael! Jetzt hast du zwölfmal auf den Baum gezielt und zwölfmal getroffen. Was willst du noch verbessern?«

Ismael lachte, und das freute Hagar, denn es zeigte ihr, dass die Missstimmung schnell vergangen war. »Ich will fünfzigmal darauf zielen und fünfzigmal treffen.«

Als er die letzten Pfeile verschossen hatte – sie steckten alle im Stamm der Terebinthe –, rannte Ismael hin und holte sie. Dann kam er wieder zu ihr zurück in den Schatten der kleinen Hütte. Die bestand aus Ästen, die mit Fellen überzogen waren.

Er drückte den Bogen mit dem Knie durch und hängte die Sehne aus, um ihn zu entspannen. Hagar beobachtete ihn dabei und bewunderte mit mütterlichem Stolz das Spiel der Rückenmuskeln unter der sonnengebräunten Haut. »Du wirst mal ein großer Jäger«, murmelte sie. »Ach nein, du bist ja schon einer.«

Ismael legte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute in den blauen Himmel hinauf.

Eine Weile sprach niemand, nur das schabende Geräusch von hagars Werkzeug war zu hören und das Summen der Fliegen.

»Ich verstehe nicht«, unterbrach Ismael schließlich die Stille, »dass du nach Ägypten zurück willst, wenn du so schlechte Erinnerungen daran hast.«

»Nicht meinetwegen will ich dort hin, sondern deinetwegen.« »Meinetwegen? Aber ich will gar nicht nach Ägypten!«

»Du sollst dir dort eine Frau nehmen.«

»Es gibt hier bei den Wüstenstämmen auch geeignete Frauen.«

»Kennst du eine?«

»Nein. Nein, aber ich werde sicher eine finden.«

Hagar antwortete nicht. Sie spannte das Schaffell, das sie behandelt hatte, zwischen die Pflöcke, die dafür in passendem Abstand in den Boden getrieben waren. Ismael half ihr, die Schnüre zu spannen, ohne dabei aufzustehen, er wälzte sich nur etwas hinüber.

Schließlich sagte seine Mutter: »Ägypten ist ein besseres Land als diese trockene, menschenleere Gegend, Ismael. Da gibt es viele Häuser und Tempel, sogar die gewaltigen Pyramiden, die Grabstätten der alten Könige. Es gibt Händler, die von weit her ihre Waren bringen und ihre Berichte von allem, was in der Welt vorgeht. Es gibt Schiffe, die der Wind treibt, und Streitwagen, die von schnellen Pferden gezogen werden. Es gibt Gelehrte, die erzählen können, was früher war, und die die Kunst beherrschen, das alles in Zeichen festzuhalten, die wieder andere lesen und in Worte zurückverwandeln können. Es gibt Meister des Bauens, Meister des Malens von schönen Bildern, Meister der Musik, Meister der Steinmetz- und der Goldschmiedekunst. Es gibt Heilkundige und Sterndeuter und Strategen und … ach, es gibt alles, was du dir vorstellen kannst. Und was gibt es hier? Sand und ein paar Sträucher, Bäche, die drei Viertel des Jahres keinen Tropfen Wasser führen, Springmäuse und Schlangen und ab und zu einen Wüstenfuchs oder einen Springbock. Und Fliegen.«

»Na und?«, erwiderte ihr Sohn und setzte sich auf. »Mir reicht es. Ich bin ein Jäger, wie du selbst gesagt hast. Was soll ich in Ägypten jagen? Heilkundige und Goldschmiede und Baumeister? Oder die Rinder, die immer jemandem gehören, der mich dann ins Gefängnis werfen lässt, wenn ich auf sie schieße? Ich bin ein Sohn dieses Landes, Mutter, ein Sohn der Wüste und der Steppe. Mein Vater musste immer da hinziehen, wo noch kein anderer Besitzansprüche geltend machte. Wenn ich in einem Haus leben müsste und links und rechts daneben wohnten hundert andere Leute, wenn ich zum Horizont sehen wollte und könnte ihn nicht finden, weil lauter Häuser davorstehen, wenn ich in die Weite gehen wollte und müsste dabei immer auf festgelegten Linien bleiben, den Straßen, weil ich niemandes Acker zertrampeln darf – dann würde ich verzweifeln.«

Er ist kein Kind mehr, dachte Hagar. Ich kann ihn nicht zu etwas drängen, das er nicht will. »Lass uns ein anderes Mal darüber reden«, sagte sie und hoffte, dass bei anderer Gelegenheit die Stimmung besser sein würde.

»Außerdem«– Ismael wollte sich nicht so leicht von seinen Gedanken abbringen lassen –, »außerdem sagst du doch, Gott habe dir versprochen, meine Nachkommen sollten ein großes Volk werden. Wo soll das Volk denn wohnen? In Ägypten ist kein Platz mehr.«

Als Hagar nichts sagte, bohrte Ismael nach einer Weile nach: »Weißt du keine Antwort?«

»Nein, mein Sohn, ich weiß nicht, wo dieses Volk leben wird.«

»Vielleicht stimmt es gar nicht, dass ich der Vater von zwölf Fürsten werde, die auch wieder viele Kinder haben. Wer kann schon wissen, was in der Zukunft liegt.«

»Gott weiß es.«

Hagar ging in die Hütte und legte ein paar trockene Äste auf das Feuer. Dann schürte sie es und hängte einen Bronzetopf mit Wasser an das dreibeinige Gestell darüber.

Ismael folgte ihr und sagte: »Weißt du, was ich nicht verstehe, Mutter?«

»Sag es mir!«

»Dass du so fest mit dem Gott Abrahams rechnest.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Wie meinst du das?«

»Du hast in deiner Kindheit andere Götter gehabt. Vom Gott meines Vaters hattest du keine Ahnung. Auch bei den Völkern um uns her werden ganz andere Götter angebetet. Warum vertraust du darauf, dass der Gott Abrahams der einzige wahre Gott ist?«

Hagar holte Luft, um zu antworten, aber Ismael sprach schnell weiter: »Ich kann mir denken, was du sagen willst. Du hast es eben in Abrahams Zelt so gelernt. Die meisten glauben ja so, wie man es sie gelehrt hat. Aber man lernt weniger durch Worte als durch Vorbilder. Sara, mit der du meistens zu tun hattest, aber auch Abraham waren dir kein gutes Vorbild. Sie haben dich enttäuscht, dich vor den Kopf gestoßen, dich vertrieben. Wie kommt es, dass du trotzdem an dem festhältst, was du bei ihnen gelernt hast? Wenn du all das Böse, das du in ihrem Zelt erlebt hast, am liebsten aus deinem Gedächtnis verbannen möchtest – warum verwirfst du nicht auch ihren Glauben?«

»Aber Ismael!« Sie sah ihren Sohn mit ihren großen dunklen Augen an, als wunderte sie sich, dass er diese Frage stellte. »Ich glaube doch an den einzigen, unsichtbaren Gott nicht darum, weil mir Abraham und Sara das so beigebracht haben!«

»Sondern?«

»Weil er selbst mir begegnet ist! Du kennst doch die Geschichte, wie ich fliehen wollte, und Gott mich sah und zu mir sprach, ich solle zurückgehen. Ich habe dir oft davon erzählt. Und wie wir nachher, als Abraham uns fortschickte, fast verdurstet wären und wie Gott uns half, das hast du selbst erlebt.«

Ismael schob eins der Hölzer mit dem Fuß weiter ins Feuer. Es war eine Geste der Verlegenheit. »Ja, das stimmt.«

»Und darum bin ich auch absolut sicher, dass er sein Versprechen erfüllt, aus dir ein großes Volk zu machen. Und …«, lächelte sie, »wenn du der Vater eines großen Volkes wirst, werde ich seine Großmutter.«

Jetzt lächelte Ismael auch. »Ein steiler Aufstieg vom Sklavenmädchen zur Großmutter eines Volkes.«

»Ja, und das habe nicht ich erreicht, das hat Gott gemacht. Er hat nicht nur mit mir geredet, sondern auch gehandelt. Durch viel Not, durch Lehm und Fliegen und Verachtung und Beleidigungen zu einem guten Ziel. Sollte ich diesem Gott absagen? Nein, Ismael, das kann ich nicht. Das will ich auch nicht. Dem Lebendigen, der mich sieht und über mir wacht, will ich treu bleiben.«

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺256,52

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
201 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9783865066374
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre