Kitabı oku: «Gesammelte Schulhumoresken», sayfa 14
Am Värzehnten däses Monats machte äch mäch schon gegen neun Ohr auf … Nächt ohne eine gewässe Ängstlächkeit betrat äch dä Straße: ein fönfmaläges Mäßlängen äst wenäg geeignet, onser Vertrauen zo stärken.
Äch schrätt dorch dä Straße Vivienne nach dem Börsenplatze ond bog dann än dä Richelieustraße ein, wo äch mäch sehr vorsächtäg weiter bewegte. Schon hatte äch etwa dä Hälfte der Straße zoröckgelegt, als äch plötzläch einen Menschen bemerkte, der mät einer langen, speerartägen Stange drohende Gesten ausföhrte ond dabei so onzweideutäg seine Bläcke auf mäch heftete, daß äch kein Ödäpos zo sein brauchte, om zo erraten, wem däse Feindselägkeit gelten sollte.
Hatte der Mensch wärkläch Absächten auf mein Eigentom ond mein Leben? Offenbar gehörte er dem Arbeiterstande an, – ond was man von den Paräser Arbeitern zo halten hat, das weiß heutzotage ein jeder. Das Schäcksal der onglöcklächen Könägin Maräe Antoinette stand mät einem Male än forchtbarer Klarheit vor meiner Sääle …
Ond doch, wä war es denkbar, daß ein Mensch am hellen Tage auf dä geachtete Persönlächkeit eines deutschen Gymnasialdärektors frevelhafterweise ein Attentat wagen dorfte? Wämmelte es nächt rängs von Menschen? Freiläch bemerkte äch, daß jedermann dem Borschen mit der speerartägen Stange ängstläch auswäch. Er moßte also gefährläch sein … Ändessen, was konnte er mer anhaben? Auf offener Straße, fast onter den Augen zweier Poläzästen ond einer bewaffneten Schäldwache? Än dä Mätte der Straße auszobägen, schän mer gefährläch, der zahlreichen Fohrwerke halber: also köhn drauf los! Mot, Samoel! räf äch mer zo. Sollte der Mensch da än der Tat einen Frevel beabsächtägen, so werden dä Männer des Gesetzes alsbald dä Pläne eines wahnwätzägen Barräkadenmannes zo vereiteln wässen. Äch schrätt mannhaft vorwärts. Der Mensch mät dem Speer schwenkte ond gestäkolärte ämmer verdächtäger. Dabei stäß er seltsame Töne aus, dä wä ein fremdländäsches Krägsgebröll klangen. Sollte äch omkehren?
Äch räf mer eben ein neues Mot, Samoel! zo, als plötzläch von oben eine Flössägkeit öber mäch herklatschte, dä meinen Frack alsbald mät einer weißen, kalkartägen Kroste öberzog. Allmähläch gäng mär ein Lächt auf, ond auch Doktor Mouchard hat es mer nachträgläch bestätägt. Das Haus, vor dem der Mann mät der Stange auf- ond abläf, worde jost fräsch getöncht. Äch hatte den ehrsamen Arbeiter schmähläch verkannt!
George, der Hausknecht, äst seit ehevorgestern mät der Reinägong meines Frackes beschäftägt, hat jedoch bäs zor Stonde nor onbefrädägende Resoltate erzält. Dä Beinkleider hatten nor wenäg gelätten, was leicht zo erklären äst, da der verhängnäsvolle Goß von oben auf mäch hereinbrauste.
Äm ganzen darf äch mer Glöck wönschen, daß äch auf däse Weise eine lehrreiche Erfahrong gemacht habe. Äch weiß jetzt, was es bedeutet, än Paräs auf dem Trottoir zo wandeln. Wenn non anstatt däser flössägen Masse ein Balken, ein Stein oder sonst etwas Wochtäges herabgestörzt wäre, wä däs bei dem fortwährenden Ausbessern ond Ombauen, das här zo herrschen scheint, dorchaus äm Bereiche der Möglächkeit lägt? Ond Luitgarde, Alexander, Winfriede, Ismene ond Vitriaria? Entsetzläch! Nein, es war nor ein Wänk der götägen Götter, ond äch söndäge gröbläch, wenn äch öber däsen kleinen Zwäschenfall morre. George, der Hausknecht, äst ja geschäckt; auch hat er än der letzten Zeit väl Öbong bekommen.
Meinen Besoch beim Großherzogläch badäschen Gesandten habe äch nonmehr auf Donnerstag den neunzehnten Mai festgesetzt. Äch freue mäch onendläch, eine Bekanntschaft zo machen, von der mer Mouchard so väl Gootes geweissagt hat.
Mouchard hat säch däsmal edler benommen als das letzte Mal. Äch schätze än ähm einen töchtägen Vertreter der Wässenschaft ond einen läbreichen Freund …
Am zwanzägsten Mai. Non bän äch's denn doch möde, mäch äwäg mät däsen Paräsern heromzoschlagen. Daß mär so etwas passären moßte! Es äst wahr, mein schwarzer Frack säht nächt mehr zom elegantesten aus, ond mein Zäländer äst seit lange des ersten Glanzes beraubt: wä es aber mögläch war, mäch ongeachtet däser kleinen Änkorrektheiten meiner Toilette för den belgäschen Klavärlehrer Haentjens zo halten, der wegen verschädener Betrögereien steckbräfläch verfolgt wärd, das äst ond bleibt mer ein Rätsel! Non, äch habe den Ärrtom der Paräser Poläzästen teuer bezahlen mössen. Volle zwölf Stonden verbrachte äch auf der Wache, bäs äch ämstande war, meine Ädentätät zo erhärten. Doktor Mouchard hat mär än däser Bezähong sehr anerkennenswerte Dänste geleistet. Onerhört! sage äch. Einen deutschen Gymnasialdärektor mät einem belgäschen Klavärlehrer zo verwechseln, ond noch dazo mät einem Betröger! Äch rofe dä Götter zo Zeugen an, ob äch jemals dem Eigentom meiner Mätmenschen auch nor än Gedanken zo nahe getreten bän! Man sollte denken, däse honestas mößte säch auch än meinen Gesächtszögen hänlängläch ausprägen. Onerhört! sage äch. Bäs elf Ohr abends hab' äch auf der sogenannten Violine verbracht, teilweise onter schweren Verbrechern, äch, Samoel Heinzerläng, Därektor des städtäschen Gymnasioms zo Grönängen. Wer mer das vor acht Tagen geweissagt hätte! Aber äch werde Genogtoong fordern, – koste es, was es wolle! Das sänd dä Fröchte jener räsägen Konglomerate, dä man Weltstädte nennt! Än Grönängen wäre dergleichen onmögläch gewesen. Notabene, könftäghän werde äch stets meinen Paß bei mer tragen.
Den Besoch bei dem Großherzogläch badäschen Gesandten habe äch natörläch auf öbermorgen vertagt …
Am einondzwanzägsten Mai. Endläch bän äch ans Ziel gelangt, wenägstens topographäsch geredet. Äch erreichte wohlbehalten das Hotel än der rue de Berlin ond zog, äm Geföhl eines onendlächen Wohlbehagens, dä gesandtschaftläche Klängel. Leider moßte äch von dem Däner dä Meldong entgegennehmen, der Baron von Prättwätz sei am Tage zovor auf sechs Wochen nach Baden-Baden verreist.
Äch war nächt wenäg verstämmt. So väle Aufregongen, so väle Verloste an Zeit ond Geld, so väle Verdräßlächkeiten, – ond non alles omsonst! Äch legte mer das Gelöbde ab, nä wäder än einer fremden Großstadt Besoche zo machen. Dergleichen föhrt zo nächts Gootem. Äch bän einmal das Opfer der Zentraläsation geworden ond habe keine Lost, däse onglöckseläge Rolle weiter zo spälen. Der wässenschaftläche Ernst eines deutschen Gelehrten äst onvereinbar mät dem frävolen ond oberflächlächen Treiben solcher modernen Riesenstädte. Sänd wär dorch dä Omstände verorteilt, ons zeitweiläg ännerhalb däser gefährlächen Weichbilde aufzohalten, so gezämt ons dä onbedängte Reserve!‹«
Samuel Heinzerling faltete seine Zettel zusammen.
»So,« sagte er, indem er das Päckchen in die Brusttasche schob, »Sä werden aus dem Mätgeteilten zor Genöge ersehen haben, was äch beweisen wollte: daß dä Zerteilong än väle abgesonderte Staaten ein Segen för dä deutsche Nation äst. Äch wönsche non, daß Sä mer för das nächste Mal däse Frage än einem korzen Aufsatze theoretäsch ond praktäsch erörtern. – Der Hotzler kann jetzt wäder hereinkommen.«
In diesem Augenblicke erscholl die Klingel. Würdevollen Schrittes und im Bewußtsein, die Keime einer segensreichen Weltanschauung gelegt zu haben, verließ der Verfasser der Lateinischen Grammatik für den Schulgebrauch, mit besonderer Berücksichtigung der oberen Klassen, das Lehrzimmer.
»Ich habe mir alles stenographiert«, rief Heppenheimer, die Mappe schwenkend.
»Et ego«, versetzte ich freudestrahlend. »Morgen muß uns der Rumpf die Geschichte vorlesen.«
Die schändlichen Stenographen! Ohne die teuflische Kunst Gabelsbergers wäre dem wackeren Schulmann der Schmerz erspart worden, den infandus dolor seiner Pariser Leiden in diesen Blättern so buchstäblich renoviert zu sehen. Er hatte kein Glück mit seinen Besuchen, der treffliche Heinzerling, weder mit dem Besuch im Karzer, noch mit dem Besuch beim Großherzoglich badischen Gesandten in der rue de Berlin.
Aus Samuel Heinzerlings nachgelassenen Papieren
Der schnöde Primaner-Triumph
Aech werd' ähn Där nämmer vergessen,
Den schnöden Prämaner-Träomph,
Daß äch auf dem Karzer gesessen,
Do extravagärender Rompf!
Äch bätt' euch, bei allen Prophäten,
Wer nähme dä Sache nächt kromm?
Äch wollt' äns Gewässen ähm räden, –
Da dräht er den Schlössel mer om!
Äch schälle … Was notzt mär das Schällen?
Bornärt äst der Quaddler ond stompf.
Der dömmste von allen Pedellen
Meint faktäsch, äch wäre der Rompf!
Doch bläb äch gelassen ond monter,
Bäs Rompf als Befreier erschän:
So kam äch denn wäder heronter
Und habe dem Schlängel verzähn!
Ond mag es ons Lehrer betröben,
Äch wag' das geflögelte Wort:
Als Schöler säch mimisch zo öben,
Äst doch nächt so völläg absord!
Aus Samuel Heinzerlings nachgelassenen Papieren
In der Bierstube
Beim Bär – beim Bär,
War nä mein Bosen schwär!
Vergässen äst des Dolders Not,
Der schnöden Präma Öbermot …
Der Gäldemeister stärt mäch nächt,
Der Hotzler schäkanärt mäch nächt:
Manch Seidel schlörf' äch leer.
Beim Bär – beim Bär
War nä mein Bosen schwär!
Äm Grond – äm Grond
Äst's Bär mer nächt gesond!
Zom Schlagfloß hab' äch stäts geneigt,
Ond bayräsch Bär erhätzt so leicht.
Es geht äns Blot, es nämmt dä Roh, –
Der väle Ärger kömmt dazo,
Dä Präma treibt's zo bont!
Äm Grond – äm Grond
Äst's Bär mer nächt gesond!
Was toot's? Was toot's?
Das Bär äst doch was Goot's!
Ond ob's das Läben mer verkörzt, –
Mäch dönkt, wer störzen soll, der störzt!
Zom Hömmel häb' äch köhn den Bläck:
Där, Zeus, vertrau' äch mein Geschäck,
Än Deinen Händen roht's!
Was toot's? Was toot's?
Das Bär äst doch was Goot's!
Das Bär – das Bär,
Das bleibt non mein Pläsär!
Der Zechtäsch äst mein Heilägtom,
Dä Kneipe Mekka mer ond Rom;
Ond wenn dä Hand das Glas omspannt,
Föhlt säch dä Sääle gottverwandt:
Fromm wärd sä mehr ond mehr …
Das Bär – das Bär,
Das äst non mein Pläsär!
Wä domm – wä domm,
Das Zämmer fällt ja om!
Dä Wände taumeln kromm ond schäf,
Jetzt sänd sä hoch, jetzt sänd sä täf …
Ond jetzt … aha, äch märk' es wohl,
Jetzt röcken Geister mer am Stohl …
Herr Wärt, äch dolde stomm!
Wä domm – wä domm,
Das Zämmer fällt ja om!
Das Bär – das Bär
War ongewöhnläch schwär!
Sont certi … nein … Wä sagt Horaz?
Wä? Was? Der Gäldemeister tat's?
Ja, Luitgard! … ja, äch hab' genog …
Der Knebel … schreibt's äns Tagebooch …
Ja, ja … schon beim Homär …
Das Bär – das Bär
War ongewöhnläch schwär!
(Ab unter den Tisch.)
Die Klassenprüfung
Wenn das Maturitätsexamen dem Gymnasiasten ernst und bedeutsam erscheint, so raubt ihm die Klassenprüfung den Gleichmut nur in Ausnahmefällen. Es gibt allerdings eine Sorte von ganz besonders ehrgeizigen oder ganz besonders unwissenden Schülern, die auch der Klassenprüfung mit einer gewissen Bänglichkeit entgegenwandeln: aber sie bilden die Minorität. Für mich und meine nächsten Freunde war dieses ein- oder zweimal im Jahre wiederkehrende Examen allezeit ein Gaudium, und je zahlreicher sich das Publikum versammelte, um so vergnüglicher pflegten wir dreinzuschauen.
Das Klassenexamen ist die Farce des Gymnasiallebens. In corona civium liebt es kein Lehrer, seine Schüler als unwissend bloßzustellen. Denn der Vorwurf dieser Unwissenheit träfe in erster Linie ihn selbst. Daher wir denn regelmäßig über solche Materien examiniert wurden, die während der letzten Wochen bis zum Überdruß zerkaut und verdaut waren.
Wir erschienen beim Beginn des Examens sehr pünktlich, – in unsern besten Kleidern, – und getragen von jener Feiertagsstimmung, die aus dem Bewußtsein der bevorstehenden Ferien erwächst. So nahmen wir auf den Subsellien im großen Saale Platz, an dessen Eingang der Pedell Quaddler in schwarzem Frack und weißer Halsbinde Posto gefaßt hatte. Nach und nach erschienen die Lehrer, stets in schmunzelndem Zwiegespräch, sich wiederholt Herr Kollege nennend und eine ähnliche Befriedigung zur Schau tragend wie die Schüler. Zuletzt nahte würdevollen Schrittes der Direktor Samuel Heinzerling, ganz Wohlwollen, ganz Frühling und Sonnenschein. Ehrfurchtsvoll traten die übrigen Pädagogen nach rechts und links auseinander, um ihren Herrn und Meister hindurchzulassen. Mit vollendeter Humanität teilte Samuel seine kollegialischen Grüße aus: die Schüler aber mußten sich bei seinem Erscheinen von ihren Sitzen erheben, eine Höflichkeitsbezeigung, für die Samuel stets durch heftiges Abwinken dankte.
Der Religionslehrer bestieg nunmehr den Katheder, faltete die Hände und sprach:
»Lasset uns beten!«
Abermals stand die Klasse auf wie ein Mann, und Samuel Heinzerling blickte wohlgefällig auf diese Kolonnen, die ihn und den Herrn der Heerscharen durch eine so ehrfurchtsvolle Behandlung auszeichneten.
Der Religionslehrer sprach sein Gebet und bat den Allmächtigen, er möge unsern Eingang und unsern Ausgang segnen. Hierauf begann das Examen.
Eine halbe Stunde verstrich, ohne daß uns das Publikum irgend einen Vertreter gesandt hätte. Da endlich knarrte die Tür. Aller Augen wandten sich nach der Schwelle: es erschien der Superintendent Samson, der sich in ganz ungewöhnlichem Maße für die geistige Entwicklung der Jugend interessierte. Verbindlich lächelnd drückte er einem Lehrer nach dem andern die Hand, – aber ganz sachte und insgeheim, um ja nicht zu stören. Dann folgte er mit reger Aufmerksamkeit den Peripetien der Prüfung, öfters mit dem Kopfe nickend und stets so schlau dreinschauend, als ob er wirklich imstande sei, die gestellten Fragen korrekt zu beantworten.
Nach dem Superintendenten erschien der erste Stadtprediger, und dann füllten sich die Hallen so allgemach, bis um elf Uhr der Höhepunkt eintrat.
Ein beträchtliches Kontingent zu diesen Vormittagsbesuchern lieferten die Gymnasiasten selbst, und zwar wohnten die Schüler der unteren Klassen mit Vorliebe den Prüfungen der oberen bei, so daß die Sextaner niemals so zahlreich vertreten waren, als wenn die Prima examiniert wurde.
Des Nachmittags bot der Saal einen weit pittoreskeren Anblick, denn jetzt erschienen auch die Mütter und Schwestern der Examinanden. Der Anblick farbenprächtiger Roben und wallender Hutbänder war in diesen Räumen etwas so Ungewohntes, daß wir bei dem Erscheinen der ersten Dame jedesmal in einen Zustand herzklopfender Aufregung gerieten, zumal wenn die Dame jung und hübsch war. Das Rauschen ihres Gewandes tönte uns lieblicher als Musik, und die kleinen, zierlichen Halbstiefelchen klappten so ganz anders auf den Dielen des Saales als die kolossalen Gehwerkzeuge Doktor Hellwigs.
Samuel Heinzerling war bei diesen Anlässen von einer musterhaften Galanterie. Jeder Zoll seines Wesens atmete Wohlwollen und Ritterlichkeit, wenn er die gnädige Frau oder das verehrte Fräulein nach dem Stuhle geleitete. Nur die Backfische im Alter von 13 bis 15 Jahren behandelte er etwas kühler, denn er wußte, daß gerade diese Sorte seinen Schülern am gefährlichsten war.
Gegen vier Uhr nachmittags hatte sich der Damenflor, der unsere Prüfung schmückte, am reichsten entfaltet. Gar mancher von uns erblickte da auf bescheidenem Rohrstuhle den »Stern seines Lebens«, die »Rose, vom Himmelstau gebadet«, den »Engel, zu gut für diese lieblos rauhe Welt«. Besonders zart organisierte Schüler kamen aus dem Erröten gar nicht heraus; die Mädchen aber steckten die Köpfe zusammen, – und was sie insgeheim miteinander schwatzten, betraf gewiß nicht die Sprachgebräuche des Xenophon.
Während der Nachmittagsprüfung waren wir selbstverständlich weit weniger aufmerksam als des Vormittags. Die Lehrer wußten sehr wohl, daß sie diese rückgängige Bewegung unseres Interesses dem Einflusse des Ewig-Weiblichen zuschreiben mußten. Daher sie denn jetzt vorzugsweise solche Schüler examinierten, die ihnen als erotisch unempfänglich bekannt waren. Es ist wunderbar, wie fein der Instinkt der Lehrer hier das Richtige trifft. In jeder Klasse sind immer drei, vier, fünf exemplarische Jünglinge vorhanden, die ein so stark entwickeltes Pflichtgefühl oder ein so schwach entwickeltes Herz besitzen, daß ihnen die Regeln über den griechischen Optativ ungleich wichtiger sind als der Anblick eines schönen Mädchengesichts. Diese Unempfänglichen werden in so heiklen Fällen besonders aufs Korn genommen, wenn es gilt, rasch eine Querfrage zu beantworten u. dergl. m. Zu einem längeren, wissenschaftlichen Verhör eignet sich unter Umständen auch der verliebte Schüler, – wofern er nämlich auf dem Gebiete, das der Lehrer gewählt hat, sehr sattelfest ist. Es wird ihm alsdann ein besonderes Vergnügen bereiten, in den Augen seiner Angebeteten zu brillieren. Den Horaz übersetzend, schleudert er wohlgezielte Pfeile nach ihrem Herzen. Er beschwört die Lydia, sie möge den Sybaris nicht vor Liebessehnsucht vergehen lassen, und meint dabei sich und Volckmanns blonde Therese. Er verdeutscht die Ode: Quem tu, Melpomene, semel, – und denkt dabei schüchtern an seine eigenen poetischen Versuche, mit denen er die Auserkorene durch Vermittlung seiner Schwester oder auf dem Wege einer anonymen Postsendung heimgesucht. Nickt dann der Superintendent mit beifällig schmunzelnder Miene, so ist der Gymnasiast stolz auf seinen errungenen Triumph, und zerstreut lächelnd folgt er der Aufforderung des Lehrers, sich wieder zu setzen.
Das Klassenexamen ist die einzige Gelegenheit, wo die Primanerliebe innerhalb der vier Wände des Gymnasiums etwas freier aufatmet. Die Klassenprüfung ist ihr Sonnenblick. Hier kann der Lehrer gegen ihre verstohlene Betätigung nichts einwenden. Noch entsinne ich mich des jauchzenden Entzückens, mit dem mir einer meiner Freunde, Paul Schuster, am Schluß des Examens um den Hals fiel, weil diese wenigen Nachmittagsstunden das wieder aufgebaut hatten, was ihm während des Semesters durch die Ungunst der Verhältnisse zerstört worden war.
Paul Schuster liebte eine reizende Blondine, namens Elisabeth. Er besang sie in hundert Liebesliedern. Seine Schwester hatte ihm zugeredet, und so kopierte er das schönste dieser Gedichte auf goldgerändertes Briefpapier, schrieb, von hundert seligen Ahnungen erfüllt, seinen Namen darunter, und barg es in einer zierlichen Enveloppe, auf deren Siegelstelle eine Taube mit dem biblischen Ölzweig prangte. Dann setzte er als Adresse die Worte darauf: »Meiner himmlischen Elisabeth«, und ließ der Holden das Billett durch seine Schwester mit in die Schule bringen. Am Abend erhielt er die Nachricht, das Gedicht habe einen ungeheuren Eindruck gemacht. Elisabeth sei von dem Zauber der wogenden Rhythmen geradezu hingerissen; nur meine sie, der Dichter habe doch hin und wieder gar zu schmeichelhaft übertrieben.
Drei Tage später glaubte Paul Schuster zu bemerken, daß der Direktor Samuel Heinzerling während der Interpretation der Antigone ihm verschiedene Male einen strafenden Blick zuschleuderte. Das Schicksal sollte ihn über die Ursache jenes eigentümlichen Mienenspiels nicht lange in Zweifel lassen. Nach Beendigung der Lehrstunde entbot ihn Samuel auf sein Zimmer. Verwirrt leistete er dieser Aufforderung Folge. Wer schildert seine Empfindungen, als er auf dem Tische des Gymnasialtyrannen sein Billet-doux an Elisabeth wahrnimmt.
»Schoster,« begann der Direktor, »Professor Gönther föhrt Klage, Sä belästägen seine Tochter.«
Paul Schuster glaubte bei diesen Worten Samuels in den Boden versinken zu müssen. Ein jäher Krampf schnürte ihm die Kehle zusammen.
»Herr Direktor,« stammelte er, »wenn Professor Günther dergleichen behauptet, so spricht er die Unwahrheit …«
»Wä, Schoster?« fragte Heinzerling mit schneidiger Stimme, »Sä wollen noch leugnen? Sätzen Sä säch dort einmal auf den Stohl!«
»Aber, Herr Direktor …«
»Sätzen Sä säch! Also Sä haben dä Dreistägkeit, den Herrn Professor Gönther der Onwahrheit zo bezächtägen! Goot! Sehr goot! Ond was sagen Sä zo däsem Zettel, den dä Frau Professor än der Scholtasche ähres Töchterchens gefonden hat? Wollen Sä etwa än Abrede stellen, daß Sä däsen Wäsch da geschräben haben?«
»Nein, Herr Direktor!«
»Non goot! Äch ontersage Ähnen härmät ein för allemal, däse onzämlächen Scherze zo wäderholen.«
Er nahm das Blatt zwischen die Finger und rückte die Brille zurecht.
»Es äst wärklich stark, Schoster!
›Ond schänkte, wenn der Lenz erwacht,
Ein Gott mär allen Blötenflor,
Äch legte gern dä Fröhlingspracht
Als Teppäch Deinen Fößen vor …‹
Begreifen Sä nächt, daß es geradezo onverantwortlich äst, einem wohlerzogenen Kände solche Albernheiten än den Kopf zo setzen? Äch dächte, Sä gäben säch vorläufäg noch ein wenig mät Ährem Sophokles ab.
›Ach, wenn der Sehnsocht holde Glot
Äm täfsten Bosen aufgeflammt …‹
Sehnsocht, Sehnsocht! Sehnen Sä säch nach einem ordentlächen Matorätätsexamen, ond vertrödeln Sä Ähre Zeit nächt mät solchen Abgeschmacktheiten. Wenn säch der Mensch erst einmal solche Alloträa än den Kopf gesetzt hat, dann geht sein wässenschaftlächer Sänn öber Nacht zo Grabe. Merken Sä säch das!«
Paul war außer sich.
»Herr Direktor,« stöhnte er verzweifelt, »ich glaube bis jetzt noch keine Veranlassung gegeben zu haben …«
»Das habe äch auch nächt behauptet. Aber dä bästen Schöler werden äm Handomdrehen leichtsännäg, wenn sä anfangen, säch mät solch kändäschem Tand abzogeben. Äch habe Sä non gewarnt.«
Der Direktor entließ ihn. Paul Schuster hielt nur mit Mühe die Tränen zurück. Er kam sich so erbärmlich, so namenlos lächerlich vor, daß er zu jedem Entschluß unfähig war. Zu Hause angelangt, überlegte er. Nach mehrstündigem Hin- und Hersinnen kam er zu dem Resultat, daß ihm nichts anderes übrig bleibe, als Elisabeths Vater persönlich aufzusuchen. Trotzig erhobenen Hauptes machte er sich auf den Weg. Er ward nicht vorgelassen. Was tun? Eine halbe Minute lang schwankte er, ob er sich nicht mit Gewalt den Weg in das friedliche Studierzimmer bahnen und im Tone eines beleidigten Theaterhelden Rechenschaft fordern sollte für die zwiefach kränkende Unbill. Bald aber gewann die vernünftige Erwägung die Oberhand. Der eben noch so heroische Primaner zog ab. Wie ein verschmähter Freier schlich er gesenkten Blickes nach Hause, warf sich mit geballten Fäusten langwegs auf das Sofa und heulte.
So war das poesiereiche Verhältnis zu Elisabeth meuchlings zertrümmert worden. Allerhand kleine Mißverständnisse hatten dazu beigetragen, den Sturz der Ideale zu vervollständigen.
Und nun kam die Klassenprüfung. Elisabeth erschien reizender als je. Sie nahm in der vordersten Reihe Platz. Zwei Stunden lang kreuzten sich die Blicke der beiden Liebenden, und dieser stumme Depeschenwechsel reichte aus, beiden die Gewißheit zu geben, daß sie »einander noch angehörten«. Am Schluß des Examens erntete Schuster ein Lächeln, das ihm den letzten Zweifel benahm … Glücklicher Schuster!
Ich wiederhole es: Das Klassenexamen ist der Lichtblick der scheuen Primanerliebe!
Doch kehren wir aus dem Speziellen ins Allgemeine zurück, und erzählen wir den weiteren Normalverlauf der Semesterprüfung.
Am Abend des dritten Tages bestieg Samuel Heinzerling den Katheder und verkündete die Prämien und die Versetzungen. Ein feierlicher Moment! Der Direktor wußte denn auch der Bedeutsamkeit des Augenblicks in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Seine Stimme klang fast wie die Posaune des Jüngsten Gerichts, wenn er begann:
»Von Onterpräma nach Oberpräma röcken auf:«
Und nun folgte die Liste. Die nicht erwähnten Schüler waren zu ewiger Verdammnis – ich will sagen, zum Sitzenbleiben für ein weiteres Semester verurteilt.
Dann fuhr der Direktor fort:
»Prämien erhalten än däser Klasse:«
Und nun folgte das kurze Verzeichnis der wenigen Auserwählten. Dieses Verzeichnis schrumpfte, je höher man in der Reihe der Klassen hinaufstieg, immer mehr zusammen. In Prima gab es nur ganz ausnahmsweise Prämien:
»Dä Prämaner taugen alle nächt väl«, so pflegte Samuel privatim diese Maßnahme zu motivieren.
Zu Ostern fand am Schlusse der Prüfungen zuweilen ein sogenannter Aktus statt, bei dem das schöne Geschlecht noch zahlreicher vertreten war als beim Examen. Gedichte, deutsche und lateinische Reden, Gesänge und sonstige musikalische Vorträge waren der Gegenstand dieser nachmittäglichen Feier, an der sich nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer aktiv beteiligten. So entsinne ich mich eines trefflichen Vortrags, den Samuel Heinzerling über die Wirkung der echten Humanität hielt. Doktor Brömmel, der Zwillingsvater, sprach wiederholt über die Bevölkerungsverhältnisse der europäischen Staaten; er wies darauf hin, daß Deutschland das rivalisierende Frankreich immer mehr zu überflügeln verspreche, eine Wahrheit, die von Emanuel Boxer mit der malitiösen Bemerkung begleitet wurde: »Daran ist niemand schuld, als Doktor Brömmel!« Der »Herr Pastor« ließ sich über das griechische Schisma vernehmen, ein Thema, von welchem Boxer behauptete, daß es die anwesenden Damen nur zur Hälfte verstehen würden. Doktor Perner endlich gab Bilder aus der neueren Literaturgeschichte. Leider waren meine Gymnasialhumoresken damals noch nicht geschrieben, sonst würde er sie ohne Zweifel mit Enthusiasmus erwähnt haben.
Gegen sechs Uhr trat man den Heimweg an. Jedermann befand sich in einer rosigen Stimmung. Nur die Sitzengebliebenen ließen elegisch die Köpfe hängen und gelobten sich, im neuen Semester Rache zu üben für die erlittene Kränkung.
»Das habe ich dem Doktor Perner zu danken«, sagte der eine.
»Mich hat der Brömmel ins Verderben geritten! Für das nächste Jahr wünsche ich ihm Drillinge!«