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Kitabı oku: «Gesammelte Schulhumoresken», sayfa 15

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Ferien

Gegen Schluß des Semesters tritt in der Stimmung des deutschen Gymnasiasten eine seltsame Wandlung ein. Bis dahin hat er die Knechtschaft des Stundenzwanges mit jener edlen Resignation hingenommen, die der Weise einem unabwendbaren Übel entgegenbringt. Jetzt mit einemmal ergreift ihn ein selbstbewußter, beinahe trotziger Frohsinn. Noch leistet er den Befehlen des Lehrers Folge, aber sein Gesichtsausdruck steht mit dieser äußeren Unterwürfigkeit in schroffem Gegensatze. Auf der lächelnden Lippe schwebt ein unausgesprochenes Wort, das, ins Verständliche übertragen, ungefähr also lautet: »Ich gehorche! Ich stehe unter deiner Botmäßigkeit! Aber der Tag der Befreiung naht auf Sturmesflügeln! Wenn er erscheint, dann wehe dem Grundgesetz deiner Herrschaft!« Strafen, die sonst eine niederschmetternde Wirkung ausgeübt hätten, werden jetzt gleichgültig, ja fast mit offenem Hohn ertragen: der Skorpion des Absolutismus hat seinen Stachel verloren.

Wer in der Völker- und Staatengeschichte einigermaßen bewandert ist, der wird sich erinnern, daß ähnliche Stimmungen von jeher den Verschwörer am Vorabend der Entscheidung beseelt haben. Genau so dachte und fühlte der Neger, der unter Toussaints Führung die Fesseln seiner langjährigen Sklaverei sprengen sollte. Hätten die Plantagenbesitzer von St. Domingo ein deutsches Gymnasium besucht, sie wären niemals von den schwarzen Bataillonen überrumpelt worden. Der deutsche Gymnasiallehrer weiß nur zu genau, was jener Stimmungswechsel bedeutet. Er weiß, daß es die Perspektive auf die Ferien ist, die seiner Klasse so rebellisch die Adern schwellt.

Ferien! Das Wort hat für einen deutschen Gymnasiasten etwas Zauberisches! Schon viele Wochen im voraus wird bis auf den Tag und die Stunde berechnet, wie lange man noch auf den harten Subsellien zu schmachten hat. Die Phantasie eilt der Wirklichkeit in rauschendem Fluge voraus und bevölkert die Zukunft mit den beglückendsten Lichtstrahlen. Man entwirft Pläne; man gelobt sich, die anderthalb Monate diesmal so recht gründlich und nach allen Richtungen hin auszukosten. Man überläßt sich einer poesievollen Zerstreutheit, die sich von Woche zu Woche steigert und zuletzt in die vollendete Träumerei ausartet.

Mir und meinem vielgenannten Freund Wilhelm Rumpf war diese gesteigerte Spannung so unerträglich, daß wir den Freitag und den Sonnabend vor dem Beginn der Ferien jedesmal schwänzten. Zur gewohnten Stunde ergriffen wir unsere Schreibmappen und traten ins Freie. In dem kleinen Tempel der städtischen Promenade, der zu dieser Frist völlig verwaist stand, gaben wir uns ein Rendezvous und beratschlagten, was den Tag über zu beginnen sei. Wenn wir einen Entschluß gefaßt hatten, stellten wir unsere Uhren mit ängstlicher Genauigkeit nach der großen Turmuhr der Stadtkirche und verloren uns dann, halb Kinderspiele, halb Gott im Herzen, seitwärts in die Felder. Ganz besonders entzückend waren diese illegitimen Ausflüge am Schluß des Sommersemesters. Eine prächtige Landschaft, die noch im reichsten Festgewand strahlte, ein tiefblaues Himmelsgewölbe, und auf allen Hügeln und Hängen ein überschwenglicher Segen des köstlichen Obstes, – was brauchten wir mehr, um glücklich zu sein? Die Freude über den wolkenlosen Septembertag paarte sich mit dem Triumphgefühl über die gelungene Entweichung. Jauchzend strichen wir durch die einsamen Nußgärten und füllten uns, dem siebenten Gebote zum Trotz, die Taschen. Gegen zehn nahmen wir in der nächsten ländlichen Schenke einen Imbiß, dessen Mangelhaftigkeit durch den Glanz unserer Gemütsverfassung ersetzt wurde. Eine Stunde später rüsteten wir uns zum Heimweg. Es galt, rechtzeitig in der Behausung einzutreffen, denn die Sache sollte den Anschein haben, als kämen wir direkt aus dem Gymnasium.

Auf diese Weise verbrachten wir den Freitag und den Sonnabend. Wie Leander die Hero, so besuchten wir die Göttin der Freiheit unter dem Deckmantel des Geheimnisses … Für kurze Zeit hat dieser verstohlene Umgang einen unendlichen Reiz: auf die Dauer aber sehnt man sich nach dem festen Besitz. So hatten wir denn beim Läuten der Sonntagsglocken gerade genug an dem heimlichen Raube, und wonnetrunken begrüßten wir unser rechtliches Eigentum, – die Ferien!

Wer vermöchte zu schildern, was ein deutscher Gymnasiast beim Beginn der Ferien empfindet! Sechs lange Wochen! Eine Ewigkeit! Freudig blitzenden Auges und stolz erhobenen Hauptes wandelt man umher, als ob man die ganze Welt besäße! Und zwar ist dieses Entzücken um so aufrichtiger und vollständiger, je weiter abwärts wir uns von der Prima entfernen, – vielleicht nur aus dem Grunde, weil die Empfindung von der Länge der Zeit mit der fortschreitenden Entwicklung des Menschen zusammenschrumpft. Dem Quartaner und Tertianer sind diese sechs Wochen in der Tat ein unbegrenzter Spielraum: das jugendliche Gemüt überläßt sich der Illusion, die Frist könne kein Ende nehmen. Der Primaner dagegen hat sich zu oft schon diese sechs Wochen »von rückwärts betrachtet«; die Erfahrung hat seinen Idealismus auf ein minder grandioses Maß reduziert; er weiß die Summe der Genüsse, die ihn erwarten, bereits annähernd abzuschätzen.

In einem Punkte verwerten die Schüler aller Klassen das Privilegium der Ferien gleichmäßig: im freien Genusse des Morgenschlummers. Das Recht, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Stunde in den hellen Tag hineinschlafen zu können, gießt über das ganze Wesen des deutschen Gymnasiasten einen Schimmer der rosigsten Verklärung. Wenn er nachts erwacht und sich, behaglich aufatmend, nach der anderen Seite wendet, so ist das Bewußtsein, am folgenden Morgen den sonst so verhängnisvollen Schlag der Glocke überhören zu dürfen, allein ausreichend, um die Ferien mit dem Gewand eines zauberischen Liebreizes zu umkleiden!

So dämmert der Tag heran. Draußen, in den Zimmern und auf dem Korridor ist schon alles geschäftig: der glückliche Gymnasiast rührt sich nicht. Selbst wenn er längst nicht mehr schlafen kann, hält er noch die Augen geschlossen, bis die Mutter oder die Schwester ihn, weniger aus Gründen der Moral, als mit Rücksicht auf die gestörte Hausordnung, weckt. Nun kleidet der Triumphator sich an, langsam, mit souveräner Verachtung der Zeit, – denn er hat ihrer ja mehr, als er braucht! Nach eingenommenem Frühstück verläßt er das Haus: das ist ein unumstößliches Axiom der Ferienpraxis. Je nach der Verschiedenheit seines Alters und seines Temperaments verbringt er den Vormittag verschieden. Er streift durch Feld und Wald, er schlendert Arm in Arm mit seinem Intimus durch die Gassen, er besucht verstohlenerweise ein Bierhaus und wagt selbst eine Partie Billard. Der Quartaner und Tertianer gibt sich mit seinen Altersgenossen in besonders günstig gelegenen Höfen der Nachbarschaft ein Rendezvous, um zu spielen; er plant tolle Streiche und verabredet Ausflüge in die weitere Umgebung. Vor Mittagszeit aber betritt keiner, weder der Schüler von Quarta, noch der Oberprimaner, die elterliche Wohnung.

Nach Tische treibt sich der Feriengymnasiast zum Leidwesen seiner Angehörigen in störender Weise auf den Kanapees und Sesseln herum; trällert ein Lied, worüber seine ältere Schwester nervös wird; neckt seine jüngeren Brüder; nimmt eine illustrierte Zeitschrift zur Hand, trotz der wiederholten Versicherung des Vaters, das sei keine Lektüre für ihn; fragt, ob nicht bald Kaffee getrunken werde; stemmt seine Stiefel wider die polierten Tischfüße, legt sich ins Fenster oder verklebt seiner Mutter das Schlüsselloch des Nähtischchens mit Wachs. Die Aufforderung, er möge etwas arbeiten, beantwortet er mit einem wohlwollenden Lächeln.

»Erst will ich mich ausruhen«, sagt er, behaglich die Arme reckend.

Wenn man das so mit ansieht, man sollte meinen, der Ärmste habe Monate lang Dienste in einer Tretmühle geleistet.

Der Nachmittag wird, je nach der Jahreszeit, zu Ausflügen in die umliegenden Bierdörfer, zu Fensterpromenaden, zu Skatpartien, zu Kahnfahrten und dergleichen benutzt, und der Abend bringt oft nur eine Fortsetzung des Nachmittags.

Dieses lustige, ungebundene Leben erfährt eine gelinde Trübung durch den Hinblick auf die Ferienarbeiten, die in einigen Gymnasien nicht ganz ohne Belang sind.

Ich meinesteils habe meine Pensa stets schon in der ersten Woche begonnen und so unter der Hand ohne ernstliche Schädigung meines Wohlgefühles erledigt. Die meisten Schüler warten jedoch bis zuletzt und verderben sich den Schluß der Ferien von Grund aus. Es leuchtet ein, daß die von mir befolgte Methode gerade vom Standpunkt des Epikuräers aus die einzig richtige ist, – auch richtiger als das andere Extrem, während der ersten Tage alles auf einmal zu absolvieren.

Unter den Ferienarbeiten, mit denen man uns die Flügel ein wenig zu binden hoffte, nahm der deutsche Aufsatz einen hervorragenden Rang ein. Und zwar gab man uns zu wiederholten Malen das Thema: »Wie verbrachte ich meine Ferien?« Diesen Aufsatz schrieb ich stets in der ersten Woche, denn die historische Wahrheit gehörte von je zu den geringsten Verdiensten solcher Arbeiten. Ganz faule und versumpfte Kameraden, die niemals aus eigenem Antrieb ein Buch in die Hand nahmen, gaben sich in dem Ferienaufsatz den Anschein, als hätten sie umfassende Privatstudien im Xenophon und im Curtius geleistet. Die Lehrer nahmen das merkwürdigerweise stets so beifällig hin, daß ich als Obersekundaner den Entschluß faßte, dieses lügnerische Selbstlob einmal auf die Spitze zu treiben. Da war denn in meinem Aufsatz etwa folgender Passus zu lesen:

»Ich erhob mich des Morgens zwischen vier und fünf, nahm in aller Eile den Kaffee ein und verfertigte alsdann bis gegen 10 Uhr lateinische Stilübungen. Hierauf machte ich einen halbstündigen Spaziergang, um sofort wieder an meine Arbeit zurückzukehren. Ich las Corneille, Racine, Molière und Chateaubriand, bis ich zu Tische gerufen wurde, was in der Regel so gegen ein Uhr statthatte. Die Stunden von zwei bis fünf widmete ich dem Griechischen, der Geschichte und der Geographie. Hierauf unternahm ich in Begleitung meines Vaters einen Spaziergang, von dem wir meistens so gegen halb sieben Uhr zurückkehrten. Um sieben Uhr wurde zu Nacht gespeist, und nun arbeitete ich von acht bis elf Mathematik, Physik und Kirchengeschichte. Oft auch habe ich die Mitternacht an meinem stillen Pulte herangewacht, denn ich hatte mir nun einmal fest vorgenommen, eine gewisse Summe von Lernstoff zu bewältigen. Sagt doch schon ein alter Klassiker: ›Wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben.‹ Meine Mußestunden benutzte ich dann zur Lektüre von Goethe, Schiller, Klopstock, Wieland, Herder, Lessing, Platen, Rückert und Roderich Benedix; auch übersetzte ich viele Oden des Horaz metrisch ins Deutsche. Des Sonntags besuchte ich von neun bis elf die Kirche, hielt mich jedoch, um nicht aufzufallen, meist abseits, weshalb mich die Herren Lehrer ohne Zweifel nur selten wahrnahmen. Einmal war ich zwei Tage lang in Frankfurt, und diese in jeder Hinsicht belehrende Reise will ich hier zum Gegenstand einer ausführlichen Schilderung machen.«

Ich wurde um dieses Aufsatzes willen »wegen Unfugs« mit sechs Stunden Karzer bestraft und dazu beauftragt, dasselbe Thema noch einmal, und zwar in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß, zu behandeln.

Drei Tage später also reichte ich dem Lehrer eine neue, von der ersten wesentlich differierende Arbeit ein, die folgenden Passus enthielt:

»Des Morgens schlief ich bis neun, mitunter sogar bis zehn Uhr. Denn, sagte ich bei mir selbst, wozu sollst du dich plagen, wenn du's gut haben kannst? Gearbeitet habe ich nur sehr wenig. Ich erledigte zwar zur Not meine Pensa: im übrigen aber verspürte ich einen seltsamen Abscheu gegen jede Tätigkeit. Man lebt nur einmal auf der Welt, pflegte mein Großonkel Schmidthenner zu sagen. So hielt ich es denn für zweckmäßig, mir die kurze Freiheit recht zunutze zu machen. Fast täglich bestand ich mit Wilhelm Rumpf einen Ringkampf, wobei immer derjenige siegte, der den Untergriff hatte. Solche Übungen sind in jeder Beziehung praktisch. Ich merkte dies bei dem Zwist mit dem Gänsehirten von Wieseck. Der Mann wollte uns ausschimpfen, weil Rumpfs kleiner Pudel ihm die Gänse gejagt hatte. Wir zerbläuten ihn jämmerlich. Hieraus erhellt, daß der Jüngling sich nicht früh genug in körperlichen Exerzitien ergehen kann. Wie sagt schon Horaz? usw. usw.«

In diesem Stile ging es zwölf Seiten lang. Am Schluß meiner tückischen Abhandlung hatte ich die zwölf Stunden Karzer, die ich diesmal eroberte, so vollständig verdient, daß ich mich noch jetzt über die Nachsicht des sonst so leicht erregbaren Lehrers wundere.

»Wie verbrachte ich meine Ferien?«

In der Tat ein trostloses Thema für einen deutschen Gymnasialschüler, der weder lügen, noch seine Lehrer beleidigen will!

Das Maturitätsexamen

Das Wort Examen hat für den Gymnasialschüler je nach Umständen eine sehr verschiedenartige Klangfarbe. Ernst und gewichtig tönt es an sein Ohr, wenn es die Abiturientenprüfung bezeichnet; leicht und harmlos dagegen, wenn es jene Komödie bedeutet, die sich alljährlich ein- oder zweimal vor dem Beginn der Ferien wiederholt, mit dem angeblichen Zweck, das Publikum über die intellektuellen und ethischen Fortschritte der künftigen Staatsbürger zu unterrichten.

Das Abiturienten- oder Maturitätsexamen ist, streng genommen, nur eine Form, da die Lehrer in den meisten Fällen vorher wissen, wer da bestehen und wer durchfallen wird. Es wäre auch sonderbar, wenn die paar Stunden oder Tage des Examens genauere Auskunft über den Bildungsgrad eines Schülers ermöglichen sollten, als die Monate und Jahre des regen persönlichen Verkehrs in der Klasse. Gleichwohl betritt der Abiturient mit einem seltsamen Zagen den Prüfungssaal, nicht ahnend, daß sein Schicksal schon vor der ersten Frage so gut wie entschieden ist. Der Schüler, der sich während seiner ganzen gymnasiastischen Laufbahn durch die lebhafte Betätigung eines wissenschaftlichen Sinnes ausgezeichnet und den Beweis geliefert hat, daß er wirkliche Kenntnisse besitzt, wird selbst dann nicht durchfallen, wenn er in einer Spezialität unglücklicherweise alle Fragen schuldig bleibt; viel eher ist der umgekehrte Fall denkbar, daß ein Ignorant, der sich nur oberflächlich »eingepaukt« hat, durch eine glückliche Konstellation entschlüpfe. Es liegt also nicht der geringste Grund zur Aufregung vor; aber die Tradition und der Instinkt wirken hier mächtiger als die reine Vernunft.

In dem Gymnasium meiner Vaterstadt Gröningen hatten die Abiturienten erst ein dreitägiges schriftliches Examen und dann ein mündliches von etwa sechs Stunden zu leisten. Das schriftliche war entschieden die Hauptsache. Es bestand aus drei Extemporal-Aufsätzen, einem deutschen, einem französischen und einem lateinischen. Die strengste Klausur sonderte uns während dieser Arbeiten von der Außenwelt ab. Vor Schluß seines Aufsatzes durfte keiner den Saal und die dazu gehörigen Räumlichkeiten verlassen. Gegen Mittag lieferte uns der Pedell etwas kalte Küche; den Angehörigen der Schüler war es nicht gestattet, sich bei dieser Proviantlieferung zu beteiligen, da es früher mehrfach vorgekommen war, daß man in Buttersemmeln, Würsten u. dergl. die nötigen literarischen Hilfsmittel zur Bewältigung der Themata eingeschmuggelt hatte. Trotz dieser peinlichen Vorsicht gelang es fast regelmäßig, etwas Verwendbares über die Schwelle zu paschen. Bei dem Schließen oder Öffnen des Fensters warf man einen Zettel in den Hof, der das Thema bezeichnete. Treue Freunde, die unten lauerten, beschafften sofort, was sie an früheren Bearbeitungen desselben Vorwurfs etc. etc. auftreiben konnten, und legten es im rechten Moment auf eine gewisse verschwiegene Lokalität, deren Besuch man uns doch nicht völlig verbieten konnte. Zuweilen gelang es auch, schon Tags zuvor das Thema ausfindig zu machen, sei es, daß ein Familienmitglied des Examinators die Sache verriet, sei es, daß wir listigerweise das Notizbuch des Lehrers durchforschten und so die nötigen Anhaltspunkte eroberten.

Einmal hatte der Direktor Samuel Heinzerling in Erfahrung gebracht, der Abiturient Ittmann sei am Abend vor dem Beginn der Prüfung auf wunderbare Weise in den Besitz des Themas gelangt und werde des Tags darauf eine Reihe von Manuskripten und Drucksachen mitbringen, und zwar, um der Möglichkeit einer Visitation auszuweichen, in seinen Stiefelschäften. Gott weiß, wer hier den Judas gespielt hatte: genug, Samuel Heinzerling war bis ins einzelne unterrichtet und beschloß, dem p. p. Ittmann auf eine möglichst humorvolle Weise zu Leibe zu gehen.

Es war die ganze Zeit über abscheuliche Witterung gewesen. Auch am Tage des lateinischen Aufsatzes herrschte ein großer Schmutz in den Straßen. Hierauf gründete Samuel seinen Plan.

Als Ittmann im Saale erschien, trat der Direktor freundlich lächelnd auf ihn zu und reichte dem überraschten Schüler die Hand.

»Kommen Sä, läber Ättmann,« sagte er schmunzelnd, »äch weiß, Sä neigen sehr stark zor Erkältong …«

Hiermit führte er den Erstaunten nach dem Ofen, wo ein Stiefelzieher und zwei Pantoffel standen.

»So, läber Ättmann, äch habe Ähnen da ein paar Pantoffel besorgt, damit Sä säch ja nächt verderben. Zähen Sä Ähre Stäfel höbsch aus. Äch bän öberzeugt, Sä haben säch nasse Föße geholt.«

»Sie sind zu gütig, Herr Direktor,« stammelte Ittmann, »aber ich habe wirklich ganz trockene Füße. Ich danke recht sehr.«

»Es wärd doch besser sein, wenn Sä dä Schohe dort anzähn. Sä sänd mär än der letzten Zeit wäderholt onwohl gewesen …«

»Das ist ganz vorüber, Herr Direktor. Ich fühle mich jetzt vollständig frisch.«

»Eben, weil Sä säch fräsch föhlen, sollen Sä säch nächt wäder erkälten. Machen Sä jetzt keine Omstände; äch meine es goot mät Ähnen!«

»Ohne Zweifel, Herr Direktor. Ich verspüre aber nicht den geringsten Anflug von Nässe. Lassen Sie lieber den Schierlitz die Pantoffel da anziehen: der hat einen viel weiteren Weg als ich.«

»Nein, nein! Der Schärlätz äst eine roboste Nator! Sä allein haben mär den verflossenen Wänter fortwährend öber Katarrh geklagt. Jetzt machen Sä mäch nächt ongedoldäg, ond entledägen Sä säch so rasch wä möglich Ährer Stäfel! Äch befähle es Ähnen!«

Ittmann war der Verzweiflung nahe. Seine angeborene Geistesgegenwart half ihm jedoch auch diesmal über die Klippe hinweg.

»Nun denn, Herr Direktor,« sagte er mit einer artigen Verbeugung, »so nehme ich dankbar an.«

Mit diesen Worten ergriff er die Pantoffel und den Stiefelzieher und eilte der Tür zu.

»Wo wollen Sä hän?« rief Samuel Heinzerling.

»Herr Direktor, Sie werden mir zutrauen, daß ich so viel Lebensart besitze, um meine Stiefel nicht in Ihrer Gegenwart auszuziehen. Ich verfüge mich da neben ins Konferenzzimmer.«

Samuel Heinzerling trat auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte mit einem halbunterdrückten Lächeln:

»Wässen Sä was? Gehn Sä läber nach Hause ond wechseln Sä zo Haus Ähre Stäfel! Sä haben säch öbrägens goot herausgehauen, wärkläch, sehr goot! Das moß Ähnen der Neid lassen.«

»Aber, Herr Direktor, ich versichere Sie …«

»Machen Sä, daß Sä fortkommen ond versächern Sä mäch läber nächts. Äch denke, Sä wässen am besten, wo der Schoh Sä dröckt. Aber äch sage Ähnen, auf dem Fooß stehen wär nächt mäteinander, wenn das Examen anfängt! Sä sänd mär ein onreeller Kamerad! Verstehn Sä mäch?«

»Herr Direktor,« versetzte Ittmann mit einem Blick auf seine Stiefel, »ich habe heute morgen schon so viel eingesteckt, daß ich auch diesen Vorwurf einstecken und Sie um dauernde Nachsicht ersuchen will.«

Samuel Heinzerling lachte.

Ittmann aber eilte nach Hause und erschien diesmal ohne die Eselsbrücken. Sei es nun, daß das Erlebnis mit Samuel Heinzerling seinem Geiste eine besondere Elastizität verlieh, sei es, daß der Direktor ein hervorragendes Wohlwollen entwickelte, kurz, der Schüler erhielt die Note eins.

Der lateinische Aufsatz, den ich zur Bekundung meiner Reife verabfolgen mußte, betraf den Kaiser Tiberius.

Ich habe nun bereits in meiner Skizzensammlung »Aus Sekunda und Prima« hervorgehoben, daß die Weltgeschichte von je meine schwache Seite gewesen. Von Tiberius insbesondere wußte ich nur sehr wenig Positives, – etwa, daß er des Kaiser Augustus Nachfolger gewesen; daß er sich durch Grausamkeit und Willkür ausgezeichnet; daß er einen Günstling, namens Sejanus, besessen und schließlich von Macro mit einem Kissen erstickt worden sei. Nun verstand ich es zwar, solche geringfügige Anhaltspunkte möglichst ausgiebig zu verwerten: aber das Gold meines Wissens wollte diesmal, noch so breit geschlagen, nicht ausreichen, um den gewaltigen Raum eines Abiturientenaufsatzes zu bedecken.

Hier half ich mir nun auf folgende sinnreiche Weise, die ich jedem Primaner unter gleichen Verhältnissen auf das wärmste empfehlen möchte. Ich hatte zufällig wenige Tage zuvor eine interessante Monographie über den Kaiser Augustus gelesen, deren Einzelheiten mir noch ziemlich treu im Gedächtnis hafteten. So begann ich denn meinen Aufsatz wie folgt:

»Nach dem Tode des Cäsar Octavianus Augustus bestieg der tückische, menschenfeindliche Tiberius den Kaiserthron. Es gelang ihm schon nach kurzer Frist, sich in allen Teilen des Reichs gründlich verhaßt zu machen, denn er bildete durchweg den schroffsten Gegensatz zu dem wohlwollenden, gerechten, kunst- und literaturfreundlichen Augustus. Dieser Kontrast mußte die Antipathie der Römer noch beschleunigen und vertiefen. Augustus hatte das und das getan, diese und jene Einrichtung getroffen, so und so die Verhältnisse des römischen Volkes geregelt; von alledem finden wir bei Tiberius keine Spur. Augustus und seine Freunde Messala, Pollio und Mäcenas waren Kenner der griechischen Dichter, deren Werke man in öffentlichen Bibliotheken sammelte; in der Umgebung des Tiberius dagegen finden wir weder einen Mäcenas noch einen Messala noch einen Pollio. Augustus war auch äußerlich eine sehr angenehme Erscheinung. Ein heiterer Friede ruhte auf seinem Antlitz. Er machte den Eindruck eines biederen, würdevollen und geistig bedeutenden Alten. Ganz anders Tiberius, von welchem uns dergleichen nirgends berichtet wird.«

Auf diese Weise gab ich eine sehr detaillierte Geschichte des Augustus und fügte nur von Zeit zu Zeit die Bemerkung hinzu, das sei bei Tiberius anders gewesen.

Nachdem ich so mein Wissen erschöpft hatte, schloß ich wie folgt:

»Leider ist die Zeit bereits zu sehr vorgerückt, als daß es mir noch möglich wäre, auf die übrigens allbekannten Einzelheiten der so verhängnisvollen Regierung des Tiberius näher einzugehen. Erwähnen will ich noch, daß er, wie fast alle Tyrannen, auf unnatürliche Weise endete. Ja, es gibt eine Nemesis der Weltgeschichte, deren furchtbares Walten nur der Tor leugnen wird! Est modus in rebus, sunt certi denique fines!«

Und dann sprach ich noch den üblichen Wunsch aus:

»Spero fore, ut, quae hodie conscripsi, rectori gymnasii doctissimo, illustrissimo, justissimo mire placeant.«

Meine Hoffnung ging in Erfüllung. Die umfassenden Kenntnisse, die ich im Punkte des Augustus entwickelt hatte, reichten aus, um meine tiberianische Unwissenheit zu bemänteln.

Minder glücklich war ein Abiturient namens Glaser, der einen deutschen Aufsatz über die Völkerwanderung zu schreiben hatte und, wie Sokrates, nur eins wußte: daß er nichts wußte.

Er begann sein Thema wie folgt:

»Indem ich an die heutige Aufgabe heran trete, erinnere ich mich der alten Vorschrift, daß der wahre Philosoph niemals über einen Gegenstand reden darf, ohne ihn des näheren definiert zu haben.

Was heißt Völkerwanderung? Augenscheinlich bedeutet dieser Ausdruck eine Wanderung von Völkern. Fragen wir nun zunächst: Was ist ein Volk? so liegt es klar zutage, daß sich dieser Begriff nicht so in aller Kürze fixieren läßt. Wir müssen daher etwas weiter ausholen. Schon in den ältesten Zeiten …«

Und nun folgte eine graziös stilisierte Musterkarte historischer Data, wie sie in dem Kopfe des pfiffigen Schülers nach und nach hängen geblieben war. Die Ägypter, die Assyrer und Meder spielten hier eine bedeutsame Rolle. Ein längerer Abschnitt war dem auserwählten Volk Gottes gewidmet, dem Volk par excellence. Dann sprach Theophil Glaser von den Volksrechten, von den verschiedenen Staatsformen usw. usw.

Die Hälfte des Aufsatzes war hiermit zurückgelegt. Der Schüler fuhr fort:

»Wir kommen nun zu dem zweiten Teile unserer Definition: Was ist eine Wanderung?« Ein Problem, das er in ähnlicher Weise löste, wie das des Volkes.

Als er endlich den Begriff der Völkerwanderung glücklich zusammengesetzt hatte, war die gegebene Frist abgelaufen, und hastig warf er die heuchlerische Phrase auf das Papier:

»Zu meinem größten Bedauern muß ich hier schließen, denn ich höre das heisere Metall des Pedellen.«

Theophil Glaser bestand zwar im deutschen Aufsatze »cum laude«, in der Geschichte aber fiel er trotz seiner glänzenden Definitionen unwiderruflich durch.

Die Lehrer wollten nicht glauben, daß nur Quaddler daran schuld war, wenn Glasers Abhandlung des versöhnenden Schlusses entbehrte.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
260 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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