Kitabı oku: «Gesammelte Schulhumoresken», sayfa 3
Knebelii discipuli Threnodia
Si omnes mundi homines,
Quae amant, iis non carerent,
Praeclara vitae esset spes,
Nam qui timores nos terrerent?
Perpetuo vellem bibere,
Sed saccus mi repletus raro!
O Deus, pater optume,
Quor fato utor tam amaro?
Quor gulam mi tam aridam,
Tam vini cupidam dedisti,
Si, quibus flammas opprimam,
Pecunias dare omisisti?
Ad ultimum me rediges:
Haud justum mi parasti sortem!
Mehercle! Quae mi cunque des, –
Aut dabis aes, aut dabis mortem!
Aus den Privataufzeichnungen des Sekundaners Heppenheimer
Erstes Bruchstück
… Am 24. Februar 18**
Womit soll ich zunächst anfangen? – Es klingt eigentümlich, aber es ist nichtsdestoweniger wahr: jeder Anfang hat für mich etwas Peinliches. Bei meinen deutschen Aufsätzen hocke ich oft stundenlang und kaue an der Feder, ohne zu wissen, wie ich dem Dinge beikommen soll. Gewöhnlich helfe ich mir dann dadurch, daß ich mich nach einem geeigneten Zitat umsehe und dasselbe als Motto oben rechts in die Ecke schreibe. Hieran läßt sich dann gewöhnlich in ungezwungener Weise anknüpfen, indem man etwa fortfährt wie nachstehend:
»Der große Dichter, dem wir diese Worte entlehnen, hat ohne Zweifel dabei die hochwichtige Frage im Auge gehabt, deren Behandlung mir heute von Amts wegen obliegt.«
Es ist mir bis jetzt noch stets gelungen, den erforderlichen Nachweis zu liefern, zumal wenn das Zitat von Schiller war, dessen Aussprüche das Angenehme haben, daß sie für alle Verhältnisse des Lebens gleich brauchbar sind. Ich will also dieser meiner angestammten Gewohnheit auch heute nicht untreu werden und mein Tagebuch mit den herrlichen Worten aus Schillers Glocke einleiten:
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß.
Dies ist nämlich die Ansicht meines Mitschülers Leopold Hutzler, der in der Nähe des Fensters sitzt und durchaus nicht leiden kann, wenn man auch nur ein kleines Quadratchen öffnet, um frische Luft hereinzulassen. Wie zu Eingang notiert, ist es noch Februar, und die Witterung läßt manches zu wünschen übrig. Wir besitzen nun einen Lehrer, der zum Schlagfluß neigt und vor Kongestionen fast umkommt, wenn alles geschlossen ist. Kaum tritt er ins Zimmer, so ruft er mit seiner dröhnenden Baßstimme: »Schwarz, machen Sie mal 's Fenster auf!«, und Schwarz tut, wie geheißen. Bis zum 20. Februar ging die Sache auch ihren stillen, friedlichen Gang. An diesem Tage aber gelangten die exercitia pro loco zur Verteilung, und Hutzler, der ein Feind aller Zugluft ist, kam in die Nähe des Fensters zu sitzen …
Doktor Perner ließ wie gewöhnlich oben die Klappe öffnen und wollte eben seinen Vortrag beginnen, als der stramme Hutzler sich von seinem Platze erhob und mit aufgestelltem Rockkragen und frostschauernder Stimme in die geflügelten Worte ausbrach:
»Herr Doktor, es zieht so!«
Doktor Perner wird nun jedesmal nervös, wenn jemand behauptet, es ziehe. Er sagt, das sei Einbildung, und wenn die Bewegung der atmosphärischen Luft die Gesundheit schädige, so könne kein Mensch mehr über die Straße gehen, ohne eine Rippenfellentzündung oder die Diphtheritis zu bekommen.
»So, es zieht Ihnen?« erwiderte er in wegwerfendem Tone. »Wie alt sind Sie eigentlich?«
»Im nächsten Januar werde ich siebzehn!« entgegnete Hutzler mit Würde.
»Und demungeachtet zieht es Ihnen? – Nun, dann ist es die höchste Zeit, daß Sie endlich einmal dieses Vorurteil ablegen. Setzen Sie sich, das Fenster bleibt auf!«
Hutzler zog den Rockkragen noch höher, setzte sich nicht und sagte mit männlicher Festigkeit:
»Herr Doktor, der Arzt hat es mir dringend verboten, mich der Zugluft auch nur auf wenige Minuten auszusetzen. Ich bitte um die Erlaubnis, meinen Platz wechseln zu dürfen!«
»Meinetwegen«, sagte der Doktor Perner mit einem geringschätzigen Achselzucken. – »Hanau, wechseln Sie einmal mit dem Hutzler den Platz!«
»Herr Doktor,« sagte Hanau, »ich bin erst gestern wiedergekommen und neige sehr zum Katarrh. Es wäre vielleicht doch besser, wenn wir das Fenster zumachten.«
»Seien Sie still! Gildemeister, setzen Sie sich dort an das Fenster!«
Gildemeister hustete dumpf, und es klang wie ein Bierfaß.
»Wenn Sie erlauben,« sagte er mit heiserer Stimme, »so möchte auch ich hier auf meinem Platze bleiben. Ich habe jetzt schon acht Senfpflaster verbraucht, um meinen Luftröhrenkatarrh los zu werden, und bin immer noch nicht damit zustande gekommen.«
»Gut,« sagte Doktor Perner jetzt stirnrunzelnd, »so bleiben Sie, wo Sie sind. Wenn es dem Hutzler zieht, so mag er seinen Paletot umhängen.«
»Wenn ich meinen Paletot umhänge, so wird mir's zu warm, und dann erkälte ich mich erst recht.«
»Meinetwegen erkälten Sie sich sechsmal.«
»Nun, Sie werden ja sehen, was Sie anrichten, Herr Doktor«, sagte Hutzler gekränkt. – »Ich merke jetzt schon einen eigentümlichen Kitzel im Halse, und so fängt es bei mir jedesmal an.«
Mit diesen Worten begann er zu hüsteln.
Ich muß nun an dieser Stelle bemerken, daß Hutzler einer unserer gesundesten Schüler ist. Wie oft hat der Direktor Samuel Heinzerling ihm die vernichtenden Worte zugerufen: »Schwächläch! Sä, schwächläch? Non, hären Sä änmal, Hutzler, äch wollte, jäder Mänsch onter der Sonne wäre so schwächläch wä Sä! Faul sänd Sä, aber nächt schwächläch!« Es handelt sich bei der ganzen Opposition Hutzlers lediglich um das, was man eine parlamentarische Unterbrechung nennt. Er will in die Monotonie der Lehrstunden eine gewisse Frische und Abwechslung bringen. Aus diesem Gesichtspunkte wird uns auch die Weigerung der beiden erwähnten Mitschüler begreiflich.
Der Lehrer begann nun den Unterricht, und Hutzler, das Haupt trotzig in die Hand gestützt, bereitete sich zur Fortsetzung seiner planvoll erwogenen Störung vor.
Als es ein Viertel schlug, hustete er dreimal tief auf und stöhnte dann, als ob sich ihm die Luftröhre krampfhaft zusammenschnüre. Fünf Minuten später hatte sein Husten einen so dröhnenden Charakter angenommen, daß es Herrn Doktor Perner unmöglich war, den Unterricht fortzusetzen.
Er hielt einen Augenblick inne.
»Sind Sie nun bald fertig?« rief er, die Augen rollend, während er das Buch heftig wider die Platte des Katheders stieß.
Hutzler hustete noch lauter, und so natürlich, daß ich noch heute nicht begreife, wie er diese gewaltigen Erschütterungen seines Kehlkopfes zuwege bringen konnte, ohne ernstlich Schaden zu nehmen.
»Hutzler!« schrie Doktor Perner außer sich.
Jetzt trat in dem trefflich erkünstelten Anfalle eine Pause ein. Hutzler erhob sich.
»Herr Doktor, darf ich nun vielleicht das Fenster da zumachen?«
»Das Fenster bleibt auf! Sie sollten sich schämen, auf so pöbelhafte Weise etwas erzwingen zu wollen, was ich Ihnen grundsätzlich verweigern muß.«
Kaum hatten diese Worte Hutzlers Trommelfell erreicht, als er sofort wieder zu husten begann, und zwar so krachend und klirrend, daß ich jeden Augenblick meinte, die Brust müsse ihm zerspringen.
»Ich lasse Sie sofort nach dem Karzer führen!« rief Doktor Perner, außer sich vor Zorn. »Wenn Sie so empfindlich sind gegen jede erbärmliche Kleinigkeit, so wickeln Sie sich in Watte! Ich meinesteils dulde nicht, daß man in meinen Lehrstunden solche Komödien aufführt.«
»Komödien?« hustete Hutzler. »Wenn ich erkältet bin, werde ich doch wohl noch husten dürfen? … Hätten Sie beizeiten das Fenster geschlossen …«
»Sie sind einer der frechsten Gesellen, die mir noch jemals vorgekommen. Gehen Sie nach Hause und ziehen Sie sich wärmer an! Ich bin es müde, mich fortwährend mit Ihnen herumzuzanken!«
»Recht gern«, hustete Hutzler. »Hätte ich gewußt, daß es hier so ziehen würde, so wäre ich von Anfang an in einem wärmeren Kostüm erschienen.«
Hutzler wohnt nur drei Schritte vom Gymnasium entfernt. Er ging, und Doktor Perner setzte seinen Vortrag fort. Es dauerte ungefähr zehn Minuten. Dann erschien der treffliche Leopold wieder in der Tür, und mit einem Male herrschte in Sekunda ein Leben, dessen reizende, überschwängliche Ausgelassenheit sich nicht in Worte kleiden läßt. Zuerst erscholl ein dreisalviges Gelächter; dann ein dumpfes Geheul, wie es die Rothäute bei ihren Angriffen auf die Weißen auszustoßen pflegen; dann ein Klatschen, Pfeifen, Scharren, Trappeln und Rütteln, daß mir selbst, der ich doch an das Schlimmste gewöhnt bin, fast Hören und Sehen verging. Hanau und ich hoben in der allgemeinen Verwirrung unseren Tisch ungefähr drei Zoll hoch über den Boden und ließen ihn dann mit aller Wucht aufdonnern, so daß der Staub wie Opferrauch nach der Decke stieg.
Es war dies nur eine verdiente Huldigung an die Adresse unseres liebenswürdigen Kameraden Hutzler.
Ahnst Du, o Genius meines Tagebuches, wie Hutzler im Schulzimmer erschien? Hinten auf den Rücken und vorn vor den Bauch hatte er sich vermittelst roter Schnüre zwei Federkissen gebunden. An den Füßen trug er die großen Reisepelzstiefel seines Vaters; zwei Müffe, die seinen beiden Schwestern angehörten, dienten ihm als Pulswärmer, und um den Hals trug er in unzähligen Windungen einen halbzölligen Hanfstrick, wie ihn die Packer beim Aufwinden der Warenballen benutzen.
Doktor Perner stand wie versteinert, während Hutzler sich ganz gelassen anschickte, seinen Platz einzunehmen.
»Halt!« schrie der Professor. »Keinen Schritt weiter! Denken Sie etwa, Sie befinden sich hier in einer Bierkneipe?«
»Gewiß nicht, Herr Doktor!« entgegnete Hutzler ehrerbietig. »So viel ich weiß, befinde ich mich in Sekunda.«
»Schweigen Sie! Ihr Zynismus übersteigt alle Begriffe. Sofort entledigen Sie sich dieses Unrats und verfügen sich nach dem Karzer!«
»Welchen Unrates, Herr Professor?«
Doktor Perner war außer sich, er trat auf den Schüler zu und faßte ihn an dem Strick, der um seinen Hals lag.
»Hier, dieses nichtswürdigen Tandes!« schrie er, daß uns allen die Ohren gellten.
»Ach so,« sagte Hutzler, »es ist ja wahr, da wollte ich Sie noch ganz ergebenst um Entschuldigung bitten. Meine beiden wollenen Halstücher sind in der Wäsche, und Mutter wollte mir das ihrige nicht hergeben. Da meinte der Vater, so ein Strick sei auch nicht zu verachten, und es käme ja nicht darauf an, wie es aussehe, wenn es nur warm hielte. Aber wenn Sie meinen, es wäre unziemlich, so bin ich gern bereit, ihn wieder abzulegen.«
Mit diesen Worten begann er, das halbzöllige Seil von seinem Halse loszuwickeln.
In immer größeren Kreisen fegte der hanfgeflochtene Radius um Hutzlers Kopf, und jetzt fehlte nicht viel, und die Spitze hätte den Professor ernstlich in seiner Integrität verletzt. Ich gebrauche hier Integrität als Euphemismus, da es mir nicht wohl ansteht, diejenigen Teile des Doktor Perner namhaft zu machen, die von dem wuchtigen Strick Hutzlers zunächst bedroht wurden.
»Mensch!« rief Doktor Perner wutschnaubend, indem er das Ende des Strickes ergriff und daran zerrte. »Das sollen Sie mir büßen!«
Hutzler bemühte sich, die Augen zu verdrehen und zwischen den Lippen die Zunge sichtbar werden zu lassen.
»Herr Doktor!« stöhnte er mit verlöschender Stimme, nach rechts und links mit den Armen in die Luft greifend. »Ich ersticke! Ich ersticke!«
Doktor Perner ließ los. Hutzler reckte seinen Hals und begann, ihn vollends auszuwickeln.
»Nun, was zögern Sie noch?« rief der Lehrer, indem er mit der rechten Hand nach der Tür deutete. »Losgeschnallt! sage ich, und dann hinauf! Vor nächstem Montag kommen Sie mir nicht wieder herunter!«
»Also weil ich mich Ihrer ausdrücklichen Anordnung entsprechend etwas wärmer gekleidet habe, belegen Sie mich mit Karzerstrafe?« sagte Hutzler, gleich darauf in einen erneuten Hustenanfall ausbrechend. »Erlauben Sie, Herr Doktor, ist der Karzer geheizt?«
»Der Pedell wird das Nötige besorgen«, entgegnete Doktor Perner. »Schwarz, bestellen Sie einmal, daß Nummer fünf geheizt wird. Und jetzt bringen Sie sich unverzüglich in eine anständige Verfassung. Diese schamlosen Wülste hier dulde ich nicht!«
»Aber, Herr Doktor, es sind ja zwei Kopfkissen! Meine Mutter hält so viel auf ihr Weißzeug, die würde sich schön wundern, wenn sie erführe …«
»Kein Wort mehr, oder ich vergesse mich!«
Hutzler schwieg und begann, seine Kissen loszuschnallen. Mit einemmal stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Die Naht war geplatzt, und eine Flut von Federn ergoß sich in das Schulzimmer.
Wir andern eilten sofort hinzu, um die kostbaren Daunen aufzulesen, und bald wirbelte es rings wie Schneeflocken.
Doktor Perner machte vergebliche Anstrengungen, die Ordnung wiederherzustellen. Gelles Geheul derjenigen, die in dem Tumult umgestoßen wurden und auf den Boden zu liegen kamen, mischte sich unter die Wehklagen Hutzlers, der sich nicht genug tun konnte in elegischen Ausrufen und Seufzern.
»Ach, was wird meine Mutter sagen! Das kommt davon, daß ich das so aufschnallen mußte. Hätte ich die Kissen ruhig anbehalten, dann wären sie nicht entzwei gegangen. Ach, und jetzt zieht es wieder, und die Federn kommen mir in den Hals. Herr Doktor, erlauben Sie mir, nach Hause zu gehen. Ich fühle mich sehr, sehr unwohl!«
»Gehen Sie!« rief Doktor Perner in ohnmächtigem Zorn.
Hutzler ließ sich die Sache nicht zweimal sagen. Hastig raffte er seine Kissen zusammen, ergriff den Strick an einem Ende und schritt majestätisch zur Tür hinaus, sein improvisiertes Halstuch wie eine Schlange hinter sich herziehend. Wir übrigen vergnügten uns den Rest der Stunde hindurch damit, daß wir die Flaumfedern, die rings durch das Zimmer wirbelten, geschickt in die Höhe bliesen, wodurch ein ununterbrochenes Schneegestöber entstand, das mir viel Spaß machte. Doktor Perner ließ in das Tagebuch einschreiben, es habe dem Hutzler in kindischer Weise gezogen; auch sei derselbe mit einem Strick um den Hals im Lehrzimmer erschienen und habe sich die frechsten Störungen erlaubt. Der Eintrag schloß mit dem Vermerk einer zweitägigen Karzerstrafe. Hutzler war indes klug genug, die nächsten acht Tage wegen Unwohlseins zu fehlen. Erst am folgenden Sonnabend kam er wieder, und am Dienstag darauf fragte ihn Doktor Perner, ob er die Strafe abgesessen habe.
»Ich?« sagte Hutzler erstaunt.
»Ja, Sie! Antworten Sie mir!«
»Aber, Herr Doktor, Sie haben mir die zwei Tage ja geschenkt!« entgegnete Hutzler, tief beleidigt.
»So? Davon weiß ich kein Wort!«
»Doch, Herr Doktor!« wagte ich jetzt schüchtern zu bemerken.
»Ja, Herr Doktor!« riefen zwei, drei Stimmen aus dem Hintergrunde. »Am vorigen Sonnabend haben Sie gesagt: Nun, für diesmal will ich es Ihnen noch erlassen, aber in Zukunft geht es Ihnen schlecht, das gebe ich Ihnen schriftlich!«
Doktor Perner begann bei dieser bestimmten Formulierung unserer Lüge stutzig zu werden. Vielleicht auch schien es ihm das geratenste, mit Hutzler Frieden zu schließen. Daher sagte er geringschätzig:
»Nun, es mag gut sein. Wenn ich es denn einmal gesagt habe, so will ich nicht weiter darauf bestehen. Aber das sage ich Ihnen: kommt mir wieder einmal etwas Ähnliches vor, so ist es alle mit uns. Überhaupt konstatiere ich seit einiger Zeit das Überhandnehmen eines Geistes, der den Zwecken dieser Anstalt schnurstracks zuwiderläuft. Es herrscht hier statt des wissenschaftlichen Ernstes eine läppische Puerilität, die mich anwidert. Ich bin auch einmal jung gewesen und habe mich meines Lebens gefreut, aber ich würde noch jetzt schamrot werden, wenn ich mir jemals eine so kindische Haltung hätte vorwerfen müssen, wie sie Ihnen zur zweiten Natur geworden ist. Bessern Sie sich, ich rate es Ihnen im guten. Ostern steht vor der Tür, und die Versetzungen sind noch lange nicht entschieden. Es könnte manchem passieren, daß er sich grimmig verrechnete. Zum Aufrücken in eine höhere Klasse ist nicht nur eine gewisse Summe von Kenntnissen erforderlich, sondern vor allen Dingen ein würdiges Betragen. Die Primaner werden sich bedanken, ihren Lehrsaal mit einer Gesellschaft von Kindsköpfen teilen zu sollen, wie sie hier auf den Bänken von Obersekunda sitzen. Was lachen Sie, Hutzler? Weinen sollten Sie und in sich gehen, ehe die verderblichen Wege, auf denen Sie sich befinden, vollends zum Abgrund geführt haben. Ein Mensch von Ihren Gaben! Es ist himmelschreiend!«
Hutzler erhob sich.
»Herr Doktor, ich habe nur ein freundliches Gesicht gemacht«, versetzte er mit unerschütterlicher Ruhe.
»Machen Sie Ihre freundlichen Gesichter, wenn Sie zu Hause sind! Hier ist Haltung und Ernst erforderlich, und Sie hätten am allerwenigsten Ursache, ihrem Übermut freien Lauf zu lassen.«
Hiermit schloß das Hutzlersche Intermezzo.
Aus den Privataufzeichnungen des Sekundaners Heppenheimer
Zweites Bruchstück
Am 5. Mai 18**
… Von mir selber zu reden, verbietet mir eigentlich die mir innewohnende Bescheidenheit. Indes neulich habe ich unserem Religionslehrer einen so köstlichen Streich gespielt, daß ich nicht umhin kann, diese wohlgelungene »Störung« hier aufzuzeichnen. Und eine »Störung« war es in des Wortes tiefgehendster Bedeutung, insofern sie nämlich nicht allein den regelmäßigen Verlauf des Lektionsplanes, sondern mehr noch das gesamte seelische Gleichgewicht unseres trefflichen Lehrers »störte«. Aber ich konnte ihm nicht helfen. Einmal hat er's durchaus nicht um mich verdient, daß ich den Regungen des Mitleids Audienz gebe, da er mir in der Religionsstunde schon dreimal »wegen hartnäckigen Widersprechens« Ordnungsstrafen erteilte. Und dann hätte ich Nerven besitzen müssen von der Dicke und der Dauerhaftigkeit jenes Strickes, den Hutzler im Februar dieses Jahres um seinen Hals wickelte, wenn ich die qualvolle Monotonie, die sich in der religiösen Gesinnung des Herrn Pastors geltend machte, länger hätte ertragen sollen.
Der Herr Pastor …! Wir nennen ihn so, weil er in früheren Zeiten eine Predigerstelle an einem benachbarten Dorfe versah. Er ist indes schon seit geraumer Zeit an unserem Gymnasium in bester Form angestellt und gibt in allen Klassen Glaubenslehre und Kirchengeschichte. Ich unterlasse es, hier auf seine persönliche Beschreibung einzugehen, da es mir doch nicht möglich wäre, seinen wohlwollenden Gesichtszügen und dem sanften Behagen, das um seine schmalen, blutlosen Lippen spielt, stilistisch gerecht zu werden.
Der Herr Pastor ist nämlich ein sehr frommer Mann, was ich ihm durchaus nicht verüble, denn wenn jemand Pastor ist, so versteht es sich von selbst, daß er gewisse Gesinnungen hegt. Wohl aber verüble ich dem Herrn Pastor im höchsten Grade, daß er seiner Frömmigkeit seit so und so viel Jahren in sämtlichen Klassen stets denselben Ausdruck verleiht und so zum Beispiel an jedem Morgen, den Gott werden läßt, aus dem Klassengebetbuch dasselbe Gebet abliest. Wir alle kennen es längst auswendig: aber der Herr Pastor scheint nun einmal die Überzeugung zu hegen, dieses Gebet sei besonders wirksam und gottwohlgefällig. Es beginnt mit den Worten:
»So treten wir denn wiederum vereint vor die Stufen Deines Thrones, o Allmächtiger, und flehen zu Dir mit kindlichem Herzen um die Gnade Deines Beistandes …«
Es ist mehr als zwei Seiten lang und enthält unter anderm die sehr richtige Bemerkung:
»Schritt für Schritt wandeln wir dem Ende zu und sind ihm jeden Morgen näher gebracht.«
Es hat mir nun fast den Anschein, als ob der Herr Pastor geglaubt habe, durch die fortwährende Betonung dieser unleugbaren Tatsache das immer näher rückende Ende weiter hinausrücken zu können. Denn nur so vermag ich mir zu erklären, wie er immer und immer wieder dieselben Phrasen zum besten gab, ohne zu bedenken, daß jedes unverkünstelte Menschengehirn bei solchem Geklapper aus dem Leim gehen muß. Er scheint eine ganz eigen organisierte Natur zu besitzen. Wir bekamen das trostlose Gebet doch nur jeden Dienstag und Freitag zu hören: er aber trug es seit Menschengedenken auch Montags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabends vor (in Prima und Tertia nämlich), ohne daß es ihm bis jetzt irgend geschadet hätte.
Nun, es heißt schon in Goethes Faust: »Die Kirche hat einen guten Magen«. Da ich aber in keiner Beziehung zur Kirche gehöre und mich überhaupt von der sogenannten kirchlichen Richtung prinzipiell fern halte – mein Vater ist Freimaurer –, so erscheint es begreiflich, daß ich infolge dieser ununterbrochenen Gebetsidentität nahezu krank wurde und eine wahre Wut gegen den wiederkäuenden Lehrer faßte.
Da kam mir ein köstlicher Gedanke, den ich um so bereitwilliger durchführte, als ich mir sagen mußte, das Faktum werde, ganz abgesehen von der Befriedigung meiner Gebetwünsche, auch einen reizvollen Zwischenfall absetzen, wie ein lebensfroher Gymnasiast ihn stets brauchen kann. So zögerte ich denn nicht länger und »vollendete das Werk dieser Woche«. (Ein schönes Zitat! Es ist dem Schlußgebet entnommen, das wir jeden Sonnabend um zwölf mit anhören müssen.)
Das Klassengebetbuch liegt in der Regel auf dem Katheder, damit es dem Lehrer gleich zur Hand sei, sobald er das Bedürfnis fühlt, sich mit Gott zu unterhalten. Wie Möros in der Schillerschen Ballade, schlich ich mich eines Morgens in aller Frühe – ich war eigens eine halbe Stunde vor Beginn der Lehrstunde erschienen, um der erste zu sein – zum Katheder, öffnete das Buch mit dem schwarzen, unheimlichen Einband, der so oft in den Händen meines Peinigers geruht hatte, und suchte mit fiebernder Hast nach dem verhängnisvollen Kapitel.
»Aha!« sagte ich mit diabolischer Wollust, als ich den Gegenstand meines Hasses entdeckt hatte, – »da steht es:
›So treten wir denn wiederum vereint vor die Stufen Deines Thrones, o Allmächtiger, und flehen zu Dir mit kindlichem Herzen um die Gnade Deines Beistandes …‹
Du sollst keinen mehr kränken!« Und mit keckem Griffe riß ich die beiden Blätter, auf denen das Leibgebet des Herrn Pastors verzeichnet stand, aus dem Buche, zerpflückte sie in hundert mikroskopische Stückchen und trug sie kaltblütig, als ob nichts geschehen wäre, nach dem Hofe, wo ich sie dem Spiel der Frühlingswinde überantwortete.
In dem beseligenden Gefühle, ein gutes Werk vollbracht zu haben, setzte ich mich auf meinen Platz und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Es schlug sieben. Die Tür öffnete sich, und herein wandelte wuchtigen Schrittes unser gottwohlgefälliger Religionslehrer. Er setzte sich auf den Kathederstuhl, schneuzte sich zweimal und legte dann sein Gesicht in jene frommen Gebetsfalten, die ich so oft mit Schrecken an ihm bemerkt hatte. Das war immer die Introduktion; eine halbe Minute später ging's los: »So treten wir denn wiederum vereint vor die Stufen Deines Thrones, o Allmächtiger …«
Der Herr Pastor erhob sich und ergriff mit einem verschleierten Blick gen oben das Gebetbuch. Auch die Schüler standen ehrerbietig von ihren Plätzen auf und falteten schweigend die Hände.
Lautlose Stille.
Der Herr Pastor schlug das Gebetbuch auf und spitzte die Lippen. Merkwürdigerweise war das so oft vorgetragene Gebet heute nicht auf den ersten Griff zu finden.
Der Herr Pastor blätterte. Und blätterte wiederum. Und blätterte abermals.
Es war ganz unbegreiflich!
Er beschaute das Buch von außen, als wolle er sich überzeugen, ob es noch das alte, stille, traute Gebetbuch von ehedem sei, mit dessen Hilfe er so manches Mal vereint vor die Stufen des Thrones getreten war.
In der Tat, der Einband hatte sich nicht im geringsten verändert.
Nun suchte der Herr Pastor, immer befremdlicher dreinschauend, im Register.
Richtig, da stand es, Seite 50!
Der Herr Pastor suchte demgemäß Seite 50, aber siehe da! der schöne Spruch: Suchet, so werdet Ihr finden, wurde diesmal zuschanden! … Jetzt erst ging dem unglücklichen Lehrer ein Licht auf. Er stieß einen unartikulierten Ton der Entrüstung aus und sagte dann mit einer Stimme, die an die Posaune des Jüngsten Gerichts gemahnte:
»Da hat mir ein miserabler Junge die Blätter herausgerissen, auf denen unser Morgengebet stand! Ich will nicht untersuchen, wer sich diesen sakrilegischen Akt erlaubt hat: ich überlasse den Betreffenden dem Gefühl seiner eigenen Schande. Aber traurig ist es doch, daß so etwas in einer Klasse von gesitteten jungen Leuten vorkommen kann! Pfui!«
Ich mußte mir auf die Lippen beißen, um nicht in helles Gelächter auszuplatzen. Der Herr Pastor bemerkte es.
»Was lachen Sie?« sagte er mit einem vernichtenden Blick auf mein unschuldiges Gesicht. »Gehen Sie hinaus: Sie sind in dieser Stimmung nicht würdig, der Schulandacht beizuwohnen.«
»Aber Herr Pastor« … sagte ich demütig.
»Sie verlassen das Zimmer!« wiederholte er schneidig. »Wenn Sie bei einem solchen Anlaß überhaupt lachen können, so läßt das tief blicken.«
Ich verließ also das Zimmer, stand aber nahe genug an der Tür, um zu hören, daß der Herr Pastor noch eine längere Rede hielt. Hierauf öffnete er wieder das Gebetbuch und las ein anderes Kapitel vor, das halb so lang war, als die »Stufen des Thrones«, und schon um seiner Neuheit willen die gebührende Aufmerksamkeit fand.
»Amen!« sagte der Herr Pfarrer wuchtig und salbungsvoll, und gleich darauf fügte er hinzu: »Sie können den Heppenheimer jetzt wieder hereinholen.«
War das nicht ein köstlicher Streich? Aber nicht genug! Das Gerücht von dem herausgerissenen Gebet verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch alle Klassen, und ehe der folgende Morgen graute, waren die »Stufen des Thrones« aus sämtlichen Gebetbüchern entfernt! So ging dem Herrn Pastor denn ein für allemal die Möglichkeit verloren, seiner langjährigen Leidenschaft fürder zu frönen!
Er verhängte jetzt eine umfassende Untersuchung, die jedoch ohne Resultat blieb. Wenn ich der Eventualität einer Karzerstrafe so gleichmütig gegenüberstünde, wie Schwarz oder Rumpf, die beide einen unbeschreiblichen Stoizismus besitzen, so würde ich dem Herrn Pastor ohne weiteres entgegentreten und ihm zurufen: »Ja, Verehrtester, c'est moi qui l'ai fait! Und wissen Sie, warum ich's getan habe? Weil es ein Sprüchlein gibt, das da lautet: So Ihr betet, sollt Ihr nicht plappern wie die Heiden, die da meinen, sie würden erhöret, wenn sie viele Worte machen! Weil ferner sich der Betende in sein stilles Kämmerlein einschließen soll! Und weil schließlich geschrieben steht, daß der Buchstabe tot macht, um wieviel mehr ein ellenlanges Geleier, das aus mehreren tausend Buchstaben besteht!«
Da ich heute gerade bei der Persönlichkeit des Herrn Pastors bin, so will ich noch die Geschichte von den Bescherungen meines Freundes Boxer notieren. Die Sache ist zwar sehr einfach, aber sie hat mich königlich amüsiert.
Vor einiger Zeit nämlich, es mögen jetzt vielleicht acht oder zehn Wochen her sein, hatten wir es eingeführt, dem Herrn Pastor jedesmal morgens bei dem Beginn der Lehrstunde eine Bescherung auf den Katheder zu setzen. Mein Freund Boxer war in dieser Beziehung der Haupt-Entrepreneur und ging dabei ebenso malerisch als humoristisch zu Werke. Der Herr Pastor entdeckte beim Eintritt in das Lehrzimmer folgende Gegenstände in zierlicher Gruppierung auf der Platte seines Lehrpultes: in der Mitte eine große, halb zerbrochene Blumenscherbe, mit zwei alten Schreibärmeln behangen, wie eine Totenurne; oben darauf eine Schneelawine (es war damals noch Winter und hatte tüchtig geschneit), recht fest geknetet und von der Form eines menschlichen Kopfes. Die Augen hatten wir aus gekautem, blauem Papier gefertigt; desgleichen die Nase; den Mund stellte ein hereingedrücktes Bleistiftchen dar. Unser Mitschüler Schwarz hatte seine brandrote Mütze hergeben müssen, auf daß sie diesem Schneekopfe zur Bedeckung diene. Rechts und links prangten zwei stattliche Haufen frischgeschlagener Chausseesteine und ein Paar alte Stiefel, die Boxer sich von dem Hausknecht im »Goldenen Pfau« hatte schenken lassen. Die Lücken unseres künstlichen Aufbaues waren mit Äpfeln und Eierschalen, rohen Kartoffeln, Besenreisern und ähnlichen Gegenständen dergestalt ausgefüllt, daß man eine Barrikade en miniature vor sich zu sehen glaubte, wie denn Boxer überhaupt viel Talent zum Kommunismus verrät. Der Herr Pastor näherte sich dieser Bescherung jedesmal mit einem Blick, als könne das Ding explodieren, bestieg den Katheder und legte dann seinen Arm links auf die Platte des Pultes. Mit einem einzigen, gewaltigen Ruck fegte er die Barrikade herunter, daß wir jedesmal Angst hatten, der Wandschrank, der rechts vom Katheder steht, möge durch den Anprall so mannigfacher Objekte zertrümmert werden.
Die Klasse aber brach in ein diabolisches Jauchzen aus, und die Vordersten liefen herzu, um die Brocken der Schneelawine aus dem Fenster zu werfen, und besonders um die alten Stiefel in Sicherheit zu bringen, die bei jeder Bescherung aufs neue verwendet wurden.
Der Herr Pastor beobachtete bei solchen Vorgängen stets das Prinzip des unbedingten Ignorierens. Kein Wort kam über seine Lippen: er strafte uns mit stiller Verachtung.
Zuweilen fiel ihm das recht schwer, denn einmal hatten wir ihm einen alten, zerrissenen Familienschirm an die Lehrtafel genagelt, dessen Fischbeindrähte dergestalt über den Kathedersessel hinausragten, daß es nur bei einer eigentümlichen Haltung des Kopfes möglich war, ihnen auszuweichen. Der Herr Pastor ertrug diese Tortur mit einer bewundernswerten Geduld etwa fünf Minuten hindurch; dann sagte er dem Katheder Valet und tat, als ob er nur zur Abwechslung einmal einen anderen Standpunkt einnehme, während er bisher niemals seinen gewöhnlichen Platz hinter dem Pult verlassen hatte.
Endlich aber zerriß auch diesem Gerechten der Faden der Geduld. Boxer hatte ihm nämlich, des ewigen Hinabwerfens müde, einen großen Eimer voll Wasser auf die Platte gestellt, dessen Fall eine wahre Sündflut herbeigeführt haben würde.
Der Herr Pastor kam, beschaute sich das Ding mit rollenden Blicken, blähte die Nüstern, stieg wieder vom Katheder herunter, schritt zornig im Zimmer auf und ab, bestieg den Katheder von neuem und sagte endlich mit Donnerstimme:
»Boxer, schaffen Sie das augenblicklich hinweg!«
Ich bewunderte hier den Instinkt des scheinbar so stillen Mannes, der sofort wußte, wo er den Feind seiner Ruhe zu suchen hatte.
Boxer erhob sich.
»Ich?« sagte er indigniert. »Weshalb denn gerade ich?«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage! Augenblicklich schaffen Sie mir das Ding da fort!«
»Wenn ich den Eimer dahin gesetzt hätte,« entgegnete Boxer, »mit Vergnügen! Aber so sehe ich in der Tat nicht ein …«
»Augenblicklich!« wiederholte der Herr Pastor, indem er den Arm ausstreckte und die Spitze seines Zeigefingers auf den Boden richtete.
»Gut!« sagte Boxer, »ich bin Schüler und muß gehorchen. Aber ich will mich doch einmal bei dem Herrn Direktor erkundigen, ob ich Ihnen die Eimer ausleeren muß.«