Kitabı oku: «Winzige Gefährten», sayfa 6

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Hadfield erforscht die Schnörkelwürmer seit 1990 im Auftrag der Marine. Zuvor war er bereits Experte für Larven, die im Meer leben, und für die Navy sollte er verschiedene Anstrichfarben testen, um festzustellen, ob eine davon die Würmer abwehren konnte. Der eigentliche Trick aber, so dachte er, wäre, herauszufinden, warum die Würmer überhaupt den Entschluss fassen, sich niederzulassen. Wie kommt es, dass sie plötzlich an Schiffsrümpfen auftauchen?

Das ist eine uralte Frage. Armand Marie Leroi schreibt in seiner großartigen Aristoteles-Biografie: »Ein Marinegeschwader, sagt [Aristoteles], ankerte einmal vor Rhodos und es wurde eine Menge irdenes Geschirr über Bord geworfen. In den Töpfen sammelten sich Schlamm und dann lebendige Austern. Da Austern sich nicht auf Töpfe oder überhaupt bewegen können, müssen sie aus dem Schlamm entstanden sein.«15 Diese Idee der Spontanzeugung war jahrhundertelang in Mode, aber sie ist hoffnungslos falsch. Hinter dem plötzlichen Auftauchen von Austern und Röhrenwürmern steckt eine viel banalere Ursache. Die Tiere machen wie Korallen, Seeigel, Muscheln und Krebse ein Larvenstadium durch, und als Larven treiben sie durch das offene Wasser, bis sie irgendwo hängen bleiben. Die Larven sind mikroskopisch klein, außerordentlich zahlreich (möglicherweise bis zu hundert in einem Tropfen Meerwasser) und gleichen in nichts ihrem ausgewachsenen Gegenstück. Ein junger Seeigel ähnelt mehr einem Federball als dem Nadelkissen, zu dem er später wird. Und eine Larve von H. elegans ähnelt weniger dem langen, von einer Röhre umhüllten Wurm, sondern eher einem Wanddübel mit Augen. Man mag kaum glauben, dass es sich um dasselbe Tier handelt.

Irgendwann werden die Larven sesshaft. Sie legen ihre jugendliche Wanderlust ab und bauen ihren Körper so um, dass er die Form des ortsfesten, ausgewachsenen Tieres annimmt. Dieser Prozess, die Metamorphose, ist der wichtigste Augenblick in ihrem Leben. Früher vermutete man, dass er sich nach dem Zufallsprinzip abspielt, das heißt, dass die Larven sich an beliebigen Orten niederlassen und überleben, wenn sie Glück haben und an einen guten Standort geraten. In Wirklichkeit gehen sie aber absichtsvoll vor und sind wählerisch. Um den besten Ort für die Metamorphose zu finden, richten sie sich nach Anhaltspunkten wie chemischen Spuren, Temperaturgradienten und sogar Geräuschen.

Wie Hadfield schon bald herausfand, lässt sich H. elegans von Bakterien und insbesondere von Biofilmen anlocken, den schleimigen Matten aus dicht gedrängten Bakterien, die sich auf Oberflächen unter Wasser sehr schnell bilden. Findet eine Larve einen solchen Biofilm, schwimmt sie an den Bakterien entlang und drückt ihr Gesicht dagegen. Schon nach wenigen Minuten ist sie verankert: Dazu presst sie einen Schleimfaden aus dem Schwanz und scheidet rund um ihren Körper eine durchsichtige »Socke« aus. Nachdem sie sich auf diese Weise befestigt hat, beginnt ihre Veränderung. Sie verliert die kleinen Ruderhaare, mit denen sie zuvor im Wasser vorangekommen ist. Sie wird länger. Um den Kopf wächst ein Ring aus Tentakeln, mit denen sie nach Nahrungsbrocken greifen kann. Und sie beginnt, die harte Röhre aufzubauen. Mittlerweile ist sie ausgewachsen, und fortbewegen wird sie sich nie mehr. Für diese Verwandlung sind Bakterien eine unabdingbare Voraussetzung. Eine saubere, keimfreie Glasflasche ist für H. elegans ein Nimmerland, ein Ort der ewigen Unreife.

Die Würmer sprechen nicht auf irgendwelche beliebigen Mikroorganismen an. Von den vielen Stämmen, die in den Gewässern vor Hawaii vorkommen, können nach Hadfields Befunden nur wenige die Metamorphose in Gang setzen, und nur ein einziger tut es sehr energisch. Sein Name ist ein wahrer Zungenbrecher: Pseudoalteromonas luteoviolacea. Glücklicherweise nennt Hadfield ihn einfach P-luteo. Mehr als jede andere Mikroorganismenart kann diese die Wurmlarven hervorragend in ausgewachsene Würmer verwandeln. Ohne die Bakterien würden die Würmer ihren ausgereiften Zustand niemals erreichen.16

Und sie sind nicht die Einzigen, denen es so ergeht. Auch manche Schwammlarven lassen sich auf Oberflächen hinuntersinken und verwandeln sich, wenn sie mit Bakterien zusammentreffen. Das Gleiche tun Muscheln, Rankenfußkrebse, Seescheiden und Korallen. Auch Austern stehen auf der Liste – tut mir leid, Aristoteles. Hydractinia, eine mit Tentakeln ausgestattete Verwandte der Quallen und Seeanemonen, geht in den ausgewachsenen Zustand über, wenn sie mit Bakterien in Kontakt kommt, die auf den Gehäusen von Einsiedlerkrebsen leben. In den Ozeanen wimmelt es von Tierbabys, die ihren Lebenszyklus nur im Zusammenspiel mit Bakterien vollenden können, und oft insbesondere mit P-luteo.17

Was würde geschehen, wenn es diese Mikroorganismen plötzlich nicht mehr gäbe? Würden alle genannten Tiere aussterben, weil sie nicht mehr heranreifen und sich fortpflanzen können? Würden die Korallenriffe – die reichhaltigsten Ökosysteme im Meer – sich nicht mehr bilden, wenn bakterielle Kundschafter nicht zuerst die richtigen Oberflächen finden? »Ich glaube, etwas so Großspuriges habe ich nie behauptet«, sagt Hadfield mit der typischen Vorsicht des Wissenschaftlers. Dann aber fügt er zu meiner Überraschung hinzu: »Aber man könnte es durchaus so sagen. Sicher braucht nicht jede Larve im Meer einen Reiz in Form von Bakterien, und es gibt da draußen unzählige Larven, die man noch nie untersucht hat. Aber unter den Röhrenwürmern und Korallen und Seeanemonen und Rankenfußkrebsen und Moostierchen und Schwämmen … eine ellenlange Liste – unter all diesen Gruppen gibt es Beispiele dafür, dass der Schlüssel bei Bakterien liegt.«

Auch hier könnte man fragen: Warum verlassen sich die Tiere auf Hinweise von Bakterien? Möglicherweise können sich die Larven mithilfe der Mikroorganismen auf einer Oberfläche besser festhalten, oder die Mikroorganismen stellen Moleküle bereit, die Krankheitserreger in Schach halten. Aber Hadfield glaubt, dass ihr Nutzen schlichter ist. Ein Biofilm liefert der Tierlarve wichtige Informationen. Er besagt, dass es erstens eine feste Oberfläche gibt, die zweitens schon seit einiger Zeit dort vorhanden ist, drittens nicht giftig ist und viertens genug Nährstoffe enthält, um Mikroorganismen zu versorgen. Gründe genug, sich niederzulassen. Die bessere Frage würde lauten: Warum sollte man sich nicht auf Hinweise von Bakterien verlassen? Oder noch besser: Welche andere Wahl hat man? »Als die Larven der ersten Meerestiere bereit waren, sich niederzulassen, gab es keine sauberen Oberflächen«, sagt Hadfield im Anklang an Rawls und King. »Sie waren alle von Bakterien bedeckt. Da ist es nicht verwunderlich, dass Unterschiede in diesen Bakteriengemeinschaften der ursprüngliche Anhaltspunkt für das Sesshaftwerden waren.«

Sowohl Kings Choanos als auch Hadfields Würmer sind ausgezeichnet auf die Mikroorganismen abgestimmt und werden von ihnen auf dramatische Weise verändert. Ohne Bakterien wären die geselligen Choanos für alle Zeiten Einzelgänger, und die Wurmlarven würden immer unreif bleiben. Beide sind wunderschöne Beispiele dafür, wie gründlich Mikroben den Körperbau von Tieren (oder der Vettern von Tieren) formen können. Und doch handelt es sich hier nicht um Symbiosen im klassischen Sinn. Die Würmer nehmen P-luteo nicht in ihren Körper auf, und offensichtlich interagieren sie mit dem Bakterium auch nicht mehr, wenn sie ausgewachsen sind. Es ist eine vor -übergehende Beziehung. Sie gleichen Touristen, die sich bei Passanten nach dem Weg erkundigen und dann weitergehen. Andere Tiere aber gehen mit Mikroorganismen auch dauerhafte Beziehungen ein, die von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt sind.

Ein solches Tier ist der Plattwurm Paracatenula. Dieses winzige Geschöpf, das auf der ganzen Welt in warmen Meeressedimenten lebt, treibt die Symbiose ins Extrem. Sein Körper ist ungefähr einen Zentimeter lang und besteht zu fast 50 Prozent aus bakteriellen Symbionten. Sie sind im Trophosom verpackt, einem Körperhohlraum, der den Wurm fast zu 90 Prozent ausfüllt. Hinter dem Gehirn befinden sich praktisch nur noch Mikroben oder ihre Lebensräume. Harald Gruber-Vodicka, der diese Plattwürmer erforscht, bezeichnet die Bakterien als Motor und Batterie: Sie versorgen den Wurm mit Energie und speichern sie in Form von Fetten und Schwefelverbindungen. Diese Speicher verleihen dem Plattwurm seine leuchtend weiße Farbe. Außerdem liefern sie den Antrieb für seine ungewöhnlichste Fähigkeit: Paracatenula ist ein Meister der Regeneration.18 Schneidet man ihn in der Mitte durch, werden beide Teile wieder zu vollständig funktionsfähigen Tieren. An der hinteren Hälfte wächst sogar ein neuer Kopf mit einem Gehirn. »Wenn man sie klein hackt, kann man zehn von ihnen bekommen«, sagt Gruber-Vodicka. »Genau das tun sie wahrscheinlich in der Natur. Sie werden immer länger, dann bricht ein Ende ab, und es sind zwei.« Diese Fähigkeit ist vollständig vom Trophosom, den darin lebenden Bakterien und der von ihnen gespeicherten Energie abhängig. Solange ein Bruchteil des Plattwurms eine ausreichende Zahl von Symbionten enthält, kann daraus wieder das ganze Tier werden. Sind zu wenig Symbionten vorhanden, stirbt es. Was das bedeutet, widerspricht der Intuition: Der einzige Teil des Plattwurms, der sich nicht regenerieren kann, ist der bakterienfreie Kopf. Am Schwanz wächst ein neues Gehirn, aber das Gehirn allein bringt keinen Schwanz hervor.

Die Partnerschaft von Paracatenula mit den Mikroorganismen ist typisch für das gesamte Tierreich, Sie und mich eingeschlossen. Wir mögen nicht über die wundersamen Selbstheilungskräfte des Plattwurms verfügen, aber auch wir beherbergen Mikroorganismen im Inneren unseres Körpers und stehen während unseres gesamten Lebens mit ihnen in Wechselbeziehung. Anders als Hadfields Röhrenwürmer, deren Körperbau sich durch Bakterien aus der Umwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben verändert, wird unser Körper durch die Bakterien in uns ständig neu aufgebaut und umgeformt. Unsere Beziehung zu ihnen ist kein einmaliger Austausch, sondern ein ständiges Aushandeln.

Wie wir bereits erfahren haben, wirken sich Mikroorganismen auf die Entwicklung des Darms und anderer Organe aus, aber auch nachdem diese Aufgabe erledigt ist, kommen sie nicht zur Ruhe. Den Körper eines Tieres in Gang zu halten, erfordert Arbeit. Oder, mit den Worten von Oliver Sacks: »Nichts ist für das Überleben und die Unabhängigkeit von Lebewesen – seien es nun Elefanten oder Protozoen – von größerer Bedeutung als die Aufrechterhaltung einer gleichbleibenden inneren Umwelt.«19 Und dafür sind Mikroorganismen unentbehrlich. Sie wirken sich auf die Fettspeicherung aus. Sie tragen dazu bei, dass die innere Auskleidung des Darms und die Hautoberfläche sich erneuern können, indem geschädigte und abgestorbene Zellen durch neue ersetzt werden. Sie sorgen für die Unversehrtheit der Blut-Hirn-Schranke, eines Geflechts aus dicht gedrängten Zellen, das Nährstoffe und kleine Moleküle vom Blut ins Gehirn passieren lässt, größeren Molekülen und lebenden Zellen aber den Weg versperrt. Und sie beeinflussen sogar den unaufhörlichen Umbau des Skeletts, in dessen Verlauf frische Knochenmasse eingelagert und altes Material resorbiert wird.20

Nirgendwo ist dieser ständige Einfluss deutlicher zu erkennen als im Immunsystem, den Zellen und Molekülen, die gemeinsam unseren Organismus vor Infektionen und anderen Gefahren schützen. Dieses System ist höllisch kompliziert. Man kann sich eine riesige Wundermaschine à la Rube Goldberg vorstellen, die aus einer scheinbar endlosen Anordnung von Bestandteilen besteht, und diese Bestandteile erzeugen einander, lösen einander aus und geben sich gegenseitig Signale. Nun stellen wir uns die gleiche Maschine als knarrendes, halb fertiges Chaos vor, in dem jedes Einzelteil nur halb ausgebildet, in zu geringer Zahl vorhanden oder falsch verdrahtet ist. So sieht das Immunsystem eines keimfreien Tieres aus. Das ist der Grund, warum ein solches Tier »für Infektionen aller Art anfällig [ist] … das Tier verharrt in einem infantilen Unreifestadium und ist den Gefahren der Welt nicht gewachsen«, wie Theodor Rosebury es formulierte.21

Wie wir daran ablesen können, stellt das Genom eines Tieres nicht alles bereit, das dafür notwendig ist, dass ein ausgereiftes Immunsystem entstehen kann. Es bedarf auch des Beitrag eines Mikrobioms.22 In Hunderten von Fachartikeln wurde an ganz unterschiedlichen biologischen Arten – beispielsweise Mäusen, Tsetsefliegen und Zebrafischen – gezeigt, dass Mikroben in irgendeiner Form dazu beitragen, das Immunsystem zu formen. Sie haben Einfluss auf die Entstehung ganzer Klassen von Immunzellen und auf die Entwicklung von Organen, die solche Zellen herstellen und speichern. Besonders wichtig sind sie im Frühstadium des Lebens, wenn der Immunapparat zum ersten Mal aufgebaut wird und sich auf die große, böse Welt einstellt. Und auch wenn die Maschine erst einmal läuft, stimmen Mikroorganismen ihre Reaktionen weiterhin auf Gefahren ab.23

Ein gutes Beispiel sind Entzündungen: Bei diesen Abwehrreaktionen eilen Immunzellen an den Ort einer Verletzung oder Infektion, was zu Schwellungen, Rötungen und Wärmeentwicklung führt. Sie tragen entscheidend dazu bei, den Körper vor Gefahren zu schützen; ohne Entzündungen wären wir von Infektionen durchsetzt. Zum Problem wird eine Entzündung, wenn sie sich im ganzen Körper ausbreitet, zu lange andauert oder schon bei der geringsten Provokation in Gang kommt: Dann führt sie zu Asthma, Arthritis und anderen entzündlichen Erkrankungen oder Autoimmunkrankheiten. Eine Entzündung muss also zum richtigen Zeitpunkt ausgelöst und angemessen gesteuert werden. Ihre Unterdrückung ist ebenso wichtig wie ihre Aktivierung. Für beides sorgen Mikroorganismen. Manche Arten regen die Produktion kämpferischer, entzündungsfördernder Immunzellen an, andere lassen besänftigende, entzündungshemmende Zellen entstehen.24 Gemeinsam versetzen sie uns in die Lage, auf Gefahren zu reagieren, ohne aber die Reaktion zu weit zu treiben. Ohne sie geht dieses Gleichgewicht verloren; das ist der Grund, warum keimfreie Mäuse sowohl für Infektionen als auch für Autoimmunkrankheiten anfällig sind: Sie können weder eine angemessene Immunantwort aufbauen, wenn sie notwendig ist, noch in ruhigeren Zeiten eine unangemessene Antwort abwehren.

Halten wir hier einmal inne und überlegen wir, wie seltsam das alles ist. Die traditionelle Sicht auf das Immunsystem steckt voller militärischer Metaphern und feindseliger Formulierungen. Wir halten es für eine Abwehrstreitmacht, die das Selbst (unsere eigenen Zellen) vom Nichtselbst (Mikroorganismen und allem anderen) unterscheidet und Letzteres ausrottet. Und jetzt erfahren wir, dass Mikroorganismen unser Immunsystem überhaupt erst zusammenbauen und abstimmen!

Betrachten wir als Beispiel einmal das verbreitete Darmbakterium mit dem Namen Bacteroides fragilis oder »B-frag«. Wie Sarkis Mazmanian im Jahr 2002 zeigen konnte, beseitigt gerade dieser Mikroorganismus in keimfreien Mäusen einige Störungen des Immunsystems. Insbesondere stellt er eine ausgewogene Menge an T-Helferzellen wieder her, einer unentbehrlichen Klasse von Immunzellen, die den ganzen übrigen Apparat antreiben und koordinieren.25 Um das herauszufinden, brauchte Mazmanian nicht einmal den vollständigen Mikroorganismus. Er wies nach, dass eine einzige Zuckerverbindung auf seiner Außenhaut, das Polysaccharid A (PSA), ganz allein die Anzahl der T-Helferzellen erhöhen konnte. Damit hatte zum ersten Mal jemand gezeigt, dass ein einziger Mikroorganismus – nein, ein einziger von diesem Mikroorganismus produzierter Molekültyp – eine bestimmte Immunstörung beseitigen kann. Später wies Mazmanians Arbeitsgruppe nach, dass PSA zumindest bei Mäusen auch entzündliche Krankheiten wie Colitis (Darmentzündungen) und Multiple Sklerose (die Nervenzellen schädigt) verhindern und heilen kann.26 Diese Krankheiten sind auf eine Überreaktion des Immunsystems zurückzuführen; PSA sorgt für Ruhe und damit für Gesundheit.

Aber denken wir daran: PSA ist ein Bakterienmolekül, und damit gehört es zu den Substanzen, die das Immunsystem der herkömmlichen Weisheit zufolge als Gefahr einstufen sollte. PSA sollte Entzündungen auslösen. In Wirklichkeit tut es das Gegenteil: Es dämpft Entzündungen und beruhigt das Immunsystem. Mazmanian bezeichnet es als »Symbiosefaktor« – es ist eine chemische Nachricht des Mikroorganismus an den Wirt, und sie besagt: Ich komme in friedlicher Absicht.27 Damit ist eindeutig gezeigt, dass das Immunsystem nicht aufgrund einer angeborenen festen Verdrahtung den Unterschied zwischen harmlosen Symbionten und bedrohlichen Krankheitserregern kennt. In diesem Fall macht erst der Mikroorganismus die Unterscheidung möglich.

Wie können wir da das Immunsystem noch als Armee zerstörerischer Truppen betrachten, die kriegslüstern darauf aus sind, Mikroorganismen zu vernichten? Ganz offensichtlich ist die Sache komplizierter. Das System kann im eigenen Körper auf katastrophale Weise hochkochen, beispielsweise bei Autoimmunkrankheiten wie Diabetes des Typs 1 oder Multipler Sklerose. Andererseits köchelt es in Gegenwart unzähliger einheimischer Mikroorganismen wie B-frag sanft vor sich hin. Es ist also meines Erachtens zutreffender, das Immunsystem als eine Gruppe von Rangern zu sehen, als Ökosystem-Manager in einem Nationalpark. Sie müssen die Zahl der dort ansässigen Arten genau kontrollieren und problematische Eindringlinge vertreiben.

Aber die Sache hat noch einen weiteren Dreh: Die Bewohner des Parks haben die Ranger überhaupt erst eingestellt. Sie haben ihren Wärtern gesagt, für welche Arten sie sorgen und welche sie vertreiben sollen. Außerdem produzieren sie ständig Substanzen wie PSA, die mit darüber bestimmen, wie aufmerksam und reaktionsfähig die Wärter sind. Das Immunsystem ist nicht nur ein Mittel, um Mikroorganismen unter Kontrolle zu halten. Es wird zumindest teilweise auch von Mikroorganismen kontrolliert. Damit ist es schlicht ein weiterer Weg, auf dem unsere Vielheiten für die Erhaltung unseres Körpers sorgen.

Wenn wir eine Liste aller Arten in einem bestimmten Mikrobiom zusammenstellen, wissen wir, wer alles dazugehört. Eine Liste aller Gene in diesen Mikroorganismen zeigt, wozu sie in der Lage sind.28 Zählt man aber alle Substanzen auf, die von den Mikroorganismen produziert werden – ihre Stoffwechselprodukte –, können wir daraus ablesen, was diese Arten tatsächlich tun. Eine Reihe solcher Substanzen haben wir bereits kennengelernt, so den Symbiosefaktor PSA und die beiden von McFall-Ngai nachgewiesenen MAMPs, die Einfluss auf Tintenfische haben. Es gibt aber noch Hunderttausende weitere, und mit der Beantwortung der Frage, was sie alle tun, stehen wir erst ganz am Anfang.29 Diese Substanzen sind das Mittel, durch das Tiere mit ihren Symbionten in Austausch treten. Viele Wissenschaftler bemühen sich heute darum, bei diesem Austausch mitzuhören – und nicht nur sie. Die von Mikroorganismen produzierten Moleküle können den Körper ihres Wirtes auch verlassen, durch die Luft treiben und Nachrichten über größere Entfernungen transportieren. Solche Verlautbarungen kann man riechen, wenn man sich in die Savannen Afrikas aufmacht.

Unter allen großen Raubtieren Afrikas sind die Tüpfelhyänen die geselligsten. Zu einem Löwenrudel können bis zu einem Dutzend Individuen gehören, in einer Hyänensippe sind es vierzig bis achtzig. Nicht alle halten sich ständig am selben Ort auf: Im Laufe des Tages bilden sich immer wieder kleine Untergruppen, die sich später auflösen. Wegen dieser Dynamik sind die Hyänen großartige Forschungsobjekte für angehende Freilandbiologen. »Man kann auch Löwen im Freiland beobachten, aber sie liegen nur herum. Oder man arbeitet jahrelang mit Wölfen und sieht immer nur ihre Exkremente oder hört sie heulen«, sagt der hyänenbegeisterte Kevin Theis. »Aber bei den Hyänen … da gibt es Begrüßung, Rückkehr, Signale für Dominanz oder Unterwerfung. Jungtiere bemühen sich darum, ihren Platz in der Sippe zu finden, zugewanderte Männchen verschaffen sich einen Überblick darüber, wer alles dazugehört. Ihr Sozialleben ist um ein Vielfaches komplizierter.«

Diese Komplexität meistern die Hyänen mit einem breiten Repertoire verschiedener Signale, und manche davon sind chemischer Natur. Eine Tüpfelhyäne stellt sich beispielsweise breitbeinig über einen Grashalm und fährt an der Hinterseite eine Duftdrüse aus. Sie zieht die Drüse über den Grashalm und hinterlässt eine dünne Paste. Deren Farbe schwankt zwischen schwarz und orange, die Konsistenz von pulverig bis flüssig. Und der Geruch? »Für mich riecht es wie gärender Mulch, andere riechen auch Cheddarkäse oder billige Seife«, sagt Theis.

Er hatte sich schon seit einigen Jahren mit der Paste beschäftigt, da fragte ihn ein Kollege, ob Bakterien zu ihrem Geruch beitragen könnten. Theis war wie vor den Kopf geschlagen. Dann stellte er fest, dass andere Wissenschaftler schon in den 1970er-Jahren auf die gleiche Idee gekommen waren: Sie vertraten die Ansicht, dass Bakterien in den Duftdrüsen vieler Säugetiere vorhanden sind, wo sie Fette oder Proteine vergären und dabei Geruchsmoleküle an die Luft abgeben. Unterschiedliche Mikroorganismen seien möglicherweise die Erklärung dafür, warum verschiedene Tierarten ihren eigenen, charakteristischen Duft verströmen – wir erinnern uns an den Binturong aus dem Zoo von San Diego mit seinem Popcornduft.30 Möglicherweise dienten sie auch als Erkennungszeichen – sie geben Informationen über die Gesundheit oder die Stellung ihres Wirtes preis. Und wenn die Tiere spielen, sich drängeln und paaren, tauschen sie möglicherweise Mikroben aus, die ihnen einen charakteristischen Gruppengeruch verleihen.

Die Hypothese war plausibel, aber sie zu belegen, erwies sich als schwierig. Das Problem hatte Theis, dem nun genetische Hilfsmittel zur Verfügung standen, einige Jahrzehnte später nicht mehr. In Kenia sammelte er Proben der Paste aus den Drüsen von dreiundsiebzig betäubten Hyänen. Als er die DNA der darin enthaltenen Mikroorganismen sequenzierte, fand er mehr Bakterienarten als in allen bisherigen Übersichtsuntersuchungen zusammen. Außerdem zeigte er, dass die Bakterien und die von ihnen produzierten Substanzen sich bei Tüpfel- und Streifenhyänen unterscheiden, aber auch bei Hyänen aus verschiedenen Sippen, zwischen Männchen und Weibchen sowie zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Tieren.31 Aufgrund dieser Unterschiede kann die Paste als eine Art chemisches Graffiti dienen: Sie zeigt, wer sie hinterlassen hat, zu welcher Art er gehört, wie alt er ist und ob er zur Paarung zur Verfügung steht. Indem die Hyänen ihre duftenden Mikroorganismen auf Grashalmen hinterlassen, verbreiten sie ihre persönlichen Tags und Markierungen in der ganzen Savanne.

Das alles sind bislang noch Hypothesen. »Wir müssen das Duft-Mikrobiom abwandeln und herausfinden, ob sich dann auch das Duftprofil verändert«, sagt Theis. »Anschließend müssen wir nachweisen, dass die Hyänen auf eine solche Duftveränderung aufmerksam werden und darauf reagieren.« Mittlerweile haben andere Wissenschaftler ähnliche Muster auch in den Duftdrüsen und im Urin weiterer Säugetiere gefunden, so bei Elefanten, Erdmännchen, Dachsen, Mäusen und Fledermäusen. Der Duft eines alten Erdmännchens unterscheidet sich vom Eau de Jungchen. Der Gestank eines Elefantenmännchens ist anders als der eines Weibchens.

Und dann sind da noch wir. Die Achselhöhle eines Menschen ist der Duftdrüse einer Hyäne nicht unähnlich – warm, feucht und reich an Bakterien. Jede Mikrobenspezies schafft ihre eigenen Duftnoten. Corynebacterium erzeugt aus Schweiß eine Substanz, die wie Zwiebeln riecht, und die Produkte, die es aus Testosteron herstellt, duften je nach den Genen dessen, der daran schnuppert, nach Vanille, Urin oder gar nichts. Sind diese Düfte nützliche Signale? Ganz offensichtlich! Das Mikrobiom der Achselhöhle ist erstaunlich stabil – und die Gerüche unserer Achselhöhle auch. Jeder Mensch hat seine eigene, charakteristische Duftnote, und in mehreren Experimenten konnten Freiwillige verschiedene Menschen am Geruch ihrer T-Shirts unterscheiden. Es gelang ihnen sogar, eineiige Zwillinge anhand ihres Geruchs also solche zu erkennen. Vielleicht beziehen auch wir wie die Hyänen manche Informationen über andere Menschen, indem wir die Nachrichten erschnuppern, die von unseren Mikroorganismen ausgesandt werden. Und das gibt es nicht nur bei Säugetieren. Die Darmbakterien der Wüstenheuschrecken produzieren Teile des »Versammlungspheromons«, das die ansonsten allein lebenden Insekten zur Bildung von Schwärmen veranlasst, die den Himmel verdunkeln können. Deutsche Schaben werden von ihren Darmbakterien dazu veranlasst, sich auf ekelerregende Weise um die Exkremente ihrer Artgenossen zu versammeln. Und die großen Insekten der Spezies Thasus californicus, die im Südwesten Nordamerikas zu Hause ist, verlassen sich auf ein von ihren Symbionten hergestelltes Alarm-Pheromon, mit dem sie sich gegenseitig vor Gefahren warnen.32

Warum lassen Tiere solche chemischen Signale von Mikroorganismen produzieren? Theis nennt dafür den gleichen Grund wie Rawls, King und Hadfield: Es ist unvermeidlich. Alle Oberflächen sind von Mikroben bevölkert, die flüchtige Substanzen abgeben. Wenn sich in solchen chemischen Hinweisen eine Eigenschaft widerspiegelt, die zu kennen nützlich ist – wie beispielsweise das Geschlecht, die Kraft oder die Fruchtbarkeit –, entwickeln sich bei dem Wirtstier unter Umständen Duftorgane, die diese besonderen Mikroorganismen ernähren und beherbergen. Irgendwann verwandeln sich dann die unwillkürlichen Hinweise in vollständig ausgeprägte Signale. Wenn Mikroorganismen solche Nachrichten produzieren, die durch die Luft weitergegeben werden, können sie also das Verhalten von Tieren beeinflussen, die weit von ihrem eigentlichen Wirt entfernt sind. Und wenn das stimmt, sollte es uns nicht verwundern zu hören, dass sie auch auf kürzere Entfernung das Tierverhalten bestimmen können.

Im Jahr 2001 spritzte der Neurowissenschaftler Paul Patterson trächtigen Mäusen eine Substanz, die eine Virusinfektion nachahmt und eine Immunantwort auslöst. Die Mäuse brachten gesunde Jungtiere zur Welt, aber als die Kleinen zu ausgewachsenen Tieren heranwuchsen, bemerkte Patterson in ihrem Verhalten interessante Besonderheiten. Mäuse betreten von Natur aus nur widerwillig offene Flächen, bei diesen Mäusen aber war diese Tendenz besonders stark ausgeprägt. Außerdem ließen sie sich leicht durch laute Geräusche verwirren. Sie kraulten sich immer wieder selbst oder bemühten sich wiederholt, einen Kieselstein zu vergraben. Sie waren weniger kommunikativ als ihresgleichen und mieden soziale Kontakte. Ängstlichkeit, Bewegungswiederholungen, soziale Probleme: Patterson erkannte bei den Mäusen einen Anklang an zwei Gesundheitsstörungen des Menschen, nämlich Autismus und Schizophrenie. Die Ähnlichkeiten kamen nicht ganz unerwartet. Patterson hatte gelesen, dass schwangere Frauen, die an schweren Infektionen wie Grippe oder Masern leiden, häufiger Kinder mit Autismus und Schizophrenie zur Welt bringen. Deshalb kam ihm der Gedanke, dass die Immunantwort der Mutter sich in irgendeiner Form auf die Gehirnentwicklung beim Baby auswirken könnte. Er wusste nur noch nicht, wie.33

Der Groschen fiel erst einige Jahre später, als Patterson mit seinem Kollegen Sarkis Mazmanian, der die entzündungshemmende Wirkung des Darmbakteriums B-frag entdeckt hatte, beim Mittagessen saß. Gemeinsam erkannten die beiden Wissenschaftler, dass sie zwei Seiten derselben Medaille betrachtet hatten. Mazmanian hatte gezeigt, dass die Darmbakterien das Immunsystem beeinflussen, und Patterson hatte festgestellt, dass das Immunsystem sich auf das entstehende Gehirn auswirkt. Nun wurde ihnen klar, dass Pattersons Mäuse noch etwas anderes mit autistischen Kindern gemeinsam hatten: Darmprobleme. Sowohl die einen als auch die anderen litten häufiger an Durchfall und anderen Verdauungsstörungen, und in beiden waren ungewöhnliche Gemeinschaften von Darm-Mikroorganismen zu Hause. Vielleicht, so überlegten die beiden Wissenschaftler, wirkten diese Mikroorganismen sich sowohl bei Mäusen als auch bei Kindern irgendwie auf das Verhalten aus? Und würde sich vielleicht ein Verhalten ändern, wenn man die Darmprobleme in Ordnung brachte?

Um diesen Gedanken zu überprüfen, fütterten die beiden Pattersons Mäuse mit B-frag.34 Das hatte verblüffende Folgen: Die Nage tiere wurden plötzlich neugieriger, ließen sich weniger leicht beunruhigen, neigten weniger zu Bewegungswiederholungen und waren kommunikativer. Zwar zögerten sie immer noch, sich anderen Mäusen zu nähern, aber in allen übrigen Aspekten hatte B-frag die Veränderungen, die auf die Immunantwort der Mutter zurückzuführen waren, rückgängig gemacht.

Aber wie? Und warum? Die vielleicht stichhaltigste Vermutung: Indem die Wissenschaftler bei den schwangeren Müttern eine Virusinfektion nachahmten, hatten sie eine Immunantwort ausgelöst, die den Nachkommen einen übermäßig durchlässigen und mit einer ungewöhnlichen Kombination von Mikroorganismen besiedelten Darm beschert hatte. Die Mikroben produzierten Substanzen, die ins Blut gelangten und ins Gehirn wanderten, wo sie untypische Verhaltensweisen verursachten. Der Hauptschuldige ist dabei ein Giftstoff namens 4-ethylphenylsulfat (4EPS), der bei ansonsten gesunden Tieren Angstzustände auslösen kann. Das B-frag, das die Mäuse geschluckt hatten, dichtete ihren Darm ab und blockierte den Übergang von 4EPS (und anderen Substanzen) ins Gehirn, sodass die atypischen Symptome verschwanden.

Patterson starb 2014, aber Mazmanian führt die Arbeiten seines Freundes bis heute weiter. Langfristig will er ein Bakterium entwickeln, das Menschen einnehmen können, um damit einige besonders schwere Symptome des Autismus unter Kontrolle zu bringen. Bei diesem Bakterium könnte es sich um B-frag handeln: Bei den Mäusen erfüllt es seine Funktion und es ist zufällig auch der Mikroorganismus, der im Darm von Menschen mit Autismus am stärksten Mangelware ist. Eltern autistischer Kinder, die etwas über Mazmanians Arbeit lesen, fragen regelmäßig per E-Mail an, wo sie das Bakterium bekommen können. Viele solche Eltern geben ihren Kindern bereits probiotische Produkte gegen die Darmprobleme, und manche von ihnen behaupten, sie hätten auch beim Verhalten eine Verbesserung beobachtet. Mazmanian will die Einzelfallberichte jetzt mit handfesten klinischen Befunden untermauern. Er ist optimistisch.

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