Kitabı oku: «DER RITTER VON TORN», sayfa 3
Im Handumdrehen hatte de Vac ihn entwaffnet, aber entgegen den Gesetzen der Ritterlichkeit senkte er die Spitze seiner Klinge erst, nachdem sie das Herz seines tapferen Gegners durchbohrt hatte. Dann sprang er mit einem Satz zwischen Lady Maud und das Tor, sodass diese nicht in den Garten zurücklaufen und Alarm schlagen konnte.
Immer noch das zitternde Kind in seinem eisernen Griff packend, stand er der Hofdame gegenüber und versperrte ihr den Weg.
»Mon Dieu, Sir Jules«, rief sie, »Seid Ihr des Wahnsinns?«
»Nein, Mylady«, antwortete er, »aber ich hatte nicht damit gerechnet, das tun zu müssen, was jetzt unausweichlich ist. Warum habt ihr nicht den Mund gehalten und das Schicksal des kleinen Prinzen in die Hand seines Schutzpatrons gelegt? Euer übereiltes Handeln hat uns in eine schöne Sackgasse geführt, denn es heißt nun entweder Ihr oder ich, Mylady, und ich kann’s nicht leiden. Sprecht Eure Gebete, und macht Euch bereit zu sterben.«
Heinrich III., König von England, saß in seinem Ratssaal, umgeben von den großen Herren und Adligen, die sein Gefolge darstellten. Er erwartete Simon de Montfort, Graf von Leicester, den er herbeigerufen hatte, um ihm noch weitere Demütigungen zu erteilen, mit der Absicht, ihn so zu erniedrigen und zu entehren, dass er England für immer den Rücken kehrte. Der König fürchtete diesen mächtigen Verwandten, der ihm so mutig vor den Torheiten warnte, die sein Königreich an den Rand des Aufstands brachten.
Was das Ergebnis dieser Audienz gewesen wäre, lässt sich nicht sagen, denn Leicester war gerade erst eingetreten und hatte seinem Herrscher gehuldigt, als es zu einer Störung kam, welche die kleinen Streitigkeiten von König und Höfling in einer gemeinsamen Sorge ertränkte, die die Herzen aller berührte.
Auf der einen Seite des Saales brach eine Unruhe aus, die Reihen teilten sich, und Eleanor, Königin von England, stolperte auf den Thron zu. Tränen strömten über ihre bleichen Wangen.
»Oh, mein Gott! Mylord«, rief sie, »Richard, unser Sohn, ist ermordet und in die Themse geworfen worden.«
In einem Augenblick herrschte Verwirrung und Aufruhr, und nur unter größten Schwierigkeiten erhielt der König schließlich eine stimmige Aussage von seiner Königin.
Wie es schien, war die Königin benachrichtigt worden, als Lady Maud nicht zur üblichen Zeit mit Prinz Richard in den Palast zurückgekehrt war, und man hatte sofort eine Suche eingeleitet – eine Suche, die über zwanzig Jahre andauern sollte; aber die ersten Ergebnisse davon ließen die Herzen des Hofes zu Stein werden. Denn bei dem offenen Hintertor lagen die Leichen Lady Mauds und eines gewissen Hauptmanns der Wache, aber nirgendwo gab es ein Zeichen oder eine Spur von Prinz Richard, dem zweiten Sohn von Heinrich III. von England und damals jüngstem Prinzen des Königreiches.
Es dauerte zwei Tage, bis die Abwesenheit de Vacs bemerkt wurde, und daraufhin erinnerte einer der Höflinge den König an die Episode des Fechtkampfes, und ein Motiv für die Entführung des kleinen Königssohnes wurde offensichtlich.
Ein Dekret wurde erlassen, das die Untersuchung jedes Kindes in England vorschrieb; denn auf der linken Brust des kleinen Prinzen befand sich ein Muttermal, das einer Lilie ähnelte. Und als nach einem Jahr kein Kind gefunden wurde, das ein solches Zeichen trug, und sich keine Spur von de Vac fand, wurde die Suche nach Frankreich ausgedehnt; noch wurde sie über mehr als zwanzig Jahre jemals ganz aufgegeben.
Die erste Theorie, dass es sich um ein Attentat gehandelt habe, wurde bei näherer Überlegung bald aufgegeben, denn es war offensichtlich, dass ein Attentäter sich ebenso des kleinen Prinzen hätte entledigen können, als er Lady Maud und ihren Liebhaber tötete, wenn dies sein Bestreben gewesen wäre.
Der Eifrigste bei der Suche nach Prinz Richard war Simon de Montfort, Graf von Leicester, der seinem königlichen Neffen stets eine solche Zuneigung entgegengebracht hatte, dass sie auch dem Hofstaat des Königs nicht verborgen geblieben war.
So wurde fürs Erste der Bruch zwischen de Montfort und seinem König gekittet, und obwohl der große Adlige seiner Herrschaft in der Gascogne beraubt wurde, erlitt er wenig weitere Unbill durch seinen königlichen Herrn.
Viertes Kapitel
Als de Vac sein Schwert aus Lady Mauds Herz zog, schauderte ihn, denn so gnadenlos er auch war, war er doch vor dieser grausamen Tat zurückgeschreckt. Doch er war zu weit gegangen, um jetzt einen Rückzieher zu machen, und hätte er Lady Maud am Leben gelassen, dann wären ihm in zehn Minuten die gesamte Palastwache und die ganze Stadt London auf den Fersen gewesen; es hätte kein Entkommen gegeben.
Der kleine Prinz war nun so verängstigt, dass er nur noch zittern und wimmern konnte. Der schreckliche de Vac machte ihm so große Angst, dass eine Drohung mit dem Tod seine Zunge mühelos zum Schweigen brachte, und so führte ihn der grimmige alte Mann zu dem Boot, das tief in den dichten Büschen versteckt war.
De Vac wagte es nicht, bis zum Einbruch der Dunkelheit in diesem Versteck zu bleiben, wie er es zuerst beabsichtigt hatte. Stattdessen zog er ein schmutziges, zerlumptes Kleid aus dem Bündel unter der Ruderbank und verkleidete sich damit als alte Frau und zog ein leinenes Tuch tief über Kopf und Stirn, um seine kurzen Haare zu verstecken. Er verbarg das Kind unter den anderen Kleidungsstücken, stieß vom Ufer ab und ruderte, wobei er sich immer nahe am Ufer hielt, die Themse hinunter zu dem alten Dock, wo er in der vergangenen Nacht sein Boot versteckt hatte. Er erreichte sein Ziel unbemerkt und trieb das Boot unter den Steg und weit in die dunkle Tiefe des höhlenartigen Unterschlupfs hinein.
Hier beschloss er, sich zu verstecken, bis es dunkel wurde; denn er wusste, dass die Suche nach dem verschwundenen kleinen Prinzen jeden Moment beginnen würde und dass niemand die Straßen Londons betreten konnte, ohne sich einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.
De Vac nutzte die erzwungene Wartezeit, um den Prinzen auszuziehen und ihn in andere Kleidungsstücke zu stecken, die in das Bündel unter der Ruderbank eingewickelt gewesen waren, einen kleinen roten Wollkittel mit passender Hose, ein schwarzes Diplett und ein winziges Lederwams und eine Lederkappe.
Die weggeworfene Kleidung des Prinzen wickelte er um einen großen Stein, den er aus dem zerfallenden Mauerwerk der Flussmauer brach, und versenkte das Bündel im schweigenden Fluss.
Der Prinz hatte inzwischen wieder etwas von seiner früheren Selbstsicherheit zurückgewonnen, und als er feststellte, dass de Vac nicht vorhatte, ihm zu schaden, begann der kleine Kerl, als sein kindliches Staunen über dieses seltsame Abenteuer die Oberhand über seine frühere Besorgnis gewann, seinen grimmigen Gefährten zu befragen.
»Was machen wir hier, Sir Jules?«, fragte er. »Bringt mich zurück zum König, dem Palast meines Vaters! Ich mag weder dieses dunkle Loch noch die seltsamen Kleider, die du mir angezogen hast.«
»Sei still, Junge!«, befahl der alte Mann. »Sir Jules ist tot, und du bist nicht mehr der Sohn eines Königs. Merke dir das gut, und sprich mich nie wieder mit Sir Jules an und nenn dich nie wieder einen Prinzen.«
Der Junge schwieg, wieder eingeschüchtert durch den heftigen Ton seines Entführers. Alsdann begann er zu wimmern, denn er war müde und hungrig und verängstigt – nur ein armes kleines Kind, hilflos und hoffnungslos in den Händen dieses grausamen Feindes. All seine edle Herkunft war zusammenmit der Pracht seiner fürstlichen Kleider im dicken Schlamm auf dem Grund der Themse versunken. Und so fiel er bald auf dem Boden des Bootes in einen unruhigen Schlaf.
Als die Dunkelheit hereingebrochen war, schob de Vac das Boot nach außen an die Seite des Docks und nahm das schlafende Kind auf die Arme. Einen Moment blieb er lauschend stehen, um sich auf den Weg durch die Gasse vorzubereiten, die zu Tils Behausung führte.
Als er so dastand, drang das leise Geräusch einer klirrenden Rüstung an seine gespitzten Ohren; immer lauter wurde es, bis es keinen Zweifel mehr daran gab, dass sich eine Gruppe von Männern näherte.
De Vac nahm seinen Platz im Boot wieder ein und zog es wieder unter das Dock. Kaum hatte er dies getan, trat eine Rotte von gepanzerten Rittern und bewaffneten Männern waffenklirrend auf den Brettern über ihm aus der Öffnung der dunklen Gasse. Hier hielten sie zur Beratung inne, und der Zuhörer unten konnten deutlich jedes Wort ihres Gesprächs hören.
»De Montfort«, sagte einer, »was haltet Ihr davon? Kann es sein, dass die Königin recht hat und Richard tot in diesen schwarzen Fluten liegt?«
»Nein, de Clare«, antwortete eine tiefe Stimme, die de Vac als die des Grafen von Leicester erkannte. »Die Hand, die den Prinzen unter den Augen von Lady Maud oder ihrem Gefährten aus den Gärten seines Vaters entführen konnte, was offensichtlich der Fall gewesen sein muss, hätte ihn leichter und sicherer im Garten ermorden können, wenn dies das Ziel dieses seltsamen Anschlags gewesen wäre. Ich denke, Mylord, dass wir bald von einem verwegenen Kerl hören werden, der Lösegeld für den kleinen Prinzen fordert. Gott gebe, dass dies der Fall ist, denn von all den bezaubernden und kleinen Burschen, die ich je gesehen habe, war der kleine Richard der Liebenswerteste. Ich wünsche mir, den üblen Feind in die Finger zu bekommen, der diese schreckliche Tat begangen hat.«
Unter den Brettern, nicht vier Fuß von Leicester entfernt, lag das Objekt seiner Suche. Die klirrende Rüstung, die schweren gespornten Füße und die Stimmen über ihm hatten den kleinen Prinzen geweckt und er setzte sich mit einem erschrockenen Schrei aufrecht. Sofort presste de Vac seine eiserne Hand auf den kleinen Mund, aber nicht bevor ein einziger schwacher Klagelaut das Ohr der Männer darüber erreicht hatte.
»Hört! Was war das, Mylord?«, rief einer der bewaffneten Männer.
In angespannter Stille lauschten sie auf eine Wiederholung des Lauts, und dann schrie de Montfort: »Wer, zum Teufel, ist da unten? Wer versteckt sich da unter dem Steg? Antwortet, im Namen des Königs!«
Richard erkannte die Stimme seines Lieblingsonkels und kämpfte darum, sich zu befreien, aber de Vacs brutaler Griff erstickte die schwachen Bemühungen des Kindes, und alles blieb ruhig wie ein Grab, während die Männer oben warteten und lauschten.
»Dockratten«, sagte de Clare, und dann, als ob der Teufel sie zum Schutz seiner Anbefohlenen anleiten würde, huschten zwei riesige Ratten zwischen den losen Brettern nach oben und liefen quietschend die dunkle Gasse hinauf.
»Ihr habt recht«, sagte de Montfort, »aber wenn ich die beiden schmutzigen Biester nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich schwören können, dass es das schwache Klagen eines Kindes war. Kommt, lasst uns zur nächsten abscheulichen Gasse gehen. Wir haben hier keinen Erfolg gehabt, obwohl diese alte Hexe, die sich Til nannte, allzu begierig schien, mit uns über die künftigen Informationen zu verhandeln, die sie uns hoffte geben zu können.«
Als sie weitergingen, wurden ihre Stimmen in den Ohren der Zuhörer unter dem Dock schwächer und verloren sich bald in der Ferne.
»Das war knapp«, dachte de Vac, als er das Kind wieder aufnahm und auf den Steg hinaufkletterte. Ohne weitere Störung erreichte er bald die Tür zu Tils Haus und schlich sich mit dem Schlüssel lautlos zu dem geheimen Söller, den er von der elenden Vettel gemietet hatte.
Es gab keine Treppe vom Obergeschoss zum Dachboden darüber; der Aufstieg erfolgte über eine Holzleiter, die de Vac hinter sich hochzog. Dann schloss und sicherte er die Öffnung, durch die er mit seiner Last geklettert war, durch eine schwere Falltür mit dicken Brettern.
Der Raum, den sie nun betraten, erstreckte sich über den gesamten östlichen Teil des Gebäudes und hatte Fenster auf drei Seiten. Diese waren mit Brettern vernagelt. Die Wohnung wurde von einem kleinen Kohlebecken erleuchtet, das an einem Sparren in der Mitte des Raumes hing. Die Wände waren unverputzt und die Sparren lagen frei; das Ganze hatte ein eher stallartiges, unwirtliches Aussehen.
In einer Ecke befand sich ein riesiges Bett und im anderen Teil des Zimmers ein kleineres Kinderbett. Ein Schrank, ein Tisch und zwei Bänke vervollständigten die Einrichtung. Diese Artikel hatte de Vac selbst gekauft und herbeigeschafft, für die Zeit, die er mit seinem kleinen Gefangenen hier zu verbringen gedachte.
Auf dem Tisch standen ein Laib Schwarzbrot, ein Steinguttopf mit Honig, ein Milchkrug und zwei Trinkbecher. Diesen widmete de Vac sofort seine Aufmerksamkeit und befahl dem Kind, sich davon zu nehmen, was es wolle.
Der Hunger überwand die Ängste des kleinen Prinzen, und er machte sich über die seltsame, biedere Kost her, deren Einfachheit durch das grobe Geschirr und die raue Umgebung noch verstärkt wurde, die so anders waren als die königliche Pracht des Palastes.
Während das Kind aß, eilte de Vac auf der Suche nach Til, der er nun gründlich misstraute, in das untere Stockwerk des Gebäudes. Die Worte de Montforts, die er am Steg mitgehört hatte, hatten ihn überzeugt, dass es hier ein weiteres Hindernis für die Erfüllung seiner Rache gab, das ebenso wie Lady Maud beseitigt werden musste. Aber in diesem Fall sprachen weder Jugend noch Schönheit zugunsten des Opfers oder vermochten das Herz des grimmigen Henkers zur Reue zu bewegen.
Als er die alte Vettel fand, war sie bereits angekleidet, um auf die Straße zu gehen; tatsächlich fing er sie an der Tür des Gebäudes ab. Da er noch mit dem Umhang und dem Kopftuch einer alten Frau angetan war, erkannte Til ihn zunächst nicht, und als er sie ansprach, brach sie in ein nervöses, gackerndes Lachen aus, als habe er sie bei einer fragwürdigen Tat ertappt, was der Aufmerksamkeit des wütenden Fechtmeisters nicht entging.
»Wohin des Wegs, Alte?«, fragte er.
»Zu Maggie Tunk am Ende der Gasse, am Fluss, Mylord«, antwortete sie, mit mehr Respekt, als sie ihm üblicherweise entgegengebracht hatte.
»Dann werde ich dich ein Stück begleiten, und vielleicht kannst du mir bei einigen Sachen helfen, die noch in dem Boot liegen, das ich dort festgemacht habe.«
Und so gingen die beiden gemeinsam durch die dunkle Gasse bis zum Ende des klapprigen, verfallenen Stegs; die Frau dachte an die große Belohnung, die der König ihr für die Nachricht, die allein sie ihm überbringen konnte, geben würde; der Mann tastete unter seinem Mantel nach dem Griff eines langen Dolchs, der dort verborgen war.
Als sie das Flussufer erreichten, trat de Vac von hinten an seine Begleiterin heran, seine Rechte zog den scharfen Dolch aus der Scheide, und als die Frau auf dem Dock anhielt, stieß er ihr die Klinge knapp unter ihrem linken Schulterblatt lautlos ins Herz, während zugleich seine linke Hand hochfuhr und ihre Kehle in einem stählernen Griff packte.
Es gab kein Geräusch, kaum einen Kampf der sich krampfhaft versteifenden alten Muskeln, und dann, mit einem Stoß von de Vac, stürzte der Körper nach vorne in die Themse, wo ein dumpfes Aufklatschen das Ende der letzten Hoffnung bezeichnete, dass Prinz Richard aus den Klauen seines Nemesis gerettet werden könnte.
Fünftes Kapitel
Drei Jahre lang nach dem Verschwinden von Prinz Richard lebte eine gebeugte alte Frau im Herzen Londons, nur einen Steinwurf vom Palast des Königs entfernt. Sie wohnte hoch oben auf dem Söller eines alten Gebäudes in einem Hinterzimmer, und bei ihr war ein kleiner Junge, der weder allein noch tagsüber nach draußen ging. Auf seiner linken Brust war ein seltsames Mal, das einer Lilie ähnelte. Und immer, wenn die gebeugte alte Frau sicher in ihrer Dachkammer war und die Falltür hinter sich verriegelt hatte, richtete sie sich auf und warf den schmutzigen Umhang ab, unter dem ein Wams und Hosen zum Vorschein kamen.
Jahrelang arbeitete sie fleißig an der Ausbildung des kleinen Jungen. Es gab drei Fächer in ihrem Lehrplan: Französisch, Schwertkunst und Hass auf alles Englische, besonders auf das Königshaus von England.
Die alte Frau hatte ein winziges Übungsschwert gebastelt und begonnen, den kleinen Jungen ab dem Alter von drei Jahren die Kunst des Fechtens zu lehren.
»Du wirst der größte Schwertkämpfer der Welt sein, wenn du zwanzig bist, mein Sohn«, sagte sie, »und dann wirst du hinausgehen und viele Engländer töten. Dein Name wird überall in England gehasst und verflucht werden, und wenn du endlich mit einem Strick um den Hals dastehst, ja, dann werde ich reden. Dann werden sie alles erfahren.«
Der kleine Junge verstand nicht alles, er wusste nur, dass er warme Kleidung und genug zu essen hatte und dass er ein großer Mann sein würde, wenn er lernte, mit einem echten Schwert zu kämpfen, und groß genug war, um eines zu führen. Er wusste auch, dass er Engländer hasste; aber warum, wusste er nicht.
Weit zurück in den äußersten Nischen seines kleinen, kindlichen Kopfes schien er sich an eine Zeit zu erinnern, in der sein Leben und seine Umgebung ganz anders gewesen waren; als anstelle dieser alten Frau viele Menschen um ihn herum gewesen waren, und eine süße Dame ihn in ihren Armen gehalten und geküsst hatte, bevor er nachts ins Bett gebracht wurde. Aber er war sich nicht sicher, ob dies nicht vielleicht doch nur ein Traum war, an den er sich erinnerte, denn er hatte viele seltsame und wunderbare Träume.
Als der kleine Junge etwa sechs Jahre alt war, kam ein seltsamer Mann auf ihren Dachboden, um die kleine alte Frau zu besuchen. Es war in der Abenddämmerung, aber die alte Frau entzündete dien Lampendocht nicht, und sie flüsterte dem kleinen Jungen zu, im Schatten der äußersten Ecke der kahlen Kammer zu bleiben.
Der Fremde war alt und bucklig und hatte einen großen Bart, der fast sein ganzes Gesicht verbarg, bis auf zwei stechende Augen, eine große Nase und ein wenig runzlige Stirn. Beim Sprechen begleitete er seine Worte mit häufigem Schulterzucken und fahrigen Armbewegungen und anderen seltsamen und amüsanten Gesten. Das Kind war fasziniert. Hier war die erste Unterhaltung seines kleinen begrenzten Lebens. Er hörte dem Gespräch aufmerksam zu, das auf Französisch geführt wurde.
»Ich habe genau das Richtige für Madame«, sagte der Fremde. »Es ist eine nobles und stattliches Kastell weit weg von ausgetretenen Pfaden. Die Burg wurde in den alten Tagen von Harold dem Sachsen erbaut, aber in späteren Zeiten haben Tod und Armut und die Ungunst des Königs sie seinen Nachkommen entrissen. Ein paar Jahre später übereignete Heinrich es diesem Verschwender Henri de Macy, der es mir für eine Anleihe verpfändete, die er nicht zurückzahlen konnte. Heute ist es mein Eigentum, und da es weit von Paris entfernt ist, mögt Ihr es für die bescheidene Summe haben, den ich Euch genannt habe. Es ist ein Schnäppchen, Madame.«
»Und wenn ich dorthin komme, werde ich feststellen, dass ich einen bröckelnden Haufen verfallenes Mauerwerk gekauft habe, in dem nicht einmal eine Familie von Füchsen leben kann«, antwortete die alte Frau verdrießlich.
»Ein Turm ist eingefallen, und das Dach ist für die Hälfte der Länge eines Flügels eingestürzt«, erklärte der alte Franzose. »Aber die drei unteren Stockwerke sind intakt und einigermaßen bewohnbar. Es ist selbst jetzt noch viel größer als die Schlösser vieler edler Barone Englands, und der Preis, Madame – ah, der Preis ist so lächerlich niedrig.«
Immer noch zögerte die alte Frau.
»Kommt«, sagte der Franzose. »Ich habe die Lösung. Hinterlegt das Geld bei Isaak dem Juden, den Ihr kennt, und er wird es vierzig Tage lang zusammen mit der Urkunde verwahren, was Euch genügend Zeit gibt, nach Derby zu reisen und das Objekt in Augenschein zu nehmen. Wenn Ihr nicht ganz zufrieden seid, wird Isaak der Jude Euer Geld an Euch und den Kaufvertrag an mich zurückgeben, aber wenn Ihr am Ende von vierzig Tagen nicht nach Eurem Geld gefragt hast, dann wird Isaak die Urkunde an Euch und das Geld an mich senden. Ist das nicht ein einfacher und fairer Weg aus dem Dilemma?«
Die kleine alte Frau dachte einen Moment nach und räumte schließlich ein, dass es ein gangbarer Weg zu sein schien, die Sache zu regeln. Und so wurde es beschlossen.
Einige Tage später rief die kleine alte Frau das Kind zu sich.
»Wir beginnen heute Abend mit einer langen Reise in unser neues Zuhause. Wir werden deinen Kopf mit einem Tuch umwickeln, denn du hast starke Zahnschmerzen Hast du verstanden?«
»Aber ich habe keine Zahnschmerzen. Meine Zähne tun überhaupt nicht weh. Ich ...«, protestierte das Kind.
»Tz, tz, tz«, unterbrach die kleine alte Frau. »Keiner darf dich erkennen, und darum müssen wir dein Gesicht verbergen. Und hör zu, wenn jemand dich unterwegs fragt, warum dein Kopf so umwickelt ist, dann sagst du, dass du Zahnschmerzen hast. Und wenn du nicht tust, was ich sage, werden die Männer des Königs uns gefangen nehmen, und man wird uns hängen, denn der König hasst uns. Wenn du den englischen König hasst und dein Leben liebst, tue, was ich dir befehle.«
»Ich hasse den König«, antwortete der kleine Junge. »Aus diesem Grund werde ich tun, was du sagst.«
So brachen sie in dieser Nacht zu einer langen Reise nach Norden in Richtung Derby auf. Viele Tage lang ritten sie auf zwei kleinen Eseln. Seltsame Anblicke füllten die Tage für den kleinen Jungen, der sich an nichts außerhalb des nackten Dachbodens seines Londoner Hauses und der schmutzigen Londoner Gassen erinnerte, die er nur nachts durchquert hatte.
Ihr Weg wand sich über schöne parkähnliche Wiesen und durch dunkle, unheimliche Wälder, und ab und zu passieren sie kleine Dörfer mit strohgedeckten Hütten. Gelegentlich sahen sie gepanzerte Ritter vorbeireiten, allein oder in kleinen Gruppen, aber die Begleiterin des Kindes schaffte es immer wieder, sich am Straßenrand in Deckung zu begeben, bis die grimmigen Reiter vorüber waren.
Einmal, als sie sich in einem dichten Wald neben einer kleinen offenen Wiese versteckten, über die die Straße führte, sah der Junge zwei Ritter von beiden Seiten in die Lichtung kommen. Für einen Moment zogen sie die Zügel an und starrten einander schweigend an, und dann schrie einer, ein großer schwarzer Ritter, der auf einem schwarzen Streitross saß, dem anderen etwas zu, was der Junge nicht verstand. Der andere Ritter reagierte nur, indem er seine Lanze einlegte und mit gesenkter Spitze auf seinen schwarz gepanzerten Gegner zuhielt. Ein Dutzend Schritte trabten ihre großen Tiere langsam aufeinander zu, aber dann trieben die Ritter sie zu vollem Galopp an, und als die beiden eisengepanzerten Männer auf ihren eisernen Streitrössern in der Mitte der Lichtung aufeinandertrafen, geschah es mit all der grandiosen Wirkung des vollen Schwungs.
Die Lanze des schwarzen Reiters traf mitten auf den Lindenschild seines Gegners, das massive Gewicht des mächtigen schwarzen Rosses prallte gegen den Grauen, der mit seinem Reiter in den Staub der Straße stürzte. Der Schwung des Schwarzen trug ihn fünfzig Schritte hinter dem gefallenen Reiter weiter, bevor sein Herr ihn zügeln konnte, dann drehte sich der schwarze Ritter um, um das Unheil, das er angerichtet hatte, in Augenschein zu nehmen. Das graue Pferd war inzwischen wieder schwankend auf die Beine gekommen, aber sein Reiter lag still da, wo er gefallen war.
Mit aufgeklapptem Visier ritt der schwarze Ritter zu der Stelle zurück, wo sein besiegter Gegner am Boden lag. Auf seinen Lippen lag ein grausames Lächeln, als er sich der hingestreckten Gestalt zuwandte. Mit höhnischen Worten sprach er ihn an, aber er erhielt keine Antwort. Dann stieß er den gefallenen Mann mit der Spitze seines Speers an. Auch das löste keine Bewegung aus. Mit einem Achselzucken auf den gepanzerten Schultern sprengte der schwarze Ritter die Straße hinunter, bis er in den düsteren Schatten des umliegenden Waldes verschwunden war.
Der kleine Junge war fasziniert. So etwas hatte er noch nie gesehen oder geträumt.
»Eines Tages wirst du auch so etwas tun, mein Sohn«, sagte die kleine alte Frau.
»Eine Rüstung tragen und auf einem großen schwarzen Ross reiten?«, fragte er.
»Ja, und du wirst mit deiner starken Lanze und deinem mächtigen Schwert über die Straßen Englands reiten und eine Spur von Blut und Tod hinterlassen, denn jeder Mensch wird dein Feind sein. Aber komm, wir müssen weiter.«
Sie fuhren weiter und ließen den toten Ritter zurück, wo er gefallen war, aber der Knabe bewahrte das, was es gesehen hatte, in seinem Herzen und sehnte sich nach dem Tag, an dem er groß und stark sein würde wie der gewaltige schwarze Ritter.
An einem anderen Tag, als sie sich in einer verlassenen Hütte versteckten, um der Aufmerksamkeit eines Wagenzugs von Händlern zu entgehen, die mit ihren Waren ins Landesinnere reisten, sahen sie eine Gruppe von Räubern aus der Deckung einiger Büsche auf der anderen Seite der Straße eilen und über die überraschten und wehrlosen Händler herfallen.
Zerlumpte, bärtige, ungehobelte Schurken waren sie, bewaffnet meist mit Knüppeln und Dolchen und hier und da einer Armbrust. Ohne Gnade machten sie Alt und Jung kaltblütig nieder, auch wenn diese keinen Widerstand leisteten. Diejenigen, die es schafften, ergriffen die Flucht, den Rest ließen die Räuber tot oder sterbend auf der Straße zurück, als sie sich mit ihrer Beute davonmachten.
Zuerst war das Kind entsetzt, aber als er sich Mitleid heischend an die kleine alte Frau wandte, fand er ein grimmiges Lächeln auf ihren dünnen Lippen. Sie bemerkte seinen Ausdruck der Bestürzung.
»Es ist nichts, mein Sohn. Nur englische Hunde, die sich auf englische Schweine stürzen. Eines Tages wirst du beide aufeinander hetzten – und das wird ihnen recht geschehen.«
Der Junge gab keine Antwort, aber er dachte viel über das nach, was er gesehen hatte. Ritter waren grausam zu Rittern, die Armen waren grausam zu den Reichen, und jeder Tag der Reise hatte in seinem kindlichen Verstand die Erkenntnis reifen lassen, dass alle sehr grausam und hart zu den Armen waren. Er hatte sie in all ihrem Elend und ihrem Leid gesehen – eine lange Reihe von gebeugten Rücken, dünnen Leibern und hoffnungslosen, traurigen Gesichtern, die sich von der großen Stadt London bis hierher erstreckte.
»Ist denn niemand auf der ganzen Welt glücklich?«, brach es einmal aus ihm hervor.
»Nur derjenige, der das mächtigste Schwert führt«, entgegnete die alte Frau. »Du hast gesehen, mein Sohn, dass alle Engländer Tiere sind. Sie stürzen sich aufeinander und töten sich gegenseitig aus geringem oder gar keinem Anlass. Wenn du älter bist, wirst du ausziehen und sie alle töten; denn wenn du sie nicht tötest, dann töten sie dich.«
Endlich, nach mühseligen Tagen auf der Straße, kamen sie an ein kleines Dorf in den Bergen. Hier wurden die Esel verkauft und ein großes Pferd erworben, auf dem die beiden weit hinauf in ein raues und unwirkliches Land abseits der ausgetretenen Pfade ritten, bis sie sich eines Abends einer Burgruine näherten.
Die dräuenden Wände ragten wuchtig gegen den mondhellen Himmel empor, und wo ein Teil des Daches eingefallen war, ließ der kalte Mond, der durch die schmalen, unverglasten Fenster schien, den mächtigen Steinhaufen an einen riesigen, vieläugigen Oger gemahnen, der auf der Flanke einer verlassenen Welt hockte; denn nirgendwo ringsum war ein anderes Zeichen menschlicher Behausung zu finden.
Vor dieser düsteren Ruine saßen die beiden ab. Der kleine Junge war voller Staunen, und seine kindliche Fantasie schlug Purzelbäume, als sie sich zu Fuß mit dem Pferd am Zügel der bröckelnden Barbakane näherten. Aus dem dunklen Schatten der Außenmauer traten sie in den mondhellen Innenhof. Auf der anderen Seite des Hofes fand die alte Frau die alten Ställe, und hier, unter verrottenden Brettern, stellte sie das Pferd für die Nacht ein und schüttete aus einer Tasche, die über seinem Rumpf hing, für ihn ein wenig Hafer auf den Boden.
Dann ging sie voraus in die tiefdunkle Burg und beleuchtete ihren Vorstoß mit einem flackernden Kienspan. Die alte Beplankung der Böden, lange ungenutzt, stöhnte und klapperte unter ihren Tritten. Vor ihnen war ein plötzliches Krabbeln von Krallenpfoten zu hören, und ein roter Fuchs, den sie aufgescheucht hatten, huschte vorbei nach draußen in die Freiheit der Nacht.
Alsdann kamen sie zur großen Halle. Die alte Frau schob die hohen Türen mit ihren knarrenden Scharnieren auf und erhellte das mächtige, höhlenartige Innere mit dem flackernden Licht ihrer kleinen Fackel. Als sie vorsichtig hineintraten, stäubten aus den lang verrotteten Binsen, die unter ihren Füßen zerfielen, Spelzen auf. Eine riesige Fledermaus kreiste wild mit laut flatternden Flügeln in offensichtlichem Missfallen ob dieses unhöflichen Eindringens. Seltsame Geschöpfe der Nacht huschten oder zappelten über Wand und Boden.
Aber der Knabe hatte keine Angst. Angst war nicht Teil des Lehrplans der alten Frau gewesen. Der Junge kannte die Bedeutung des Wortes nicht, noch sollte er je in seinem späteren Leben dieses Gefühls teilhaftig werden. Mit kindlichem Eifer folgte er seiner Gefährtin, als sie das Innere des Saales inspizierte. Es war immer noch ein imposanter Raum. Der Junge klatschte vor Freude ob der Schönheiten der geschnitzten und getäfelten Wände und der eichenen Balkendecke, die fast schwarz gefärbt war vom Ruß der Fackeln und Öllampen, die hier in früheren Zeiten angezündet worden waren, unterstützt zweifellos von den Holzfeuern, die in ihren beiden riesigen Kaminen gebrannt hatten, um die fröhlichen Schar der edlen Feiernden zu erwärmen, die so oft bis in die Morgenstunden um den großen Tisch gesessen hatten.
Hier ließen sie sich häuslich nieder. Aber die gebeugte Alte war keine alte Frau mehr – sie war zu einem drahtigen, aktiven alten Mann geworden.
Die Ausbildung des kleinen Jungen – Französisch, Schwertkampf und Hass auf die Engländer – ging weiter und zwar Jahr für Jahr. Hinzu kam das Reiten, als er zehn Jahre alt war. Von da an begann der alte Mann ihm beizubringen, Englisch zu sprechen, aber mit einem betonten und sehr ausgeprägten französischen Akzent. Der Knabe konnte sich nun nicht mehr daran erinnern, irgendwann einmal mit einem anderen Lebewesen gesprochen zu haben als mit seinem Vormund, der sich von ihm nur mit »Vater« anreden ließ. Auch den Jungen nannte er nie beim Namen – immer nur »mein Sohn«.