Kitabı oku: «Erfahrungen in einem sozialen Netzwerk», sayfa 3

Yazı tipi:

Seniorbook – Leiden und Leidenschaften

Der Begriff „Seniorbook“ ist eine analoge Bildung zu „Facebook“, das einen optischen Aspekt betont – das Gesicht –, eine ebenso simple wie geniale Bezeichnung, denn sie erlaubte jedem Menschen, der ein Gesicht hat, sich dort mit anderen „Gesichtern“ zu treffen.

So wurde Facebook zu einem Riesenerfolg.

Seniorbook setzte bei seiner Gründung vor zwei Jahren auf den Zeitbegriff des ALTERS und damit auf Seriosität.

Die Zielgruppe war nun eingeschränkt, der demografische Wandel versprach aber stetigen Zulauf älterer Menschen, die ihre Lebenserfahrungen untereinander austauschen würden.

***

Als ich vor einem halben Jahr bei Facebook einen Hinweis auf Seniorbook entdeckte, fand ich das Angebot verlockend genug.

Im weltweiten Netz würden einem die Freunde zwar auch wegsterben wie in der Welt der Wirklichkeit, aber sie würden sicher schneller ersetzt werden können. Niemals zuvor war Kommunikation so einfach wie in unserer Zeit.

Noch vor einer Generation genügte oft ein kleiner Berg, um Nachbarn voneinander zu trennen.

Heute ist die ganze Welt durchlässig geworden, Barrieren gibt es nur noch im geistigen und seelischen Bereich, aber darüber lässt sich eben diskutieren.

Auch das zweite Wort des Kompositums Senior-book klingt seriös, fast ein wenig altmodisch, obwohl das e-book immer noch behauptet, ein Buch zu sein.

Auf so viel Seriosität kann man sich einlassen. Der Zugang verpflichtet zu nichts, er kostet nichts, er verspricht nichts. Er bietet stattdessen Rollenspiele an: den Witzbold am SCHWARZEN BRETT, den Voyeur, den Stalker, den Kontakte-Sammler, den Berichterstatter, den Poeten, den Märchenerzähler, den Exhibitionisten, den Philosophen, den Astrologen …

Ein Buch ist geduldig, es öffnet seine Seiten für alles, für einen ungelenken Vers oder ein romantisches Lied. Virtuosen des Wortes haben ihre Fans, die auf den Knien ihre Huldigung in Form von „Lesenswert“ darbringen. :-)

***

Stellen wir uns vor, dieser Beobachter von Seniorbook sitzt, metaphorisch gesprochen, an einem Meer, dessen glatte Oberfläche im Licht der Sonne flimmert.

Hält man sich längere Zeit an diesem Meer auf, so spürt man, wie aus der blaugrünen Tiefe plötzlich Fangarme nach oben greifen, Schlingpflanzen sich plötzlich besitzergreifend emporrecken. Gerade kann man noch seinen Fuß in Sicherheit bringen.

Und man spürt plötzlich eine Art Sog, der einen erfasst, als gäbe es da im Meer von SB eine verborgene Strömung, vielleicht eine Nixe, die auf diesen einzigen Moment gelauert hat, den Fischer herabzuziehen. Auch ein unheimlicher Bewohner des Meeresbodens möchte eine Gefährtin in die Dunkelheit der Tiefe herablocken.

Leidenschaften, die wie Wellen heranrollen, Schaumkronen, Gischt und der Geruch nach Tang und Fischen.

Da werden Kuss-Smileys großzügig in alle Windrichtungen geworfen, alle Teile des menschlichen Körpers, die der Erotik zu Diensten sind, werden detailliert begutachtet, verglichen, gewogen, gemessen und angepriesen. Wer bietet mehr? Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist … und so weiter.

Ob ein Montagmorgen-Quickie oder ein Freitagabend-Slowly, oder Abschiedsküsse unter dem Regenschirm und einem weinenden Himmel, Schluchzen am Telefon nach der dritten Trennung – alles wird der Welt im 21. Jahrhundert mit geradezu exhibitionistischer Offenheit erzählt, berichtet, gemalt!

***

Doch da lauern noch andere Ungeheuer in den Seelen der Diskutanten, die oft zu Kontrahenten werden, die ihre Position mit messerscharfer verbaler Munition verteidigen. Urinstinkte werden wach, Reviere werden abgesteckt, umzäunt, mit Riegeln und Schlössern verbarrikadiert: „Das Überschreiten der Grenzen für Christen verboten, für alle anderen irrationalen Spinner ebenfalls.“

Der eine, der etwas kann, was der andere nicht kann; der eine, der etwas glaubt, was der andere leugnet, der eine, der Chemikalien schluckt, während der andere ein paar Globuli lutscht – Gott – oder eben auch der Teufel – sei ihnen allen gnädig! Spott, Ironie, Hass, Eifersucht, Neid bilden Strudel im Meer der Leidenschaften, die die den einen oder anderen in den Abgrund ziehen.

Wer hätte noch nicht am PC geweint? Wer hätte sich nicht schon an jene schönen stillen Tage erinnert, an denen es noch kein SB gegeben hatte?

Und dann eine Melodie, das Geschenk eines lieben Menschen, so wunderbar, sanft, zärtlich, einmal gehört und in das „wirkliche Leben“ mitgenommen, Stille nach dem Sturm, Frieden nach der Schlacht, Liebe nach der Bosheit – Leiden und Leidenschaften im Meer des Lebens (SB).

www.seniorbook.de

Wer glaubt, er ist ein Senior,

Der klopfe hier an dieses Tor.

Er bringe Foto, Passwort mit –

Das wäre schon der erste Schritt.

---

Ein Vogel baut sich erst ein Nest,

Das er zum Fliegen dann verlässt.

Ein Mensch baut sich hier ein Profil,

Wenn er verstanden werden will.

---

Dann geht er schnell zur Fotowand:

Wer ist die Schönste hier im Land?

Da wogen Brüste, üppig, voll

Und machen Männer liebestoll.

Auch mancher Po, lasziv versteckt,

Macht manchen Mann sogar erect,

Und wer das alles nicht versteht,

Ist eben einfach kein Ästhet.

---

Man trifft sich manchmal im Café

Und tritt sich dort oft auf die Zeh'.

Für Worte gibt es da kaum Raum.

Man ist da, um sich anzuschaun.

---

Es gibt hier auch ein paar Beknackte:

Die sammeln einfach nur Kontakte.

„Speeddating“ ist das bei SB,

Da freut sich auch das Portemonnaie,

Denn alles kriegt man hier umsonst,

Gelaber, Weihrauch, große Kunst,

Auch Komplimente ganz frei Haus,

Ein Ohren- und ein Augenschmaus,

Mitunter einen Blumenstrauß.

Sogar ein Handkuss ist dabei,

Ein Smiley-Kuss – ganz zweifelsfrei.

Kontakte schreiben sich natürlich

Privat, geheim und ganz ausführlich.

Da ist schon manches Herz gebrochen,

Bevor man hat's Parfum gerochen.

---

Am Schwarzen Brett, da trifft sich manche Niete

Urplötzlich mit der Seniorbook-Elite.

Da ist das Chaos a priori programmiert,

Und mancher wird da richtig angeschmiert.

Da werden Weiber manchmal zu Hyänen,

Die sich dann später dafür furchtbar schämen

Und alles löschen, was gesagt!

Wie schad! Dem Himmel sei’s geklagt.

Denn es gehören Aggressionen

Zum Menschen doch schon seit Äonen.

Da kochen hoch die Emotionen,

Wenn da die vielen Positionen

Sich manchmal schrecklich unterscheiden,

Muss man mitunter richtig leiden

Und schleicht am End' der Diskussion

Beleidigt und frustriert davon.

---

Doch die Notizen an der Wand,

Die machen dich auch schnell bekannt.

Man schreibt nur einen Kommentar,

Egal ob frech, ob falsch, ob wahr,

Und wenn es schließlich hundert sind,

Der Schweiß dir von der Stirne rinnt,

Hast du gefunden einen Mann

Oder 'ne Frau – so fängt das an.

Ab jetzt ist alles Illusion –

Womöglich ist es ein Phantom –

Was Sehnsucht war, wird Obsession:

Du bist im Netz gefangen schon!

---

Die Themenwelt ist Kommunikation,

Ist kreative Lust und keine Fron.

Da schreiben die, die Sprache lieben,

Da trifft man sich zu Höhenflügen,

Da wachsen alle über sich hinaus –

Das ist ein echter Leseschmaus!

---

Da gibt es eine Edith Zeile.

Die leidet wohl an Langeweile

Und schreibt sich hier die Finger wund.

Die Themen sind recht kunterbunt.

---

Begehrt ist unser Jürgen Fritz:

Ein Philosoph mit Mutterwitz.

Er redet wie Demosthenes

Über die Welt und alias res,

Ein ausgezeichneter Stilist,

Gelegentlich auch ein Sophist,

Brillant, subtil und höchst komplex –

Ein Wkw-ler, kein senex.

---

Verbale Kämpfe werden ausgetragen

Von Atheisten, Christen und Nomaden.

Am Ende locken alle ihre Wunden –

Es waren dennoch int'ressante Stunden.

---

Ein Mann, ich nenn ihn hier Bernhard hoch 2,

Ist überall genial dabei.

Er hat Humor, man liest ihn gerne,

Als Dichter kriegt er gleich 5 Sterne,

Er liebt die Liebe voller Glut –

Drum Evas, seid stets auf der Hut!

---

So lernt man täglich viele Menschen kennen.

Die darf man gleich bei ihrem Namen nennen,

Und jeder sagt zu jedem „DU“ –

Und Tausende von Usern schauen zu.

Natürlich treffen sich die User

An vielen Orten hier im Land.

Da gibt es selbstverständlich keine Loser,

Man kennt sich oder macht sich da bekannt.

Beim Abschied fließen manchmal sogar Tränen,

Weil man sich wieder trennen muss.

„Ich werd' mich sicher nach dir sehnen!“

Sagt sie und gibt ihm einen Kuss.

Warum Internet-Kontakte süchtig machen können

Was ist ein Kontakt? Das etymologische Wörterbuch der Duden-Reihe gibt uns eingehend Auskunft. Das Wort ist ein Lehnwort, im 17. Jahrhundert von lat. contactus übernommen.

Con ist ein Präfix und heißt zusammen.

Der Infinitiv von tactus ist tangere (vgl. Tangente, tangieren) und das heißt berühren.

Internet-Kontakte sind also Berührungen im Internet. :-)

Normalerweise verstehen wir Berührung als haptische Erfahrung. Wir berühren z.B. die Maus auf unserem Schreibtisch und machen dabei eine sinnliche Erfahrung.

Wen oder was berühren wir nun bei unseren Internet-Kontakten, mit denen wir nur verbal kommunizieren?

Bevor diese schwierige Frage beantwortet werden kann, ist ein kleiner Exkurs nötig.

Vor Jahren erfuhr ich von einer amerikanischen Nasa-Physikerin, Barbara A. Brennan, die eines Tages entdeckte, dass sie hellsichtig war. Sie konnte also nicht nur den physischen Körper eines Menschen sehen, sondern auch dessen Aura.

(Man sollte wissen, dass die menschliche Aura fotografiert werden und Aufschluss über die emotionale Situation geben kann.).

Sie sah z.B., dass sich bei Menschen, die sich die Hand zur Begrüßung gaben, die Aura entweder zurückzog oder sich mit der anderen vermischte.

Sie sah, dass langjährige Ehepartner durch sog. Akafäden auf der Höhe des Solarplexus verbunden waren. Sie zeichnete in ihren Büchern „Lichtarbeit“ und „Lichtheilung“ diese energetische Verbindung der Solarplexen auf und wies darauf hin, dass der Trennungsschmerz eine Folge der durchgeschnittenen Fäden sei, die man sich wie „Baumstümpfe“ vorstellen könne.

Was passiert nun im Internet, vor allem in Chaträumen, wo sich oft dieselben Gesprächspartner treffen und miteinander reden.

Mit jedem e r w i d e r t e n Kontakt entstehen solche feinstofflichen Fäden, die im Lauf der Zeit dicke Seile werden, die zwei Menschen eng miteinander verbinden.

Diese geistige Verbindung ist immer stärker als eine physische, d.h. die Bindung wird fester, wenn ich mit jemandem rede, als wenn ich ihm die Hand gebe.

Viele mag das vielleicht überraschen, aber dasselbe Prinzip liegt der Klassischen Homöopathie zugrunde: Je weniger Materie, umso intensiver die Wirkung!

Yogananda, einer der großen vollendeten indischen Meister der Weisheit, sagt, der Geist herrsche immer über die Materie.

Werden wir also alle süchtig, wenn wir hier im Internet unterwegs sind und Kontakte knüpfen?

Ja und Nein!

Nach meinen ersten Chatexperimenten saß ich täglich zehn Stunden am PC!

Natürlich gibt es auch Schutzmechanismen. Angela Merkels Handhaltung in der Öffentlichkeit, als „Raute“ bezeichnet, hat eine solche Schutzfunktion. Sie deckt damit den Solarplexus, das Einfallstor für emotionale Energien, ab. Ob sie das wissentlich tut oder eher ihrer Intuition folgt, ist mir nicht bekannt.

Auch schwangere Frauen folgen einem inneren Zwang und „verriegeln“ den Solarplexus, um ihr heranwachsendes Kind vor Fremdenergien zu schützen.

Wenn wir uns online ver-netzen, ver-zetteln, ver-binden, ver-schmelzen, ver-lieren wollen, so wird das geschehen.

Wer das nicht möchte, wer sich den Menschen nähert, als seien sie Kunstwerke, die man aus einer gewissen Distanz besser betrachten kann, wird nicht süchtig werden.

Er wird den Bildern auf der Leinwand staunend folgen und nicht in das Geschehen des Films hineingezogen werden.

Khalil Gibran und „die Frau“

Beirut, das „Paris des Ostens“ lockte mich zweimal in den Nahen Osten, bevor Flüchtlingslager zwischen den Ruinen das heitere Bild der Stadt zerstörten.

Dort entdeckte ich Khalil Gibran, den großen Dichter und Philosophen, dessen Werk „The Prophet“, in 20 Sprachen übersetzt, ihn weltberühmt machte.

Als man ihn fragte, wie er es denn habe schreiben können, antwortete er: „It wrote me.“

Ich kaufte mir das kleine Buch und las es staunend, wie ein Wanderer, der auf seinem staubigen Weg kostbare Steine findet und sie aufhebt, jedes Wort ein Diamant, jeder Gedanke eine Kette aus Perlen.

Da spricht der Weise Almustafa vor seinem Abschied noch einmal zu den Bewohnern der Stadt, in deren Mauern er als Fremdling gewohnt und mit denen er sein Glück und seine Einsamkeit geteilt hat.

Er spricht zu ihnen über die Liebe, die Ehe, die Kinder, das Geben und Nehmen, das Essen und Trinken … den Schmerz … die Schönheit und den Tod:

„Wenn die Liebe euch ruft, folgt ihr,

Wenngleich ihre Wege steinig und steil sind.

Und wenn sie euch umfängt, ergebt euch,

Auch wenn das Schwert, das ihre Umarmung birgt, euch verwundet.

Glaubt ihr, wenn sie zu euch spricht. …

Doch ebenso, wie die Liebe euch krönt,

So wird sie euch kreuzigen.

Sie fördert euer Wachstum,

Aber sie stutzt euch auch zurecht …

Die Liebe kennt keine andere Sehnsucht, als sich selbst zu erfüllen.

(Gibran, Der Prophet, S. 19ff.)

***

Khalil Gibran wurde 1883 als 4. Kind in der 3. Ehe seiner sehr emanzipierten Mutter geboren. Sie erkannte die Malbegabung ihres Sohnes sehr früh und machte ihn mit dem Werk Leonardo da Vincis bekannt.

Als sich die wirtschaftliche Lage der Familie verschlechterte – der Vater kam aus undurchsichtigen Gründen ins Gefängnis –, wanderte sie mit ihren Kindern nach Amerika aus. Armut und Hunger führten dazu, dass Gibran, 19-jährig, seine Lieblingsschwester, seinen Halbbruder und seine über alles geliebte Mutter verlor.

„Mein Leben ist jetzt mit ihr begraben.“ (Liebesbriefe, S. 8)

Wenig später führt ein glücklicher Zufall dazu, dass er während einer Ausstellung seiner Werke Mary Haskell kennenlernt, die – wesentlich älter als er – seine Förderung als mütterliche Freundin übernimmt. Sie finanziert in ihrer Großzügigkeit sogar seinen zweijährigen Studienaufenthalt in Paris. Den Heiratsantrag, den Gibran ihr nach seiner Rückkehr macht, lehnt sie ab.

Nach der Veröffentlichung seines Romans „The Broken Wings“ (1912), der auch im Orient gelesen wird, schreibt ihm die libanesische Dichterin May Ziadek einen begeisterten Brief. Dies ist der Anfang einer 20-jährigen Brieffreundschaft, die erst mit dem Tode Gibrans 1931 endet.

May Ziadek entspricht seinem Frauenbild. Er bewundert die orientalische Frau in ihr, die sich von den Fesseln der Unterdrückung befreit hat. Sie beherrscht 8 Sprachen, darunter auch das Deutsche, unterhält in Kairo einen literarischen Salon und arbeitet als Journalistin.

Der Briefwechsel ist nur zum Teil erhalten, denn die Briefe der jungen Frau wurden von ihrer Familie nicht freigegeben.

Dennoch entsteht beim Lesen dieser Briefe der Eindruck, dass es sich hier um eine tiefe und innige Liebesbeziehung handelt.

„Ich denke jeden Tag und jede Nacht an Dich. Ich denke immer an Dich, und jeder dieser Gedanken enthält etwas Süßes und etwas Bitteres. Es ist merkwürdig, Miriam, immer wenn ich an Dich denke, flüstere ich Dir ins Ohr: 'Wirf alle Sorgen weg und gieße sie in mein Herz!'

Ich küsse Deine rechte Hand und Deine linke, und ich bitte Gott, dass er dich bewahre und segne, dass er dein Herz mit seinem Licht fülle und dass er dich erhalte als den Menschen, den ich am meisten liebe.“ (Liebesbriefe, S. 105)

Diese Liebe, die sich über die Welt der Sinne erhebt, begleitet diese beiden jungen Menschen, die sich nie sehen werden, bis zum Ende ihres Lebens.

In seinen Bildern versucht er, diese zarte ätherische Liebe darzustellen. Die nackten Körper von Mann und Frau scheinen zu schweben, sie gleiten umeinander, da ist Raum zwischen ihnen. Da ist kein Besitzergreifen, kein Überfall, keine Umklammerung, sondern verzauberte Seelen, die der Schönheit des anderen huldigen.

Immer wieder betont er in anschaulichen Bilder, wie wichtig es sei, in der Gemeinsamkeit einen „Zwischenraum“ zu erhalten:

„Steht zusammen, aber nicht zu nah.

Denn die Säulen der Tempel lassen Raum zwischen sich,

Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten des anderen …“ (Der Prophet, S. 24).

„Eure Kinder sind nicht eure Kinder:

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.

Und obwohl sie bei euch sind, gehören sie nicht euch.“ (Der Prophet, S. 25)

Im Rückblick auf sein Leben schreibt Khalil Gibran zwei Wochen vor seinem Tod:

„Ich selbst verdanke alles, was mein Ich ausmacht und zwar von der frühen Kindheit bis jetzt – der Frau.

Es war die Frau, die mir die Fenster meiner Blicke und die Tore meines Geistes öffnete. Ohne die Frau als Mutter, Schwester oder Freundin schliefe ich noch mit den Schlafenden …“

(Gibran, Liebesbriefe, S. 7)

Die Reise nach Beirut hat mir die Schönheit des Landes gezeigt, die sechs schlanken makellosen Säulen in Baalbek vor dem Hintergrund der Berge werde ich nie vergessen, aber die Worte von Khalil Gibran haben mir die Seele des orientalischen Menschen offenbart.

Auguste Rodin – Leben und Werk eines Genies

Als ich 21-jährig als Studentin der Anglistik ein halbes Jahr in London verbringen konnte, suchte ich auch die Tate Gallery auf.

Ich erinnere mich an die Magie des Augenblicks, als ich mitten in der Eingangshalle eine weibliche Figur sah, die, den Kopf leicht geneigt und beide Arme schützend über die Brust gelegt, von hellem Licht umflossen, mich anzog.

Ich stand vor der „Eva“ des großen französischen Bildhauers Rodin.

Während seines Aufenthalts in Italien (1875) war ihm eine junge Frau dafür Modell gestanden, und er hatte sich gewundert, dass sich die Formen ihres Körpers veränderten. Als sie ihm gestand, sie sei schwanger, ließ er die Figur unvollendet.

Ich habe sie berühren MÜSSEN.

Damals befand sich auch das bekannteste Werk „Der Kuss“ dort. Die Nacktheit der beiden Figuren hatte bei ihrer Entstehung Skandale in der französischen Gesellschaft ausgelöst. Dabei ist es innige Zärtlichkeit, die der Künstler darstellen wollte.

Heute gehört „Der Kuss“ zu den wunderbarsten Skulpturen, die ein Mensch je geschaffen hat.

Rodin sagt in seinem „Testament artistique“: „L'art n'est que sentiment.“ (Kunst ist nur Gefühl).

Diese erste Begegnung mit diesem Meister beeindruckte mich sehr, führte aber noch nicht zu einer intensiven Beschäftigung mit ihm.

Erst als ich mich Jahre später mit Rainer Maria Rilkes Herbstgedicht befasste, in dem eine „Hand Gottes“ einen sterbenden Menschen auffängt, suchte ich nach Gründen für die Wahl dieser Metapher.

Ich fand sie schließlich in Rilkes Begegnung mit Rodin in Paris im Herbst 1902, als er in dessen Werkstatt vor dieser Riesenhand steht, der „Hand Gottes“, in die sich ein Menschenpaar hinein schmiegt. So groß ist seine Bewunderung, dass er Rodins schöpferische Kraft mit der Gottes vergleicht.

***

In der Tat: Was für ein Leben voller Armut, Demütigung, Arbeit, Liebe, Leidenschaft, Hingabe, Schmerz und Ruhm!

Auguste Rodin wird am 12. November 1840 in eine relativ arme Familie geboren. Seine Eltern erkennen sehr früh seine Begabung und schicken ihn zur Ausbildung auf die Petite Ecole. Als er zum ersten Mal mit Ton arbeitet, sagt er: „Ich war im Paradies.“

Da er sich zum Stil der Romantik bekennt und den Zeitgeist ablehnt, wird seine Bewerbung bei der Ecole des Beaux-Arts dreimal abgelehnt. Nur die Unterstützung durch seine Schwester hilft ihm, durchzuhalten.

Mit 22 Jahren gerät er durch den frühen Tod seiner Schwester in eine schwere Krise und tritt als Bruder Augustin in ein Kloster (Fathers of the Very Holy Sacrament) ein. Dort wird aber auch seine Begabung erkannt und gefördert.

Mit 24 Jahren begegnet er Rose Beuret, einem jungen Mädchen, das ihn als treue Gefährtin sein ganzes Leben lang begleitet und ohne deren bedingungslose Zuneigung er die schweren Jahre als brotloser Künstler sicher nicht durchgestanden hätte.

Er lebt mit ihr in einem Stall, ohne Heizung, der Raum ist eiskalt und ständig feucht. Rose arbeitet als Näherin, verdient ein paar Cents dazu, und abends posiert sie nackt für Rodin.

Da die Arbeitslosigkeit in Paris sehr hoch ist, geht der Künstler schließlich nach Belgien, lässt Rose und den kleinen Sohn zurück. Sie hat die Aufgabe, die Tonfiguren täglich mit nassen Tüchern zu versorgen.

Aus Rodins Briefen an sie, die in einem sehr zärtlichen Tonfall geschrieben sind („Mein Lieblings-Engel“), spricht die ungeheure Not eines total verarmten Künstlers, der sich und seine kleine Familie nicht ernähren kann.

1875 unternimmt Rodin eine Pilgerfahrt nach Italien, dem Land der Maler und Bildhauer. Dort entsteht die „Eva“.

Zurück in Paris kann er größere Arbeiten in Angriff nehmen wie z.B. „Das Tor zur Hölle“, angeregt durch die Lektüre von Dantes Divina Comedia. Die zentrale Figur des Tores und die bekannteste ist der „Denker“.

Inzwischen hat Rodin in der Mitte seines Lebens mehrere Studios, in denen er seine Modelle empfängt, arbeitet und seine erotischen Wünsche auslebt.

Rose Beuret leidet zwar darunter – sie bezeichnet sich als „Frau eines Seemanns“ –, aber sie weiß auch, dass seine Arbeit ihm alles bedeutet und sieht ihm alles nach. Zärtlichkeit und Dankbarkeit verbindet sie mit ihm, und diese Bande sind unzerstörbar.

Das ändert sich, als Rodin 1883, 43-jährig, also in der Mitte seines Lebens, als er die ersten künstlerischen Triumphe feiert, einer Frau begegnet, die er nicht nur als Mann leidenschaftlich begehrt, sondern die ihm auch als Bildhauerin ebenbürtig ist.

Das ist Camille Claudel, die jüngere Schwester des Dichters und Philosophen Paul Claudel, grünäugig, mit langem Haar, wunderschön.

Als sie 18-jährig ihre Arbeiten dem Direktor der Ecole des Beaux-Arts vorstellt, fragt dieser sie, ob sie Schülerin von Monsieur Rodin sei. Hier hört sie zum ersten Mal den Namen jenes Mannes, der die große Liebe ihres Lebens werden sollte.

Als sie sich schließlich treffen, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Während der 15 Jahre ihrer stürmischen Liaison lernt sie alles von ihm, und er hält sie für eine kongeniale Künstlerin.

In dieser Phase entstehen die wunderschönen Skulpturen, die alle Ausdruck seiner Liebe zu Camille sind: „Der Kuss“, „Das ewige Idol“, „Ewiger Frühling“, „Der Fall eines Engels“.

Aber diese Jahre sind auch voller Streitigkeiten zwischen den beiden Frauen Rose und Camille und der Unfähigkeit und dem Unwillen des Mannes, sich für eine zu entscheiden.

Zu sehr nimmt ihn seine Arbeit jetzt in Anspruch. Größere Projekte verlangen seinen Einsatz, z.B. „Die Bürger von Calais“.

1898 verlässt Camille ihn. Danach kommt sie sich „wie verfolgt“ vor. Es gibt Gerüchte, dass sie zwei Söhne von Rodin geboren hat.

Im Juli 1913 zerstört sie alle ihre Werke und wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, wo sie noch 30 Jahre bis zu ihrem Tod dahindämmert.

Eine so tiefe dämonische Liebe musste zur Selbstzerstörung führen.

Rodin wird durch die Begegnung mit dieser charismatischen jungen Frau zum „Hohepriester der Sinnlichkeit“. Diese Transformation in seinem Werk wird nur möglich, weil er die Koexistenz von sexueller Leidenschaft und spiritueller Übereinstimmung erlebt.

Auch er weint, als Camille ihn verlässt. Aber die Armut und die Demütigung der frühen Jahre haben ihn stark gemacht. Sein Lebensmotto „Toujours travailler“ (Immer arbeiten) trägt ihn auch in die zweite Hälfte seines Lebens und bringt ihm nun sukzessiv große Erfolge.

Sehr bekannt sind die Balzac-Statue und die Büste von Victor Hugo.

Ab 1900 steigert sich sein Erfolg vor allem auch im Ausland:

1902 in London und in Prag

1906 in Madrid mit Rilke

1907 verleiht ihm die Universität Oxford den Ehrendoktor

1908 besucht der englische König Edward II. ihn in Meudon.

Am 29. Januar 1917 heiratet er seine treue Lebensgefährtin Rose, die zwei Wochen später stirbt.

Rodin folgt ihr 10 Monate später und wird neben ihr in Meudon beigesetzt.

***

Sein Testament artistique gibt seinen Schülern wichtige Hinweise, die uns nicht nur den Bildhauer Rodin, sondern auch den Menschen näherbringen:

„Zuerst Mensch sein und dann Künstler.“

„Die beiden stärksten Leidenschaften des Genies sind die Liebe zur Natur und zur Wahrheit.“

„Als Künstler muss man die innere Wahrheit entdecken.“

Man versteht die Wirkung der Rodinschen Werke besser, wenn man sich an seine Worte erinnert, dass „der menschliche Körper der Spiegel der Seele ist und deshalb die größte Schönheit hat.“

Man staunt auch nicht mehr über das schimmernde Licht, dass die Skulpturen umgibt, denn „es ist das Strahlen einer inneren Flamme, die den Körper erleuchtet.“

Auguste Rodin, der größte Bildhauer seit Michelangelo, ein Dämon, getrieben von seinen Leidenschaften, ein Liebender, ein Genie!

(Quelle: Descharnes/Chabrum, Auguste Rodin, 1967).

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺209,24

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
187 s. 29 illüstrasyon
ISBN:
9783957446527
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre