Kitabı oku: «Die Wiedergutwerdung der Deutschen», sayfa 7

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Moralischer Antisemitismus
Zwei gute Deutsche und der Golf

I.

Er hat Israel noch nicht vernichtet und Palästina noch nicht befreit. Aber in Deutschland hat Saddam Hussein sein Kriegsziel bereits erreicht: der Karneval fällt aus, und dafür geht die Friedensbewegung um. Kein Rosenmontagszug, sondern Mahnwachen; kein Konfetti, sondern Schweineblut. Keine Besoffen-, sondern Betroffenheit. Und erneut zeigt sich, noch unerträglicher als wenn sie fröhlich sind, sind die Deutschen, wenn sie gut sind.

Der begrenzte Krieg im Nahen Osten hat in Deutschland ein grenzenloses Wunder vollbracht. Ostern fällt in die Winterzeit, denn die deutsche Friedensbewegung ist plötzlich von den Toten auferstanden. Noch beim Überfall des Irak auf Kuwait und bei den noch länger zurückliegenden Drohungen, Israel mit Massenvernichtungswaffen auszulöschen, moderte die Leiche friedlich vor sich hin.

Einer der Ersten, der sich am Grabe der Friedensbewegung zu schaffen machte, um der Verblichenen neuen Odem einzuhauchen, war der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Wie man einen Erfrorenen mit Schnee einreibt, so behandelte er den Kadaver mit den Ursachen seines Zustandes: mit einem Elixier aus Nationalismus und ganz persönlicher Entrüstung. Und den Grund dieser anhaltenden Empörung teilte der schreibende Wiederholungssanitäter mit: Die Leiden des jungen Rudolf A., so erfuhren die Spiegel-Leser in der Ausgabe zur Wiedervereinigung Anfang Oktober 1990, waren die Leiden einer noch unerwiderten Liebe zu diesem Staat. Er habe, so teilte er im Brustton des patriotischen Veteranen mit, wegen dieser Liebesbeziehung in drei deutschen Gefängnissen gesessen. Doch mit der von ihm publizistisch begleiteten Verwandlung der deutschen Bevölkerung ins deutsche Volk wurde er reichlich für jenen frühen Liebes- und vergleichsweise komfortablen Freiheitsentzug entschädigt.

dass andere, beispielsweise die Juden, ihre unerwiderte Liebe zu Deutschland nicht nachträglich auch als Gewinn verbuchen wollen, nimmt er ihnen seitdem übel. Zwar hatte er sich schon vor jeder organisierten deutsch-jüdi­schen Verbrüderung auf höchst private Weise mit ihnen versöhnt, indem er sich das Pseudonym Jens Daniel zulegte, einen – worauf er jüngst seine Leser eigens hinwies – »nordisch-alttestamentarischen« Namen. Doch trotz dieser alttestamentarischen Namenssymbiose machte ihm ständig zu schaffen, was seiner Auskunft nach auch schon Göring beim Nürnberger Prozess Magenschmerzen bereitet hatte. Göring habe zu einem Mitangeklagten gesagt: »Wenn nur nicht dieses verdammte Auschwitz wäre! Ohne Auschwitz könnten wir uns richtig verteidigen. So ist uns jede Möglichkeit verbaut. Alle denken, wenn von uns die Rede ist, immer nur an Auschwitz und Treblinka«.

Gottseidank kam dann der Kalte Krieg: »Die Kluft zwischen Ost und West hat uns aus der schlimmen Isolierung der Gaskammern herausgeholfen«, atmete Augstein auf, als seien die Deutschen 1952 gerade noch rechtzeitig vor der Vernichtung bewahrt worden. Mit dem Ende der Nachkriegszeit, die Augstein als früher Sprecher der spä­teren Friedensbewegung immer als Periode nationaler Demütigung durch die Alliierten begriffen hat, war diese hilfreiche Kluft zwischen Ost und West mit einem Mal verschwunden. Und es drohte nun die vom Spiegel-Herausgeber des öfteren beschworene Gefahr, dass die Weltöffentlichkeit sich nicht von der deutschen Amnesie anstecken ließ. Es konnten also auch die Juden daran erinnern, dass das neue Deutschland, dessen »Stunde Null« Augstein jetzt proklamierte, immer noch das Land sei, zu dessen jüngerer Geschichte die Massenvernichtung gehöre.

Die Erinnerung daran hatte er ihnen schon Jahre zuvor nicht verziehen, als er die Reputation des Bundeskanzlers mit dem Hinweis verteidigte, es habe keinen moralischen Unterschied zwischen der schweigenden Mehrheit der Deutschen und der von diesen umgebrachten Juden gegeben. Wenn er also, um an ein Diktum Adornos zu erinnern, zähneknirschend zugab, dass Verbrechen begangen worden waren, dann sollte wenigstens das Opfer mitschuldig sein. Seine journalistischen Trompetensignale vor Ausbruch des Golfkriegs, die er in die noch tauben Ohren der dahingeschiedenen Friedensbewegung stieß, zeigen, dass der Spiegel – und nicht etwa die Bild-Zeitung – zum Meinungsführer des Volksempfindens bei der Voll­reinigung der deutschen Geschichte geworden ist.

Wie indes der wirkliche Führer nur befehlen kann, was die Bevölkerung will, dass er befiehlt, so kann auch der Spiegel-Herausgeber nur verlautbaren, was er abgelauscht hat. Er ist nicht der Praeceptor der Nation, für den er sich gerne hält, wenn er seine Leser gelegentlich nicht mit Tagesmeinungen, sondern mit historischen Gesinnungsaufsätzen traktiert, in denen er alles zwischen Plato und Nato hervorkramt, um die deutsche Ehre zu verteidigen. Er ist nicht der zu Unrecht nicht anerkannte deutsche Großhistoriker der zweiten Jahrhunderthälfte, sondern bloß der Stichwortgeber seiner kollektiven Einflüsterungen. Er ist der Biedermann als Anstifter, das Sprachrohr des gesamtdeutschen Vorurteils. Er macht aus dem Stammtisch, wo es vom Himmel durch die Welt zur Hölle geht, eine für Aufsichts- wie Studienräte akzeptable Tafelrunde des völkischen Ressentiments. Während es in der Kneipe um einen Hocker am Tresen geht, verlangt es ihn nach einem deutschen Platz an der Sonne. Und wenn sich andere dazwischenstellen und einen Schatten darauf werfen, dann schreibt Augstein eine Kolumne.

Seine Artikel sind Verlautbarungen des ehrbaren Antisemitismus, der zwar die Juden nicht verbrennen, sich umgekehrt, wie Augstein kürzlich erklärte, aber auch von diesen »nicht die Erinnerung an die Rampe von Auschwitz für immer ins Gedächtnis brennen« lassen will. Die mit der »Stunde Null« neugewonnene Unschuld möchte er sich nicht von anmaßenden Juden rauben lassen, die besser daran getan hätten, das KZ als Fortbildungseinrichtung zu begreifen. Sie hätten doch, wie der Oberlehrer monierte, »in der eigenen Geschichte erfahren ..., wie man mit Minderheiten nicht umgehen sollte, und wohin der Mangel an Toleranz führt«. Jetzt müssen sie also nachsitzen, im Bunker und mit Gasmaske. »Man ist Antisemit, um Antisemit zu sein«, schrieb vor hundert Jahren der österreichische Autor Hermann Bahr. So selbstlos ist diese Leidenschaft heute nicht mehr. Und nach Augsteins rhetorischer Frage »Ist Israel noch zu retten?« muss man jene Wendung neu fassen: »Man ist Antisemit, um Deutscher zu sein«.

Noch fehlte indes jene zündende Parole, welche die von Augstein behandelte Leiche dazu bewegen konnte, als moralischer Herrenmensch ins wirkliche Leben zurückzukehren. Mit »Kein Blut für Öl« war sie gefunden, und als Antwort auf den Heiligen Krieg entstieg der Gruft die fundamentalistische Bewegung zum Heiligen Frieden. Lauter Gesinnungsträger wie ehedem, die trotz ihrer Jugendlichkeit den Altvorderen gleichen wie aus dem verhärmten Gesicht geschnitten; eine Art letztes Aufgebot der Friedensbewegung, die nun, indem sie Schüler und Kleinkinder mobilisiert, schließlich ihre pazifistische Wer­wolf-Truppe geschaffen hat. Mit ihrer durch weiße Armbinden vollzogenen Verwandlung von Schülerlotsen in Luftschutzwarte machen die Jugendlichen ihr Gefolgschaftsbedürfnis geltend und demonstrieren mit Schweigemärschen hauptsächlich, dass es keines Krieges hier mehr bedarf, um in Reih und Glied zu denken. Und wer die weißen Bettlaken aus den Fenstern hängen sieht, muss den Eindruck gewinnen, jetzt sei endlich erreicht, was die alte Friedensbewegung immer behauptet hatte, nämlich dass Deutschland ein besetztes Land sei, dessen Bewohner nun auf den Balkon treten mit der Mitteilung: Wir übergeben uns!

II.

Schuld am imaginierten Weltuntergang sind die USA, doch am Grund dieser Schuld liegt Israel – das ist die Botschaft der unbefangenen Apokalyptiker auf der Straße. Deshalb war auch, noch ehe eine einzige irakische Rakete auf Israel niedergegangen war, von der deutschen Treffsicherheit auf jüdischen Friedhöfen zu lesen.

Wenn Ekkehart Krippendorff, Politikprofessor in Berlin und gleichzeitig eine Art freier Mit- und Weiterdenker Augsteins, am 22. Januar 1991 in der taz schrieb: »Ohne Wenn und Aber für Israel«, dann war diese Überschrift nur die branchenübliche, das heißt, die aus dem deutsch-jüdischen Versöhnungsgeschäft herrührende Tarnformel für ihr genaues Gegenteil. Denn ohne Wenn und Aber ist man in Deutschland nur für die toten Juden.

Es handelte sich bei dem Text von Krippendorff, der gelegentlich wie und bei Augstein von der »Fremdbestimmung der Sieger« schwadronierte, um genau jenes Quantum moralischer Nachrüstung, dessen die neu erweckte Friedensbewegung noch ermangelte, um sich das rechte Gewissen zu einer besonderen Fortzeugung des Antisemitismus zu machen: zu einem Judenhass, der aus der Friedensliebe kommt – zu einem moralischen Antisemitismus. Im Namen des Friedens gegen Israel zu sein ist etwas Neues. Denn dieses Ressentiment hat alle praktischen und politischen Beweggründe abgestreift. Es handelt sich bei ihm nicht mehr um den wie Bebel sagte »Sozialismus der dummen Kerle«. Dieser neue Antisemitismus erwächst weder aus niedrigen Instinkten noch ist er Ausfluss ehrbarer politischer Absichten. Er ist die Moralität von Debilen.

Das antijüdische Ressentiment entspringt den reinsten menschlichen Bedürfnissen, es kommt aus der Friedenssehnsucht. Es ist daher absolut unschuldig, es ist so universell wie moralisch. Dieser moralische Antisemitismus beschließt die deutsche Wiedergutwerdung insofern, als sich durch ihn die Vollendung der Inhumanität ankündigt: die Banalität des Guten.

Vom Giftgas reden weder Augstein noch Krippendorff. Denn im Hause des Henkers redet man nicht vom Strick. Es könnte passieren, dass das neue Deutschland, dessen Beginn Krippendorff im Unterschied zu Augsteins »Stun­de Null« einmal auf den 2. Juni 1967 vordatiert hat, in einem Atemzug mit Gas genannt wird. Hatte sich denn Dorothee Sölle bei Gildemeister Zutritt verschafft, um dort ihr Mutter Unser zu beten, oder ist Walter Jens, der Sitzheld von Mutlangen, etwa nach Eschborn gewandert, um sich philologisch über die Ausfuhrgenehmigungen herzumachen? Das damalige friedensbewegte Geschwätz über das auserwählte Volk der Bombe, über die besondere Bedrohung Deutschlands schloss das Schweigen über dessen besondere Bedrohlichkeit ein. Und weil er jahrelang besonders heftig geschwiegen hatte, hängte der DGB kurz nach Ausbruch des Krieges, noch fünf symbolische Minuten an.

Bei ersten Demonstrationen gegen den Golfkrieg kam das Wort Gas nicht vor, und erst recht nicht, wen es bedroht. Um so heftiger hingegen war die Forderung zu hören, dem Diktator bei der Ausführung seines von ihm angedrohten Massenverbrechens – nämlich Israel in ein Krematorium zu verwandeln – nicht in den Arm zu fallen. Die mit der Friedensforderung behauptete Anteilnahme am Schicksal der irakischen Bevölkerung ist indes nicht so selbstlos, wie sie sich gibt. Diese Sympathie verrät unmissverständlich, dass es sich bei ihr um einen vorausschauenden Rückblick handelt: am Irak soll nicht vollstreckt werden, was den Deutschen bereits widerfahren war. Mit dem beständigen Hinweis der Demonstranten, dass Deutschland aufgrund seiner eigenen Geschichte eine besondere und weltweite Verantwortung für den Frieden habe, soll vor allem eine deutsche Errungenschaft der jüngeren Geschichte vergessen gemacht werden: dass nämlich der einzige deutsche Beitrag zur Zivilisation im 20. Jahrhundert darin besteht, den Krieg als Mittel der Politik eben nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil ihn als Sachwalter der Humanität überhaupt erst möglich gemacht zu haben.

Die Juden Israels gelten als quantité négligeable – bes­tenfalls, oder aber als die eigentlich Schuldigen, wie man es bei Krippendorff nachlesen kann. Er übersetzt die irakische Propaganda in die Sprache der deutschen Betroffenheit. Wenn Saddam Hussein tönt, was die Etikette Krippendorf verbietet, dass nämlich die Juden das Unglück der Araber seien, dann heißt das im Jargon der moralischen Nachrüstung des Antisemitismus: »Das ist der Sturm, zu dem die Politik des Staates Israel den Wind gesät hat. Man stelle sich vor, Israel würde sich noch heute bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückziehen ...«

Bedingungslos – das hätte er gern. Außerdem müsse die deutsche Friedensbewegung »unzweideutig darauf bestehen, dass die rigide, arrogante, ja ›rassistische‹ israelische Politik einen wesentlichen Anteil an der Popularität des brutalen Saddam Hussein« habe.

Ähnlich argumentierte vor einem halben Jahrhundert eine andere Bewegung, die unzweideutig darauf bestand, dass die rigiden jüdischen Kaufhausbesitzer einen wesentlichen Anteil an der Popularität des Führers hatten. Der hat ja bekanntlicherweise dann die Kaufhäuser abgeschafft und den Sozialismus eingeführt. Krippendorff setzt, wenn er die Politik Israels qualifiziert, das Adjektiv rassistisch in Anführungszeichen. Was will er damit sagen, wenn er dieses Wort mit Samthandschuhen anfasst, wo er es doch wörtlich meint? Bedauert er, dass die Nürnberger Gesetze nicht mehr gelten, denen zufolge nur Deutsche Rassisten sein durften? Will er den Leser darauf vorbereiten, dass, sollte er künftig einmal mit Anführungszeichen von der »jüdischen Verschwörung« schreiben, diese dann auch wirklich gemeint sei. Tatsächlich sind diese diakritischen Zeichen Signale der Kumpanei zwischen dem Autor und dem Publikum, sie sind Lidschläge eines einvernehmlichen Zwinkerns: wir wissen schon, was gemeint ist.

In einer 1987 im Spiegel erschienenen Eloge auf die Protestbewegung hatte sich Krippendorff an einer Diagnose versucht, die eher einer Selbstbezichtigung gleichkam: »Die deutsche Sprache, ein sichereres Indiz für veränderte Kultur als alle politische Analyse, ist nicht mehr dieselbe wie noch vor zwanzig oder gar hundert Jahren: Sie ist flexibel, schöpferisch, unbotmäßig, fantasievoll geworden.«

Vor allem flexibel, so legt sein antiisraelisches Pamphlet in der taz nahe, wenn es um Ursache und Wirkung, und phantasievoll, wenn es um die Wahrheit geht. Im triefigen Mitleidston schreibt er über den »ganz und gar friedlichen, passiven Widerstand der Palästinenser«, als hätten diese nicht schon genug an den Schlägen der Besatzungsmacht zu leiden, sondern auch noch einen Tritt der deutschen Friedensbewegung nötig, mit dem sie, die doch allen Grund haben, nicht mit weißen Armbinden, sondern mit Steinen in der Hand sich zu wehren, auf das Niveau ihrer deutschen Anwälte herabgedrückt werden sollen.

»Ein Deutscher ist ein Mensch«, notierte Adorno einmal, »der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.« Krippendorffs Bekenntnis ohne Wenn und Aber zu Israel nimmt sich aus wie das Plädoyer des Advokaten in der »Fledermaus«, der sich dem schlecht vertretenen Klienten gegenüber mit den Worten verteidigt: »Ich wollte Sie nicht beleidigen, sondern verteidigen«. Er hat sich, wie Augstein auch, nur über Kritik von außen geärgert, darüber, dass ein frecher Jude sich in der taz über die Dämlichkeit der Friedensbewegung auslassen durfte. Von einem, der nicht ihren Stallgeruch teilen will, lassen sich Krippendorff und die anderen, »die wir mittendrin stehen«, doch nicht den mühsam erworbenen moralischen Antisemitismus vermiesen. Und wie Augstein so fordert auch Krippendorff die Juden auf, sie sollten gefälligst die besseren Menschen sein.

Schon 1942 hätten sie diese Ermahnung missachtet, indem sie die Deportationen nicht mit einem Sitzstreik abgewendet hätten, schrieb Krippendorff in der taz zwei Tage, bevor er als Israelexperte debütierte: »Man stelle sich vor, die Kolonne der Hunderte und Tausende auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen hätten sich schlicht hingesetzt – hätten Polizei, SA, Wehrmacht und SS es gewagt, im Angesicht aller deutschen Zuschauer diese Menschen zusammenzuschlagen und sie Körper für Körper, widerstandslos und doch mächtig, auf Lastwagen zu verfrachten?«

Ein einziges jüdisches Teach-In, und Goebbels hätte einpacken können; ein einziges jüdisches Sit-In, und die Deutschen hätten sich in eine Bürgerrechtsbewegung verwandelt. Doch offensichtlich fehlte den Juden die Zivil­courage, die sie gleichzeitig auch noch den Zuschauern ihres Elends beibringen sollten. Weshalb sie also nicht nur an ihrer eigenen Vernichtung schuld, sondern auch für den fehlenden Widerstand bei den Deutschen verantwortlich sind. Zwischen der Diagnose des selbstverschuldeten Massenmords und der Feststellung der »arrogant-heroischen Selbstmordpolitik des Staates Israel« besteht ein innerer Zusammenhang. Beides sind Wunschvorstellungen eines Judenreferenten von heute.

Die Extreme berühren sich, hieß es einmal. Angesichts des Ineinander von herrschender Meinung und Kritik an ihr, angesichts der Nähe von Augstein und Krippendorff muss es jedoch heißen: was sich berührt, wird extrem.

1991

Sein Name ist ein Ärgernis
Zur Kampagne des deutschen Feuilletons gegen Marcel Reich-Ranicki

Meine Damen und Herren,

wären die militärischen Verschwörer vom 20. Juli erfolgreich gewesen und nicht die Alliierten, dann würden wir uns weder heute Abend hier einfinden können, noch gäbe es den Anlass zu dieser Veranstaltung. Es gäbe keine Medienkampagne gegen den Literaturkritiker, und zwar deshalb nicht, weil es Marcel Reich-Ranicki nicht gäbe, jedenfalls nicht in Deutschland.

Die letzten Juden Europas, derer die Nazis damals noch habhaft werden konnten, wurden gerade in die Gaskammern gejagt, da verständigten sich die Verschwörer auf einen älteren Plan zur Lösung der Judenfrage. Denn auch sie wollten eine Judenfrage lösen. Die Juden sollten aus Europa nach Kanada oder Südamerika verfrachtet werden. Dieser Plan war in Eichmanns Schublade verschwunden, nachdem die Nazis sich entschlossen hatten, es sei besser, die Juden umzubringen, statt sie zu verjagen. Die Juden, oder was von ihnen übrig war, sollten weggeschafft werden, denn die Welt, so die Auffassung der Verschwörer, käme nicht eher zur Ruhe, bis nicht eine globale »Neuordnung der Stellung der Juden« erreicht sei. Auch deutsche Offiziere fänden dann endlich wieder den inneren Frieden, den die Ermordeten gestört hatten. Durch ihre Abschiebung nach Übersee hätten die Juden keine Gelegenheit mehr, Anlass der moralischen Kränkung der Soldatenehre zu sein. Wie sehr Juden in ihrer Eigenschaft als Kandidaten der Ermordung durch SS und Wehrmacht deutschen Offizieren zusetzten, welch unerträgliche Belastungen die Opfer den Tätern aufluden, ja wie geradezu die Täter sich opferten, wenn sie Tote herstellten – von dieser Selbstlosigkeit zeugt nicht nur jene berühmte Rede Himmlers, der 1944 davon gesprochen hatte, dass deutsche Soldaten trotz all dieser Zumutungen anständig geblieben seien. Von General Speidel, dessen Name für die Kontinuität von Wehrmacht und Bundeswehr steht, ist aus dem Jahr 1950 die Auskunft überliefert, dass in Wahrheit nicht die Opfer, sondern die Vollstrecker des Verbrechens gelitten hatten. Über den hingerichteten Mitverschwörer General Carl-Heinrich von Stülpnagel, der an der Ostfront einen »vermehrten Kampf gegen das Judentum« befohlen hatte, über Stülpnagels Einordnung und frühes Leid erklärte Speidel: »Bei seinem hohen ethischen Grundgefühl empfand er das Amoralische des Systems als ständiges seelisches Martyrium.« Damit diese Leidensgeschichte ein Ende hätte, sollten die Juden weg. Reich-Ranicki hätte keine Chance gehabt – ab nach Kanada oder Chile; selbst die Ausnahmebestimmungen, über welche die Verschwörer penibel nachgedacht hatten, hätten ihm damals nicht geholfen. Nur Juden, deren Familie schon über mehrere Generationen in Deutschland ansässig waren, sollten bleiben dürfen, oder jene, die sich um Deutschland verdient gemacht hatten. Aber Reich-Ranickis unheilbare Liebe zur deutschen Kultur hatte damals noch vornehmlich darin bestanden, dass er las und noch nicht publizierte, dass er also noch nicht zum »Verdienstjuden«, wie es bei den Nazis geheißen hatte, avanciert war. Genau unter der Berufung auf diese Anstrengung, Reich-Ranicki habe einen wichtigen Beitrag zur deutschen Kultur geleistet, verteidigten manche den Angegriffenen gegen die Infamien des deutschen Feuilletons.

Von Tucholsky, der andere Daten deutscher Traditionsfindung kommentierte, stammt die treffende Bemerkung: »Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.« Heute wollen sie wieder. Es soll historisch zusammenwachsen, was wirklich zusammengehört, denn nach der geschichtlichen Vorlage ist auch das Modell der Identität gebildet, das nun vom Stapel laufen soll. Die negative Abgrenzung nach außen korrespondiert mit der positiven Bindung nach innen und dem Anschluss der Vergangenheit. Deren Dioskuren oder doppeltes Lottchen heißen Schindler und Stauffenberg, oder auf einen Nenner gebracht: »der gute Nazi«. Doch wie damals, als der identische Deutsche um sein seelisches Gleichgewicht gebracht wurde, so stören die Juden auch heute den Frieden, der mit der Geschichte gemacht werden soll. Ansonsten umworben und für die Image­pflege Deutschlands bei jeder sich bietenden offiziellen Gelegenheit ins Rampenlicht geschleift, sind die Juden anlässlich der Ausrufung des »anderen Deutschland« auf eigentümliche Weise abwesend. Sie jedenfalls haben nicht vergessen, dass dieses »andere Deutschland« noch, wie Hannah Arendt es einmal formuliert hat, »durch einen Abgrund von der zivilisierten Welt getrennt war«. Und diesen Abgrund nimmt man den Juden übel. Sie hätten ein Problem mit dem 20. Juli, beschwerte sich der Sohn des Hitler-Attentäters, als der Vorsitzende des Zen­tralrats der Juden vorsichtig auf diesen Abgrund hinwies. Stauffenberg junior kann Bubis freilich nicht verzeihen, dass die Mehrzahl der militärischen Verschwörer ganz ordinäre Antisemiten waren. Für den Umstand, dass darüber beim offiziellen Gedenken nicht die Rede sein soll, wird man seit einiger Zeit ausführlich entschädigt. Dem Schweigen über die Vorgeschichte, die Motive und Pläne der militärischen Verschwörer gegen Hitler entspricht die Geschwätzigkeit über die Opfer. Wenn der Bürger, schrieb Adorno einmal, schon zugibt, dass Verbrechen geschehen sind, dann will er auch, dass das Opfer mitschuldig ist. Der gegenwärtig zu neuem Leben erweckte anständige Deutsche bezieht gerade aus der Unanständigkeit der Ermordeten und Überlebenden seine politische Vitalität. Wie die Kirche den Teufel, so braucht der gute Deutsche den bösen Juden. Dieser Zusammenhang liegt der »Affäre« Reich-Ranicki zugrunde, die eine Affäre des deutschen Feuilletons ist.

Die antijüdische Begleitmusik, die in diesem Fall gespielt wird, ist nicht neu. Die Orchesterbesetzung hat gewechselt. Jahrelang war, um einen verwandten Fall zu erwähnen, Heinz Galinski, der verstorbene Vorsitzende der Berliner jüdischen Gemeinde, die Projektionsfigur für einen weitverbreiteten Antisemitismus von unten, einen Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Wer gar nichts wußte, wußte immer noch, wer Galinski war; wer nichts zu sagen hatte, dem fiel zu Galinski etwas ein. Er war der »Mahner«, wie es immer wieder hieß, der sich als notorischer Gläubiger gebärdete. Er war der Itzig der Nachkriegszeit, die mit seinem Tod und der Wiedervereinigung zu Ende ging. Der Hass auf ihn freilich war nicht Ausdruck dumpfer Verdrängung der mörderischen Geschichte, sondern eine Leistung des hellwachen Bewusstseins selbst noch der verblödetsten Landsleute: mit der jüngeren deutschen Geschichte sollte nicht einfach Schluss sein, sondern diese sollte, indem es gegen Galinski ging, erst richtig zu ihrem Abschluss gebracht werden. Dass er noch da war, ging nicht mit rechten Dingen zu. Etwas war damals schiefgelaufen. Er war sozusagen ein Toter, der nicht sterben wollte.

Im Fall Reich-Ranicki, dem man nicht den Titel eines »Mahners«, sondern den um nichts weniger Respekt wie Ranküne vereinigenden Titel eines »Richters«, eines »gna­denlosen Richters« verliehen hat, in seinem Fall ver­hält sich die Sache etwas anders. Der Mann wird nicht vom Publikum, sondern von Kollegen und Literaten gehaßt, die das Ressentiment erst ausbilden und formulieren müssen, damit es kollektiv wirksam wird. Erst wenn diejenigen, die Reich-Ranicki als Literaturkritiker verrissen oder, schlimmer, ignoriert hat, es geschafft haben werden, den Kritiker im jüdisch-kommunistischen Agenten verschwinden zu lassen, können sich alle, nicht nur die Handvoll bedeutungsloser Schriftsteller und Journalisten, als bedeutende Opfer eines Bösewichts fühlen. Die Kampagne gegen Reich-Ranicki, der in den Augen ihrer Protagonisten den dreifaltigen Vorwurf: Jude, Kommunist und Kollaborateur verkörpert, ist der patriotische Beitrag des klugen Kerls, oder anders gesagt: Antisemitismus von oben. Es ist in diesem Zusammenhang von ausgesuchter Ironie, dass ausgerechnet in seiner eigenen Zeitung, der FAZ, vor Jahren die Frage aufgeworfen wurde, die nun anhand seiner Person beantwortet wird. Damals fragte ein Autor angelegentlich der Theateraufführung »Getto« ganz ungeduldig: »Wann verlieren die Opfer ihre moralische Unschuld«? Und auch der Spiegel nahm damals von einer lieb gewonnenen Vorstellung Abschied, der zufolge die umgebrachten Juden alle Kammermusiker, Philanthropen und Nobelpreisträger gewesen waren, und sprach von der »Wahlverwandtschaft zwischen Henkern und Opfern.« Diese Wahlverwandtschaft im Fall Reich-Ranicki zu belegen, war das Privileg eines polnischen Journalisten, den die Herrenmenschen von der Zeit engagierten. Auch an der Verteilung der Drecksarbeit hat sich nichts geändert. Außerdem macht ihn die aktuelle Amalgamierung von Nazi und Stasi ohnehin mindestens zu einem halben Nazi, was in seinem Fall natürlich als besondere Anmaßung gilt.

Reich-Ranicki, so ist absehbar, wird zur phantastischen Wunschfigur des ideellen Gesamtantisemiten: Intellektuel­ler, Jude, Kommunist, erst im Geheimdienst, dann Verräter, übt Macht aus, sinnt auf Rache. Ein Ärgernis ist er schon immer gewesen. Doch der Neid auf ihn und seinen Erfolg tritt nun, da Reich-Ranicki dazu dienen soll, den Blick auf die Vergangenheit frei zu machen, als antijüdisches Ressentiment auf. Durchtränkt von diesem war der Neid schon immer. Talent habe er, aber keinen Charakter, hieß es, weil er unterhaltsam ist. Und vorgeworfen wurde ihm von jenen, die sich, wie Walter Jens etwa, als Hüter des Geistes verstehen, er sei ein Agent der Warenwelt, das Literarische Quartett sei so etwas wie ein Verkaufsveranstaltung für Jacobs-Kaffee. So wird von jenen, die nichts als marktgängigen Edelkitsch und Aufklärung von der Stange zu bieten haben, dem im Unterschied zu ihnen brillanten Exponenten der literarischen Zirkulation vorgeworfen, den Tod der Literatur zu verursachen und deshalb für eine Tendenz verantwortlich zu sein, die Reich–Ranicki doch bloß vorgefunden hat. Am Exponenten des Kulturbetriebs wird die Verwandlung von Literatur in Ware beklagt, eine alte Klage der liberalen Ära, »deren Hass gegen den jüdischen Mittelsmann«, so Adorno, »am Ende das unsägliche Grauen bereitete.«

Der zentrale Satz, der in immer neuen Variationen in die Attacken gegen den Literaturkritiker einfloss, wurde gleich zu Beginn des Treibens verübt: In der Fernsehsendung von Tilman Jens im Mai 1994 mahnte eine garantiert doppel-arische Frau Krone–Schmalz: »dass der Richter von heute einst ein Gerichteter war, dürfen wir niemals vergessen.« Oder anders gesagt: das Warschauer Getto werden wir ihm niemals verzeihen. Immer daran denken, Juden verfolgen, weil sie selbst verfolgt wurden. Verfolgung macht das Opfer zum Verfolger. Der Angriff auf Reich-Ranicki ist sozusagen ein Akt der Notwehr. Es ist dies die Angst für ein unabgegoltenes Kapitel der deutschen Geschichte, eine Angst, die Heiner Müller, der geborene Sprecher des Unterbewusstseins in Deutschland, auf die Formel gebracht hat: »Die Atombombe ist die jüdische Rache für Auschwitz.«

Reich-Ranicki ist den Kommunismus losgeworden, nicht aber sein Judentum. Das hängt an ihm wie eine Zielscheibe, auf die sich seit Beginn der Affäre alle eingeschossen haben. Da wird selbst seine Tätigkeit im polnischen Geheimdienst eine bloße Funktion seines Judeseins und nicht als Ergebnis sachlicher Gründe gesehen. In der Aneinanderreihung: vom Getto über den Geheimdienst zum gnadenlosen Richter erscheint das klassische antijüdische Stereotyp: Verfolgtwerden als eine Vor­bedingung der Macht.

Sollte irgendjemand freilich nicht gewusst haben, dass Reich-Ranicki Jude ist, dass Juden Opfer und Opfer dazu da sind, geopfert zu werden, dem verschaffte der Spiegel mit einer dem Stürmer nachgeäfften Titelbild Gewissheit, dass sein Unbehagen einem bösartigen Tier galt und demzufolge begründet war. Andererseits freilich war Reich-Ranicki manchen nicht jüdisch genug, und dann gaben sie ihm, wie viele Deutsche das tun, wenn sie auf Juden treffen, Nachhilfeunterricht im Jüdischsein.

Wolf Biermann, vor dessen Zudringlichkeit kein jüdischer Autor mehr sicher ist, ist das beste Beispiel für die Nachäfferei dessen, was als jüdisch gelten soll. Wie einst Eichmann, der beim Besuch eines Konzentrationslagers jüdische Häftlinge beschimpfte, weil sie keine jüdischen Witze erzählen konnten oder die hebräische Sprache nicht beherrschten, also keine richtigen Juden seien, so ging Biermann auf Reich-Ranicki los mit der Vorhaltung, er wisse nichts von jiddischen Dichtern aus dem Getto oder es ermangele ihm an Interesse für die moderne israelische Literatur.

»Wir wissen nicht, was Sie draußen gemacht haben, aber wir wissen genau, was wir drinnen gemacht haben« – mit diesem Satz haben die Gleichgeschalteten nach 1945 Emigranten als Verräter und Deserteure verhöhnt. Was Reich-Ranicki »draußen« gemacht haben könnte, ist trotz aller Enthüllungen über seine kommunistische Vergangenheit eine Frage geblieben, von welcher die verfolgende Unschuld des deutschen Feuilletons heftig gequält wird. In der Wochenzeitung Die Zeit las man die kleinlaute Zwischenbilanz des drängenden Wunsches, überlebende Juden den Deutschen gleichzumachen: »Über die ›vielen Erfolge‹ des Tschekisten Marcel Reich-Ranicki wissen wir praktisch nichts.« Diesem unbefriedigenden Zustand wurde abgeholfen mit einem Buch über Polen, das die kollektiven Ahnungen zur Gewissheit werden lässt. »Auge um Auge«, so lautet der Titel. Und im Untertitel wird versprochen: »Die nicht erzählte Geschichte der jüdischen Rache an den Deutschen im Jahr 1945«. Reich-Ranicki kommt in diesen Protokollen der Rächer von Zion zwar nicht vor, aber in diesem neuen antijüdischen Standardwerk spielt dieser geringfügige Umstand keine Rolle mehr.

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