Kitabı oku: «Die erste Legende von Ashamur», sayfa 2

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Kapitel 1

Reich der vier Himmel, Westreich

Hauptstadt Aracon

- Drei Jahre später-

Das durchdringende Klirren der Schwerter begleitete die Frühjahrssonne bei ihrem Untergang und begrüßte die Dämmerung und den blassen Mond, der im Osten aufstieg. Die zunehmende Anstrengung machte sich durch heiseres Stöhnen der beiden jungen Kämpfer bei jedem Schwerthieb bemerkbar.

Blitzschnell schwang Jard sein Schwert und stürmte auf Kel zu, der jedoch unmittelbar reagierte und den

Hieb erfolgreich abwehrte. Kel überraschte die Wucht des Schwerthiebes seines Gegners, der ihm für gewöhnlich bei den allabendlichen Übungskämpfen unterlag. Er sprang zur Seite und holte zum Gegenangriff aus, aber Jard konterte geschickt. In temporeicher Abfolge folgten mehrere Schlagabtausche. Kel war außer Puste. Sein Leib schmerzte und seine Gedärme verkrampften sich bei jeder Bewegung. Jard verstand es blendend, diese Schwäche und seine eigene körperliche Überlegenheit auszunutzen. Er holte aus und traf Kel mit seinem Übungsschwert an der Schulter. Kel ächzte.

„Genug für heute!“, beendete Vardan das Gefecht, der wie jeden Abend, seit Kel vor drei Jahren zu der Familie des Präfekten kam, am Rand des Kampfplatzes stand und Anweisungen gab.

Die beiden jungen Männer verbeugten sich nach dem geltenden Codex mit einer entsprechenden Geste der Ehrerbietung. Erleichtert löste Kel seinen mit Bronze beschlagenen, ledernen Brustharnisch und schnappte nach Luft.

„Was ist nur los mit dir, Junge? Beinahe hätte Jard dich erledigt, dabei will er doch Heiler werden und kein Krieger“, erkundigte sich Vardan stirnrunzelnd.

Die Worte des Präfekten klangen freundlich, was die vielen Lachfältchen um seine Augen noch unterstrichen. Und doch meinte Kel, eine gewisse Sorge in seinem Unterton zu erkennen.

„Es ist nichts, Meister Vardan, ich bin nur... nur ein wenig unkonzentriert heute!“, erwiderte Kel und verbannte den wahren Grund für seine schlechte körperliche Verfassung in den hintersten Winkel seines Verstandes. Allmählich ließen die Krämpfe in seinem Leib nach. Warum hatte ihn dieser schreckliche Fluch bloß getroffen?

„Lass dir heute ein ordentliches Stück Fleisch geben, damit du endlich was auf die Knochen kriegst. Du weißt, es mangelt dir nicht an Geschick und Kampfgeist, es ist lediglich die Kraft, die dir noch fehlt“, sagte Vardan, und klopfte Kel aufmunternd auf den Rücken.

Kel brachte ein gequältes Lächeln zu Stande.

Jard, der in den vergangen drei Jahren für Kel wie ein Bruder geworden war, näherte sich mit strahlender Miene.

„Deine Abwehr war heute wirklich übel, scheint so, als hätte ich dir einen ordentlichen Hieb verpasst. Zum Glück sind es nur Übungsschwerter.“ Er legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern. Kel zuckte kaum merklich zusammen, doch Jard schien es trotzdem aufzufallen.

„Ist deine Schulter in Ordnung? Soll ich mal nachschauen? Du weißt doch, ich habe heilende Hände.“ Er machte sich sofort daran, Kel aus dem Brustpanzer zu schälen, um die Verletzung zu inspizieren. Doch Kel machte erschrocken einen Satz zur Seite. „NEIN...!“, rief er und schüttelte Jards Hände ab. „...Äh... ich meine... nein, ich hab nichts.“ Hastig rückte Kel die ledernen Platten seines Rüstzeugs wieder zurecht und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Lass uns einfach gehen“, forderte er Jard auf, während er sein Schwert in die Scheide steckte.

Jard nickte und packte ebenfalls seine Sachen zusammen. „Wolltest du nicht noch Wolfsnesselkraut sammeln?“, erinnerte ihn Jard. „Wenn wir uns beeilen, finden wir noch welches, bevor es stockdunkel ist.“

Ja, richtig, Wolfsnessel! Das hatte Kel beinahe vergessen. Sein Vorrat an Wolfsnessel ging allmählich zur Neige und er brauchte dringend Nachschub. Die beiden Jungen hatten vorigen Sommer begonnen, täglich einen Aufguss aus Wolfsnessel aufzubrühen und diesen zu trinken, auch wenn dieser Sud grauenhaft und bitter schmeckte und noch dazu ein unangenehmes Kratzen im Hals und Heiserkeit verursachte. Doch dieses Übel nahmen sie in Kauf, versprach der Konsum dieses Tees doch einen kräftigen Muskelaufbau sowie besonders lang anhaltende Manneskraft. Und auch ein üppiger Bartwuchs war nach regelmäßiger Einnahme zu erwarten. Doch im Gegensatz zu Jard, der für seine siebzehn Jahre schon breite Schultern und einen ansehnlichen Körperbau aufwies, war Kel meilenweit entfernt von derartigen Ergebnissen. Auch war er in den vergangenen drei Jahren nicht mehr sonderlich gewachsen, sodass Jard ihn mittlerweile um mehr als einen Kopf überragte. Kürzlich hatte Kel die Dosis erhöht, doch bis auf Halsschmerzen und eine kratzige Stimme, hatte sich an seinem schmalen Körperbau nichts geändert. Kel seufzte.

„Irgendwann muss das Zeug doch auch bei dir wirken!“, versuchte Jard ihn aufzuheitern. Zumindest hatte er Kel schon mehrmals hoch und heilig versichert, dass die ersten Anzeichen von Stimmbruch schon deutlich zu erkennen waren, wenn auch nur sporadisch.

„Wart´s ab, Kel, spätestens im Spätsommer wirst du den Mädchen auch endlich auffallen!“ Er grinste breit, wobei er seinem Vater sehr ähnelte, der die gleichen Grübchen auf den Wangen aufwies und ebenso warme braune Augen hatte. Kel zog eine Grimasse.

Mögen die Allmächtigen mich davor bewahren.

***

Jard und sein Ziehbruder, Kel verließen das weite Stoppelfeld, das als Übungsplatz diente und sie traten ihren gewohnten Heimweg an. Bis zur Residenz seiner Familie, war es ein zwanzig minütiger Fußmarsch. Sein Vater war indes den Rückweg zu Pferde angetreten.

An den Wegrändern wucherte in üppigen Büscheln das Wolfsnesselkraut. Kel bückte sich und pflückte die besten Stängel mit den schmalen pfeilförmigen Blättern. Jard hockte sich neben seinen Freund, dabei fiel ihm auf, wie winzig dessen Füße eigentlich waren. Derart kleine Stiefel hatte Jard zuletzt getragen, als er ungefähr zwölf gewesen war. Diese seltsame Entwicklungsverzögerung seines Freundes rührte anscheinend noch immer von den leidvollen Jahren her, die er hungernd auf der Straße verbracht hatte. Er begann ebenfalls noch etwas von dem Kraut für Kels Vorrat zu pflücken, dabei musste er höllisch aufpassen, da die Stacheln, die sich an den Stängeln befanden, sich schmerzhaft in seine Fingerspitzen bohrten, als er in der falschen Richtung an ihnen entlangfuhr.

„Soll ich dir eine Neuigkeit erzählen?“ Jard ließ seine Stimme absichtlich geheimnisvoll klingen. Kel wandte seinen Kopf zu Jard und blickte ihn voller Neugier an.

„Ist es das, was ich glaube?“, fragte Kel, seine Augen schienen vor Aufregung regelrecht zu glühen.

Jard versuchte sein freudiges Grinsen zu verbergen, indem er seine Lippen zusammenpresste.

„Nun sag schon!“, drängte Kel.

Jard strich sich mit einer gemächlichen Handbewegung sein leicht gewelltes, dunkelbraunes Haar zurück, so als müsse er erst darüber nachdenken.

„Wir dürfen endlich nach Eriu gehen. Vater hat entschieden, dass wir beide so weit sind. Du und ich, wir werden bald Schüler des großen Tempels des Westens sein. All die Zeit, die wir zusammen auf diesem verfluchten Stoppelfeld trainiert haben, ist also nicht umsonst gewesen, denn nun hast du die Aussicht, eines Tages ein bedeutender Kämpfer zu werden und ich ein erfolgreicher Magieheiler... oder wer weiß... vielleicht entpuppen sich meine Fähigkeiten als so außergewöhnlich, dass ich sogar selbst ein Großmeister des Tempels werde.“ Wieder grinste Jard, diesmal so breit, dass seine geraden weißen Zähne aufblitzten. Kels Gesicht begann zu strahlen.

Jard blickte Kel in die Augen. Diese schönen, dämonisch- grauen Augen. Verblüfft von diesem eigenartigen Gedanken, wich er einen Schritt von ihm zurück und drückte Kel das Kraut in die Hände.

„Lass es uns besiegeln!“, sagte er und zog unvermittelt seinen Dolch.

„Besiegeln?“ Kel blickte perplex auf die scharfe Klinge des Dolches.

Ohne zu Zögern öffnete Jard seine Hand und schnitt einmal quer durch seine Handfläche. Der sogleich einsetzende, stechende Schmerz entfachte eine seltsame Euphorie. „Los, gib mir deine Hand!“, rief er und griff nach Kels freier Hand. Ein paar Blätter fielen dabei zu Boden. Kel zog erschrocken seine Hand zurück, doch Jard ließ sie nicht los.

„Dieser Blutschwur wird uns zusammenschweißen wie echte Brüder, Kel. Eine solche Verbindung kann nicht einmal der Tod auflösen. Wir werden gemeinsam lernen und kämpfen und wenn nötig auch für den anderen sterben. Du bist mir in den vergangenen Jahren immer wie ein Bruder gewesen, deswegen will ich dir mit meinem Blut ein Stück meiner Stärke schenken!“

Kel riss die Augen auf. „N...nein, Jard, tu das nicht... ich... kann das nicht tun...!“, stotterte Kel, seine Stimme klang ganz heiser.

Jard bedachte Kel mit einem verständnislosen Blick. „Warum stellst du dich so an? Seit Jahrhunderten ist es Tradition im Reich der vier Himmel, dass Männer Bluteide leisten. Was ist nur los mit dir? Erzähl mir nicht, du kannst kein Blut sehen!“

Jard hatte den Eindruck, Kel starrte geradezu panisch auf die feine hellrote Linie in seiner Handfläche.

„Nein. Das ist es nicht. Ich... ich kann nur nicht. Einen Bluteid leisten, meine ich...“, sagte Kel in abwehrender Haltung.

Kannst du nicht oder willst du nicht?“ Jard setzte eine gekränkte Miene auf.

„Ich kann es einfach nicht...“

„Oder liegt es daran, dass wir aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Rängen stammen? Komm schon, Kel. Bruder. Du weißt, dass mir... und meiner Familie das egal ist. Du gehörst zu uns.“ Er zog Kels Hand wieder fester zu sich, denn er war sich sicher, dass Kel keinen triftigen Grund hatte, seinen Großmut zu verschmähen. Die Ehre, die Kel in diesem Moment zuteil wurde, konnte dieser unmöglich ablehnen. Er musste doch wissen, welche Kränkung eine solche Ablehnung bedeutete. Jard versuchte in Kels Augen den wahren Grund für seinen Widerwillen zu finden. Er sah seinen Freund schwer schlucken. Dann entkrampfte Kel endlich seine Hand. Sie zitterte.

***

Die kühle Klinge fühlte sich an wie Feuer, als sie durch seine Handfläche glitt. Kel sog geräuschvoll die Luft durch seine zusammengepressten Zähne. Als Jard fertig war, drückte er seine blutige Hand in seine. Eine Wärme schoss durch Kels Arm und strömte durch seinen gesamten Körper.

„Hiermit schwöre ich - Jarden Amatris Sohn des Vardan- dir, Kel, Sohn des...“ Jard hielt inne, „...erinnerst du dich an den Namen deines Vaters?“

Kel nickte. „Avias. Er kämpfte vor neun Jahren als Söldner in der Schlacht von Ivadyn. Dort starb er.“

Jard hielt noch einen Moment inne, so als gönne er Kel noch einen stillen Moment des Gedenkens.

Dann setzte er fort: „Kel, Sohn des Avias, dem tapferen Krieger von Ivadyn, in diesem Leben bedingungslos und mit unerschütterlicher Treue und unerschöpflicher Kraft zur Seite zu stehen. Von diesem Tag an sind wir Brüder für die Ewigkeit!“, flüsterte Jard mit funkelnden Augen.

Kel schluckte schwer. Seine Kehle war trocken.

„Hiermit schwöre ich, Kel, S...Sohn des Avias dir, Jarden Amatris, Sohn des Varden in diesem Leben bedingungslos und mit unerschütterlicher Treue und unerschöpflicher Kraft zur Seite zu stehen. Von nun an sind wir Brüder“, wiederholte Kel und unterdrückte das Zittern in seiner Stimme. Es war eine Lüge. Er log während eines geheiligten Rituals. Wenn ihn dafür nicht die ewige Verdammnis erwartete.

Kapitel 2

Kel schloss die Tür zu seiner behaglichen Kammer im ersten Stock der herrschaftlichen Residenz, die in der Nähe des belebten Stadtzentrums von Aracon lag. Er warf das Bündel Wolfsnesselkraut auf das Kirschholztischchen in der Ecke. Natürlich würde dieses Kraut ihm niemals zu einem stählernen, männlichen Körper verhelfen, geschweige denn zu einem Bart. Es war einfach unmöglich. Erschöpft ließ Kel sich aufs Bett sinken und rollte sich wie ein Embryo zusammen. Die Schmerzen im Leib waren wieder stärker geworden. Verzweiflung brach über ihn herein. Tränen brannten in seinen Augen und wanden sich wie winzige Flüsse durch das vom Übungskampf verstaubte Gesicht. Nun war der Fluch des Blutes nicht mehr das einzige Problem, dachte er mutlos und betrachtete seine Handfläche und die deutlichen Spuren des Blutschwurs, den er und Jard abgelegt hatten.

Niemals hätte ich diesen Bluteid mit Jard besiegeln dürfen, warf Kel sich vor, denn Kel war kein Mann. Nein, Kel war nicht einmal ein richtiger Junge. Ein Mädchen, das war sie. Kelestra. Und wie jede Frau, hatte auch sie der Fluch des Blutes getroffen. Der Fluch, der auf allen Frauen lag. Ein Merkmal von Schwäche. Der Grund, warum Mädchen und Frauen in dieser Welt weniger wert waren als Männer. Genau genommen hatte sie es nicht einmal verdient hier zu sein, denn sie würde niemals die Erwartungen erfüllen können, die Vardan hatte, als er Kel damals, in der Annahme, einen kampftalentierten Jungen vor sich zu haben, mit zu seiner Familie genommen hatte.

Sie war wertlos. Abschaum! Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit ans Licht kam. Heute war es nicht das erste Mal gewesen, dass die monatliche Blutung mit den verbundenen Unterleibskrämpfen sie beinahe verraten hätten. Und mehr als einmal, hatte sich das Hauspersonal über ihre nächtlichen Wanderungen in die Küche gewundert, wo sie die blutgetränkten Beweisstücke ihrer Weiblichkeit im Ofen verschwinden ließ.

Plötzlich musste sie an ihre Großmutter denken.

Nona hatte sie schon früh gewarnt, vor dem Fluch aller Frauen, und dass die Welt da draußen eine Welt der Männer war. Die Männer waren es, die die Macht besaßen und auch die Magie.

Als es ihrer Nona immer schlechter ging und ihr Ende nahte, hatte sie Kel einen Rat gegeben, dessen Beherzigung Kel letztendlich vor großem Übel bewahrte, wie ihr Jahre später klar geworden war.

Kelestra, meine Kleine, als Waise wirst du nicht länger hier wohnen dürfen. Sie werden dich holen und dich an eines der roten Häuser verkaufen, wo jungen Mädchen wie dir widerliche Dinge angetan werden. Das darfst du niemals zulassen, hörst du. Lass niemals zu, dass diese Männer dir wehtun.“

Als zehnjährige hatte Kel nicht recht verstanden, was ihre Großmutter meinte, bis zu dem einen Tag, in ihrer Zeit als Straßenkind, als sie unfreiwillig Augenzeugin eines Vorfalles geworden war, der genau das wiedergab, was Nona ihr zu erklären versucht hatte. Sie würde nicht zulassen, dass ein Mann ihr jemals auf so brutale Weise wehtat, wie es dem armen Straßenmädchen ergangen war, das nicht so gescheit gewesen war wie Kelestra, die sich zu ihrem eigenen Schutz als Junge ausgab, wie Nona es ihr geraten hatte.

Mit ihren letzten Kräften hatte Nona ihrer Enkelin das lange honigbraune Haar raspelkurz geschoren und ihr alte Kleider ihres verstorbenen Vaters gegeben, die sie einige Jahre zuvor in weiser Voraussicht umgenäht hatte, damit sie dem schmalen Mädchen wenigstens ansatzweise passten.

Trotz des Gesetzes, welches Frauen verbot, Männerkleider zu tragen, tat Kel wie ihr geheißen. Als sie mit zwölf, kurz bevor sie zu der Familie des Präfekten kam, auch nur andeutungsweise ein Brustwachstum an ihrem Körper bemerkte, hatte sie sogleich begonnen, sich mit Leinenstreifen flach zu binden. Ihre Angst entdeckt zu werden und an ein rotes Haus verkauft zu werden, war zu übermächtig.

Das Leben eines Jungen war hart, aber doch so viel freier und sicherer, als das eines Mädchens. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was Ocai und seine Kumpane ihr zu jener Zeit angetan hätten, hätten sie geahnt, wer sich in Wirklichkeit hinter dem schmutzigem Gesicht, den kurzen Haaren und den zu weiten Hosen verbarg.

Und dann war da noch diese Sache mit der Magie. Frauen trugen keine Magie in sich. Sie konnte es sich nicht erklären, warum sie. War sie vielleicht wirklich verflucht? Immer wieder hatte sie alte Geschichten gehört, die von einer längst vergangenen Zeit erzählten, als Frauen ebenso Magie in sich trugen. Ihre magischen Kräfte sollen viel stärker gewesen sein, als die der Männer, so hieß es, doch der Fluch eines boshaften Herrschers hatte alle Magieträgerinnen ihrer Magie beraubt. Doch man munkelte, dass eines Tages die Magie der Frauen zurückkehren würde. War sie eine von ihnen? Gab es vielleicht andere Mädchen und Frauen, die ihre Magie verheimlichten und sich ebenso wie Kel versteckten vor der Strafe, die sie dafür erwartete?

Als Kel ungefähr acht Jahre alt gewesen war, waren zwei Frauen aus der Nachbarschaft mit dem Vorwurf verhaftet worden, angeblich Magie heraufbeschworen zu haben. Kel hatte die Frauen gekannt, die nur harmlose Tinkturen und Pulver für die Nachbarschaft herstellten, um kleine Unpässlichkeiten zu lindern, doch auch die Kunst des Heilens war allein den Männern vorbehalten.

Bei Kel war es anders. Sie spürte, dass sich etwas viel Mächtigeres in ihr verbarg, als ein gutes Gespür für Heilkräuter.

Anfangs hatte sie es kaum wahrgenommen, dachte an Zufälle, doch seit dem Tag, als Ocai und seine Freunde von dem Peitschensturm entstellt worden waren, glaubte sie nicht länger an Zufälle. Sie war es gewesen. Diese Erkenntnis hatte sie zu zutiefst verängstigt. Sie würde sich niemals als Magie besitzendes Mädchen zu erkennen geben können, nicht einmal bei dem freundlichen Präfekten, der sie vor dem Wachmann beschützt hatte. Sie konnte sich die Strafe, die sie erwarteten würde, lebhaft vorstellen. Es war widernatürlich. Sie war widernatürlich. Und sie war dazu verdammt, ein Leben als Mann zu führen.

Die blutverkrustete Linie in ihrer Handfläche brannte, als eine Träne von ihrer Wange hineintropfte.

Ich habe Jard entehrt, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich bin Schuld, wenn ihm etwas passiert!

Ein Blutschwur zwischen einem Mann und einer Frau brachte großes Unheil hervor und zog einen qualvollen Tod nach sich, so hieß es. Frauen war es grundsätzlich verboten, sich geheiligten Ritualen zu unterziehen, selbst wenn sie nur unter Frauen stattfanden.

Allein der Gedanke, dass Jard und sie elendig zu Tode kämen, wie die Menschen in den alten Sagen, ließ ihr Blut in ihren Adern gefrieren.

Aber sie hatte keine Wahl gehabt. Sie musste es tun. Vielleicht war es ja etwas anderes, weil niemand wusste, dass sie gar kein echter Junge war und sie selbst sich in all den Jahren auch nie als etwas anderes gesehen hatte.

Möglicherweise würden Jard und sie vor dem grausamen Schicksal eines verbotenen Blutschwurs verschont bleiben. Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig, als die Glocke zur Abendmahlzeit sie aus ihrer Trübsal riss.

***

Als Tochter des Präfekten von Aracon standen Liva bedeutend mehr Privilegien zu, als den einfachen Bürgerstöchtern. Doch das reichte Liva nicht. Missmutig, wie so häufig, saß sie mit ihrer Familie an der reichlich gedeckten Tafel aus Olivenholz und nahm das Abendessen ein. Doch während ihr Vater, ihr älterer Bruder und ihr Ziehbruder rege Unterhaltungen führten, schwiegen sie und ihre Mutter, nickten hier und da, wenn sie etwas gefragt wurden und schauten die meiste Zeit des Abends mit niedergeschlagenen Augen auf ihre Teller. Allerdings schien auch ihr Ziehbruder, Kel, heute nicht allzu gesprächig. Zudem war er überaus blass. Nicht, dass er sonst einen kräftigeren Teint aufwies. Sie musterte für einen Augenblick den Jungen, der im selben Alter war wie sie, und der nun schon seit drei Jahren bei ihnen lebte. Kel hatte sich nicht außerordentlich verändert, bis auf sein Haar, das bei seiner Ankunft wild und verfilzt von seinem Kopf abgestanden hatte. Jetzt waren die Seitenpartien kahl geschoren und das kinnlange Deckhaar, das von goldenen Strähnen durchzogen war, zu einem Zopf am oberen Hinterkopf zusammengebunden.

Diese Kriegerfrisur stand ihm ausgezeichnet, befand Liva. Sie betonte sein hübsches, eher weiches Gesicht, mit – für einen Jungen – etwas zu großen Augen und zu langen Wimpern, auf die sie so manches Mal neidisch war. Seit damals war Kel nur mäßig gewachsen und gerade einmal eine handbreit größer als Liva, während ihr Bruder sich tagtäglich mehr zum Mann entwickelte. Er hatte sogar schon ein paar Stoppeln im Gesicht, die er rasieren musste. Jard trug sein dunkles Haar in der gleichen Art wie Kel. Allerdings war es genau – wie ihre eigenen rabenschwarzen Haare – wellig und nur schwer zu bändigen.

„Kel und ich haben heute einen Blutschwur geleistet, Vater“, sagte Jard mit vollem Mund kauend.

Das hätte mir einfallen sollen, dachte sie grimmig und biss wütend, aber sittsam – wie es sich geziemte – in ein mit Hühnerfleisch gefülltes Dampfbrötchen.

„Jetzt sind wir Blutsbrüder, für die Ewigkeit. Das Schicksal wird es gut mit uns meinen und zusammen wird uns nichts geschehen. Nicht wahr Kel?“

Kel hatte sich bei Jards Worten an seinem Kürbissalat verschluckt. Er hustete und bekam einen knallroten Kopf. Hastig tastete er nach seinem Becher, doch er griff daneben und stieß den Becher um. Voller Erstaunen beobachtete Liva, wie der Becher kippte, doch plötzlich stockte er auf halber Höhe und sprang zurück auf seine Ausgangsposition, ohne dass ein Tropfen Wasser überschwappte. Ja, sie hatte ganz richtig gesehen, der Becher sprang einfach zurück, anstatt seinen vollen Inhalt über Kels blütenweißes Seidenhemd und die geschnürte dunkelblaue Weste, ein Erbstück von Jard, zu ergießen. Kel schien sich von Liva, die das Geschehene mit angesehen hatte, ertappt zu fühlen, sofort lief er wieder rot an und wich ihrem Blick aus. Dabei wusste doch jeder in diesem Haus, dass Kel, genau wie ihr Bruder, ein Magieträger war, warum nur machte er so ein Geheimnis daraus?

„Ich kann es kaum erwarten, dass wir endlich aufbrechen zum Tempel des Westens. Die Insel Eriu soll ja die schönste im ganzen Reich der vier Himmel sein...“, plapperte Jard mit leuchtenden Augen weiter und merkte nicht einmal, dass ein Stück krümeliger Büffelkäse an seinem Mundwinkel klebte.

„Ich bin froh, dass ich die Entscheidung, euch schon diesen Sommer zur Ausbildung in den Tempel zu schicken, getroffen habe und ich hoffe, ich werde sie nicht bereuen“, sagte ihr Vater. Dann blickte er Kel streng an. „Kel, mein Junge, ich hoffe, dein kleiner Schwächeanfall von heute wird nicht zur Regel. Der Ruf unseres Hauses steht auf dem Spiel. Und von dir, mein Sohn, erwarte ich exzellente Erfolge im Erlernen der Heilmagie unter Großmeister Nakoro. Aracon braucht endlich einen fähigen Magieheiler. Es wird Zeit, dass diese ganzen Scharlatane, die es kaum schaffen, Wasser für einen Teeaufguss mit Magie zu erhitzen, das Haus der Heiler räumen. Wenn du erst zurück bist aus dem Tempel, wirst du die Führung des Heilerhauses von Aracon übernehmen.“

Liva kaute mürrisch auf einem Stück Fleisch. Jetzt reichte es ihr. Wieder einmal stieg ein unbeschreiblicher Neid den beiden Jungen gegenüber in ihr auf. Immer ging es nur um Jard und Kel. Und was war mit ihr?

Die beiden durften alle erdenklichen Dinge tun, von denen Liva nur träumen konnte. Sie konnten sich überall frei bewegen, durften auf Pferden reiten, raufen, kämpfen oder einfach in der Gegend herumrennen, während sie das Haus nur in Begleitung eines männlichen Familienmitgliedes verlassen durfte. Ihre Aufgabe war es in erster Linie, sich auf die Rolle einer Söhne gebärenden, demütigen Ehefrau vorzubereiten, die sich um den Haushalt kümmerte und hin und wieder Harfe für erlesene Gäste spielte, was ihr allerdings gehörig widerstrebte. Ihr Glück war es, dass Liva zur gesellschaftlichen Oberschicht gehörte, die mehr Privilegien besaßen, als einfache Bäuerinnen, dennoch war sie eingeschränkt und sie erwartete ebenso harte Strafen für ungebührliches Verhalten, wie die Frauen der unteren Schichten.

Sie sah nicht länger ein, dass man ihr kaum Beachtung schenkte, schließlich war sie, im Gegensatz zu Kel, ein echtes Familienmitglied. Sie schäumte vor Wut. Diese ständige Benachteiligung der Frauen musste doch irgendwann ein Ende haben. Allein schon, dass nur männliche Magieträger geboren wurden, empfand sie als entsetzliche Ungerechtigkeit.

„Ob ich wohl auch ein Magieträger geworden wäre, wenn ich nicht als Mädchen geboren wäre?“

Sie blickte fragend in die Runde. Sofort stellte sie fest, dass ihre Mutter einer Ohnmacht nahe war, zumindest hechelte diese angestrengt nach Luft und fuchtelte mit ihrem bunt bestickten Seidenfächer herum. Ihr Vater verengte die Augen und sah sie an, als wolle er sagen: „Wer hat dich aufgefordert zu sprechen?“ Liva hielt dem strengen Blick ihres Vaters stand. Zu ihrer Überraschung schwieg er und schlürfte stattdessen einen Löffel voll Fischsuppe.

„Du bist aber ein Mädchen, Schwesterlein, also hör auf, dir unnötige Gedanken über Dinge zu machen, die man nicht ändern kann“, sagte Jard und stopfte sich ein süßes Hefebällchen in den Mund.

Wütend presste Liva ihre Lippen aufeinander. Ihr Blick fiel wie zufällig wieder auf Kel, der sich ganz klein auf seinem Stuhl gemacht hatte.

„Ich bin mir sicher, ich könnte als Magieträger viel mehr als nur Teewasser zum Kochen bringen und im Übrigen halte ich auch Kel für talentierter, als jeden einzelnen Magieheiler in ganz Aracon.“

Kel blickte sie perplex an. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, doch dann schloss er ihn wieder, da Jard zu sprechen begann: „Kel will Kämpfer werden, kein Heiler.“

„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass er sich zum Heiler eignet oder einer werden soll. Ich sagte nur, dass seine Fähigkeiten, meiner Meinung nach, unterschätzt werden. Mit seinem Talent könnte er doch zur königlichen Armee gehen. Ich habe mal gehört, die suchen ständig begabte Magieträger.“

„Seit wann kennst du dich mit derartigen Dingen aus? Kriegsführung ist nicht gerade ein Thema für Frauenohren“, sagte Jard mit hochgezogener Braue, worauf Liva empört ihre Zähne aufeinander presste. „Und woher weißt du überhaupt, welche Fähigkeiten Kel besitzt? Er wendet selten Magie an.“ Um sich zu vergewissern, ob er in Kels Sinne gesprochen hatte, wandte Jard seinen Kopf zu ihm. Kel war indes noch blasser geworden als zuvor. Es schien gerade so, als würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.

***

Kel war ganz übel geworden. Ihre zitternden Hände hatte sie für den Rest des Abends unter der Tischplatte versteckt und kaum noch einen Bissen herunter bekommen. Livas Blicken war sie so gut es ihr gelang ausgewichen, dennoch hatte sie sie auf ihrer Haut gespürt wie Nadelstiche.

Nun atmete sie tief ein und wieder aus. In der Sicherheit ihrer Kammer fiel die Anspannung allmählich von ihr ab.

Sie war durcheinander, einerseits freute sie sich wahnsinnig auf Eriu und den Tempel. Doch nun hatte sie plötzlich Zweifel. Seit drei Jahren hatte sie darauf hingearbeitet. Nichts hatte sie sich mehr gewünscht, als dort die alte Kampfkunst zu erlernen. Aber, war es wirklich ihr Wunsch gewesen? Oder hatte Vardan sie – seit sie bei ihm war – so sehr manipuliert, mit seinen Lobreden über ihr Kampftalent, dass sie nur dachte, es sei das einzig Richtige. Aber welche Alternativen blieben ihr schon? Seit mehr als fünf Jahren gab sie nun schon vor, ein Junge zu sein, hatte unermüdlich die Bewegungen von Männern beobachtet, ihre Art zu gehen, mit den weit schwingenden Armen und ihre Sprechweise imitiert. Sie hatte keine Ahnung was Frauen und Mädchen taten oder wie sie lebten, aber das wenige, was sie über deren Lebensweise wusste, gefiel ihr nicht. Es gab kein zurück.

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