Kitabı oku: «Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie», sayfa 5
Diese Finalität dürfen wir nicht vergessen, wenn wir vom Wettbewerb der Vorstellungen usw. um die Erhaltung im Seelenleben, im Bewußtsein, im subjektiven und objektiven Geiste sprechen. Ein solcher Wettbewerb besteht zweifellos, aber er ist ebensowenig wie der Daseinskampf in der Natur rein kausal oder mechanisch zu erklären. Denn was bestimmte Bewußtseinsinhalte miteinander streiten läßt, das sind die verschiedenen Tendenzen, die der in mannigfache Verhältnisse gelangende seelische Organismus aufweist, und was bestimmten Vorstellungen, Ideen usw. den Sieg verleiht, das ist das Überwiegen einer Tendenz vor anderen. Es siegt stets das direkt oder indirekt (auf Grund von Urteilen, Vergleichungen) als relativ Wertvollste, für das so und so beschaffene Subjekt relativ Zweckmäßigste, Befundene, sei es im Denken, sei es im Wollen und Handeln („Kampf der Motive“). Es obsiegen im intra- und intersubjektiven geistigen Wettbewerbe schließlich die an der Erfahrung am besten bewährten Ideen (Wissenschaft) und Handlungsweisen (Sitte, Recht, Technik usw.). Der Zweck, die Willensrichtung und die Beziehung auf sie ist also das Ausschlaggebende, nicht die Vorstellung für sich genommen, nicht die blutleere Theorie. Ein Wille, und sei es auch nur ein „reiner“ Denk- und Erkenntniswille ist das aktiv Auslesende, den Wettbewerb Regelnde, Normierende, dem schließlich sich unwesentliche oder störende Tendenzen unterordnen müssen, damit der reine Zweck rein erfüllt wird, was eben nur durch Erhaltung des bestimmt gerichteten Willens in der ganzen Mannigfaltigkeit seiner Betätigungen, also durch das, was wir „Konsequenz“, „Folgerichtigkeit“, Einstimmigkeit mit sich selbst nennen, erreicht wird. Daß innerhalb der Willensgesetzlichkeit das Herrschendwerden gewisser Bewußtseinsinhalte und die Zurückdrängung oder gar Verkümmerung anderer durch das Milieu in dessen verschiedenen Arten (Natur, Rasse, Gesellschaft usw.) mitbedingt ist, steht außer Frage; man denke nur an den Wandel der Lieblingsideen bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Perioden der Geschichte, denke an den Wechsel der Stile, der Moden, der Denkweisen, an das Überwiegen bestimmter Denkmittel, Gefühlsweisen, Willenstendenzen usw.
Es besteht eben im Geistesleben zweierlei Anpassung: einmal eine passive, besser reaktive Anpassung von Erlebnissen (Vorstellungen usw.) an ein physisches oder psychisches Milieu, dann aber auch eine aktive Anpassung des Milieus an die Natur des Seelenlebens. Die passive Anpassung ist teils indirekter Art, durch eigentliche Selektion, die aber im Seelischen noch weniger belangreich sein dürfte als im Biologischen, teils eine direkte, indem das Milieu durch die von ihm ausgehenden Reize und Einflüsse das Seelenleben der Individuen und Völker in einer zu diesem Milieu in Beziehung stehenden Weise modifiziert. Während auf den niederen Stufen der Geistesentwicklung die passive Anpassung überwiegt, kommt auf den höheren immer mehr die aktive Anpassung zur Geltung. Die ganze Kulturarbeit des Menschen gibt davon Zeugnis, wie sehr es der menschliche Geist versteht, Inhalte seines Erlebens so zu formen, daß sie seinen ureigenen Bedürfnissen, Tendenzen, Zwecken zu entsprechen vermögen. Nicht bloß die Außenwelt wird diesen Zwecken angepaßt, auch das Innenleben, wie es sich besonders im „objektiven Geist“, in Religion, Sitte, Sittlichkeit, Recht, Wissenschaft usw. bekundet, wird aktiv gestaltet, beständig umgeformt, und zwar im ganzen und großen schließlich doch immer wieder in der Richtung, welche die Linie der Realisierung des reinen Menschheitswillens bedeutet, also im Sinne der Kulturidee. Hierbei findet, da die Einheit des Geisteslebens immer wieder nach Selbsterhaltung strebt und bewußte Widersprüche in ihrem Bereiche nicht dauernd erträgt, eine beständige, wenn auch nicht immer gleich merkliche gegenseitige Anpassung der geistigen Gebilde aneinander statt, die aller Einseitigkeit, aller Verkümmerung einzelner Partien des Seelenlebens immer wieder entgegenarbeitet. So gibt es z. B. eine Anpassung zwischen Recht und Wirtschaft, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Individualismus und Kollektivismus. Es besteht eine Art Selbstregulierung des Geisteslebens, durch welche Störungen und Einseitigkeiten, welche der Integrität der seelischen Einheit Abbruch zu tun drohen, soweit als möglich aufgehoben werden, und diese Selbstregulierung ist ein Mittel zur Anpassung der Mannigfaltigkeit geistiger Inhalte an die Einheit und Gesetzlichkeit der individuellen und der sozialen Psyche. – Die Bedeutung der aktiven Anpassung im Geistesleben erhellt u. a. aus der Methodik des wissenschaftlichen Erkennens. Denn es findet nicht nur eine (besonders von E. Mach hervorgehobene) Anpassung des Denkens an die Erfahrung statt, sondern auch eine Anpassung der Erfahrung an das Denken, bzw. an den Denkwillen, indem die Erfahrung methodisch so geformt wird, daß sie die allgemeine, „apriorische“ Gesetzlichkeit des Intellekts in ihrer Struktur immer schärfer und ausgedehnter zum Ausdruck bringt. Dies ist nur ein Spezialfall aus der fortschreitenden Rationalisierung des gesamten Lebens, welche triebhaft einsetzt und dann vornehmlich durch die spontane, autonome, planmäßige, zweckbewußte Arbeit des Geistes, der alle seine Inhalte seinen Forderungen, den Postulaten des Vernunftwillens zu unterwerfen strebt, erfolgt. In der fortschreitenden Vergeistigung der Natur, sowohl der äußeren als auch der inneren Natur des Menschen besteht ja der Sinn aller wahren, vollen Kultur. Durch die reaktive und aktive Formung, welche das Geistesleben beständig an seinen Objekten vornimmt, erzeugt es einen stets zunehmenden Reichtum geistiger Werte und zugleich entwickelt es sich selbst zu immer höheren Daseinsstufen; die Funktion wirkt hier, wie im Biologischen, durch Übung und deren Nachwirkungen sowie durch Vererbung derselben, zu der auch die Tradition gehört, auf die Organisation, von der sie ausgeht, zurück, so daß auch hier ein besonnener „Lamarckismus“ Recht behält.
Wenn es wahr ist, daß alle Entwicklung zwar auch durch äußere Faktoren bedingt und bestimmt ist, aber doch in erster Linie unmittelbar von innen her erfolgt, so gilt dies nun ganz besonders für die seelische Evolution. Dies folgt schon aus der Finalität der Psyche, aus deren Gerichtetsein auf immer neu sich entfaltende Ziele. In unaufhörlicher Bewegung muß ein Seelenleben sein, dessen innerstes Triebwerk wirkliches Streben, wahre Tendenz, also „Wille“ im allgemeinsten Sinne des Wortes ist. Nur die Verbindung von immanenter Teleologie und Voluntarismus ist geeignet, uns die wachsende Zweckmäßigkeit des Psychischen ohne Berufung auf „transzendente“, von außen gesetzte Zwecke oder auf geheimnisvolle Zweckursachen verständlich zu machen. Gewiß sind nicht alle erzielten Resultate von Anfang an Objekt und Inhalt des Willens, gewiß weiß das Subjekt oft nichts oder nur wenig von dem, was es erzeugt und wozu es erwächst, aber wenn es auch wahr ist, daß nur eine Summation, ein fortlaufender Zusammenhang relativ selbständiger Zielstrebungen und Zwecksetzungen die endlich erreichten Zweckmäßigkeiten mit sich bringt, so ist es doch ebenso wahr, daß ohne diese Strebungen, in denen das Wesen des Subjekts, der Psyche zum Ausdruck gelangt, nichts von dem erreicht würde, was tatsächlich gewonnen wird. Mit außerordentlicher Genialität hat insbesondere Leibniz diese Selbstentwicklung der Seele erfaßt und nur den Fehler begangen, die Seele als einfache Substanz, als Monade unter anderen Monaden zu fassen, statt sie als eine, eine Vielheit von „Elementen“ und Momenten einschließende aktuale Organisation zu betrachten, wie wir es heute tun müssen. Es gibt eben nicht ein besonderes, qualitativ unbekanntes Wesen, Seele genannt, sondern die Seele ist der einheitliche, sich von seinen ihn zur Erscheinung bringenden Momenten und Elementen selbst unterscheidende, abhebende Zusammenhang zielstrebiger Aktionen und Reaktionen, eine sich permanent setzende, durchsetzende, erhaltende, entfaltende „Subjekt-Einheit“ als das „Innensein“ dessen, was objektiv angesehen oder gedacht als physischer Organismus sich darstellt. Insofern diese Einheit aus sich heraus tätig, wirksam ist, Fähigkeiten zu verschiedenen Handlungen besitzt, ist sie im wahrsten Sinne des Wortes eine „Kraft“, während die objektiv-physischen Kräfte uns nur als gedankliche Ausgangspunkte von kausalen Relationen gegeben sind. Jede Seele ist ein sich selbst unmittelbar erfassendes Aktionszentrum, nicht „substantiell“, sondern durch ihr Wirken und ihre Dispositionen dazu. Sie „wirkt“ aber dadurch, daß sie strebend, wollend, also auf Ziele „gerichtet“ ist; ihr Wirken ist also final bestimmt. So kann man die Seele als eine Art Apparat zur Verwirklichung von Zwecken ansehen, freilich als einen lebendigen, aktiven, bewußten Apparat, nicht als einen bloßen Sitz oder ein Reservoir von Kräften.
Wir sehen aus dem Vorangehenden, wie notwendig die teleologische Fundierung der Psychologie ist. Es ist in der Tat ganz und gar unmöglich, die Gesetzlichkeit, die im Seelenleben waltet, zu verstehen, wenn man nicht den Strebungscharakter und damit die Finalität des Psychischen voll berücksichtigt. Die Zielstrebigkeit in ihren verschiedenen Abstufungen und Bewußtseinsgraden beherrscht das gesamte Seelenleben, sie ist die Grundbedingung, die Urvoraussetzung für das Funktionieren desselben. Sie waltet im Wollen direkt, kommt im Gefühlsleben zum Ausdruck und durchsetzt auch die intellektuellen Prozesse, angefangen von der Empfindung und Sinneswahrnehmung bis hinauf zum Denken und Erkennen. Die Grundfunktionen des Bewußtseins und deren Wirkungen stehen alle, direkt oder indirekt, im Dienste der reaktiven Zielstrebigkeit oder der aktiven Zwecksetzung, handle es sich nun um das Gedächtnis, die Phantasie, die Abstraktion, die Übung, die Gewöhnung, die Ermüdung, die Aufmerksamkeit u. dgl. oder um die im Spiel, in der Kunst, im religiösen, sittlichen, sozialen Leben wirksamen Seelenfunktionen. Überall bestehen hier Bedürfnisse, teils materialer, teils formaler Art, Tendenzen der psychischen Organisation und ihrer „Provinzen“, die triebhaft oder mittels des „Vernunftwillens“ zur Erfüllung drängen. Was oft als rein mechanische Reflextätigkeit oder als Resultat unbewußten Wissens und Planens erscheint, wie die Instinkthandlung, ist das fixierte, durch Übung und Vererbung der psychischen Organisation fest einverleibte Resultat von zielstrebigen Reaktionen, die durch allmähliche Anpassung zu objektiv zweckmäßigen Erfolgen geführt haben. Man muß sich also vor zweierlei hüten: einerseits vor dem Fehler, da, wo schon triebhafte, impulsive, wenn auch sehr beschränkte, nur auf das Allernächste, auf die Entfernung unlustvoller und die Festhaltung lustvoller Reize gerichtete Zielstrebigkeit besteht, bloß das Resultat rein mechanisch-reflektorischer Vorgänge zu erblicken; anderseits aber auch vor dem ebenso gefährlichen Irrtum, einfach organisierten Lebewesen tierischer und pflanzlicher Art schon Denk- und Willensakte zuzuschreiben, die nur in einem komplizierten Bewußtsein möglich sind, die Fähigkeit aktiver Vergleichung, Abstraktion, Überlegung, Wahl voraussetzen oder auch durch eine große Zahl in Bereitschaft stehender Erfahrungen bedingt sind. Schon der Ausdruck „Zielstrebigkeit“ (bekanntlich von K. E. v. Baer eingeführt) ist cum grano salis zu verstehen, sonst kann er leicht Unheil anrichten. Es ist nicht so, als ob es an sich Ziele gäbe, die dem Lebewesen irgendwoher gesteckt sind und auf die es nun unbewußt oder bewußt zustrebt. Wir wissen wenigstens nichts davon, solange wir auf dem Boden der Empirie verbleiben und metaphysischen Theorien innerhalb der empirischen Forschung keinen Raum gönnen. Zielstrebigkeit ist für uns nichts anderes als ein Ausfluß des Lebens selbst; das Ziel ist dem Streben durchaus immanent, es ist durch das erlebende Subjekt selbst „gesetzt“, ist von ihm unabtrennbar. Dieses ist durch und durch Wille zur Erhaltung, Durchsetzung, möglichst auch Steigerung und Entfaltung der eigenen Einheit, nicht aber ist es irgendwoher auf dieses Ziel eingestellt worden. Und alle die Zwecke, die von lebenden Subjekten angestrebt werden, sind nur Konsequenzen aus der primären Zielstrebigkeit, in allmählicher Entwicklung entfaltet und jeweilig modifiziert und modifizierbar durch das Milieu, in welchem das Subjekt lebt. Es muß dies wiederholt betont werden, damit die Gegner aller Teleologie einsehen lernen, daß von irgendwelchen „reaktionären“ Tendenzen in dieser Form der „Auto-Teleologie“ nicht im geringsten die Rede ist. Für eine große Strecke der Finalität ist jedwedes Vorauswissen zweckmäßiger Erfolge unbedingt ausgeschlossen, auch ist die Erreichung solcher Erfolge keineswegs eindeutig bestimmt, nur zu oft finden Irrtümer statt, es bedarf oft einer großen Reihe von Erfahrungen, damit unter den in Bereitschaft stehenden Bedingungen die richtigen Mittel zur Anwendung kommen. Die Kenntnis der richtigen Mittel zum Zweck ist vielfach erst das Produkt langer Entwicklung, die „Zufälligkeit der Mittel“ (Pauly) ist ein nicht genug zu beachtender Umstand, der für die neben der Zweckmäßigkeit stark hervortretende „Dysteleologie“ von hoher Bedeutung ist. Zielstrebigkeit schließt also noch nicht die richtige Technik der Mittel ein, der Mangel einer solchen freilich nicht die Existenz einer Zielstrebigkeit aus. So sehen wir z. B. eine bestimmt geartete Individualität, einen bestimmt gerichteten Charakter zuweilen sich in der Wahl der diesem Charakter gemäßen Lebensbedingungen (Beruf usw.) vergreifen, weil er sich eben in seinem „dunklen Drange“ des „rechten Weges“ nicht bewußt ist. Mit Recht ist gesagt worden, der Charakter eines Menschen sei dessen Schicksal. Das bedeutet psychologisch: der Grundwille, der das Wesen dieses bestimmten Subjekts ausmacht, leitet bewußt oder impulsiv dessen ganzes Tun und Lassen, wobei nicht auf die äußeren Verhältnisse und deren bestimmenden, teilweise auch zwingenden Einflüsse vergessen werden darf. Die Mittel aber, diesem Grundwillen Genüge zu tun, werden oft nicht richtig gewählt, weil Erfahrung oder Vernunfteinsicht nicht im rechten Maße vorhanden ist, so daß auch diese Faktoren das Geschick des Menschen bestimmen. Das „Dysteleologische“ ist, kurz gesagt, nicht bloß auf Rechnung äußerer Faktoren zu setzen, sondern es entspringt vielfach der Finalität, dem Teleologischen selbst, teils als ungewollter Nebenerfolg, teils infolge der Beschränktheit des Subjekts. An diese Dysteleologie ist in letzter Linie der Konflikt verschiedener oder gegensätzlicher Tendenzen und Zielstrebigkeiten, insbesondere zwischen verschiedenen Subjekten, schuld.
V. Die psychische Entwicklung
Wir haben bereits der verschiedenen Faktoren, welche an der Entwicklung des Seelenlebens beteiligt sind, Erwähnung getan. Nun erübrigt uns noch die zusammenfassende Darlegung des Wesens dieser Entwicklung.
Zunächst ist von einer Entwicklung der Psyche als Ganzes zu sprechen. Wir wissen, daß diese Entwicklung eine Entfaltung von innen heraus ist. Damit wurde keineswegs bestritten, daß eine durchgängige Beeinflussung der Psyche durch das äußere Milieu besteht. Direkt und indirekt kommt dieser Einfluß zur Geltung und alle Seelenentwicklung steht, wenn sie auch innerlicher Art ist, zu jenem in Beziehung, paßt sich ihm nach Möglichkeit an und schmiegt sich den waltenden Verhältnissen an. Aber das Milieu wirkt auf die Psyche entsprechend der eigenen Natur dieser. Es wirkt als eine Summe von Reizen, welche in der psychischen Organisation Tendenzen wachruft, die zu bestimmt gerichteten Reaktionen führen, die wieder auf die psychische Organisation zurückwirken; dann erst kann auch die natürliche Auslese einsetzen, welche das Erhaltungsgemäße, Zweckmäßige begünstigt, indem sie zugleich das Untaugliche auszumerzen bestrebt ist. In jedem Falle aber ist die psychische Entwicklung „zielstrebig“, indem zum Wesen der Psyche die Tendenz zur Erhaltung und Durchsetzung der eigenen Einheit gehört, aus welcher Tendenz in Reaktion zu den äußeren Reizen die Entwicklung der Seele mit teleologischer und zugleich kausaler Notwendigkeit erfolgt. Je höher entwickelt die Seele ist, desto mehr wird die Reaktivität derselben zur Aktivität, desto relativ unabhängiger wird sie vom Zwange des Milieu, desto mehr kann sie ihren ureigenen Tendenzen folgen, ihr Milieu selbsttätig modifizieren, ein neues Milieu, einen neuen Wirkungskreis schaffen. Die gesamte Kulturtätigkeit ist nichts anderes als ein aktives Anpassen des Milieu an die Tendenzen, Bedürfnisse, Zwecke, Ideale der menschheitlichen Psyche.
In welcher Hinsicht können wir von der Psyche sagen, daß sie sich entwickelt? In extensiver und intensiv-qualitativer Hinsicht, so aber, daß hier die Extension, das Quantitative sogleich auch qualitativen Charakter besitzt. Die psychische Entwicklung besteht zunächst darin, daß die Zahl der Erlebnisse des Subjekts wächst, daß der Umfang seines Bewußtseins ein immer größerer wird, sich auf eine immer größere Menge von Vorstellungen, Gefühlen usw. erstreckt. Das gilt sowohl vom Individuum als auch vom „Gesamtgeist“, von der „Kollektivseele“ eines Volkes, einer sozialen Gemeinschaft. Während das Individualsubjekt den Schatz seines Bewußtseins durch Erfahrung, Lernen, eigenes Denken vergrößert, entwickelt sich die Kollektivseele, als das Gemeinsame in einer Vielheit von Einzelseelen und zugleich als der durch Wechselwirkung bedingte einheitliche Zusammenhang dieser, durch Akkumulation von Kollektiverfahrungen und der Produkte des Gemeinschaftswirkens auf allen Gebieten geistiger Betätigung. Was beim Individuum die Vererbung bedeutet, das ist für die Kollektivseele, für den Gesamtgeist die Tradition, durch welche die folgenden Generationen von vornherein in eine Welt geistiger Werte gestellt sind, an die sie anknüpfen und die sie weiter verarbeiten können. Die Tradition stellt einen seelischen Zusammenhang in der Zeit dar, der trotz wiederholten scheinbaren Durchbruchs der geschichtlichen Kontinuität, trotz zeitweiligen Zurücktretens, Vergessenwerdens, Nichtbeachtetseins geistiger Werte zustande kommt. Die Tradition ist die sozialhistorische Art der Vererbung, die Vererbung eine Art Tradition. Das letztere ist ohne weiteres verständlich, wenn wir bedenken, daß freilich fertige Vorstellungen, Gedanken, Wertungen u. dgl. nicht vererbt werden können – weil für solche in der unentfalteten Psyche des Keimes gar kein Organ vorhanden ist, und aus anderen Ursachen – wohl aber psychische Anlagen oder Dispositionen allgemeinster und auch spezieller Art. Vermöge solcher Anlagen, d. h. Tendenzen der primitiven Seelenorganisation zu bestimmt gerichteten Reaktionen und Aktionen, Tendenzen, die freilich erst durch Reize ausgelöst werden müssen, ist die Psyche besser ausgestattet als die früheren Generationen, sie kann sich extensiv und intensiv höher entwickeln, einen komplizierteren und feineren Habitus annehmen. Gewiß wird nicht alles und jegliches, was ein erlebendes Subjekt erlebt hat, vererbt werden. Die „direkte Vererbung erworbener Eigenschaften“ ist keineswegs durch die Neo-Darwinisten aus der Schule Weismanns widerlegt, aber sie darf auch nicht ins Extreme gezogen werden. Vererbbar dürfte nur das sein, was infolge lang wiederholter oder sonstwie nachhaltiger Eindrücke die psychische Struktur erheblicher beeinflußt, modifiziert hat40. Insbesondere gehören hierher die Resultate psychischer Übung nach irgendwelcher Richtung hin; diese Resultate bestehen in der größeren Leichtigkeit und Sicherheit bestimmter Funktionen, bestimmter Bewußtseinsakte oder Koordinationen solcher, die in den von den elterlichen Seelen sich abspaltenden, ablösenden „Seelenkeim“ eingehen, wobei man aber nicht an substantielle Wesenheiten und Modifikationen denken darf. Die Erlebnisse der Subjekte gehen nicht spurlos vorüber, sie wirken auf die psychische Organisation zurück und manches von diesen Wirkungen kommt in den Nachkommen scharf zum Ausdruck. Infolge bald des Zusammenwirkens, bald des einander Entgegenwirkens der Tendenzen väterlicher- und mütterlicherseits in der „Keimpsyche“, sowie des Einflusses äußerer Faktoren ist die psychische wie alle Vererbung natürlich etwas ungemein Kompliziertes, keineswegs etwas eindeutig Bestimmtes. Und da wir bei der Beurteilung dessen, was psychisch ererbt ist, den Einfluß der Nachahmung, Erziehung, des gleichen Milieu usw. nicht vergessen dürfen, so ist es kein Wunder, wenn wir über den Umfang der direkten Vererbung noch recht wenig wissen. Erfahrung und Logik sprechen aber für das Bestehen einer solchen, so sicher es auch ist, daß zur Erwerbung bestimmter psychischer (oder auch physischer) Eigenschaften schon gewisse Prädispositionen nötig sind…
Das extensive Wachstum psychischer Werte ist von teleologischer Bedeutung. Denn der größere Umfang von Vorstellungen usw. ermöglicht ein richtigeres, den mannigfachen Verhältnissen und Modifikationen des Daseins besser angepaßtes Verhalten des Subjekts. „Wissen ist Macht“. Die reicher ausgestattete Psyche verfügt über mehr Mittel zur Selbsterhaltung und Selbstförderung, sie ist dem Zwange von Raum und Zeit viel mehr entrückt, sie kann viel aktiver auftreten. Ohne einen gewissen Vorrat in Bereitschaft stehender Vorstellungen und Begriffe ist kein höheres Wollen, keine Überlegung, keine Planmäßigkeit des Handelns möglich. Teleologisch bedeutsam ist nun auch das intensive Wachstum der Seele. Infolge der Übung ihrer Funktionen und infolge der daraus resultierenden Dispositionen steigert sich die psychische Energie intensiv, sie vermag bei gleichem oder geringerem Kraftaufwande mehr und Besseres zu leisten, kurz, sie gewinnt an Zwecktüchtigkeit. Wir sehen denn auch in der individuellen wie in der kollektiven Evolution der Psyche die Leistungsfähigkeit dieser in vieler Beziehung durch die Vererbung der Übungsresultate sich steigern. Wir konstatieren vielfach eine Steigerung der Bewußtheit durch die Entwicklung, daneben freilich auch eine Herabsetzung der Bewußtheit gewisser Funktionen. Und auch dieses Zurücktreten der Bewußtheit ist zweckmäßig. Die „Abstumpfung“ durch Gewöhnung schützt vor der Überzahl der die Psyche sonst leicht störenden, verwirrenden, zerrüttenden Reize, sie entlastet die Seele, erspart ihr Arbeit, ermöglicht eine um so stärkere Konzentration in bestimmter Richtung, sie wirkt also entschieden ökonomisch. Zugleich werden durch die „Mechanisierung“ des Bewußtseins die Handlungen sicherer, indem sie viel weniger dem Irrtume ausgesetzt sind. Daher die Treffsicherheit alles „Instinktiven“, die freilich nur für bestimmte, normale, typische Umstände gilt; soll das Seelenleben nicht erstarren, so muß eine Modifizierbarkeit auch der Instinkte möglich sein und tatsächlich besteht sie in großem Ausmaße. Die Verminderung der Bewußtheit ist keine absolute Verarmung des Seelenlebens, wofern sie eben die Anbildung neuer, höherer Bewußtseinsinhalte und die Steigerung der psychischen Energie mitbedingt und ermöglicht. In dem rechten Verhältnis zwischen Bewußtheitssteigerung und Bewußtheitsschwächung liegt das Maximum des für das erlebende Subjekt Zweckmäßigen; dem entspricht das rechte Verhältnis zwischen Trieb- und aktivem Willensleben.
Wundt spricht von einem „Wachstum geistiger Energie“41 und wir müssen ebenfalls ein solches konstatieren. Zunächst sei bemerkt, daß damit dem Gesetz der Erhaltung physischer Energie kein Abbruch getan wird. Denn es kann bei gleich bleibender Menge physischer Energie die Mannigfaltigkeit psychischer Qualitäten und Werte wachsen. Man muß ferner beachten, daß innerhalb gewisser Grenzen und Normen auch die Energie des Zentralnervensystems – natürlich auf Kosten anderer physikalisch-chemischer Energie im und außerhalb des Organismus – wächst, und zwar durch Ernährung und Übung. An die extensive und intensive Leistungsfähigkeit des Zentralnervensystems ist nun die Steigerung psychischer Energie im intensiven Sinne geknüpft, wie dies besonders Jodl hervorgehoben hat („Wachstum organischer Energie“). Daß innerhalb eines Partialsystems der Vorrat verfügbarer Energie durch Aufnahme von außen und Akkumulation zunehmen kann, ist ja ohne weiteres begreiflich und mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie durchaus vereinbar; ebenso auch eine zeitweilige Abnahme an Nervenenergie. Während also ein Teil der Steigerung psychischer Leistungsfähigkeit – die durch ihre Wirkungen, den zu verarbeitenden geistigen Stoff, einigermaßen, wenn auch nicht im physikalisch-exakten Sinne meßbar ist – der Bereitschaft des ersparten Kraftaufwands und der durch die Übung erzielten besseren Richtung und Koordination der Energie zu verdanken ist, haben wir den andern Teil dem Wachstum des Innenseins dessen, was objektiv zerebrale Energie ist, zuzuschreiben. Der qualitativen und intensiven Steigerung dieser Energie und ihres Organs entspricht das Wachstum der Intensität und der Mannigfaltigkeit von seelischen Werten in deren immer vollkommeneren, bewußteren einheitlichen Zusammenfassung. Hier erscheint – wie u. a. Münsterberg betont – das Prinzip des psycho-physischen Parallelismus nirgends durchbrochen.
Das Wachstum geistiger Werte hängt, wie es wiederum Wundt vortrefflich dargetan hat, mit der „schöpferischen Synthese“ zusammen, die das Bewußtseinswirken charakterisiert; es ist ein Prinzip, welches besagt, „daß die psychischen Elemente durch ihre kausalen Wechselwirkungen und Folgewirkungen Verbindungen erzeugen, die zwar aus ihren Komponenten psychologisch erklärt werden können, gleichwohl aber neue qualitative Eigenschaften besitzen, die in den Elementen nicht enthalten waren, wobei namentlich auch an diese neuen Eigenschaften eigentümliche, in den Elementen nicht vorgebildete Wertbestimmungen geknüpft werden“ (Philos. Studien X, 112f.). Es besteht eine Art „psychische Chemie“, vermöge deren eine Gesamtvorstellung, ein Gesamtgefühl usw. mehr ist als die bloße Summe der Elemente, in welche sich diese psychischen Gebilde zerlegen lassen. Im Verlaufe der individuellen und generellen Entwicklung entstehen so immer neue psychische Qualitäten und Werte, die wohl in den vorangehenden ihren zureichenden Grund haben, aber nicht restlos aus deren Zusammen zu erklären sind. Das Äquivalenzprinzip, welches auf dem Gebiete des Psychischen überall gilt, hat hier überall da, wo es sich um rein Qualitatives handelt, keine Bedeutung. Was diesem Prinzip schöpferischer Energie in der Natur einigermaßen entspricht, das ist die immer neue Entstehung von Formen, insbesondere von organischen Gestaltungen, die auch nicht restlos auf die Summation von Elementen zurückzuführen sind. Die psychische Synthese ist aber nicht ein selbständiges Zusammentreten von Bewußtseinselementen, sondern ein Auftreten neuer Bewußtseinsmodifikationen auf Grundlage des Zusammenhanges anderer, also eine Art Reaktion des erlebenden Subjekts auf seine eigenen Erlebnisse, welche das Material zu neuen Gestaltungen und Gliederungen darbieten; das Subjekt bereichert sich so aus und in sich selbst, es entfaltet und steigert sich in und an seinen eigenen Zuständen, Aktionen und Gebilden42.
Doch gibt es im seelischen Leben auch ein Analogon zur Erhaltung der Energie im Sinne des Äquivalenzprinzips, also so etwas wie eine Erhaltung psychischer Energie43. Nämlich als Parallele zu dem intrazerebralen Verhältnis der Energien, welches derart ist, daß mit der erhöhten Energie bestimmter Partien oder Funktionen die entsprechende Verminderung der Energie anderer Partien oder Funktionen verbunden sein wird. Wir sehen in der Tat, wie eine Konzentration der Aufmerksamkeit für bestimmte Inhalte eine Schwächung der psychischen Energie für andere Inhalte bedingt, wie ferner die Steigerung gewisser Funktionen, wenn sie einseitig erfolgt, die Schwächung anderer zum Korrelat hat, kurz, wie das Zuströmen psychischer Energie nach einer bestimmten Richtung ein Abfließen solcher Energie von anderen Richtungen mit sich bringt. Die Begrenztheit der einem Subjekt zur Verfügung stehenden psychischen Leistungsfähigkeit hat diese Art von „Energie des Bewußtseins“ zur Folge. Daß damit ein Wachstum seelischer Werte durchaus vereinbar ist, liegt auf der Hand. Selbsterhaltung und Selbstentfaltung gehören beide zusammen zum Wesen der psychischen Organisation, welche eine Erhaltung in der Entwicklung aufweist. Und diese Entwicklung ist eine schöpferische („évolution créatrice“, wie Bergson sich ausdrückt), dabei aber gesetzmäßige, denn sie ist das Gesetz des Seelischen selbst, der Ausdruck des konstanten, unverlierbaren Wesens der Subjektivität. Die Seele „wächst“ so von innen heraus, durch eine Art Entfaltung; sie differenziert sich selbsttätig oder in Reaktion auf die Reize der Umwelt, niemals aber kommt etwas direkt von außen in sie hinein, da psychische Modifikationen nicht direkt übertragbar sind, nicht in der Luft schweben können, nur als Modi eines Subjekts Sinn und Existenz haben. Insofern hat Leibniz durchaus recht, wenn er sagt, die Seele (Monade) habe keine „Fenster“. Sie „spiegelt“ das Universum, konzentriert wie in einem Focus die von der Umwelt erlittenen Eindrücke, aber in der ihr gemäßen Weise, in Bewußtseinszuständen, welche zu den objektiven Momenten in Korrelation stehen, aber mit ihnen nicht identisch sind und ihnen auch nicht qualitativ gleichen.
Von einer Erhaltung des Psychischen ist auch insofern zu reden, als Psychisches weder neu entstehen noch in nichts vergehen kann. Wir müssen die Ewigkeit des Psychischen als Prinzip, als eines Wirklichkeitsfaktors im allgemeinen statuieren. Erstens, weil es das „Innensein“ der Dinge ist, also ein Konstituens des Seins als solchen, und wir den Gedanken einer Entstehung oder Vernichtung des Seins logisch nicht zu konzipieren und durchzuführen vermögen. Zweitens weil das Psychische aus dem Physischen nicht hervorgegangen sein kann, was aus methodologisch-erkenntniskritischen Gründen anzunehmen ist. Ebenso, wie die physische Energie sich im beständigen Wandel der verschiedenen Energieformen ineinander konstant erhält, so bleibt auch das Psychische als solches bestehen, wenn auch die Formen, in denen es jeweilig auftritt, beständig wechseln. Diese Formen sind äußerst mannigfaltig, keine gleicht der andern völlig, schon durch die wenigstens um ein Differenzial abweichende Stellung jedes Subjekts zur Umwelt müssen die Erlebnisse etwas anders ausfallen, abgesehen von den Komplikationen usw. Doch lassen sich psychische Formen, welche wesentlich miteinander übereinstimmen, zu Typen vereinigen und diese wieder obersten Formen des psychischen Seins unterordnen. Die Art und der Grad des Bewußtseins und des Wollens ist für sie charakteristisch. Es findet eine Entwicklung von niederen, einfacheren, weniger reichen und klaren zu höheren, differenzierteren, klareren, umfassenderen Bewußtseinsformen statt, mit welchen partiell wieder ein Herabsteigen zu niederen, einfacheren Bewußtheitsgraden verbunden ist. Zugleich ist bei den niederen Bewußtseinsformen zwar ein dumpfes „Subjektgefühl“ als vorhanden anzunehmen, nicht aber schon die Existenz eines reflektierten Selbstbewußtseins, ein Bewußtsein des eigenen Ichs in scharfer Abhebung von dessen Erlebnissen und ihren Inhalten, sowie ein Bewußtsein des eigenen Bewußtseins als solchen, welches wir eben als Reflexion, als Wissen, als Selbstbewußtsein im höheren Sinne bezeichnen. Zwar hat es keinen Sinn, von absolut unbewußten psychischen Prozessen zu reden, denn psychisch und bewußt sind eins; wohl aber gibt es relativ unbewußte Vorgänge, d. h. solche, die nicht gesondert, sondern nur als ununterscheidbare Bestandteile eines übergeordneten, allgemeineren Bewußtseinszusammenhanges auftreten, die also „unterbewußt“ sind44. Von den bewußten Vorgängen sind aber keineswegs alle auch als solche gewußt, d. h. beachtet und als Bewußtseinsakte auf das Subjekt als dessen Manifestationen bezogen. Das als solches gewußte, das reflektierte Bewußtsein ist eine höhere Stufe des psychischen Lebens, ein Bewußtsein höherer Ordnung, ein potenziertes oder ein auf sich selber sich zurückbiegendes Bewußtsein, welches schon hohe Erinnerungs-, Apperzeptions- und Abstraktionsfähigkeit voraussetzt. Seine relativ höchste Stufe erreicht dieses Bewußtsein im begrifflichen Wissen und in den Urteilen der Psychologie, in der methodisch sicheren und klaren Beurteilung des seelischen Erlebens, in der Analyse und Synthese dessen, was sonst in der Regel nicht Gegenstand, nur Funktion des erlebenden Subjekts ist. Zu diesem Wissen gehört nicht bloß die Bewußtheit des eigenen Vorstellens und Denkens, sondern auch das Wissen um das eigene Wollen und Zwecksetzen, welches dadurch dem impulsiven Triebleben scharf gegenübertritt.